huababuar - Kommentare

Alle Kommentare von huababuar

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    huababuar 20.09.2016, 14:38 Geändert 20.09.2016, 23:10

    Hast du Spaß? Bist du glücklich? Was macht das Leben für dich lebenswert? Eigentlich will Winfried nur fragen, wie es ihr geht, seiner Tochter Ines, hier in Bukarest als aufstrebende Berufsberaterin. Doch er findet die richtigen Worte nicht. Überhaupt, es lässt sich schlecht philosophieren im dampfenden Spa bei Clubsandwich, frisch gepresstem Orangensaft und Champagner. Noch schlechter, wenn die Silben abgehackt aus einem heraus stottern, weil das Gegenüber so unheimlich fremd geworden ist; weil man nicht mehr weiß, mit wem man da spricht und kontinuierlich aneinander vorbei redet.

    Es gibt wohl drei Sätze, die eine derartige Vater-Kind-Beziehung am treffendsten charakterisieren, die so oder in irgendeiner Abwandlung unter Garantie einmal fallen, wenn die Jahre schleichend vorüberziehen und eine einst enge Verbindung gar schleichender auseinanderbricht: Weißt du noch damals? Was ist nur aus dir geworden, Kind? Papa, du bist so peinlich! Von diesen drei Sätzen handelt „Toni Erdmann“, von Fremdscham und Vergangenheitsversessenheit, von Entfremdung und Kampf. Um sich selbst. Um die eigene Tochter.

    Maren Ade begegnet derart existenziellen Sorgen mit sanfter Leichtfüßigkeit. Die Gräben, die sich aufgetan haben zwischen Winfried, der als geschiedener Musiklehrer leidlich vor sich hin siecht, und Ines, das Smartphone an die Ohrmuschel getackert, die Finger an die Laptoptasten geleimt, zwischen Kleinbürgertum (Winfried) und Karrierismus (Ines), Hochleistungs- und Hoffnungslosigkeitsgesellschaft, die will sie aufschütten mit Aberwitz und Mimikry. Denn um seiner Tochter nahe zu kommen, muss sich Winfried zunächst einmal verkleiden, er muss sich selbst verleugnen, weil er als bescheidener Kurzarmhemdenträger im sakkobekleideten Business der Berufsarschlöcher zerrissen werden würde wie ein rohes Stück Fleisch im Löwengehege.

    Winfried muss eintauchen in die Welt von Verlogenheit und Geschäftsdruck, von dekadenten Kokspartys und eben jenen Bukarester Spas mit Clubsandwich und Champagner, in denen er realisiert, dass ihm seine Tochter endgültig entglitten ist. Eine Welt der puren Nichtkommunikation. Reden ist unnütz, Fragen nach dem Wohlbefinden perlen emotionslos ab. Verlegene Blicke, verklemmte Minen, verschämtes Lächeln. Aus dieser Not heraus entwickelt Winfried die Taktik des konfrontativen Fremdschams: Die scheinbare Adaption, sie ist bloße Karikatur, ostentativer Spiegel, der Hochnäsigkeit der Oberschicht derart feinhumorig entgegen gereckt, dass man die innewohnende Tragik des Ganzen schnell vergisst.

    Dann aber gibt es einen wichtigen Perspektivwechsel im Film, mit dem uns Ade die zynische Ader dieses abgegrenzten High-Society-Lebens so messerscharf präsentiert wie Ines einen dreistufigen Businessplan mit lange einstudierter Powerpoint-Präsentation. Fahrt von der fein möblierten Designerwohnung in die rückständige Walachei: Ines und ihr Vater sitzen im Fond des Dienstwagens. Ruckelpiste, Betongerippe, Mülltüten am Straßenrand. Es geht zu den Ölfeldern, deren Eigner Ines berät. Arbeitsstellen zur Wartung der Anlage sollen outgesourced werden. In diesem Moment, wenn Ines über Jobs spricht als wären es Bingokästchen, die man einfach vom Papier streichen kann, tritt die eigentliche Widerwärtigkeit dieses Kapitalistenkosmos zutage. Einheimische, degradiert zu bloßen Dienstleistern, zu Menschen dritter Klasse.

    Freilich, das ist die altbekannte Kehrseite der Globalisierung. Wie Ade aber feinfühlig von Geld und Geschäft zum bislang unter Verschluss gehaltenen Elend schwenkt und den clash of classes von Vater und Tochter mit dem Schichtenkonflikt der liberalen Marktwirtschaft verwebt, ist beeindruckend. Ihre familiensoziologische Tragikomödie bekommt postwendend einen politischen Anstrich, wirkungsintensiv und doch nicht zu dick aufgetragen.

    Die Grundintention bleibt dennoch eine andere: Ob Ines Spaß hat, Teil dieser Maschinerie zu sein? Glücklich ist? Ein lebenswertes Leben führt? Der einst so selbstsicheren Geschäftsfrau kommen angesichts des so leidenschaftlich kämpfenden Vaters die Zweifel. Das wird erst einmal nicht offen ausgesprochen, natürlich nicht, sondern anderweitig nach außen gekehrt. Ines steigt aus dem Designerkleid, zieht den Slip aus. Ihre Busen hängen schlaff nach unten, der Schambereich ist unrasiert: Die vollkommene Wahrheit der Entblößung. Sie entledigt sich aller Eitelkeiten, streift das Elitäre ab und öffnet nackt die Tür. Auch Ines ist nun peinlich – und es ist ihr egal.

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      huababuar 18.07.2016, 17:34 Geändert 19.07.2016, 13:37

      11:45 Uhr. Letzte Anlaufstelle: Saloon. Jener Ort, der sich trotz luftiger Schwingtüren schon immer als erstaunlich unzugänglich für Recht und Ordnung erweisen hat; das holzgewordene Feindbild des Gesetzeshüters. Town Marshall Will Kane (Gary Cooper) versucht es dennoch. Blick durch die Reihen. Wer steht zur Verfügung? Starre Minen. Kollektives Kopfschütteln. Im Ernstfall nimmt auch der trinkfesteste Cowboy schnell Reißaus.

      Kane hat alle Klinken geputzt, die es zu putzen gab, um Hilfskräfte für den anstehenden Showdown mit Frank Miller und seinen Revolverhelden zu akquirieren. Doch die Kirchengemeinschaft konnte das nicht mit den Geboten des Glaubens vereinbaren, ebenso seine bezaubernde Frau Amy (Grace Kelly), eine Quäkerin, und den restlichen Freunden, Bekannten und Weggefährten war die Sache ganz einfach zu heiß. Viel gutes Zureden, wenig echte Verbundenheit.

      Nun also auch noch die Absage im Saloon. Es ist der Augenblick, in dem Kane realisiert, dass von der Bürgerschaft, die so stolz war auf „den besten Sheriff, den sie je gehabt hat“, nicht mehr viel übrig geblieben ist; der Augenblick, in dem „Zwölf Uhr mittags“ in letzter Konsequenz sein zutiefst pessimistisches Menschenbild darbietet und mit erschütternder Nüchternheit subliniert: Wenn es hart auf hart kommt, dann obsiegt der Egoismus über die Treue, der Selbstschutz über die Solidarität, dann werden aus Unterstellten Deserteure und aus Freunden Heuchler. Bezeichnend, dass sich die Hilfsbereitschaft auf einen 14-Jährigen Laufburschen und einen halbblinden Krüppel beschränkt.

      Maßgeblich beeinflusst vom McCarthyismus der frühen 1950er Jahre und der damit verbundenen antikommunistischen Paranoia (Drehbuchschreiber Foreman geriet sogar direkt ins Visier der HUAC) inszeniert Fred Zinnemann ein Klima der Angst, das sich analog zu Zeit und Raum mehr und mehr verdichtet. Und so steht der Mittagszug emblematisch für die drohende Gefahr, der Blick auf die Uhr ist pure Rückversicherung: Wie viel Zeit bleibt noch? Bis zur Ankunft. Bis zum Tod.

      Pflichtbewusstsein und Dickköpfigkeit kollidieren mit Selbstzweifeln und Resignation. Avantgardistisch kehrt „12 Uhr mittags“ ab von der tumben Protagonistenheroisierung des klassischen Western, lässt Kane zaudern, mit seinem Ehrgefühl hadern, einen inneren Konflikt ausfechten. Eine psychologische Gegensätzlichkeit, musikalisch fantastisch implementiert im ambiguosen Soundtrack. „Do not forsake me, oh my darling“, heißt es da, halb stolz, halb schwermütig: Verlass mich nicht, mein Schatz. Am Ende verlässt ihn Amy tatsächlich nicht. Doch mit ihr bleibt die bitterböse Weisheit: Verlass dich auf andere und du bist verlassen. Kane quittiert es mit einem abschätzigen Blick auf den zu Boden geworfenen Sheriffstern.

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        huababuar 03.07.2016, 15:52 Geändert 03.07.2016, 19:02

        Wenn Benjamin Braddock (Dustin Hoffman) vor dem Spiegel steht, Dachshaarpinsel und Rasierklinge in der Hand, und sich seiner eher rudimentär vorhandenen Gesichtsbehaarung entledigt, dann wirkt das, als wolle er sich mit allen Mitteln gegen die – mal mehr, mal weniger belastenden – Bürden des Erwachsenseins stemmen, sich die Unreife bewahren, einfach nicht viriler aussehen und werden wollen. Keine Berufvisionen. Kein Bart. Kein Plan vom Leben. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen in Zeiten des bürgerlich-konservativen Materialismus, in denen die Ehe noch etwas Bedeutsames war, es an rigiden Geschlechterrollen nichts zu rütteln gab, der Mann sich folglich möglichst schnell um eine möglichst steile Karriere kümmern musste und sich ein suppressiver Mantel der Prüderie über die Münder der Bevölkerung gelegt hatte.

        Mit diesen Konventionen und Wertevorstellungen zu brechen, ja: sie gar satirisch-spitz zu karikieren, das galt während der Anfangstage der sexuellen Revolution in den 1960ern als geradezu subversiv – und deshalb ist „The Graduate“ damals auch derart durch die Decke gegangen. Man hatte es sich bequem gemacht in der Mikrosphäre der wohlbehüteten Satellitenstädte, sich eingenistet, abgeschottet, verharrt in seiner verkrusteten Mittelschichtmoral. Und dann kam Regisseur Mike Nichols, wie ein säkularer Martin Luther der Moderne, nagelte seine Thesen an die amerikanischen Holztüren und schickte dafür Benjamin Braddock vor, der sich partout nicht den karrieristischen Zwängen der elterlichen Generation hingeben wollte und im jugendlichen Entdeckungs- und Ertastungseifer seine ersten sexuellen Gehversuche machte, indem er gleich zwei verrufene Affären einging.

