Nonkonformist - Kommentare

Alle Kommentare von Nonkonformist

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    Immer wenn die Tage und die Sonnenstunden länger werden, merke ich, dass ich zu viele Schindluder mit mir getrieben habe, zu viele Stunden an den kalten Tagen vor dem Fernseher geopfert und mich dem Müßiggang hingegeben habe. Schluss damit, aufstehen und leben, wie De Niro den Fernseher dahin verbannen, wo er hingehört und hinausgehen, um das zu sehen, was der Fernseher uns in seiner gesamten Ambivalenz trotz allem nicht offenbaren kann.

    Täglich richtet sich mein Blick auf die Bushalte vor der Tür, die vielen jungen und alten Menschen, die in der Sonne stehen, reden, rauchen, während ich im Büro auf der anderen Straßenseite meinen Dienst absitze. Bildschirme umgeben mich, immer und überall, an jeder Straßenecke, an dem kleinen mobilen Gerät in meiner Hosentasche, an meinem Arbeitsplatz und abends dann in meinem Wohnzimmer. Wie desillusoniert wir doch längst sind, wenn wir uns einmal ehrlich betrachten. Wie gnadenlos entfremdet und vernetzt mit einem perfiden Verständnis von Fortschritt, so paradox wie diese Zeilen auf einer Internetseite zu verfassen.

    Langsamen Schrittes bewege ich mich fort, zunächst die zweihundert Meter Asphalt bis ich die ersten Meter des kleinen Waldes vor mir Tür betrete, ich die reine Luft der Natur, die Milde des Abends rieche, die Vögel auf den Baumspitzen singen und die Hasen, verängstigt durch die menschliche Anwesenheit davon hüpfen höre. "Warum machst du das?", "Und du läufst dann einfach so durch die Gegend?", habe ich oft gehört. "Um zu leben, um einfach zu leben und einen Ausgleich zu den ständigen Bildschirmen und Sitzen zu haben. Ich gehöre nicht in die stickigen Räume, nicht versunken zwischen virtuellen Welten, wenn ich nicht gerade für das bisschen Brot auf meinem Tisch zu arbeiten habe.

    Tag 5.

    Als das Wetter am Samstag begann besser zu werden, es mich hinaus trieb und ich wie jedes Jahr im Frühjahr entschloss fortan jeden Abend zumindest eine kurze Runde zu laufen, beschloss ich auch, meinen Fernseher einfach mal auszulassen. Ohne feste terminliche Bindung, ohne daraus so etwas wie einen Kampf zu machen. Es frisst zu viel Zeit fernzusehen und auch ist es nur selten entspannend für Einen, der durch seinen Bürojob ganztägig Aktivitäten auführt, die dieser viel zu ähnlich sind. Viel zu viel hat die Welt doch zu bieten, viel mehr noch als nur die Natur, die ich so liebe, ist es doch vor allem das Auge für die kleinen Dinge des Lebens, das ich wieder schräfen wollte.

    Ich bewege mich wieder ohne zu hasten. Versucht man die sechs, sieben Stunden nach Feierabend mit etwas anderem zu füllen als damit auf der Couch zu sitzen oder zu liegen, merkt man, wie viel Zeit dies doch ist und, dass zu Entspannen auch auf andere Weise ganz vorzüglich gelingt. Aus den paar Minuten Spaziergang, die ich mir täglich vorgenommen habe, wurden seither an jedem Tag mindestens eine Stunde, zumeist sogar zwei, meine Beine danach oft ermüdet, doch ich ausgeglichen und glücklich, mein Schlaf nach solchen Märschen intensiver und besser und mein Empfinden für eine bewusstere Ernährung auch bedingt durch die zusätzlich gewonnene Zeit zum Kochen wieder geschärft.

    Zum dritten Mal in dieser Woche bin ich heute einige Minuten vor dem Klingeln meines Weckers wach geworden und stellte fest, wie wunderbar mein Biorythmus doch noch immer funktioniert, hörte die Vögel durch das in der Nacht offen gebliebene Fenster, durch das auch bereits die ersten Sonnenstrahlen den Raum erhellten. Noch ein paar Minuten liegen bleiben, die Ruhe genießen, die Harmonie jener Szenarie, der schwarze Bildschirm neben mir bleibt auch heute aus. Minimalismus kann so einfach sein.

