JarvisBln - Kommentare
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Alle Kommentare von JarvisBln
113-minütige Fassung. Ausgangspunkt der Geschichte: Auf dem Weg zu seiner Hochzeit frisst das Pferd des Bräutigams Fadinard einen italienischen Strohhut an, dieser gehörte Mme de Beauperthuis Paul, welche sich gerade ehebrecherisch mit einem feschen Leutnant im Gebüsch vergnügt. Jetzt muss Ersatz her, sonst fliegt die ganze Sache auf. Der Bräutigam muss sich jetzt gleichzeitig um seine Hochzeit kümmern und sich auf die Suche nach einem Ersatz für das (äusserst rare) Hutmodell machen.
Eine Komödie voller Understatement, die gerade daraus maximale Komik entwickelt. Das ist zum einen die subtile Körperkomik: eine Haarnadel rutscht ins Hochzeitskleid, die Schuhe sind zu eng, der zweite Handschuh fehlt, die Fliege sitzt schief - daraus entwickeln die Beteiligten minimal verschobene Bewegungen, gilt es doch immer auch Haltung zu bewahren. Zum anderen führen Gegenstände Eigenleben, sie verdoppeln sich, fliegen durch die Luft (kleine surrealistische Reminiszenz), sie werden verknautscht und zerstört.
Und nicht nur der Quickie im Busch wird völlig selbstverständlich verhandelt, der Leutnant flirtet letztendlich auch schamlos mit der frisch gebackenen Braut.
Der Hut findet sich natürlich zum Schluss, er war nämlich immer schon da.
Dieser Film ist das pure Vergnügen.
Deutsche Ost-West Liebesgeschichte, im Jahr 1952 spielend, doch hier wir dort ist kein Platz für die Liebe. Zu sehr sind alle mit "den Verhältnissen", wie es einmal im Film heisst, beschäftigt.
Beginnender ökonomischer Aufschwung im Westen ("Das Geschäft läuft gut. Wir haben fast schon wieder die Umsätze von 1938", heisst es bezeichnenderweise im Lebensmittelgeschäft mit Feinkostambitionen), Mangelwirtschaft im Osten, Schwarzhandel, mit Tricks und Schleichwegen ist die Grenze noch zu überwinden.
Ein Kind als Spielball zwischen Grosseltern (West) und Mutter (Ost), von den dresdner Bombennächten traumatisierte Grosseltern (Ost), der menschliche Polizist (West), der seine Stellung verliert, der gute russische Soldat.
Käutner positioniert hier nicht Ost gegen West, ihm geht es um die Menschen, die sich durchschlagen in einer Welt, von der sie meinen, nicht für ihren derzeitigen Zustand verantwortlich zu sein. "Ich habe die Grenze nicht gemacht". Das kam im Kalten Krieg der 50er Jahr nicht gut an.
Und die Liebesgeschichte? Der einzige Platz für Liebe ist ein aufgelassenes, zerstörtes Bahnhofshäuschen im Niemandsland zwischen Ost und West. Ein Happy-End erlauben die Verhältnisse nicht.
Eine weitere Auseinandersetzung Käutners mit Nachkriegsdeutschland.
Eine starke Setzung am Anfang: Dokumentarmaterial aus der Zeit des Nationalsozialismus, geschickt gegengeschnitten mit Filmfiguren, als würde der Grossindustrielle Claudius Hitler die Hand geben, prägen sich ein und liegen wie ein Subtext unter der folgenden, im Ruhrgebiet der 50er Jahre spielenden Geschichte.
Der Industriellenfamilie ist von ihrer Villa nur der der repräsentative Eingang (inklusive einer übergrossen Arbeiterstatue mit Vorschlaghammer - eine Mischung aus Breker uns sozialistischem Realismus) sowie der (für Besuche genutzte) Empfangsraum geblieben, der Rest wurde weggebombt. "Wir leben jetzt im Neubau". In Käutner-Filmen gibt es oft so hingeworfene Sätze, in denen sich ganze Welten auftun. Die Tochter Fee kann und will diese Schizophrenie nicht mitmachen und zieht sich in das beschädigte Gartenhaus zurück und züchtet Orchideen.