        Es sind dies die gezielten Tabubrüche – die Auflösung des idealisierten Bildes von Mutterschaft, Wohlstandsleben und Sexualität, der immanente Wertkonflikt zwischen juveniler Unentschlossenheit und Draufgängertum und erzieherischem Autoritarismus – die „The Graduate“ gerade im zeithistorischen Kontext betrachtet zu einem höchst aufschlussreichen und immer noch brandaktuellen Werk reifen haben lassen. Denktraditionen mögen sich mittlerweile geändert haben, auch wenn das in die Synapsen so manches verborten Konservativen noch nicht ganz eingedrungen zu sein scheint, die Begierden, die Wünsche, auch die Unsicherheiten und Freiheitsbestrebungen der Jugend aber sind größtenteils erhalten geblieben. Was tun nach dem Abschluss? Wo führt mich die Zukunft hin?

        Leute wie Benjamin neigen gemeinhin dazu, solche Fragen eben zu verdrängen und aufzuschieben, sich die Bartstoppeln abzurasieren, im Pool gedankenverloren herumzudösen oder ziellos durch die Straßen zu heizen. „The Graduate“ bietet natürlich keine passgenauen Antworten auf eben genannte Fragen, sondern gibt – in seinem charakteristisch linksgerichteten Geist – Aufschluss in ganz anderer Richtung: Reif werden ist nicht gleichbedeutend mit dem unumkehrbaren Eintauchen in die Erwachsenenwelt. Reif werden hat etwas mit der Abkehr von Gleichgültigkeit zu tun. Reif werden heißt: ein Ziel haben, einen Fixpunkt – auch, wenn man dafür gelegentlich gegen die vermeintlich schon Gereiften kämpfen muss.

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          huababuar 12.06.2016, 14:27 Geändert 12.06.2016, 17:05

          Spürst du es, Schwester? Das Herzrasen? Diese Rebellion, die gegen deinen Brustkorb pocht und hämmert – rabumm, rabumm, rabumm – immer wieder; um auszubrechen und deine Gefühle mit der Welt zu teilen? Überhaupt: deine Gefühle. Spürst du sie, Schwester? Wie sie lavieren zwischen der schüchternen Verlorenheit einer Fremden, dopamingeschwängerter Ekstase und existentieller Todesangst? Wie sie dir den ratternden Pulsschlag diktieren, der wie ein rastloser Flummi zwischen den Polen der Glückseligkeit und tiefer Zerissenheit hin und her springt? Ja, Schwester, du lebst.

          Und „Victoria“ von Sebastian Schipper ist das pure Leben, ist 140 Minuten sprudelnde Vitalität und noch dazu ein bahnbrechendes Experiment: 12-seitiges Skript, viel Improvisation, in einem Zug gedreht. Schipper greift sich knappe zweieinhalb Stunden der Berliner Nacht heraus, exerziert an ihr sämtliche Abstufungen des menschlichen Gefühlskontinuums durch und interpretiert die Lehre der drei aristotelischen Einheiten von Zeit, Raum und Handlung damit auf radikalste Weise.

          Kameramann Sturla Brandth Grøvlen fungiert dabei als gottesgleicher Mittler dieser komprimierten Erzählstruktur. Lediglich bewaffnet mit einer Canon C300, stellt er den eigentlich wichtigsten Akteur dar, den stummen, unsichtbaren Erzähler, der – mal dokumentarisch scharf, dann wieder spielerisch verwackelt – seine filmischen Subjekte filetiert, ihr Innerstes nach außen kehrt. Verführerische Blicke, verwegene Gesten. Pickel, Schweiß und Tränen. Die Protagonisten sind unperfekt, sind rau und kratzig, weil sie im wuseligen Großstadtmoloch nicht die Rolle spielen, die sie gerne spielen wollen. Und doch sind sie nahbar.

          Musikalisch virtuos, sei es durch bassintensives Technogetöse im stroboskopischen Lichtgewitter der Kellerdisco, der sanftmütigen Anmut tröstlicher Cello- und Pianoklänge oder einer Melange aus beidem, lässt sich Schipper vom hypnotischen Wesen Berlins leiten. Hier ein kraftvolles, viriles Wummern, da ein weiches, feminines Klimpern. Nils Frahms vielschichtige Komposition legt sich manchmal wie ein weicher Deckel über das Geschehen. Worte sind dann unwichtig. Es geht nicht mehr um das klobige Englisch von halbstarken Berlinern und der lebensfrohen Madrilenin, es geht um Expression. Wenn Victoria – mit so beeindruckend natürlicher Verve gespielt von der Spanierin Laia Costa – und Sonne (nicht minder authentisch als explosiver Charmeur: Frederick Lau) zu schüchtern zum Küssen sind, dann ist der Mephisto-Walzer von Franz Liszt ein Behelfswerk, der das Gesprochene entbehrlich macht und seine volle Aufmerksamkeit den stierenden Blicken, der feurigen Sehnsucht beider schenkt.

          Zu dieser Zeit befinden sich Victoria, Sonne und seine kleinkriminelle Gang noch im Auge des Wirbelsturms, in zeitlich begrenzter Sicherheit also. Berauscht vom Alkohol, beflügelt vom Gras und behämmert vom Koks trotten sie, fast nachtwandlerisch, in einer Mischung aus jugendlichem Leichtsinn und herausforderndem Draufgängertum durch die Straßen, Dächer und Klubs des nächtlichen Berlins. Und dann kommt sie: diese autopoietische Macht von außen, der Wirbelsturm, der sie mitreißt. Es gibt kein Entkommen. Weder für Victoria, Sonne und die anderen, noch für den Zuschauer. Schipper hat eine kinetische Energie entfacht, die einen vereinnahmt, der man sich einfach nicht entziehen kann. Sie lässt mitverlieben, mitfiebern, mitfürchten. Sie lässt diesen bordeauxroten, faustgroßen Motor in unserer Brust unkontrolliert rattern.

          Spürst du es, Schwester? Fühlst du es? Rabumm, rabumm, rabumm. Es ist dein Herzrasen. Aus Liebe, aus Angst, aus Euphorie. Zweieinhalb Stunden hast du uns das alles spüren lassen, bist eingebrochen unter der Last der pochenden Rebellion, hast deine Gefühle mit der Welt geteilt. Und jetzt, die Sonne ist schon wach, dein Herz mittlerweile müde, kehrst du uns den Rücken zu. Dein Puls ist abgeflacht, die Aufregung vorbei. Langsam entgleitest du in die verschlingenden Straßenzüge Kreuzbergs.

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            huababuar 10.06.2016, 14:57 Geändert 10.06.2016, 17:51

            Nein, das hat nichts werden können. Also nichts Seriöses auf jeden Fall. Der Blick in Seth Rogens Vita verrät es: An Ernsthaftigkeit war dem Mann, der aussieht wie ein humorloser Hacker, aber Sprüche klopft wie ein spätpubertierender Youtube-Star, noch nie etwas gelegen. Ob bei „Bad Neigbours“, „Das ist das Ende“ oder nun „The Interview“ – da regiert immer die tumbe Anarchie, die grenzenlose Exaltiertheit.

            So ist auch Rogen in seinem neuen Clou, höchstwahrscheinlich ein verschriftlichtes Relikt aus komatösen Drogennächten oder ein zusammengekleistertes Exzerpt kraushaariger Wirrköpfe, wie dem auch sei: jedenfalls eine bonbonfarbene Knalltüte von Prämisse, nie darauf erpicht, seinen verspielt-komödiantischen Unterbau zu verlassen, um in höhere, politische Sphären von Weltcharakter vorzustoßen. Es geht um Herr-der-Ringe-Referenzen (genial: "my precious"), das Coming Out des nun öffentlich homosexuellen Eminem ("Eminem's gay in our show!") und natürlich um den wahnwitzigen Plan, Diktator Kim Jong-Un zu liquidieren ("Take him out." - "Like to diner?"). Um ziemlich viel Abwegiges also, das zum schwachsinnigen Brachialaffront gegen alles und jeden ausstaffiert wird.

            „The Interview“ könnte man getrost als hyperaktives perpetuum mobile bezeichnen, das mit jeder Umdrehung an übersteigertem Kalauer und Slapstick gewinnt. Rogen türmt seine Pointen zur ultimativen Spaßlawine auf, die jede Chance zum ernsten Diskurs über Diktatorenhabitus, amerikanische Außenpolitik und boulevardesken Journalismus von vornherein unter sich begräbt, alleine deshalb, weil er es einfach auf die Spitze treibt. Die „Systemkritik“ - und das muss man wirklich in Anführungszeichen setzen – lugt dabei nur ganz selten hervor, dann aber plump und in ironische Seitenhiebe verpackt.

            Der auf Exzess und Ekstase gepolte Klamauk birgt folglich wenig veritable, satirische Substanz in sich, beraubt seiner selbst des potentiellen Mehrwerts durch diese polternd-politische Unkorrektheit, die Rogen geradezu ostentativ versprühen will, ist dafür aber vor allem in seiner Affigkeit und dieser „we-don’t-fucking-care“-Attitüde stellenweise so urkomisch.

            Aus Kim Jong-Uns angeblichem Faible für amerikanische Popkultur mitten im ultrakommunistischen Nordkorea wird eine verletzliche, metrosexuelle und nach allen Regeln des westlich dekadenten Standards lebende Führerfigur mit Vaterkomplex, die selbst in ihren manipulativen und despotischen Momenten nie aus den Fesseln ihrer eigenen Karikatur entfliehen kann. Flanieren mit dem Panzer, verkehren mit den Nutten, versenken im Basketballkorb. Und dann noch die omnipräsente Frage, ob Un wirklich weder Piss-, noch Poloch hat.

