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Alle Kommentare von JarvisBln
Wiener Tonfilmoperette. Der Film beginnt im Jahr 1818, mit Vogelgezwitscher und Kirchenglocken, ein Komponist arbeitet an seinem neuen Walzer, auf der Strasse greift ein Schusterbursche pfeifend die Melodie auf und trägt sie weiter, das Städtchen ist erfülllt von der Musik, die in einem Schwenk in ein Heurigenlokal ins Jahr 1930 geführt wird. Ein schöner Einstieg in einen Film, der von der Musik getragen wird. Die Handlung ist denkbar einfach: Eine neue Revue wird geplant, alles ist fertig, was noch fehlt ist der zündende Walzer.
Besonders zeichnet diesen Film sein Umgang mit dem, damals noch neuen, Ton aus: Hier wird einiges ausprobiert, besonders gelungen die Vorbereitungen zu einem grossen Diner, diese werden als Akkumulation von Geräuschen gezeigt, es zischt und brodelt, es klappert und prasselt, immer schneller geschnitten verdichten sich die Geräusche zu einer Küchensymphonie.
Oder wir sehen einen sprechenden Mund, die zu hörende synchrone Stimme gehört aber jemand Anderem, kein Dubbing sondern Gleichzeitigkeit des Sprechens. Oder ein Dialog nur geflüstert, nur über die Reaktionen müssen wir uns ein Bild machen.
Währenddessen fehlt aber immer noch der Walzer. Der Komponist erhält einen nächtlichen Überrschungsbesuch einer ihm unbekannten jungen Frau, die auch inkognito bleiben möchte, und wird von dieser, nicht zuletzt aus erotischem Interesse (er darf ihr die Stiefel ausziehen, unter denen schimmernde Pumps zum Vorschein kommen), zum titelgebenden Walzer inspiriert. Doch die Frau verschwindet wie sie gekommen ist und nimmt den (ungeschriebenen) Walzer mit, dem Komponisten will er partout nicht mehr einfallen. Sie trägt das Lied von nun an in sich, und erst in der Vereinigung von Komponist und ihr wird das Lied wieder befreit.
Besonders interessante Nebenfiguren sind die Autoren der Revue, das Brüderpaar Nicky und Vicky (!), das sich wie ein Ehepaar geriert, aber später auch Interesse an ihrer 17-jährigen (vermeintlichen) Schwester (übrigens niemand Anderes als die Frau, die den Walzer in sich trägt) zeigen. Ganz nonchalant wird dieser (homo)erotisch-inzestuöse Subtext skizziert.
Anatol hat einen Hang dazu Frauen zu retten, sehr zum Missfallen seiner frisch angetrauten Ehefrau. Dass Frauen überhaupt „gerettet“ werden müssen hat hier immer ökonomische Gründe.
Ausgerechnet bei der vermeintlich sündhaftesten aller Figuren mit dem sprechenden Namen Satan Synne (sie empfängt ihn angetan mit einem atemberaubenden Oktopus-Cape vor einem als Spinnennetz stilisierten Spiegel, serviert Absinth und bietet eine (kolorierte) rosa Zigarette an, im Schlafzimmer wacht ein Leopard vor dem Bett), ausgerechnet hier bekommen wir einen Hinweis auf einen möglichen Grund der Verhältnisse: der vergangene Krieg.
Eine opulente Ausstattung und orlginelle szenische Einfälle, sowie der Erzähltrick, das Geschehen über Textafeln zu kommentieren, machen den Film zu einem einzigen Vergnügen.
Seine Frau bleibt übrigens nicht passiv und stürzt sich ins Nachtleben. Ihr Dienstmädchen weist sie an: „My lowest gown, my highest heels“ und verlangt nach den goldenen Strümpfen, denn „Men have only one religion - they worship the Golden Calf.“ Wenn sie dann um 9 Uhr morgens mit dem besten Freund ihres Mannes nach Hause kommt weigert sie sich, über die Nacht Rechenschaft abzulegen. Er muss ihr schon vertrauen.
Frauen und Genrekino: Im berliner Arsenal gab es 2019 eine Reihe mit Noir-Regisseurinnen: neben der schon erwähnten Ida Lupino (aber man kann sie nicht oft genug erwähnen) wurden Filme gezeigt von Muriel Box, Edith Carlmar, Bodil Ipsen und Wendy Toye.