Die Aussenwelt wird bestimmt von der Silhouette der Hochöfen, davor weite, leere Flächen, punktuell ausgeleuchtet und leicht mit Schnee bedeckt.
Ein Nachkriegsdeutschland zum Frösteln.
Mein Lieblingsfilm auf dieser Berlinale. Ein B-Picture voll mit Sex und Gewalt, und doch eine präzise Momentaufnahme. "Die Personen sind frei erfunden, Ort und Zeit sind es nicht" heisst es im Vorspann. Hunsrück 1961. Einerseits ist die Nazizeit erst 16 Jahre her und sitzt den Leuten noch im Nacken und in den Köpfen, andererseits verändern die amerikanischen Besatzer, die hier eine Airbase bauen den kleinen Ort, in dem es nun 11 Nachtbars gibt, und die Einheimischen versuchen sich mit Schwarzhandel über Wasser zu halten. Eine zerrissene Gesellschaft, alles wird zugeschüttet mit Musik, aus Jukeboxen, Autoradios, selbst zum Waldspaziergang wird das Kofferradio mitgenommen, das, wenn das Paar von einem Lastwagen überfahren wird, gnadenlos neben den Leichen weiterplärrt.
Mit den zahlreichen Leichen wird auch kurzer Prozess gemacht, einfach Kies drüber. Deutsche Problembewältigung eben.
Übrigens kam der Film damals nur gekürzt und mit verändertem Schluss ins Kino, der Zentralrat der Juden protestierte, hier war die ungekürzte Version zu sehen, und ich frage mich, was es da zu protestieren gab. Sicher, es fällt das Wort "Saujud", welches aber den Sprecher als Antisemiten kennzeichnet, sowas soll es in Deutschland gegeben haben, immer noch geben.
Lieblingsszene: Während einer Kneipenschlägerei spielt die Jukebox fast in voller Länge "Die Gitarre und das Meer".
Nie werden in diesem Film die Räume des Casa Roshell verlassen, die Aussenwelt wird nur per Videokamera im Kassenbereich erfasst. In diesem geschlossenen Raum (Freiraum und Closet zugleich) vollziehen sich Transformationen verschiedenster Art: Männer werden zu Frauen, ihre Verehrer legen für einen Abend ihre Heterosexualität ad acta, und alle sind sie gleichzeitig Protagonist_innen und Darsteller_innen, fast alle spielen sich selbst.
Die Kamera erfasst die Personen oft mehrfach gespiegelt, verklärt weder Raum noch die Besucher_innen. Das Ambiente ist eher schäbig, die Transvestiten unglamourös und ihre Verehrer reichlich plump direkt. Ich glaube, ich würde mich dort wohlfühlen.
Kurze Stichpunkte zu 1969, dem Entstehungsjahr des Films:
Nach den Bundestagswahlen kam es erstmals zu einer sozial-liberalen Koalition mit Willy Brandt als Bundeskanzler, die NPD kam auf knapp 1.9 Millionen stimmen und verpasste knapp die 5%-Hürde.
In den Städten differenziert sich die Studentenbewegung, die RAF kündigt sich an.
Rainer Werner Fassbinder dreht "Liebe ist kälter als der Tod".
Die 60er Jahre werden in dem Film nur über Objekte und Musik markiert: Percy Sledge zu Beginn und zum Schluss, die Zeitschrift Jasmin ("Lexikon der Sexualität"
ist aufgeschlagen), Filmplakate (Italowestern und Winnetou), Werbung (Postscheckkonto).
Sonst, gedreht wurde in Unterfranken, ist die Zeit stillgestanden.
Der Film erzählt von Kalle und seine Gruppe, Kalle idolisiert Hitler und Al Capone,
will, dass etwas Grosses passiert. Zusammen überfallen sie Banken und verstecken das Geld in Milchkannen im Wald, weil es Ihnen um das Signal, nicht um Bereicherung geht.
