Jürgen Kiontke - Kommentare

Alle Kommentare von Jürgen Kiontke

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    Ficken, Saufen, Musik: Früher machte die Jugend noch was Ordentliches in ihrer Freizeit; nicht immer nur vorm Computer Leute umbringen!
    Regisseur Walter Salles möchte an diese glorreiche Zeit erinnern. Und hat Jack Kerouacs großes Buch "On The Road" verfilmt, dass die junge explosive Generation Amerikas nach dem Zweiten Weltkrieg beschreibt: die Beat Generation.
    Die industrielle Revolution macht große Schritte, eines ihrer Exponate ist nicht zuletzt die Schreibmaschine - das Angestelltengerät wird für geniale Literatur sorgen. Jugend erobert Kunst. Im Jazz-Club ist’s heiß.
    Kerouacs Alter Ego Sal Paradise und sein Freund, der expressive Dean Moriarty, hängen mit ihren Twentysomething-Kumpel in New York herum. Sie suhlen sich in Schnaps, Marihuana, Bebop und Vaterschaftsklagen. Bald schon zieht es Moriarty aber in den Westen. Schriftsteller Paradise, er merkt es schnell, fehlt was: Die rohe Energie des Freundes, dessen Hang bisexuellen Ausschweifungen. Also reist er hinterher, kreuz und quer durch die USA.
    Ein Land außerhalb seines Intellektuellenzirkels - stark von Landwirtschaft, Armut, Reichtum, Liebe, Gewalt und Verschrobenheit geprägt. Und auch der Schriftsteller selbst ist zerrissen - in der Frage, wie er durchs Leben kommen soll. Die Papierrolle, die er aus losen Blättern zusammenklebt, damit er endlos schreiben kann, wird seine Straße durchs Bewusstsein.
    Aber was als Buch Sinn macht, gestaltet sich im Film schwierig: Salles übersetzt den literarischen Gedankenstrom nicht in die Sprache des anderen Mediums. Er schildert den Kerouac-Trip denn auch mit immer gleichen Bildern: Freunde liegen sich in den Armen, frönen dem Kettenrauchen als Extremsport, tanzen sich die Knochen rund. Das bringt weder Zeit noch Figuren näher.
    Dass das Thema Kunst im großen Stil angegangen wird: Respekt. Für den großen Wurf waren dann wohl nicht genug Mittel da: Hier mal ein Standbild auf eine Brücke, dort ein paar alte Autos und ne Föhnfrisur. Es gibt ein Vermittlungsproblem.
    Mit den Schauspielern geht’s ähnlich. Jung und schön spielen die beiden Hauptdarsteller Hedlund und Riley nicht Moriarty und Kerouac, sondern Brad Pitt und Leonardo DiCaprio nach. Für die beiden wäre, sagen wir vor 20 Jahren, das Thema wirklich was gewesen.

    • 7

      Es ist das Jahr 1992, zwei Jahre nach der Wiedervereinigung: Deutschland ist im Aufruhr und Nationaltaumel. Pogromartige Zustände, zumal in Ostdeutschland, bestimmten Schlagzeilen und Alltag.
      In dieser Gemütslage geschieht auf einer Wiese an der polnischen Grenze ein Verbrechen, von dem die Gerichte sagen werden, es sei keines gewesen. Eines ist aber sicher: Die Arbeiter Grigore Velcu und Eudache Calderar aus Rumänien werden im Morgengrauen erschossen. Über den Rest darf spekuliert werden: Es habe sich um einen Unfall gehandelt, sagen jene zwei Jäger, die an diesem Tag unterwegs waren. Die Menschen - angeblich illegal über die Grenze gekommen - habe man für Wildschweine gehalten. Was auch sonst. Nach drei Tagen ist der Prozess vorbei. Menschen, die die beiden kannten, wurden nicht gehört. Sondern abgeschoben.
      Wie es zu solchen Verwechslungen kommen kann, das möchte Regisseur Philipp Scheffner mit seiner Dokumentation „Revision“ herausfinden. Jahrelang spürte er dem Fall nach, den Strafverfolgungsbehörden wie auch den Schützen. Er macht die Familien der zwei Männer ausfindig, die von den damaligen Prozessterminen nichts erfuhren und so auch nicht aussagen konnten. Nicht zuletzt führt die Spur auch nach Rostock-Lichtenhagen, wo es 1992 zu einem der schlimmsten Pogrome der Nachkriegszeit kam.
      Der damalige Prozess wurde ohne „Revision“ eingestellt. Zahllose Ungereimtheiten stehen zur Diskussion: Das Feld war später verbrannt, erste Hilfe haben die Jäger nicht geleistet, obwohl eines der Opfer noch Stunden später lebte. Die Akte ist geschlossen, aber Scheffner lässt den Fall nicht ruhen. Mit journalistischem Spürsinn arbeitet er auf, was unter der allzu durchsichtigen Oberfläche liegt. „Gefilmtes Zuhören“ nennt er seinen Arbeitsansatz. Und sorgt so dafür, dass der Fall nun Augenzeugen kommt.

