Mein Senf - Kommentare

Alle Kommentare von Mein Senf

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    Je weiter die Handlung in „Babycall“ (2011) voranschreitet, desto sicherer ist man, dass die groß vorbereitete Auflösung der Geschichte den Zuschauer zwangsläufig enttäuschen muss. Zwischendrin kreiert Regisseur Pal Sletaune zwar eine Handvoll veritabler WTF-Momente und schafft eine durchaus beklemmende Atmosphäre, leider gerät der Mittelteil aber trotzdem reichlich zerfasert, tempo- und spannungsarm und krankt zudem an einer Story, die sich darin genügt beschränkt, ständig neue Rätsel aufzuwerfen. Selbst Noomi Rapace, deren natürliches Spiel für einige Spannungshänger entschädigt, kann da am Ende nicht wirklich etwas rausreißen.

    Um ihren gewalttätigen Ehemann zu entkommen, sucht die labile Anna (Noomi Rapace) mit ihrem Sohn Andres (Vetle Qvenild Weering) Schutz in einer anonymen Hochhausiedlung. Über ein interferierendes Babyphone, das sie aus Fürsorge für ihren Sohn gekauft hat, belauscht sie ein vermeintliches Verbrechen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Aus Sicht der Schulbehörde und des Jugendamtes, die Andres Entwicklung überwachen, gilt sie aufgrund ihres zunehmend wahnhaften Verhalten jedoch bald als eigentliches Problem.

    „Babycall“ (2011) wird gerne als Mindfuck-Movie missverstanden. Dieses Thriller-Subgenre bezieht seine Wirkung in erster Linie daraus, dass der gesamten Film sklavisch um einen finalen Plottwist herum konstruiert wird. Dieser überrascht den Zuschauer im Optimalfall komplett aus dem Nichts und stellt die Handlung komplett auf den Kopf stellt. Vor allem Ende der postkulturellen 1990er-Jahren war dieses Erzählprinzip äußerst populär und brachte populäre Filme wie „Die üblichen Verdächtigen“ (1995), „Twelve Monkeys“ (1995), „The Game“ (1998), „The Sixth Sense“ (1998), „Arlington Road (1999) „Fight Club“ (1999) und „Identität“ (2003) hervor. Diesen Plottwist gibt es zwar auch in „Babycall“, allerdings macht Regisseur Pal Sletaune von Beginn an keinen Hehl daraus, dass er irgendwann kommen wird. Sein Konzept zielt im Gegensatz zu den angeführten Beispielen also nicht darauf, den Zuschauer unvorbereitet zu treffen, sondern, ihn über die Art der Auflösung rätseln zu lassen. Dazu wird die Heldin Anna von der ersten Minute als labiles Psychowrack gezeichnet, die mehr als einmal explizit betonen darf, dass man ihrer Wahrnehmung keinen Glauben schenken sollte. Über einen gewissen Zeitraum entfaltet dieses Spiel sogar einen gewissen Reiz, zumal dem Zuschauer regelmäßig und recht geschickt eingeflochtene Hinweise über einen möglichen Ausgang der Geschichte gereicht werden. So erfrischend und aufrichtig dieses Spiel mit offenen Karten innerhalb eines Psychothrillers zu Beginn wirkt, so sehr erweist es sich alsbald als Boomerang. Es verhindert einerseits, dass Anna als Identifikationsfigur infrage kommt, anderseits wirft es den Zuschauer immer wieder aus der Geschichte, da er ständig auf Dechiffrierung gepolt wird und sich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr wirklich auf die eigentliche Handlung einlassen kann. Darunter leiden dann auch zwangsläufig die Spannungssequenzen, in denen der Zuschauer eher darüber rätselt, ob diese Momente nicht nur einer Kopfgeburt der Protagonistin entstammen.

