SoulReaver - Kommentare
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Alle Kommentare von SoulReaver
Klinisches Horrorkino. Empfangen werden wir von einer Operation am offenen Herzen. Wer hier vermuten möchte, es könnte sich um ein symbolisches Bild handeln, um eine Metapher, um eine Doppeldeutigkeit, den wird THE KILLING OF A SACRED DEER auf dem falschen Fuße erwischen. Die Operation am offenen Herzen steht programmatisch für das unterkühlt-rationale Empfinden der Akteure. Das Herz pocht, aber nicht im Takt zum Wunder des Lebens, sondern als reiner Biologismus. Körper sind hier nicht lebendig, auch wenn sie sich bewegen, atmen, miteinander interagieren. Sie sind anatomische Objekte. Sie funktionieren oder funktionieren eben nicht. Man kann sie aufschneiden, man kann sie zunähen. Das Herz schlägt, aber es fühlt nichts mehr. Am Anfang hat es auch noch etwas fast Amüsantes zu sehen, wie Familie Murphy durch ihre sterile Welt wandelt. Wie mechanisch gilt ihr ganzer Alltag der kalten Routine. Eine Routine, die sich die Familie leisten kann, weil sie das Selbstverständnis der Upperclass dermaßen verinnerlicht hat, dass kaum Zweifel daran bestehen, es könnten auch Abweichung von der Norm auftreten. Aber diese Abweichungen gibt es – wie zum Beispiel in Form des 16-jährigen Martin. Erst als charmanter junger Mann mit guten Manieren wahrgenommen, wird er später zum dämonischen Albtraum-Prinzip, das sich wie ein dunkler Schatten über die Köpfe der High-Society-Egomanen legt und sie herausfordert: Ihr habt vergessen, wie es ist, zu fühlen? Ich werde es euch beibringen. Ihr habt vergessen, was die menschliche Existenz ausmacht? Ich werde euer Lehrmeister. THE KILLING OF A SACRED DEER ist ein mit chirurgischer Präzision ausgeführter Querschnitt durch eine soziale Schicht, die etwas ganz Wesentliches verlernt hat: Verantwortung. Und mit Verantwortung kommt man irgendwann auch an den Punkt, an dem man sich Fehler eingestehen muss. An dem man Schuldgeständnisse ablegen muss. Und Martin wird dafür sorgen, selbst wenn er dafür einen antike Mythos heraufbeschwören muss und die satten Elitebürgern zu den Hauptdarstellern ihrer eigenen griechischen Tragödie werden lässt. Er wird sie aus ihrer Selbstläufer-Komfortzone reißen. Yorgos Lanthimos bleibt weiterhin eine einschüchternde Kapazität im Bereich des internationalen Arthaus-Kinos.
[...] In seinem Themenspektrum ist Die Halbstarken von Georg Tressler (Geständnis einer Sechzehnjährigen) ein zeitloser und stilprägender Film. Er behandelt die Unzufriedenheit von Heranwachsenden, die nur in der Rebellion einen Ausweg aus ihrer tiefen Enttäuschung sehen. Freddie ist dafür ein Paradebeispiel: Er hat sich vollends von Vater und Mutter abgenabelt und sich mit seiner Clique eine Ersatzfamilie angeeignet. Ohne elterliche Führung und Zuneigung allerdings wird Freddy Zeit seines Lebens ein gezeichnetes Kind sein: Ein vergessenes, verlorenes Kind. Und die große Tragik dieser durchaus vielschichtig gezeichneten Figur ist, dass sie sich über diese Verlorenheit vollkommen im Klaren ist. Erst durch die Selbstreflexion, die den Hauptakteur abseits von Machoallüren zeigen, gewinnt Die Halbstarken an Kontur und Dimension. Freddy nämlich ist keine Karikatur, nein, er ist lebendig und damit ist er auch sterblich.
Der unverstellte Einblick in die zerklüftete Gefühls- und Gedankenwelt der Nachkriegsjugend ist der Grundstock, der Die Halbstarken zu einem Klassiker des deutschen Films erhoben hat. Was die zeitgenössische Kritik einst als Schonungslosigkeit definierte, ist in Wahrheit nur das genaue Beobachten eines Regisseurs, der sein Klientel und sein Milieu verstanden hat. Tressler weiß offenkundig, wie es sein muss, wenn man in einer Lebensphase angekommen ist, die sich vor allem durch die eigene Rastlosigkeit auszeichnet. Nachdem die unternommenen Versuche, irgendwie, irgendwo, irgendwann anzukommen, bis hierher gescheitert sind, scheint sich im Kern der Gruppe um Freddy und seinen Mitläufern vor allem ein Ballungsraum der Wut etabliert zu haben. Sich der gesellschaftlichen Ordnung nicht zu fügen, versteht sich als ehrenhaftes Gepräge der eigenen Persönlichkeit: Auflehnung als Ablassventil seelischer Vernachlässigung.
Wenn sich Die Halbstarken gegen Ende zum klassischen Heist-Thriller entwickelt und auf seine unausweichliche Katastrophe hinläuft, manifestiert Georg Tressler zwar seine Leidenschaft für das europäischen Kino, lässt das Charakter-Drama aber auch ein Stück weit verflachen, weil sich der Film hier vor allem für oberflächliche Spannungsmechanismen interessiert und die inneren Konflikte seiner Darsteller auf Abstand rückt. Authentisch allerdings bleibt dieser Film, eben wegen seiner Klarheit, die er aufbringt, wenn er sich den Leiden der Figuren widmet; ihre Bedürfnisse aufzeigt, ihre Rebellion hinterfragt und von Einsamkeit, Unausgeglichenheit und Zorn spricht. Besonders die schauspielerischen Leistungen von Horst Buchholz, Christian Doermer und Karin Baal (Lili Marleen) werden in Erinnerung bleiben. Sie opfern sich für den Film, auch wenn sie dafür im Rinnstein enden müssen. Vergänglich, vergessen und verloren. [...]
[...] Nun, Ist das Leben nicht schön? besitzt schon etwas ungemein Betuliches, wenn er dem lebensmüden George Bailey (James Stewart, Vertigo – Aus dem Reich der Toten) zurück zum Mut führt, in dem er ihm vor Augen hält, wie schön sein Dasein in der Kleinstadt Bedford Falls doch ist. Bailey, der von Anfang an mit dem Traum hausieren geht, sich den Staub seines Heimatkaffs von den Schuhen klopfen zu wollen, um die große weite Welt zu sehen (und sich somit auch einen erweiterten Horizont anzueignen), wird durch Stolpersteine und Schicksalsschläge zusehends davon abgehalten, seine Wünsche verwirklichen zu können. Während sich sein Bruder auf das College begeben kann und einige Medaillen für seine Dienste im zweiten Weltkrieg erhält, übernimmt George den Betrieb seines Vaters und bleibt, ganz einfach gesagt, stehen.
Die Hoffnung schwindet dahin, die Wut wächst. Irgendwann scheint George derart in die Enge getrieben worden zu sein, dass er nur noch einen Ausweg sieht: Den Freitod. Wir haben es hier jedoch nicht mit Louis Malles Das Irrlicht zu tun, sondern mit dem optimistischen Gemüt eines Frank Capra, was den Film in seiner ideologischen Ausrichtung zuweilen reichlich altbacken wirken lässt: Da gibt es Beistand von ganz oben, der sich genüsslich in den christlichen Kitsch eingräbt, da wäre ein rückständiges Frauenbild, welches in Form von Donna Reed (Verdammt in alle Ewigkeit) vor allem die Hausfrauenplattitüde bestätigt. Und da wäre die Vorstadtmentalität, der man sich nicht verweigern darf, sondern für diese dankbar sein sollte. Immer die gleichen Gesichter. Immer die gleichen Abläufe. Im Falle von Ist das Leben nicht schön? bedeutet das verschworene Solidarität.
