Jürgen Kiontke - Kommentare

Alle Kommentare von Jürgen Kiontke

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    Haditha ist eine Siedlung 250 Kilometer nordwestlich von Bagdad. Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen politischen und religiösen Gruppen werden hier besonders gewalttätig geführt.
    Der englische Regisseur Nick Broomfield, bekannt für seine Dokumentarfilme zu Boulevard-Themen („Kurt & Courtney“ u.a.) widmet sich nun in einem Spielfilm namens „Battle for Haditha“ einer ganz besonderen dieser Gruppen: der US-Armee.
    Verschiedene Verfahren sind zwar noch anhängig, aber die Geschichte, die Broomfield erzählt, scheint der Wirklichkeit recht nahe zu kommen: An einem Tag Ende November 2005 wird ein US-Konvoi Ziel einer Sprengfalle. Ein junger Soldat stirbt bei dem Anschlag. In dieser extremen Situation wird extrem gehandelt: Vier junge Männer, die zufällig in einem Taxi vorbeikommen, werden von den US-Soldaten angehalten und als vermeintliche Attentäter erschossen. Anschließend erstürmen die Soldaten eine Wohnsiedlung, ballern um sich und töten weitere 20 Zivilisten. Insgesamt wird man zwölf Männer - darunter alte und Behinderte -, acht Frauen und vier Kinder zu den Opfern zählen.
    Nick Broomfield will diesen Vorgängen, die später von Menschenrechtsgruppen als das wahrscheinlich schlimmste Kriegsverbrechen im Irak eingestuft werden sollen, und das weltweit Aufsehen erregt, ohne Zweifel ein Denkmal setzen - was hier geschah, soll nicht vergessen werden.
    Er tut dies mit einem einfachen Mittel, das jedoch in einem Hollywood-Film undenkbar wäre: Er zeigt verschiedene Perspektiven. So ausführlich, wie die Darsteller der US-Soldaten zu Wort kommen, wie sie in ihren Unterkünften gezeigt werden, wie sie an Schlaflosigkeit und Gemütsschwankungen leiden, so dezidiert taucht er in den irakischen Alltag ein, zeigt das Leben der Menschen in der Siedlung am Stadtrand: Hier toben Kinder unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen, da liebt sich ein Paar, drüben laufen die Vorbereitungen auf eine Hochzeit.
    Als die Straße aufgerissen wird, um die Installierung der Bombe zu tarnen, wissen viele, dass her ein Attentat geplant wird. Und es stürzt die Menschen in arge Gewissennöte - wenn sie reden, werden sie von irakischen Kämpfern erschossen. Wenn sie nicht reden, werden sie von den Amerikanern erschossen.
    Den Rache nehmenden Soldaten wiederum steht es auf den Helm geschrieben, dass ihr Leben kein glückliches ist. Sie haben gemordet, und das wird aus ihnen keine besseren Menschen machen - die echten Prozesse laufen noch. Und die Berichte mehren sich, dass Haditha kein Einzelfall war, sondern dass es quasi täglich Morde an der Zivilbevölkerung gibt. Sie werden entweder vertuscht oder es werden kleine Dienstgrade verurteilt.
    Krieg ist eine Farce, falsche Entscheidungen zur Tragödie, richtige gibt es nicht: Nick Broomfield ist ein unglaublich spröder und trauriger Film gelungen. Wie alle gelungenen Kriegsfilme ist er ein Antikriegsfilm - preisgekrönt. Unbegreiflich, dass er nicht ins Kino kommt.

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    • 7

      „Redacted“ – zu deutsch soviel wie „zensiert“ – dürfte eines der ruppigsten Statements gegen den Krieg allgemein sein, die je gedreht wurden: Im Zentrum steht eine Gruppe sehr junger US-Soldaten im Irak, die sich ebenso schnoddrig wie verdorben im fremden Terrain bewegen. Da wird eine schwangere Frau am Kontrollpunkt erschossen, weil der MG-Schütze gerade aus dem Nickerchen erwacht und zur Orientierung das Gewehr benutzt. Ebenso beiläufig wird ein 15-jähriges Mädchen vergewaltigt und die ganze Familie umgebracht. Begründung: „Wir suchten nach Massenvernichtungswaffen.“
      Die jungen G.I.s sind dabei ihre eigenen „embedded“ Journalisten: Sie filmen sich mit Videokameras und Fotoapparaten, die Bildästhetik nimmt dies auf: Über weite Strecken werden die Ereignisse in der Art von Webseiten-Videos und Schnapsschüssen erzählt.
      Auch die Gegenseite hat ihre Filmchen. Die zeigen wenig anderes, das heißt am liebsten: Exekutionen amerikanischer Jugendlicher auf Soldatenurlaub. Kein Wunder, dass der letzte Satz des Todeskandidaten in seine eigene Webcam „Ich geh zur Filmhochschule“ lautet.
      Regisseur Brian de Palma, der mit „Redacted“ die Filmfestspiele von Venedig gewann, interpretiert die Dynamik des Krieges und der Berichterstattung auf ganz spezielle Weise. So viel steht fest.