    Zudem fällt Sletaune im Verlauf des zweiten Aktes auch schlicht zu wenig Spannendes oder Originelles ein, um den Zuschauer bis zum finalen Twist wirklich fesseln zu können. Das eint „Babycall“ (2011) dann wieder mit einem Großteil der angesprochenen Mindfuck-Movies, die sich oft allzu sehr auf die Wirkung ihrer finalen Enthüllung verlassen und darüber das Geschichtenerzählen vergessen. So straff und effizient die Story zu Beginn erzählt wird, so fragmentarisch entwickelt sie sich im Verlauf des zweiten Aktes. Zudem bereichern einzelne Substory, etwa um die Beziehung zwischen Fachverkäufer Helge und seiner todkranken Mutter den Hauptplot nicht wirklich und evozieren Verwirrung statt Erkenntnis. Aber das mag durchaus Methode haben. Tatsächlich beschränkt sich Sletaune bis zum Ende weitgehend darauf, den Zuschauer durch das Kreieren rätselhafter Situationen bei der Stange zu halten. Ein Prinzip das am Ende auch die Mystery-Serie „Lost“ (2004-2010) zum Einsturz brachte. Bei diesem Haufen Fragen muss die Auflösung fast zwangsläufig enttäuschen und ist darüber hinaus auch nur mäßig originell. Dagegen ist am Ende auch eine intensiv aufspielende Noomi Rapace in ihrer letzten Rolle vor ihrem Gang nach Hollywood weitestgehend machtlos.

    „Babycall“ bleibt am Ende eher durchschnittliche Psychothriller-Kost. Wer es durch den mitunter quälend langsamen Mittelteil schafft, wird immerhin mit einer durchgehend beklemmenden Atmosphäre und einer toll aufspielenden Noomi Rapace belohnt. Nicht allerdings mit einer vollkommen schlüssigen Pointe.
    Daran werde ich mich erinnern: Das Setzkastenhochhaus.

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    • Wenn der Film es schafft, dass die Hipster sich danach statt peinliche Scorpion-Blousons weiße Hemden, Weste und Krawatte anziehen, kann ich mit dem Film gut leben.

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      • Mir wird nicht wirklich klar, worin denn die Lösung der angeblichen Komödien-Krise bestehen soll. An dieser Stelle Adam Sandler anzuführen, der seit Jahren wie kein anderer sowohl für die von dir kritisierten "Selbstfindung des Clown" steht (siehe "Wie das Leben so spielt", Punch-Drunk Love", "Reign over me") und dessen Vitae auch Läuterungsgeschichten in Komödien-Dutzend aufweist (siehe z.B. "Leg dich nicht mit dem Zohan an", "Mein erfundene Frau", "Big Daddy" "Klick", "Bedtime Storys") lasse ich da einfach nicht gelten. Und das bischen Name-Dropping (Jason Reitman, Billy Wilder und Frank Capra) ist mir da eindeutig zu wenig.
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        Und überhaupt: Was spricht eigentlich prinzipiell gegen Läuterungsgeschichte in Komödienform?
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        Liegt es daran, dass du Läuterungsplots grundsätzlich ablehnst, oder daran, dass die konkrete Ausgestaltung häufig nicht mit deinem persönlichen Lebensentwurf korelliert (siehe "The Hangover", "Hallpass")?
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        Der hier auch in den Kommentaren reflexhaft ausgestoßene Allheilsbringer "Anarcho-Komödie" mal in allen Ehren. Das war ist und wird -genau wie die Satire oder Farce- immer ein Nischenprodukt bleiben, denn solche Filme wollen ja per se unbequem und unangepasst sein.

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        • "Saul und Dale", "Cheech und Chong" "Harold und Kumar" - wieso müssen Doper eigentlich immer im Doppelpack auftreten?

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          • "im Grunde geht mir eigentlich jede Diskussion um ihn immer ein wenig auf die Nerven, weil sie selten Neues zum bereits jetzt schon über Gebühr thematisierten Filmemacher hervorbringen"

            Digga! Alles, über was ihr euch Gedanken macht, hab ich schon durchdacht, bevor ihr geboren wurdet.

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            • Ich weiß gar nicht was ich unangenehmer/befremdlicher finde. Die User, die aus seltsamer Geltungssucht die Deutungshoheit über das Thema damit gewinnen zu versuchen, indem sie der Mr. Vincent Vegas Artikel gönnerhaft als "gelungene Satire" und "lustige Ironie" abtun (ja, wir ahben alle verstanden, dass ihr euch nicht mehr von Vega provozieren lasst -eine echte Lebensleistung). Oder jene User, die diese offenkundig ironischen Statements dann tatsächlich für bare Münze nehmen.