            In gewisser Hinsicht ist die vollkommene Zuwendung zu Fäkalhumor und Obszönität schade, weil es dem höchstinteressanten Sujet nie wirklich gerecht wird. Andererseits – und ich unterstelle Rogen an dieser Stelle einfach mal solch eine taktische Finesse – bahnt genau dieses politische Desinteresse den Weg für vollkommen enthemmten Wahnsinn, der seine Schlagkraft vor allem daraus generiert, dass er zwar nicht, anders als im Film, bisher absolute No-Go-Areas betritt, wohl aber die Grenzen dessen, was über den Führer eines Staates gesagt werden darf und was nicht, gezielt auslotet und bewusst überschreitet.

            Die tonnenschwere Hypothek nach all dem Brimborium, das der korpulente Koreaner mit der fiesen Friese und einige dieser diesmal wirklich humorlosen Hacker lancierten, kann „The Interview“ natürlich nie im Leben einlösen. Dafür ist er im Kern einfach zu belanglos. Anarchischen, manchmal auch analfixierten Spaß bekommt man trotzdem vorgesetzt. Und hey, selbst wenn einem das nicht gefällt, James Franco hätte eine passende Antwort parat: „They hate us because they anus [ain’t us]!“

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              huababuar 05.06.2016, 21:24 Geändert 05.06.2016, 21:42

              Eigentlich, und das mag angesichts der dargestellten Gräuel fast schon frevelhaft wirken, ist „Black Hawk Down“ ein (Anti-)Kriegsfilm, der in seiner Grundessenz auf christlichen Werten gebaut ist. Klar, da ist dieser heroische Grundtenor: diese kraftstrotzende Virilität und der nicht zu verleugnende Stolz, wenn es darum geht, todesmutig der sicheren Selbstzermalmung ins Auge zu sehen. Da ist die Querfinanzierung seitens der US-Army (Statisten, Waffen und Kriegsgefährt), der Hang zum minutiösen, militärtaktischen Narrativ. Alles nicht wirklich christlich. Und doch verwässert das alles, weil Ridley Scott, jener britische Regisseur mit dem Fetisch für die Verfilmung historischer Ereignisse und dementsprechend sicher auf diesem Gebiet, tief im Innersten mit ganz anderem, viel noblerem Impetus vorgegangen ist.

              Zunächst einmal entpolitisiert Scott den Kampf zweier grundverschiedener Gesellschaftsstrukturen, zwischen außenpolitisch aggressivem Global Player mit exzeptionalistischem Weltbild und innenpolitisch implodiertem failed state samt Clansegregation und despotischen Potentaten. Er klammert all das weitestgehend aus, die große Weltpolitik, die hehren Motive, den amerikanischen Patriotismus, um die Schlacht von Mogadischu, eine weltpolitische Katastrophe damals, auf den inneren Kampf des Einzelnen, auf den emotional fixierten Tatsachenbericht herunter zu brechen. Vom moralischen Idealisten bis zum verblendet-kriegsbegeisterten Draufgänger entblättert sich eine breite Palette an grundverschiedenen Typen, die ausnahmslos alle mit der ersten Patrone, die ihnen am Ohrläppchen vorbeischrammt, selbstreflektiert über ihren Platz im Gefüge, über den Sinn ihre Taten, die Gültigkeit ihrer Ansprüche nachdenken.

              „Once that first bullet goes past your head, politics and all that shit just goes right out the window.“

              Und so entspinnt sich aus der tosenden, erschreckend authentischen Actionstafette, die – kraftvoll fotografiert und demütig musikalisch unterlegt – fast schon allegorisch mit der Ästhetik der köchelnden Metropole Mogadischu, mit Licht und Schatten, Nebel und Staub, Blut und Schweiß hantiert, ein fortwährender Gewissenskampf, immerzu um eine sehr ambivalente Handhabe des Heldenbegriffs bemüht. Starr geleitet von der militärischen „no one gets left behind“-Doktrin, liegt die tiefste Motivation nämlich – und da wären wir bei der Christlichkeit von „Black Hawk Down“ angelangt – im Kampf für den Nebenmann, in der Nächstenliebe, der Brüderlichkeit.

              Scott wird nicht müde, diese gefühlsdurchtränkten Impulse in die schroffe und trockene Gefühlswüste Mogadischu zu streuen, er kadriert die Emotionen, lässt sie brüllen, krächzen, jammern, ja auch mal sanft wimmern und kichern. Und am Ende schafft er es, sie viel lauter erscheinen zu lassen, als es die erschütterndste Explosion eines Raketenwerfers und das penetranteste Knattern eines AK-47-Magazins je sein könnten.

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              • Jawoi, Basti. Ingolstädter Rhetorik à la bonheur. :)

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                  huababuar 02.06.2016, 01:03 Geändert 02.06.2016, 18:21

                  Ein sonniger Tag an der Wall Street. Von unten scheint es, als könnten diese klobigen Bankenklötze tatsächlich, ganz sinngemäß, an den Wolken kratzen. Kein Entrinnen nach links oder rechts. Die Hochhausschluchten der Finanzriesen zeichnen den Weg – und kennen nur eine Richtung: immer nach vorne, immer geradeaus, immer höher, immer weiter. Und als wäre die erdrückende Architektonik der Kreditinstitute nicht schon genug des Eindrucks, wartet auch noch der tosende Pöbel: Großaktionäre, Kleinanleger. Voller Verachtung stehen sie Spalier für jenen Mann, der kraft seines egomanischen Charismas für die einen, die amerikanischen Medien und erfolgreichen Börsenunternehmen, sprich: die Kapitalmarktgewinner, der fleischgewordene Heiland sein muss, für die anderen aber, also den kleinsparenden, zahlenmäßig nicht gerade unterrepräsentierten Rest, ergo: die Kapitalmarktverlierer, die Reinkarnation des Finanzteufels persönlich bedeutet.

                  Der kumulierte Hass springt ihm entgegen – dort, in diesen Häuserschluchten, die kein Entrinnen zulassen und nur eine Richtung kennen. Worte wie Giftpfeile, spöttische Gesten, blanker Hass. Zum ersten Mal wird sich Börsenguru und TV-Moderator Lee Gates (George Clooney) seiner eigenen Widerwärtigkeit bewusst. Es ist die wohl sinnlichste und reflektierteste Szene des gesamten Films. Nur leider hat sie ein Problem beherbergt: Regisseurin Jody Foster hat die Blase schon platzen lassen. Die Luft ist raus, da kann Clooney noch so einsichtig die Passanten anglotzen, die ihn mit Affengesten immitieren.

                  Spekulativ geht es zu diesem Zeitpunkt in "Money Monster" wohl nur noch an den Aktienmärkten zu. Vordergründig allerdings - und das ist angesichts der vorangegangenen Minuten äußerst schade - ist das Rätselraten um den Ausgang der im Finanzwirtschaftsmilieu angesiedelten Entführungsstory schon eine halbe Stunde vor Börsen-/Filmschluss klar. Es wird nicht gut enden, so viel ist sicher.

                  Foster wäre gut beraten gewesen, ihr im Grundkonstrukt höchstinteressantes Szenario ganz unspektakulär und kammerspielartig im beengten Fernsehstudio – zwischen blinkenden Fotomontagen, gleißenden Scheinwerfern und dem düsteren Produktionsraum – ausklingen zu lassen. Stattdessen wagt sie irgendwann den Gang nach draußen, in die große Undurchsichtigkeit der weiten Welt, um die Ausflucht im showdownmäßigen finale furioso zu suchen – und verliert dabei genau den Überblick und die Geradlinigkeit, die sie zuvor, komprimiert auf ein paar Dutzend Quadratmeter, so effektvoll und schweißtreibend vorgeführt hatte.

                  „Money Monster“ wäre zu Zeiten, in denen Filme über die Finanzbranche Konjunktur vermelden und der anklagende Blick auf ebenselbige als gern genutzte, inhaltliche Stilblüte aus dem Boden sprießt wie Briefkästen aus panamaischen Sandstränden, auch so kein durch und durch augenöffnender Aufschrei geworden. Zu sehr schlenkert Foster zwischen generischen, wenn auch überaus gut ausgeführten und gekonnt wie packend präsentierten Thrillerkonventionen und partiell unausgegorener, antikapitalistischer Moralapostelei hin und her. Letzteres ist wohl eher den nur rudimentär vorhandenen Charakterzeichnungen und wohl kaum den darstellerischen Leistungen geschuldet.

                  Und so gleicht Fosters Gang an die Wall Street letztlich auch mehr dem schlingernden, auf lange Sicht stagnierenden Kurs eines gefestigten Börsenunternehmens, denn der exponentiell steigenden Trendlinie eines erfolgreichen Start-Ups. Auf Ausschläge nach oben, wenn die Zeit verdichtet wird wie das Gasgemisch im Zylinderkolben eines Viertaktmotors und weder Gates, noch dem Zuschauer viel Luft zum Atmen bleibt, wenn die Selbstreflexion der einzelnen Protagonisten einmal ganz ungezwungen durchschimmert, folgen Abstürze, die sich meist in plakativer Finanzkritik und dem Hang zum überbordenden Drama ausdrücken. Börsentipp daher: bedacht und in kleinen Summen in "Money Monster"-Aktien anlegen, nicht allzu viel Rendite erwarten.

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                    huababuar 16.05.2016, 15:18 Geändert 16.05.2016, 18:43

                    Wenn Menschen etwas voneinander wissen wollen, ohne auch nur ein Wort zu wechseln, sehen sie sich tief in die Augen. Sie sind das permeable Portal zur eigenen Seele. Für den Träger der Kompass durchs Leben, für die Umwelt Seismograph der Gefühlsregungen, der sich nicht zwingend in Ausschlägen nach oben und unten ausdrückt, sondern mehr im kurzen Zucken und Funkeln.

                    Denis Villeneuve muss den Leuten in seiner Umgebung oft in die Augen gesehen haben, so strebsam und sorgfältig fokussiert er gemeinsam mit dem einmal mehr unantastbaren Roger Deakins das visuelle Sensorium seiner Protagonisten. Da ist Hugh Jackman, Holzfällerbart, blutunterlaufene Augen, Furchen so groß wie halbe Zwiebelringe, Typus Waldjäger. Sein Blick erzählt von Wut und Wahnsinn. Da ist Jake Gyllenhaal, glattrasiert, scannende Pupillen, tiefe Augenhöhlen, Typus Verbrechensjäger. Sein Blick erzählt von Ambition und Antrieb. Und da ist Paul Dano, Milchgesicht, apathische Miene, Nerdbrille, Typus schon-immer-Gejagter. Sein Blick erzählt von Verdammnis und Verfall.

