Cellmorbasg - Kommentare

Alle Kommentare von Cellmorbasg

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    Viele Kritiken stellen heraus, dass man in diesem Film die Banalität des Bösen auf der Leinwand gebracht hätte, weil man den normalen Alltag einer Familie im Schatten einer KZ-Mauer sehen würde. Doch das ist trivial. Sehen wir es einmal nicht historisch: Wir tun das alle. Natürlich nicht - oder besser selten, denn auch diese Orte gibt es - im Schatten einer Mauer, die uns sichtbar vom Grauen trennt, doch der ehemalige Bundesentwicklungsminister Müller sagte: "Es sind 50 Sklaven pro Kopf, die für unseren Wohlstand arbeiten." 2020. Unser banales Leben geht im Schatten des Horrors weiter.

    Der Horror Frazers ist nicht die Tatsache, dass es einen Alltag im Schatten der Mauer gibt, sondern wie dieser Alltag aussieht. Ich kenne diese Veranda. Ich kenne diese belanglosen Gespräche über Gärten, über die Fahrt, über das Essen, über dieses und jenes. Ich kenne diese Möbel. Ich kenne die Gedanken. Ich kenne dieses Deutschland.

    Der Horro von Frazer ist uns zu zeigen, dass man mit deutschen Tugenden ein KZ führen kann, schon schlechter einen Haushalt, nicht wirklich eine Familie, aber kein Leben. Es ist das Leben welches die beiden Höß' führen, die den Horror darstellen. Kulturlos, leidenschaftslos, ohne Interessen, die darüber hinaus gehen in schöner Kulisse auf den Tod zu warten.

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    • 8

      2. Klasse, 3. Klasse, 4. Klasse - wir begleiten eine Gruppe von Kindern und ihre Lehrerin durch drei Schuljahre an eine Wiener Volksschule (wie die Grundschule in Deutschland) im Bezirk Favoriten. Die Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann, die zuletzt Männer mit pornografischer Literatur konfrontierte, einen politischen Essayfilm zu Kurt Waldheim machte, der akuteller denn je ist und Liebesbriefe von Ingeborg Bachmann und Paul Celan zum sprechen brachte, folgt nun Menschen in einem wichtigen Lebensabschnitt - auch der Lehrerin, die mit Anfang 30 vermutlich ihre erste Klasse betreut. Ein dankbares Sujet, wir alle kennen die Dynamiken, können anknüpfen mit eigenen Erinnerungen oder Erzählungen von heutigen Kindern. Viele kleine Dramen des Schulalltags sind zu sehen und insgesamt eine Situation, in der eine Lehrerin eine Heldin sein muss, um kleinen Menschen einen Weg in die Zukunft zu bauen.

      Die Klassenräume sind bunter geworden, die Tische voll, sonst hat sich in 30 Jahren nichts geändert. Beckermann bringt ein Gefühl immer wieder zum Vorschein: Scham. Die Schule ist ein System, welches dieses Gefühl am laufenden Band produziert. Die Scham über zu Hause zu sprechen, die Scham einem Anspruch - von außen oder sich selbst - nicht zu genügen, die Scham darüber aussortiert werden zu können, die Scham vor schlechten Noten; diese Szenen sind beklemmend. Man kann über sie teilweise auch lachen, wissend, dass man 30 Jahre später darüber steht, aber nimmt man sie aus dem Moment heraus für die Kinder ernst, entfalten sie unendliche Traurigkeit. Wir schicken Kinder auf dem Weg zum Erwachsenwerden bewusst durch Qualen. Nichts ist sinnvoll an Noten oder am Sortieren nach der 4. Klasse, der Klassenverband der hier vier Jahre zusammen gewachsen ist, wird aufgelöst.

      Am Ende weint auch die Lehrerin. Sie geht in Mutterschutz und muss ihre Klasse drei Monate vor Schuljahresende abgeben. Doch da ist niemand. Niemand steht bereit diese Klasse zu übernehmen. Die Tränen der Lehrerin werden zu unseren Tränen. Sie gibt den Kindern einen Glauben mit auf den Weg: Dass aus jedem von ihnen etwas werden wird. Und wir wissen aus unserer Lebenserfahrung, dass das vermutlich stimmen wird. Aber es stimmt nicht wegen, sondern der Schule zum Trotz. Man muss als Lehrerin eine Heldin sein, um positiv wirken zu können. Und obschon diese Lehrerin auch Fehler macht - es wäre interessant was sie selbst über manche Szene denkt, die sie bei der Premiere mit angesehen hat - ist sie eine solche Heldin und bekam am Schluss des Films mehr Applaus als die Filmemacherin selbst. Ein gelungener Film der zum Nachdenken und Diskutieren anregt, auf das in 30 Jahren andere Szenen im Schulalltag zu sehen sind.

      • 9

        In allem in diesem Film liegt Schönheit: den Stoffen, den Nähten, dem Nähen, den Früchten, dem Essen, den Körpern, der Liebe. Und Traurigkeit. In den Augen, den Blicken, den Gesten liegt Vergänglichkeit. Die Kaftane werden von Mutter zu Tochter weitergegeben, das Handwerk sie zu erhalten, stirbt aus. Halim und Mina sind voll Achtung voreinander. Sie führen einen Alltag, den sie versuchen nicht mit Belanglosigkeit verenden zu lassen. Youssef kommt in diese Konstellation, wie auch der Krebs. Wir wissen nicht, ob Halim und Minna eine gemeinsame Zukunft vergönnt wäre, eine Welt in der das möglich wäre, stößt an die Grenzen unserer Vorstellungskraft: Wenn wir die Aussicht auf Zukunft mit der Aussicht auf Glück verbinden. Ohne Minna wird das Leben von Halim ärmer sein. Er verkörpert das Vergangene in einer Zukunft, in der wir schon leben. Dabei läge in der Rückbesinnung auf sein Handwerk eine positive Vision für uns. Wertschätzung für die Produkte mit denen wir uns umgeben. Gegenstände des Alltags die Wert haben und nicht jede Saison ausgetauscht werden müssen.

        • 9

          Keiko hat ihren ersten Kampf als Profiboxerin hinter sich. Sieg durch einen frühen K.O. Schlag. Sie ist talentiert und wir sehen sie zunächst beim Training. Unglaublich intensives Mienenspiel von Yukino Kishii. Augen, die erzählen.

          Der Film ist nicht eine weitere Geschichte wie eine Sportler:in über Höhen und Tiefen zum Triumph gelangt. Er erzählt zugleich weniger und zurückhaltend und zugleich so viel mehr. So wie Keikos Charakter nicht darauf reduziert wird taubstumm zu sein, so ist auch die Tatsache, dass sich die Pandemie Situation in manchen Augenblicken durch die Masken bemerkbar macht, eher eine Zuspitzung, die das Geschehen intensiviert. Die Handlung ist auf wenige Orte konzentriert: die Boxschule, die Wohnung von Keiko und ihrem Bruder, das Hotel in dem sie als Putzkraft arbeitet, das Krankenhaus und Szenen an einem Fluss umgeben von den riesig erscheinenden Anlagen von Autobrücken.

          Dieser Film der leisen Töne zeigt uns Keiko also in der Boxschule. Ihre Einschränkung spielt hier keine Rolle. Man schreibt die Anweisungen auf eine Tafel und macht die Bewegungsabläufe vor, die sie wiederholt. So kommt der Film mit wenig Dialog aus und konzentriert sich auf das Visuelle, den Rhythmus. Man bekommt den Eindruck, dass das Trainieren der Boxbewegungen von Keiko und ihrem Trainer einem Tanz gleich kommt. Die schüchterne Keiko findet in der Regelmäßigkeit Geborgenheit. Zu Hause sieht man ihren Bruder fast immer an der Gitarre, meist mit einer Freundin. Viel später im Film werden auch sie das Boxen von Keiko nachahmen, bis die Freundin wirklich zu tanzen beginnt, die Nähe von Musik und Tanz zum Boxen für einen kurzen Augenblick visuell ausbuchstabiert.

          Vieles bleibt dagegen in Andeutungen und der Film wird durch das Uneindeutige getragen. Nach dem Sieg nach Punkten im zweiten Kampf fühlt Keiko sich sichtbar unwohl. Nicht etwa weil die Mutter mit diesem Sport nichts anzufangen weiß. Der väterliche Besitzer der traditionsreichen Boxschule ermahnt Keiko, wenn sie Boxen will, muss sie auch kämpfen. Sie schulde es auch ihren Gegnerinnen. Er durchschaut Keiko vielleicht, die im Training mehr aufzugehen scheint als im Kampf, der ihr eine Wunde beschert: sichtbare Erinnerung für ihre Defizite im Ring, für ihre Kollegin dagegen Zeichen des Stolzes.

          In einem Nebenplot wird davon erzählt, dass die Boxschule schließen muss. Das Geschäft lohnt sich nicht mehr, der Besitzer ist gesundheitlich auch nicht mehr in der Lage dazu. Keikos Zweifel fallen so auf fruchtbaren Boden, sie scheint hin und hergerissen, hat den Brief in dem sie um eine Pause bittet viele Tage in der Tasche ohne ihn zu übergeben. Da sehen wir dann eine der schönsten Szenen des noch jungen Filmjahrgangs: Keiko und ihr väterlicher Mentor stehen vor einem großen, breiten Spiegel, erst langsam, dann das Tempo steigernd boxen sie und sehen dabei ihr Spiegelbild. Eine Befreiung für den Augenblick, eine Geste der Zuneigung, ein Zeichen der Hingabe.

          Auch ihre Arbeit führt Keiko mit einer Zuwendung für die Details aus. Doch sagt sie einmal zu einer Kollegin, dass das Boxen für Sie als Ausgleich zu diesem Job nötig ist. Ihren Bruder sehen wir einmal bei einer Pause mit einem Kollegen vor der Hintertür, beide in weißer Kochbekleidung. Der zwischenmenschliche Kontakt bleibt auf das Wesentliche beschränkt, nur ein kurzer Plausch, der Fokus liegt auf der effizienten Erledigung der Arbeit. Der Film erzählt so auch von einer Generation, die in der Arbeit keine Erfüllung finden kann, Beruf und Berufung bleiben getrennt. Die Hoffnung mit den Leidenschaften Geld zu verdienen kann sich nicht für alle erfüllen. Hier geht es nicht um eine Jugend die einen Platz in der Gesellschaft sucht, sondern um die passende Form der Gesellschaft ringt.

          Ruhig und konzentriert arbeitet der Film die Ambivalenz der Hauptfigur und ihres Umfeldes heraus, erzählt dabei in warmen, von Gelb geprägten Farben. Man erliegt diesem auf 16 mm gedrehten Film und möchte ihn nicht enden sehen.

          • 5

            In dem Film begleitet eine afghanische Familie ihre eigene Odyssee in die Europäische Union mit ihren Smartphones. Hier wird die Kamera zum Instrument die eigene Stimme nicht zu verlieren. Wir lernen die vierköpfige Familie kennen, erwartbare Schwierigkeiten stellen sich ein, da sie aber am Anfang auf der Bühne standen, hat man ein bisschen das Gefühl, ein Feelgoodmovie zu sehen. Zwei Momente des Films stechen heraus. Als die Tochter verschwindet, hinterfragt der Vater seinen Gedanken die Suche mit der Kamera zu begleiten aufs Härteste.
            Als die Familie in Bulgarien mit anderen Flüchtlingen gegen den Mob zusammensteht, fragt einer in den Raum, warum man nicht dieselbe Tatkraft in der Heimat entwickeln konnte.

            • 8

              Das Gesicht ist mit Schweiß, Tränen und kleinen leuchtenden Punkten bedeckt, Reflexionen des mit glitzernden Steinen besetzten weißen Kleides, es scheint als wandern Sterne über das schwarze Gesicht, das jugendliche Energie und Charme versprüht. Der Blick ist konzentriert, manchmal bis zur Strenge, löst sich, wenn der erste Ton erklingt, sich die Augen schließen, das Make-up langsam zerfließt. 1972, eine schwarze Gemeinde trifft sich in der Kirche um bei der Aufzeichnung des meistverkauften Gospel-Albums des Jahrhunderts dabei zu sein. Musik als Ermächtigung und Erhebung der eigenen Stimme, bewegt durch Glaube, Hoffnung, Liebe - den Blick zurück, auf das Erreichte und das Kommende. Halleluja.

              • 8

                Ein kurzer Sturm, der nachweht. Ein Israeli kommt nach Frankreich und entsagt seiner Heimat mit dem größtmöglichen Bruch: kein Wort mehr Hebräisch. Frankreich, Europa, ist sein Gegenmodell zu Israel. Yoav steht unter einer inneren Spannung die nicht immer fassbar, manchmal schwer auszuhalten ist. Der Film geizt nicht mit Schauwerten, die ménage à trois wird zwar nur zwischen Yoav und Caroline ausgelebt, doch ihre knisternden Momente sind die Blickkontakte zwischen Yoav und Émil. Das ungleiche Dreiecksgespann präsentiert das Gefühl einer Verlorenheit und Einsamkeit im zwischenmenschlichen Zusammensein, wie es auch andere Filme auf dieser Berlinale für diese Generation - meine Generation - zeigen. Yoav wirkt, gekleidet in Haute couture, verloren in den Straßen von Paris, welche dem Blick von Yoav folgend kaum zu sehen sind. Vielleicht zieht sich diese Generation in sich selbst zurück. Der Regisseur verneinte auf der Pressekonferenz einen politischen Film gedreht zu haben. Es ist das ewige Missverständnis der Berlinale. Politische Filme sind nicht mit politischen Statements zu verwechseln, wie die Filme und Gewinner der letzten Jahre: Touch me not, Fuocoammare und Taxi. Sie gefallen sich - wie die Jury - einzig darin eine Haltung zu haben. Synonymes sagt uns nicht, was richtig ist, es zeigt quasi nebenbei Verwerfungen in der Gesellschaft und in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Darsteller des Émil bezeichnete den Film als große Liebesgeschichte zwischen Yoav und Émil. Diese Ungleichen, die sich in eine gegenseitige Abhängigkeit begeben, gehen ihrer körperlichen Anziehung nicht nach, zu Caroline wiederum sind sie nicht fähig ihre wirklichen Wünsche und Gedanken mitzuteilen. So löst sich die Spannung immer wieder in Szenen emotionaler Überwältigung auf. So wie in diesem Film hat man die Hymnen Israels und Frankreichs noch nicht gehört.

                • 6

                  Es ist natürlich etwas böse jeden Mafiafilm mit den Genregrößen zu vergleichen, aber wer meint uns mit einem weiteren Werk dieser Gattung zu beglücken, sollte mehr zu sagen zu haben als nur das unendliche Spiel von Gewalt und Gegengewalt zu zeigen. Es fehlt vollkommen eine zweite Ebene die dieses ewige Gewaltspektakel hinterfragt.

                  • 7

                    Der Film ist in drei Abschnitte geteilt. Zuerst sehen wir die Einsamkeit der Frau, dann die des Mannes und in der letzten Episode sehen wir, wie sie zusammen einsam sind. Was dem Film fehlt, ist ein bisschen Entwicklung. Die erste Episode macht ein Spannungsfeld auf, was dann leider nicht mehr ausgelöst wird. Dennoch kein schlechtes Beziehungsdrama und vor allem formal ansprechend.

                    • 6

                      Ein Polizist, Stiefvater und Ehemann ist gefangen in patriarchalischen Rollenmustern und nicht in der Lage sie dann zu hinterfragen, wo sie ihm auf die Füße fallen. Genauso wenig schafft es dieser Film, weswegen die Verzweiflungstat am Ende eher als Ausdruck der Hilflosigkeit des Films selbst erscheint. Die Bloßlegung dieser überkommenen Rollenmuster die dem Mann die gesellschaftliche Dominanz und Kontrolle geben, scheint mir daher eher unfreiwillig und zufällig geschehen zu sein.

                      • 6

                        Paul Simon kehrt aus dem Ersten Weltkrieg zurück. In seinem Gesicht liest man die Freude über die Heimkehr, aber auch den Zweifel. Der Zweifel, ob eine Heimkehr möglich ist, manifestiert sich in seinem Blick in die Welt, der ihn abseits stehen lässt. Die Gefühle Pauls deutet der Film jedoch nur an, wahrnehmbar werden sie vor allem durch unser Wissen um die Geschichte. Heimat zeigt psychologische Entwicklungen seiner Figuren ebensowenig wie die zwischenmenschlichen Probleme, hangelt sich insbesondere in den ersten Folgen der Filmreihe bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges stattdessen von Ereignis zu Ereignis - den politischen, wie den familiären Stationen der Geschichte. So wird die politische, technische und persönliche Entwicklung nicht in ihrer Entstehung gezeigt, sondern nur anhand von Wegmarken bebildert. Dass Paul am Ende der ersten Folge seine Familie verlässt, sieht man vorraus, welch Einschnitt das für sein Leben und das seiner Familie bedeutet, wird in den kommenden Folgen kaum aufgearbeitet. Erst als er zurückkehrt - als gänzlich anderer Charakter -, findet die Serie zu einem emotionalen Ton, der seine Figuren lebendiger macht und nicht nur als klischeebehaftete Abziehbilder aus dem Geschichtsunterricht zeigt. Heimatdeutungen werden durch Plattitüden dargestellt. "Wie die Zeit vergeht", mag Wahrheiten enthalten, wird als Aussage hier jedoch allzu aufdringlich und kontextfrei ausgesprochen und fügt sich nicht natürlich in eine Entwicklung der Geschichte. In Hinblick auf die Zeit des Nationalsozialismus und die Entwicklung dorthin ist ähnliches zu beobachten, was auch der Entstehungszeit dieser Serie geschuldet ist. Ein Jahr nach der Veröffentlichung der Reihe wird Richard von Weizsäcker mit seiner Rede zum "Tag der Befreiung" am 8. Mai 1985 einen neuen Maßstab in der Erinnerungskultur der BRD setzen, mit einem Narrativ, dass die Deutschen auch als Opfer wahrnehmen lässt. Dies ist heute wiederum überholt und so zeigt die Filmreihe fast schon unfreiwillig, dass Heimat kein Zustand ist, weder örtlich, noch zeitlich. Heimat sind die Menschen, die mit uns sind und unsere (geteilten) Erinnerungen. Heimat ist auch in der Spanne eines Menschenlebens dynamisch.
                        Der Höhepunkt der Reihe ist für mich der Film Hermännchen, der auch allein sehr gut bestehen kann. Hier werden die wunderbaren Bilder endlich von einem verdichteten Narrativ unterstützt, das sich auf einen Entwicklungspunkt einer Figur konzentriert und den historischen Hintergrund in einen solchen versetzt. In einfühlsamen Bildern, poetischen Dialogen und großer Offenheit wird Hermanns Frühlings Erwachen geschildert. Dieser Film ist ein Glück und wird womöglich Teil meiner filmischen Heimat, in die ich gern einmal zurückkehre.

                        • 7
                          über Styx

                          Rike bewegt sich in ihrem Arbeitsalltag in einem hochgerüsteten Umfeld: Als Ärztin im Krankenwagen. Um von ihrem Großstadtleben Abstand zu gewinnen, möchte sie auf die paradiesische Insel Ascension. Sie bricht von Gibraltar aus auf, auch hier in einem hochgerüsteten Umfeld: dem Segelboot. Das Ziel ist eine Insel, deren Flora und Fauna Charles Darwin angelegt hat. Der Weg von Rike in all dieser vom Menschen geschaffenen Künstlichkeit führt über das Meer, vielleicht die letzte Naturgewalt die dem Menschen Furcht abtrotzen kann, denn auch wenn Rike ihren Segeltörn durch ein Unwetter gut übersteht, hat es sie an die Grenze der Belastbarkeit gebracht. Überschritten wird diese Grenze dann im Angesicht eines mit Flüchtlingen bemannten Bootes, das im Meer verloren ist. Hier hilft Rike ihr ganzes Equipment nicht, hier hilft ihr auch nicht das Absenden von Hilferufen, hier ist sie allein. Denn den Schwächsten der Weltgesellschaft wird die Seenotrettung verweigert und Rike kann sie allein nicht bewältigen. Einen einzelnen Jungen kann sie aufnehmen und vor dem Ertrinken retten, doch ihre absolute Hilflosigkeit bleibt bestehen und spiegelt das politische Versagen im Umgang mit Menschen, die einem besseren Leben entgegen streben. Ein Film der die Widersprüche der Menschen in der Wohlstandsgesellschaft aufzeigt und sie mit dem Elend konfrontiert, auf dem dieser Wohlstand auch gebaut ist.

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                          • 7
                            über Westler

                            Der Film beginnt am Rand der westlichen Welt: Los Angeles, Schlusspunkt der Westbewegung der Menschheit. Der West-Berliner Felix besucht einen Freund in den USA und während Bruce ihm die Stadt zeigt, macht der Zuschauer von heute eine Zeitreise in die 80er. Frisuren und Klamotten sind erstes Anzeichen für diesen Abschnitt der Zeitgeschichte, ein anderes sind die Blicke. Wie in seinen Kurzfilmen verzichtet Wieland Speck zuweilen auch in diesem Film auf Dialoge die wir hören und setzt stattdessen auf Geräuschkulisse und Filmmusik. Es ist noch eine Zeit der Blicke und man erobert nicht mit Kurznachrichten, sondern fordert mit den Augen heraus, im Cruising Gebiet ebenso wie im Café oder in den Straßen. Es ist auch eine andere Zeit der Schwulenbewegung, die sich hier auftut.
                            Beim Gegenbesuch von Bruce bei Felix besuchen die Beiden Ost-Berlin. Hier wird nicht nur eine andere Zeit, nein, eine ganz andere Welt sichtbar, wenn die Kamera - schon für den damaligen westlichen Blick - exotisch über die Ostprodukte streift. Doch der Film bleibt nicht beim ostalgischen Blick, die Diktatur, der Überwachungsstaat wird in vielen kleineren und größeren Szenen präsent. So erzählt diese Liebesgeschichte von den sprichwörtlichen Grenzen die Felix und Thomas immer wieder aufs neue überschreiten müssen, um beiandander zu sein. Dieses Zusammensein zeigt sich als zartes Erwachen der Gefühle und wären nicht die nervigen Synthesizer Klänge, die den Film definitiv als Film seiner Zeit preisgeben, könnte man sich in manchen Szenen verlieren. Westler ist ein Film der 33 Jahre nach seinem Erscheinen nichts an seiner Kraft eingebüßt, vielleicht in gewisser Hinsicht sogar gewonnen hat.

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                            • Cellmorbasg 30.12.2017, 01:41 Geändert 30.12.2017, 01:43

                              Nur eine Nennung von God's own Country. Das ist dann doch irgendwie erschütternd. The Wound komplett übergangen. Moviepilot hat offenbar kein Herz für Liebesdramen.

                              • 8

                                Schon lange hat mich ein Film nicht mehr so herausgefordert, was zum einen am Thema, zum anderen an seiner Darstellung liegt. Vor Gewalt schreckt dieser Film nicht zurück, vor der Beiläufigkeit der Gewalt, in deren Angesicht einem nur das Unverständnis für diese Unmenschlichkeit bleibt und eben das große Thema dieses Films, die Notwendigkeit zur Gegengewalt. Es geht hier nicht um eine Heldensage wo gegen Monster gekämpft wird und am Ende das absolute Böse, möglicherweise gar in nicht menschlicher Form, in jedem Fall aber personifiziert, besiegt wird, nein, hier geht es darum, als letzten Ausweg, Mitmenschen zu töten. Die Grausamkeit die den Schwarzen angetan wird, liegt nicht in einem einzelnen ausgeschlagenen Zahn oder in einer Vergewaltigung, sondern in der systematischen Unterdrückung und Entrechtung. Wo aber das Gesetz als letzter Rettungsanker ausscheidet und auch wohlgesonnene Weiße nicht die Macht haben zu helfen, bleibt zur Selbstermächtigung nur das eigenhändige Auslöschen der Tyrannei. Dieser Vorgang ist zwangsläufig ebenso blind gegenüber dem Einzelschicksal wie die Tyrannei selbst. So schwingt in diesem Film immer mit, und das letzte Bild zeigt es dann, dass es einen Krieg brauchte, um diesen Zustand zu beenden.
                                Zuweilen bedient sich der Film konventionellen, klischeebeladenen Bildern, schiebt immer wieder redundante Landschaftsaufnahmen mit tiefstehender Sonne ein, die weder zum Geschehen beitragen, noch zeitlich passen; wird aber andererseits von passendem Musikeinsatz begleitet und zeigt einige eindrucksvolle Schnitte.

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                                • 5

                                  Ein Film über das Heranwachsen, Drogenproblematik, schwule Identität, schwarze Identität, die Liebe, ja einfach das Leben - vielleicht will der Film das sein, womöglich hätte er es werden können, er ist es aber nicht. Kein bisschen. Der Film traut sich nichts, weil er nichts zu sagen hat. Erst als er am Ende seine Figuren der Lächerlichkeit preisgibt, das Finale ab dem Diner, entsteht ein lustiger, zuweilen gar süßer Kurzfilm. Mehr ist da nicht.

                                  Es gab im letzten Jahr Nunca vas a estar solo zu sehen, der fast dieselbe Szene enthält wie Moonlight am Ende der Teenager-Episode, dort erschütternd, verletzend, dem Zutrauer den Schmerz zumutend, eingebettet in eine Geschichte die von wirklichen Abgründen der queeren Selbsfindung erzählt. Es gab den großartigen Film American Honey, der von den Schwernissen erzählt zu lieben und geliebt zu werden in unserer Gegenwart und dazu ein eindringliches Bild vom Amerika Donald Trumps liefert. Es gab mit Toni Erdmann einen Film über die menschlichen Konsequenzen einer entmenschlichten Ökonomie. Es gab mit Vor der Morgenröte einen Film über das Menschsein, das Menschbleiben in einer Zeit der Entmenschlichung, des totalen Angriffs auf die Humanität und darüber was es heißt seine Heimat zu verlieren, kein Haus, Garten und Lebensumfeld, sondern das Exil des Geistes, die Austrocknung der Würde. Es gab so viele starke Filme, vor ein paar Jahren gab es City of God, der über die systemischen Voraussetzungen von Segregation und Gewaltbildung erzählt und sie erfahrbar macht. Es gibt zu jedem Aspekt von Moonlight Filme die gezeigt haben, wie man erzählerische Kraft über einen Gegenstand entfalten kann und der Gesellschaft einen tiefen Spiegel vorhalten kann.

                                  Moonlight ist unter großem Applaus gescheitert. Was bleibt sind zwei Hände im Sand.

                                  • 6

                                    Berlinale 2017 #21

                                    Diese Doku über eine Polizistin im Kongo konzentriert sich ganz auf die Arbeit einer Frau, die im Kampf gegen die Misshandlung von Kindern und Frauen auf etwas verlorenem Post kämpft. Die Doku beobachtet und wertet nicht, nimmt jedoch nur diese Helding in den Blick und spart den Blick ins System, der nicht nur betroffen machen, sondern politisieren könnte, aus. Dem Film fehlt es an Kritik gegenüber der eigenen Hauptfigur und der unzureichenden Heldenlösung.

                                    • 8

                                      Berlinale 2017 #20

                                      Ein sehr sinnlicher Film über einen Menschen der eine Stimme hat und den Raum gibt, zuzuhören. James Baldwin hat nicht weniger verdient, als diesen Versuch seine Gedanken lebendig werden zu lassen und auch mit der heutigen Wirklichkeit zu konfrontieren. Das könnte einen leicht pessimistischen Zug zur Folge haben, wäre nicht die Größe und Tiefe der Auseinandersetzung sichtbar, die ein Mensch zu leisten vermag, sich selbst zu hinterfragen und zu kommentieren.

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                                      • 6

                                        Berlinale 2017 #19

                                        Dieser Film ist eine Ode an das Beobachten, und an das Bahnfahren natürlich. Möglicherweise gehört das beides ja sogar zusammen. Mit Ausnahme von Schiffen handelt es sich bei der Bahn schließlich um das bequemste, freieste und menschlichste Fortbewegungsmittel, abgesehen von den eigenen Füßen vielleicht. Dieser Film mit Raum für eigenen Gedanken, wäre eigentlich der perfekte Abschlussfilm für ein Festival. Wer­muts­trop­fen ist allerdings die weitgehende Dialogfreiheit der Szenen, was die Szenerie teilweise etwas zu stark entrückt und einen größeren Einblick in Land und Leute verwehrt. Umso verstörender ist da auch der längere, aufgestzte Dialog des Regisseurs mit einem Fremden kurz vor Schluss über die Eisenbahngeschichte, es passt einfach nicht zu diesem Film.

                                        • 5

                                          Berlinale 2017 #18

                                          Generation Y macht mit Generation Y einen Film über Generation Y. Mehr Ansammlung an Klischees über die Generation ist denn wohl auch kaum möglich, die Filmszenen mit Dialogen und so etwas wie Handlung vollgestopft, eine schwer verdauliche Angelegenheit. Das Publikum, zumeist Betroffene, applaudierte. Na dann Prost!

                                          • 7

                                            Berlinale 2017 #17

                                            Vom Publikum ausgelacht, von der Jury mit einem Preis bedacht. Es war für mich unglaublich, wie dieser Kurzfilm in einem vollbesetzten Kinosaal, in der Mehrzahl Filmstudierende und deren Freunde, gedemütigt wurde. Es wurde gequatscht, gelacht, gelästert, auf dem Handy rumgespielt... Ein Totalausfall. Also das Publikum. Wenn das die Zukunft des deutschen Kinos ist, gute Nacht. Und viel Glück.

                                            Der Film mag ausufernde, geredazu mediative Szenen haben und eine zwölfminütige Kamerafahrt durch ein Einkaufszentrum mag nicht jeden Geschmack treffen, hat in dem Fall aber mehr zu sagen, als der ganze Langspielfilm danach! Die Szene ist geradezu ein glänzender Kommentar auf das Verhalten im Publikum. Zwölf lange Minuten ziehen die Marken vorbei, die wir alle kennen, eine Uniformität die dem Publikum schon in Fleisch und Blut übergegangen scheint. Da tuen die beiden Hauptdarsteller wohl, die sich unerschütterlich im Arm halten, für das Publikum wohl quälende Sekunden.

                                            • 5

                                              Berlinale 2017 #16

                                              Das Wort oberflächlich ist als Charakterisierung für diesen Film fast schon ein wenig beschönigend. Nichtmal ansatzweise bringt der Regisseur für die von ihm gefilmte Kreuzfahrtreise Interesse auf, ist in keinster Weise an den von ihm gewählten fünf Protagonisten interessiert. Hätten die nicht trotzdem irgendwas zu sagen, so belanglos und klischeehaft es auch erscheinen mag, wäre der Film ein gänzlicher Totalausfall. Es fehlt nahezu vollständig an zwischenmenschlichen und spontanen Momenten, einer der wenigen ist ein Blowjob, der denn auch vom Regisseur gefeiert wird. Ein Meisterstück.

                                              • 6

                                                Berlinale 2017 #15

                                                Willi ist fast 90. Er ist nur noch schlecht zu Fuß, die Schmuddelecken in Haus und Hof häufen sich, doch noch immer versorgt er ohne Hilfe ein paar Kleintiere und zwei Katzen. Der Alltag ist eintönig, Willis Geschichten sind irgendwann erzählt und wiederholen sich. Der Film geht weiter. Dreiminütige Filmrollen, die häufig ausgehen bevor die Szene zu Ende erzählt wird und dieses Experiment überstrapazieren. Nur die Herzlichkeit, die der Film ausstrahlt, kann das wieder wettmachen.

                                                • 5

                                                  Berlinale 2017 #14

                                                  In diesem zähen Drama wohnen wir zwei jungen Menschen in ihrer prekären ökonomischen Situation bei, die viel Trübsaal blasen. Einsichten verweigert der Film.

                                                  • 7

                                                    Berlinale 2017 #13

                                                    Der Film beobachtet den Alltag in einer Geburtsklinik auf der anderen Seite der Welt, mit all dem Glück und der Verzweiflung die ein neues Leben mit sich bringt. Nicht nur am Rande wird der Zuschauer der Lebenszustände gewahr unter denen diese Frauen versuchen gute Mütter zu sein, sich aber mit sozialen Problemlagen herumschlagen und die helfende Hand nicht immer greifen können. Aufklärung tut not, so wie dieser Film klärenden Blickes die Welt aufnimmt.