              An beide Gruppen: Ich glaub es hackt!

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              • Filmemachen ist und wird immer ein Teamsport bleiben. Die damit verbundene Arbeitsteilung kann betrifft auch das Drehbuchschreiben. Selbstverständlich kann es zu einem gewissen Punkt zu einem Viele-Köche-verderben-Brei-Effekt kommen, aber daraus generell ableiten zu wollen, dass manche Hollywooddrehbücher nur deshalb schlechter sein sollen, weil mehrere Leute dran geschrieben haben, halte ich für falsch. Das beste Gegenbeispiel liefert du ja selbst. Das Originalskript von "Planet of the Apes" wurde ebenfalls von zwei Leuten erdacht, die innerhalb des kreativen Prozess untereiander mit absoluter Sicherheit ähnliche Kämpfe ausgefochten haben, die du anhand von Prometheus angeführt hast. Ein Team kann immer mehr leisten, als eine einzelne Person. Gleichwohl kann es aber natürlich schlechtere Arbeit abliefern.

                Zudem muss ich dir leidenschaftlich widersprechen, wenn du sagst, dass Drehbuchschreiben eine Kunst und keine Handwerk sei. Das ist einer dieser typischen Fehlein- und Unterschätzungen, der so viele Autoren unterliegen. Kunst geht gar nicht ohne Handwerk. Wenn sich der Drehbuchschreiber ausschließlich als Künstler betrachtet, wird er darüberhinaus sein Handwerk vernachlässigen und seine Geschichte versagt fast zwangsläufig.

                Darüberhinaus breche ich mal eine Lanze für -wie du es formulierst "Plotschablonen". Ich würde es ja eher mit "Genre- und Erzählkonventionen" beschreiben. Der unerfahrene Künstler mit all seinen überbordenden Ambitionen, ein bahnbrechendes Kunstwerk zu erschaffen, missversteht solche Genre- und Erzählkonventionen häufig als Beschränkung seiner künstlerischen Ader. Tatsächlich hemmt diese Beschränkung allerdings nicht die Kreativität eines Künstlers, sie inspiriert sie. Sie sind wie das Reimschema des Gedichtes für Drehbuchautoren. Kreativität ist wie ein Muskel, der nur stärker werden kann, wenn er gegen Widerstände arbeitet. Genau deshalb legen sich Künstler solche Steine und Barrieren vollkomen freiwillig in den Weg. Sie disziplinieren den Künstler, sie verleihen seinem Kunstwerk einen klaren Fokus und verstärken damit seinen künstlerischen Wert. Die Herausforderung besteht darin, die Konventionen einzuhalten und das Klischee zu vermeiden.

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                • Schöne Pointe zu diesem Film doch recht soliden Fernsehfilm. Wenn sie mutig gewesen wäre hätte sie gleich offensiv damit umgehen können eine Texttafel voranstellen können. "Das Drehbuch zu diesem Film ist zu weiten Teilen abgeschrieben und verwendet Zitate, die nicht als solche kenntlich gemacht werden".

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                  • Gibt es eigentlich auch "Maskulinisten"?

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                    • Ich finde es putzig, wie schnell sich an dieser Stelle mit erschreckender Zuverlässigkeit Stimmen melden, die A) jegliche Auseinandersetzung mit dem Thema kategorisch scheuen und reflexartig "Emanzenkram" stöhnen, B) sich aus unerfindlichen Gründen von solchen Artikeln persönlich angegriffen fühlen, C) solche Filme damit legitimieren, weil es sie "so oder so ähnlich gestrickt" schon seit immer gibt, oder D) (und eigentlich am Schlimmsten) sexistische Filme damit rechtfertigen, dass schwerpunktmäßig Frauen (natürlich total generalisiert) sie ja schließlich lieben und dafür ins Kino rennen.

                      "Filmosophies Welt" will ich auf mp schon allein deshalb nicht missen, weil sie es (im Gegensatz zu den jüngsten Vega-Aneck-Episoden) immer noch zuverlässig schafft, zu polemisieren, zu provozieren und in letzter Insatnz auch zu demaskieren. Diese Rubrik fördert zutage, was hinter der Fassade aus Filmwissen, überdurchschnittlicher Bildung und vermeindlicher Aufgeklärtheit so alles schlummern kann.