                    Sie alle sind Knechte der Revelation ihres eigenen seelischen Befindens, die Villeneuve schonungslos vorantreibt. Allein durch den Ausdruck ihrer Augen portraitiert der Kanadier ihre inhärenten Konflikte, er seziert sie und entblättert so die manische Besessenheit eines jeden Charakters. Jackman (innerlich zerfressen), Gyllenhaal (innerlich angestachelt) und Dano (innerlich ausgehölt), sie glänzen hauptsächlich und ganz subtil durch die Strahlkraft ihrer Augen, nicht oberflächlich durch das gesprochene Wort.

                    Überhaupt erweist „Prisoners“ sich als sehr zurückgenommene Replik auf die überbordende Megalomanie des zeitgenössischen Kinos. Villeneuve ist ein Verdichter. Penibel wie ein Kind, das die letzten Kekskrümmel auf der Tischplatte anhäuft, kehrt er die zuletzt in ausufernder Prätentiösität breitgetretenen Ingredenzien des Thrillers zusammen und türmt sie zum ultimativ stimulierenden Spannungsporno auf; heißt: eingekeilter Ortsrahmen, reduziertes Skript, dafür: grenzenlose Schweißgarantie.

                    Dass „Prisoners“ dabei gelegentlich mit altbewährten Rollenbildern und Drehbuchkonstruktionen kollidiert, darf getrost vernachlässigt werden, ist es doch gerade die Komprimierung der Handlung und Rückbesinnung auf alte Gepflogenheiten, die Kraft der Plotkonstellation per se, die so ungemein effektvoll ist und in seiner Nüchternheit, aber auch in seiner Optik, nicht selten an David Fincher („Sieben“, „Zodiac“) erinnert.

                    Auch in „Prisoners“ gibt es diesen Fincher-typischen, kühl-verregneten Schleier, der die Pampa Pennsylvanias überzieht wie ein immergrauer Wolkenteppich die englische Küste. Das Dorf steht von Beginn an nicht für ländliche Idylle, sondern wird als unheimliches, waldumwachsenes Hinterland konfiguriert, als Ort des Schauers und Hort des Verbrechens.

                    Aus diesem Setting heraus generiert Villeneuve eine Schreckensgeschichte über Schuld, Sühne, religiöse Rechtfertigung und die Frage nach der Moral. Die verzweifelte Suche nach der Tochter potenziert sich zu psychotischen Tobsuchtsanfällen und dämonischen Folterekstasen. Der Vaterinstinkt, eine Errungenschaft, die sich unsere Spezies im Laufe der Evolution aneignete, ist wie der überspringende Funke eines entflammbaren Herzens, der Weckruf immanenter animalischer Triebe und damit in fortschreitendem Stadium auch die eigene Entmenschlichung. Die Manifestierung familiärer Liebe in unseren Denkweisen ist hier gleichzeitig ein evolutiver Rollback, eine anti-darwinistische Rückentwicklung. Der Mensch wird durchs Menschsein wieder zum Tier.

                    „Prisoners“ kann als die Bewusstwerdung dieses Paradoxons verstanden werden, als die Schocktherapie für alle Eltern, die wissen, was es heißt, sein eigen Fleisch und Blut zu lieben. Wie weit reicht die Legitimation? Ist Folter zulässig, wenn es um Menschenleben geht? Es sind Gedanken, die im Land der unbegrenzten Befragungsmöglichkeiten virulent sind. Doch Villeneuve schreibt die Rolle des gerechtigkeitsgetriebenen Peinigers nicht etwa einem unnachgiebigen Polizisten zu – den stellt Gyllenhaal ganz gewissenhaft, aber nicht minder leidenschaftlich dar – er verleibt sie lieber dem unbescholtenen Familienvater ein.

                    Dieser tut das nicht aus sadistischen Motiven, er quält und missbraucht widerwillig, und doch ohne Hinterfragung, sondern im Glauben an den guten Zweck seiner eigenen Taten, fest von der Gutmütigkeit und Sündenvergebungskompetenz Gottes überzeugt. Es fehlt: der geschärfte Blick. Er ist blind. Die Kompassnadel dreht sich unermüdlich ins Nichts. Der Seismograph aber, er schlägt aus. Nach oben und unten. Zucken und Funkeln.

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                      huababuar 04.05.2016, 16:37 Geändert 04.05.2016, 17:09

                      Das verschwörerische Menetekel, Polanski hat es gleich an den Anfang gesetzt: klemmendes Schloss, falscher Schlüssel, suizidale Vormieterin. Nein, eigentlich sollte Trelkovsky, adrett, konziliant und mit diesem sonderhaft durchdringenden Blick seiner schwarzen Knopfaugen ausgestattet, da überhaupt nicht rein, in diese kompakte Pariser Zwei-Zimmerwohnung mit Stuck, Schmuck und allerlei Schnickschnack. Doch er tut es.

                      Trelkovsky hat einen Bürojob, er geht aus, trinkt Kaffee, schlendert durch dieses pittoreske Paris, das aussieht, als hätte man es mit all seinen geschmückten Fassaden und dem verruchten Charme in irgendeinem Architektenbüro modelliert und auf die Weltkarte geklatscht. Und doch nimmt er nicht wirklich Teil am Leben. Der Ausgegrenzte, er versucht nicht aufzufallen, er zieht sich zurück in seine von infernalischer Aura durchflossene Wohnung und wählt damit sein eigenes Schicksal, er vollendet die Ausgrenzung.

                      Die 50 schmucken Quadratmeter, sie wandeln sich zum foucault‘schen Panopticon. Blick- und tondurchlässig, allseits bedrohlich. Telkovskys selbstverordnete Quarantäne, sie führt zu einer pathologischen Paranoia, zur endgültigen sozialen Unfähigkeit und in allerletzter Konsequenz zum umfassenden Identitätsverlust.
                      Es ist der finale Schritt der urbanen Anonymisierung mit all seinen Feind- und Fremdbildern, die Polanksi – mutig als Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion – mit einer Mischung aus Groteskem und Grusel karikiert. Und so schiebt er zwischen surrealen Phantasmen und seiner klaustrophobisch-kammerspielartigen Grundatmosphäre immer wieder auflösende Skurrilitäten ein, etwa Slapstickeinlagen auf der Haustreppe, argwöhnisch betrachtete Fummelei im Kino oder die Kirchenpredigt als missinterpretierte Anhäufung drohender Exklamationen.

                      Die vollends durchsetzende Neurose allerdings, die Polanski nicht nur sich selbst als Trelkovski, sondern auch dem Rezipienten aufdrückt, erreicht er durch seine auditiven Spielereien: knatternde Presslufthammer, knarzende Türen, trommelnde Leitungsrohre, sirenenhafter Score, tippelnder Wasserhahn, tickende Uhr, ein jauchzender Bruce Lee. Die schrillen Töne sind gleichzeitig Expression Trelkovskys seelischer Verelendung. Was im seicht-sämigen Horror-Haunted-House-Hokus-Pokus nicht allzu selten ohne konkreten Hintergedanken als krampfhafter akustischer Schrei nach Spannungsmomentum verkommt, symbiotisiert sich hier gemeinsam mit präzise beobachtender und zoomsicherer Kamera zum komprimiert-kafkaesken Alptraum.

                      Er treibt Trelkovsky in einen wahren Umwälzungswahn, in eine immanente Unruhe, auch in einen von außen aufgezwungenen Drang. Das Möbelrücken, die aufoktroyierte heiße Schokolade und die neuerliche Vorliebe zu Marlboro-Zigaretten sind zugleich verzweifelter Ruf nach Veränderung und Vorstufe zur psychischen Kapitulation. Am Ende, und das weiß der Zuschauer ganz genau, kommt es, wie es kommen musste. Das Menetekel hatte recht behalten. Die Erlösung kommt in Transvestiten-Gewand und klingt nach berstendem Glas.

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                        huababuar 29.04.2016, 19:53 Geändert 30.04.2016, 13:41

                        Stifler ist unter die Eishockeyspieler gegangen? Nun ja, wenn man kulant ist und das bessere Preisboxen, mit dem Seann William Scott als Doug Glatt zwischen Neufundland, Neuschottland und Quebec sämtliche Gegenspieler schon ausgeknockt hat, als Eishockey durchgehen lässt, dann ist er das sicherlich.

                        Gestatten: goon, zu Deutsch: angeheuerter Schlägertyp. Jene vom Aussterben bedrohte Spezies im Eishockeysport, die mit ihrer Hand nicht zaubert, sondern vernichtet, die mit dem Kopf nicht denkt, sondern ihn hinhält, und die mit dem Schläger keine Tore schießt (was alle drei Jahre dann aber doch eher unverhofft vorkommt), sondern Kontrahenten malträtiert.

                        Mit dem realen Wesen der schnellsten (und besten) Sportart der Welt hat das, was „Goon“ hier schamlos überzeichnet mit Salto schlagenden Zähnen und klaffenden Platzwunden zelebriert, natürlich in etwa so viel zu tun wie Arturo Vidals theatralische Neuinterpretation des sterbenden Schwans mit ehrlichem Fußball. Die Karikierung einer zweifellos harten und auch schlagkräftigen Sportart dient ganz offensichtlich als willkommenes Vehikel für durch und durch muskelbepackte Comedy. Wer es nostalgischer, authentischer und etwas charmanter mag, dem sei an dieser Stelle der Eishockey-Klassiker „Schlappschuss“ mit Paul Newman dringend ans Herz gelegt.

                        Schweiß, Stärke, Schwulsein. Wenn sich an den ersten beiden Aspekten wie im Terrier-Blutrausch abgearbeitet wird, dann ist gegen diese sympathische Stumpfsinnigkeit eigentlich gar nicht viel einzuwenden; gerade, weil sich „Goon“ in solchen Momenten selbst nicht ganz so ernst nimmt und trotz seiner schmalzigen Tellerwäscher-Millionär-Story, hier abgewandelt zur Türsteher-Eishockeyheld-Parabel, mit Ausnahme des überdrehten Hypervollidioten Jay Baruchel eine breite Palette an amüsanten Charakteren parat hält: Der dümmlich-doofe Doug als Hauptfigur, Raubein Ray, Lesechinese Park Kim, vermutlich inzestuöse Russenzwillinge mit Hang zum Sex mit Müttern, sowie Marco, psychotischer Torhüter mit Cholerik-Garantie (zumindest ein Vorurteil, das stimmt).

