SoulReaver - Kommentare

Alle Kommentare von SoulReaver

  • 8

    [...] Wobei auch Maria Braun eine – auf allegorischer Ebene - Art Trümmerfrau darstellt, betrachtet man ihr in Scherben und Geröll zerschlagenes Innenleben. Nachdem sie glaubte, ihren Mann an den Frontdienst verloren zu haben, verabschiedet er sich kurze Zeit später aus Liebe zu seiner Frau in das Gefängnis. Maria, die ihren Mann liebt, sieht sich unerfüllten Sehnsüchten ausgesetzt, bandelt mit anderen Männern an und nutzt die Waffen einer Frau, um sich nach und nach einen ansehnlichen Gesellschaftsstatus zu erarbeiten (oder erschleichen?). Maria wird zu einer Nutznießerin des wirtschaftlichen Aufschwungs, welcher auf dem Massensterben von Millionen und Abermillionen basiert. Sie klettert die Karriereleiter – gefühlt – tagtäglich eine Sprosse höher, handelt dabei vordergründig aus einem uneigennützigen Vorwand und macht sich selber des Verrats schuldig: Sie verrät ihre privaten Gefühle.

    Wie sie aber einmal zu ihrem Mann sagt, ist diese Zeit ohnehin eine äußerst schlechte für Gefühle. Schließlich bleiben diese, egal, wie man es dreht und wendet, unerfüllt. Und Rainer Werner Fassbinder, der in Die Ehe der Maria Braun nicht nur seine persönliche Filmsozialisation einfließen lässt (ein Douglas Sirk scheint einmal oftmals direkt entgegenzublicken), gestaltet seinen Historienfilm, der kein Historienfilm ist, auch als Reflexion über die Erzählmechanismen des Kinos, wenn er auf die Verdrängungsmechanismen seiner Protagonisten zu sprechen kommt. Im Halbschatten, im Verborgenen, zwischen Gitterstäben und hinter einem die Charakter versperrenden Mobiliar nämlich lauert oftmals eine Wahrheit, vor der sich nicht nur Filmemacher verschließen, sondern auch die involvierten Akteure, die vom Wandel, vom Aufbruch, vom Neuanfang sprechen, den Unterschied zwischen einem Bombenanschlag oder dem Donnern eines Presslufthammers jedoch nicht mehr auseinanderdividieren können.

    Die Ehe der Maria Braun schildert den schwerwiegenden Konflikt zwischen Privat- und Berufsleben; zwischen innerseelischen Interessen und gesellschaftlichen Zwängen und legt somit nicht nur die Profilneurosen des Bürgertums offen. Hier ist das sozialen Ansehen erst einmal belangvoller als die innere Beschaffenheit. Der Schein obsiegt über das Sein. Das Wirtschaftswunder bleibt eine Vorspiegelung von nationaler Gesundheit, letztlich ist dieses Nachkriegsdeutschland aber doch nicht in der Lage, den Krieg zu überstehen, wenn es sich schon Gedanken darüber macht, wie es den Frieden überleben soll. Bruchsteine, Scherben, Chaos. Auf den Straßen und in den Herzen. Das Wesen der Figur der Maria Braun lässt sich auf das allgemeine Befinden der gesamten Bundesrepublik projizieren: Oberflächlich mit sich im Reinen, innerlich aber ausgehöhlt und entkernt. Das Schicksal einer Frau, wird zum Schicksal eines Landes. Das Kino ist hier ganz bei sich selbst. [...]

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    • 5

      [...] Tragischerweise bleiben erinnerungswürdige Regie-Einfälle seitens Sheldon Lettich (The Order) weitestgehend aus. Bis auf ein ansehnliches Finale, welches auf dem Containerhafen von Hongkong abgewickelt wird und Van Damme auf die schwindelerregenden Höhen eines der größten Werftkräne weltweit treibt, bleibt Geballte Ladung seinem selbstgewählten Status als irgendwie solider, aber auch irgendwie belangloser Actioner treu. Als wolle man ohnehin kein Risiko eingehen, hier einen Film in Szene zu gießen, über den sich auch noch einige zukünftige Generationen unterhalten könnten, dusselt sich das Narrativ ganz unbekümmert-schematisch an den obligatorischen Tropen des Genres entlang: Hier etwas Vendetta, dort etwas Familienbande. Hier etwas Liebelei, dort reichlich Krach und Gewalt. Wenn man sich aber einmal ins Bewusstsein ruft, welch Machwerke Van Damme bereits zu dieser Zeit verbrochen hatte, bleibt Geballte Ladung akzeptabler Zeitvertreib. [...]

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      • 5
        über Bright

        [...] Natürlich ist Bright durchweg vorhersehbar, plakativ, epigonal und ungemein verschwenderisch im Umgang mit dem eigenen Potenzial. Die Hybridisierung aus Fantasy-Kino und strammer Cop-Action allerdings entfesselt eine bisweilen packende Eigendynamik, die gerade deshalb funktioniert, weil sie das Bekannte mit dem Unfassbaren kombiniert. Als bis in den phantastischen Jargon übersteigerte Rassismus-Parabel bleibt Bright seinem Anspruch auf Relevanz jedoch schuldig: Denn wo Will Smith seiner Tochter in einer besonders plumpen Szene noch erklären darf, wie wichtig Gleichberechtigung in einer modernen Gesellschaft ist, haftet dem Film doch fortwährend ein kategorisierendes Denken an, von dem sich nur diejenigen befreien dürfen, die sich als treue Zahnräder innerhalb der altbackenen Helden-Dramaturgie beweisen. Bright fehlt der ironische, der satirische, der reflektierende Impuls, um sein Szenario auf mehreren Ebenen ausbreiten zu können.