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                      • Ich hab den leider verpasst. Durfte Alexandra Neldel auch Ugg-Boots in Karbul tragen?

                        • 22-27-jährige als Superhirne im Hintergrund einzusetzen, während die 70-jährige an der Front die körperliche Arbeit übernehmen - Die Idee ist so dumm-durchgeknallt, dass ich das Endergebnis kaum erwarten kann.

                          • Ein sehr witziger Beitrag. Über die Qualität der Rangliste kann ich allerdings nichts sagen, weil ich Filme seit jeher aus Prinzip nur in der Synchronfassung schaue. OV ist nämlich nur für Leute, die nicht richitg deutsch können.

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                            • Kommerziell hat sich das Engagement von Til Schweiger für den NDR allemal gelohnt. In künstlerischer Hinsicht wird ja derzeit emsig (auf mp gerne auch per doppelt- oder fünffach-Post) über die Deutungshoheit gestritten. Inszenatorisch gelungen, hatte der Menschenhändler-Plot zwar mit enigen Plot-Durchhängern zu kämpfen, unterm Strich wars aber ein recht solider Einstand. Definitiv aber weder 'der schlechteste Tatort aller Zeiten' (Hater-Sprech aus einschlägigen Tatort-Foren), noch der "Tatort to end all Tatorts (SpOn).
                              Die ganze Nummer ist sicherlich ein echte Bereicherung für die Tatort-Reihe und den Zuschauer (mehr Vielfalt), für das Fernsehen (Etablierung höherer technischer TV-Standards, siehe Plansequenz bei der Verfolgungsjagd) sowie nicht zuletzt Til Schweiger selbst, der nach zahllosen kommerziell gescheiterten Versuchen ('Adrenalin', 'Der Eisbär', 'Driven', 'Rache', 'Der rote Baron', 'Far Cry', 'Schutzengel') endlich seinem Action-Faible in Anwesenheit eines großen Publikums frönen darf.

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                              • Die Quote lag übrigens (lt. kress und quotenmeter ) bei 12,57 Mio.

                                • Auf jeden Fall ist Megan Fox wahrscheinlich eine der wenigen Darstellerin, die comicmäßiger ausschaut, als ihre Comicvorlage :-)

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                                  • Wieso muss ich immer an die Spaßbrillen aus ZakMcKracken denken, wenn ich das JJ-Abrams-Portrait auf der rechten Seite betrachte?

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                                    • Kann es sein, dass dieser Milliardärsclub weit mehr über den Werverfall der amerikanischen Währung bzw. die Preissteigerung von Kinotickets aussagt, als über den tatsächlichen Publikumserfolg?

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                                      • Och nö, du nicht auch noch im diffusen Anti-Til-Schweiger-Modus :/

                                        Wenn du Schweiger-Hetze unbedingt mit einem Oscar-Thema tarnen willst, dann nimm doch die viel näherliegende Academy-Award-Winnerin Anne Hathaway, die derzeit gut als amerikanisches Pendand zu Til Schweiger durchgeht und sich nahezu mit den gleichen Anfeindungen (nicht vorhandenes Talent, zu verbissen, zu gut aussehend, zu selbstverliebt) konfrontiert sieht- Die Parallelen sind tatsächlich verblüffend und zeugen in erster Linie davon, dass wohl jede cinephile Subkultur ihren nationalen Sündenbock braucht, an dem sie festmachen können, was aus ihrem überlegenen Standpunkt heraus in der Filmindustrie schiefläuft.

                                        Diesen Grundtenor durchzieht auch das von dir angesprochene Spiegel-Interview, dass ich eiegntlich eher dahingehend bemerkenswert fand, wie unverhohlen sich dort ein diffuser Til-Schweiger-Hass seitens des Journalisten Bahn bricht.

                                        • Ein gelungener Film und über weite Strecken sehr unterhaltsamer Tarantino zweifellos, aber gleichzeitg unbestreitbar auch einer seiner schwächeren.