Und dann gibt es natürlich noch Joan Micklin Silver ("Hester Street") und dann noch Dorothy Arzner (mit dem feministischen Musik- und Tanzfilm "Dance, Girl, Dance" aus dem Jahr 1940).
Da gibt es sicherlich noch sehr viel zu entdecken.
Dieser Rolle scheint Anton Walbrook auf den Leib geschrieben worden zu sein. Er führt als Erzähler durch diesen Reigen erotischer Begegnungen, einerseits ganz distanziert, andererseits zieht er doch die Fäden, greift in die Geschichten ein, macht uns Zuschauer_innen zu Komplizen des Voyeurismus, spricht also essentielle Kinoerfahrungen an. Das Doppeldeutige seines Spiels führt er hier zur Perfektion.
Ein Kleinod, dem viel mehr Aufmerksamkeit zu wünschen ist.
Ein Film mit einer poetischen Grundhaltung, ein Grossstadtfilm, ein politischer Film, ein Film, der mit den ästhetischen Strömungen seiner Zeit spielt.
Im Längsschnitt, wir sehen ein dreistöckiges Treppenhaus, wird das titelgebende Haus und seine Bewohner_innen mit ihren alltäglichen, oft grotesken Tätigkeiten vorgestellt. Währenddessen kämpft sich eine bäuerliche gekleidete junge Frau mit einer Gans durch Moskaus Verkehr, wunderbar durch Schnitt und Zeitraffer rhythmisiert, und gerade will der Strassenbahnfahrer aus dem Wagen springen, um sie aus dem Weg zu scheuchen, da friert das Bild ein, ein Zwischentitel frägt, wie die Gans eigentlich nach Moskau kommt, Anlass für ein Rückblende die exakt wieder zum eingefrorenen Bild führt, die Geschichte kann weitergehen.
Parasha Pitunova, so heisst die Besitzerin der Gans, wird durch eine Namensverwechslung zur proletarischen Heldin, sie erlebt den ganzen Pathos der Heldenverehrung (und wir den Pathos des sowjetischen Revolutionskinos), nur um nach Auflösung der Parade einsam und allein auf einem grossen, leeren Platz zurückgelassen zu werden. Solche kleinen dialektischen Volten tragen stark zum Reiz des Films bei. Schon zu Anfang, bevor der Verkehr das Bild bestimmt, wird das erwachende Moskau gezeigt, in der Tradition der Grossstadtsymphonien.
Ein sehr lesenswerter Beitrag zum Film findet sich auf filmzentrale.de: http://filmzentrale.de/rezis/hausindertrubnajastrassejs.htm
Von heute aus gesehen ein Blick zurück in die 70er Jahre, die in die 50er Jahre zurückblicken.
Comichaft und zitatenreich schnurrt der Film unbekümmert vor sich hin, und geizt auch nicht mit Oberflächenreizen. Vom liberaleren Standpunkt der 70er Jahre aus wird die streng (hetero)normierte Welt der 50er Jahre gezeigt, nur um selbst wieder in die diese Normierungen zurückzufallen.
Falls irgendjemand verlässliche Hinweise auf die ursprüngliche Laufzeit des Films hat bin ich für jede Information dankbar. Die gesehene Version ist nur 70 Minuten lang (eine Restaurierung aus dem Jahr 1986, die erzähltechnisch gut funktioniert, ich hatte nicht das Gefühl, dass hier Teile fehlen), im Jahr 2013 lief in Bologna beim Festival Il Cinema Ritrovato eine neu restaurierte Fassung mit 103 Minuten, Svensk Filmdatabas gibt 111 Minuten an, und IMdB und MP geben sogar 136 Minuten an (bei MP habe ich das Gefühl, die schreiben einfach bei IMdB ab). Wie gesagt danke für jeden Hinweis.
Wilde Orangen schmecken beim ersten Biss bitter, erst allmählich entfalten sie ihr unvergleichliches Aroma.