        Ungenutzt bleibt beispielsweise auch das Worldbuilding. Ohne Frage, der Einstieg, die Graffiti an den Wänden, die von Hass (und Angst) dominierten Geisteshaltungen der Bevölkerung und ein schneller Einblick in die verschiedenen Bezirke geben einen angemessenen Einblick in die Gegebenheiten dieser, mal mehr, mal weniger, abweichenden Wirklichkeit. Aber ein tieferer, harmonischerer, organischerer Einstieg bleibt Wunschdenken – dafür allein darf sich Vorfreude auf die bereits bestätigte Fortsetzung äußern. Letztlich unterliegen hier all die Motive um Rassismus, Blutbahnen, Prophezeiungen, Integration und Loyalität einer nicht zu verleugnenden Zweckmäßigkeit. Es soll am Ende dann doch „nur“ ordentlich nach vorne gehende Action sein, mit Dampf durch die Finsternis, hier ein paar Buddy-Movie-Sperenzchen, dort einige stattliche Gewaltspitzen. Das aber kann David Ayer. Mehr darf man diesem Mann aber auch nicht abverlangen. Leider. [...]

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        • 8 .5
          über Martha

          [...] Ohnehin kann man Martha als Michael Ballhaus' Bewerbungsschreiben für Hollywood sehen. Was der Mann aus Berlin hier mit seiner Kamera, seinem all sehenden Auge, und einer einzigen Brennweite, anstellt, wie er Zwischenräume der Stille mit Leben füllt oder sie noch stiller erscheinen lässt, ist schlicht von beängstigender Kunstfertigkeit. Nur durch die Allianz aus Form und Inhalt, die sich in Martha nahe der Perfektion bewegt, gelingt es dem Film, derart wuchtige Beklemmung im Zuschauer heraufzubeschwören. Der größte Horror, das unterstreicht Rainer Werner Fassbinder, ist der, der der Liebe innewohnt. Oder dem Zustand, den man Liebe nennt. Nennen möchte. Nachdem das dreißigjährige Kind Martha mit ihrem Vater die Person verloren hat, die ihr Zeit ihres Lebens eingeredet hat, von Bedeutung für ihr Dasein zu sein, lässt sie sich auf Helmut ein, der nach den gleichen erzieherischen Methoden arbeitet, wie ihr autoritär-herrschsüchtiger Vater.

          Martha hat niemals echte Zuneigung erfahren oder geben können, sondern war schon immer in einem Teufelskreis der Abhängigkeit von strengen Machtstrukturen gefangen. Helmut, den Karlheinz Böhm im furchteinflößenden Peeping Tom-Modus ausspielt, ersetzt ihren Vater. Einen Vater, der seiner Tochter anerzogen hat, unterwürfig zu sein. Triebfeder genug für Helmut, um diese Konditionierung noch weitergehend zu radikalisieren. Nach und nach raubt er ihr jeden Funken Selbstbestimmung und schafft es simultan dazu, mit süffisantem Lächeln, mit vordergründiger Zuvorkommenheit, mit unzweifelhafter Kultiviertheit, in ihr den Gedanken zu bewahren, diese Beziehung würde tatsächlich auf Liebe basieren. Diese Beziehung wäre tatsächlich richtig so. In Wahrheit testet Helmut nur die Leidensfähigkeit Marthas – und geht darüber weiter hinaus. Er nötigt sie zum Ertragen, weil Martha sich einredet, dass eine Ehe nun mal so auszusehen hat. Hier veräußert sich eine der bittersten Entlarvungen von Machtgefügen gesellschaftlicher Geschlechterrollen.

          Irgendwann allerdings muss dieser Druckkessel Mensch, den Martha, eine Person, die all die Energie ihres Umfeldes in Anspruch nimmt, explodieren. Wie man es von Rainer Werner Fassbinder kennt, tritt diese Explosion in letzter Konsequenz auf: Reagiert wird erst dann, wenn es letztlich zu spät ist. Erst dann, wenn die „Liebe“ auch für die titelgebende Hauptdarstellerin pathologische Blüten treibt, möchte Martha ausbrechen, wähnt sich in Todesängsten, hat sich jedoch längst im Treibsand ihrer Unterwürfigkeit verloren. Ihr insgeheimes Sehen nach Lebendigkeit mundet in der absoluten Bewegungslosigkeit. Die letzte Einstellung ist Horror pur. Das Grauen, das Grauen, direkt hinter den aus edlem Zedernholz geschlagenen Haustüren des Bürgertums. Dass Margit Carstensen hier erneut unter der Ägide von Fassbinder brilliert, war abzusehen. Ihr affektiertes Spiel ist ein Parforceritt. Die wahre Sensation allerdings ist Karlheinz Böhm: Der in seinen Augen aufblitzende Hass kleidet Alpträume bis ans Lebensende aus. [...]