                        Solange Regisseur Michael Dowse sich in diesem seichten Fahrwasser exzessiver Gewaltphantasien und überspitztem Hau-Drauf-Humor befindet, der Maskulinität frönt und dem Faustduell huldigt, ohne allzu anspruchsvoll sein zu wollen, ist „Goon“ so trottelig-liebenswürdig wie Doug selbst. Verlässt Dowse diesen simplen Schlachtplan aber und will etwas unterhalb der Eisfläche kratzen, geht es also ums Schwulsein (im Umfeld), um die Ehrrettung der Familie und schließlich nicht nur um den Kampf um Ruhm, Anerkennung und die härteste Faust der Liga, sondern auch um wahre Liebe, dann wird selbst für den härtesten „Goon“ das Eis zur rutschigen Angelegenheit.

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                          huababuar 27.04.2016, 18:43 Geändert 28.04.2016, 00:48

                          Zeit seines Lebens ist Alfred Hitchcock ein pingeliger Pedant gewesen, ein klassischer Rosinenpicker, wenn man so will. Im Kleinklein bürgerlicher Milieus stocherte er zielsicher herum und spießte letztlich immer denjenigen auf, der ihm am Unscheinbarsten, am Gefestigtsten schien, um an ihm die Lehrstücke seiner famosen Thrillerkunst durchexerzieren zu können und sein saturiertes Leben (zumindest zeitweilig) zu dekonstruieren. In „Der Unsichtbare Dritte“ trifft es den distinguierten Werbefachmann Roger O. Thornhill (Cary Grant), der die Metamorphose vom Gediegenen zum Getriebenen durchlaufen muss.

                          Seine Filme verstand Hitchcock immer als Gegenentwurf zur konventionellen Schablonenzeichnerei. Es ist der Unschuldigste von allen, der verfolgt wird (Thornhill); das scheinbar sicherste Plätzchen auf Erden, das als Verbrechensschauplatz am hellichten Tag dient (UN-Hauptquartier); und die wohl undurchsichtigste und ambivalenteste Akteurin, die den Gut-Böse-Dualismus auflöst und als wanderwilliges Elektron wechselseitig von beiden festgesetzten Polen angezogen wird (Eva Marie Saint als verführerische Eve Kandell).

                          „Der Unsichtbare Dritte“ ist quasi das destillierte Aggregat dieser hitchcock’schen Charakteristika. Ein Werk zur absoluten Hochphase des Altmeisters, zwischen „Vertigo“ und „Psycho“, und doch in gewissem Sinne eine Zäsur seines Schaffens, weil es einen so heiteren, so spitzzüngig schwadronierenden Hitchcock in der Folge nie wieder geben sollte.

                          Was hat dieser Mann vor allem mit seinen düsteren und schockierenden Momenten für unausreißliche Pflöcke in den Zeitstrahl der Filmgeschichte gerammt. Dicke Pflöcke. Schwere Pflöcke. Da gab es nichts dran zu rütteln. Führt man sich das vor Augen, dann ist es geradezu verblüffend, wie leichtfüßig und sanft er (vor allem zu Beginn) in „Der Unsichtbare Dritte“ vorgeht. Fast schon konterkariert Hitchcock sein eigenes Stilmittel der Suspense, wenn nicht etwa die Prädestination eines schlimmen Ereignisses, sondern vielmehr die vorahnende Frage im Raum steht, wie der smarte Beau Grant mit seinem samtig blaugrauen Zwirn denn diesmal aus der misslichen Lage entkommen wird. Es ist so ein weicher, beschwingter Schutzmantel aus Chuzpe gepaart mit verdammt gutem Aussehen, der seinen Charakter Thornhill umhüllt und der „Der Unsichtbare Dritte“ diesen humoristischen Charme verleiht.

                          Hitchcock hat diesen Film als komödiantisches, actionreiches und auch romantisches Abenteuerspektakel im Kriminalkorsett konzipiert. Thornhill als ewig Verfolgter, er rennt und rennt und weiß nicht warum; hinfort von den obskuren Gangstern und der unbeholfenen Polizei, hinein in die Arme der lasziven Eve. Die Flucht vor dem Ungewissen ist gleichzeitig das Ankommen in der Gewissheit. Die treibende Kraft für aneinandergereihte Verfolgungsjagden und Versteckspiele besteht irgendwann nicht mehr aus delphischen Regierungsgeheimnissen, sondern ist dann vielmehr in der Zuneigung zu Eve begründet.

                          Hitchcock zelebriert das förmlich. Flötete er anfänglich noch in leisen Tönen, setzt er später zum paukendem Crescendo an – angefangen beim ikonischen Sprühflugzeugangriff in der pastoralen Prärie bis hin zum kumulativen Showdown am Mount Rushmore. Und am Ende, da ist er dann wieder ganz der Pedant, der keinen Kniff, keinen Geniestreich, keine Motivik auslassen kann. Berauschende Überblende, ein Zug im Tunnel, phallisch-vaginale Metaphorik. Perfektion.

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                            huababuar 17.04.2016, 14:26 Geändert 27.04.2016, 15:37

                            Männer haben's schwer, nehmen's leicht.
                            Außen hart und innen ganz weich.
                            Werden als Kind schon auf Mann geeicht.
                            Wann ist ein Mann ein Mann?

                            Ja, wann ist ein Mann ein Mann? Nicht nur Herbert Grönemeyer stellte sich diese generische Frage mehr süffisant als ernst gemeint, als er sie Mitte der 1980er Jahre in „Männer“ zur poppigen Selbstreflexion eines ganzen Geschlechts erhob. Was macht mich zu einem Mann? Wie beweise ich meine Männlichkeit? Es sind Themen, die jedem Jungen spätestens in der Pubertät wie ein flammendes Emblem auf dem Herzen brennen. Als Kind schon auf Mann geeicht eben. Im Angesicht von Jeff Nichols „Mud“ bekommen Grönemeyers Liedzeilen eine einfühlsame, eine berührende Note.

                            Auch der 14-jährige Ellis, verkörpert von Tye Sheridan – einer glänzenden Perle im fahlen Murmelmeer früh verheizter Kinderdarsteller –, steht vor diesem Männlichkeitsdilemma. In einer Zeit, in der alles so perfekt und unbeschwert scheint, macht er erste „erwachsene“ Erfahrungen: Die bevorstehende Scheidung seiner Eltern, der drohende Abriss ihres Hausbootes in Arkansas, die erste verflossene Liebe. Alles wird etwas komplizierter. Plötzlich muss man sich beweisen, muss man kämpfen.

                            Inmitten dieser stürmischen Kindheitsphase setzt der zum Zeitpunkt der Realisierung von „Mud“ gerade einmal 34-jährige Nichols die Natur als reservierten Rückzugs- und Findungsort, in dem die juvenile Unschuld und adoleszente Reifeprozesse fließend ineinander übergehen. In dieser Hinsicht hat die Südstaatenparabel „Mud“ einiges gemein mit dem Sommermärchen von „Stand by me“. Was für Rob Reiner die Gleise, ist für Nichols der Fluss. Er spielt mit seiner Semiotik.

                            Der Fluss fungiert als Spielwiese und Entdeckungsgegenstand, als Metapher für die treibende Kraft, die Strömung, die Ellis hinweg trägt vom Status quo der Realität hin zur erkundbaren Parallelwelt, aber auch ganz überhöht als mäandernder Strom des Lebens, nicht linear, aber seitlich (durch die Ufer) abgegrenzt und immer in die Weite, in das Meer, führend.

                            Nichols weiß die Wildnis des Mississippis bedächtig (auch in seinem unaufgeregten Erzählduktus), anmutig und atmosphärisch mit Country-Gitarre zu untermalen und bildlich zu kadrieren. Von der weitläufigen Demonstration bloßer Schönheit zum kleinteiligen Detail, das Dinge ins Auge fasst, die sonst drohen, verloren zu gehen und vergessen zu werden.

                            So wird die prägende und bewusstseinsverändernde Bekanntschaft mit dem Outlaw Mud (Matthew McConaughey) schließlich auch ganz gewollt in den Eiländern der Flusslandschaft von Arkansas gemacht, in dieser Mesoebene Natur, die irgendwo zwischen Wirklichkeit und Wunschtraum liegt. Und schließlich ist es nicht nur die von Mud dargestellte ikonische Inkarnation unabhängig gelebter Virilität, der Fixpunkt eigener Ideale, der Ellis reifen lässt, sondern die Erkenntnis seiner Lasterhaftigkeit.

                            Nichols changiert zwischen verschiedenen (gewünschten oder ungewollten) Vater-Sohn-Konstellationen, er philosophiert über dieses wacklige, auf Stelzen gebaute Ding, das sich Leben nennt, symbolisch projiziert auf das Hausboot. Was wird aus ihm? Wird es Planke für Planke abgetragen, seine einzelnen Holzbretter irgendwo neu zusammengehämmert? Wird es vom Fluss weggerissen und woanders angeschwemmt? Eines ist sicher: Das Leben, diese zittrige Konstruktion, ist von Veränderung gekennzeichnet. Mal gewollt, mal unverhofft. Mal wohltuend, mal schmerzhaft. Stillstand – und da kommt die Illustration des Flusses wieder ins Spiel – ist keine Option. Es wird neben all den Träumereien und Wünschen auch Rück- und Fortschritte geben, Glücksgefühle und Enttäuschungen, Wohltaten und Fehler. Doch es wird weitergehen, auch wenn es nicht zu jeder Geschichte ein Happy End geben kann. Wenn man(n) bereit ist, diese Dialektik des Seins anzuerkennen, dann ist ein Mann ein Mann.