Die Sache eskaliert, Gewalt wird zum Selbstzweck, es gibt einen Toten.
Alles hoch interessant, leider findet der (Fernseh-)film zu keiner Form, zu viele Versatzstücke, wie obige 60-Jahre Zitate, die Gruppe in schwarzem Leder zwischen Fetisch und Rocker angesiedelt, coole Gesten (Rainer Werner Fassbinder, diesmal als Darsteller, in seinem Element), der Film schwankt zwischen Stilisierung und Sozialdrama, zwischen Radical Chic und Gesellschaftskritik.
Hanni, die einzige Frau in der Gruppe, Freundin von Kalle und aus Liebe dabei, träumt aber von Heirat und Familie, und bei diesem Thema, Sehnsucht nach Liebe und kleinem Glück, Abhängigkeit und Gewalt bin ich wieder bei Fassbinder.
Ein Monstrum von einem Melodram, kein wirklich guter Film, aber völlig over the top, eine Farborgie, camp, bevor es das Wort gab, wenn man den Film gesehen hat wundert man sich nicht, warum Regisseure wie Schilling, Fassbinder oder Schlingensief (er hat auch ein Remake unter dem Titel" Mutters Maske" gemacht)
diesen Film verehren. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus.
Douglas Sirk kann auch Komödie, wie auch in seinen Melodramen ist hier die Oberfläche perfekt, auch die Erzählökonomie, keine Sekunde möchte man missen, doch unter der Oberfläche tun sich Welten von Andeutungen, Motiven und Hintergründen auf.
Nichts ist in diesem Film wie es auf den ersten Blick scheint, das ist schon das Grundmuster der Erzählung, Vidocq, der Dieb, wird Polizeipräsident.
Es geht um Verkleidungen - Perücken, Hüte, falsche Bärte -, Schattenbilder, die falsch gedeutet werden, was sogar zu einem Mord führt, es kommen Satan und der heilige Georg vor, die natürlich nicht sind, was die Namen versprechen, eine Paradiesszene mit Schlange gibt es auch.
Es gibt die klassische Frauenkonstellation leichtes Mädchen - braves Mädchen,
nur dass das leichte Mädchen heiraten wird (wenn auch aus berechnenden Gründen, wie Materialismus überhaupt dem ganzen Film zugrunde liegt), während das brave Mädchen sich durchaus einen Juwelenraub zutrauen würde (wenn auch nur im Spass gesagt).
Doppelungen wo man hinsieht, sei es in Wiederholungen von Motiven, sei es in der Anlage der Figuren, die so oder auch anders sein können.
Im Grunde ein völlig unmoralischer Film, der so elegant daherkommt, dass man ihn fast subversiv nennen könnte.
Nachdem sich die Kommentator_innen hier ja fast überschlagen mache ich jetzt mal den Spielverderber. Der Film ist in seiner kalkulierten Rührseligkeit und eitlen Inszenierung für mich nur schwer zu ertragen, das Timing stimmt nicht (immer eine Geste zuviel, als möchte er zeigen, schaut mal, wie toll ich bin).
Haben den Film auf der Leinwand, gekoppelt mit zwei Buster Keaton Filmen gesehen, vielleicht liegt meine harsche Reaktion auch in diesem direkten Vergleich begründet. Nach Keatons fast schon dadaistischer, total moderner Coolness, wirkt Chaplin nur altbacken.
Viele finden ja, dass dieser Film zu den schwächeren Murnaus gehört, dem kann ich mich nicht anschliessen, schliesslich habe ich mich köstlich amüsiert.
Der ganze Film im Film wird ja in direkter Ansprache an den Zuschauer angekündigt (und es bleibt völlig unklar, woher dieser Film eigentlich kommen soll) und steht somit wie in Anführungszeichen.