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          • 8 .5
            SoulReaver: FILMSTARTS.de 20.12.2017, 13:59 Geändert 20.12.2017, 14:06

            [...] Angst essen Seele auf ist nicht zuletzt eine Vorbeugung vor der melodramatischen Kunst eines Douglas Sirk (Was der Himmel erlaubt), den Rainer Werner Fassbinder Zeit seines Lebens verehrt hat. Auch Fassbinder gelingt es hier bravourös, vordergründig mit Klischees und Überspitzungen zu arbeiten, um den Zuschauer nach und nach in eine moralische Zwickmühle zu führen. Denn wo die Selbstschutzmechanismen der Rezipienten erst aufschreien möchten, dass das Szenario doch mit all seinen zweckmäßigen Figuren viel zu überzeichnet ist, zu funktional, folgt auf dem Fuße die bittere Gewissheit, dass genau diese scheinbaren Überzeichnungen dem absurden Wesen von Vorurteilen, fehlgeleitetem Volksempfinden und gesellschaftlicher Ächtung der Wirklichkeit akkurat nachempfunden sind. Fassbinder war ohnehin ein Meister darin, Oberflächlichkeiten zu entfremden, um diese noch stärker auf die Realität zurückfallen zu lassen.

            Man muss Angst essen Seele auf als eine Anklage an ein Deutschland verstehen, welches die Meinungshoheit an jene verteilt, die am lautesten schreien: Was deutsch ist, muss deutsch bleiben. Emmi und Ali nehmen den Kampf an, stellen sich den spöttischen Blicken, den demütigen Tiraden, der allgemeinen Ignoranz und Missachtung. Und gerade in dem Moment, in dem man dem Glauben anheimfallen könnte, das Paar hätte die schlimmsten Stunden überstanden, überträgt Fassbinder seine Etüde der gnadenlosen Zerreißprobe ihrer (unmöglichen?) Liebe vom äußeren, auf den inneren Zirkel. In kärglichen Bildern, mechanischen Bewegungen, ungeschickten Dialogen entlarvt Fassbinder die deutsche Scheinheiligkeit, den beschränkten Horizont des Kleinbürgertums, der höchstens bis zur nächsten Eckkneipe reicht, und zeichnet eine von tiefer, brodelnder Sehnsucht umklammerte Liebe, die zwischen ungeahnter Zärtlichkeit und bedrückender Schonungslosigkeit ein weiteres Mal die Genialität des unsterblichen Meisterregisseurs aufzeigt. [...]

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            • 4
              SoulReaver: FILMSTARTS.de 18.12.2017, 22:41 Geändert 18.12.2017, 22:43
              über Cyborg

              [...] Jean-Claude van Damme, der sich frisurentechnisch einige modische Verirrungen erlaubt, ist schon bald die Antwort, um einem weiteren Dahinsiechen Einhalt zu gebieten. Dass die Initialen des Vornamens des Belgiers mit denen von Jesus Christus übereinstimmen, kommt nicht von ungefähr, denn in der hiesigen Rolle des Hoffnungsbringers Gibson Rickenbacker wird van Damme zum kämpferischen Erlöser, der sich in einer besonders debilen Szene auch an das Kreuz schlagen lässt. Aber debil ist gar kein Ausdruck für diesen apokalyptischen Karnevalsumzug von der Resterampe, in dem wirklich rein gar nichts funktioniert. Cyborg ist die absolute Verweigerung jedweder Kohärenz. Der Score dudelt konsequent am Geschehen vorbei. Szenen werden aneinandergereiht, aber nicht sinnvoll aufeinander abgestimmt. Der Schnitt agiert willkürlich, entwickelt ein Eigenleben, raubt dem Film jedwede Dynamik und verordnet dem Oberstübchen des Zuschauers eine Zwangspause.

              Mit Cyborg bekommt man reinrassigen, echten Trash geboten. Denn unglaublicherweise erscheint es so, als hätte Albert Pyun tatsächlich in Erwägung gezogen, hier eine ansprechende Endzeitvision in Szene zu gießen. Tatsächlich fleddert und plündert Cyborg den Gebrauchtwarenladen an Motiven des populären 1980er Jahre Kinos und erhebt (bzw erniedrigt) sich in seinem künstlerischen Dilettantismus zum Kabinett der Lächerlichkeiten. Natürlich kann man an diesem Unfilm Spaß haben, wenn er seine Dialoge auf Sonderschulniveau zum Besten gibt und Ralf Moeller als brunftigen Zuchtbullen durch die Gegend grunzeln lässt. Dass sich Cyborg jedoch selbst einen gewissen Anspruch an Seriosität einräumt, eröffnet einerseits sein komödiantisches Potenzial (die bedeutungsschwangeren Blicke von Van Damme in Ferne – wow, deep), lässt ihn aber auch gleichermaßen zähflüssig erscheinen. Hier funktioniert eben rein gar nichts. Aber wenn schon, denn schon. [...]

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              • 7

                [...] Das Geniale und gleichermaßen Herausfordernde an Fontane Effi Briest ist, dass sich Fassbinder durch eine außerordentliche Werktreue auszeichnet und der Vorlage - trotz logischer Limitierungen innerhalb des Handlungsrahmens - mit einer inszenatorischen Konsequenz wie stilistischen Genauigkeit begegnet, dass sich die Sichtung des Films für den Zuschauer ein ums andere Mal ob all der Nüchternheit zur wahren Geduldsprobe entwickelt. Fassbinder, der sich im Klaren darüber war, dass Film und Literatur oftmals miteinander divergierende Medien darstellen, versucht sich daran, den reinen Leseprozess ins Filmische zu übersetzen, nutzt Weißblenden wie das Umschlagen von Seiten, bindet Textpassagen und sich selbst als Off-Erzähler ein. Jeder Satz ist hier eine Zeile, jedes Schweigen ein Zeilenumbruch und wir lesen einen Film, schauen einen Roman, der zum Nach- und Überdenken animiert, weil Fassbinder die Textvorlage nicht durchleuchten möchte.