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                              huababuar 16.04.2016, 16:58 Geändert 16.04.2016, 20:14

                              Es beunruhigt mich zu wissen, dass es die Generation meines Vaters damals für unrasierte Muschis und deformierte Italo-Hackfressen ins Kino gezogen hat. "Flotte Teens und heiße Jeans" ist abseits der wunderschönen (leider aber eben auch schamhaartechnisch ziemlich offenherzigen) Gloria Guida chargenhafter Sexklamauk, der aufgestaute, hormonelle Spieltriebe der damaligen Jugend stimulieren sollte, eine großflächig dauerlüsterne Gesellschaft zeichnet, sie mit verhurten oder zumindest anzüglichen Figuren füttert und dadurch ironischerweise trotz aller kitschiger Versatzstücke um Familien- und Liebesdramen zur peinlich verzerrten Antithese des romantisch südländischen Stereotyps verkommt. So erotisch wie der Koitus zwischen Recep Tayyip Erdogan und ganz vielen Ziegen - die Wahrhaftigkeit solcher Gerüchte wird demnächst ja vor Gericht geklärt werden -, so lustig wie 24 Stunden Mario-Barth-Dauerbeschallung (Kennste?). Lahme Teens, zu weite Jeans.

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                                huababuar 13.04.2016, 18:06 Geändert 14.04.2016, 01:26

                                Im Grunde hat die bitterernste Dystopie von „La Zona“ ganz beiläufig etwas zutiefst Zynisches: Miguel, der Junge aus dem Armenviertel von Mexiko City, hat es über die Betonmauern mit Stacheldrahtkronen geschafft. Hinein in die Parallelwelt, die Gated Community, das paternalistische Séparée der Schönen und Reichen. Und trotzdem wünscht er sich nichts sehnlicher, als wieder in sein Ghetto zurückzukehren.

                                Liegt das medial propagierte Übel lateinamerikanischer Länder meist im Bandenkrieg elender Drogenmilieus, zoomt der uruguayische Regisseur Rodrigo Plá weiter hinaus und beäugt den Systemfehler der Gesellschaft als Ganzes. Bis sein Blick sich schärft vergeht einige Zeit im narrativ stottrigen Anfang seines Debütfilms und der Pflege seiner zumeist lediglich schemenhaften Charaktere. Hat sich Plá aber erst einmal eingefunden, visuell fein eine soziale Apartheid skizziert und seine Zwei-Klassen-Gesellschaft mit subtilen Kameraschwenks über Mauern, durch Tore hindurch oder mittels einer bedeutungsschweren Totalen penibel abgesteckt, dann sublimiert er den stringenten Menschjagd-Plot betont langsam erzählt und wohltuend actionarm zum letalen Krebsgeschwür der Selbstgerechtigkeit, des Sittenverfalls und der sozialen Gräben.

                                Hier der fein frisierte, morgendlich besprenkelte Rasen und die ausladenden, schachbrettartigen Villenkomplexe, dort aufgerissene Straßen, matschige Schlammpisten und asymmetrisch aufgeschichteten Wohnklötze. Gewaltsam und gerade in seiner plakativen Bipolarität so aufrüttelnd reißt Plá die Schere zwischen arm und reich weit auf. Das, was ihr zum Opfer fällt, wenn er sie mit einem wuchtigen Schlag zuschnappen lässt, muss man sich vorstellen als schimmlig-eitrige Blase aus Staatsversagen, Korruption, Selbstjustiz, seelenseptischem Überdruss und mangelnder Sozialverantwortung, die jeder sieht, aber keiner ansprechen will. Plá sieht sie, er spricht sie an, er bringt sie zum Platzen.

                                „La Zona“ ist ein durch und durch ambitioniertes Projekt geworden. Ein menschlicher Film über die Unmenschlichkeit. Es wirkt wie ein Abgesang auf die sozialen Zustände, wie ein verzweifelter Hilfeschrei und Fingerzeig eines pessimistischen Lateinamerikaners, dessen zur Versöhnung gereichte Hand er selbst vom Lynchmob wegschlagen lässt, ehe er am intensiven Ende doch noch seinen Frieden findet. Dazu bedarf es lediglich eines privilegierten X7-Fahrers, der schuldbewusst durch die Gosse von Mexiko-City braust, um seine Seele zu reinigen. Eine irgendwie versöhnlich stimmende, eine gewollte Transzendenz gesellschaftlicher Grenzen. Man hätte sie auch Miguel so sehr vergönnt.

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                                  huababuar 08.04.2016, 16:37 Geändert 08.04.2016, 16:51

                                  Raucherredaktion, Pool-Pubs, Tapetentrauer – „Yorkshire Killer 1974“ ist voll und ganz zugekleistert mit den Charakteristika der nordenglischen 1970er und den Versatzstücken des düsteren Neo-Noir: Polizeityrannei, Korruption, Vetternwirtschaft. Baulöwen, Sheriffhyänen, Politikwölfe. Die Liste neologistischer Trikola ließe sich bis ins Unermessliche fortführen, so reichhaltig und atmosphärisch dicht schmückt Regisseur Julian Jarrold sein Szenenbild mit der Erosion der Sitten, der Abstinenz der Moral und der Vorliebe für ausdrucksstarke Totalen. Die aufgenähten Schwanenflügel auf den Rücken der Opfer wirken da wie ein zynischer Affront gegenüber einer teuflischen Raubtiergesellschaft.

                                  Gerichtsreporter Eddie Dunford (Andrew Garfield), Kotlettenansatz, gemustertes Hemd, Argyle-Olaf-Schubert-Gedächtnis-Pullunder, tapst inmitten einer alkoholgetränkten und nikotinvernebelten Welt umher, betrinkt sich in Bars, raucht sich die Lunge aus dem Leib, hat regelmäßig ziemlich kitschigen Sex (für die Frauen meist ein Akt der Verzweiflung und des Selbstmitleids), ermittelt in einem mysteriösen Mordfall und tritt dabei den Falschen auf den faustbreiten Schlips.

                                  Stimmungsvoll ist das schon, einen Regisseur, der im ersten Teil der Red Riding-Trilogie die Handlungszügel und sein Personengeflecht beständig im Griff hat, sucht man allerdings vergebens.

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                                  • huababuar 08.04.2016, 13:17 Geändert 08.04.2016, 13:48

                                    Köstlich, wie hier Traumtänzerchen THE_DREAM und Konsortium bar jedweden Medienverständnisses hetzen dürfen, werden sie doch selbst von einer offensichtlich manipulativen Berichterstattung gelenkt. Aber was tut man nicht alles für Klicks, stimmts Moviepilot?

                                    Als meritorisches Gut (ebenso wie Gesundheit: jeder zahlt Krankenkassenbeiträge) muss man den Leuten leider Gottes - gerade in einem sozial verantwortlichen Mediensystem wie wir es nach den Lehren von Vormärz, Weimarer Republik und Zweitem Weltkrieg haben - Journalismus mit Informations-, und Bildungsauftrag (mittels eines dualen Rundfunksystems) aufzwingen, um eine gewisse Außenpluralität zu gewährleisten.

                                    Aber auf der Maus rutscht man ja gerne mal aus und auf die "Eliten" geschimpft ist ja schnell, nicht wahr? Leider sind sich die "Wutbürger" der Folgen nicht bewusst. Wie würde eine rein privatwirtschaftliche Fernsehlandschaft aussehen? Nunja, empirische Studien beweisen, dass privat finanzierte Sender in einem Dilemma stecken: Weil die Masse durch Fernsehen eben primär unterhalten werden will und sie selbst dem Profitdruck unterlegen sind, muss die öffentliche, journalistische Aufgabe schnell dem Boulevard, dem Sensatioalismus und sämtlichen anderen effekthascherischen Programmen weichen. Was dabei herrauskommt, ist nachmittags auf Sendern der RTL und Pro7-Gruppe zu bestaunen. Dass sich solche Tendenzen mit einem rein marktwirtschaftlichen System ausweiten würden, ist selbstredend (vgl. USA).

                                    Ist es das, was man sich vom Fernsehen erwartet? Scripted Reality? Klatschnachrichten? Der knallige Blockbuster am Abend? Eskapismus? Zerstreuung? Bloß keine Konfrontation mit Reportagen, Nachrichten und Kommentaren der "Lügenpresse"? Wer das denkt, darf sich weiterhin mit Beatrix von Storch solidarisieren. Begriffen hat er leider herzlich wenig.

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                                      huababuar 07.04.2016, 18:21 Geändert 07.04.2016, 18:29

                                      Es muss schon ungefähr zehn Jahre her sein, seit ich mit meinem Nachbarsfreund zum letzten Mal in den Krieg gezogen bin. Das sorgsam gerüstete Gebüsch im Stadtpark hinter unseren Häusern – mitsamt Tunnelsystem, Toilettenecke und Schutzwall – das war unser Bunker, die flanierenden Hundebesitzer unsere Feinde, die weiten Wiesen unser Schlachtfeld, seine tschechische Softair und das Bundeswehr-Fernsichtgerät meines Vaters unsere Waffen. Militante Lausbuben sind wir damals gewesen.

                                      Als Kind Krieg spielen – hat das nicht jeder von uns schon getan? Getragen von den Weiten der Natur, fasziniert vom Anblick der Waffen, beflügelt von der Unbeschwertheit des Lebens.

                                      Was es wirklich bedeutet, die wohl schönsten Jahre seiner Exitenz in der kinderfeindlichsten Umgebung überhaupt zu verbringen, zeigt uns René Clément in „Verbotene Spiele“. Infantiler Leichtmut trifft auf die Omnipräsenz des Todes, Fantasie auf Realität, Verzücktheit auf Verrohung. Wo sich die Schrecken des Krieges nur latent in der Schroffheit der Gesellschaft abzeichnen, misst Clément einem überstilisierten Generationenkonflikt den größten Raum bei. Die boshafte und streitlüsterne Welt der Erwachsenen, der Kriegstreiber, der Querelen- und Fehdenausträger karikiert betrachtet durch die naiven Äuglein des in seiner Umwelt so verlorenen Kindes.

