Tom Cruise – Die perfekte Verkörperung eines Stars

28.05.2014 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Tom Cruise in Magnolia
Arthaus
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Mit zuletzt schwachen Einspielergebnissen seiner Filme erlitt Tom Cruise beim Publikum erheblichen Vertrauensverlust. Die Faszination des Hollywoodphänomens Cruise bleibt davon allerdings unberührt. Eine Liebeserklärung mit Seitenschlag.

Tom Cruise sei eine Naturgewalt, schrieb die britische Filmzeitschrift Empire anlässlich ihrer jüngsten Jubiläumsausgabe, und ein Schauspieler, der seine Karriere drei Dekaden lang habe aufrechterhalten können. Er sei in 25 Jahren auf so vielen Empire-Vorderseiten abgebildet gewesen wie kein anderer Hollywoodstar, eine wahre legend of our lifetime . Der selbsttrunkene Marketingaufriss, einschließlich des angeblich eindringlichsten Cruise-Interviews aller Zeiten, hat zwar wenig mit der gegenwärtigen Realität des vormaligen Superstars zu tun. Ein schöner Anlass jedoch, Cruise gegen sich selbst zu verteidigen, ist er allemal. Nicht die unendliche Geschichte des Sekten(ver)führers soll hier weitererzählt werden, sondern die des gemachten Stars Tom Cruise. Mit dem Kassenhit Lockere Geschäfte startete der vor gut 30 Jahren eine Karriere als Hollywoodphänomen, die selbst innerhalb der an Idiosynkrasien reichen Traumfabrik ohnegleichen ist.

All the right moves
Daran hat Cruise energischer gearbeitet als andere Filmstars seiner Zeit, von denen es eigentlich nur Tom Hanks, Julia Roberts und zuletzt Will Smith mit ihm aufzunehmen wussten. Er hat sich eine Karriere erbaut, mit all den richtigen Schritten. Nach Legende ließ er sich die Zähne erneuern, um das Sonnyboy-Gesicht auch mit einem Sonnyboy-Lächeln schmücken zu können. Und strahlte sich daraufhin in Top Gun – Sie fürchten weder Tod noch Teufel, Die Farbe des Geldes, Cocktail, Rain Man und Geboren am 4. Juli durch gleich fünf von Topregisseuren inszenierte Filme in Folge. Er war der verführerische Navy-Pilot, der attraktive Yuppie, der sympathische Laissez-faire-Dandy, all the right moves. Er war das schöne Gesicht der Reagan-Ära, das Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger fehlte, und der einzige, der diesen jungen erotischen Erfolgstypus aus Amerikas unheimlichsten Träumen auch ins nächstes Jahrzehnt zu überführen verstand. Hit auf Hit, Cover auf Cover, Cruise Control.

Cruise, das Branding
Die energischen Anwälte, Geheimagenten und Sportmanager, die er dann in den 1990er Jahren spielte, passten sich haargenau ein. Ausgeschlossen, dass es seinerzeit noch jemandem hätte gelingen können, sowohl mit der Kinoadaption einer alten TV-Krimiserie (Mission: Impossible) als auch dem längst nicht mehr salonfähigen Courtroom-Drama (Eine Frage der Ehre) Kassenknüller zu landen. Mit großer Entschiedenheit stellte Tom Cruise sicher, dass diese Erfolge untrennbar mit seinem Namen verbunden sind. Kein Co-Star, wenn er sie überhaupt duldete, konnte ihm das Top Billing, die erste, oberste, wichtigste Nennung in der Vermarktung seiner Filme, annähernd streitig machen. Sie alle mussten sich dem Moviestar – nicht der Stunde, mindestens des Jahrzehnts – fügen, und meist genügte es schon, etwa bei Tage des Donners – Days of Thunder, die Kinoposter einfach mit Cruise zu verzieren. Ein sich vollständig selbst erklärendes Branding, eine wahre Hollywoodstarmarke.

Das Geheimnis seines Erfolgs
Treffsichere Rollenwahl, maßgeschneidertes Image und eine punktgenaue Repräsentation des Zeitgeists waren eng verbunden mit der Vermittlung dieses Brandings. Denn zu Cruise, dem Superstar, gehört auch Cruise, der Superschauspieler. Es ist bemerkenswert, wie es ihm gelang, ständig große Talente um sich zu scharen. Kein einziger seiner Filme, der nicht von einem namhaften Regisseur inszeniert wäre, sogar in den Kinoabtritt (und damit ins Vermächtnis) eines Stanley Kubrick hat es dieser Cruise über den legendär lang gedrehten Eyes Wide Shut geschafft. Und so widersprüchlich die Top-Billing-Strategie vom alleinigen, den Film schulternden Superstar anmuten mag, so elegant wusste Cruise zu verschleiern, dass er auch vor der Kamera nur mit den Besten der Besten zusammenarbeite. Mit Oscarpreisträgern wie Paul Newman, Dustin Hoffman oder Jack Nicholson, die seine Filme ebenso im Licht der Kritik wie auch auf zahlreichen Preisverleihungen zum Strahlen brachten. Auch das ist ein Geheimnis seines Erfolgs.

Kurskorrekturen
Den Oscar allerdings, das wird an ihm nagen, hat Cruise noch nicht gewonnen. Drei Mal war er bislang nominiert, verdient insbesondere für Magnolia von Paul Thomas Anderson, dem Ausnahmefilm seiner Karriere. Erstmals schien Cruise bereit, sich einem Ensemble unterzuordnen, eine Neben-, wenn auch freilich Schlüsselrolle zu spielen – und sich ganz in die Hände eines Filmemachers zu begeben, der mit dem System Superstar genauso wenig anzufangen wusste wie mit Tentpole-Produktionen. Magnolia, in völliger künstlerischer Freiheit inszeniert, ist bis heute der einzige Cruise-Control-Film ohne Cruise Control. Anderson, der seinem vertrauensvollen Star die Rolle des frauen- und schwulenfeindlichen TV-Predigers Frank Mackey auf den Leib schrieb, befähigte Cruise zu einer Meta-Performance, die mühelos auch als Dekonstruktion des eigenen Images gelesen werden kann. Bezeichnend, dass er nie wieder so gut war wie als manipulierender Fernsehmogul, der in einer sektenähnlichen Gemeinschaft Zuflucht findet, die er medienwirksam repräsentiert und auf Lügen errichtet hat.

Das Ende der Unschuld
Natürlich musste Tom Cruise daraufhin umgehend Mission: Impossible 2 drehen, wieder einen Superhit für den Superstar fertigen. Auf der hiesigen Cruise-Profilseite schreibt ein moviepilot-User, der zu seinem Erfolgsfranchise zurückgekehrte Strahlemann von einst wirke im neuen Jahrtausend wie "ein völlig anderer". Er sei "nicht mehr so locker, nicht mehr so gut gelaunt", ganz so, als ob er jetzt erwachsen geworden ist. Eine treffende Beobachtung. Sie scheint die Vermutung zu bestärken, Paul Thomas Anderson habe mit dem System Cruise Control etwas angestellt, das nicht mehr ohne weiteres rückgängig zu machen ist. Als sei diesem Cruise das strahlende Lächeln vergangen, sei der Sonnyboycharme für immer hinfort. Die Cruise-Filme nach 2000, sie spiegeln diesen Eindruck anschaulich wider: Das Bürgerkriegswrack in Last Samurai, der einsame Auftragskiller in Collateral, die personifizierte väterliche Enttäuschung in Krieg der Welten. Und dann schickt Steven Spielberg seinen Star auch noch durch einen Ascheregen, der überdeutlich an die Staubwolken von 9/11 gemahnt. Hat Cruise dort seine Unschuld verloren?

Die Tragik der Figur Cruise
Man müsste meinen, Tom Cruise sei darüber als Schauspieler gereift. Habe diese Wandlung bestmöglich genutzt, um sein Profil zu schärfen und nicht mehr ausschließlich als Superstar, sondern auch Superschauspieler gewürdigt zu werden. Darin liegt vielleicht die eigentliche Tragik einer so lange erfolgreich im eigenen Kontrollmodus operierenden Figur wie Cruise, die ihr Publikum besonders zu begeistern verstand, wenn sie Schauspiel tatsächlich nur als gespielte Schau präsentierte: Cruise Control beschreibt nichts anderes als einen makellosen Fake, eine mit vollster Beherrschung und Inbrunst getragene Maske (Vanilla Sky), eine Verkleidung, die dort nicht mehr kommerziellen Eindruck schindet, wo sie sich aufrichtig offenbart (Rock of Ages). Mit Ausnahme eines Selbstläufers wie Mission: Impossible – Phantom Protokoll ist es keinem Cruise-Hauptrollenfilm in den letzten acht Jahren gelungen, am heimischen Box Office 100 Millionen US-Dollar einzuspielen. Der völlig andere, der nicht mehr so gut gelaunte Cruise kann sie nicht problemlos aufrechterhalten, die von der Empire umjubelte Karriere.

Eine Illusion vom Menschsein
Ich halte Tom Cruise für die perfekte Verkörperung eines Stars ebenso wie die perfekte Verkörperung eines Schauspielers. Er ist minderbegabt darin, Menschen zu spielen, aber umso begabter, eine Illusion vom Menschsein zu kreieren. Etwas, das uneigentlich ist, das nur vielleicht einmal wirklich da war. Und etwas, das irgendwann unterdrückt, bekämpft, aus dem Weg geräumt wurde. Während der Dreharbeiten zu Operation Walküre – Das Stauffenberg Attentat durfte ich Cruise eine knappe Woche lang beobachten, als verwundeter Soldat in einem alten Beelitzer Hospital, dem der Bambi-Preisträger in spe eine Ehrenmedaille auf die Brust legte. Jeder Take endete an meinem hergerichteten Krankenbett, auf das sich Bryan Singer und er stützten, um die eben gedrehte Einstellung auszuwerten. Er muss tatsächlich geglaubt haben, Stauffenberg zu sein, dachte ich mir, so angespannt und konzentriert er selbst während der Rollenwechsel beinahe verloren herumstand.

Schließlich gab es einen überraschenden Moment, als er uns Statisten im Komparsenzelt besuchte. Jedem einzelnen gab er ein Autogramm. Jedem einzelnen schüttelte er die Hand. Jedem einzelnen dankte er für die Mitarbeit an seinem Film. Als ich an der Reihe war, blickte er mir so tief in die Augen, dass es mich erschaudern ließ. Für einen kurzen Moment sah ich sie hautnah, die absolute Cruise Control. Und habe nicht einmal ein vergiftetes Lob herauswürgen können.

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