Wir befinden uns in den Südstaaten der USA, eine Insel vor Georgia, Sumpf und undurchdringliche Vegetation, voller Kreaturen vom Krokodil über Spinnen und Fledermäuse bis zum Kettenhund (der im Finale einen zombiehaften Moment bekommt), drei Menschen, ein traumatisierter Grossvater, seine schöne, ängstliche Enkelin, und ein bulliger Riese, beschrieben als „halb Mann, halb Kind“, und das grosse Herrenhaus im typischen Südstaatenstil.
Vor der Insel liegt das Segelboot von John Woolfolk, der seit dem tragischen Tod seiner jungen Ehefrau (es ist die fulminante Eröffnungsszene des Films, die ganz poetisch mit einem Blatt im Wind beginnt) ein Leben in selbstgewählter Einsamkeit verbringt. Er will dort nur seine Wasservorräte auffüllen, kann sich dem Sog der Insel aber nicht entziehen, muss immer wieder zurück und bricht seinen Vorsatz, sich nie mehr zu verlieben.
Der Film wird ganz von der Atmosphäre getragen, der geheimnisvollen Stimmung unterdrückter Gefühle in einer bedrohlichen Natur auf der Insel, der Weite, der Einsamkeit, der Isolation auf dem Meer.
Ein spirituelles Melodram. Der Film beginnt und endet mit religiösen (buddhistischen) Ritualen. Dazwischen erfahren wir von der Freundschaft zweier Nachbarskinder, dem blinden Santi und Vina, die auch seine Beschützerin ist. In der Hoffnung das gutes Karma ihm möglicherweise das Augenlicht zurückgibt, wird Santi von seinem Vater in die Obhut eines buddhistischen Mönchs gegeben, welcher die Unwägbarkeiten des Lebens kennt und Santi bittet Mönch zu werden, falls er wieder sehen kann.
Aus der Freundschaft zwischen Santi und Vina wird im Erwachsenenalter Liebe, die aber nicht sein darf, so dass beide beschliessen zu fliehen. Doch so einfach ist es nicht, der Konflikt für Santi zwischen weltlicher Liebe und spiritueller Aufgabe wird sich zuspitzen, und wir erleben in den letzten Bildern eine Art transzendendierter Liebe.
Der Film ist der erste auf 35mm gedrehte Farbfilm Thailands, die Farben erinnerten mich etwas an das frühe 2-Farben-Technicolor, es sind sanfte, zurückhaltende Hintergründe, Personen und Objekte werden in den klaren aber nicht grellen Primärfarben Rot-Blau-Gelb hervorgehoben, dazu das Orange der Mönche. Der behutsame Erzählfluss, der auch Tänzen, Festen und Ritualen grossen Raum lässt, und die ruhigen, statischen Einstellungen machen den Film zu einem Werk klassischer Schönheit.
Sehen kann man den Film in einer guten 2016 restaurierten Fassung auf dem Kanal des Thailand National Filmarchive auf youtube.
Auf youtube lässt sich in guter Qualität die wunderbare (Slapstick)komödie "Kiki" von Clarence Brown finden (leider nicht auf MP gelistet), mit Norma Talmadge als Zeitungsverkäuferin, die, gleichzeitig naiv und durchtrieben, sich durchaus übergriffig den Weg nach oben bahnt.
https://www.youtube.com/watch?v=sQKTrLL_dFs
Keine Daten in MP (obwohl Film auf der Berlinale im Forum Expanded lief):
Arsenal - Télé Réalité (D, DR Congo, Luxemburg, 2020). Regie: Lucile Desamory, Glodie Mubikay, Gustave Fundi.
Zwei Reality TV Produzentinnen aus der DR Congo möchten eine Sendung über Geister produzieren und suchen sich ausgerechnet Belgien als Schauplatz aus.
Gar keine schlechte Wahl und eine herrliche Umkehrung kultureller Zuschreibungen. Die Kandidat_innen sind absurd verkleidet, wir besuchen ein Museum der Masken und nehmen am Karvenal teil. Die Surrealisten und James Ensor lassen grüssen. Am Schluss der grosse Showdown im Wald, doch nichts ist zu erkennen. "Hast Du das jetzt verstanden" frägt die Redakteurin ihre Kostümbildnerin, "Nein". Das sind die letzten Worte des Films. 7.5 Punkte.