                                          Das Antagagonistengespann (Candie, Stephen) ist zwar interessant und vielschichtig, sie bauen aber nur im Gespann Bedrohlichkeit auf. Auf sich allein gestellt wirken sie lächerlich, was dem Film insbesondere im Finale vollends auf die Füße fällt. Dazu hat sich Tarantino ein Stück zu sehr in die Figur des King Schultz verliebt, der konzeptionell als reine Nebenrolle angelegt ist, tatsächlich aber über ca. 2/3 der Spielzeit zum eigentlich Handlungsmotor avanciert und damit die immerhin titelgebende (!!) Hauptfigur zum Nebendarsteller seines eigenen Films degradiert - ein ärgerlicher Konstruktionsfeheler
                                          Mit 165 Minuten Spielzeit ist er nicht nur nominell Tarantino längster Spielfilm, er fühlt sich dank eines ungeschickt herangeklatschten letzten Aktes auch wie sein längster an.

                                          Selbst als Tarantino-Fanboy (der ich bin) kann man diese offenkundigen Schwachstellen beim besten Willen nicht wegignorieren.

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                                          • Solche Meldungen haben hier auf MP schon fast etwas Rituelles.
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                                            Einfach mal den Namen Til Schweiger in den Angelteich plumpsen lassen, zurücklehnen und sich dann darüber amüsieren, wie die ganzen Forellen angeschwommen kommen und sich jedenfalls einmal am Tag ein bisschen wie echte Haie fühlen dürfen. Sie würden von sich behaupten, sie hätten Blut geleckt, dabei wurden sie nur von schalem, grauem Fischutter angelockt.
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                                            Trotzdem wollen die Forellen nun endlich mal ihre achso furchtbar spitzen Zähne zeigen und merken dabei gar nicht, dass sie tatsächlich nur immer und immer wieder die gleiche heiße Luft blubbern. Aber im Prinzip ist das den Forellen auch scheißegal, denn schließlich ist man in Wahrheit kein einzelgängerischer Hai, sondern ein großer Forellenschwarm - und der funktioniert bekanntlich am besten, wenn man zusammenält und sich im diffusen Hass gegen größere, mächtigere Fische gegenseitig bestärkt und sich gegenseitig die Flossen auf die glitschigen, schuppigen Schultern schlägt. Insgeheim wissen die Forellen natürlich, dass sie niemals große Haie sein werden, aber als Teil eines großen Forellenschwarms dürfen sie sich für einen klitzegroßen Augenblick endlich so fühlen, wie sie niemals sein werden.

                                            Ich bin damals aus meinem kleinen Angelteich namens Oelixdorf auch deswegen rausgehüpft, weil ich dieses dumm-dreiste Stammtischgemotze sowas von satt hatte. Was hier abgeht, sobald der Name "XY Schweiger", "Michael Bay", "Uwe Boll" oder "Will Smith" fällt, erinnert mich fatal an einen Ort und eine Zeit, die ich glaubte, hinter mir gelassen zu haben. Der Stammtisch der Gegenwart und Zukunft findet nicht mehr in verrauchten Dorfschenken an piefig-rustikalen Holztischen mit Reserviert-Schildern statt, der Stammstisch 2.0 ist HIER.

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                                              Seitdem Tom (Tommy Knight) und seine Freunde auf seinem 10. Geburtstag dem abgetackelten Clown Richard „Stitches“ Grindle (Ross Noble) versehentlich einen tödlichen Streich gespielt haben, ist er schwer traumatisiert. Sechs Jahre später will er die Vergangenheit mit einer riesigen Party in seinem sturmfreien Elternhaus anlässlich seines 16. Geburtstags endlich hinter sich lassen. Neben jeder Menge Alkohol, amoklaufender Teenie-Hormone und den Freunden von damals, taucht allerdings auch der rachsüchtige Clown auf der Party auf.