Und doch darf man den zeitgeschichtlichen Kontext nicht außer Acht lassen. Als Nachkriegsfilm ergibt sich Ist das Leben nicht schön? einem klaren illusorischen Maß und lässt sich neben seinen sozialkritischen Ansätzen, der Verurteilung von Machtbesessenheit und den psychischen Leiden seiner Hauptfigur vor allem von einer herzerwärmenden Naivität leiten, die letztlich funktioniert, weil sich der Film auf einen herausragenden James Stewart verlassen kann. Er gibt dem Film eine emotionale Tiefe, die das Drehbuch allein nicht hätte aufbringen können. Wenn Stewart dem Glauben anheim fällt, tot mehr wert zu sein als lebendig und später den Sinn seiner Existenz vor Augen gehalten bekommt, dann ist das wenig subtil und ungemein konservativ, aber es berührt, weil Stewart die Palette menschlicher Empfindungen durch seine pointierte Performancekunst im Detail aufatmen lässt. [...]
[...] Die Gruppendynamik sieht sich von Beginn an durch den renitenten Jack (Tom Chaplin) gestört. Er war bereits Anführer des Chors und musste sich in der Abstimmung um den Posten des Leaders gegen den gutmütigen Ralph (James Aubrey, Spy Game – Der finale Countdown) geschlagen geben. Als verhaltenspsychologische Studie mag die Verfilmung des Literaturklassikers zwar nicht unablässig in die urwüchsigen Tiefen der menschlichen Natur vordringen, der Film allerdings gibt einen überaus trefflichen Eindruck davon, wie verschieden die Menschen agieren, wenn sie realisieren, dass die Gesetze ihrer Sozialisation außer Kraft gesetzt worden sind. Aus einer freiheitlich bestimmten Rangordnung entwickelt sich ein Diskurs über das in jedweder Form von Hierarchien eingeschriebene Gewaltpotenzial. Ralph bleibt diplomatisch, versucht zu vermitteln, während Jack sein eigenes Team bildet – quasi eine verwilderte Gegenbewegung.
Die involvierten Charaktere werden auf das Wesentliche ihres Daseins heruntergebrochen: Den Überlebensdrang. Es geht um Instinkte, um Triebe. In dem Moment, in dem die Kinder ihre Schuluniformen ablegen, scheint die Natur über die Dressur gewonnen zu haben. Machtgefüge werden von nun an nicht mehr im Plenum bestimmt, sondern ekstatisch ausgelebt. Nachdem das Gerücht die Runde macht, dass es auf der Insel eine Bestie geben soll, die sich des nachts auf der Jagd befindet, gibt sich die Dramaturgie hinter Herr der Fliegen der Eskalation frei: Von nun an bestimmen Rivalität, Opportunismus, Angst und Tod das Geschehen. Das Abenteuer einer Horde Schüler wird zur Tragödie. Natürlich gibt es auf dieser Insel eine Bestie, allerdings lauert sie nicht im Dickicht des Dschungels, sondern im inneren Kreis der Flugzeugbrüchigen. Sie war schon immer dort. [...]
[...] Das beginnt bereits mit dem Umstand, dass Vernetzt – Johnny Mnemonic nicht einfach nur schlecht gealtert ist, sondern schon 1995 kaum Schauwerte zu bieten hat. Wenn Johnny als verzerrtes Digitalisat durch den Datenstrom stürzt, dann ruft das Erinnerungen an die altertümlichen Animationen hervor, die einst das Windows-98-Betriebssystem präsentiert hat: Unförmiger, niemals plastischer Pixelbrei. Dass die Großstädte dieser in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts angesiedelten Erzählung in schmucklose Bilder gehüllt sind, mag Methode besitzen, sind sie doch zum Großteil zerstört und von Multi-Konzernen regiert, die das Volk bereitwillig verrecken lassen. Von einer stimmungsträchtigen Atmosphäre des Untergangs kann jedoch keine Rede sein. Überraschend, denn ein derart visueller Künstler wie Robert Longo sollte doch Visionen dahingehend besitzen, Bildwelten der Panik und des Verderbens zu kreieren, die über heruntergekommenen Hinterhofbeton hinausgehen.
Dem ist aber nicht so. Was sich an Vernetzt – Johnny Mnemonic in Sachen Set-Gestaltung kritisieren lässt, muss sich auch auf die inhaltliche Ebene übertragen lassen. Denn im Kern ist diese transhumanistische Ausrichtung des Narrativ, die aufzeigt, dass das technologische Zeitalter auch der Bedeutung unterliegt, den Menschen immer mehr zu Maschine zu transformieren, eine so packende wie verstörende. Vernetzt – Johnny Mnemonic allerdings hat diesen Überlegungen nichts entgegenzusetzen und reduziert sich selbst auf einen äußerst notdürftigen, ungemein konfus arrangierten Hybrid aus Neo noir und Action-Film. Die Mixtur aus warnender Dystopie und pulpiger Genre-Hingabe bleibt aufgrund seiner allgemeinen Unterentwicklung ein reizloses Unterfangen. Und über allem thront ein sagenhaft schlechter Keanu Reeves, der chargiert, dass es einem die Ohren anlegt und ein modisches Portfolio, welches sich aus der Karneval-Resterampe zusammensetzt. [...]
[...] Und wenn sich der dreckige Haufen in die libysche Wüste aufmacht, auf den Spuren von Eroberern wie Alexander dem Großen und Hannibal, glänzt die hochwertige Regie seitens André de Toth nicht nur durch beeindruckende Naturaufnahmen, die die Gnadenlosigkeit der unwirtlichen Felsen- und Hügellandschaft der nordafrikanischen Weiten beim bloßen Anblick vor Augen führt, de Toth zeichnet sich auch für einen durchgehend packenden Wüsten-Kraftakt verantwortlich, in dem die sengende Hitze, Sandstürme, die Minenfelder und der aggressive Ballungsraum aus Italienern, Briten, Deutschen und Eingeborenenstämmen ein wahrlich intensives Klima der pausenlosen Anspannung erweckt. Ein dreckiger Haufen setzt sich tonal dabei zwischen siedende Belastungsproben und bleihaltige Explosivität. Die Strapazen werden plastisch erfahrbar gemacht; und alles ist vergebens. Das Ende aller Anstrengungen, allen Zynismus, ist ein bitteres. Es gibt keinen Frieden und keine Erlösung. [...]
[...] Woody Allen lässt die Phantasie, die Romantik, die Nostalgie aufleben und destilliert das Charisma, welches die Vergangenheit auf die Menschen von heute auswirken kann, in jedem einzelnen Frame. Gil, der über sich sagt, er sei zu spät geboren, lässt sein Manuskript von Getrude Stein (Kathy Bates, American Horror Story) lesen, trifft sich mit Salvador Dali und Luis Bunuel in einer Kneipe und beginnt eine Liaison mit Picassos Muse Adriana (Marion Cotillard, Der Geschmack von Rost und Knochen). Der Kraft der Geistesschöpfungen sind keine Grenzen gesetzt und Woody Allen hat merklich Freude daran, Wunschträume einerseits zu erfüllen, sie aber auch gleichermaßen zu hinterfragen, wenn schließlich auch Adriana das Bedürfnis äußerst, in einer anderen Zeit gelebt zu haben. Liegt die Erfüllung denn wirklich im gestern?