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      • 5

        Die Einstellung ist es wert, gezeigt zu werden: Aus ein paar Metallstangen hat der Vertreter der deutschen Elektrohandelskette Siemens in Nanjing, John Rabe, von seinen chinesischen Bediensteten ein Gerüst zusammenbasteln lassen. Das Gebilde soll ein Unterstand werden, nun muß nur noch die Zeltbahn darübergezogen werden. Was würde sich besser eignen als eine riesige Hakenkreuzfahne? Das Symbol fürs Unmenschentum weist gen Himmel, auf daß das japanische Fliegerpersonal, das die Stadt bombardiert, seine Fracht woanders abwerfe. Die Chinesen aber versammeln sich schutzsuchend unter dem Nazibanner.
        Und zwar für den ganzen Rest des Films "John Rabe" vom deutschen Oscar-Preisträger Florian Gallenberger. Mann! Nazis, Hakenkreuz! Und nun das schlimme Symbol als Friedenszeichen. Von allen Swastika-Verwendungen im Kino dürfte dies die bislang verrückteste sein, vielleicht mit einer Ausnahme: Das Marketinglogo des Films "American History X" aus dem Jahr 1998 war ein Hakenkreuz auf weißem Grund. Zur Premiere hatte man damit halb New York geflaggt.
        Im Gegensatz zu dessen Handlung ist diejenige in "John Rabe" historisch verbrieft: Der aus Hamburg stammende Kaufmann Rabe wohnte 27 Jahre in China, als die Japaner 1937 ihren Angriff auf die damalige chinesische Hauptstadt begannen, der als Massaker von Nanjing in die Geschichte eingehen sollte. Bis zu 300.000 Menschen fielen den japanischen Expansionsgelüsten zum Opfer.
        Viele Ausländer waren schon zuvor geflohen. Die, die in der Stadt blieben, richteten eine Schutzzone für die Zivilbevölkerung ein. Als deren Repräsentant wurde Rabe gewählt. Mit viel Verhandlungsgeschick und Öffentlichkeitsarbeit gelang es ihm, 200.000 Menschen das Leben zu retten.
        Nach dem Krieg errichtete man ihm Denkmäler in China. In Deutschland hingegen soll Rabe erhebliche Schwierigkeiten mit der Entnazifizierung gehabt haben - ob er überzeugter Parteigänger der Nationalsozialisten war, darüber streiten sich die Geister. Denn Rabe war eine äußerst widersprüchliche Figur: Er stand treu zu Adolf Hitler und half den Chinesen trotzdem gegen die mit Deutschland verbündeten Japaner.
        Im Film erscheint der von Ulrich Tukur gespielte Rabe als konservativer Geschäftsmann mit Ehrgefühl. Sofort nach Einmarsch der Japaner übermittelt er Berichte von den Greueltaten nach Berlin. Dort aber sieht man sein Engagement mit Ablehnung.
        Der echte Rabe wurde später sogar von der Gestapo verhaftet. Wenigstens ließ man ihm seine Tagebücher. Und die wurden vor gut zehn Jahren von dem Sinologen Erich Wickert, dem Vater Ulrich Wickerts, herausgegeben. Sie dienen dem Film als Grundlage.
        Hat die Figur nun das Zeug zum Helden? Je weiter der Zweite Weltkrieg zurückliegt, desto intensiver scheint der Wunsch nach "positiven" Beispielen aus der Zeit des Nationalsozialismus zu sein. Auch in "John Rabe" suchen die Enkel nach Geschichten aus der Geschichte - etwas, womit sie sich identifizieren können. Wenn man die gegenwärtige Schwemme von Filmen über jene Zeit betrachtet, entsteht der Eindruck, nur der Nationalsozialismus sei geeignet, die richtige dramatische Fallhöhe zu garantieren: Die Bedrohung des einzelnen ist so groß, individuelle Fehlentscheidungen können so fatal sein, daß sich in Kombination mit einer drastischen Bildsprache die Filme wie von selbst ergeben.