                                      Clément beklagt die bäuerliche Bigotterie: Religion findet ihre Grenzen in den christlichen Umgangswerten; der missionierende Katechismus will einfache Antworten auf die schweren Fragen des Leids und des Ablebens haben, führt letzten Endes aber zu Verbitterung und Heuchelei. Er rühmt die Freundschaft und die puerile Unschuld, die des Öfteren zur Disposition steht, wenn im Eifer der eigenen Spitzbüberei und angesichts der entrückten Ansichten zu Leben und Tod Tiere umgebracht werden. Und am Ende, da verwebt Clément beides so einfühlsam, sanftmütig und dann auch herzzerreißend, indem er die Kreuzsymbolik dem kindlichen Spieltrieb preisgibt, den Glauben mit jedem einzelnen Herausreißen eines Kruzifixes metaphorisch entwurzelt, ihn im Wasser ertränkt und am Ende die Heiligkeit der Kindheit über pseudoreligiöse Riten und vor allem die Trostlosigkeit des Krieges erhebt.

                                      "Verbotene Spiele" ist ein Stückchen Blauäugigkeit in der Brutalität des Lebens und zeigt: Manchmal ist ein ehrliches Kinderlächeln ummantelt von schmachtenden Gitarrensoli (Narciso Yepes) eindringlicher als tausend Fliegerbomben im Donnerhall.

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                                        huababuar 06.04.2016, 16:50 Geändert 06.04.2016, 17:10
                                        über Vinyan

                                        Hektisch zittern und tanzen die Luftbläschen und Wassertropfen, wabern orientierungslos ins Nichts dahin. Mal in kräftigem blutrot, dann wieder in naturbelassener Bläulichkeit. Schon die Titelsequenz lässt erahnen: Der Belgier Fabrice du Welz hat ästhetischen Anspruch. Und wenn er sich nicht gerade in repetitive Handlungsmuster verstrickt, was ihm gelegentlich zum echten Problem wird, erweist sich seine kompositorische Mannigfaltigkeit als echter Glücksgriff im bildlich so vergilbten Horrorgenre: der verlorene Gang durch den neondurchfluteten Großstadtdschungel Phukets. Surrealistische Visionen durch den Rotfilter gezogen. Dampfige Flusstäler, diesiger Regenwald.

                                        „Vinyan“ ist eine filmisch-fiebrige Fata Morgana, eine expressionistisch verbildlichte Schmerz- und Trauerbewältigung, die den titelgebenden wütenden Geist (= Vinyan) stets inkorporiert hat. Aus der Dialektik der beiden Hauptfiguren heraus – der apathisch-hypnotischen Emmanuelle Béart und dem impulsiv-rationalen Rufus Sewell – entspinnt du Welz einen schicksalhaften, inneren Konflikt. Loslassen und der Wahrheit ins Auge sehen oder sich an die letzte Hoffnung klammern, die das gebrochene Herz wie ein provisorisches Pflaster vorübergehend fixiert?

                                        Du Welz hat „Vinyan“ mehr als subtilen Schauer, der einem langsam den Rücken empor kriecht, denn als direkte, unmissverständliche Faust ins Gesicht konzipiert. Dämonisch dreinblickende Kinder, psychedelische Mystik, das sinistere Unbekannte. Er zieht den Schein dem Sein vor, ehe er die Grenzen beider Parameter bis zur Unkenntlichkeit verwässern lässt. Jede Stimme, jede Geste, jede Gangart, sie könnte die des verlorenen Sohnes sein, panisch und verzweifelt von der Mutter und umherirrenden Kameraschwenks gesucht. Wenn schon so viele Tränen vergossen wurden, endet der Versuch zu weinen plötzlich im krampfhaften Lachanfall. Aus Emotionalität wird Wahn. Aus Liebe Psychose. Der Kampf zwischen Hoffen und Vergessen, zwischen Glauben und Realität, er führt direkt in die Hölle.

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                                          huababuar 04.04.2016, 16:28 Geändert 06.04.2016, 02:12

                                          Es ist ein recht stürmisches, ein misstrauisches Frankreich, dem Regisseur Fred Zinnemann („12 Uhr mittags“) hier mit nüchternem Purismus begegnet. Gerade eben die Algerienkrise überwunden, sieht sich Präsident Charle de Gaulle in der noch jungen Fünften Republik nun dem Komplott des OAS-Terrors, der ihm – hier: in Person des Schakals Edward Fox – nach dem Leben trachtet, konfrontiert.

                                          Hat der Erzähler in mechanischer Prosa die Gemengelage sachlich subsummiert, holt Zinnemann zur Kunst der Stringenz, des kohärenten Narrativs aus, ohne auch nur einmal der Versuchung großangelegter Spannungsspitzen zu verfallen. Die sich fortschreitend zuspitzende Geschichte ist der Star, die Zeit das dramaturgische Drangmittel. Im Zwischenraum dieser beiden Variablen erweist sich Zinnemann als Verfechter der Pedanterie. Nichts soll am Ende unerklärt bleiben, alles fußt auf profunder Detailversessenheit, die anfangs in ihrer wortkargen und minutiösen Beobachtungsweise gewollt mehr Fragen als Antworten aufwirft und sich dann schlussendlich wunderbar zu einem logischen Gesamtbild fügt.

                                          Wo zuallererst die präzise Planung eines Attentats im Vordergrund steht und die untergründige Parallelwelt aus Waffenschraubern, Passfälschern und Saboteuren skizziert wird, türmt Zinnemann erst um einiges später mit dem umtriebigen Kommissar Lebell, der sein Büro mit Feldbett und Filterkaffee zur zwischenzeitlichen Einsatzzentrale umfunktioniert hat, eine zweite Säule auf. Zwei Seiten, zwei Experten in ihrem Metier, zwei Ziele und schließlich nur ein Gewinner an Tag X.

                                          Je enger sich die Schlinge um den Hals des Schakals zieht, desto akrobatischer windet er sich aus ebenselbiger. Vom Charme zeitgenössischer Fiats, Alpha Romeos und Renaults, verqualmter Innenräume und gekörnter, ungefilterter Bilder europäischer Metropolen (Paris, Rom, Genua) umweht, avanciert „Der Schakal“ so zum politisch-wertfreien Relikt einer Zeit, in der man noch Verständnis für Akkuratesse und Akribie aufbrachte und sie nicht mit Langatmigkeit und Monotonie verwechselte.

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                                            huababuar 01.04.2016, 16:17 Geändert 01.04.2016, 18:31

                                            Als kleine Gedankenstütze ein Zitat zum Film von Uwe Boll selbst:

                                            „[…] und ich muss sagen: ich bin superstolz auf den zweiten Teil, weil: der is‘ hochpolitisch. Er (die Hauptfigur Bill) nimmt einen Fernsehsender als Geisel und erpresst ein Interview, sozusagen mit ihm selber, um den Status der Welt – Guantanamo Bay, Gefangenensystem in Amerika, Außenpolitik, Mittlerer Osten – mal richtig in die Mangel zu nehmen. Und das Interessante bei so einem Film ist ja: er ist Massenmörder, aber er hat Recht.“

                                            Eine peinlichere Selbstentblößung hätte Boll nicht liefern können, denn mit „Rampage 2 – Capital Punishment“ ist ihm wirklich ein ganz und gar grässlicher Film „gelungen“. Liegt die Kunst wirksamer Gesellschaftskritik im Film nicht darin, Missstände narrativ zu enttarnen, sie kraft einer eindrucksvollen Geschichte oder erschütternder Umstände aufzudecken? Boll – und mag er mit Teilen seiner Anliegen noch so im Recht liegen – schert sich keine Minute darum, lässt Protagonist und Massenmörder Bill sein Gefasel von „gedankengelenkter Diktatur unter dem Deckmantel der Demokratie“, von „Milliardär“ Spielberg, der uns alle für dumm verkaufen will und von Yoga als „Gymnastik für Egozentriker“ wahlweise per Off-Stimme oder im hölzernen Dialog lieblos und stichpunktartig runterleiern und legt darüber einen Kanon an ach so aufweckendem (Nachrichten-)Bildmaterial.

                                            Hatte der erste Teil trotz schon plumper Systemkritik noch einen Fünkchen Würde und Intelligenz, während er ein halbwegs geglücktes Psychogramm eines Amokläufers verkörperte, entwächst die Fortsetzung zum tumben Selbstzweck, zur Plattform für egomanen Geltungsdrang, für linksfaschistoide Gewaltaufforderung und für amerikanophobe Verschwörungstheorien. Alles muss sich der Satire unterordnen. Die Misanthropie, sie quillt einem förmlich entgegen, wenn ein schreiendes Opfer nach dem anderen in Slow-Motion niedergestreckt wird, Boll genüsslich draufhält, als das Blut aus ihm herausspritzt, ganz en passant Sätze wie „die Reichen müssen hingerichtet werden“ oder „Obama sollte in den Knast“ fallen und zum Rundumschlag gegen den „Unternehmerstaat“ ausgeholt wird.

                                            Mit „Rampage 2“ hat Boll endgültig bewiesen, dass er Analphabet ist. Es ist nicht Bill, es ist Boll, der zu uns spricht. Alles wirkt wie eine ausufernde, gewaltverherrlichende Gesamtabrechnung des advocatus diaboli. Bills Video ist Bolls Hassrede. Der Psychopath ist das Sprachrohr des Regisseurs, was spätestens klar wird, wenn der seinem Protagonisten per Cameo-Auftritt Legitimation verschafft („Der Typ hat total Recht.“), er ist die Verkörperung des Getriebenen, des ewig Gemiedenen, des Gesellschaftsfeindes Boll, der gefährlich zündelt und es der Menschheit, vielleicht nicht mit Waffengewalt, wohl aber mit diesem scheußlich unreflektierten Film, heimzahlen will.

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                                              huababuar 31.03.2016, 18:01 Geändert 31.03.2016, 18:03

                                              „Nächste Woche um diese Zeit nuckel‘ ich an einer Pina Colada – und alle Ladies in meiner Wanne heißen Amber oder Tiffany.“ – „Ich glaube eher, sie duschen mit zwei Typen, die Jamal und Jesus heißen, wenn sie verstehen. Und jetzt kommt die schlechte Nachricht: das, woran sie nuckeln, ist keine Pina Colada.“

                                              Im lauthalsen Wortschwall solcher schnippisch-charmanter Dialogführung verhallen Spike Lees vereinzelt eingestreute Rassismusvorwürfe, die etwas bemüht und auch entbehrlich wirken, angesichts der Tatsache, dass ihm hier ein gleichwohl amüsanter wie spannender und intelligenter Caper-Krimi gelungen ist, bei dem der Mythos vom perfekten Bankraub nicht auf Kosten gulligroßer Logiklöcher proletenhaft und mit großem Wendungswahnsinn am Ende outriert wird. Im Gegenteil: „Inside Man“ setzt einen anderen Fokus, konzentriert sich ganz auf sein intensives Fernduell und ist dabei so wunderbar „Old School“, wenn er Unterhändler Denzel Washington, grauer Nadelstreifenanzug, Borsalino, und Robber Clive Owen, Maleroverall, geränderte Sportsonnenbrille, aufeinander loslässt und dabei fast schon dazu neigt, seine Nebencharaktere um Jodie Foster und Christopher Plummer etwas zu vernachlässigen.