Das Geräusch einer Roulettekugel, die in ihr Fach fällt. Ein roter Spot. Ein blauer Vorhang öffnet sich. Die Vorstellung kann beginnen.
Rot und Blau werden die vorherrschenden Farben der beiden Hauptfiguren sein. Frannie (Teri Garr), die im roten Fähnchen auszieht und das Abenteur sucht. Hank (Frederic Forrest), der angesichts der Artistin Leila (Nastassja Kinski) zum Little Boy Blue regrediert.
Die beiden sind seit 5 Jahren ein Paar und fragen sich, ob das schon alles war, trennen sich und stürzen sich in (sexuelle) Abenteuer und sind doch nie vollständig voneinander getrennt, die Kamera bringt ihre Gesichter immer wieder zueinander.
Die ganze Welt ist hier eine Bühne und nichts anderes als eine Bühne, und die Welt ist Las Vegas, die Stadt der (gebrochenen) Glücksversprechen. Die Arbeitsplätze der beiden heissen Paradise (eine Reisebüro) und Reality Wrecking (ein Schrottplatz mit Versatzstücken der Traumproduktion).
Die hyperreale Künstlichkeit des Studiosettings erzeugt (im Gegensatz etwas zu der Künstlichkeit der MGM Musicals der 50er Jahre) eine Illusionslosigkeit, so dass die Träume zwangsläufig Schiffbruch erleiden müssen. Das Ende, des erneute Zusammenfinden des Paares ist daher weniger Klischee als nur konsequent.
Lieber Stefan, die letzte, scheinbar schwierigste Aufgabe scheint mir faktisch eher leicht:
Du lebst ja in Berlin und wir haben hier die beiden exzellenten filmhistorischen Spielstätten Arsenal und Zeughauskino. Allein im Januar spielen beide Kinos zusammen Filme aus 53 verschiedenen Jahren, von 1895 (Lumière!) bis 2019. Mein Problem dabei ist eher die Zeit, nicht das Angebot.
Wünsche Dir ein schönes Filmjahr 2020!
Der Film wird am 28.10. und 4.11.2019 auf arte gezeigt. Allerdings stimmt die Längenangabe hier nicht, die Laufzeit beträgt ca. 7 Stunden.
Unsicheres Erzählen in unsicheren Zeiten. Im unmittelbaren deutschen Nachkriegsfilm kommt es häufig vor, dass konventionellen Erzählmustern nicht mehr vertraut wird. Es wird dokumentarisches Material hinzugezogen (Lang is der veg) oder fast ausschliesslich mit Dokumentarischem gearbeitet (Herrlliche Zeiten), ein Auto darf als Erzähler agieren (In jenen Tagen), die Stoffsuche ist Teil des Films (Film ohne Titel), die Geschichte wird anhand von Zeichungen rekonstruiert (Epilog: Das Geheimnis der Orplid) oder die Geschichte wird in einer Parallelwelt gespiegelt (Der Apfel ist ab).
Auf die Spitze getrieben wird es in diesem Film mit einer Vermischung von Zeitebenen, Orten, von Produktion/Rezeption, von Spiel und Kommentar.
Gleich zu Beginn wird der Dreh des Films abgeblasen, kein Geld da, schließlich soll der Film in Alt-Chinesien spielen, die Ausstattung wird viel zu teuer. Paul Wegener (in seiner letzten Rolle), erstmal als himself, sieht da kein Problem, die Bambusmatte ist Hintergrund, ein Zopf wird angeklebt und fertig ist China und, er wendet sich an die Zuschauer_innen, wenn wir behaupten, das Dorf ist in Alt-Chinesien, dann können Sie sich das doch vorstellen, oder?
Das Spiel kann beginnen, es wird gedreht und gleichzeitig schon wird vor Zuschauer_innen der Film gezeigt, die auch gleich tatkräftig um Mithilfe gebeten werden, es fehlen noch Jacken, könnten Sie uns welche leihen, und es wird, lange vor Purple Rose of Cairo, aus der Leinwand herausgetreten um die Jacken auszuleihen. Im Lauf des Films kommt es immer wieder zu diesen Interventionen. Mal sind die Zuschauer_innen mit der Handlung nicht einverstanden (oder fühlen sich ertappt) und treten in den Film um zu diskutieren, oder eine Schlägerei artet aus, so dass die Beteiligten aus dem Bild purzeln, die Schlägerei weitet sich auf den Zuschauerraum aus.
Worum geht’s? Der Film ist eine deutliche Parabel auf Nachkriegsdeutschland, Paul Wegener als weiser Mandarain, ganz buddhistisch in seinem Garten das Handbuch des Kleingärtners studierend, und über Unkraut und gute Pflanzen sinnierend, über die Wichtigkeit der Pflege der guten Pflanzen, da man das Unkraut nicht ausrotten kann. Er soll die Wahlen zu einer neuen Regierung beaufsichtigen, einzige Partei („das Volk will nur eine Partei“) ist die Partei der Männer, ausgerechnet, die, die alles verbockt haben, die Korruption, Krieg und Lügen zu verwantworten haben und die schon wieder ihre krummen Geschäfte betreiben. Des weisen Mandarins Rat: Jemand muss hier aufräumen. Und wer könnte das besser als die Frauen? Es wird die Partei der Frauen gegründet, ihr Wahlsieg ist sicher, fehlt doch eine ganze Generation von Männern. Und mit ihrer Besonnenheit versuchen die Frauen zu schaffen, was sie sich sehnlichst wünschen: Frieden.
Kein Eintrag in MP gefunden:
Arsenal - Water and Power (USA, 1989). Regie: Pat O'Neill. Experimentalfilm. Bilder von Los Angeles, die Menschen in der Stadt, und Umgebung, Brücken, Rohre, gerne im Zeitraffer, Lichtfelder bilden Muster, auch werden Lichtpunkte/-effekte reinmontiert - Licht-Spiele im wahrsten Sinne des Wortes. Verweise auf das traditionelle Kino über einmontierte Filmszenen (z.B. deMilles Zehn Gebote) und auf traditionell Narration über Texte auf Schwarzfilm, die Eroberung des Westens durch die Weißen. Schön anzuschauen. Wertung: 5.5 Punkte
"Ich schminke mich gern", so das simple Statement von Herrn von Bohlen im Film
Dabei ist es in den 60er Jahren geradezu eine Provokation sich geschminkt und
effeminiert in der Öffentlichkeit zu zeigen, ein gefundenes Fressen für die Presse,
die ihn auch genüsslich lächerlich macht und offen ihre Verachtung für ihn zeigt.
Mit Äusserungen wie "Arbeiten? Das hat mir gerade noch gefehlt" machte er sich
im Deutschland der 60er Jahre auch nicht gerade Freunde.
Im Film führt Arndt von Bohlen und Halbach (hervorragend dargestellt von Arnd Klawitter) durch sein eigenes Leben, selbstbestimmt, wie er es wahrscheinlich niemals war.
Und die Interviews mit Zeitzeugen, ihre süffisanten Anspielungen auf sein Anderssein
sind ein Lehrstück an Homophobie.
Kein Eintrag in MP gefunden:
Arsenal - Lyubit... (UdSSR, 1968). Regie: Michail Kalik. Eine Hommage an die Liebe. Strasseninterviews (von Inna Tumanjan gedreht), Beobachtungen von Paaren und Passant_innen, glücklich und/oder einsam, Spielszenen über Begegnungen, Trennungen und sogar einer Hochzeit, mal im kalten, nassen Moskau spielend, mal, selten solch ein sanftes Miteinander auf der Leinwand gesehen, hoch oben auf dem Heuwagen. Wertung: 7,5 Punkte.
Ein Film, der Erinnerung und Utopie ist, auch wenn zu Beginn "Das Jahr 1993" eingeblendet ist, ist es doch der Blick vom Heute in dieses Jahr, dessen Realität war, dass Aids-Kranke mit AZT mehr gequält als geheilt wurden, doch davon sieht man hier nichts.
Körper schimmern wie Edelsteine, selbst der Kaposi-Körper verliert seinen Schrecken. Es ist eine kulturell gesättigte Welt, der Schriftsteller, die Filmplakate, der Soundtrack, das Theater, die Kunst und auch die Beziehung des Protagonisten zu dem deutlich jüngeren Arthur (wie in Rimbaud), die natürlich in einem Kino beginnt, (und auch die früheren, jeweils heterosexuellen Beziehungen der beiden) sind tänzerisch leicht, wenn auch nicht konfliktlos.
Der Tod wird nicht ausgespart, doch auch er findet sein filmisches Äquivalent, wenn Arthur zärtlich über den Grabstein von Francois Truffaut streicht.
Sexualität wird leidenschaftlich eingefordert, sie darf, sie soll promisk sein, wild sein, schmutzig sein ("Du musst lernen, das Schöne zu besudeln"), und wenn Arthur, betrunken, erregt, sinngemäss behauptet: Wer keinen Klappensex mag, der mag auch keine Bücher, dann wird hier die grosse Utopie der Verschmelzung des Ungezügelten mit der Schönheit beschworen, eine Utopie, die AIDS zerstört hat. Die Erinnerung aber kann nicht zerstört werden.
In diesem Film geht es nicht um das 'reale' Leben, es geht um filmisches Leben. "Man muß begreifen lernen, dass 'Leben' Film ist und nichts Natürliches (...) Dasein heißt Kino. 24 Stunden lang jeden Tag." (Rolf Dieter Brinkmann)
Eine unromantische Liebesgeschichte aus (West-)Berlin, die konsequent im Arbeitermilieu spielt, und die man im deutschen Film der 50er Jahre so nicht erwarten würde.
Der Film beginnt in einer Fabrik, genauer gesagt Osram, Glühbirnen. Maschinen sind das erste was hier sehen und hören, Fliessbandarbeit und dann die Jungs, die sich auf das Wochenende freuen, es ist Freitagnachmittag.
Es geht, natürlich, um Mädchen und ob die Neue, Christa (Barbara Frey), rumzukriegen sei. Es wird gewettet, 5 Mark. Mecky (Horst Buchholz) nimmt an.
Doch Christa fällt nicht auf ihn rein, selbst als er sie unter falschem Vorwand zu einem Catcherturnier lockt, das in eine Schlägerei ausartet (und er so seine Beschützerrolle spielen kann), die umgehend in eine Rock’n’Roll Party umschlägt (die einzige direkte Reminiszenz an die zeitgenössische Jugendkultur) ist ein gemeinsamer Spaziergang das Äusserste, was Christa zulässt.
Sie landen auf einer Art Schrottplatz und hier dann, für mich, die Schlüsselszene des Films: Sie setzen sich in einen ausrangierten Wagen, sind von vorne durch die verschmutzten Scheiben fotografiert, ganz Melodram (und werden sich, nach erzwungener Trennung, dort auch wieder finden). Mecky beginnt zu träumen, vom Wegfahren in die weite Welt, übers Meer bis nach New York, dort könnte man Satchmo hören. Meine Mutter sagt immer Negermusik dazu, erinnert sich Christa, um umgehend eine Geschichte zu erzählen von einer schwarzen Puppe (sie sagt natürlich Negerpuppe dazu), die ihr die Liebste war, und die sie auch behielt, als sie schon längst nicht mehr mit Puppen spielte.
In dieser kurzen Szenen erkennen sich zwei, in ihren Wünschen und Träumen, in ihrer Einsamkeit, in ihrem Anderssein.
Und ab hier ändert sich auch das Muster der normativen Rollenverteilung: Sie übernimmt nun das Heft, forciert die Freundschaft (gegen den Willen der Mutter) und er ist völlig verunsichert, sein Rollenbild stimmt nicht mehr, ihm wird der Boden unter den Füssen weggezogen. Er wird auch das erotische Objekt dieser Beziehung, einmal darf er nur mit knappem Handtuch aus der Dusche kommen, die weibliche Erotik wird an eine promiske Bekannte Meckis delegiert.
Das alles spielt in einem wunderbar fotografierten Berlin (Schöneberg), das kalt und neblig ist, und „die Strassen haben Einsamkeitsgefühle“ (wie Wolfgang Neuss in einem anderen Film aus dem gleichen Jahr, Wir Wunderkinder, singt).
Und beide Hauptfiguren kommen, wie oft in dieser Zeit, aus beschädigten Familien mit jeweils nur einem Elternteil, sie lebt mit ihrer Mutter (und einem Bruder), die das Spiessertum jener Jahre reproduziert, er mit seinem Vater, kumpelhaft in einem eher chaotischen Haushalt, dem aber eindeutig die Sympathien dieses Films gehören.
Am Schluss, das Wochenende ist vorbei, sitzt Mecki wieder bei Osram am Fliessband. Die Maschinen arbeiten.
Ein Kleinod.
Ein Berlinfilm, aber was für einer! Er beginnt ganz oben, auf der Aussichtsplattform des Funkturms, dort findet ein Mord statt, das Dröhnen eines Flugzeugs schluckt das Schussgeräusch, eine geheimnisvolle Dame (mit dem "Stern" unterm Arm, das Mordopfer hatte ebenfalls den "Stern" bei sich), schleicht sich aus der Szenerie. Der Mörder flieht zu einem bereitstehenden Auto. Ein B-Picture nach amerikanischem Vorbild beginnt.
Die Topographie des zerstörten Berlin prägt den ganzen Film. Die anschliessende Verfolgungsjagd durch die ruinengesäumten Strassen und den kahlen Tiergarten lässt sich präzise anhand eines Stadtplans verfolgen, anhand dessen die Polizei die Jagd organisiert, mit Glühlämpchen und konkreten Strassenangaben.
Entkommen werden die Mörder durch das Brandenburger Tor, in der Sowjetzone endet die Macht der Westpolizei. Wie überhaupt die Ost-West Situtation immer wieder ins Spiel kommt, ein Sturz in den Humboldthafen von der Westzone aus mit anschliessend Rettung auf der ostzonalen Seite, am Schluss, wir sind inzwischen im Reichstag und seinen Katakomben angelangt, einem Ort so perfekt für einen Showdown, dass kein Set-Designer der Welt es hätte besser hingekriegt, gibt es von dort aus zwei Fluchtkorridore, nach Ost und nach West, je nach Bedarf.
West-Ost ist hier USA-Russland, die männliche Hauptfigur ist ein amerikanischer Anwalt, forsch und charmant, ein Frauenheld, selbst die Russin Tamara (Barbara Rütting!) erliegt seinem Charme und verhilft ihm zur Flucht aus seiner Gefangenschaft in der Sowjetzone.
Auch die Vergangenheit ist hier weiter präsent: Der Kopf der Geldfälscherbande (um die es hier letztendlich geht) hat schon bei den Nazis auf diese Weise Devisenprobleme gelöst und knüpft jetzt nahtlos an seine damalige Arbeit an.
Für Freunde von B-Pictures eine grosse Empfehlung und ein weiterer Beleg dafür, dass der deutsche Film der 50er Jahre mehr zu bieten hat als nur Heimat- oder Musikfilme.
Produziert wurde der Film übrigens von Artur Brauner.
Keine einzige Bewertung bisher. Na sowas! Deshalb ein paar kurze unsortierte Bemerkungen zum Film.
Es handelt sich um den ersten deutschen abendfüllenden Tonspielfilm und das merkt man dem Film auch an: Die Sprechszenen sind sehr reduziert, es wird überdeutlich gesprochen und sie sind eher statisch, was den ersten, sehr schwerfälligen Tonfilmkameras geschuldet ist. Demgegenüber steht der extensive Einsatz von Musik (von Heymann), und, ganz im Geiste des Kinos der Weimarer Republik, grossartig montierte und fotografierte (Rittau!) Sequenzen ohne Sprechton. Und dann darf Willy Fritsch auch noch zwei Lieder singen.
Der Film bewegt sich vom Land in die Stadt und wieder zurück, er beginnt und endet mit einer blühenden Trauerweide, die im letzten Bild in einer Überblendung kahl wird. Dazwischen wird er zum Grossstadtfilm mit fulminanter, langer Kirmessequenz, ist auch SIttenfilm und natürlich ein Liebesfilm, eine merkwürdig sprachlose Liebe, eine Sprachlosigkeit wie man sie aus Volksstücken (Fleisser, Horvath und später dann auch Fassbinder) kennt, mit einem Pferd als Projektion des Glücks, ein Motiv das immer wieder, teils unvermittelt, ins Bild kommt, und das das erschütternde Schlussbild (vor dem Bild mit dem Baum) bestimmt.
Diese disparaten Mittel lassen den Film aus heutiger Sicht wie einen Avantgardefilm wirken, er ist eine echte Entdeckung.
Sehr gefallen hat mir übrigens auch der Text zu diesem Film auf der Seite Eskalierende Träume.
Harte Kost, aber es lohnt sich. Ein Leben voller Zwänge und Repression - die Familie, die Mitschüler, die strafenden Lehrer, seine nicht akzeptierte Homosexualität. Robert Tucker, im ersten Film der Trilogie Kind, dann Erwachsener und schliesslich sterbender alter Mann bewegt sich durch sein Leben als wäre es nicht sein eigenes, man sieht ihn auf Fähren und im Bus, das Leben zieht an ihm vorüber.
Das Kind hat immer ein devotes "Thank you, Sir" auf den Lippen, leuchtende Augen bekommt es beim Anblick eines muskulösen jungen Mannes im Schwimmbard unter der Dusche. Doch die Homosexualität kann nur als Schuldgefühl erlebt werden, auch weil die Abhängigkeit von der geliebten, aber als Kontrollinstanz erlebten Mutter zu gross ist. (Während er mit dem Leichenwagen zu ihrer Beerdigung fährt singt Doris Day im Off "I could be happy, I could be sad it all depends on you".)
Auch der sterbende Robert Tucker wird sich nochmal an seine Mutter erinnern, nicht unbedingt real, er tanzt als kleiner Junge an Weihnachten mir ihr auf der Strasse, dazu läuft "Someone to watch over me". Das Liebende, Beschützende und das Kontrollierende liegen nahe beieinander.
Das Sterben letztendlich verdeutlicht nochmals schmerzhaft die Tragik dieses ungelebten Lebens, spätestens hier endet auch naturgemäss das Autobiographische des damals knapp 40-jährigen Regisseurs.
Mit körnigen schwarz-weiss Bildern zeigt Davies ein poetisch-realistisches Liverpool, schaut mir ruhigem, gnadenlosen Blick auf diesen Menschen, auf das Leben.
Unsagbar traurig, unsagbar schön.
Ein Mann wird aus dem Gefängnis entlassen. Seine Frau, die ihn abholen will, verschläft, da der Wecker stehengeblieben ist. Sie verpassen sich (die Eisenbahnzüge in denen sie auf dem Weg vom/zum Gefängnis sind begegnen sich auf freier Strecke, sein Brief fällt aus ihrer Hand ins Gleisbett) und sie suchen sich. Das ist die ganz Handlung.
Fast ohne Dialog wird nur über Atmosphäre, Zahlen (Ziffernblätter, Hausnummern) und Zeichen erzählt, deren (Miss-)deutung die Verunsicherung des Protagonisten verstärken. Gleichzeitig erlaubt sich der Film Umwege, genau erkundet die Kamera das Tanzlokal, in dem die Frau arbeitet, bleibt bei Paaren haften, als sollte gesagt werden: wir könnten auch deren Geschichte erzählen, jede_r hat so seine/ihre Geschichte. Ein weiterer Umweg auf dem Weg vom Gefängnis in die Stadt: Ein Karussell, das auf dem Weg liegt, auch hier wird eine Geste falsch gedeutet, der frisch Entlassene erlebt seine erste Anfeindung, vom Karussell herab wird er verhöhnt.
Formal bedient sich Hochbaum verschiedenster Stilmittel, ist dabei jedoch nie epigonal, sondern verdichtet diese zu seinem ganz eigenen Kosmos. Poetischer Realismus, Neue Sachlichkeit, Grossstadtfilm, Collagen in der Tradition der Avantgarde, und beim Tratsch im Hinterhaus kommt auch die Komödie zu ihrem Recht.
Ein beglückender Film.
Behelfsmässiger Eintrag, da keine Daten in MP vorhanden:
Arsenal - Dge (Georgien, 1990). Regie: Lewan Glonti. Ein Mann driftet durch Tiflis, Resignation und passive Aggression sind die grundlegenden Stimmungen, und immer wieder Stillleben. Wertung: 6 Punkte.