Cellmorbasg - Kommentare
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Alle Kommentare von Cellmorbasg
Berlinale 2017 #12
Eine Touristin aus Australien trifft einen Berliner und übernachtet bei ihm. Sie bleibt ein halbes Jahr. Eingesperrt. Sehr eindringliche, spannungsgeladene Szenen, doch zu wenig über die komplexe Gemengelage dieses Zusammenseins. Beispielhaft ist da der Zeitsprung, der nichts bei den Charakteren verändert hat.
Berlinale 2017 #11
England, Yorkshire, wo die Menschen, auch von der Landwirtschaft gebückt, nach unten gucken und die Schönheit ihres spröden Landes nicht sehen. Um den Hof einer Familie, bestehend aus Großmutter, Vater und Sohn, steht es nicht zum besten. Der Vater ist nicht mehr in der Lage die Arbeit zu verrichten, kommandiert den Sohn aber herum, es ist ungewiss, ob dieser Hof eine Zukunft hat. Johnny hat sich in einem Leben mit abendlichen Pubbesuchen und dem täglichen Absturz eingerichtet, die einzige Form der Rebellion zu der er in der Lage ist. Es ist ein Film der leisen Töne, der sehr präzise ausgearbeitet ist, am Rande von den ökonomischen Problemen erzählt und den familiären Schwierigkeiten.
Zur Unterstützung während der Woche in der die Lämmer geboren werden, engagiert der Vater einen rumänischen Landarbeiter, der seine Farm in Rumänien aufgeben musste. Ich wusste nicht, wie schön die Geburt eines Lamm ist. Wenn Gheorghe das kleine Lebewesen aus dem Muttertier holt, dann traut dieser Film dem Zuschauer zu, hinzuschauen und zeigt die Liebe, die dieser Mann seiner Umgebeung entgegenbringt. So baut er auch Stück für Stück die Hürden bei Johnny ab und dieser verliebt sich schließlich in ihn. Es braucht auch dann noch ein gutes Wegstück, vor allem wird Johnny lernen sich selbst zu lieben und so zu emanzipieren.
Trotz der Zerbrechlichkeit - manchmal hat man mit einem Menschen den man ein ganzes Leben begleitet nur einen Moment - ist dies ein Film der Hoffnung, die hier in dem Wunsch besteht, sich ein gemeinsames Leben aufzubauen. Dabei wird wenig Dialog genutzt, aber viele Blicke. Und das süßeste Lächeln das zwischen zwei Menschen möglich ist, wenn man die eigene Verliebtheit im Gesicht des anderen gespiegelt sieht.
"Freak!"
"Faggot!"
Berlinale 2017 #10
Es ist Sommer. Die Blätter sind von der Zeit schon in dunkles Grün gewandelt und hängen an, von reifen Früchten niedergedrückten Zweigen, die das Bild des norditalienischen Sommers 1983 rahmen. Die gebildete und der Kultur zugewandte Familie eines Professors für Archäologie verbringt ihre Tage in einem großen Anwesen mit weitläufiger Gartenanlage, das dem langsamen Verfall preisgegeben ist. Sie laden jedes Jahr einen Studenten ein, den Sommer in dem Anwesen zu verbringen und dem Professor zu assistieren. So kommt der US-Amerikaner Oliver zu Besuch, im Jahr in dem Elio 17 Jahre alt ist. Elio liest, transkribiert Musik, spielt Klavier und Gitarre, er beobachtet mit seinen Freundinnen Oliver beim Volleyballspiel, geht mit ihm in die abendliche Disco unter freiem Himmel und macht Ausflüge in die Stadt. Und irgendwann stehen sie an einem Brunnen und Elio gesteht Oliver durch die Blume, nein, eher über Blumenfelder hinweg, so entfernt wie der Glockenschlag einer Kriche auf dem Gipfelkreuz, dass er schwul ist.