Irgendwann, nachdem Gil die goldenen 1920er Jahre in Paris in all ihrer Pracht am eigenen Leibe erfahren durfte, kommt die Zeit, den Tatsachen in die Augen zu blicken. Natürlich war es früher nicht besser, es war anders. Die Gegenwart behält ebenfalls ihre Wunder bereit und muss nicht verdrängt werden. Jede Straße, jeder Boulevard, jedes Bistro und jedes Café ist auch im heutigen Paris noch von einer Magie umklammert, die man in keiner anderen Stadt der Welt vorfinden kann. Und auch wenn Midnight in Paris nach einer filmischen Entspannungskur klingt, nach seichtem Wohlfühlkino, so ist es doch die wahre Größe von Woody Allen, dem Film trotz seiner Leichtigkeit immer noch einen doppelten Boden zu lassen, der genau diese Annehmlichkeit auf den Prüfstand stellt. Die Welt hält mehr bereit als Stereotype. [...]
[...] Und um die Bedeutung von Körper, Seele und Geist geht es auch in diesem Film. Ein Jahr nämlich war Kane (Oscar Isaac, Inside Llewyn Davis) verschwunden, bis er eines Tages wie aus dem Nichts wieder vor seiner sich immer noch in tiefer Trauer windender Frau Lena (Natalie Portman, Jackie) steht. Wo er war, weiß er nicht. Wie lange er weg war, hat er vergessen. Sein Gedächtnis beklagt keine Lücken, dort klafft ein immenses Loch. Natürlich war er einer der Soldaten, die sich in das Innere des Schimmers begeben haben – und Lena wird es ihrem Mann alsbald gleichtun, als Teil eines Frauenteams, das über adäquate wissenschaftliche und militärische Ausbildungen verfügz. Es beginnt eine Suche nach Antworten. Oder vielmehr: Eine Suche nach den richtigen Fragen.
Nach den Fragen, auf die der Körper, der Geist und die Seele verschiedene Antworten bereithält. Wenn sich der weibliche Trupp in die Area X, in das Ungewisse, in die Dimension, in der man sich offenkundig nur selbst oder gegenseitig umbringen kann, begibt, entwickelt Auslöschung eine derartige Immersion, die den Zuschauer geradewegs in diese Alternative-Natur, diesen Nicht-Raum, hineinzieht. Hier definiert Garland den Begriff Sinnesrausch neu, wenn er veränderte Lebensformen, duplizierte Lebewesen in formvollendeten Flora-und-Fauna-Impressionen von traumwandlerischer Schönheit offenbart: Wenn er Bäume aus Glas, Fädenfische und schneeweiße Springböcke mit glitzerndem Geweih vorfindet. Oder wenn er einen gefräßigen Totenkopfbären und einen Albino-Alligator mit ungewöhnlich überschüssigen Zahnreihen auf die Jagd schickt. Wäre dies ein Film von Steven Spielberg (München), Area X wäre ein Zauberwald, in dem Wunder wirklich möglich sind.
Auch in Auslöschung ist das Unmögliche Gang und Gäbe, aber Alex Garland agiert in seinem famosen mehrdimensionalen Eskapismus nicht naiv, sondern benutzt das Rätselhafte um die Gesetze der Evolution, der Naturgeschichte, der Physik und der Psychologie zu überdenken und im nächsten Schritt neu zu bestimmen. Auslöschung geht irgendwann tatsächlich so weit, dass er die Existenz des Menschen nicht mehr nur für nichtig hält, nein, er überprüft, ob es Alternativen und Varianten zu dem gibt, was wir heute als homo sapiens begreifen. Und im farbenprächtigen Herzen dieses unerklärlichen Phänomens, in dem sich Zeit und Raum, also Konstanten unseres Daseins, zusehends auflösen, entsteht eine virtuos inszenierte und unheimlich geistreiche Mediation über das Leben und den Tod, das Sein und das Nichtsein, das Erschaffen und (Selbst-)Zerstören. Wir müssen aufhören, Antworten zu suchen. Wir müssen beginnen, die richtigen Fragen zu stellen. [...]
[...] Deluc wollte keinen Künstler-, sondern einen Abenteuerfilm drehen. Und wahrlich, ein Abenteuer ist es mitanzusehen, wenn Gauguin durch die polynesischen Tropen streift, ohne finanzielle Mittel oder zwischenmenschliche Kontakte, und nur noch wenige Stunde von dem eigenen Erschöpfungstod entfernt zu sein scheint. Gauguins Rückkehr zum Ursprünglichen fördert vor allem auch ein Verständnis für die tödliche Macht des Unschuldigen. Die Schönheit des Dschungels ist gleichzusetzen mit der Gnadenlosigkeit der Natur. Durch die zufälligen Ankunft in einem Eingeborenendorf und der Begegnung mit der bildhübschen Tehura (Eine vielsprechende Entdeckung: Thei Adams) wandelt sich das Blatt vorerst. Gauguin kämpft nicht mehr nur um das bloße Überleben, er kämpft auch mit der musischen Kraft, die der Anblick von Tehura in ihm auslöst. Nun entstehen Werke, die später für einen Millionenerlös vertrieben werden.
Aber auch auf dieser Insel im Pazifik, im Schatten von Kokospalmen, erhält das Barbarische der Gesellschaft Einzug. Gauguin, der einst ausgebrochen ist, um sich zu finden, wurde gleichwohl von dem entdeckt, vor dem er geflohen ist: Von Geldnöten, von Eifersucht, von Unmoral. Und Vincent Cassel spielt dieses Flüchtling mit wucherndem Bartgestrüpp wunderbar frustriert, ausgemergelt und arrogant. Deluc besteht darauf, ein hagiografisches Abbild seines renommierten Hauptakteurs zu vermeiden, ohnehin lassen sich zu viele Fragwürdigkeiten in der Vita Gauguins entdecken, die es als nahezu unmöglich erkläreb, einige seiner Handlunge über die unverkennbare Genialität seiner Person zu legitimieren. Gauguin allerdings verkürzt und komprimiert den Werdegang des Kunstschöpfers, lässt zwar auch einige Ambivalenzen übrig (gerade wenn es um die französische Kolonialvergangenheit geht, die Gauguin verurteilt, aber gleichermaßen ausnutzt), bleibt insgesamt jedoch seltsam irrelevant. Wie ein Film ohne Standpunkt, ohne innere Balance. [...]
[...] Vorbilder für den Ex-GI Nick Lowell waren ikonische Stoiker wie Alain Delon in Der eiskalte Engel oder Ryan Gosling in Drive. Auch Jared Leto wird dazu angehalten, wenige Worte zu verlieren und sich die meiste Zeit über seine Augen zu artikulieren. Im Gegensatz zu Jean-Pierre Melville oder Nicolas Winding Refn aber versteht es Zandvliet wenig bis gar nicht, den Körper als Kommunikationskanal zu definieren, was sich von Minute zu Minute stärker zum Ausdruck bringt, wenn Jared Leto auf Fragen nicht antwortet, sondern nur noch unbeholfen in die Leere starrt. Wahrscheinlich sollte dies dem Mysterium des Mannes in die Karten spielen – und Leto besitzt durchaus ein Gesicht, in welches man eine Geschichte einmeißeln könnte - in Wahrheit aber unterstreicht dieser Umstand nur, dass Nick Lowell schlichtweg nichts zu sagen hat.