      • 8

        „Das Schwein von Gaza“ ist eine unfaßbare Komödie, die die Härten der Region en passant mitteilt. Den Leuten in diesem Film geht es nicht gut, aber das hält sie kaum davon ab, als aufrechte Witzfiguren durchzugehen. Unter dem Druck der Verhältnisse tun sich dabei gänzlich neue Koalitionen auf: Schwein und Mensch arbeiten Hand in Pfote, israelische Soldaten heulen mit arabischen Hausfrauen bei brasilianischen Soaps um die Wette, Selbstmordattentate sind eine Sportart, getanzt wird ohne Beine.
        Auf Anfrage teilt der Filmverleih mit: Das Schwein sei kein Eber, sondern eine „Sie“ - mit Namen Charlotte, Alter: 2,5 Jahre. Das gibt Sylvain Estibals Kinowunderwerk, das daherkommt, als hätte Woody Allen seinen ersten Nahost-Film gedreht, noch mal eine ganz besondere, transidentische Rolle.

        • 4

          Man wundert sich schon, wie schnell Scotts Film vom furiosen Einstand ab immer kleiner wird. Nachdem die Crew auf dem avisierten Mond Spuren der Schöpfer gefunden hat, verläuft sich die Handlung in den labyrinthischen Gängen eines prähistorischen Raumschiffes. Nun soll es wahrscheinlich beim Publikum ankumpelnd wirken, wenn die wissenschaftlichen und sonstigen Fachkräfte ein Haufen Idioten sind. Mal ehrlich: Man raucht nicht auf einem instellaren Flug und auch nicht, wenn man kaum genug Luft hat, weil die Atmosphäre auf dem Trabanten dieselbe ist wie im Auspuff vom Opel Manta. Sehen künftige Geowissenschaftler aus wie heutige Profifußballer - mit Iro und 25 Tätowierungen? Alien stammt vom schnöden Tintenfisch ab und bei Kontaktaufnahme heißt’s gleich Kopf ab. Wenig wird im Zukunftsfilm Zukünftiges gedacht. Weder stark eingeschränkte Handlung noch die überarbeitungswürdigen Effekte leuchten ein. Das Außerdirdische bleibt blaß und schweigsam. Das Orchester setzt uns Hörner auf, bis auch unsere Ohren fallen mögen. Ach, wie traurig!
          Ein einziges Mal nur tritt dieser Film überzeugend aus sich selbst heraus: Wenn der Kapitän ein Nickerchen macht und sich in dabei in eine karierte Decke wickelt. Seht her, kommentiert es sich hier ironisch - egal was da komme, auf dem Weg zu den letzten Fragen: Der Mensch wird sich in die ewige karrierte Decke wickeln, und wenn’s draußen urknallt und scheppert.

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          • 3

            Cronenbergs Blutsauger ist ein blasses Geschöpf. Wo die erste halbe Stunde einen gewissen Einfallsreichtum auffährt, hängt der Film alsbald ganz unmodern wie eine defekte DVD: Die Handlung stockt, ruckelt, am besten fängt man von vorne an. Roadmovie, ein bisschen festgefahren. Wie die derzeitige Kapitalismuskritik, könnte man sagen - na, da ist er ja doch noch, der Anschluss ans Heute.
            Immerhin schafft es der Held doch noch zum Friseur.

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            • 6

              Tod und Rosen: „Amador“ ist ein schöner Film, der sich seiner Geschichte mit hervorragender Fotografie widmet. Am Mikrokosmos der Wohnung des alten Mannes verdeutlicht Regisseur de Aranoa, was Armut und menschenwürdige Existenz bedeuten, es geht ruhig zu - stilistisch könnte "Amador" an dieser Stelle als Stummfilm durchgehen. Ein einsamer Mensch kümmert sich um eine Leiche - wo wären da Worte nötig. Die Protagonisten haben wenig Freiheit zu entscheiden, wie sie leben wollen - nicht mal die, denen es scheinbar besser geht. Gar die Toten müssen hier noch arbeiten. Schwierige Lebensumstände bringen schwierige Entscheidungen hervor - ein subtiler, aber abgründiger Humor bestimmt diese makabre Szenerie.
              „Mit seinem bizarren Ambiente kann „Amador und Marcelas Rosen“ durchaus zur neuen Machart von Filmen aus dem Spanien gerechnet werden, die Mut zu neuen Geschichten, Bildern und Gesichtern in jeder Szene spüren lassen. Elemente des Horrors und des Autorenfilms vermischen sich zu einem bildstarken magischen Filmrealismus. Magaly Solier, das Gesicht des revoltierenden Kinos aus Südamerika, gibt dem Erfindungsgeist im Alltag an der Unterseite der Gesellschaft die perfekte Gestalt: Überzeugend steht sie im Zentrum eines berückenden Films über Alter und Jugend, Leben und Tod.