Und was wird hier alles aufgegriffen: Boulevardelemente (ständig gehen Türen auf und zu, oder bleiben zu, was dahinter passiert bleibt ein Geheimnis), Voyeuristisches (es wird durch Schlüssellöcher geschaut, hinter Vorhängen hervorgelugt, die Kamera nähert sich gierig Lil Dagover und ihrem Dekolleté, sehr amüsant wie geschmackvoll Murnau, dem man wahrlich keinen "männlichen Blick" unterstellen kann, Tartüffs Lüsternheit visualisiert), Doppelmoral ("Wer im Geheimen sündigt, sündigt nicht"), "schlechtes Kino" (es wird übertrieben gespielt, die Kulisse wackelt) - sozusagen ein B-Picture mit Camp-Elementen, bevor es diesen Begriff überhaupt gab.
Einerseits erinnert mich der Film stark an das deutsche Kino der 70er Jahre, als versucht wurde, den Heimatfilm neu zu definieren, mit Elementen aus Western, wortkargen Charakteren und Popelementen wie der Jukebox, andererseits
kann man den Film auch ganz heutig sehen, Stichwort EU und Migration.
Oder die Frau als femme fatale, als Film Noir Figur.
Oder als Film über Liebe, Begehren und Abhängigkeit.
Florian Flickers letzter Film heisst "Grenzgänger", und das trifft auch auf viele ProtagonistInnen des leider viel zu früh verstorbenen Regisseurs zu.
In diesem Fall ist es ganz wörtlich zu nehmen: Suzie, die eigentlich Nana heisst, und am Schluss Jacqueline heissen wird bewegt sich - ernst, misstrauisch,
willensstark - vom Transitbereich des Wiener Flughafens durch ein Österreich der Postkartenbilder und -menschen (in Flickers Erstling, dem Science-Fiction-Film
"Halbe Welt" gibt es noch illegalen Handel mit Postkartenbildern) hin zur österreichisch-deutschen Grenzen, zuletzt im Sound-of-Music Bus.
Es geht um die Grenze von Legalität und Illegalität (Suzie ist mit gefälschtem Visum aus Georgien nach Österreich gekommen und hält sich illegal im Land auf, und einige nette Österreicher leben ganz gut von illegalen Nebengeschäften) und die Grenzen der sprachlichen Kommunikation (Suzie spricht nie ihre Muttersprache, kein Deutsch, dafür weltläufig Englisch und Französisch, die Österreicher mehr schlecht als recht Englisch). Und eine grossartige österreichische Schauspielerin (Birgit Doll), die eine Georgerin spielt, die sich als Amerikanerin ausgibt und zur Französin wird.
Kleine Korrektur: Marlen ist ein männlicher russischer Vorname, deshalb gehört Marlen Chuzijew nicht in diese Liste (in Berlin läuft gerade eine Retrospektive seiner Filme, deshalb komme ich drauf).
Aber gerne sehen würde ich noch die wunderbare Elfi Mikesch, meist zwar Kamerafrau, aber auch Regisseurin, Ursula Meier (Home, Winterdieb) und Katrin Gebbe, die mit "Tore tanzt" einen beeindruckenden Debutfilm gedreht hat.
Das Kalenderblatt zeigt zu Beginn des Films den 12.August an, das Jahr ist 1961. Wir sind in Ost-Berlin.
Zwei Männer, wie Brüder zusammen aufgewachsen, träumen von der Welt, Ulli glaubt an den Sozialismus, er erobert sich die Welt als Hobbyfunker und kommt dabei bis nach Kuba, Klaus fährt im Westen Taxi, für ihn erschliesst sich die Welt durch Westmark. Und beide lieben Kati, die ihren Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden hat.
Einen Tag später wird Ulli zu den Kampfgruppen eingezogen, die Grenze muss gesichert werden, um den Frieden zu erhalten. Auf der Oberbaumbrücke kommt es zur Konfrontation der beiden Brüder.