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      Nonkonformist 09.04.2018, 18:03 Geändert 09.04.2018, 18:15
      über Oh Boy

      Macht Schluss damit eure GEMA-Gebühren zu verschenken und holt euch dafür wenigstens sehenswerte Filme ins Haus:

      "Oh Boy", noch bis zum 24.Mai verfügbar ;)

      http://www.ardmediathek.de/tv/Filme/Oh-Boy-Jetzt-ansehen/ONE/Video?bcastId=27258646&documentId=50332750

      (Jetzt höre ich dann aber auch auf, versprochen!)

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        Und, weil ich gerade schon dabei bin:

        Neben "Liebe" ist auch "Das weiße Band" von Michael Haneke derzeit in der Mediathek der ARD. Dort anzusehen bis zum 08.Juli.

        http://www.ardmediathek.de/tv/Filme-im-Ersten/Das-wei%C3%9Fe-Band/Das-Erste/Video?bcastId=1933898&documentId=51462906

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          über Liebe

          Ich mache mal weiter...
          "Liebe" von Michael Haneke noch bis Donnerstag in der Mediathek der ARD:

          http://www.ardmediathek.de/tv/Filme/Liebe/MDR-Fernsehen/Video?bcastId=17603924&documentId=51415780

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            Nonkonformist 09.04.2018, 14:21 Geändert 09.04.2018, 14:29

            Diesen wahnsinnig wichtigen Dokumentarfilm gibt es derzeit übrigens in der Mediathek der Bundeszentrale für politischen Bildung in voller Länge zu sehen:

            http://www.bpb.de/mediathek/film-highlights/159924/geheimsache-ghettofilm

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              Nonkonformist 02.04.2018, 23:06 Geändert 02.04.2018, 23:12

              Es war 2006, ich gerade 14 und hatte vermutlich bis zu jenem Tag so selten das Kino besucht, dass ich es an einer Hand abzählen konnte. Ich erinnerte mich daran, "Das große Krabbeln" und "Ein Königreich für ein Lama" als Kind im Kino gesehen zu haben, vermutlich war ich danach auch noch ein paar Mal im Kino gewesen, doch so richtig wirklich hatte ich damit nie etwas verbunden. Ich vergeudete meine Freizeit damit sie zu vergeuden, war mäßig unbeliebt, fuhr mit dem Rad durch unser Dorf und fing irgendwann sogar nur aus der Langeweile heraus an Kleinigkeiten zu stehlen, wurde direkt geschnappt und hatte fortan Ladenverbot im einzigen wirklichen Supermarkt, den wir hatten.

              Wie langweilig war das Leben nur, wenn man hier draußen war, die anderen Kinder einen nicht leiden konnten und die eigenen Fußballerfahrungen sich darauf beschränkten, wenn man wieder einmal alleine auf das Tor im Garten schoß. Keine Ahnung, was mit mir und meinem Leben damals los war, was vielleicht generell mit mir los ist, warum ich in der Schule immer schlechter und mir meine Mitschüler immer fremder wurden. In jenem Sommer 2006 flog ich dann, war durchgefallen in drei Fächern und künftig unerwünscht am Gymnasium, endlich, hatte ich diese verdammte Schule doch schon seit Jahren verflucht. Ich wollte dort ohnehin nicht mehr hin, hatte keine Lust mehr auf die selbe miese Englischlehrerin seit vier Jahren, die mir permanent miese Noten aufdrückte, keine Lust mehr auf die Arroganz meiner Mitschüler und darauf ständig überall nicht gut genug zu sein. Scheiß drauf, dann ging ich eben von der Schule, irgendwoanders würden sie schon einen Platz für mich haben und ich besser aufgehoben sein.