                Bedrückend und ergreifend wird Fontane Effi Briest, wenn man sich auf die Sogwirkung des Filmes einlassen kann. Wenn man in der Präzision von Fassbinders Handwerk nichts Akademisches, sondern letztlich doch etwas Bescheidenes erkennt. Denn dann wird deutlich, dass sich sein Werk, welches durch wunderbar anzusehende Schwarz-Weiße-Kompositionen bestimmt wird, die selbst ein Ingmar Bergman (Persona) nicht kunstfertiger hätte evozieren können, mit viel Mitgefühl um seine erst lebensgewandte und wissbegierige Protagonistin (Hanna Schygulla, Auf der anderen Seite) kümmert, um sie später für ihre fehlgeleitete Auffassung von Protest zu bedauern. Irgendwann nämlich erteilt Effi Briest ihrem Umfeld die Erlaubnis, sie leiden zu lassen. Sie gibt den Schleiern und den Gittern, die die Charaktere ohnehin immer wieder umranken und versperren, die Entscheidungsgewalt über ihr Leben. Fontane Effi Briest ist, wenn man so möchte und es metaphorisch auf das seelische Befinden übersetzt, ein Gefängnisfilm. Ein äußerst tragischer noch dazu. [...]

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                • 8
                  SoulReaver: FILMSTARTS.de 17.12.2017, 22:06 Geändert 18.12.2017, 09:53

                  [...] Aber auch das spielt dem inhaltlichen Diskurs, den Die bitteren Tränen der Petra von Kant forciert, nur in die mit Scharfsinnigkeit verteilten Karten. Fassbinder nämlich erzählt hier von Abhängigkeit und findet die Formen jener in einem Schmerz, der die Charaktere leiden lässt, der aber auch gleichermaßen als selbstverständlich hingenommen wird. Im Film selbst heißt es einmal: „Der Mensch ist schlimm. Letztlich erträgt er alles. Alles.“ Letztlich also erträgt der Mensch auch die Ausweglosigkeit gegenüber sich selbst. Fassbinder versetzt den Zuschauer selbst in die Lage eines Gefangenen, wenn er die Wohnung hermetisch von der Außenwelt abschirmt und das Atelier, in dem die Künstlichkeit, das Artifizielle regiert, als verwüstete Seelenlandschaft herausstellt. Die Vorspiegelung von Souveränität und Selbstbewusstsein verschiebt sich alsbald zur Studie über die alles zerfressende Einsamkeit, über die Nutzbarmachung von Menschen, über den persönlichen Freiheitsanspruch, der sich wie eine Fessel um die eigene Existenz legt. [...]

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                  • 6 .5

                    [...] Sicherlich kommt es nicht von ungefähr, dass Colors – Farben der Gewalt seiner Zeit ein Film war, der für Aufsehen sorgte, ist es Dennis Hopper doch daran gelegen, ein authentisches Abbild der Welt der Urban Gangs anzufertigen. Tatsächlich gelingt es dem Temporär-Regisseur, einige differenzierte Momente zu erschaffen, die sich weder mit der Uniform noch mit den Taten beschäftigen, sondern in erster Linie den Menschen in der Krise veranschaulichen. Und Krisen wie Zwickmühlen gibt es hier auf allen Seiten: Die Polizei verfällt zusehends in Resignation ob der eigenen Hilflosigkeit. Die, vorwiegend jugendlichen, Menschen, die sich in den Schoß der Banden begeben, sind Opfer von sozialer Ungerechtigkeit und kanalisieren ihre Verzweiflung gegenüber der eigenen Perspektivlosigkeit in Gewalt. Zu lang geraten mag Colors – Farben der Gewalt sein, an der unbeschönigten Wahrheit allerdings ist er durchgehend interessiert. [...]

                    7
                    • 7

                      [...] Aber genau diese vordergründige Abstraktion jedweder Realitätsbezogenheit benötigt Rainer Werner Fassbinder, um die (klein-)bürgerliche Welt, in der Katzelmacher angesiedelt ist, zu konfigurieren und im nächsten Schritt aufzuzeigen, mit welcher Abstrusität die ansässigen Menschen ihren beschränkten Horizont zu hofieren gedenken. Hier nämlich wird nicht mehr interagiert, sondern aneinander vorbeigelebt. Es gibt nichts zu sagen, man lungert herum, man betrügt sich, man ignoriert sich. Katzelmacher beschreibt hier schon eine Gesellschaft, die sich durch Entfremdung und Liebesunfähigkeit auszeichnet, bis sich Fassbinder selbst als (Klischee-)Griechen („Arbeit ja, aber nix Geld!“) unter das lethargische Personengemenge mischt. Ab diesem Punkt wird Katzelmacher zur gruppendynamischen Verhaltensstudie. Ganz konkret: Er untersucht das Wesen von Vorurteilen und kehrt die von Brutalität durchströmten Mechanismen dieser an die Oberfläche.

                      Die fehlende Kommunikation nämlich findet plötzlich einen Kanal, um sich auszudrücken: Die Gewalt. Erst verbal, dann nonverbal. Erst passiv, dann aktiv. Kein anderer Regisseur hat sein Außenseitertum derartig zur Marke erhoben, wie einst Rainer Werner Fassbinder. Natürlich ist er der Fremde, an dem sich die Anfeindungen der Anderen aufpumpen wie ein von Hass erfüllter Blasebalg. Irgendwann wird wieder miteinander gesprochen, aber nur, um dem Groll ein Ventil zu verleihen und diesen zu schüren. Es ist ein Groll, den Fassbinder, der Nonkonformist, der Einzelgänger, der Abweichler und Protestierende, bestens kennt. Er wollte doch nur geliebt werden, doch blieb immer ein Fremdkörper – und im Volksempfinden damit ein Objekt der geballten Animosität und Abscheu. Wenn es jemand verstand, der Wurzel der Gehalt nachhaltig auf den Zahn zu fühlen, dann wohl Fassbinder. [...]