Der Film wurde ohne Drehbuch während des Mauerbaus gedreht. Obwohl die Liebesgeschichte im Vordergrund steht handelt es sich doch klar um einen Propagandafilm, der jedoch mit einer Leichtigkeit daherkommt, die den Zuschauer einnimmt. Der Film lebt zu Beginn von der sommerlichen Atmosphäre, in dokumentarischen Bildern eingefangen, immer wieder Grossaufnahmen von Menschen auf den Strassen oder Aufsichten im Stil der Neuen Sachlichkeit auf Strassen und Plätze (eine menschenleere Warschauer Brücke!). Seht her, das sind die Menschen und Orte unseres Landes.
Das Land, welches eingezäunt, ummauert wird. Armin Müller-Stahl als Ulli ringt ernsthaft mit Klaus und Kati um die richtige Einstellung. Obwohl Kati von Klaus schwanger ist entscheidet sie sich am Schluss für Ulli, die Konfrontation mit US-Panzern am Checkpoint Charlie (auch hier Dokumentaraufnahmen) haben sie letztendlich überzeugt, dass nur die Mauer den Frieden erhalten kann. Und sie ist glücklich, denn "mein Kind wird im Kommunismus aufwachsen".
Klaus versucht währenddessen in den Westen zu fliehen, an der Mauer wird geschossen. Schnitt auf eine Tafel: Frieden schaffen - oberstes Gebot der Menschlichkeit.
Dieser Film ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie zu den Anfangszeiten des Tonfilms in den USA offen und spielerisch mit Sexualität (in Gangsterfilmen auch mit Kriminalität) umgegangen wurde, bevor 1934 der Hays Code in Kraft trat.
Der Film kann heute im besten Sinne queer genannt werden, spielt er doch mit Zuschreibungen, mit Uneindeutigkeiten und lässt der Zuschauer_in viel Platz für Phantasien.
Die Königin, als Junge erzogen, wird zum König (ohne -in) ernannt, liebt ihr Land Schweden (das im Film immer weiblichen Geschlechts ist, sollte ich mich nicht verhört haben), lehnt Kriege, Machtspiele und auch die Ehe ab, liebt die Künste,
küsst die Gräfin Ebba zärtlich auf den Mund, um kurz danach ihrem Liebhaber um den Hals zu fallen, verkleidet sich als Mann, lernt so den spanischen Gesandten Antonio kennen, beiden finden Gefallen aneinander, werden sich ein Zimmer samt Doppelbett teilen (Antonio immer noch der Meinung, einen Mann vor sich zu haben, da ist auch die vom Wirt angebotene Prostituierte ohne Reiz für ihn), erst beim Auskleiden kommt es zur Klarstellung.
Es folgt die herzzerreissende Liebesgeschichte zwischen Christina und Antonio, Futter für das heterosexuelle Publikum, es scheint - Christina verzichtet auf den Thron um die gesellschaftlich unmögliche Verbindung zu halten - dass dem Happy-End nichts mehr im Wege steht, doch, und jetzt kommt ein SPOILER, entgegen üblicher Erzählmuster muss der männliche, heterosexuelle Held sterben. Christina, bereits auf dem Schiff nach Spanien, küsste noch einmal den toten Antonio, dann sehr lange Grossaufnahme: Sie steht am Bug des Schiffes, der Blick ist in die Ferne gerichtet, das Haar bewegt sich sachte im Wind - The End.
In erster Linie ist dieser Film in meinen Augen weniger ein Film über soziale Verhältnisse als ein Film über die Liebe, die unbedingte, dem Instinkt folgende Liebe des Kindes zur Mutter. Die Kamera folgt den beiden Jungs durch ein Berlin, das einerseits ortlos ist (Fussgängerzone, Parkplatz, Bahngleise, die Mehrzweckhalle am Ostbahnhof), andererseits werden immer wieder Strassen- oder U-Bahnnamen ins Bild gebracht, so dass eine konkrete Verortung möglich ist. Sie folgt ihnen durch ein sommerliches Berlin, die Wärme des Sonnenlichts liegt vom ersten Bild an auf den beiden, die Nacht umhüllt sie milde.
Wie Tiere bewegen sie sich durch diese Stadt (wie Rosetta bei den Dardenne-Brüdern), zu Orten, die sie von ihrer Mutter kennen, um immer wieder ins Nest, die mütterliche Wohnung, zurückzukehren, nur um festzustellen, dass die Tür weiterhin verschlossen ist. Also weiter, Nahrung suchen, Schlafplatz suchen.