              Blöd nur war, dass dazwischen trotz allem noch immer sechs Wochen Ferien lagen. Sieben sogar, hatte man mich doch gebeten in der letzten Woche vor den Ferien gleich auch noch zuhause zu bleiben, als sei es nicht schon Bestrafung genug gehen zu müssen. Den Kontakt zu meinen Mitschülern hatte ich also bereits verloren bevor die Ferien überhaupt anfingen, und so stand ich dort nun, noch weniger beschäftigt als ich es sonst war, nichts geplant für die nächsten kanpp zwei Monate, aber konfrontiert mit endlos viel Freizeit, die es zu füllen gab.

              Irgendwann eines Tages, am Anfang der Ferien, schlenderte ich mit meiner Mutter durch jene Drogeriekette, die wenige Jahre danach ihr Ende fand und entdeckte in Kassennähe eine kleine, aus heutiger Sicht vollkommen erbärmlich anmutende Auswahl an Filmen und entschied mich, wohl mehr aus Langeweile denn aus irgendeinem anderen Grund dazu mir eine DVD zu kaufen. Meine erste DVD in meinem Leben, das erste Mal, dass ich bewusst ein Interesse an einem Film entwickeln und mich wirklich mit ihm auseinandersetzen sollte. Einfach so, aus der Langeweile entstanden entwickelte sich etwas, das in den kommenden Jahren mehr als alles andere meine Freizeit füllen sollte.

              "Hurricane" stand dort geschrieben, eine Geschichte, die sich interessant las, auch wenn ich jemals weder von Denzel Washington, geschweige denn von jenem Bob Dylan, dessen Song stetig im Hintergrund lief, jemals etwas gehört hatte. Aber ich mochte diesen Film, erklärte Washington prompt zu meinem Lieblingsschauspieler (ha, welche Naivität!) und begann im rasenden Tempo mein noch nicht existierendes Filmregal zu füllen. Ich kaufte "Mission Impossible", die "Bourne identität", "Leon - Der Profi" im mattschwarzen Steelbook, auf das ich so Stolz war, und auch "16 Blocks" und "Man on Fire", der wiederum mit Denzel Washington war. Ich fing an, womit man eben anfing, wenn man keine Ahnung hat: mit Hollywood. Den Hollywoodfilmen, die mir interessant erschienen und mehr oder minder aktuell waren, "Leon - Der Profi", von dem ich zuvor bereits einmal etwas gehört hatte, einmal ausgenommen. Da begann sie also damals, mit 14, als ich noch vollkommen naiv begann, das Kino für mich zu entdecken.

              Heute bin ich 26, verbrachte fast mein halbes Leben mit Filmen und habe die meisten der FIlme, die mich damals prägten seit Jahren nicht mehr gewesen, so sehr ich mich noch immer an all die kleinen Feinheiten jener Tage erinnere. Auch ist mir Hollywood abhanden gekommen, das Kino mit dem alles begann, ebenso wie ich die Leidenschaft, das Gefühl eine DVD im Briefkasten zu haben, einen Film wirklich intensiv aufzusaugen mir heute in weiten Teilen schlichtweg abhanden gekommen ist. Zu viel habe ich mit den Jahren gesehen, zu perfektionistisch, zu sehr mit dem ewigen Drang etwas anspruchsvolles zu sehen ist meine Sehgewohnheit in den letzten Jahren geworden, und doch spüre ich sie:

              ich mag wieder dahin. Mag wieder das Gefühl haben, was andere bekommen wenn sie die Filme ihrer Kindheit sehen, "Star Wars" oder "E.T." zum achtzigsten Mal mit den Augen eines noch unerfahrenen Filmbetrachters sehen und Nostalgie über der Klasse jener Filme steht. Warum nicht einmal lösen von diesem Drang immer voranzuschreiten, immer mehr sehen zu müssen und reine Kopfentscheidungen zu treffen, warum nicht noch einmal zurückgehen zu Denzel Washington, Jean Reno oder Bruce Willis, zu Hollywood, Mitte der 2000er, zu mir, meinen Wurzeln?

              Ich bin wieder 14, stehe im heruntergekommenen Schlecker und wühle mich durch die geringe Auswahl an Filmen. H-U-R-R-I-C-A-N-E.