Über zwei Stunden muss der Zuschauer nicht nur mit diesem vollkommen unterentwickelten, absolut mechanischen Hauptakteur Vorlieb nehmen, er muss sich auch durch klischierte Fernost-Impressionen schlagen, die sich aus Sumoringern, Kabuki-Theatern und, natürlich, den Yakuza zusammensetzen. Der konsequent in gräuliche Bilder gehüllte The Outsider begreift diesen japanischen Kosmos als fremde Dimension, die es nicht zu verstehen, sondern zu erobern gilt. Und Nick ist der weiße Geist, der ohne Gedanken, ohne Gefühle, ohne Verständnis für Regeln, Traditionen, Rituale und Identitäten nach und nach alles an sich reißt, was sich nicht mit einem sauberen Kehlenschnitt aus der Welt schaffen lässt. Warum er das tut, was ihn antreibt, bleibt im Verborgenen. Vielleicht, weil es seinem amerikanischen Naturell entspricht, weil er besitzen muss, was ihm nicht gehört und zerstören, was ich ihm nicht unterwirft.
Aber das wäre eine interessante Aussage; eine auch als Provokation zu verstehende Position, auf die sich hätte aufbauen lassen. Die etwas über den Menschen, seine Herkunft und die Gepflogenheiten, die die diese ausmachen, aussagen würde. Gedanken, mit denen sich das Publikum beschäftigen könnte, verweigert sich The Outsider jedoch kategorisch. Er ist handwerklich absolut solide, aber inhaltlich ein intellektuelles Brachland der Anregungen. Eine Bankrotterklärung von Sinn und Sinnstiftung. Stattdessen gibt es gelegentliche Gewaltspitzen, eine (natürlich) langjährige Fehde zwischen zwei Yakuza-Familien und reichlich Struktur- und Konturlosigkeit. Wer sich die letzten Veröffentlichungen vom marktführenden Streamingdienst Netflix ebenfalls angesehen hat, der weiß (leider) inzwischen ungefähr, was ihn erwartet: Eine seltsame Ziellosigkeit. Egal, wie hoch das künstlerische Potenzial auch sein mag. Bleibt nur zu hoffen, dass sich Martin Scorsese mit The Irishman diesem Trend nicht beugt. [...]
[...] Das Weltkino nämlich wäre ohne seine alljährlichen Beiträge ein deutlich ärmeres, wie auch Ich sehe den Mann Deiner Träume belegt. Die Resonanz fiel seinerzeit durchwachsen aus, de facto allerdings war Woody Allen lange nicht mehr zu unbarmherzig, wie in seinem vierten filmischen London-Besuch. Ausgehend von einer Familie aus der Londoner Mittelschicht, ist die elementare Erkenntnis, die uns Woody Allen hier unterbreitet, dass jeder Entscheidung Konsequenzen folgen. Weise klingt das nun zwar nicht, die Umsetzung allerdings hat es in sich, weil Ich sehe den Mann Deine Träume einer dieser Filme ist, die sich auch für das gezielte Nachtreten nicht schämen. Aus der Soap Opera, die Jugendwahn, stagnierende Karrieren und heimliche Leidenschaften thematisch umzirkelt, ergibt sich zusehends eine gallige Abrechnung mit dem britischen Bildungsbürgertum, welches sich unter dem Einfluss von Tabletten und Alkohol längst schon in bitteren Lebenslügen verstrickt hat.
Die Kausalitätskette, in die Ich sehe den Mann deiner Träume das Paar Sally (Naomi Watts, 21 Gramm) und Roy (Josh Brolin, Sicario), Sally Vater Alfie (Anthony Hopkins, Das Schweigen der Lämmer) und seine Ex-Frau Helena (Gemma Jones, Sinn und Sinnlichkeit) ist gesäumt von schmerzhaften Zynismus und decodierender Schärfer – Eine tödliche Mischung. Denn dort, wo Ehen schon lange ihren Zenit überschritten haben, wo Illusionen wie Medikamente aufgesaugt werden, bis sich der Körper resistent gegen sie erweist, und eine Midlifecrisis immer wieder aufs Neue mit der Einnahme von Viagra-Pillen befeuert wird, bleibt offensichtlich nur noch die Flucht in die Spiritualität. Helena gibt sich in die Hände einer Wahrsagerin und reaktiviert durch diese ihren Lebensmut. Und weil Woody hier als ein derart gnadenloses Aas agiert, bleibt auch das Happy End, welcher er dieser Figur vergönnt, eines mit fadem Beigeschmack.
Woody Allen genoss schon immer ein wunderbares Gespür für das soziale Miteinander, für krisengebeutelte Zwischenmenschlichkeit, für das präzise Beobachten von Trieben und Begierden. Lange Zeit jedoch hat man den Meister nicht mehr derart entschieden darin gesehen, seiner Akteure bis auf die Knochen freizulegen. Ich sehe den Mann Deiner Träume blickt tief in das Innere seiner Charaktere, macht sie nackt, macht sie verletzlich. Umso schmerzhafter und auslaugender ist es deswegen zu sehen, wie Allen alle Beteiligten am langen Arm verhungern lässt. Wo ein Funken Hoffnung aufblitzt, bleibt in Wahrheit immer nur die Ernüchterung in Form von Täuschung, Manipulation, abgebrannten Finanzen und Nebenbuhlern, die nichts lieber tun, als sich dem persönlichen Glück in den Weg zu stellen. Ja, das Leben ist Schall, Raserei, Lärm und Wahn. Und letztendlich vollkommen vergebens. [...]
[...] Selbstverständlich dauert es nicht lange, bis Jean-Claude Van Damme seine ersten Kicks auspacken darf und in Konflikt mit dem sadistischen, Erdnuss-knackenden Gefängnisaufseher DeGraf (Art LaFleur, Feld der Träume) gerät, der seine Überzeugungen gerne mal mit dem Schlagstock unterstreicht. Bezeichnend an Mit stählerner Faust ist, dass sich Deran Sarafian (Tödliche Geschwindigkeit) all den Gefängnis-Sagen bereitwillig hingibt, sie sogar noch extra-trashig aufbauscht, wenn er im Keller der Einrichtung einen ominösen Transen-Voodoo-Zirkel versteckt, sicher aber nie in der Lage sieht, Mit stählerner Faust auch als das zu verkaufen, was er ist: Ein ranziger B-Movie-Knast-Klopper. In schmucklosen Bildern ermittelt sich Van Damme durch den Zuchthauskomplex und seine Insassen, findet neue Freunde und alte Feinde, allerdings niemals die Möglichkeit, um Spaß an diesem gnadenlos blöden Reißer zu haben.
Nicht einmal für das ikonische Markenzeichen von Van Damme, den Spagat, hat es gereicht! Dabei steht die belgische Kampfmaschine hier körperlich dermaßen im Saft, dass Deran Sarafian alle Chancen hatte, das athletische Potenzial aus seinem damaligen Superstar des Genres zu schöpfen. Stattdessen ist Mit stählerner Faust nichts Halbes und nichts Ganzes. Sicherlich gelingt es dem Film, ein bedrohliches Klima für den maskulinen Dampfkessel zu entwickeln und von einem Mikrokosmos zu berichten, in dem Zigaretten gedreht, Kakerlaken gezählt und Kehlen durchtrennt werden. Die abstruse Story allerdings ist nicht stramm genug, um Thrill zu erzeugen und nimmt sich gleichwohl zu ernst, um ironische Zwischentöne zu erlauben. Von der schwachbrüstigen Action mal ganz zu schweigen. Gerade im Finale, wenn die Schleusen zum Fegefeuer geöffnet werden, hätte die Nummer hier richtig am Rad drehen können. Tut sie nicht, eine Linke, eine Rechte und ein Luftsprung. Na, vielen Dank. [...]