        Was in "John Rabe" mit der Suche nach Graustufen und Zwischentönen beginnt, endet im Fazit: Seht her, es gab auch das gute Personal. Die Figur Rabes ist in etwa so zugeschnitten wie die des U-Boot-Kapitäns in Wolfgang Petersens "Das Boot": Man weiß von allem, tut seinen Job und macht sich ansonsten lustig übers Regime. Wenn dem so gewesen wäre, fragt man sich allerdings schon, wer dann die sechs Jahre Krieg geführt hat.
        Nun soll nach Gallenbergers Worten "John Rabe" auf keinen Fall einen Beweis dafür liefern, daß es auch gute Nazis gegeben habe. In den Kritiken wird jedoch kaum etwas anderes diskutiert. Und so entsteht der berechtigte Eindruck, die historische Figur stehe für alles andere, nur nicht für sich selbst: "Nun endlich kann man anfangen, die deutsche Geschichte auch mal auf andere Art zu durchleuchten und nach anderen Lichtpunkten in der Dunkelheit suchen", sagt Tukur, obwohl er die Rolle durchaus zwiespältig angelegt hat.
        Man kann Gallenberger zugute halten, daß sein Film bei der Suche kämpft und ächzt, daß sich die Darsteller anschnauzen. Vor allem der amerikanische Arzt Robert Wilson (Steve Buscemi), seines Zeichens Trinker und der letzte in der Stadt verbliebene Chirurg, gibt dem Deutschen Kontra - als wolle man einer möglichen Kritik gleich den Wind aus den Segeln nehmen.
        Die Gegenseite wirkt dabei ebenso funktionalisiert, etwa wenn japanische Soldaten mit ganzen Haufen von Leichen durch die Stadt fahren, um mit ihnen die Bombenlöcher in den Straßen zu stopfen. Die Japaner erhalten Unterricht in Vergangenheitsbewältigung, dem beliebten Exportartikel aus Deutschland: Die könnten sich endlich auch mal zu ihren Verbrechen verhalten, findet der Regisseur – und trainiert fleißig für den deutschen Denksport-Wettbewerb, anderen die Meinung zu geigen.
        In einem Interview von Gallenberger auf 3 Sat bekommen auch die Chinesen ihr Fett weg. Mit dem Film seien die nicht glücklich, weil sie als Opfer gezeigt würden. Die kämen derzeit lieber stark rüber – außerdem hätten die Kommunisten ein paar Kitschstreifen über Rabe gedreht.
        Der deutsche Anteil an der Geschichte sei wie folgt zu beurteilen: Rabe sei "irrtümlich" Nazi gewesen, den Nationalsozialismus habe er ja nur aus dem "Völkischen Beobachter" gekannt. Er sei einem naiven Mißverständnis aufgesessen. Sich selbst hält der Regisseur die "Gnade der späten Geburt" zugute: Sie erlaube eine andere Sicht auf die Geschichte und erlaube es, andere Geschichten zu erzählen.
        Es ist ein Kreuz mit dem Hakenkreuz - keine Gelegenheit wird ausgelassen, damit zu winken. Als globale Brandmarke hat es Konjunktur. "Der Vorleser", "Operation Walküre", "Defiance" - die "anderen Geschichten" werden gerade nahezu inflationär erzählt. Der Nationalsozialismus ist zur universellen Bildssprache geworden.
        What's next? Romantische Liebesgeschichten im KZ mit aufrechten SS-Offizieren, die gegen Hitler kämpfen, der gar nicht in der NSDAP war, sondern in der Jugendfeuerwehr? Es ist durchaus möglich, daß die stilbildende Sparte "NS-Popkultur" in ein paar Jahrzehnten das Kasperletheater ersetzt haben wird.

        • 5

          Ein Film über Arbeit, die ausgewandert ist. Und Menschen, die manchmal nicht mitkommen. Der Film dokumentiert präzise: "Fünf Jahre nach Polens Beitritt zur EU ist die Grenze nach Deutschland zwar offen, aber die schöne Welt ein gutes Stück entfernt", so der Regisseur.