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                      • 5

                        [...] Sicherlich befinden wir uns in einem Genre-Film und hier wird das Geschehen unter anderen Parametern bemessen, dennoch ist es augenfällig, wie sehr es 47 Meters Down daran gelegen ist, die beiden Frauen über ihre Blauäugigkeit und ihre Heimzahlungsgedanken herzuleiten. Ebenfalls augenfällig: Die völlig überzogene Pechsträhne, die Lisa und Kate anheimfällt, nachdem sie zum ersten Mal mit dem Käfig unter Wasser gelassen werden. Aber vielleicht ist das auch die Bestrafungsphantasie, mit der sich Regie und Drehbuch an den beiden Frauen abarbeiten, um ihnen eine Retourkutsche zu verpassen. Kompetent inszeniert jedoch ist dieser bisweilen angenehm minimalistisch angelegte Tiefenrausch. Die Stille des Meeres, die absolute Orientierungslosigkeit und die Silhouette eines unersättlichen Jägers, dessen reine Präsenz über jedem Frame lagert, machen 47 Meters Down zu einem durchaus soliden Ausflug in den maritimen Abgrund, in dem das tödliche Schwarz das liebreizende Blau vollständig ablöst. [...]

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                        • 8
                          SoulReaver: FILMSTARTS.de 04.12.2017, 20:55 Geändert 05.12.2017, 10:29

                          [...] Jim & Andy: The Great Beyond liefert nicht nur Antworten darauf, wie es gewesen ist, als Jim Carrey zu Andy Kaufman wurde und in den Abgrund des Method Acting starrte. Chris Smith hat hier im Allgemeinen eine ungeheuer sinnstiftende Meditation über den Käfig der eigenen Starpersona erschaffen. Die ständige Suche nach Aufmerksamkeit, die Verwirrung, Enttäuschung, aber auch die erfüllten Träume, die diese Branche mit sich bringt, werden in der Psychografie zweier begnadeter Künstler abgetastet. Während Andy Kaufman alles zerstörte, was das Medium Fernsehen ausmachen sollte, war es Jim Carrey, der sich allen abstrakten Strukturen des Seins verschloss und mit der Darstellung von Andy Kaufman eine Art (selbst-)therapeutischen Urlaub von sich selbst genommen hat. Man möchte es nicht glauben, aber Jim & Andy: The Great Beyond bestätigt sich als dokumentarischer Existenzialismus. [...]

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                          • 6 .5
                            über Laurin

                            [...] Wenn man so möchte, dann verschmelzen in Laurin die Sagengestalten der Grimm'schen Märchen und die schwarze Romantik von Schauerliteraten wie Bram Stoker, Edgar Allan Poe und Mary Shelley. In einer norddeutschen Küstenstadt empfängt uns Laurin mit dem verträumten Rot einer aufgehenden Sonne, die langsam die dichte Wolkendecke am Firmament durchbricht und eine Gemeinde weckt, über dessen Frieden sich schon alsbald das Unheil legen soll. Danach richtet sich der Blick auf ein Schloss, wie man es aus klassischen Horrorfilmen kennt und manifestiert den Grundstein für eine in Düsternis getränkte Erzählung, die auf morbide Visionen der Angst und den Konventionen völkischer Dichtungen fußt: Die Unschuld, das Böse, das Verdrängte und niemals Vergessene. Durch die Kontrastierung von Signalfarben und dem grauen Schleier, der die Hafenstadt umschlingt, steigert Sigl nach und nach das Unwirkliche innerhalb der Atmosphäre des Films. [...]

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                            • 7

                              [...] Wenn man so möchte, dann gehört Keine Gnade für Ulzana zu den wenigen Vertretern des Western-Genres, die keinen stupiden Revisionismus betreiben. Obgleich die Gewalt der Indianer von unbarmherziger Rohheit gezeichnet ist, verurteilt Robert Aldrich diese Taten nicht. Vielmehr hinterfragt er, was passieren muss, damit ein Mensch sich zu derartig drastischen Mitteln gezwungen sieht. Und die Betonung liegt hier auf dem Wort 'Mensch'. Inmitten von alttestamentarischen Vergeltungsphantasien, tumbem Rassismus und dem reinen Pragmatismus, seine Arbeit best- und schnellstmöglich zu verrichten, offenbart der kräftezehrende Marsch über den spröden Kriegspfad, auf dem sich beide Parteien hier befinden, viele sinnstiftende Fragen um das Wesen des Menschen, seine Kultur, seine Identität, seine Natur. Und Gewalt ist hier kein Schauwert, kein lustvolles Treiben, sondern ein Akt der Frustration und Angst. Der Angst, eben genau diese Menschlichkeit und Identität zu verlieren. [...]