[...] In all den malerischen Impressionen lauwarmer Sommernächte, dem sanften Zupfen der Gitarrensaiten und dem Erkunden von kulturellen Wahrzeichen scheint bereits eine Sehnsucht nach dem Ausbruch aus den alten Schalen eingeschrieben zu sein. Cristina, die es sich eingestehen kann, in ihrem Leben nicht erfüllt zu sein, und Vicky, die ihre Glückseligkeit als Lebenslüge akzeptieren würde, werden durch die schicksalhafte (?) Begegnung mit dem attraktiven Maler Juan Antonio Gonzalo (Javier Bardem, No Country for Old Men) schlagartig in einen Liebesreigen gebunden, der ihnen dabei hilft, vieles über sich selbst zu erfahren – und der Zuschauer lernt mit ihnen. Vor der pittoresken Kulisse Kataloniens soll dem Wein, der Kultur, dem Sex gefrönt werden, was Cristina mit Freuden annimmt, Vicky aber in Unbehagen stürzt, steht sie doch kurz vor ihrer Hochzeit.
Es wäre ungemein unmenschlich, würde sich über dieses Unbehagen Vickys nicht auch eine gewisse Neugierde an die Oberfläche bewegen, die dafür sorgt, sich einfach dem Augenblick hinzugeben, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, die dieser „Moment der Schwäche“ mit sich führen könnte. Woody Allen, der Vicky Cristina Barcelona auch von einem allwissenden Erzähler aus dem Off begleiten lässt, aber genügt es nicht, spanische Abenteuer in Szene zu gießen, denen man nachträglich noch nachsagen könnte, es wären Ausdrücke einer Altherrenphantasien (obgleich dieser Film oftmals genau dem Urteil anheimfiel). Stattdessen durchleuchtet Allen hier vielmehr die Bewandtnis alternativer Lebensmodelle, wenn er monogame und polygame Verhältnisse auf den Prüfstand stellt. Eine Dreiecksbeziehung allerdings reicht dem New Yorker Urgestein nicht, es darf ruhig eine Ménage-à-quatre sein.
Irgendwann nämlich mischt sich auch noch Juans labile Ex-Frau María Elena (Penélope Cruz, Zerrissene Umarmungen) in das Geschehen ein und befeuert Konflikte wie Eros im gleichen Maße. Cruz, die für ihre Performance mit dem Oscar prämiert wurde, sagt einmal zu Cristina, dass sie das fehlende Element in ihrer Beziehung zu Juan ist. Weil sie damals noch nicht anwesend war, mussten Juan und María scheitern. Turbulent scheitern, wohlgemerkt, denn María, die Cruz wunderbar giftig, verzweifelt und verführerisch verkörpert, hat versucht, ihre Ex-Geliebten zu ermorden. Und so entbrennen und verflachen neue Liebeleien, die Allen mit Charme, Esprit, Sinnlichkeit, Hingabe und Aufgabe anregt, um am Ende doch wieder vor Enttäuschung, Überforderung und Rätselhaftigkeit zu stehen. Seit vier Dekaden analysiert Allen die Menschen. Was in ihnen vorgeht, weiß auch er nicht. Woody ist eben auch nur ein Mensch. [...]
[...] Bis dahin besticht Phil Joanou durch eine entschleunigte Narration, die Im Vorhof der Hölle zuweilen etwas gemächlich erscheinen, aber gleichwohl niemals zum Stillstand kommen lässt, kann sich diese zutiefst düstere Großstadtballade doch ein durch und durch hervorragendes Schauspielensemble verlassen. In der Hauptrolle brilliert Sean Penn, der es wie kaum ein anderer Darsteller verstand, durch wenige Gesten und eine minimale Physiognomie unglaublich viel über seine Gefühlswelt auszudrücken. Die Zerrissenheit, mit der Penn seinen Terry Noonan ausstaffiert, gibt dieser für das Gangster-Kino mehr als archetypischen Figur ein mehrdimensionales Wesen. Ihm gegenüber steht der frisch gebackene Oscar-Gewinner Gary Oldman (Die dunkelste Stunde), der sich als Terry ehemals engster Gefährte die Seele aus dem Leib wütet. Oldman agiert dermaßen impulsiv und unberechenbar, dass sich die Verzweiflung seiner Figur umso stärker formuliert.
Und genau diese Unberechenbarkeit macht ihn zum Problem für seinen Bruder Frankie (Ed Harris, Die Truman Show), dem hiesigen Mobster – die Tragödie ist vorprogrammiert. Durch das authentische Lokalkolorit und Sozialklima gelingt es Im Vorhof der Hölle darüber hinaus auch als (groß-)städtischer Befindlichkeitsfilm zu bestechen. Das irisches Viertel wird zusehends Opfer der Gentrifizierung. Während sich immer mehr Yuppie-Appartements in Brooklyn ausbreiten, scheint die rustikale Identität der irischen Bewohner zusehends ausgelöscht zu werden. Ein weiterer Grund, warum sich die Gegend in einen von Gewalt bestimmten Druckkessel gewandelt hat, in dem die Nerven vollkommen blank liegen. Und trotz all der Dunkelheit, trotz der deprimierenden Kraft der Realität, die alle Illusion erstickt, ist dieser Film in seinem Kern ein ungemein zärtlicher, einfühlsamer. Ein Film über die unausweichliche Verbundenheit zwischen Menschen. Man kann sich nicht von seinen Wurzeln lösen. [...]
[...] Und so dreht sich das Figurenkarussell munter in alle möglichen Richtungen, lässt die romantische Liebe und den damit verbundenen Kummer gleichermaßen aufleben, um sich am Ende voll und ganz einer lebensgewandten Mentalität hinzugeben, denn: Alle sagen: I Love You. Woody Allen gibt sich und sein Starensemble einer beflügelten (und beflügelnden) Hommage an ein nostalgisches Kino hin, in dem man durch die sprudelnde Leidenschaft für Bewegung und Gesang die Hoffnung und Phantasie lebendig werden ließ. So lebendig, dass sich in einer Szene gar die Toten aus ihren Särgen erheben, um eine äußerst flotte Sohle auf das Parkett zu legen, bevor sie auf die Straßen der Großstadt hinaustanzen und die alles umschlingenden Frühlingsgefühle zelebrieren. Alles funktioniert hier über die Lebensfreude, die sich noch Zeit dafür nimmt, ihre Charaktere schwelgen und schweben zu lassen. Im Finale, wenn sich Woody Allen und Goldie Hawn in einem wunderbar zärtlichen Tanz am Quais der Seine noch einmal näherkommen, lässt Allen seine Partnerin jenseits aller physikalischen Gesetzmäßigkeiten in die Luft aufsteigen. Ja, die Liebe sorgt für Hochgefühle. Auch im übertragenen Sinne. [...]
[...] Während Woody Allen als Lenny in gewohnt entwaffnender Nervosität darum bemüht ist, Linda ein besseres Leben zu ermöglichen, ist die wahre Entdeckung dieses Films Mira Sorvino, die ihre schwierige Rolle mit einer einnehmenden Klarheit ausstaffiert, dass es eine Freude ist, ihr beim Schauspielen zuzuschauen: Sie spricht, wie ihr der Mund gewachsen ist, ihre vulgäre Ausdrucksweise allerdings ist niemals geschmacklos, weil Woody Allen dieser Figur ihre Würde lässt, anstatt sich über ihr bisweilen schlichtes Gemüt zu amüsieren. Dadurch gelingt es Geliebte Aphrodite, sich nicht nur von den dämmerigen Unkenrufen des griechischen Chors freizusprechen, der immerzu Gefahr im Verzug sieht, sondern auch, als eloquentes Geschlechterstück zu erstrahlen, welches sich einen Großteil der Handlung auf einer angenehm platonischen Ebene entfalten darf. Solange, bis die Ironie des Schicksals mit voller Breitseite zuschlägt. [...]
[...] Rio Grande ist nur nicht das Familiendrama, in dem John Wayne gerade durch die gelegentlichen Brüche in seiner Souveränität überzeugt, wenn er seiner Frau in die Augen blickt und plötzlich unsicher wie ein Schuljunge erscheint. John Ford erzählt auch eine Initiationsgeschichte und arbeitet sich am Erwachsen- und Mannwerden von Jeff in unheimlich antiquierten Mustern ab. Dieser nämlich muss erst einmal den Apachen, Seite an Seite mit seinem Vater, die Stirn bieten, bevor er sich als mündiger Amerikaner ansehen lassen darf, während die Rolle der Frau letzten Endes darauf reduziert wird, wartend am Straßenrand zu stehen, um den Heimkehrern mit einem weißen Taschentuch in der Hand entgegenzuwehen. Die Darstellung der Indianer indes ist deckungsgleich mit jenem rassistischen Verständnis eines Ringo: Blutrünstige Wilde, die Frauen und Kinder verschleppen und ihre Abende damit verbringen, peinlich um das Lagerfeuer zu hüpfen.
Aus Ethnokitsch wird in den Händen von John Ford auch ganz schnell Ethnozentrismus. Da fällt es dann auch nicht schwer, nachzuvollziehen, warum Quentin Tarantino (Jackie Brown) John Ford als Rassisten bezichtigte. Dabei steckt auch in Rio Grande, neben seiner empathischen Visualität und den gut aufgelegten Schauspielern, immerhin ein Potenzial, welches um Vertiefung fleht. Im Kern nämlich ist dies nicht nur ein Werk über eine familiäre Wiedervereinigung, sondern auch über die destruktive Kraft von Pflichtgefühl; von militärischem Gehorsam und Heimattüdelei. Rio Grande aber scheint noch ein Opfer seiner Zeit gewesen zu sein, was ihn dementsprechend museal erscheinen lässt. All die kritischen Standpunkte, in und um die Charaktere herum, werden niemals durchleuchtet, sondern glorifiziert. Und wenn dem Regisseur mal wieder nicht einfällt, wie er die Geschichte voranbringen soll, lässt er die Countrygruppe Sons of the Pioneers einen von ihren Hits vortragen. Wieder und wieder. [...]
[...] So ausweglos, wie die Lage für die Skorpione ist, so ausweglos ist auch die Lage für Bishop und seine Gefährten, die in The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz wie Dinosaurier wirken, die nur auf den Meteoriteneinschlag warten. Ihr Hochphase ist längst vorbei, sie funktionieren heutzutage nicht mehr. Geblieben ist ihnen nur noch die Loyalität untereinander – und ist in der Gegenwart, dem Jahre 1913, vollkommen wertlos. Sam Peckinpah schildert hier eine Ära des Verlusts. Die Hoffnung ist verloren, die Ideale sind verloren. Man kämpft nur noch, weil man keine andere Wahl hat. Es gibt keine Motivationen mehr, keine ehrenhaften Ziele. Dass Thornton einmal ein enger Freund von Bishop war und diesen nun jagt, um nicht zurück ins Gefängnis zu müssen, veranschaulicht das Wesen jener Tage doch ganz vortrefflich.
Die Gewalt hat gewonnen, wie in allen Sam Peckinpah Filmen. Und natürlich musste und muss sich der begnadete Filmemacher, der aktive Künstler wie Quentin Tarantino (Django Unchained), John Woo (Hard Boiled) oder Kathryn Bigelow (Gefährliche Brandung) geprägt und inspiriert hat, dem Vorwurf der Gewaltverherrlichung stellen. Wie haltlos dieses Aburteil allerdings ist, wird deutlich, wenn man jene eruptiven Brutalitäten in den Kontext der Erzählung setzt – einer Erzählung, die nichts anderes ist, als eine Studie der Gewalt. In The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz geht es nicht darum, das unsägliche Morden lustvoll zu zelebrieren, auch wenn Peckinpah im finalen Schusswechsel eine bahnbrechende Choreographie des Todes in Szene gegossen hat, die ein virtuoses Zusammenspiel von Kamera und Schnitt heraufbeschwört. Es geht um eine Welt, die einem Schlachthaus gleicht.
Alle Protagonisten sind auf ihre Art und Weise abtrünnig geworden. Und Alle Protagonisten müssen sich der Erkenntnis stellen, dass sie nur noch unzeitgemäße Schatten ihrer früheren Existenz sind. Die Gewalt hat sich längst verselbstständigt und setzt diese durch Romantisierung und Verklärung bis ins Mythologische verbrämte Kulisse des Wilden Westen mit einem in Blut und Kugelhagen erstickenden Kriegsschauplatz gleich, der sich durch die wachsende Industrie nur noch weiter verrohen und von Menschlichkeit entkernen wird. The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz ist ein Abgesang auf Idealismus, Heroismus und Männlichkeit. Niemand darf hier aufrichtig sterben, stattdessen wird den Toten hier noch mit stumpfer Klinge das Zahngold aus den Kiefern gebrochen. Die letzten Minuten, wenn die Kamera auf den am Boden hockenden Deke Thornton blickt, schenken diesem schonungslosen Abgesang dann doch noch eine gewisse Melancholie. Herzlos war er nicht, dieser Sam Peckinpah. [...]
[...] Der Rest ist Geschichte. Kinogeschichte und damit größtmögliche Geschichte, wenn man so möchte. In einem vollkommen auf sich selbst konzentrierten Selbstportrait blickt David Lynch hier auf die Jahre zurück, die seine Kindheit bis zum Drehbeginn von Eraserhead umfassen und fesselt den Zuschauer durch seine weitreichend bekannte Gabe für das Erzählen von Geschichten an seine Lippen. Durch die vielen Anekdoten wird nach und nach ein Gefühl dafür kultiviert, wie David Lynch zum Künstler wurde und was es für ihn bedeutet, das Künstlerdasein auszuleben. Für ihn gilt die Devise, dass Kunst erst einmal entarten muss, bevor sie lebendig werden kann. Als er seinen Vater zum ersten Mal Zeuge seiner Experimente werden ließ, riet dieser ihm mit gequältem Gesicht, doch besser niemals Kinder zu bekommen. Bezeichnend.
Von einem Ölgemälde schreit es dem Zuschauer zu Beginn ganz gezielt entgegen: Wollt ihr wirklich wissen, was ich denke? Und wir dürfen uns fragen: Wollen wir es wirklich wissen? David Lynch: The Art Life jedenfalls geht keinesfalls in die Richtung, das Mysterium David Lynch offenzulegen. Ohnehin ist die Dokumentation konsequent an die Worte Lynchs gebunden – und wenn dieser eine Erinnerung nicht ausführen möchte, dann tut er das auch nicht, was seine Fähigkeiten als Manipulator abermals in den Vordergrund rückt. Es besitzt darüber hinaus etwas ungemein Beruhigendes, zu beobachten, wie Lynch sein neustes Gemälde fertigstellt, Zigaretten raucht und bedeutungsvolle Passagen seiner Vergangenheit rekapituliert. Von Kontrollverlusten, Persönlichkeitsspaltungen und dem Kneten von Matsch im Schatten eines Baumes. Lynch spricht, wir lauschen – und wenn wollen Glück haben, verstehen wir auch. [...]
[...] Dadurch, dass Noah und John Zeit ihres Lebens erfahren mussten, was es bedeutet, unterprivilegiert zu sein - der eine aufgrund seiner Hautfarbe, der andere aufgrund seiner niederen Anstellung als Parkwächter in einem Luxushotel – gelingt es Flucht in Ketten von vornherein, dem Zuschauer Zugang zur Tragik des Gespanns zu gewähren und ihre mal mehr, mal weniger bösartigen Streitereien nicht nur als maskuline Attitüdenhaftigkeit abzutun, sondern dieses Verhalten auch psychologisch zu verwerten. Beide haben sich lang genug damit abgefunden, immer nur einzustecken und hinzunehmen, ohne ihren Unmut zu äußern. Durch den Umstand, dass sie durch eine eiserne Kette zur ständigen Konfrontation gezwungen sind, sehen sie sich nun auch endlich dazu bereit, sich eine Stimme zu verleihen und Gehör zu verschaffen. Niemand soll mehr Autos reparieren, jetzt bricht die Zeit an, in der man selber am Steuer sitzt.
Das Leitmotiv der Handlung, nämlich der allgegenwärtige Rassismus innerhalb der Vereinigten Staaten, wird in den Händen Stanley Kramers selbstverständlich zur moralischen Lektion. Auf der Odyssee durch Schlamm, Sümpfe und Stromschnellen glätten sich die Wogen zwischen Noah und John zusehends. Ihr gegenseitiger Hass basiert auf gesellschaftlicher Propaganda, die mit nichts zu belegen ist. Sehr präzise und in markanten Bildern fertigt Flucht in Ketten innerhalb der leicht episodisch anmutenden Dramaturgie auch ein Stimmungsportrait Amerikas an und wirkt der verqueren Ideologie über zwei Männer entgegen, deren freundschaftliche Intimität in der Öffentlichkeit sicherlich nicht toleriert werden kann, die der umgreifenden Ungerechtigkeit aber durch ihren Zusammenhalt repräsentativ Einhalt gewährt: Flucht in Ketten ist ein kraftvolles Plädoyer gegen den Rassismus und somit von absolut zeitloser Beschaffenheit. Der Inbegriff eines Klassikers also. [...]
[...] Alles, wahrlich alles, was Mute anfasst, geht in die Brüche. Leitfaden der Narration ist die Suche Leos nach seiner spurlos verschwundenen Freundin Naadirah (Seyneb Saleh, Die Lügen der Sieger). Im Berlin des Jahres 2052 stehen die Zeichen derweil auf Dystopie. Die deutsche Hauptstadt hat sich in einen urbanen Maloch verwandelt; ein Schmelztiegel der Kulturen, in dem alles in Dreck, Neolicht und Nebel verschwimmt. Dass Duncan Jones rein gar nichts einfällt, um Berlin eine eigene Persönlichkeit einzuverleiben, vermittelt das kanonisierte Bildrepertoire idiotensicher, aus dem der Regisseur hier schöpft. Beinahe 1 zu 1 gleichen die großstädtische Aufnahmen hier denen des stilbildenden Ridley-Scott-Klassikers Blade Runner. Und Duncan Jones, der auch in Interviews zu diesem übergroßen Vorbild steht, scheint sich in aller Bequemlichkeit auf die ikonischen Strahlkraft von eben diesem zu verlassen.
In das verlotterten Chaos des zukünftigen Berlins eigene Impulse einfließen lassen? Von wegen. Blade Runner hat schließlich schon alles gesagt. Deswegen muss es reichen, ein Lichtermeer aufzuzeigen, in dessen zweifelhaften Glanz jede Menge noch zweifelhafterer Gestalten herumkriechen. Diese künstlerische Mentalität, die Respekt mit Faulheit verwechselt, überträgt sich auch auf die inhaltliche Ebene. Bis auf Ermittlungen Leos, fehlt dem Zuschauer jedweder Bezugspunkt. Zu Anfang möchte man sich noch einreden, des Rätsels Lösung offenbart sich am Ende mit einem immensen Knall, allerdings gibt es keine Lösung und erst recht keinen Knall. Mute hingegen ist eine Paradebeispiel für katastrophales Storytelling. Ein derart unsortiertes, zielloses, ja, hilfloses Drehbuch, welches sich irgendwo auch als Hommage an den klassischen Film noir verdient machen möchte, kann im Zuschauer nur eine Reaktion hervorrufen: Ratlosigkeit. Und auf Ratlosigkeit folgt bekanntlich Frustration.
In einem Interview verriet Duncan Jones, dass Mute sein bisher persönlichstes Projekt ist und über 13 Jahre Arbeit in sich trägt. Als Zuschauer stellt man sich dort unweigerlich die Frage, welcher Prozess eine derart umfangreiche Zeitspanne in Anspruch genommen hat? Besonders persönlich soll Mute aus dem Grund sein, weil Jones selbst eine innige Bindung zu Berlin pflegt – über eine Dekade seines Lebens hat er hier mit seinem Vater David Bowie (Der Mann, der vom Himmel fiel) zugebracht. Dass Mute letztlich umso beliebiger und planloser wirkt, an all seinen Motiven, Charakteren und Schauplätzen gnadenlos vorbei erzählt, ist angesichts des angeblichen Aufwands seitens Jones umso tragischer. Was hätte Mute doch für ein elegisches Zukunftsportrait werden können, eine Studie über die Kraft, die es kostet, Eltern zu sein; über kulturelle Identitäten und deren Verblassung. Übriggeblieben ist nur eine Idee, für deren Umsetzung Jones indes kein Gespür hatte. [...]
[...] Die vierköpfige Protagonistenkonstellation, die hin und wieder von einem herrlich verschrobenen, aber ungemein liebenswerten Jerry Lewis flankiert wird, ergibt sich gleichermaßen ihren individuellen Traumvorstellungen: Axel möchte sich bar jeder Kontrolle entfalten, Elaine träumt vom Fliegen, Paul sieht sich als phänomenaler Schauspieler, der sich nach seinem Durchbruch sehnt und Grace? Grace versucht dem dominanten Schatten ihrer Stiefmutter zu entwachsen – sie träumt von einer eigenen Persönlichkeit, die endlich wahrgenommen werden soll. Arizona Dream, inszeniert von einem durch seine politischen Kontroversen reichlich ins Schwanken geratenen Emir Kusturica (Schwarze Katze, weißer Kater), versteht es auf ungemein feinfühlige Art und Weise aufzuzeigen, wie es sein muss, sich immer tiefer im dicht bewachsenen Dschungel der Träume zu verlaufen. Alle Charaktere stoßen irgendwann an die Grenzen ihrer Bedürfnisse.
Axel, der zu Beginn seine Liebe zu New York damit erklärt, dass man in dieser Stadt jeden sehen kann, ohne jemals selbst gesehen zu werden, muss verstehen, dass alle Träume zum Scheitern verurteilt sind, wenn man immerzu darum bemüht ist, nicht gesehen zu werden. Unsichtbarkeit und Unendlichkeit sind keine deckungsgleiche Ausdrücke, was auch eine Lektion von Arizona Dream sein kann, wenn es in diesem gerne so intuitiven wie absurden Werk denn überhaupt eine Lektion geben sollte. Tatsächlich aber ist dieser von Alltagspoesie regelrecht übermannte Film von einer lyrischen und surrealen Schönheit beseelt, die letztlich dafür sorgt, der Zerstörung des amerikanischen Traum, den jeder hier auf seine eigene Art sucht, nicht nur eine bittere, sondern auch süße Note zu verleihen. Unendlichkeit findet man vielleicht nur in seiner Sterblichkeit, aber immerhin findet man sie.
Ein fliegender Fisch wird zum Symbol der Hoffnung, ein die Länder überquerender Ballon kann diese Hoffnung wieder nehmen. Am Ende bleibt die Flucht immer eine Option, wenn man denn den Mut aufweist, gesehen zu werden; wenn man den Mut aufweist, für seine Sehnsüchte zu kämpfen, vielleicht auch bis in den Tod. Zwischen brüllend komischen Sequenzen, die vor allem von einem famos aufgelegten Vincent Gallo ausgehen, ist Arizona Dream in seiner sprudelnden Phantasie auch eine emotionale und in ihrer Skurrilität durchweg charmante Liebeserklärung an das Geschichten erzählen an und für sich. Beeindruckend ist auch zu sehen, wie unverkrampft das namhafte Ensemble sich dem symbolbehafteten Geschehen hingibt. Ein noch lange nicht verbrauchter Johnny Depp trumpft in der Hauptrolle groß auf, über Faye Dunaway und Jerry Lewis müssen keine Worte mehr verloren werden. Die wahre Entdeckung aber ist Gallo, dessen Der unsichtbare Dritte-Abhängigkeit Applaus verdient. [...]
[...] Kernstück der Erzählung ist das Duell zweier Männer, die sich gleichermaßen in einer Zwickmühle befinden. Quan, dessen wenig ruhmreiche, aber Eindruck schindende Vergangenheit nach und nach aufgelöst wird, hat keine andere Wahl: Er muss die Verantwortlichen finden und sie zur Rechenschaft ziehen, selbst wenn er sich im Klaren darüber ist, mit seinem Handeln nichts ändern zu können. Hennessy hingegen wird von Pierce Brosnan nicht als der klassische Antagonist verkörpert, der selber Drahtzieher und Initiator der Verschwörung ist, sondern versteht sich als distinguierter Machtmensch, der über weite Strecken seines Lebens den Glauben genießen durfte, die Kontrolle über sein Umfeld zu besitzen. Als ihn Quan konfrontiert, Namen der Attentäter verlangt und eine Warnbombe in seiner unmittelbaren Umgebung zündet, zeichnet Brosnan nach und nach ein herrlich pointiertes Porträt eines Mannes, dem jene Kontrolle gnadenlos entgleitet.
Brosnans reifes, erfahrenes Spiel beweist einmal mehr, dass der gebürtige Ire mit dem Alter immer besser wird, weil er zunehmend Lust daran gewinnt, sein chevalereskes Image neu zu codieren, während Jackie Chan in seinen tieftraurigen Gesichtszügen zwar all das Leid dieser Welt zu bündeln vermag, schauspielerisch aber überdeutlich dem britischen Kollegen unterlegen ist. Und zwischen den beiden Darstellern klafft nicht nur ein Qualitätsunterschied innerhalb der Performances, auch ihre Charaktere beißen sich in ihrer Tonalität. Funktioniert Brosnan noch als weitestgehend greifbares Abbild eines intriganten Politikers, konterkariert Jackie Chans Quan diese in ihren Anlagen glaubwürdige Figur gnadenlos. Quan nämlich ist eine Mischung aus MacGyver, Jason Bourne und John Rambo. Niemand kann ihm und seinen Fähigkeiten das Wasser reichen – vor allem nicht, wenn er seinen Fallen-Parkour im Wald eingerichtet hat.
Arrangiert man sich aber ein Stück weit mit diesem todbringenden Kämpfer, dann kann man mit The Foreigner zwei durchaus spannende Stunden verbringen, die um ein weiteres Mal zum Ausdruck bringen, welch kompetenter Handwerker Martin Campbell doch ist. Gerade in den Action-Sequenzen kommt sein Talent für Dynamiken und Rhythmen wunderbar zu Geltung. In einer Szene wird Quan von den Handlangern Hennessys durch ein mehrstöckiges Haus gejagt: Die behände Kamera begleitet das handfeste Treiben dabei in herrlich übersichtlicher, exakt getakteter Agilität, fein abgestimmt auf die Bewegungen der involvierten Parteien, die sich bis hinauf aufs Dach prügeln. Als Kommentar von tagesaktueller Beschaffenheit ist The Foreigner natürlich zu vernachlässigen, darum geht es der Adaption des Stephen–Leather-Romans auch nicht. Stattdessen muss man Campbells neustes Werk als grimmige Genrearbeit verstehen. Dort liegen seine Stärken. [...]
[...] Mag sich Über den Todespass auch immer noch bisweilen in der Komfortzone des Genres aufhalten, was sich vor allem an der Typologie exemplifiziert, so offenbart der Film doch darüber hinaus gleichwohl den Mut, kritisches Gedankengut in Bezug auf die Eroberung des Wilden Westen zu formulieren. Mann scheint nichts Edles in ihr zu finden, stattdessen versteht er sie als Grundstein einer Nation, deren Identität auf Ausbeutung und Verrat begründet wurde. Und hier kommt der historische Kontext, die Hochzeit der Goldgräber, natürlich voll zum Greifen, denn wittert der Mensch seine Chance auf Profit, bricht in ihm nur das Schlechteste Bahn – Abkassieren und Abschlachten werden zu deckungsgleiche Begrifflichkeiten. Und inmitten dieser rasenden Raffgier versucht James Stewart, seine Unabhängigkeit zu wahren und sich von heldenhaften Symbolen fernzuhalten. Erfolglos, denn am Ende macht er sich verantwortlich, muss töten und wird dafür gefeiert. Eigentlich wollte er nur seine Ruhe. [...]
[...] Als Zuschauer fiebert man selbstverständlich mit Jack, hofft, dass ihm die Flucht doch irgendwo gelingen mag, um seinen Traum vom ungebundenen Leben erfüllen zu können. Einsam sind die Tapferen allerdings kehrt ohne Ausflüchte zur entlarvenden Taktung zurück, die uns bereits die Cowboy-Romantik in der Exposition madig gemacht hat, um die Illusion vom Wilden Westen endgültig zu unterminieren. Jack, den Kirk Douglas gewohnt mit verletzlicher Markanz verkörpert, ist ein fleischgewordener Anachronismus; ein Cowboy, der sich im Jahrhundert verirrt hat – und unter fassungslosen, resignativen Blicken seine eigene Vergänglichkeit und Endlichkeit begreifen muss. In symbolträchtigen Fotografien wird Einsam sind die Tapferen zur tieftraurigen Tragödie eines Mannes, der frei sein wollte, aber nicht verstand, dass die Freiheit ein Mythos ist, der im blutgetränkten Boden der Westen vergraben liegt. Kein letztes Aufbäumen, nur ein letztes Mal die Hoffnung derer nehmen, die tatsächlich dem Glauben an ein Land unbegrenzten Möglichkeiten erlagen. [...]