Dass wir als Zuschauer an diesen Bewegungen teilhaben dürfen verdanken wir dem sicheren Rhythmus des Films, lange Fahrten wechseln sich mit einer unruhigen Handkamera ab, und dem sparsamen aber pointierten Musikeinsatz.
Nicht vergessen werde ich das Strahlen auf Jacks Gesicht, als er bei einer erneuten Rückkehr zur Wohnung Licht im Fenster sieht. Doch Lieben heisst auch Verstehen, und Jack wird seine Konsequenzen ziehen.
Ich halte nicht viel von Fortsetzungsfilmen, doch würde es mich sehr interessieren, wie es Jack wohl
weiter ergehen wird.
Eine sehr behutsame, filmische Annäherung von Michael Althen und Dominik Graf an dessen Vater - ein Vater, der von seinem Sohn als sehr distanziert erinnert wird, der fast zum Phantom geworden ist.
"...aber vielleicht schlägt in manchen Epochen das Herz so fern, so weit unter der Oberfläche, dass man schon genau hinhören muss, um überhaupt Lebenszeichen zu vernehmen, und in dieses vielstimmige, unerlöste Wispern im Berg der Dinge mischt sich die Stimme meines Vaters."
In den Bildern aus des Vaters Filmen sucht Graf nach dem Menschen Robert Graf, nach so etwas wie Wahrheit und findet nur kurze Momente, z.B. einen ängstlichen Blick in einer Szene aus Jonas, die auf dem Stuttgarter Fernsehturm spielt, den er versteht, weil er um Robert Grafs Höhenangst weiss.
Diese Distanz, sowohl privat als auch in seinem Spiel mag auch in seiner Kriegsverletzung gründen, sein linker Arm war versehrt, er liess keine Berührungen zu, kein physisches Spiel war möglich.
Dazu kam das Kriegstrauma, und hier wird der Film auch zum zeitgeschichtlichen Kommentar, über das Nichtsprechen-Wollen und Nichtsprechen-Können in diesem Niemandsland Deutschland und über die Entfremdung von Vätern und Söhnen.
Schon der Titel gibt Rätsel auf, und das Textinsert zu Beginn des Films "Uns trennt von gestern kein Abgrund, sondern die veränderte Lage", ein Zitat des Literaturwissenschaftlers Reinhard Baumgart, erhellt die Sache nicht unbedingt.
Anita G., die Protagonistin des Films, eine exemplarische Figur ohne Nachnahmen, kam aus der DDR in die BRD und sie bewegt sich durch dieses Deutschland wie eine "displaced person".
Gleich am Anfang in der zweiten Einstellung des Films, befindet sich Anita G. in einem bürgerlichen Café mit kleinem Salonorchester, die Bedienung trägt eine weisse, gestärkte Schürze mit überdimensionierter Schleife, sie setzt sich auf einen Stuhl, steht wieder auf, setzt sich auf einen anderen Stuhl, steht wieder auf und setzt sich schließlich auf einen dritten Stuhl. Sie kann ihren Platz in dieser Welt nicht finden, in der man vor Gemütlichkeit friert, um eine Zeile von Franz Josef Degenhardt zu zitieren.
Man hat das Gefühl, dass diese Frau immer in Bewegung ist, mit ihren Koffern läuft sie über Brücken, an einem Kino, einem Hotel vorbei, einem Wartehäuschen und immer wieder dazwischengeschnitten die bundesdeutsche Realität - Karneval, Weihnachsmarkt, Bautätigkeiten und Häuserabriss. Alte Fotos werden gezeigt mit nostalgischer Musik, doch die Idylle ist gestört, die Männer tragen Wehrmachtsuniform.
Der Abschied von gestern kann nicht funktionieren, solange das Gestern noch im Heute steckt.