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                              • 10
                                SoulReaver: FILMSTARTS.de 29.11.2017, 17:11 Geändert 29.11.2017, 21:30

                                [...] Mit Eyes Wide Shut hat Stanley Kubrick zweifelsohne einen der wichtigsten wie gewichtigsten Beziehungs- und Geschlechterfilme überhaupt in Szene gegossen. Hier nämlich thematisiert der britische Genius das allgemeine Bewusstsein sowie den damit einhergehenden Trugschluss von Geschlechterunterschieden und -rollen. Anhand von William, der sich durch die Offenbarungen seiner Frau in seinem männlichen Selbstverständnis erschüttert sieht (= die klare Formulierung von weiblicher Begierde wirkt auf ihn wie ein Angriff), hinterfragt Eyes Wide Shut die rückständige Wahrnehmung von geschlechtlichen Stereotype, was den Film gleichermaßen zu einer Erforschung der Bedeutung von individueller Sexualität als auch zu einer (Psycho-)Analyse der an dieser gekoppelten Angst innerhalb unserer Gesellschaft erhebt. In seinen lebensweltlichen Grundfesten irritiert fühlt sich William dazu genötigt, in die Dunkelheit hinaus zu ziehen, um sowohl sich selbst zu entdecken, aber auch seiner Frau eine Möglichkeit zur Selbstermächtigung zu schenken.

                                Dass Eyes Wide Shut zur Weihnachtszeit angesiedelt ist, kommt natürlich nicht von ungefähr. Diese Zeit der Besinnung überträgt sich auch auf das Ehepaar Harford, welches sich darauf besinnt, was sie aneinander haben – oder was ihnen fehlt. Als tiefbohrende Meditation über Bedürfnisse und deren Verleugnung begibt sich Eyes Wide Shut auf eine traumwandlerische Odyssee, in der Triebabkehr und Triebverzicht, Orientierungslosigkeit und Entfremdung eine Kausalitätskette aufwirbeln, die eine schicksalhafte Begegnung an die nächste reiht, William dabei aber immer wieder auf sich selbst zurückfallen lässt. Seine episodenhafte Route durch New York führt ihn nicht nur in einem raumgebundenen Verständnis voran, in Wahrheit definiert sich Eyes Wide Shut als ein umfassender Prozess der Selbstfindung und Selbsterkenntnis. Und um sich selbst zu verstehen, ist es dringend vonnöten, genau hinzusehen, um dann einen festen Entschluss zu fällen: Vielleicht ist der erste Schritt, endlich wieder ungezwungen zu ficken. [...]

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                                • 6
                                  SoulReaver: FILMSTARTS.de 27.11.2017, 20:31 Geändert 29.11.2017, 23:47

                                  [...] In kontrastreichen Low-Key-Fotografien handelt Jean-Pierre Melville die (Streit-)Frage aus, ob es notwendig ist, einen Weg zu Gott zu finden. Ausgerechnet der charmante, in seiner Verbindung zu Gott gnadenlos beständige Geistliche Morin erklärt der leicht strauchelnden Barny, dass man Gott nicht erreden kann – und Gott somit auch nicht mittelbar ist. Und sollte man nicht zu ihm finden, so ist das auch in Ordnung. Was im Leben jedoch vonnöten bleibt, ist der Glaube an irgendwas. Und ist er nur der Glaube an seine eigene Existenz. Zwischen stillem Verlangen und philosophischen Zwiegesprächen findet Jean-Pierre Melville in den tadellos gespielten Dialogsequenzen zwischen Riva und Belmondo jene geerdete, greifbare Balance, die Eva und der Priester zu mehr macht, als „nur“ einem an vielschichtigen Diskursen interessierten Frühwerk im Output einer späteren Regiegröße. [...]

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                                  • 8 .5

                                    [...] Immerzu schwelgt man hier in Erinnerungen. Verweilt mit Tränen in den Augen in den Zuständen, die mal waren. Gestern, damals, vor einer Ewigkeit. Der Gedankenhorizont der Menschen, die sich in Anarene (heutzutage eine Geisterstadt) niedergelassen haben, scheint den Blick in die Zukunft offenkundig vollkommen auszusparen. Wie also sollen sich Sonny, Duane und Co. auf ihre Zukunft vorbereiten, wenn ihnen seit jeher anerzogen wurde, mit dem Kopf in der Vergangenheit zu verbleiben? Die letzte Vorstellung formuliert sich somit als bisweilen bedrückendes, aber immerzu eindringlich-melancholisches Porträt einer verlorenen Jugend. Resignation, Tristesse, Frustration und Lethargie dominieren den Alltag. Schwarz-Weiß ist hier nicht nur ein wirkungsmächtiges Mittel der Ästhetik, sondern ein inhaltlicher Verweis. Und Peter Bogdanovich artikuliert diese Zwistigkeit, die das ganze Kaff mit sich austrägt, in einer beeindruckend unverblümten, weitsichtigen Klarheit. Gerade für das Jahr 1971. [...]

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                                    • 7

                                      Nichts ist zerstörerischer als das eng geknüpfte Band einer Freundschaft. Eigentlich ist genau das eines der Kernthemen von Martin Scorsese Œuvre, verknüpft mit dem Motiv der Aufopferung respektive Opferbereitschaft. In Hexenkessel ist bereits all das Programm, was später Filme wie GoodFellas, Casino und Wolf of Wall Street zum Kultfilmen machen sollte. Auch hier geht es darum, die Loyalität innerhalb einer von Männlichkeit geprägten Domäne zu hinterfragen. Und natürlich haben wir es hier einmal mehr mit Ganoven zu tun, die anderen Menschen im Namen der Mafia die Köpfe einschlagen. Schuldeneintreiber nennt sich das. Die große Schuld hier allerdings liegt hier nicht im elendigen Mammon begraben, sondern in der Verpflichtung namens Freundschaft. Man ist es seinen Freunden schuldig, für sie da zu sein. Am Beispiel von Harvey Keitel, der eigentlich für Größeres bestimmt ist, erfahren wir was es bedeutet, die Schuld der Freundschaft zu erbringen. Faszinierend ist dabei auch, wie sich der unverkennbare Stil Scorseses hier bereits abbildet. Der entsteht quasi aus sich selbst, hat den Regisseur gefunden und nicht andersherum. Mit Hexenkessel jedenfalls wurden all die Weichen dafür gelegt, die Marty benötigte, um einer der Größten aller Zeiten zu werden.