          • 6

            Hier wird ein Reigen des Niedergangs gezeigt, wie er so schon unendlich oft zu sehen war: Es ist die Geschichte vom aufrechten weißen Mann, den die vielen Kämpfe, die das Leben ihm aufnötigte, niedergedrückt haben; der übersehen hat, dass er mit seinem alternden Körper nicht mehr lange als Kämpfer reüssieren kann; der nicht mitbekommen hat, dass eine Veränderung Not getan hätte.

            Es dauert keine halbe Stunde, da ist man diese Bilder vom müden Walross etwas leid. Da sitzt man und wartet, dass der Film noch einmal eine überraschende Wendung hervorbringt, aus der Eindimensionalität des schlagantäuschenden Männertums ausbricht – vergeblich. Man weiß erschreckend schnell, wie dieser Film weitergehen wird.

            In dem Sinne ist »The Wrestler« zwar ein schöner Kontrapunkt im Hollywood der oft glatten Oberflächen und wird von der Kritik zu Recht bejubelt. Er entkommt aber den Gesetzmäßigkeiten des Gewohnheitskinos zu keiner Zeit. In seiner Berechenbarkeit ist »The Wrestler« nichts für Leute, die im Kino zu neuen Ufern aufbrechen wollen. Und ein neues Ufer, das wäre: Randy rettet sich aus eigener Kraft.

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            • 7

              Das Böse ist schön, es liebt, es ist auch nur Mensch. Um dies anhand eine Spielfilms zu beweisen, hätte es keine bessere Vorlage geben können als Bernhard Schlinks literarische Gratwanderung »Der Vorleser«: Das Böse aus dem luftleeren Raum der Geschichtsschreibung holen und es ins prekäre Leben junger Deutscher holen - das will der außer Konkurrenz laufende Berlinale-Wettbewerbsbeitrag. Und man geht mit dem Gefühl aus dem Kino, dass dieser Film Maßstäbe setzt...

              • 2

                Tom Cruise (»Tage des Donners«) hat einen neuen Film gedreht. Er heißt »Operation Walküre« und erzählt die Geschichte der Männer des 20. Juli, die ein Attentat auf Adolf Hitler durchführten, damit aber leider scheiterten. Über dieses Thema gibt es Filme wie Sand am Meer. Allerdings bisher ohne Tom Cruise. Dass Hollywoods prominentester B-Film-Darsteller einen so wichtigen Mann spielt, hat natürlich alle überrascht. Und so waren die Zeitungen voll mit Geschichten rund um die Filmproduktion. Denn damit alles echt wirkt, wurde auch an Originalschauplätzen in Deutschland gedreht. Zum Beispiel dem Bundesfinanzministerium. Das steht nämlich original in Berlin! Und diente früher als was gleich: NS-Reichsluftfahrtministerium? Die Berliner können sich glücklich schätzen, in so viel wichtiger Geschichte zu wohnen. Worauf man jetzt achten muss.

                • 5

                  Der Regisseur will Aufklärungsarbeit leisten. Die großspurigen Reden des Präsidenten Mah­moud Ahmadinejad rund um die halben Atombomben des Iran interessieren ihn dabei ebenso wenig wie die Berichterstattung westlicher Me­dien. Gleich aber zu Beginn schränkt er ein: Auch das Drehteam hat sich an die Regeln der iranischen Zensur und Politik zu halten gehabt. Sonst hätte es keine Bilder gegeben. Auch, wie es dem Zuschauer mitgeteilt wird, "um eventuelle Probleme für alle Beteiligten dieses Films zu vermeiden".
                  Offensichtlich hat das aber niemand den fünf Porträtierten mitgeteilt.

                  • 8

                    Dieser Film baut auf einer Grunderfahrung eines jeden auf, die der Selbstbewusst werdung. Und dieser Erkenntnisfortschritt fällt gern in die Zeit der Pubertät, jene Lebensphase, in der nichts mehr stimmt und die mit ihrer charakteristischen Ungewissheit und dem Unwohlsein nicht selten bis ans Lebensende anhält.
                    Erinnerung – und was sie für die Gegenwart bedeutet, das ist das große Thema von Claude Millers Literaturverfilmung »Ein Geheimnis«. Dieser Film ist Jugenddrama, Geschichtswerkstatt, Antifaschismus und beste Schauspielerei.

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                    • 8

                      Allens späte Filme funktionieren mehr als schillernde Seifenblasen. Sie nehmen ein, zwei Anläufe, um sich schwerelos davonzuschwingen. Allen versteht es in »Vicky Cristina Barcelona«, beinahe gänzlich unironisch, das Leben in Beziehungsdramen zu fokussieren und von dort aus zu erklären. Die besondere Weisheit seiner Filme liegt genau hier, wo sie ihren Humor herhaben: Menschen leben in Beziehungen und erfahren von dort aus die Welt. Und den Humor als Droge dermaßen komplex, feinsinnig und rein auf der Leinwand zu erleben – diesen Luxus sollte man sich selbst in der Rezession erlauben.

                      • 6

                        Loachs Film will die Transformation der Arbeitsgesellschaft als einen Systemwandel hin zur Zwangsarbeitsgesellschaft beschreiben. Dabei beschreitet er den schmalen Grat zwischen rabiater Sozialkritik und nostalgischer Rückwärtsgewandheit. Denn auch diese Frage wird gestellt und nicht beantwortet: Soll alles so wie früher sein? War das denn wirklich besser? Das Unausweichliche, Unerbittliche des Wirtschaftssystems, die angebliche Freiheit des Mark­tes, sie wird als Ideologie verklappt. Aber ebenso klar ist: Alternativen sind rar. Und ein kohärentes Unterdrückungssystem ist die Wirtschaft auch nicht. Eher ein chaotisches.

                        • 6 .5

                          So viel romantische Schwere muss im Herbst spielen, denn im deutschen Herbst blühen nur die blauen Blumen, das heißt, man kriegt gleich eine eingetrübte Stimmung, wenn irgendwo »November« draufsteht. Folglich ist der ganze Film stahlgewittergrau, und das sind die helleren Parts. Man kann der Migräne beim Heran­kriechen zusehen.

                          • 7

                            All dies ist schön und lehrreich gefilmt, erklärt aber noch nicht die Idee des Films. Die liegt meines Erachtens in der fundamentalen Gesellschaftskritik. Die Decke der Zivilisation ist dünn, und schon der Umstand, dass der Mensch ein Naturwesen ist, durchstößt sie. Rebecca kriecht nicht umsonst auf dem Waldboden herum, um sich zu erden. Die ganze Konzeption des neuen Kleinbürgertums mit seinen nicht abbezahlten Eigentumswohnungen, seinen Marken-Kinderspielsachen und verrückten Vornamen ist zum Scheitern verurteilt. Im kollektiven Unglück ist kein privates Glück möglich, so das Fazit von "Das Fremde in mir".

                            • 7

                              Die Linien in diesem Film verlaufen kreuz und quer. Mit Punktabzügen ist die Geschichte mit den Zitronen eine interessante Versinnbildlichung des hanebüchenen Lebens am Rande eines politischen Pulverfasses. Ein Leben zumindest, bei dem es mehr Verlierer gibt als gedacht und andere Gewinner als geplant.

                              • 8

                                "City of Men" hieß eine TV-Serie, die in 30-minütigen Folgen vom Leben und Sterben in Rio berichtete. Das rabiate Fernsehprogramm lockte in Brasilien regelmäßig 35 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme. Der jetzt in Deutschland erscheinende Spielfilm gleichen Namens ist ein äußerst sehenswertes Konzentrat der Serie.

                                • 8

                                  Ein gezeichneter Dokumentarfilm, das ist auch die logische Folge des nun zehn Jahre dauernden Siegeszuges der Grafic Novel, an dessen Anfang die Frage stand: Kann man ernste Dinge mit einer so unernsten Methode wie dem Comic schildern? ... Auch "Waltz with Bashir" zehrt von dieser Spannung.

                                  • 8

                                    Der Betrachter mag sich selbst ein Urteil bilden, »Otto« ist ein bunter und schöner Film. Wie der traurige Jugendliche da im lila Flieder steht und aus den hohlen Augen eine Träne fließt, ist großes Independent-Kino wie alle Filme von Bruce LaBruce. Und natürlich strengstens verboten für Unter-18-Jährige.

                                    • 3

                                      Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Dieser Film ist gedreht worden, damit man die nackten Brüste von Brigitte Hobmeier sieht. Hobmeiers Brüste unter der Dusche, die Brüste betastet von den entseelten Stasi-Händen der Privatpolizisten, die Brüste geknetet von der Hauptfigur selbst auf dem Weg in die Entseelung. Hannahs Brust, das ist die Unschuld der Natur, die sich hier verzweifelt dem zivilisatorischen Angriff qua betatschender Rückversicherung entziehen möchte.

                                      • 3

                                        Düster-monumental, eine große Menge Spe­zial­effekte und rasante Action-Sequenzen, so möchte Kassowitz sein Sujet in den Griff kriegen. Verkrampft ist er auf der Jagd nach der ­einen Einstellung, die seinen Film bedeutend macht. [...] Vin Diesel ist gesetzt als Endzeitkiller, dessen Körper schon ohne jede Regung eindrucksvolle Bilder produziert. Man ist verwundert, dass Kassowitz mit diesem Paradeobjekt für die Kamera überhaupt nichts gelingt.

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                                        • 2 .5

                                          Dies alles hätte für einen Zweistundenfilm gereicht, Schmerz, Trauer, Verlust der Jugend. Leider will die Buchvorlage nicht, dass das so bleibt: Es muss was Dramatisches her. Und so bekommt Consuela eine tödliche Krankheit, die ihr die Brüste klauen wird. [...] Das ist gut und schön, aber vor allem ein biss­chen simpel: Was hätte das für ein Film werden können, wenn Consuela ihren Termin für die Brust-OP gehabt hätte, bevor »Elegy« angefangen hätte.

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                                          • 4 .5

                                            Und man muss sich fragen, ob er als Vertreter des europäischen Kleinbürgertums nicht sogar der eigentliche Sieger des Zweiten Weltkriegs ist. Schließlich tritt der Kleinbürger nun die Herrschaft über die Einfamilienhäuser und die Kleinwagen an und fühlt sich doch nach wie vor als Opfer der Umstände und entwickelt gerade daraus seine Macht. Alle Irrwege haben ihm nicht wirklich geschadet. Eher hat er anderen geschadet und damit das Egoismus-Ver­spre­chen des modernen Kapitalismus ernst genommen. Und so ist auch nicht der National­sozialismus wirklich seine Ideologie, die er sogar relativ schnell durchschaut. Die heißt schlicht: Opportunismus, der sich irgendwann verselbständigt.

                                            • 5 .5

                                              Keine Frage, »Happy-Go-Lucky« ist die Buttercremetorte des Feelgood-Movies – schon weil gute Laune ein extrem seltener Rohstoff ist. Konsequenterweise braucht Leigh nicht allzuviel Drehbuch und Plot – ein bunter Farbklecks braucht wenig Struktur. Zugunsten der Vorführung eines absolut intakten Seelenlebens und damit verbundener Authentizität kann alles andere ein wenig in den Hintergrund rücken. An Poppy exerziert der für düstere Arbeiterfilme gelobte und gepriesene Regisseur Mike Leigh ein Sprachspiel: Aus Gefühlskino wird Kino des Gefühls.

                                              • 7 .5
                                                über Julia

                                                "Julia" ist eine Studie über unangenehme Gefühle. Als Film über eine Alkoholikerin, der dann aber abrupt in eine kriminelle Realität aufbricht, gibt er eine schöne, fiese Botschaft von sich: Das passiert, wenn man sich nicht unter Kontrolle hat. Die Trinkerei spielt nicht die geringste Rolle. All dies passiert auch so.

                                                • 7 .5

                                                  Immer wieder schimmert zwischen den vielen lustigen Einfällen die Ernsthaftigkeit durch, als läge den Witzen eine solide Trauer zugrunde. Mögen die Figuren sich auch noch so lächerlich aufführen, dieser Film kommt über Kreuz daher: Dein Handeln hat Folgen, auch wenn die Welt eine ewige Widerkehr des Gleichen ist, ein »Simpsons«-Kosmos als permanenter Ist-Zustand, mit dem ältesten einjährigen Kind des Universums.

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                                                  • 3

                                                    Der deutsche Newcomer Schweighöfer schlägt dem französischen Altstar den fetten Schädel ein! Wenn das nicht ein kinopolitisches Großereignis ist! Bis es soweit ist, haben wir es nach der Aussage des Regisseurs bei seinem ersten Film mit einem komplizierten, psychologischen Spiel zu tun. Ja.

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