Sie verbringen weiter Zeit miteinander und radeln einmal zu Elios Lieblingsort an einem Teich, liegen dort auf einer Wiese und küssen sich, flüchtig nur, ein Versprechen auf mehr. Es folgen noch zwei oder drei glückliche Tage, denn die Abreise von Oliver ist da. Sie haben das Glück noch ein paar Tage länger zusammen zu sein, Elio begleitet Oliver auf eine Studienreise, doch zögert es den Schmerz nur hinaus. Schließlich verabschiedet Elio Oliver und dieser steigt in den Zug. Elio bleibt zurück, geht in die Station und ruft seine Mutter an, die ihn abholt. Der Vater sieht den Schmerz des Sohnes und offenbart ihm seine eigenen, versteckten Gefühle, beglückwünscht ihn zu seiner schönen Zeit.
Es ist Winter. Oliver ruft zu Hanukkah an. Er erzählt Elio, dass er verlobt ist. Elio geht ins Esszimmer und kniet sich vor den Kamin. Er starrt von Traurigkeit und Erinnerung erfüllt ins Feuer und die Kamera blickt in sein Gesicht, dass die rechte Leinwandhälfte füllt. Links laufen die Namen der Mitwirkenden des Films vorbei, die Darsteller sind schon längst vorüber gezogen, als Elio eine Träne über seine rechte Wange rollt, während seine Mutter im Hintergrund den Tisch deckt. Irgendwann sagt sie, oder frag vielmehr: Elio?! Da dreht er sich, das Kinn auf der eigenen Schulter ablegend, um. Für einen Sekundenbruchteil noch verweilt das Bild, dann wird die Leinwand schwarz.
Und Tränen fließen, die nie getrocknet werden können.
Berlinale 2017 #9
Zwei Männer wohnen in einem chinesischen Ort mit Strand, Sonne und Meer ein unbekümmertes Leben zusammen. Sie schlafen im selben Bett, suchen aber auch Abenteuer mit anderen Menschen. Zumindest gilt das für Ren Yu, Li Qi hadert mit seinen Gefühlen für seinen Freund die nicht so stark erwidert wären, wie er sich das heimlich wünscht. Da tritt die schöne Bai Ling in ihr Leben, die sich ebenfalls zu Ren Ya hingezogen fühlt, der jedoch keine feste Bindung eingehen möchte. So ist diese Dreiecksgeschichte mal überdreht, mal harmonsich, mal melancholisch betrübt und schließlich auch überwältigend brutal. Worte werden dabei kaum gewechselt, alles wird in eindrucksvollen Bildern erzählt, die Kamera umschwärmt ihre Protagonisten oder ist es umgekehrt?
Berlinale 2017 #8
Man hätte diesem Film irgendwann in seiner Entwicklung mal einen hellen Moment gewünscht, so ist da nichts. Nichts im hölzernen Spiel der Freundin, des Sohnes, ein kleiner Lichtblick ist tatsächlich der Vater, doch gleich einen silbernen Bären dafür? Da muss ich ja dankbar sein, keine weiteren Wettbewerbsfilme gesehen zu haben. Das einzige was in diesem Film handwerklich tadellos war, war die Kamera, die die ausdrucklosen Gesichter vor der norwegischen Landschaft einfängt und die Szenerie vor der eintönigen Musik rettet. Der schönste Moment war eine Kamerafahrt auf einer Straße im Nebel. Mehr Tiefe war nicht.
Berlinale 2017 #7
In diesem Kammerspiel das im Krieg in Syrien angesiedelt ist, gibt es nur vereinzelte Blicke in den Hof, sonst spielt es sich ausschließlich in einer Wohnung ab, die sich mehrere Menschen teilen müssen, der Krieg jedoch ist fast in jeder Minute gegenwärtig, der Lärm der Bomben, die Angst in den Gesichtern, die Schreie bei einem Schuss und die tiefe Trostlosigkeit im Großvater, der alles in Trümmern sieht, was einst sein Leben war. Die Einzige, die um Alltag bemüht ist, ist die Mutter, die die Kinder weckt, den Jüngsten zu einer Schulstunde ins Wohnzimmer zum Großvater schickt, sich um den Wasserverbauch kümmert, um das Essen und einem jungen Paar mit Kind Obhut gibt, die ihre Flucht aus dieser Hölle planen. Ein Alltag im Krieg und doch ist dieser Tag besonders, mit Ereignissen versehen, die der Krieg, die jeder Krieg, mit sich bringt, Ereignisse der Gewalt: Zerstörung, Plünderer, Vergewaltiger, Scharfschützen, Tod.