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                                        SoulReaver: FILMSTARTS.de 20.11.2017, 14:26 Geändert 20.11.2017, 14:33

                                        Gut zwanzig Jahre vor Detroit hat sich Kathyrn Bigelow mit Strange Days bereits mit der Frage beschäftigt, wie ein Einzelvorfall eine ganze Gesellschaft verändern kann. Als Kommentar auf die Unruhen in Los Angeles im Jahre 1992 (und ganz konkret Rodney King) ist Strange Days bereits ein apokalyptisch angehauchter Diskurs über die Verheerungen des Rassismus und wie dieser sich zur festen Konstante unseres gesellschaftspolitischen Gefüges entwickelt hat. Verpackt wird diese brandaktuelle Abhandlung in einem hochgradig stimmungsvollen wie spannungsgeladen inszenierten Cyberpunk-Noir, in dem Ralph Fiennes die heißeste Trenddroge unter das Volk bringt: Fremde Erinnerungen. Durch eine Art Drahthaube, die mit einer Minidisc vernetzt ist, taucht man in Sinneserfahrungen ab, die man selber nie erlebt hat. Nie erleben durfte. Und das Los Angeles des Jahres 1999 schreit nach Erinnerungen, da sich die Menschen immer stärker von selbst entwurzelt haben und offenkundig nur dazu erschaffen wurden, eigene Reminiszenzen verblassen zu lassen. Natürlich thematisiert Strange Days über Fiennes' Droge, die die Tore zu einer virtuellen Realität öffnet, auch die Möglichkeit sowie die Gefahren von medialem Konsum in Verbindung mit dem technischen Fortschritt. Auf der Straße wird die Bevölkerung kontinuierlich von der Polizei niedergeknüppelt. In unseren Köpfen sind wir alsbald auch nicht mehr in der Lage, diesen Schreckensbilder zu entfliehen. Sie werden uns anerzogen, zur Alltäglichkeit erklärt und wir reproduzieren sie. Strange Days weiß, dass die besten Dystopien auf unserer Wirklichkeit fußen. Wenn Veränderungen her sollen, müssen wir dafür allerdings auf der Straße anfangen. Fernab des Digitalen, auf Tuchfühlung mit dem Analogen, den knochenbrechenden Knüppeln und jenen Menschen, die diese schwingen lassen.

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                                          Filmwissenschaftler und Filmschaffende sind sich einig: Es gibt und gab nur wenige Künstler, die mehr für den Film getan haben, als John Huston. Aus dem einfachen Grund, weil der Die Spur des Falken-Regisseur nie dem (moralischen) Status quo beugen wollte, sondern seine eigene Vision verfolgte, was ihm Kontroversen, Missgunst und das ein oder andere blaue Auge einbrachte. Mit Weißer Jäger, schwarzes Herz schlüpft Clint Eastwood in die Rolle dieses ungestümen, aber brillanten Mannes, ohne jedoch auch nur einmal explizit seinen Namen zu verwenden. Natürlich aber ist es augenfällig, dass hier die Phase angeschnitten wird, in der Huston seine Dreharbeiten zu African Queen vorbereitete. Was Eastwood über Huston erzählt, lässt er simultan dazu auch gleichermaßen auf sich selbst zurückfallen. Das Biographische verzweigt sich mit dem Nabelschaulichen. Weißer Jäger, schwarzes Herz reift über seine 120-minütige Laufzeit zur introspektiven Selbsterkundung und analysiert einen vom Götterkomplex heimgesuchten Menschen, der unbedingt aus dem Garten Eden vertrieben werden möchte. Und dafür hat er sich die Obsession in den Kopf gesetzt, einen Elefanten, ein Kind unbesiegbarer Zeit, zu schießen. Unglaublich ist, dass dieses zuweilen elegische, wunderschön fotografierte Charakter-Porträt tatsächlich zwei Jahre nach Heartbreak Ridge entstanden sein soll, in seiner Weisheit nämlich gehört Weißer Jäger, schwarzes Herz vielmehr dem Spätwerk Eastwoods zugerechnet.

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                                            SoulReaver: FILMSTARTS.de 19.11.2017, 21:40 Geändert 19.11.2017, 21:41

                                            Die 1970er Jahre waren für Steven Spielberg das Jahrzehnt der Jäger und der Gejagten. Wenn man sich Duell, Sugarland Express und Der weisse Hai in Folge ansieht, ist die thematische Verwandtschaft dieser Werke kaum zu verleugnen. Sugarland Express, ein leider etwas zu sehr in Vergessenheit geratener Vertreter des vitalen, des aufbrausenden und des unangepassten New-Hollywood-Kinos, darf sich zu den kleinen, großen Perlen im weitläufigen Schaffen von Steven Spielberg zählen lassen und sollte heutzutage unbedingt wiederentdeckt werden. Hier nämlich werden nicht nur die Leitmotive, die Spielbergs Output maßgeblich geprägt (und erfolgreich gemacht) haben, bereits zusammengefasst, sondern auch viel über Amerika und dessen Bewusstsein gegenüber seiner selbst ausgesagt. Die Odyssee durch den Staat Texas, die im Kern den persönlichen Auftrag erfüllen soll, ein uramerikanischen Ideal zu bewahren, wird zu einer Hetzjagd durch die ewige, ausgedörrte Wüste, die aufzeigt: All die Ideale, die das Land der unbegrenzten Möglichkeiten immerzu für sein nationales Wertesystem beansprucht, sind bereits in den Grundfesten erschüttert. In sorgsamen, bisweilen herausragend komponierten Bildwelten erzählt Spielberg von einer Nation, welche immerzu zwanghaft in Symbolen denkt. Und folgerichtig erzählt auch er seinen Film in Symbolen. Symbolen der Freiheit, Symbolen der Familie, Symbolen der Freundschaft, Symbolen des Untergangs. Im Inneren des geklauten Automobils werden familiäre Traumata jedoch nur ausgehandelt, aber nicht kompensiert.

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                                              [...] Dem gegenüber aber steht eine technische Machtdemonstration sondergleichen. Mögen die Charakter-Profile noch so kleindenkend und, ja, uninteressant ausgefallen sein – die inszenatorische Virtuosität eines Brian De Palma ist schlicht und ergreifend erschlagend. Allein die viel besprochene und ebenso oft gefeierte Bahnhofssequenz, in der De Palma Panzerkreuzer Potemkin die Ehre erweist, ist noch heute einer der in Handwerk und Timing ausgereiftesten Spannungsmomente aller Zeiten. Ohnehin ist es die sicherste Variante, Die Unbestechlichen – The Untouchables als formalistisches Werk zu lesen, in dem De Palma seine Cinephilie und Genre-affine Ader über seinen visuellen Stilwillen respektive Stilsicherheit zum Ausdruck bringt. Und das nicht nur als brutal-getriebenen Großstadt-Western, sondern auch als leidenschaftliches, detailverliebtes Peroid Picture. Eben ein Film wie ein wohlgestaltetes Blumenbukett, aus dessen Inneren sich der Lauf einer Tommy Gun hervorgekehrt: Wunderschön und doch tödlich. [...]

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                                                über Arsenal

                                                [...] Das übergeordnete Thema von Arsenal ist folgerichtig Brüderlichkeit. Oder auch: Die Wege, die man bereit ist zu gehen, um seinen Bruder zu retten. Und JP muss einiges auf sich nehmen, um Mikey aus den Fängen des geisteskranken Eddie King zu retten. Aber machen wir uns nichts vor, denn wenn Arsenal letztlich Endes etwas ist, dann ein Armutszeugnis der Kunst. Fernab jedweder inszenatorischer Passion versandet Steven C. Miller mit seinem DTV-Schund im Niemandsland der Videothekenregale. Alles an diesem Film wirkt billig: Sein penetranter Einsatz von Zeitlupen, seine alles verzerrende Überbelichtung, seine einfallslose Geschichte, die nicht mit entsprechendem Genre-Enthusiasmus ausstaffiert wurde, sondern von vorne bis hinten vor sich hin dümpelt. Einzig Nicolas Cage bleibt eine Attraktion, ein Glanzpunkt, ein Schauwert. Der nämlich chargiert sich mit falscher, ständig zugekokster Nase dermaßen in Ekstase, dass es eine Wonne ist. [...]

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                                                • 7 .5

                                                  [...] Vor allem muss man sich bei Kinder, Mütter und ein General kontinuierlich vor Augen halten, dass man es hier mit Zeitzeugen vor der Kamera zu tun hat. Mit Schauspielern, die die Gräuel des Krieges, mehr oder weniger, am eigenen Liebe erfahren haben und das Medium Film nun auch als Bewältigungsstrategie genießen dürfen. Kein Wunder also, dass sich Laszlo Benedeks inszenatorischer Grundklang in eine klare Richtung orientiert: Dieser Film ist anklagend und wütend. Er äußerst ein betroffenes, zorniges Unverständnis dahingehend, wie es sein kann, Menschen in einen so sinnlosen, dummen Tod zu schicken. Und da gelingt Kinder, Mütter und ein General nicht nur eine emotional einnehmende Abrechnung mit dem blinden Gehorsam am historischen Vorabend der Kapitulation, sondern auch eine herzzerreißende Hommage an die Würde des weiblichen Geschlechts. Sie sind es, die klar denken, die sich klar äußern, die klar handeln. [...]

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                                                    SoulReaver: FILMSTARTS.de 15.11.2017, 20:19 Geändert 15.11.2017, 20:20

                                                    [...] Der Big Chair Chess Club, den Eugene ins Leben gerufen hat, kooperiert heute erfolgreich mit Schulen und Jugendvollzugsanstalten. Life of a King verfolgt den Weg des Erfolgs und nutzt das Schachspiel als Symbolik, die dem Geschehen zusätzlich Gewicht verleihen soll. Dass das nicht wirklich funktioniert, liegt in erster Linie daran, dass Jake Goldberger sich nicht dafür schämt, Klischee um Klischee abzugrasen und somit auch die Dynamik der Charakterkonstellation ein Stück weit ausbremst. Ohnehin fehlt dem Film, der sich als urbanes Drama versteht, die Feingliedrigkeit, die es braucht, um der soziokulturellen Tiefe der Thematik gerecht zu werden. Life of a King, in dem Cuba Gooding jr. einige starke Momente zugesprochen bekommt, hingegen glaubt an Respekt und Wiederanfang und suhlt sich im (Sozialarbeiter-)Optimismus, der die Realität nur mit groben, aber engagierten Pinselstrichen nachzeichnet. [...]

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