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              • 5 .5

                Aus Hunderten von Stunden Material entstand der Kinofilm "Ai Weiwei - Never Sorry". Der Maler, Bildhauer, Fotograf und Kurator kommt darin ausführlich zu Wort, aber auch seine Mitarbeiter, Mutter und Bruder. Klaymans Film bietet ein umfassendes Porträt des Künstlers und Menschenrechtsaktivisten, der bis vor kurzem unter Hausarrest stand. Ai Weiwei macht aus und mit der Öffentlichkeit Kunst. Klaymans Film ist eine weitere Facette seiner Arbeit.
                An Action mangelt diesem Film nicht: Klayman ist ebenso dabei, wenn sich Ai Weiwei mit der Polizei anlegt, wie auch, wenn Bagger sein Atelier in Schutt und Asche legen. Wie ein Schachspieler sei er, sagt der chinesische Aktivist: „Der Gegner macht eine Bewegung, und dann mache ich die nächste.“ Sein Lebensmotto Freiheit hat er von einer seiner 40 Mitbewohnerinnen abgeschaut: „Eine Katze kann Türen öffnen, die anderen nicht. Und sie schließt sie niemals.“

                • 7

                  Keshavarz' Film wird mit den vielen Frontstellungen spielend fertig - und kann es dabei locker mit Asghar Faradis Berlinale-Gewinner von 2011, "Nadar und Simin" aufnehmen, auch was die Arbeit mit Farben und Licht angeht: Hier ist jede Einstellung ein Kunstwerk.
                  Iranische Filmemacher der Gegenwart scheinen es mühelos zu schaffen, anhand guter Drehbücher komplexe Fragen ins Spiel zu setzen. Über Zukunft, Freiheit und die Gestaltung des eigenen Lebens zerbricht sich nicht nur die Jugend in Teheran den Kopf. Aber in ihren Reihen stehen Menschen mit der Kamera, die daraus Kino zu machen verstehen.

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                  • 1 .5

                    "Leb wohl meine Königin" - diesen Film kann man nicht versauen, oder? Wir erleben die letzten 48 Stunden der französischen Königin Marie Antoinette am völlig verkommenen Hof von König Ludwig XVI - durch die Augen ihrer jugendlichen Vorleserin Sidonie.
                    Die österreichische Madame regiert ihren überkandidelten parfümierten Pompon-Staat, das Bürgertum hat vom Adel genug, erstürmt das Gefängnis und macht die gesamte Oberschicht einen Kopf kürzer. Die vorrevolutionären Ereignisse liefern jede Menge tragischer, aufwühlender und verwirrender Bilder, erschreckende Dialoge und Verzweiflung - mein Gott, eine jahrhunderte alte Ordnung wird umgestoßen, der Lebensnerv ganz Europas freigelegt!
                    Die bewegte Historie wird zudem mit zwei jungen wie professionellen Paradepferden des Kinos in Szene gesetzt: Als Königin Diane Kruger (die sich schon als Helena in Wolfgang Petersens "Troja" im Adel bewährte: "Ich sterbe lieber, als dass ich Menelaos heirate!" - Umstehende Menge: beredtes Schweigen).
                    Nummer zwei auf der Leinwand ist Léa Seydoux als stille Beobachterin in De- wie Anmut.
                    Keine Frage, die Kostümabteilung kommt voll rüber, hin und wieder sind auch die Freundinnen und Freunde der platonisch-lesbischen Liebe im Bild. Denn Marie ist vom König bedient und wendet sich lieber ihrer Freundin Gabrielle zu.
                    Na, das ist doch mal ein Ansatz! Und was macht Regisseur Benoït Jacquot? Deutet die Revolution auf ganz eigene Weise - und filmt Frau Seydoux’ Brüste, das es einem bald peinlich wird, hinzugucken.
                    Der Bote kommt mit schlimmer Kunde? Sidonies Brüste erzittern. Frau Antoinette verlangt nach erquickender Lektüre? Die Möpse holen Luft. Der König tritt auf den Hof? Dann gibts jetzt mal Brüste im Freien. Du gehst mittendrin mal auf Klo - sachte winken Brüste vom Screen Abschied. Jetzt ratet mal, was beim Thema Sidonie los ist, wenn Marie sagt: Geh mir mal ein Buch holen. Selbst ein Pornofilm bietet mehr Bildauswahl. Hoffentlich hat sie sich keinen Schnupfen geholt.
                    Der Rest von der Revolution bleibt draußen. Keine Bastille, keine Aufständischen, keine Guillotine. Stattdessen dieser Höhepunkt: Sidonie in den Kulissen frieren. Der Regisseur hat befohlen, dass die Antik-Klamotten nun komplett runter müssen. Das letzte Mal bebt Sidonie an der Grenzkontrolle - schwupps entschwindet sie samt Vorbau in die Schweiz, lässt Marie und die unverfilmte Revolution hinter sich. Lebt wohl, meine Brüste!
                    Dermaßen eingeschränkte Filmkunst sah man selten.