So blickt das Dienstmädchen zu Beginn des Films dem jungen Ehemann hinterher, der seine Frau und sein kleines Kind vor der Arbeit und der abendlichen Flucht noch einmal sehen wollte, da ertönt plötzlich ein Schuss. Er fällt. Sie schreit. Rennt zur Mutter, die sagt, bloß nichts der Ehefrau sagen, erst wenn es dunkel wird, der Vater nach Hause kommt und man es wagen kann rauszugehen. So warten wir auf die Nacht und sind mit weiteren Ereignissen konfrontiert sowie dem Umgang und den Entscheidungen die im Angesicht eines jeden zu treffen sind. Nicht richtig, nicht falsch, nur geleitet vom bloßen Willen im Schrecken zu überleben. Bleibt die Menschlichkeit dabei auf der Strecke?
Manchmal vielleicht. Manchmal gibt es aber auch in der finstersten Nacht ein kleines Licht.
Berlinale 2017 #6
Samstag, 11. August 1945. Der Krieg in Europa war beendet, der Krieg gegen Japan stand nach den Atombombenabwürfen und dem Eintritt der Sowjetunion in den Krieg ebenfalls vor dem Ende. Eine Hochzeit soll stattfinden in einem kleinen Ort irgendwo in Ungarn, als ein Zug im vom Ort etwas abseits gelegenen Bahnhof ankommt. Eine handvoll sowjetischer Soldaten vertreibt sich ebenso die Zeit wie ein Vater und sein Sohn, die Ware transportieren möchten. Zwei Juden wollen ihre Dienste in Anspruch nehmen und lassen zwei große Kisten aufladen. Der Bahnhofsvorsteher gerät in volle Aufregung und macht sich mit dem Fahrrad auf und davon in den Ort. Die Kisten werden zum Katalysator von einer Kette von Ereignissen in dem Ort, die viele Figuren mit einbeziehen und das Innere der Menschen des Ortes offenbart. Es zeigt sich wer reinen Herzens ist, wer Schuld auf sich geladen hat, wer sich unbeteiligt gab, aber nur zu gern zuschaute und so weiter. Denn in den Kisten werden Waren vermutet mit denen die Juden ihren alten Laden wieder aufbauen wollen.
Doch es geht nicht nur um die Verstrickungen in die Vergangenheit, es geht in diesem, mit eindrucksvoller Kamera gefilmten Drama, schlicht auch um das Beziehungsgeflecht in so einem Dorf. Es geht um den Traum vom Aufstieg, um Liebe, Freundschaft, Verrat, Korruption und die Hoffnung einer jungen Generation auf ein besseres Morgen.
Die Kisten jedoch sind mehr als nur ein MacGuffin, wenn der kleine Pferdetransport durch zwei große Eisentore erspäht wird, die den Davidstern tragen und den einzigen jüdischen Ort markieren, der von den Bewohnern nicht angetastet wurde: der Friedhof.
Die Handlung des Films spielt sich, stark verdichtet, an nur einem Tag ab und endet mit der Abfahrt eines weiteren Zuges, der diese Landschaft verlässt und eine große von Ruß geschwärzte Wolke vor dem dunklen Gewitterhimmel hinterlässt.