Frank Borzages späte Stummfilme gehören für mich zu den schönsten Melodramen, die ich kenne. Das mag daran liegen, dass Borzage die Gefühle seiner Figuren, einfache Menschen, ernst nimmt, die Gefühle zwar überhöht, fast in einem spirituellen Sinne, dabei aber nie kitschig wird.
Er stellt diese Figuren in betont künstliche Dekors, mit "falschen", viel zu grosszügigen Proportionen, gibt ihren Gefühlen somit eine Bühne, und er inszeniert seine Paare in Schlüsselszenen in quasi-religiösen Posen, voreinander kniend oder liegend, die gefalteten
Hände des anderen ergreifend, er lässt sie tänzeln, balancieren, sich in Posen probieren,
und das Happy-End kommt einem Wunder gleich.
Der Film, der erste Borzage Film übrigens, den ich glücklicherweise auf grosser Leinwand sehen durfte, beginnt in der Kanalisation von Paris, die Hauptfigur Chico ist Kanalarbeiter, und führt uns bis in den titelgebenden siebten Himmel, Chicos grosszügige Mansardenwohnung im siebten Stock mit Blick auf ganz Paris, wie es scheint. Diane, die weibliche Hauptfigur, wird von ihrer Schwester ausgenutzt und geschlagen, mit der Peitsche wird sie von ihr durch die
Gassen gejagt (eine wunderbare Kamerafahrt) und Chico direkt vor die Füsse getrieben.
Die Liebesgeschichte kann beginnen.
Schon das erste Bild setzt den Ton: ein Blick durch ein Fernglas, ganz altmodisch an Hitchcock erinnernd, eine junge Frau sieht sich um, ob auch niemand schaut, und löst das Oberteil ihres Bikinis, um dem nackten Oberkörper Sonne und Luft zu geben.
Der da zusieht ist ihr jüngerer Bruder, wie wir gleich erfahren werden.
Und darum geht es: ein distanziertes Begehren, ein (ganz wörtlich umgesetztes) Türenöffnen in eine ungewisse Welt, die Welt der Sexualität. Diese Ungewissheit, Neugierde scheint ein Privileg der Jugend zu sein, der Mutter und den Behörden fallen nur moralische und juristische Kategorien ein, die Freier sind Gefangene ihres Triebes.
Erst im Alter scheint wieder Öffnung möglich: Die wunderbare Charlotte Rampling ganz in Augenhöhe mit der jungen Marine Vacth sagt sinngemäss: Wäre ich als junge Frau mutiger gewesen, hätte ich auch Geld dafür genommen.
Dies alles wird kommentiert von vier Liedern meiner Lieblingssängerin Francoise Hardy:
"Dans la ville je me perds, je m'oublie, je m'abandonne
Oui je m'abandonne
Mais quand on se retrouve, quand le ciel devient noir, il suffit d'un regard".
Als Zuschauer bewegte ich mich wie die Katze streunend durch den Film: da liegt was auf dem Tisch, da fällt was auf den Boden, mal ein Blick aus dem Fenster, gib'ts was zu Essen oder Trinken? Ein Film der Dinge der Geräusche, der Tiere, der Farben (Orange!), der Blicke, scheinbar alles unspektakulär.
Doch die offene Form lädt dazu ein, Geschichten hinter den Dingen und Gesichtern zu suchen und zu finden.
Mein Lieblingsbild: Der grosse, schwarze Hund schaut der Katze beim Schnurren zu.
Kurze Bemerkung mit kleinen Spoilern:
Ein Bewertung des Films ist für mich nicht möglich, zerfällt er doch zu sehr in zwei Teile:
Der erste Teil ist wirklich überwältigend, ich war schon dabei, meine Vorurteile gegenüber traditionellem Hollywoodkino zu revidieren: Zwei Stars im Raumanzug, oft muss man sie suchen in der Weite des Bildes, der Perspektivenwechsel Innen-Aussen, verschlierte Bilder als wär's ein Experimentalfilm...., ach wenn's nur so weitergegangen wäre, ich hätte dem Filme 9-10 Punkte gegeben. Von dem Moment an, als Sandra Bullock den Raumanzug auszieht ging's bergab. Das merkwürdige Sportdress, das ihr die Kostümbildnerin verpasst hat (ohne Helm muss sich jetzt auch schauspielern, was nicht so ihre Stärke ist), das Umschwenken auf eine konventionelle, absehbare Plotstruktur, und dann der Hammer: das Schlussbild: Wie sie da muskelgestählt steht, von der Kamera von unten her abgetastet, als wär's ein Werk von Arno Breker - also nein, dafür gib't nur null Punkte.