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                    • 8

                      Oberflächen, nichts als Oberflächen: Der Film zeigt eine Arbeitswelt, die vor allem aus sauberen Möbeln und Gesichtern besteht. Die Maloche des 21. Jahrhunderts ist spiegelglatt, ihre Insassen sind aalglatt.
                      Regisseurin Carmen Losmann hat sich für ihre filmische Studie dorthin begeben, wo die Verpackung für die heutige Mehrwertproduktion entsteht. Man wird den Gedanken nicht los: Die Menschen in diesem Film sind tot, sie wissen es bloß noch nicht. Fremdbestimmung ist jedenfalls nicht mehr nötig.
                      Mit der Coolness von Blattschneiderameisen sitzen sich Chefs, Spezialisten und Mitarbeiter gegenüber. „Und wo sind ihre Schwächen?“ Losmanns Film hat vor allem eine: Es ist ein Dokumentarfilm, hier ist alles echt.
                      Nicht zuletzt die Kameraarbeit ist dafür verantwortlich: Losmann hat den Meister des kalten Bildes, Dirk Lütter, fürs Fotografieren verpflichtet. Hier würde niemals ein Insekt freiwillig durchs Bild huschen; undenkbar, dass es die Ideen tun. Kreative Prozesse fördern? Man möchte den Beratern und Mitarbeitern eine Kiste Bier auf den Schoß stellen, auf dass sie ihren Wahnsinn eine Weile vergessen. Nur manchmal stehen die selbsterklärenden Figuren auch vor dem Rätsel ihrer selbst: „Lasst uns die Sache jetzt ein bisschen challengen in unsererem Bereichsmeeting“, sagt ein Firmenleiter, und korrigiert sich umgehend selbst. „Ach, ihr wollt ja keine Bereiche mehr. Na gut, wir nennen das jetzt trotzdem so.“

                      • 7

                        »Iron Sky«, der teilweise über im Internet akquirierte Kleinbeträge finanziert wurde, übertreibt die bisher bekannten Nazi-Camouflagen um ein Beträchtliches: In dem schönen Drehbuch von Johanna Sinisalo und Michael Kalesniko haben sich ein paar versprengte Anhänger Hitlers 1945 von der Polarstation »Neuschwabenland« aus auf den Mond flüchten können. »Hinterm Mond leben« – keine Ahnung, wie diese deutsche Redensart ins Finnische übersetzt wird, im Film sind es jedenfalls die Nazis, die dort leben. Man fühlt sich bei ihrer Zentralbehausung auf der Dark Side of the Moon, einer großen Raumstation in Form eines Hakenkreuzes, an die Filme von Christoph Schlingensief und Bruce LaBruce erinnert.
                        »Iron Sky« greift Motive aus den Debatten über den Umgang mit Nazis auf und transponiert sie ins Kino. Herausgekommen ist ein extrem überdrehter und nicht perfekter Film. Ob er funktioniert? Die Schwierigkeit, die Chaplin mit seinem Stoff hatte, hat man hier an den Anfang und ins Zentrum der Dramaturgie gesetzt – und den Rest drumherum gedreht.

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                        • 6
                          über GasLand

                          „Gasland“ heißt der Dokumentarfilm von Josh Fox - und das ist im US-Staat Pennsylvania ganz wörtlich zu verstehen. Denn wenn man den dort Wasserhahn aufdreht, kann es passieren, dass die Flammen herausschlagen! Der Farmer, in dessen Nachbarschaft nach Erdgas gebohrt wird, demonstriert gern noch einmal mit dem Feuerzeug, mit welch explosiver Flüssigkeit Otto-Normalamerikaner seinen Spül erledigt.
                          Fox war selbst vom Erdgasbohren betroffen. In den USA wurden in den letzten Jahren große Gas-Reservoirs ausgemacht - und es ist ausgerechnet die Firma Halliburton, die mit ihrer Bergung beauftragt ist. Ein Konzern, einst durch äußerst lukrativen Geschäfte unter der Ägide des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney im Irak bekannt geworden. Nun ist er im eigenen Land tätig: Fracking heißt die Technik, mit der ein brisanter Chemiecocktail per Hochdruck in die Erde gepumpt wird: Arsen, Brom, Chlor und Quecksilber. Die ansässige Bevölkerung wird gekauft oder drangsaliert. Am anderen Ende des Bohrlochs soll dann das Erdgas geerntet werden. Und das Grundwasser liegt dazwischen.
                          Die Fracking-Chemie findet ihren Weg in Tier und Mensch: Den Katzen fällt das Fell aus, den Leuten die Haare. Wo Erdgasvorkommen erschlossen werden sollen, leidet die Gesundheit. Der Geschmackssinn geht dahin, wenn der Rohstoffhunger kommt: Betroffene wie auch Aktivisten, die für ihre Bürgerrechte kämpfen, geben Fox’ Kamera bereitwillig Auskunft. Von den Versuchen, die Verantwortlichen vors Mikrofon zu kriegen, zeugen die Einspielungen dutzender Telefonwarteschleifen. Ist doch besser, als vom Erdöl abhängig zu sein, sagen die wenigen Firmenmitarbeiter, die Fox vor die Linse kriegt.
                          Sein mehrfach prämierter Film sorgt für die Wahrnehmung dieser Art Umweltzerstörung.

                          • 7

                            Afghanistan ist die Pest - zumindest, wenn man den Protagonisten in Martin Gerners Dokumentarfilm „Generation Kunduz - Der Krieg der anderen“ glaubt.
                            Kunduz ist jene Stadt, die hierzulande durch die Bundeswehr in die Schlagzeilen gekommen ist: 2009 ließ ein Bundeswehrkommandant zwei Tanklaster bombardieren. Ergebnis: zwischen 90 und 140 Toten. - Hä, zwischen und? Zählen ging nicht. Im Film fällt der Satz: „Die waren nur noch Asche.“
                            Der Krieg der anderen ist auch sonst der eigene: „Wer der Nato zu nah kommt, wird erschossen“, erzählt Student Hasib. Außerdem seien die ausländischen Truppen superschnell mit dem Panzer unterwegs: Wr bei Drei nicht im Straßengraben sei, werde geplättet.
                            Die Gegenseite gibt’s übrigens auch noch. Hasib: „Die Taliban haben alle Motorräder. Wenn man Wahltinte an den Händen hat, schneiden sie einem den Finger ab.“
                            Fünf junge Menschen porträtiert Afghanistan-Profi Gerner, der für deutsche Medien berichtet und auch jungen Afghanen die Freuden des Journalismus näher bringt.
                            Wie zum Beispiel Nazanin, eine junge Radio-Reporterin, die eine regelmäßige Sendung hat und bei ihren Hörern vor allem für ihre Stimme geliebt wird. „Meine Familie sagt, meine Stimme ist schlecht“, sagt sie.
                            „Meine Familie sagt, Filme machen ist etwas, wofür man sich schämen muss“ - das sagt Regisseur Ghulam.
                            Familie. Das scheint neben Nato und Taliban die dritte militante Kraft zu sein.
                            Gerner besucht Ghulam am Set seines Films „Soni und Sadaf“. Hier wird eine große Liebe auf Digital Beta gebracht. Als Kunstblut dient Tomatenketchup. Bald ist Premiere im Kulturzentrum. Sofas zurechtgerückt, Bettlaken als Leinwand drapiert, Publikum hingesetzt. „Wir brauchen eine ordentliche Filmkultur“, posaunt der Chef. „Denn ausländische Filme sind doch so: Stundenlang warten die Jugendlichen nur darauf, dass sich Mann und Frau küssen!“. Ghulam guckt woanders hin: Gerner sagt er: „Ich liebe Jackie Chan. Er kämpft mit allem, was er vorfindet.“
                            Student Hasib sagt stellvertretend für alle anderen: „Wer in Afghanistan etwas bewegen will, wird umgelegt.“ Tätig ist die junge Generation trotzdem. „Will ein Land Fortschritte machen, dann braucht es die freie Kunst“, sagt er.
                            Das nächste Mal also lieber Gerhard Richter abwerfen statt Bomben, bitte. Hier sind junge Kräfte am Werk, die ziemlich eingekeilt sind. Gedreht wird in Farbe - super Film, Ghulam!
                            Das Gleiche gilt für Herrn Gerner.

                            • 1 .5

                              „Russendisko“ lautet der Titel des Welterfolgs von Wladimir Kaminer - und nun ist das Buch verfilmt, juchhu...!
                              So, hier können wir auch gleich wieder aufhören. Kaminers erstes Buch ist zwar jetzt leinwandkompatibel, aber auch mit Matthias Schweighöfer. Und der kann außer nervig gar nichts: Er hat das einzigartige Talent, jeden Film in Sekundenbruchteilen in schlechte Witze zu zerlegen.
                              Dabei hätte das Projekt durchaus Potenzial gehabt: Mit zwei Freunden gelangt Schriftsteller Kaminer zu Zeiten des Mauerfalls aus der Sowjetunion nach Berlin. Wie sie Geld verdienen sollen, wissen sie nicht. Da sind sie aber wahrlich nicht allein, denn das geht zu dem Zeitpunkt halb Europa so - heute sieht’s nicht anders aus.
                              Kaminer beginnt mit nichts als einer Kiste voller Schallplatten russischer Punkbands das „Kaffee Burger“ in Berlin-Mitte zu bespielen. Alsbald gilt der Event als irrste Variante aller Berliner Abschlepp-Partys.
                              Parallel zimmert er an seinem Ruf als Autor - legendär ist zum Beispiel jene Geschichte, in der er von zwei Russen in der U-Bahn berichtet, die einen Auftragsmord klarmachen. Und nicht wissen, dass ihr Sitznachbar ebenfalls Russisch spricht. Es folgen Poetry-Slams, Riesenpartys, Literaturpreise.
                              All dies hätte in der Tat einen prima Spielfilm abgeben können. Aber die Entwicklungen, die Kaminer in seinen Texten so nah am Alltag beschreibt, fallen zugunsten einer äußerst dürftigen Beziehungsanbahnung zwischen dem Film-Kaminer und seiner Olga (Peri Baumeister) hintenüber. Und auch das ginge womöglich noch, hätte man für die Titelrolle einen Schauspieler ausgesucht. So bleibt die gelungenste Sequenz noch ein Animations-Filmchen-im-Film über Olgas Herkunftsort Sachalin.
                              Junge Paare hätten sich in der Sowjetunion grundsätzlich nur ins Dunkel des Kinos zurückziehen können, schreibt Kaminer. Filme und Musik seien die wichtigsten Anmachschuppen: „Beides findet in der Dunkelheit statt, weil echte Kommunikation die Dunkelheit mag.“
                              Keine schlechte Idee. In diesem Sinne, Leute: Macht bei „Russendisko“ einfach die Augen zu und stellt den iPod an.

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                              • 6 .5

                                Ganz wie es sich im sozialen Drama produit en France gehört, wird der Zuschauer mit positiven Gefühlen und märchenhaften Ausblicken aus der Erziehungsanstalt Kino entlassen, gegen die die „Die fabelhafte Welt der Amélie“ wie der Heimatplanet von Aliens aussieht. Zu fragen bleibt: Ist das nicht zu viel des Guten?

                                Die Problemlagen, für die der Film beinah märchenhafte Lösungen bereithält, sind höchst real - wie die Antworten scheinbar naiv. Guédiguans Appell an den Gemeinsinn, an das Bewusstsein dafür, dass man sich mehr umeinander kümmern muss, weil alles andere doch auf einen zurückfällt, ist aber durchaus diskussionswürdig. Der Regisseur möchte konstruktives Wirken als politisches Prinzip verstanden wissen, als Formel des Zusammenlebens. Die Devise lautet: Eine andere Welt ist möglich. Und zwar vor der Haustür.

                                Der Gewerkschafter als Protagonist einer positiven sozialen Utopie - naiv oder nicht: Hier ist er ein Typ, den der Kino-Marseiller auf der Straße grüßt.

                                • 7

                                  Immer wieder durchbricht der Film seine eigenen Konventionen und behaupteten Rollen- und Genreklischees: Etwa wenn sich die Chefin des örtlichen Militärkommandos als ehemalige Hausfrau entpuppt. Die schöne Nora ist nicht nur jung, sondern auch intelligent und wahrt ihre Chancen im Gang-Krieg. Auch der Schluss des Films bricht so überraschend anders wie unerwartet über seine Figuren herein.
                                  Man lernt viel darüber, wie das Leben mit und ohne Benzinmangel funktioniert und wie sich darüber Beziehungen im Alltag organisieren. Munga weiß mit den Gegebenheiten wie Ruppigkeiten vor Ort zu spielen und sie geschickt einzusetzen.
                                  Krieg, Verbrechen, Korruption, Lebensmittel- und Energieknappheit, Armut und das Zerbrechen familiärer Strukturen, Tod im Backofen. Gegenwärtig wie Mord und Diebstahl ist der Stromausfall, was zu allerlei skurrilen Situationen führt - der Showdown steht an und schon stehen alle im Dustern.
                                  In dieser Echtzeitkulisse einen solchen Film zu drehen, dürfte nicht einfach gewesen sein. Und so fand die Verpflichtung der Schauspieler in Form eines Workshops statt, in dem sie ihre Eignung für die Rollen testeten, aber auch Weiterbildung in Tai-Chi und Tanz betrieben. Daraus wurden die Figuren entwickelt, später folgte ein weiteres Seminar. Kinofilm als Fortbildung: Der Film entstand quasi und kurioserweise als Casting-Prozess.
                                  "Viva Riva" tritt den Beweis an, dass sich im politischen Raum zündende Geschichten eminent unterhaltsam erzählen lassen.

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                                  • 4

                                    Annaud hat sich mit "Black Gold" eines hochinteressanten Themas angenommen: Der Beginn der Ölförderung im Saudi-Arabien der 30iger Jahre. Antonio Banderas spielt den fortschrittsgläubigen Wüstenfürsten Nessib, der mit texanischen Öl-Heuschrecken gemeinsame Sache macht. Dort wo er sich mit seinem Kontrahenten Amar geeinigt hat, den Boden nie wieder anzurühren, um jeglichen Krieg zu vermeiden, da steckt er jetzt seine Bohrer hinein. Und Amar? Der hat sogar seinen Sohn am Hof Nessibs gelassen, damit Friede zwischen den Stämmen der arabischen Halbinsel herrscht. Edler Araberfürst!Hier sollte eine neue Form östlicher Geschichtsschreibung angestrebt werden - quasi ein antikolonialer Gegenentwurf zum Hollywood-Kino. Eine schöne Idee, Geld war auch genug da. Nur muss es irgendwie Probleme gegeben haben: Die Dialoge sind aufgesetzt, vor allem beim armen Banderas: Die Handlung versandet leicht, man fragt sich, was die Schauspieler da eigentlich so treiben.

                                    • 4 .5

                                      Angelina Jolies viel diskutiertes Regiedebüt ist eher gut gemeint als wirklich gut.

                                      • 6 .5

                                        Der brennende Mann, der mit der Machete geschlagen wird; das Kind, das vor Schwäche zusammenbricht, beobachtet von einem Geier: Dies dürften wohl die ausdrucksstärksten Bilder sein, die eine Gruppe von jungen Kriegsfotografen, bestehend aus Greg Marinovich, Kevin Carter, Ken Oosterbroek und João Silva - genannt der „Bang Bang Club“ - veröffentlichte. Regissseur Steven Silver hat ihnen jetzt ein gleichnamiges filmisches Denkmal gesetzt.
                                        Auch wenn der Film manchmal sehr eingeschränkt auf die Hauptfiguren zugeschnitten ist: Silver ist ein sehr spannendes Werk gelungen, dass einen - im populären Kino sehr seltenen - Blick auf die Zeit der Apartheid wirft. Und nebenbei noch den Beruf des Kriegsberichterstatters einer kritischen Würdigung unterzieht.

                                        • 8

                                          Debüt-Regisseurin Larys Kondracki zeichnet in ihrem engagierten, gut besetzten Film die Wege des Mädchenhandels durch die Reihen der Politik dezidiert nach.

                                          • 7 .5

                                            „Das ist für mich mehr als ein Film“: Malaysias Actionstar Michelle Yeoh, bekannt aus „Tiger and Dragon“ und James Bond-Filmen, ist sich sicher, dass sie das Werk ihres Lebens abgeliefert hat. „The Lady“ heißt das zweistündige Kino-Porträt der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die in ihrer Heimat Burma einfach „Daw Suu“ genannt wird - eben: Lady Suu.
                                            Yeoh, zierlich, quirlig, kämpferisch, gibt mit ihrer Hauptrolle einer der erstaunlichsten politischen Biografien unserer Zeit Gestalt. Suu Kyis Werdegang als Ikone des Widerstands gegen eines der repressivsten Militärregime der Welt verlangt wohl nach einer starken Identifikation mit dem Sujet. In „The Lady“ wird Yeoh zu Suu Kyi - rein optisch wie auch im Herzen des Zuschauers: Jahrelang hat sich die Schauspielerin mit nichts anderem beschäftigt als mit ihrer Suu-Kyi-Werdung. Sogar die halsbrecherische Landessprache Burmas hat sie gepaukt. Was Wunder: „Use your feelings to promote ours“ habe ihr Suu Kyi bei dem einzigen Treffen mit auf den Weg gegeben, erzählt Yeoh.
                                            Besson und Yeoh haben einen Liebesfilm gedreht, ebenso wie ein politisches Epos. Besson erleichtert dem Zuschauer den Einstieg in den Stoff über das Privatleben seiner Protagonistin. Manchmal scheint die Kamera etwas stark an den Hauptfiguren zu hängen: Es gibt Stellen, da wünscht man sich weniger Kammerspiel und mehr Blick auf die internationalen Verflechtungen des Regimes: Wer hat von der Repression profitiert? Wieso brachte internationaler Druck keine Ergebnisse? Nichts destotrotz erhellt der Film viele Aspekte, die wenig bekannt sind.
                                            Zuallererst erhofft sich der Regisseur denn auch von seinem Film „dass er gesehen wird“. Einen Oscar für Yeoh fände er schön, zumal den noch nie eine Frau aus Asien gewinnen konnte. Verdient wäre er. Denn „The Lady“ ist, ganz wie Yeoh sagt, mehr. Vielleicht sogar mehr als Kino: Kino der Menschenrechte.

                                            • 4 .5

                                              Das Plakat zum Film „Huhn mit Pflaumen“ verheißt Pastellfarbenes: Sternchen, bunte Berge, freundliche Pflanzen in Scherenschnitt-Atmo und einen einsamen Mann mit Geigenkasten. Ein schönes Ensemble.
                                              Regisseurin Marjane Satrapi kennt sich mit Malerei und Poesie aus. Die iranische Zeichnerin aus Paris ist weltberühmt geworden mit ihrer graphic novel „Persepolis“, mit der sie ihren Exodus aus Teheran beschrieb.
                                              „Huhn mit Pflaumen“ erschien im Jahr 2006 ebenfalls als Comic. Darin erzählt die Autorin vom traurigen Großonkel Nasser Ali Khan, einem hochbegabten Lautenspieler, dessen eklige Ehefrau ihm das geliebte Instrument zerschlägt. Daraufhin beschließt er, sich noch acht Tage Leben zu geben. Dann gibt’s Selbstmord.
                                              Die Story hat Satrapi jetzt selbst verfilmt. Die leicht platte Geschichte - frustrierte Alte ruiniert Hochsensiblem die Verbindung zum Weltmusikgeist - wird gehörig aufgeladen. Nasser Ali war - der Rückblick zeigt’s - unsterblich verliebt in das wunderschöne Mädchen Iran; allein sie heiratet einen anderen. Den Musikus, im Film übrigens Violinist, verschlägt es seinerseits in die Arme der ungeliebten Dorfschullehrerin. Kein Wunder, dass er kränkelt.
                                              Die Regisseurin gestaltet Alis Lebensende mit großer Genre-Vielfalt: Soap, Cartoon-Rückblick, Loops, Schnelldurchlauf, Klischee: Das Heranbrausen der schönen Frau kündigt sich mit ihren hochhackigen Schuhen an, die - klackklack, na? - Genau: verführerisch übers nasse Kopfsteinpflaster eilen. Weiter oben ist der Lippenstift - na, klar - verrutscht.
                                              Ein Kosmos auf melancholisch belichtetem Material: Hier geht’s ums große Gefühl, poetisch real und zunehmend suizidal. Auch der Zuschauer. „Huhn mit Pflaumen“ ist übrigens ein beliebtes persisches Gericht.
                                              Musik gibt’s in diesem Musikfilm erstaunlich wenig. Dafür ist es Regisseurin gelungen, die richtigen Gesichter für ihren Film zu casten: den traurig-lebensmüden Mathieu Amalric und andere ätherische Wesen wie Chiara Mastroianni und Isabella Rosselini - alles Leute, die auch sonst den ganzen Tag lang mit Blumen sprechen und mit Libellen tanzen.
                                              Zudem hinterlässt Satrapi eine wirklich denkwürdige Szene: Als eine Kettenraucherin beerdigt wird, entweicht die Seele als durchaus blickdichter Zigarettenqualm. „Ihre Seele ist so dicht, dass sie sich jetzt noch materialisiert“, erklärt einer der weisen Darsteller.
                                              So was nennt man Liebeserklärung - ein Film wie ein Filmplakat.

                                              • 8

                                                Weinen und Lachen – manchmal beides gleichzeitig – sind die dramaturgischen Prinzipien dieses Films, und das in ganz plastischem Sinne: Der Krieg und seine Folgen werden anhand des spanischen Clowngeschäfts erzählt. Dass der Job des Possenreißers vererbt wird, dass es im klassischen Zirkus vor allem den traurigen, dummen August und den schönen, geliebten, lustigen Clown gibt, sorgt für den nötigen Drive.
                                                Splatter, Horror und Geschwindigkeit sind die prägenden Stilzutaten von »Mad Circus«. Seit früher Kindheit arbeitet Iglesia an dem Stoff, den er in seinem Film ausbreitet. 1973 war der Regisseur acht Jahre alt. El Lute, der Ausbrecherkönig, hielt die Polizei auf Trab, der rechtsgerichtete Ministerpräsident starb durch eine Autobombe, im Fernsehen tobte täglich eine Clownsfamilie herum. »Das alles vermischt sich in meiner Erinnerung zu einer seltsamen Halluzination«, sagt der Regisseur.
                                                Die Halluzination heißt Kunst, und sie ist beeindruckend. Sie beschreibt Politik. Und wie diese in den Menschen wirkt.

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                                                • 7

                                                  Die Filme des israelischen Regisseurs Eran Riklis surfen hart auf der Kante - meist auf jenen des Nahost-Konflikts: So inszenierte er etwa in „Lemon Tree“ die politische Lage als Nachbarschaftsstreit zwischen einer palästinensischen Zitronenzüchterin und dem israelischen Verteidigungsminister.
                                                  Auch sein neuer Film mit dem etwas sperrigen Titel „Die Reise des Personalmanagers“ bringt die politischen Verhältnisse auf eine griffige Formel: Terror und prekäre Arbeitsmigration. Und es wäre kein Film von Riklis, wenn er nicht heftig verdichtete: So ist denn die eine Hauptfigur schon mal eine Leiche.
                                                  Yulia, aus Rumänien eingewanderte Mitarbeiterin einer der größten Bäckereien Israels, ist bei einem Selbstmordanschlag getötet worden. Ihre Abwesenheit hat bisher niemand bemerkt - die Verwandtschaft ist weit weg.
                                                  Ihre Abwesenheit am Fließband war erstmal genauso wenig weltbewegend. Der Tenor auch in diesem Großbetrieb wie seit jeher in allen Spielarten dieser Organisationsform: In der Fabrik ist jeder austauschbar.
                                                  Der - natürlich ebenso austauschbare - Reporter vom Skandalblatt sieht das anders. Mit einer groß aufgezogenen Boulevard-Story hagelt es nun Negativschlagzeilen auf den angeblich herzlosen Betrieb.
                                                  Nach einigen Verwicklungen ist der persönlich durch Scheidung und andere kleine Alltagskatastrophen leicht gebeutelte titelgebende Personalchef - ebenso wie die anderen Figuren außer der schönen Leich’ namenlos - gezwungen, die Ehre der Firma zu retten. Alsbald sieht man den tapferen Mann Yulias Leiche mit dem Schützenpanzer in ihre rumänische Heimat fahren. Die Präsenz des Krieges im Zivilen wird von diesem Gefährt mustergültig verschaubildlicht: In einer menschenfeindlichen Welt erscheint das Militärgerät das einzig realistische Mittel der Fortbewegung. Und der wild zusammengewürfelte Menschenhaufen darin, tot wie lebendig, wird zur eingespielten Besatzung.
                                                  Riklis erzählt viel davon, wie die Menschen auf ihrer kurzen wie ewig langen Reise leben: Was ist wo verboten, wer lebt wie inmitten von Auseinandersetzungen? Wo sind die Jugendlichen am schwer erziehbarsten? Wer zieht einen wie hier und dort an den Ohren? Fazit: Kleine Brötchen backt man überall, die anderen erwischt’s: Es sei kein Wunder, dass Yulia abgehauen sei, sagt ihre Mutter. „Hier ist es doch so langweilig...“
                                                  Ein Meilenstein in der Geschichte des Leichentransport-Roadmovies.

                                                  • 3

                                                    Nach außen mal öko, mal leistungsbereit, protestantisch, ebenso überschwenglich wie bipolar – aber immer uneigentlich: Da macht sich doch Mitleid mit den Figuren breit. Hier werden entfremdete Menschen gezeigt. Das sieht eher traurig denn lustig aus. Eine zeitgemäße Inventur zum Zweck des Erkenntnisgewinns müsste wohl anders beschaffen sein. Was würde Charlotte Roche aus diesem Stoff machen?

                                                    Die Situationskomik wird immer öder und vorhersehbarer: Die Betrunkenen stolpern über Zeitungsständer, man lockert die Krawatte, die Schminke verschmiert. Man schauspielert hölzern und berechenbar, bis zum Ende. Ein Feuerwerk an Gags, die nicht zünden.

                                                    Hier soll der Bürger über den Bürger lachen. Was so seit fünf Jahren frenetisch bejubelt wird, ist hier ein antiquiert wirkendes Stückchen Boulevard im Zeichen vermeintlicher Hochkultur. Die ist ja oft etwas überreizt.

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