Berlinale 2017 #5
In diesem bunten, wie verrückten Film werden Normen und ihre Auswirkungen behandelt, vor allem für Menschen die eben diesen Normen nicht entsprechen. Ein Film der übertreibt, zuspitzt und immer wieder viel zumutet, sich selbst keiner Norm verpflichtet sieht. So entfalten insbesondere die stillen Charaktermomente eine tiefe Intensität, wenn sie auch von Szenen umgeben sind, die vielleicht nicht immer dem Anspruch des Films entsprechen. Dennoch arbeitet der Film stark heraus wie es ist, wenn man nicht dazu gehört und zeigt verschiedene Möglichkeiten der Konsequenz, die das mit sich bringt.
Berlinale 2017 #4
In diesem Drama auf einer Farm im Brasilien des frühen 19. Jahrhunderts passiert handlungsmäßig nicht allzu viel und es ist auch nicht dialoglastig. Dafür sieht man umso mehr in den Gesichtern und in kleinen Handlungen und Gesten zwischen den Menschen. Leider wird dabei die Kameraarbeit mit der Zeit sehr aufdringlich, handelt es sich um den immer gleichen kleinen Bereich in dem ein Gesicht scharf zu sehen ist und in diesen Bereich kommt und wieder geht. Der Blick wird einem aufgezwungen und das ist mit der Zeit ebenso ermüdend wie die Langatmigkeit und Vorhersehbarkeit der dünnen Handlung. Das erschütternde Ende bietet dafür immerhin eine kleine Entschädigung...
Berlinale 2017 #3
Der Film beginnt mit einem Pferdediebstahl in der Nacht und gibt vor, wie die großen Momente dieses Films aussehen. Wann immer Pferde im Bild sind, gewinnt der Film eine große Dynamik, wenn die weite Steppenlandschaft mit den riesigen Bergen am Horizont im Bild erscheint, wird der Wunsch des Protagonisten nach einem nomadischen Leben im Bund mit dem Pferd greifbar. Leider passiert das zu selten und so plätschert die Geschichte um den Mann, der sich nicht in die moderne Zivilisation fügen kann, dahin. Dabei hat diese Figur auch den Schalk den im Nacken und es gibt eine sehr schöne, pointierte Szene, wenn er mitten im gemeinsamen Gebet, zu dem er verdonnert wurde, aufsteht und den Filmprojektor in Gang setzt. Ein Film dem man zu oft anmerkt, dass er nachdenklich sein will, jedoch kaum Zwischenräume schafft, wo dies stattfinden könnte.
Berlinale 2017 #2
Dieses in Sao Paulo spielende Drama mit komischen Elementen macht eine 38-jährige Frau zum Mittelpunkt, die mit ihrem Leben hadert. Als Tochter nie gut genug, als Mutter allein, da der Vater nur Bespaßer der beiden Mädchen ist, als Ehefrau in einer Krise, mit dem Beruf nicht glücklich und nun auch noch mit einem neuen leiblichen Vater. All diesen Problemen muss sich Rosa irgendwie stellen, während der Film ihren Alltag zeigt und sie tut es auch. Sie sucht ihren neuen Vater auf, kündigt ihre Arbeitsstelle, konfrontiert ihren Ehemann und auch ihre Mutter. Und so entwickelt sich auch etwas, sie geht entspannter mit ihrer Mutter um, findet auch in ihrer eigenen Mutterrolle zu mehr Leichtigkeit, akzeptiert ihre verschleierte Herkunft und vielleicht hat sogar ihre Ehe noch eine Chance. Die Konfrontation des Ehepaars auf dem abendlichen Sofa kurz vor Schluss ist das Highlight des Films, das banale tritt endlich zurück und die beiden sind mit der Schwere ihrer Lebenssitutation konfrontiert. Es ist der wahrste Augenblick des Films und ich wünschte mir, dass hier der Ausgangspunkt gelegen hätte, denn sonst blieb der Film doch zu harmlos. Die Frau geht letztlich gestärkt aus ihrer Situation hervor indem sie zum einen Veränderungen einleitet, zum anderen aber auch einfach die Unperfektion des Lebens akzeptiert.
Berlinale 2017 #1
Es ist wieder Berlinalezeit und sie begann für mich dieses Jahr mit diesem wunderbaren Film. Es ist eine Liebesgeschichte und handelt von drei Männern die bei einem Beschneidungsritual aufeinandertreffen. Da ist der in sich gekehrte und zurückhaltende Xolani, der seit seiner eigenen Beschneidung jedes Jahr zurückkommt, um andere Jungen bei dem Ritual zu unterweisen. Er tut dies weniger aus Überzeugung und Traditionsbewusstsein, obwohl er nie seine Herkunft verleugnen würde, sondern um Vija wiederzusehen, den Mann den er liebt, der aber Frau und Kind hat und außer an Sex mit Xolani kein weiteres Interesse zu haben scheint. Den jungen Mann den Xolani bei der Beschneidung diesmal zugewiesen bekommt ist Kwanda, der ein modernes Leben in Johannesburg führt und mehr oder weniger offen zeigt, dass er schwul ist. Damit wird er zum Katalysator dieser unheilvollen Gemengelage und der Film schafft es die Spannung zwischen den Charakteren in Szene zu setzen. Dabei tragen auch die drei Sexszenen des Films zur Entwicklung der Geschichte bei. Während Vija Xolani zunächst emotional und körperlich dominiert, lässt er im Verlauf der Geschichte mehr eigene Gefühle zu, so dass es sogar zu einer romantischen Szene kommt, die allerdings von Kwanda beobachtet wird...
Es handelt sich bei The Wound um einen starken Film über innere Zerissenheit und wie viel man aushalten kann und muss, um in dieser Welt einen Platz zu finden.
"Wenn die Wunde
Nicht mehr schmerzt
Schmerzt die Narbe." aus einem Gedicht von Bertolt Brecht
Geschichtsgemisch ist das richtige Wort und führt den Gedanken der Überschrift ad absurdum. Zumal es bedenklich wäre, würde man die Geschichte von 100 Eliteköpfen einer Zeit im Jahr 2016 immer noch mit der tatsächlich gelebten Vergangenheit verwechseln. Die Geschichtsforschung agiert da heute deutlich vielfältiger.
Tomaten, nicht auf, vor den Augen, bevor der Blick weiterstreift und man meint die Zucchinis, Kirschen, und Erdbeeren verbeiten ihren Duft im Kinosaal. Die Kameraarbeit spricht hier mehr als einen Sinn an, sofort ist man mitten im Leben eines der multikulturellsten Flecken dieser Erde, erkundet Straßenzüge, ein Einkaufscenter, ein Gemeindezentrum, vor allem aber Menschen mit ihren Geschichten, was oftmals nichts anderes heißt als Probleme. So entsteht eine Dokumentation über das Altwerden, die Kämpfe von Minderheiten, die Behandlung von Tieren im Leben und Tod, die Bezirkspolitik, Gentrifizierung und eine besonders eingängige Eselsbrücke. Die Himmelsrichtungen auf der Karte: North, South, East, West = nose, shoes, hand to eat and hand to wash your poo-poo. Das Leben in seiner Vielfalt, vielleicht mit der einfachen, aber doch so schwer umsetzbaren Erkenntnis: leben und leben lassen.
Mit dem Fahrrad fährt Iddrisu durch die Savanne seiner Heimat, entfernt sich von seiner Freiheit an der Universität und bleibt aber irgendwie auch gern. Manchmal scheint er hin- und hergerissen zwischen dem Streben nach mehr und der Genügsamkeit des dörflichen Alltags, bleibt jedoch ein Außenseiter mit dem Einfluss seiner Erfahrungen als Student. Ein ruhiges Drama über die Reflexion einer viel früher getroffenen Entscheidung. Zeit zu gehen.
Dieses Drama beginnt mit einem Familienessen, einer langen und intensiven Szene, die die Beziehungen in der Familie und die einzelnen Personen nahe bringt, das doppelmoralische Patriarchat zeigt und zugleich zu zerstören beginnt. Von Harmonie ist hier fast keine Spur. Fast. Die Zwillinge der Familie scheinen sich uneingeschränkt zugetan, stützen und schützen einander. Denn sie sind mehr als Geschwister, sie lieben sich und sie erwarten ein Kind. So entspinnt sich eine Geschichte zwischen Geheimnissen und Lügen und was von der Wahrheit übrig bleibt. Wenn es eine Wahrheit gibt. Die Gewalt und Verletzungen der ersten Szene klingen dabei den gesamten Film über nach und lassen die Spannungen sehr lebendig werden. Leider hält der Film diese Intensität nicht, doch mit seinem Ende ist es vielleicht der mutigste Film der Berlinale und stellt die, zumindest aus mitteleuropäischer Sicht, radikale Frage, die Frau Kramp-Karrenbauer die Haare zu Berge stehen ließe.
Eingerahmt zwischen einem Bild des Frühlings und des Herbstes erzählt der Film von einem Sommer in der Uckermark und den Menschen die dieses leicht hügelige Stück Land bewohnen. Erzählt von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, hebt den Wert der Kulturlandschaft hervor, die die Menschen vielleicht mehr prägt als die Menschen sie, zeigt die soziale Verödung in den letzten beiden Jahrzehnten und ist vielleicht das ein oder andere mal einen Tick zu romantisierend, stellt aber im Ganzen vor allem die wichtige Frage nach dem Umgang mit Veränderung und den Anpassungsleistungen die man leisten kann und die einem abgerungen werden, in der Landarbeit wie im Leben. Was hier beides oft noch eins ist. Ein schöner, aber kleiner Ausschnitt aus dem Leben von herzlich guten Menschen, deren Leben in Höhen und Tiefen verlief, insgesamt aber doch ein Stück Glück.
Überraschend an diesem Film ist nicht, dass er aus Saudi-Arabien kommt, sondern dass solche Liebeskomödien kaum noch bei uns gedreht werden. Vielleicht braucht es die Enge eines autokratischen Systems um dieses Format zu nutzen, über die eigentliche Erzählung des Findens zweier junger Menschen auf Umwegen, hinauszuweisen. Dieses Zusammenfinden gestaltet sich mit weitgehend leisen Tönen und bringt als Höhepunkte gefühlvoll zurückhaltende Bilder auf einer Schaukel, hinter einer Schattenwand und auf einer Bank hervor. Die Einschränkungen die den Filmermachern auferlegt sind, werden zu einem Glücksfall für das Erzählen einer eigentlich simplen Geschichte. So finden sich kleine Nebenhandlungen oder Figuren in dem Film die etwas über die politischen, sozialen und kulturellen Grenzen mitteilen, die keineswegs auf Saudi-Arabien beschränkt sind, sondern vielmehr universell verstanden werden können.
Barakah ist im Auftrag des Staates unterwegs, um jenen öffentlichen Raum zu "schützen", den er mit Bibi erobern will um einander zu begegnen und kennenzuleren. So lernt er nicht nur blind die Verordnungen auszuführen, deren Sinnhaftigkeit sich ihm eh nicht vermittelt, sondern Regeln auch zu missachten. Ebenso wenig passt Barakah in ein männliches Rollenklischee und die Anprobe eines Kleides ist ihm ein paar Zupfer daran wert, aber keinen Kommentar. Im Gegensatz zu Bibi kommt er aus weniger gut situierten Verhältnissen, was dazu führt, dass Bibi ihm ein wenig von einem Leben vermitteln kann, dessen Einblick Barakah bisher verweht blieb oder er nur aus Erzählungen vergangener Tage kennt, als Feste auf der Straße auch in Saudi-Arabien möglich waren. Selbst für die Thematik syrischer Flüchtlinge ist in diesem Film Platz - in ein, zwei Sätzen nur, aber mehr braucht es auch nicht um pointiert auf den Punkt zu bringen, dass sich im Unglück, in dem man sich wähnt, jeder selbst am nächsten steht.
So ist dieser Film, wie zu Beginn versprochen, ein Blick ins Leben, wie es ist. Und gerade darum auch politisch.
Zwei Menschen lesen Briefe vor. Dass das nicht langweilig, sondern zu einem eindrucksvollen Kammerspiel wird, liegt an zwei Dingen. Da sind die Briefe von Ingeborg Bachmann und Paul Celan, Briefe einer Liebe, von deren leidenschaftlichem, zarten und hoffnungsfrohen Beginn wir hören, von deren Pausen und Ende in der Zeit wir erfahren. Und dann sind da Anja Plaschg und Laurence Rupp, die nicht nur einfach vorlesen, sondern diese Briefe versuchen zu durchdringen, gemeinsam in diese Liebe einzutauchen, sie erfahrbar zu machen, die Bedeutung der Worte zu erschließen. Denn die beiden Literaten verstehen es ebenso direkt zu sein und einander brutal zu verletzen, wie in Andeutungen zu verweilen und den Assoziationen freien Lauf zu lassen. 20 Jahre Leben, das nur kurze gemeinsame Momente kannte und deshalb vor allem durch diesen Gedankenaustausch war, hier in 90 Minuten auf das Wesentliche reduziert und so berührbar wie berührend.
Ein Denkmal für Pietro Bartolo
Samuel ist 12 Jahre alt und lebt auf einer Insel im Mittelmeer, eine Insel in der ein gewisses Maß an Ursprünglichkeit herrscht, in einer Familie, in der der Weg zum Fischer vorgezeichnet ist. So müht sich Samuel beim Bootfahren ebenso hartnäckig wie bei den Englischvokabeln, seine Schwächen mit sympathischen Auftreten kaschierend. Er geht vor allem dann auf, wenn er über die Insel streifen kann, auf der Suche nach neuen Abenteuern oder wenn er Omas Spaghetti verzehrt - jede Nudel so intensiv einsaugend wie die Meeresluft zum atmen. Die einzigen Feinde die man hier finden kann, sind die Kakteen und Schiffe die in der Fantasie zu feindlichen Armeen reifen. Und ein lahmes Auge, das zu trainieren nur eine weitere Herausforderung wird, der sich Samuel mit dem unerschütterlichen Mut eines Kindes stellt.
Aber diese Insel heißt Lampedusa. Hier wirkt auch Pietro Bartolo als Arzt und hilft seit Beginn der 90er Jahre und den ersten Flüchtlingsbooten bei der Betreuung der Gestrandeten. Damals landeten die Flüchtlinge noch tatsächlich auf der Insel, das erste Boot, so sagt er es auf der Pressekonferenz nach dem Film, kam 1991 mit drei Menschen in den Hafen. Heute erreichen die überfüllten und wenig hochseetüchtigen Boote die Insel nicht mehr und die Menschen müssen auf dem Meer gerettet werden. Der Film zeigt die Einsätze von Hubschraubern, Schiffen und die Versorgung von dehydrierten Menschen. Oder schlimmeres. Als Bartolo es einmal bei einem Einsatz schafft noch ein Menschenleben zu retten (auch das ein Bericht von ihm auf der PK), war danach sein einziger Wunsch, dass der erste Leichensack kein Kind enthält. Der erste von 368. Im Film sehen wir ihn das erste Mal, wie er hoffnungslos versucht das Geschlecht eines Zwillings herauszufinden die im Bauch eines Flüchtlings heranwachsen und, den Umständen entsprechend, in guter Verfassung sind. Vielleicht die schönste Hoffnungslosigkeit die ihm hier als Arzt widerfahren kann. Er redet auf die Patientin, die ihn nicht versteht, ein, verdrängt die Sprachbarriere und sieht nur den Menschen. Oder drei. Ein anderes Mal spricht Pietro Bartolo im Film über seine Arbeit, ein Mann der dann, trotz allem was er schon gesehen hat, um Fassung ringt. Die Menschen auf Lampedusa, sagt er auf der PK, sind ein Volk des Meeres. Fischer. Und jeden der vom Meer kommt, heißen sie willkommen.
Ein Vater-Sohn-Konflikt wird in diesem Film vor dem Hintergrund biblischer Motive ausgetragen. Das gekünstlete Spiel der Darsteller hilft einerseits das stereotype Handeln der Figuren herauszuarbeiten und stellt andererseits die eindringlichen Blicke der Figuren in den Mittelpunkt der emotionalen Entwicklung. So entwickelt der Film einen ganz eigenen Charme und man folgt den Charakteren zur Familienbildung.
Die letzte Berlinale begann für mich mit einer Lawine, diesmal ist es die Urgewalt des Meeres, auf der sich ein kleines Boot über Wasser hält. Und das für eineinhalb Stunden. Bei einem Bild je Sekunde wird ein ursprunglich dreieinhalb minütiger Kurzfilm in Zeitlupe abgespielt. Fast eine Absage an einen Film und mit den Berichten der Beteiligten aus dem Off eher einem Hörspiel gleichend. Und doch gibt es einen großen Moment. Nach 15 Minuten winken einige der 13 Personen auf dem Boot. Plötzlich wird man als Zuschauer zurückgeworfen auf eine Beobachterperspektive, man ist nicht mehr unbeteiligt, sondern mittendrin. Eine halbe Stunde später wird klar wem das Winken galt, die Kamera vollführt ihren einzigen kurzen Schwenk - zu einem Kreuzfahrtschiff. Kampf um Leben und Tod zwischen Kabine und Sonnendeck. Der Regisseur wollte nach den politischen Entwicklungen des letzten Jahres seine Protagonisten nicht mehr zeigen, einzelne Flüchtlinge sollten nicht sichtbar sein als Ersatz für die anonyme Masse der Millionen Leidenden. Fragt sich ob ein Kinofilm dann noch das richtige Format für solch ein Projekt ist. Diesen einen Moment aber, werde ich nicht vergessen und so hat es sich vielleicht doch gelohnt.
Ein Kurzfilm über Berlin und die Liebe. Traurig und schön zugleich. Einfach ansehen, die 15 Minuten sollte man haben: https://www.youtube.com/watch?v=9ZqEgF4ICxU
Da mir die Worte fehlen zu diesem zauberhaften Film, lasse ich Erich Fried sprechen:
Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Kurz bevor man die Nacht herein lässt, in die Tiefe fällt, ins Nichts, allein mit seinen Träumen, windet man sich, am liebsten raus, aus dem warmen Bett, der drückenden Nacht, dem engen Leben. Doch kein Entkommen vor dem Ich und so sind es Gedanken die teuflisch ihre Kreise ziehen, Ruhe rauben, Gewissheiten zertrümmern.
Und in einer Minute offenbart der Beobachter der Seele die Zerbrechlichkeit des Seins in einem tränenreichen Monolog: "Verdammt! Seltsam. Man wird einfach immer älter. Man tut immer das Gleiche. Ich heirate Karl-Henrik, wir bekommen ein paar Kinder und ziehen sie groß. Das ist schon beschlossen, tief in mir drinnen. Darüber denke ich nicht groß nach. Das ist ein großes Gefühl der Sicherheit. Ich habe eine Arbeit, die mir gefällt und mich zufrieden stellt. Das ist auch gut. Aber auf eine andere Weise. Aber es ist gut. Es ist gut. Was wohl wirklich mit ihr los ist? Elisabeth Vogler... Elisabeth."
Bergman schont nicht. In erschütternder Trockenheit zeigt er Lebensbilder, Augenblicke in denen ein Stück Leben eingefangen ist, was sie so schwer verdaulich macht und doch auch so schön.
Vielleicht ist es unmöglich eins zu sein. Und vielleicht macht das das Leben aus. Lebenswert. Neues entdecken. Nicht woanders, sondern in uns selbst. Und Bergman ist ein Spiegel.