              "Mama, ich habe mir eine DVD gekauft."
              "Denzel Washington ist mein Lieblingsschauspieler. "
              "Guck nur wie schön dieses Steelbook ist."

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              • 8 .5

                Ostermontag, nachts, 1 Uhr irgendwas.

                Manchmal ändert ein Film alles.

                Als ich vor rund drei Stunden innerlich unausgeglichen, müde und unkonzentriert, wie ich es seit Tagen bin, einen Kommentar zu Mike Leighs "Nackt" schrieb, einfach weil der Film mir am besten für das, was ich geschrieben hatte, zu passen schien, entdeckte ich in meinem Filmregal den dort schon zu lange auf seine Erstsichtung wartenden "All or Nothing". Am Anfang noch übermannt von den vielen Gedanken und meiner Unruhe, schaffte es jener Film genau das in mir zu entfachen, was mich damals überhaupt erst zum Kino brachte.

                Obwohl ich ein Sozialdrama sah, noch dazu eines - wie bei Mike Leigh üblich -, dass zwischen den wenigen wirklich liebevollen und herzhaften Momenten primär eines der äußerst traurigen Töne war, holte es mich für gut zwei Stunden aus meiner eigenen desillusionierten Welt und zeigte mir die Ambivalenz der Möglichkeiten im Leben auf. Wie oft nur meckern wird, beklagen uns über die eigene Situation, ohne wertzuschätzen, was wir haben, uns einfach mal zufrieden zu geben damit was ist, statt immer ein anderes Leben mit anderen Menschen an anderen Orten führen zu wollen?

                Seit Wochen, nein, seit Monaten habe ich kaum einen Film wirklich konzentriert gesehen, war abgelenkt von äußeren Einflüssen oder meinen Unruhen, von Terminen und Handys, die meine Freude am Kino so weit minderten, dass ich vor ein paar Stunden noch gänzlich daran zweifelte überhaupt noch neue Filme entdecken zu können, die mich begeistern und meine alte Liebe zum Kino auflodern lassen können.

                Ich mag Mike Leighs Filme, sehr sogar. Ich habe sie immer gemocht, und um so älter ich werde, desto mehr weiß ich sie noch zunehmend zu schätzen. Wie auch seine anderen Werke ist "All or Nothing" nichts, was durch irgendwelche Besonderheiten hervorsticht, kein Kino, das unterhalten will, sondern eines, das auf ganz fantastische Weise aufzeigen will. Zeigen will, dass es in unserer Gesellschaft auch Menschengruppen gibt, die wir nur zu gerne missachten, obwohl sie soviel Aufmerksamkeit verdienen, hinter jedem Mensch, jedem Schicksal eine Geschichte steckt und man nie, nie, nie in seinem Leben aufhören darf sein Lächeln zu bewahren.

                Vielleicht mag der Vergleich sehr hinken, da er unpassend erscheint und das filmische Wirken sich ansonsten gänzlich unterscheidet, doch in vielerlei Hinsicht erinnert mich Leighs Menschlichkeit an die des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieslowski. Wie er muss Leigh ein großer Humanist mit hoher Empathiefähigkeit sein, könnten Filme wie "All or Nothing" ansonsten unweigerlich nie ein derart ehrliches Portrait menschlicher Emotionen darbieten. Eines über die primär tiefen Abgründe der Emotionen, keine Frage, und doch eines, das auch zum Schmunzeln anregt - immer wieder.

                Wie schon bei "High Hopes" oder "Another Year" bin ich unschlüssig, ob und wie man solche Filme bewerten kann, ist der technische Aspekt hier (wie z.B. auch beim anderen großen britischen Regisseur der "kleinen Leute" - Ken Loach) doch wahrlich zu vernachlässigen, geht es Leigh am Ende schließlich immer nur darum eine gute, ehrliche, aus dem Leben gegriffene Geschichte zu erzählen. Eine, die mich herausträgt aus meinen eigenen Unruhen, mich wieder Emotionen und meine Liebe zum Kino fühlen lässt, als sei sie nie weg gewesen.

                Alles oder nichts.

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                • 7
                  über Nackt

                  Manchmal, wenn ich nicht schlafen kann oder nicht zur Ruhe komme, weil mich wieder einmal Gedanken plagen, schnappe ich mir spätabends meine Kopfhörer und gehe noch eine Runde spazieren. Abends, wenn es draußen dunkel und kühl ist, die Luft klarer und die Straßen leerer werden, ist dies der Ort an dem ich zur Ruhe kommen und in mich kehren kann. In dem ich ich und bei mir sein kann, ohne, dass da immerzu der Lärm des Fernsehers meines Nachbarn durch die dünnen Wände schallt, die laute Musik und die schrille Lache zu mir durchdringen, wenn es wieder einmal einen Anlass gibt sich zu amüsieren.

                  Ich amüsiere mich selten, wenn ich ehrlich bin, auch wenn ich wünschte, dass es mir leichter fallen würde auch einmal derart sorgenfrei meinen Alltag zu bestreiten. Doch ich streite mit mir, hadere mit dem Lärm meiner Umwelt und damit, dass man nur nachts durch die Straßen laufen kann, ohne mit Reizüberflutungen zwischen zu vielen Autos, Lichtern, Menschen überschüttet zu werden. Stille, wie sehr nur wünsche ich mir ab und an Stille auf und zwischen meinen abendlichen Spaziergängen um den Block, ein wenig mehr von der Ruhe, die man zu selten bekommt.

                  Hinter den Fenstern blinken die Lichter der Fernseher als ein Abbild einer Gesellschaft, in der nichts mehr geht ohne äußere Einflüsse, so harmonisch der Anblick der sich in ihren warmen Wohnzimmern befindenden Gesellschaftsteilnehmer auch anmuten mag. Wie wenig streitsüchtig es wirkt, wenn man lachende Sillhouetten hinter Gardinen erkennt, sieht wie sie sich amüsieren und leben, die Feste des Lebens gefeiert werden, wie sie fallen oder ins Leben gerufen werden, wie aus den Gärten Stimmen erklingen, Musik oder doch wieder nur der Fernseher, der durch das offene Fenster nach draußen schallt.

                  Seit einigen Minuten schon höre ich die Lache aus der Wohnung unter mir, schrill und aufdringlich, was für ein makabarer Spaß, den unserer Gesellschaft hat, während ich hier sitze, übermüdet und reizüberflutet, in einem dunklen Raum, der nur durch die drei Kerzenlichter erhellt wird, kein Fernseher, keine Musik, kein... Nichts. Ich. Ein paar leere Worte, zu viele Gedanken, Schmerzen. Die Lache von unten wieder einmal, schrill und aufdringlich. Sie wird immer lauter, immer dynamischer im Kampf gegen meine taumelnde Melancholie, gegen mich, gegen meine... Nacktheit.

                  Die Straßenlaternen, die penibel genau mit je 20 Meter Abstand zueinander haben.
                  Die Gartenzäune, die die Grenzen des eigenen Territoriums abstecken.
                  Die Kinder, die im Vorgarten spielen und toben.
                  Die Eltern, die überhastet die letzten Sachen ins Auto packen.
                  Die alte Dame, die immer vor ihrem Fernseher sitzt und die letzten Monate verstreichen lässt.
                  Der gestresste Angestellte, der wie alle anderen auch jeden Tag zwischen Arbeit und Wohnort pendelt.

                  Nackt. Wir sind alle nackt.
                  Ein ewiges Zahnrad, das nie, nie, nie stoppt.
                  Wo bin ich gerade, was mache ich hier?
                  Sie lachen immer noch, sie lachen...
                  guten Abend, Welt.

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                  • 7

                    Dieser nur noch schwer auf DVD zu erhaltende Film des französischen Regisseurs Eric Rohmer ist aktuell übrigens in der ARTE-Mediathek zu sehen (:

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                    • 9

                      Dezember 2012. Ein noch naiver Filmfreund meldet sich zum ersten Mal in einer Internetcommunity an, in der es um Filme geht. