Lydia Huxley - Kommentare

Alle Kommentare von Lydia Huxley

  • Der vierte Advent ist da, Weihnachten nicht mehr weit. Morgen sind die längsten, dunkelsten Stunden des Jahres erreicht und das Licht kehrt wieder zurück in unser Leben. Besonders während dieser ungewöhnlichen Zeit wünsche ich euch besinnliche, entspannte und hoffentlich fröhliche Feiertage 🎄
    Lieber Jan, hier ist dein Wichtelgeschenk:
    https://www.moviepilot.de/movies/nachleben/kritik/2458882

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      ❅ Dies ist ein Wichtelkommentar im Rahmen der User-Kommentare-Wichtelaktion 2020 für meinen lieben CoPiloten colorandi_causa ❅

      Stillstand. Stille. Dann ein merkwürdiges Gefühl von Bestimmtheit.
      Umschlossen von Nebel betritt man ein Amt, zielstrebig, pflichtbewusst. Anmeldung an der Pforte, nun sitzen im Wartebereich. Nach dem Aufruf darf man zum Gespräch. Man ist gestorben, erfährt man. Klar. Drei Tage hat man Zeit, um eine besonders wertvolle Erinnerung zu wählen, mit der man die Ewigkeit verbringen darf.
      Am Rand des Jenseits beginnt eine Meditation. Bilder, Düfte, Worte, Melodien fluten den vom Fleisch getrennten Geist. Geschichten erwachen zum neuen Leben. Ob dies der Vorhof zur Hölle oder zum Paradies ist, hängt vielleicht allein an den Erinnerungen, die einen hierher begleitet haben und aus denen man nun wählen kann.

      >> Pancakes in Disneyland; Zum Tanzen gehen in dem tollen roten Kleid; Ein Bad an einem sonnigen Herbsttag; Spielen im Wald; Ein Traum von einem Strand; Die Sommerbrise durch das Tramfenster <<

      Hirokazu Koreeda führt sein Protagonisten in eine Zwischenwelt, empfängt sie dort voller Wärme und Respekt. Er stellt seine Geschichte in den Hintergrund, um die Kraft und Schwere ihrer Geschichten größtmöglichen Raum zu verleihen. In ihrer vermeintlichen Banalität fügen sie sich in die unscheinbare Inszenierung. Langsam, unbefangen, einfühlsam lädt AFTER LIFE zu einer Reise durch ihr und letztlich auch das eigene Gedächtnis ein.

      Ihre Erinnerungen sind nicht die von Leben mit vielen Privilegien. Und trotz deren bescheidener Einfachheit durchdringt sie eine heilsame Intensität. In den Stimmen und Gesichtern lesen sich Emotionen in einer neuen Klarheit. Auch das unbedeutendste Leben schafft Erinnerungen, die die Welt bedeuten können.
      Unmöglich scheint es in der Vielfalt einem Leben, einer Erinnerung einen generalisierten Wert zuzuordnen. Trivialität besitzt den Gradmesser wenn überhaupt nur innerhalb eines einzigen Lebens. Darüber hinaus ist Lebens-Benchmarking eine Illusion. Der geben wir uns zwar gern mal hin, um Ziele zu formulieren, aber verlieren uns auch zu oft darin, verbittern, zerbrechen vielleicht sogar an ihr. Doch ein Leben ist so viel mehr als die Summe aller strategisch getroffener Entscheidungen - renommierter Lebensläufe, durchgehakter Bucketlisten, vollendeter Selbstoptimierungen.
      Was zählt der Nimbus noch im Limbus? Die postmortale Aufarbeitung des Lebens mündet schließlich nicht in einer landesweiten Sondersendung. Es ist ein ganz persönlicher Kurzfilm. Die Quintessenz des Ichs gebannt für die Unendlichkeit in einem perpetuierlichen Moment. Das Gif der Nachexistenz.

      „I‘ll be able to forget everything else? Well, then that really is heaven.“

      Die Qual der Wahl erreicht die vierte Dimension. Wie wählen aus einem Leben voller schöner Erinnerungen? Wie wählen aus einem Leben voller leidenschaftsloser Erinnerungen? Wie wählen aus einem Leben voller angsterfüllter Erinnerungen? Zu wählen, heißt auch, eine Rezension aufgenommen zu haben und schließlich Verantwortung zu übernehmen. Bilanz ziehen. Dazu gehört einerseits das Sich-Lösen von Erinnerungen, die nie entstehen durften, durch Ich-liebe-dichs, die nie ausgesprochen wurden, Türen, die sich für immer geschlossen haben. Dazu gehört andererseits auch, die subjektive Perspektive seiner Erinnerungen zu erkennen und dass die Wahrheit ihre eigene hat. Vielleicht eine bessere.

      „At the time I searched desperatley inside myself for any memory of happiness. Now 50 years later I‘ve learned I was part of someone else‘s happiness. What a wonderful discovery.“

      Und das Vergessen, das gehört ebenso dazu. Indem wir vergessen, sortieren wir Wichtiges von Unwichtgem. Erinnert man sich an so etwas Simples wie eine sanfte Sommerbrise durch das Fenster der Tram, weiß man, dass die Magie dieses Moments einen berührt hat. Und was uns so berührt, ist unabhängig jeden Maßstabs absolut wertvoll.

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        Winterliche Animationskunst für die dunkelsten Stunden der Jahresnacht:
        https://www.youtube.com/watch?v=YXWc3aFrxCo

        Karg, trost- und leblos - so scheint uns der Wald und die Natur in dieser Jahreszeit vorzukommen. Doch es ist nur ein sanfter Schlummer, in dem das Leben indes eifrig daran arbeitet, neu aufzukeimen. Die Kräfte bündeln sich im Stillen. Der Kreislauf wird von vorn beginnen. Wie immer. Nichts macht die Hoffnung so greifbar, wie das Wissen um ein Ende, das keines ist.
        Also warum nicht diese Zeit genießen, auch wenn es eine dunkle ist. Auch die Wunder der Finsternis sind Wunder.

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        • Ich wünsche euch einen schönen, gammeligen dritten Advent!
          Lieber Dr. Iam, hier ist dein Geschenkchen:
          https://www.moviepilot.de/movies/mein-nachbar-totoro/kritik/2456788
          Während der erneuten Sichtung und meiner tieferen Beschäftigung damit sind so viele Tränen geflossen, dass ich nun tatsächlich mein Herz an ihn verloren habe.

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            Lydia Huxley 13.12.2020, 13:01 Geändert 13.12.2020, 17:56

            ❅ Dies ist ein Wichtelkommentar im Rahmen der User-Kommentare-Wichtelaktion 2020 für meinen lieben CoPiloten Iamthesword ❅

            „Versucht alle mal zu lachen! Dann wird alles, was euch Angst macht, verschwinden.“

            Vielleicht kann man Ängste einfach weglachen. Aber was ist mit dem drohenden Verlust eines geliebten Menschen? Dafür bedarf es mehr. Die Kraft der Natur vermehrt sich durch ihren Samen. Sie fallen auf die Erde, vergraben sich wie kleine, geheime Schätze. Wenn es an der Zeit ist, erblühen aus ihnen Wachstum und Veränderung. Also, sähen wir ein Lachen. Und mit Zeit, viel Geduld und etwas Glück sehen wir es in Stärke, Fröhlichkeit und Hoffnung keimen.

            Die Natur ist ein Wunderland, das wir mit Erwachsenenaugen leider nur noch selektiv wahrnehmen. Immer ausgefallener müssen die Orte sein, immer extremer die Landschaften damit sie uns noch zu beeindrucken vermögen. Dabei müssen wir nur wieder genauer hinsehen, unseren Blick klären von exotischen Reiseblogs, gehypten Instagramspots und farbübersättigten Photographien, dann können wir das Wunderland auch wieder im Nachbar-Wäldchen entdecken.
            Tausend Nuancen von Grün schlängeln sich vom tiefsten Unterholz auf die höchsten Baumkronen. Jeder einzelne Wassertropfen bricht das durch die Wipfel einsinkende Licht wie ein Diamant. Eine riesige, funkelnde Schatztruhe öffnet sich und gibt seine erlesensten Kostbarkeiten preis: Zuflucht, Schutz und Freundschaft. All das ist Totoro, dessen spirituelles Abbild, der Geist des Waldes. Er nimmt uns in seine Arme auf, jeden, jederzeit. Dort finden wir einen Rückzugsort, der uns mit der rauen Realität zurecht kommen lässt. Der Geist schafft uns eine Geisteshaltung, die unsere Seele schützend umhüllt und uns aus der Dunkelheit wieder erheben lässt.

            Aber sollten Geister nicht eigentlich gruselig und angsteinflößend sein? Und ist die Natur nicht auch fremd, bedrohlich und unbarmherzig? Totoro taucht nicht auf, um Satsuki und Mei Angst zu machen, sondern eben weil sie Angst haben. Die Ungewissheit zersetzt sie, das Alleinsein droht sie zu verschlucken. Im Angesicht des höchsten existenziellen Verlustes, das ein Kind verspüren kann, liegt es dann nicht nahe, sich der nächst höheren Instanz der Schöpfung anzuvertrauen? Und wie phantastisch wäre es, wenn diese uns mit riesigen, flauschigen Pranken in eine warme Umarmung schließt?
            Der Blick aus Kinderaugen erlaubt uns den Waldgeist in sein albernes Gesicht zu schauen. Er macht sein Revier zu einem Spielplatz, wo Groß und Klein ihre Sorgen für eine gewissen Zeit vergessen. Mit Spaß, Humor und Vorstellungskraft bündelt er jegliche Form der Resilienz. Mit der einfachen Freude über das freche Prasseln des Regens durchbricht er jede leidvolle Stille und lehrt uns, wie wir sie selbst zerschlagen können – mit einem beherzten, unerschrockenen Schrei, der all unsere unterdrückten Gefühle Luft macht. Seine entwaffnende Herzlichkeit erlaubt uns Flucht und Ablenkung ebenso wie Bewältigung und Genesung. Er erfüllt den Sprösslingen ihre Sehnsucht nach Güte, Fürsorge und Geborgenheit und zeigt, dass bei aller Rohheit der Natur sie doch auch lebendgebend und nährend ist. Im Gegenzug schenkt ihn das kindliche Herz eine reine, unschuldige Offenheit, Respekt vor allen Lebewesen und Rücksichtname vor der Harmonie in der Ordnung zwischen Natur und Mensch.

            In schwierigen Zeiten glaubt man mehr denn je, erwachsen sein zu müssen. Aber unser kindlicher Kern bildet einen ebenso wichtigen Anteil an Trost und Heilung. Die Kindheit ist nicht nur ein bloßes Übergangsstadium zum Erwachsensein. Sie ist das Fundament unserer Persönlichkeit, die die Konstruktion unserer mühsam entworfenen Werteordnung und Weltanschauung trägt. Sie ist kein Vergangenheitsrelikt sondern gegenwärtiger Teil unseres Bewusstseins. Unbeschwertheit, Neugier, Unvoreingenommenheit und Enthusiasmus werden mit der Zeit überlagert von Abgeklärtheit, Zynismus und Affektiertheit, man nennt es „Entwicklung“ und beruft sich auf Lebenserfahrung. Schließlich müsse man sich einer rasant verändernden Welt anpassen. Aber die Welt der Kinderaugen gibt es immer noch. Unsere Augen mögen müder sein, unser Blick bitterer, aber das Wunderland, das ist noch da.

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            • Mag jemand am 3. Advent mein Wichtelpartner sein?

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              • Ich wünsche euch allen einen schönen, gemütlichen zweiten Advent und Nikolaus!
                Framolf, hier ist dein Wichtelgeschenk :)
                https://www.moviepilot.de/movies/la-la-land--2/kritik/2454362

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                • 8

                  ❅ Dies ist ein Wichtelkommentar im Rahmen der User-Kommentare-Wichtelaktion 2020 für meinen lieben CoPiloten Framolf ❅

                  Los Angeles 1923: Auf dem Mount Lee in den Hollywood Hills installiert eine Maklerfirma den Werbeschriftzug „Hollywoodland“. Während das „Land“ verrottete und '49 entfernt wurde, wurde „Hollywood“ zum Wahrzeichen für den aufstrebenden Standort der Filmbranche. Nicht nur der Schriftzug, auch der Stadtteil selbst wird zum Symbol – im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist Hollywood die dauerproduzierende Fabrik der Träume. Träumerisch versunken im Farbrausch der abendlichen Dämmerung wird es zum schwingenden, wirbelnden LA LA LAND.

                  Eine urbane Ouvertüre eröffnet im tristen Alltagstrott der Metropole. Die potentiell Ruhmreichen, die Stars von morgen festgefahren in den Blechlawinen Seite an Seite mit ihren Konkurrenten. Seitenspiegel und Ellenbogen sind ausgefahren, denn die Nervenkostüme sind bereits stark beansprucht. Wo die Realität unerträglich wird, rettet die Kunst die Szenerie. Ein sinfonischer Zauber erhebt die Straßen L.A.s zur Bühne. Das Orchester verbindet die Menschen in Tanz und Gesang. Aus dem Kontrahenten wird der steppende Mitstreiter um das Erlangen der einen ganz großen Chance. Für ein paar Pirouetten und Takte lang sind sie gemeinsam die Narren, die träumen.

                  Die Musik schwindet und damit auch der hoffnungsvolle Tagtraum. Er macht Platz für die eine Realität der Unvollkommenheit in einer Farce aus Vernunft und Kompromissen. Hier herrscht wieder das Hollywood-Ego über die jungen Karrieristen und Hoffnungsträger mit all ihren existenziellen Konflikten und glühenden Idealen. Zwei von ihnen sind die singende Schauspielerin Mia und der leidenschaftliche Jazzpianist Seb. Es braucht ein paar Posen und Drehungen bis die Ellenbogen eingefahren sind und der Kanon der Herzen ihren Rhythmus gefunden haben. Ihre Liebe ist ein Tribut an die Romantik, ein melancholischer Tanz zwischen den Sternen. Zwischen Schallplatten und Filmklassikern vereinen sie sich in der Magie ihrer sehnsüchtigen Träume. Doch Träume sind lebendig, sie verändern sich und fordern schließlich ihren Preis.

                  Der Ort La La Land ist ein nostalgisches Konstrukt, die Wehmutsprojektion eines verklärten Hollywoods. Zeigt er eine Hommage, ist es eine an zeitlose Kunst und an die Kompositionen alter Filme, die nicht nur inszenatorisch beeindruckten, sondern auch Freude und Hoffnung für eine angeschlagene Nachkriegsgeneration wieder zurück auf die Leinwand brachten. Noch weit darüber hinaus zeigt LA LA LAND als melodischer Liebesbrief eine Choreographie des Lebens, in dem der Eskapismus einem dringend benötigten Realitätssinn auch mal weichen muss und dennoch einem Zynismus jeglichen Nährboden entzieht. An Enttäuschungen und Zweifeln nicht zu zerbrechen, ist eben auch eine Kunst. Sie lehrt zu träumen und trotzdem Kompromisse zu schließen, ohne sich dem Tatverdacht des Selbstbetrugs zu ergeben. Der verletzliche Idealismus beugt sich zärtlich den großen Entscheidungen – persönliche Chance oder Beziehung? Sind die verpassten Chancen schmerzhafter als das gelungenste Leben? Die Antworten finden wir nur abseits der Bühnen unseres modernen Lebens. Die bewegten Bilder müssen zur Ruhe kommen, die Elegien der sozialen Medien verstummen, das energische Scrollen erlahmen, denn unser Glück liegt dazwischen, zwischen den großen digitalen Träumen. Die Realität ist das Intermezzo zwischen der schwelgerischen Kunst, die uns erlaubt, zu leben, zu streben, zu lieben, verspielt, poetisch, bittersüß – egal ob Solo- oder Gesellschaftstanz. Und sind wir erst einmal befreit von konstruierter Perfektion und virtuoser Kontrolle, wird aus dem Gehen heraus, ein Tanz entstehen.

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                  • Matrjoschka 👍
                    Stranger Things 🤩
                    Love, Death & Robots 🤯
                    Sex Education 🧡

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                    • Ich habe mich nie richtig mit Stephen King beschäftigt. Wusste nur, dass er SHINING nicht mag und das fand' ich irgendwie unsympathisch. Aber jetzt wo ich die Doku gesehen habe, bin ich äußerst positiv überrascht von seinen Motiven und seinem Weltbild.

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                      • Das ist tatsächlich eine sehr intensive und klug inszenierte Szene. Es ist schon traurig, dass so etwas überhaupt mit unseren Sehgewohnheiten bricht.
                        Eine Träne rollt über ein perfekt geschminktes Gesicht. Eine Faust schlägt gegen eine Wand. Die Frisur hält. So müssen sich Emotionen einer glatten Ästhetik unterordnen.
                        Ich glaube, dieses erste Gefühl der Lächerlichkeit trägt wesentlich zur Intensität der Szene bei, weil wir eigentlich genau wissen, wie lächerlich wir selbst aussehen, wenn wir weinen und wie unästhetisch, wenn wir leiden. Ab einen bestimmten Schmerzpunkt denkt man sich halt, scheiß drauf. Und MANDY scheißt auch drauf und investiert seine Ästhetik stattdessen an den genau richtigen Stellen.

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                        • Möchte jemand mit mir am 2. Advent Kommentare wichteln?

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                          • Einen schönen ersten Advent wünsche ich euch!
                            Deathi, hier ist dein Wichtelgeschenk:
                            https://www.moviepilot.de/movies/the-last-samurai/kritik/2452135

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                              Lydia Huxley 29.11.2020, 17:08 Geändert 29.11.2020, 17:20

                              ❅ Dies ist ein Wichtelkommentar im Rahmen der User-Kommentare-Wichtelaktion 2020 für meinen lieben CoPiloten Deathstroke90 ❅

                              „Ich bin das Schwert des Kriegers, in dem sich die alten Werte mit den neuen vereinen.“

                              Alte und neue Werte. Um sie drehen sich Ideologien, Religion und Kriege. Wir degradieren sie zu Figuren auf dem Schachfeld, teilen sie in Schwarz und Weiß, zählen die Züge bis zum Sieg, bis eine der Farben ausgemerzt ist. Ein klassisches Duell, Tradition gegen Fortschritt, konservativ gegen progressiv. Die Partie wird sieglos enden, denn es ist ein Spiel, dessen tatsächliche Regeln wir nicht begreifen wollen.

                              Endlos grüne Hügellandschaften, alte Wälder und frische Triebe vereint, frei von Werten. In den Mündungen der aufragenden Hügel, in den Tälern und Ritzen, dort fließt das Leben zusammen, auf den Straßen, entlang der Zäune in die Häuser hinein. Sie sind angefüllt mit Idealen, in ihnen herrscht Ordnung. Doch immer häufiger stürmen Winde aus dem Westen, verwehen die Saat und entwurzeln greise Bäume. Ihnen entgegen stellen sich die Krieger des Ostens, konzentriert, beherrscht, mit Klingen so scharf, dass sie selbst den Wind schneiden. Ihre Tapferkeit, Würde und Loyalität erheben sie zu edlen Lichtgestalten. Lieber sterben sie, als sich unterjochen zu lassen. Doch abseits des Lichts, im Schatten des Menschseins, sind sie nicht nur Diener sondern auch Unterdrücker in einer strengen Hierarchie. Als Traditionsbewahrer erschaffen sie ein Sehnsuchtsbild vom Kampf um die reinste Unschuld, die sich Ehre nennt. Es ist ein Kampf um eine verlorene Sache, verloren in dem Moment, in dem aus dem romantischen Märchen ein fundamentalistisches wird.

                              Die Sonne zieht ihre Bahn vom Osten über den Süden in den Westen. Dort spiegelt sich das Abendrot in den Farben des Morgengrauens. Auch hier fordern Ideale zur Tat auf, nur bitte schneller und mit maximalen Output. Mit der Distanzwaffe auf das Fremde im Dunkel zu schießen, ist hier noch ein Ausdruck von Überlegenheit. Und bloß nicht zurückblicken, denn den Sieg erringt man nur mit festem Blick in Richtung Zukunft. Doch eine tiefstehende Sonne wirft einen langen Schatten. Wer es wagt zu ihm zurückzuschauen, erschreckt vor seiner Dunkelheit. Mag sie noch so unerträglich sein, ihre Lehren sind der einzige Weg zum echten Fortschritt.

                              Osten und Westen - zwischen beiden Horizonten liegt Erde. Auf dem Weg zum kulturellen Austausch und gesellschaftlicher Entwicklung muss diese überschritten werden. Nathan Algren symbolisiert genau dieses Überschreiten. Er beobachtet, hört zu, lernt und vergibt schließlich. Er zeugt vom einzig brauchbaren Schwert des Kriegers, das eine, das nicht spaltet, sondern vereint. Auf dem Weg zu sich selbst, muss er schmerzhaft erfahren, dass keine der beiden Seiten für sich, so verlockend ihre eingängigen Ideologien auch manchmal erscheinen mögen, bestehen kann. Die Fronten fallen und schaffen Raum für Verhandlungen und Kompromisse. Technischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt erzeugt Ängste vor zu schnellen Veränderungen, dem Verlust von Kultur und Traditionen, dem Aufgeben von Privilegien. Das alles in Einklang zu bringen ist weder ein Spiel noch eine Schlacht. Es nennt sich Politik und erfordert von uns allen Haltung. Wenn wir bereit sind, dafür genau zu beobachten, zuzuhören, zu lernen und zu vergeben, sind wir auf dem besten Wege, so etwas wie Ehre zu begreifen.

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                                Die Motive, mit denen A SERBIAN FILM produziert wurde, sind nachvollziehbar. Er ist die Verbildlichung von Verzweiflung, Angst und Empörung, die auf anderem Wege nie einen Empfänger gefunden haben. Als politische Parabel verbindet er die vom Bürgerkrieg geprägte Geschichte Serbiens und dessen verrohte Gesellschaft mit skrupellosem Gierkapitalismus. Und das macht er auf radikalste Weise, die A SERBIAN FILM nur noch durch einen Schleier der Fiktion vom illegalem Snuff-Film trennt. Schockieren mit gestellten Gräueltaten, um auf reale Gräueltaten hinzuweisen.
                                Doch damit hat sich A SERBIAN FILM ordentlich verhoben. Denn hinter seiner visuellen Eindeutigkeit versinkt jede noch so gut gemeinte Absicht in Blut und Wichse. Die Provokation sorgt zwar dafür, dass über den Film geredet wird, aber die Diskussionen drehen sich um Gewaltverherrlichung und die Grenzen der Kunst und eben nicht um die geschundenen Serben. Und selbst wenn man diesem überambitionierten Filmdebüt seine unglückliche Methodenwahl verzeihen mag, bleibt er ein Werk ohne echte Dramaturgie oder tatsächliche Reflexion.

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                                  Lydia Huxley 24.11.2020, 10:47 Geändert 24.11.2020, 10:48

                                  Unsäglicher, angestaubter Ulk, dachte ich. Und wurde eines Besseren belehrt.
                                  Film noir trifft auf Cartoon und beide entwickeln dabei eine ungewöhnlich potente Synergie. Es hat ein paar Minuten gedauert, bis meine ernsthafte Erwachsenengehirnhälfte sich mit meiner albernen Kindheitsgehirnhälfte connected hat, denn welcher Film beansprucht schon unsere beiden Hemisphären mit einer Fusion von CHINATOWN und THE LOONEY TUNES?
                                  Aber FALSCHES SPIEL MIT ROGER RABBIT macht es einem leicht, ist er doch visuell nach über drei Jahrzehnten immer noch einzigartig. Keine Computeranimationen, perfektes Timing, Figuren aus verschiedenen Zeichentrickstudios und kreative Effekte. Gags der alten Cartoon-Schule und klassischer Slapstick verbinden sich mit einem medien- und neokapitalismuskritischen Krimi. Zugegeben, die Toones nerven manchmal nicht nur den Protagonisten, aber der Humor funktioniert immer noch, dank seines bissigen Untertons.
                                  Hier spürt man des Filmmachers Herzblut.

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                                  • Bei der Sache mit der "puren Euphorie" kann ich mich nur anschließen. Ari Aster hat gleich mit seinen ersten zwei Filmen alle Erwartungen gesprengt, die man an einen jungen Regisseur nur haben kann. Durch die Kombi mit Joaquin Phoenix bin ich erst recht zum Zerreißen gespannt.

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                                    • Lydia Huxley 23.11.2020, 21:11 Geändert 23.11.2020, 21:12

                                      Mir ist sofort DER MIT DEM WOLF TANZT eingefallen. Hier ist die wunderschöne Natur auch nicht nur Kulisse, sondern ein wesentlicher Teil der "Fährte, die zum wahren Menschen führt."

                                      Auch in WIND RIVER ist die Bergkulisse von Utah eine schöne Verbildlichung des menschlichen Innenlebens - kalt, urwüchsig, trostlos.

                                      Schöne Listenidee! Ich bin gerade etwas enttäuscht von mir, dass ich da nicht drauf gekommen bin.

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                                        Warren Beatty erzählt in REGELN SPIELEN KEINE ROLLE vom Hollywood-Mogul Howard Hughes, einer aufstrebenden Schauspielerin und dem zufällig hineingestolperten Provinzler - aufeinandertreffend in den späten fünfziger Jahren. In diesem Dreigespann wird nach und nach klar, welche Prinzipien gebrochen, welche Kompromisse geschlossen und welche Machenschaften geduldet werden müssen, um in dieser Branche erfolgreich sein zu können. Dabei kombiniert Beatty romantisch und absurd mit kritisch und politisch. Das ist grundsätzlich clever konstruiert, dennoch wirkt die Inszenierung unstimmig. Die Bilder sind zu glatt, die Besetzung nicht ganz harmonisch und die Erzählung flowt nicht mit den Charakter-Arcs. Am Ende fühlt sich das irgendwie unbefriedigend an.

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                                        • Lydia Huxley 19.11.2020, 17:09 Geändert 19.11.2020, 17:10

                                          Danke, Gina 👌
                                          Hat jemand Lust, für den 1. Advent mein Wichtel-Buddy zu sein?

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                                            Wie es der Titel schon anteasert, geht es in Ang Lees dritten Spielfilm ums Existenzelle: Essen und Liebe. Er begleitet den Alltag der Familie Zhū und verhandelt dabei die Lebenswelten der verschiedenen Generationen, von den Bedürfnissen bis zur Kommunikation. Dabei darf man ein Stück Taiwan kennenlernen, Traditionen, Gesellschaftsstrukturen und Kulinarik. Das ist stimmig, launig und macht hungrig.

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                                                DARK FATE ist eigentlich Teil 1 mit mehr und diverseren Figuren, was hätte gut funktionieren können, wäre das ganze Dystopien-Theater nicht so stumpf, reizlos und unkreativ. Abgesehen von dem erweiterten feministischen Ansatz und die angenehme Schnittgeschwindigkeit in den Actionsequenzen ist der Rest mittelmäßig bis unterdurchschnittlich, gespickt mit Fanservice-Referenzen auf dem selben Niveau. Tatsächlich aber etwas besser als Teil 5.

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                                                  Lydia Huxley 11.11.2020, 21:58 Geändert 15.11.2020, 12:30
                                                  über Jexi

                                                  Man nehme HER, lasse seinen Hund drauf scheißen, verquirle alles zu einem glatten Brei. Das ist JEXI.

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                                                    Lydia Huxley 10.11.2020, 18:24 Geändert 10.11.2020, 20:07

                                                    Keine Exposition. UNDERWATER steuert direkt die Katastrophe an und findet trotzdem Momente, seinen Charakteren Profil zu geben. Man verspürt fast durchweg die Anwesenheit von Inspirationsquellen aus ähnlichen Subgenren. Gleichzeitig geht er einen eigenen Weg von extremer Getriebenheit nach vorn. UNDERWATER lebt von maximaler Klaustrophobie und einer mythologisch aufgeladenen "Grenz"-erfahrung.
                                                    Eine düstere Flucht, bei der weder Zeit noch Platz zum Atmen bleibt.

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