Zwei Knabengesichter, aneinander geschmiegt, die Augen geschlossen, ihr Bild geht nahtlos in den dunklen Hintergrund über.
Das ist das erste Bild dieses Films. Ein Bild voller Zartheit und Unschuld. Und auf genau diese Weise bekommt der Regisseur dieses schwer verfilmbare Buch in den Griff. Er setzt der Kargheit der Sprache eine Schönheit der Bilder entgegen.
Sonnendurchflutete Landschaften, warme Gesichter - das Böse ist der Welt nicht anzusehen,
um so ungeheuerlicher wie Kälte und Härte das menschliche Handeln bestimmen.
Wie es dazu kommen kann wird anhand der beiden Knaben gezeigt, die, wie das titelgebende Grosse Heft, unbeschriebene Blätter sind und mit ihren Erfahrungen beschrieben werden.
Ein ganz grossartiger Film. Und schwer zu beschreiben warum, da es nicht der Plot ist, sondern die visuelle Umsetzung, die einen packt. Sternberg schafft Atmosphäre, im Maschinenraum des Schiffes spürt man die Hitze, in der Hafenkneipe scheint man das
Stimmengemurmel zu hören (obwohl der Film ja stumm ist, es hätte mich auch gar nicht
gewundert, wenn plötzlich Marlene Dietrich in der Kneipe aufgetaucht wäre um die Lola
zum Besten zu geben), der Sex liegt in der Luft. Schlüsselszenen (Selbstmord- bzw. Mordversuch) werden nur indirekt gezeigt, und die Liebesgeschichte zwischen dem unsteten Seemann und der Lebensmüden wird in ihrer ganzen Ambivalenz gezeigt: Einerseits wird
durch lyrische Szenen (verlangsamte Bewegungen, Tauben auf dem Fenstersims) ein Happy-End antizipiert, andererseits wird diesem Paar eine resiginierte, fast schon zynische Paarbeziehung gegenübergestellt, die nichts Gutes ahnen lässt. Wie es ausgehen wird?
Das verrate ich nicht.
Ergänzung: Nach erneutem Sehen, diesmal gross auf Kinoleinwand, auf 10 Punkte
heraufgestuft.
Schon die Besetzung lässt das Herz höher schlagen: Greta Garbo, Asta Nielsen und die famose Valeska Gert. Ein Film um Geld, Liebe und Macht, ein Film voller Verzweiflung.
Ein Film der Kontraste, die elend langen Schlangen, um ein Stück Fleisch zu ergattern, um
dann doch keines zu kriegen und die eleganten Feste im ersten Hotel am Platze, ein Film
der Verkleidungen, wie Puppen werden der Garbo und der Nielsen Pelzmantel und Glitterkleid umgehängt, um sie gefügig, dem Manne präsentabel zu machen und das ehebrecherische
Paar aus dem Nobelhotel muss verkleidet in einem Hotel in titelgebender Gasse absteigen,
ein Film über ökonomische Abhängigkeiten, die Reichen manipulieren die Börse, die kleinen Bankkunden baden es aus, die Frauen müssen sich für ein Stück Fleisch begrapschen lassen
und auch noch grosses Drama: Ein Mord aus Eifersucht, ein Mord aus nackter Hungersnot,
ein Baby, das in letzter Minute aus einem brennenden Haus gerettet wird....
Schade, dass der Film dramaturgisch etwas holpert, was sicher daran liegt, dass der Film nur noch in einer verstümmelten Fassung existiert.