                                              Filme über maskierte Killer, die promiskuitive Jugendliche abschlachten, gibt es wie Sand am Meer. Zynisch könnte man sagen, dass in diesem Subgenre in vielerlei Hinsicht Qualität wichtiger ist als Qualität. Gleichwohl gibt es immer wieder Produktionen, die herausragen. Sei es „Halloween“ (1978), dem Urknall des Genres, „Freitag der 13.“ (1980), der neue Grenzen hinsichtlich der Gewaltdarstellung in Mainstreamfilmen zog, „Nightmare – Mörderische Träume“ (1985), der die kreativen Möglichkeiten des Genres auslotete und erstmals grimmigen Humor einbrachte, oder „Scream“ (1996), der es wie kein anderer verstand, das Genre und seine Protagonisten gleichermaßen zu sezieren. Künstlerisch befindet sich das „Dead-Teenager-Movie“ (Zitat: Roger Ebert) also schon seit gut zwei Jahrzehnten in der post-postmodernen Sackgasse aus Ironisierung und Dekonstruktion. Am augenfälligsten wurde dieser Umstand zuletzt bei „The Cabin in the Woods“ (2012), der sich kaum noch Mühe gab, überhaupt als Horrorfilm zu funktionieren und ganz offen als grimmige Parabel auf das zwiespältige Verhältnis von Filmschaffenden und Publikum zum Slashergenre angelegt war. Analog zur reaktionären Grundhaltung dieser Filme, in denen unanständiges Verhalten wie Sex und Drogenkonsum stets bestraft wird, besannen sich im Laufe der Nuller-Jahre gleich mehrere mehr oder weniger gelungene Beiträge wie „Hatchet“ (2006), „Laid to Rest“ (2009), „Blood Night“ (2009), „My Bloody Valentine 3D“ (2009) auf die rohen Auswüchse des Subgenres im Verlauf der 1980er-Jahre und wurden unter dem Label „Oldschool“ vermarktet. Unerfreulicherweise rechtfertigten die Macher mitdiesem Etikett häufig auch formelhafte Geschichte und schablonenhafte Figurenzeichen, die den Slasher Ende der 1980er-Jahre an den Rand der Bedeutungslosigkeit manövriert haben.

                                              „Stitches – Böser Clown“ (2013) lässt sich innerhalb dieser zahlreichen Schulen und Unterschulen des Slashers eindeutig zu den betont humorigen Auswüchse des Subgenres einordnen, die heute vor allem mit der späteren Entwicklung der Figur „Freddy Krüger“ assoziiert werden. Ausgerechnet einen schon von Berufswegen lustigen Clown zum Killer zu machen, erscheint da genauso konsequent wie einfallslos – haben sich doch schon zahlreiche Genrebeiträge wie „Clownhouse“ (1989), „Es“ (1990), Carnival of Soul“ (1998), „A Clown At Midnight“ (1999) und „Killjoy“ (2000) dessen schaurigen Potenzial bedient. Erstaunlicherweise gelingt es Regisseur McMahon trotz allem, aus dieser vollkommen ausgelutschten Ausgangsposition tonnenweise kreative und einfallsreiche Einfälle zu schöpfen. Das beginnt mit einem regionalen Brauch aus Großbritannien um Hühnereier, die mit Clownsgesichtern bemalt werden, über zahlreiche clownsgerechte Todesarten, bis hin zur Tatsache, dass der untote Killer einfach nicht aus seiner Clownshaut schlüpfen kann – was zu einigen gelungenen Comedy-Momenten führt. Passenderweise besetzte McMahon die Titelfigur mit dem britischen Stand-Up-Comedia Ross Noble, der mit seiner gelungenen Körpersprache und einem prächtigen Comedy-Timing die Figur des Killer-Clowns weiter aufwertet. Dagegen muss das obligatorische Kanonenfutter fast zwangsläufig abstinken und im Prinzip bevölkern auch die genretypischen Stereotypen (der Schüchterne, der Aufreißer, der Schwule, die Schlampe, die Emo-Tussi) die Handlung. Die werden allerdings durchgehend sympathisch und auch glaubwürdig gezeichnet und zudem von Schauspielern verkörpert, die ausnahmsweise mal nicht wie auf jugendlich getrimmte Endzwanziger aussehen. Die eigentliche Handlung, sonst in der Regel eine potenzielle Schwachstelle von Slasherfilmen, gerät hier sehr kurzweilig und kompetent geschrieben.

                                              Inszenatorisch beweist McMahon ebenfalls handwerkliches Talent. Neben einigen wirklich schöner Match Cuts (ich werde Spiegeleier nie wieder vorurteilsfrei essen können), lässt er sein Irland-Setting in kräftig gesättigten Farben erstrahlen und unterstreicht damit subtil den Comedy-Faktor seines Films. Eine besondere Erwähnung sollen die Splattereffekte erfahren, die genauso drastisch wie grotesk überzeichnet daherkommen, aber jederzeit von höchster technischer Perfektion zeugen.

                                              Unterm Strich ist Conor McMahon ein bemerkenswert unterhaltsamer und höchst kompetent inszenierte Low-Budget-Slasherfilm geglückt, der in erster Linie von seinem charismatischen Bösewicht lebt, die weiteren Protagonisten aber sympathisch genug zeichnet, um sie nicht zum reinen Kanonenfutter zu degradieren. Qualitativ lässt „Stitches“ einen Großteil der sonstigen Genrevertreter locker hinter sich, McMahon dürfte sich mit dieser kleinen Slasher-Perle für größere Projekte empfehlen. Möglicherweise ein US-Remake?

                                              Daran werde ich mich erinnern: Stitches bastelt sich einen Luftballon-Hund.

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                                              • Die erste Regel des Fight Clubs lautet: Schaue dir Fight Club niemals im Privatfernsehen mit Werbeunterbrechungen an.

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                                                • Mal ganz davon abgesehen, dass "Argo" als Spielfilm funktioniert (tut er): Wenn man sich als Filmemacher dazu entschließt, einen historischen Stoff zu inszenieren, dann ist die einzig relevante Rechtfertigung für diese Entscheidung, dass er in dessen Aufarbeitung Relevanz für Entwicklungen bzw. Geselschaftsprozesse in der Gegenwart sieht. Das gelingt "Argo" sehr gut, indem sich z.B. in seiner Handlung auch die Auswirkungen des arabischen Frühlings spiegeln. Also:
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                                                  "Argo" ist natürlich und unwiderlegbar ein dezidiert politischer Film. Darüber gibt es keine zwei Meinungen.
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                                                  Hinzu kommt, dass er zudem ein recht patriotischer Film ist. Zwar beleuchtet er die Rolle der USA bei der Machtergreifung des enthroniseirten Schahs Mohammad Reza Schah Pahlavi recht kritisch, ansonsten sind Freund- und Feindrollen aber klar verteilt.
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                                                  Zudem muss die Figur des aufrechten CIA-Agenten bereits zum Zeitpunkt des Argo-Szenarios 1981 wie ein wandelnder Anachronsimus gewirkt haben. Nachdem Watergate und die Nixon-Affäre das Bild der Amerikaner auf ihre Geheimdienste nachhaltig verändert hatte, dominierten in den USA eher Paranoia-Streifen wie "Die Drei Tage des Kondors" die Kinolandschaft.
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                                                  Als letzten Punkt kann man "Argo" Geschichtsverfälschung unterstellen, weil er die Rolle des CIA überhöht und die der kanadischen Regierung damit passiv herabwürdig. Jimmy Carter hat dies jüngst in einen Interview kritisiert.
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                                                  Natürlich ist "Argo" CIA-freundlich. Betreibt er aber deshalb gleichzeitig Werbung für den amerikanischen Auslandsgeheimdienst? Nein, da gibt es weit schlimmere Streifen. Und deshalb: Was der Iran hier betreibt, ist ein Missbrauch des Films "Argo", bzw. der Aufmerksamkeit durch die Oscarverleihung für dümmste und billigste Inlands-Propaganda und ich bin mir sicher, dass das iranische Volk es auch als solche durchschauen wird.

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                                                  • Ein paar seltsame Entscheidungen in zentraler Position waren es dann in Summe schon:
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                                                    "Argo" funktioniert als Thriller zwar prächtig und als Hollywoodfarce auch recht solide, aber als bester Film des Jahres nicht so wirklich. Da bot "life of Pi" wesentlich mehr. Quentin Tarantino erhält ausgerechnet für sein bislang schwächstes Drehbuch seinen nächsten Oscar und Christoph Waltz bekommt seinen zweiten Goldjungen für praktisch die gleiche Performance wie in IB.
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                                                    Davon abgesehen gab es aber schon erheblich schlechtere Jahrgänge.

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