                                              Tarnung, Verwanzung, Scheinheiligkeit: Im groß angelegten Psychokrieg zwischen Polizei und Räubern verschwimmen gepachtete Methoden der ermittelnden Staatsgewalt zum taktischen Mittel beider Seiten, stilsicher aufgedröselt in ein raffiniertes Erzählmuster aus Gegenwart und „Flash-Forwards“ und eingefangen von einer präzise beobachtenden und feinfühligen Kamera, die ihre Objekte im Streitgespräch mal umkreist, dann wieder den Protagonisten ruhigen Schrittes durch die hermetisch abgeriegelten Räume der Bank folgt. Beginnend mit der wohl besten Raubszene seit „Heat“ bleibt „Inside Man“ so stets angenehm büro-, man könnte auch sagen einsatzzentralen- und verhörzimmerlastig, wendet sich strikt gegen die ekstatische Bleigeschwängertheit des heutigen Actionkinos und versprüht dabei den wundervollen Charme des konventionellen Heist-Movies.

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                                                huababuar 30.03.2016, 17:25 Geändert 30.03.2016, 19:04

                                                Im Moment des Todes, heißt es, liefe das gesamte eigene Leben noch einmal in Zeitlupe vor dem geistigen Auge ab. Ob Ingmar Bergman tatsächlich auf die Berichte von Nahtoderfahrungen anspielen wollte, darf bezweifelt werden. Jedenfalls ist es in „Wilde Erdbeeren“ der Alptraum vom eigenen Ableben, der am Beginn der Vergangenheitsreflexion steht. 52 Kilometer von Stockholm nach Lund (mit einigen bedeutungsschweren Zwischenstopps und subtil alludierenden Anhaltern) genügen Bergman, um ein ganzes Leben Revue passieren zu lassen, um längst Verflossenes wieder in Erinnerung zu holen und das äußerlich doch so erfolgreiche und saturierte Schaffen des alten Professors Isak Borg (leidenschaftlich: Victor Sjöström) zur einsamen und kaltherzigen Scheinexistenz herabzuwürdigen.

                                                Mal direkt und konfrontativ, mal surreal und verträumt, sublimiert er eine Autofahrt durch die schwedische Sommerlandschaft zum psychologisch-philosophischen Blick auf ein Wesen, dessen innere Verbitterung ihre Wurzeln früh in der autoritären Erziehung der Kindheit geschlagen hat – das zeigt die Begegnung mit seiner uralten Mutter eindeutig – und die er nun an seinen eigenen Nachfahren, seinen Sohn, weitergegeben zu haben scheint. Es ist Bergman hoch anzurechnen, dass er nach dieser Odyssee der Selbsterkenntnis und dem kraftvollen Sinnieren über Glauben, das eigene Leben und den sicheren Tod sein Ende nicht mit dem krampfhaften Griff zur Sentimentalität überfrachtet, sondern Borg so tragisch ehrlich und gleichzeitig warm nach einer letzten Vision aus der eigenen Jugend in den Halbschlaf verabschiedet - mit einem Lächeln im Gesicht und dem Wissen, im letzten Moment seinem bedeutungs- und emotionslosen Leben doch noch einmal eine substanzielle Richtungsänderung gegeben zu haben.

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                                                  huababuar 29.03.2016, 02:14 Geändert 29.03.2016, 04:14

                                                  Das koksende Kreativkopfkomitee aus dem Hause „The Asylum“ hat sich mit „Sharknado 3 – Oh Hell No!“ einmal mehr selbst übertroffen und schickt sich nun im dritten Haispektakel an, das Genre des Trashfilms auf ein ganz neues, noch sinnfreieres, noch bekloppteres, noch grenzdebileres Level zu einem selbstreferentiellen Konglomerat krud-kranker Kackideen zu heben. In einem Triptychon aus Dialogdiarrhoe, Schauspielschlamassel und Tricktechniktragödie stürmt der fleischgewordene Fischwirbelwind nach Los Angeles und New York nun auf die Schaltzentrale der USA, Washington D.C., zu und bläst zum ultimativen Kapitolkollaps bevor er sich zur alles übersteigernden Bedrohung für die ganze Ostküste, dem Sharkicane, wandelt.

                                                  Während sich die versammelte Z-Prominenz um Wrestler Chris Jericho, Talkmaster Jerry Springer und sogar Mauereinreißer David Hasselhoff also zwischen Gang zum Arbeitsamt und Einzug ins Big Brother-Haus für diese Koppelung aus katastrophalem Katastrophenfilm und tief horrendem Tierhorror prostituiert, erlangt Ian Ziering alias Fin Shepard, der personifizierte Feind aller Haitornados, die längst überfällige Ehre der offen zelebrierten Apotheose. Wenn er nicht gerade vom Präsidenten (militant: Marc Cuban, Besitzer der Dallas Mavericks) mit Glanz, Gloria und dem Staatsorden für die Verteidigung fischiger Flossenangriffe geehrt wird, so zerteilt er mit goldener Kettensäge im fensterlosen Pressesaal des Weißen Hauses heroisch auf Knien rutschend heranfliegende Haistürme zu Sashimi, weicht dem organischen Niederschlag geistesgegenwärtig mit einer gekonnten Rolle vorwärts aus oder düst im Orbit todesmutig per Rucksackjet in den Schlund der schwebend-rotierenden Haiballerinas.

                                                  Klingt verdammt schlecht (,was es per se natürlich wieder einmal ist), wirkt unter dem gebrochenen, verzerrten Blick des mit der Holzhammermethode installierten Ironiefilters samt Pathos, Patriotismus und Protz, Kitsch und Klischeeisierung, den großen Momenten des apokalyptischen Zerstörungskinos und der demonstrativen Verweigerung vor den Naturgesetzen der Biologie und Physik wie fünf Hektoliter Distickstoffmonoxid nach einem ordentlich gestopften Joint. Da lacht man auch über jede Scheiße. Oh Hell, Yeah!

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                                                    über Her

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                                                    „Her“ mag nicht dieselbe Cleverness wie seine Hauptfigur, die Künstliche Intelligenz Samantha, besitzen, was an und für sich ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit darstellt. Das muss aber auch gar nicht sein, genügt es Spike Jonze doch schon, sich mit seinem selbst geschriebenen Drehbuch ein wenig schlauer und kreativer als die große Mehrheit des irdischen Seins zu erweisen und uns mitzunehmen auf eine mal sehnsüchtig-melancholische, mal skurril-witzige Welt der Imagination und der Vorstellungskraft.

                                                    In Zeiten, in denen nicht Wenige heute ihrer wahren Liebe vor dem Rechner begegnen, findet sie Theodor, Meister der Rührseligkeit und Sensibilität, schon morgen, in „Her“ heißt das in einer nicht näher bestimmten Zukunft, im Digitalen selbst. In einer vollkommen anonymisierten, technisierten, sterilisierten und durchstilisierten Umgebung, in der jeder Flashback zurück zur letzten Partnerschaft mit all seiner Wärme so unwirklich und aus der Zeit gefallen wirkt, sucht Theodor ein Gehör, einen Ausweg aus der Einsamkeit, eine kongeniale Partnerin, die es im futuristischen Los Angeles nicht zu geben scheint, bis er auf Samantha trifft.

                                                    Anfängliche Bedenken bezüglich der vermeintlichen Absurdität einer Liebe zwischen Mensch und Maschine erstickt Jonze schon in den ersten Minuten im Keim, kontert das Ganze mit einem illusorischen wie vereinnahmenden Gedankenexperiment gezielt aus. Terminkalender, Textkorrekteurin, Videospielassistentin, E-Mail-Postfach, Beratungsstelle, Kummerkasten, Freundin und ja, auch Liebe – Samantha ist nicht wie die Siris dieser Welt, die man fragt, wo die nächste Tankstelle ist, eine mechanische Antwort erwartet und sie dann wieder in die Weiten des IPhones zurückschiebt. Sie hat Gefühle und Gewissen, Wünsche und Ängste, eine sich weiterentwickelnde Persönlichkeit, die sich trotz fehlender Körperlichkeit so real und greifbar immerzu bemerkbar macht.

                                                    Alleine kraft ihrer warmen, empfänglichen und kessen Stimme gelingt es Scarlett Johansson, die sich mit Hyperintelligenz seit dem mäßigen „Lucy“ ja bestens auskennt, als ein Betriebssystem zum Leben zu erwachen, präsent zu sein ohne Präsenz visuell zu zeigen, ein Objekt der Begierde darzustellen – nicht nur für den wundervollen Joaquin Phoenix, sondern auch für den Zuschauer selbst.

                                                    Und ehe Jonze das Unerwartete tut, Theodor bitterböse wieder in die Wirklichkeit zurückholt und damit die Frage nach der Funktionalität solch einer Beziehung mit Pauken und Tompreten selbst beantwortet, erzählt er so rührend, so liebevoll und einfühlsam von wahrhaftiger Liebe – mit all ihren Höhen und Tiefen und den reflexhaften Handelsmustern, die man auch in gewöhnlichen, zwischenmenschlichen Partnerschaften vorfindet. Von der schüchternen Verlegenheit nach den ersten intimen Momenten, der anfänglichen Phase der Verliebtheit, während der sämtliche Gedanken um den geliebten Konterpart zu schweifen scheinen, der nächsten Stufe voller Streitigkeiten, Skepsis und Zweifeln und schließlich sogar auch vom berühmt-berüchtigten Anstoß der Verzweiflung, der neuen Pep in die sexuelle Zweisamkeit bringen soll. Spitzenunterwäsche über dem Desktop ist es nicht, so viel sei verraten.

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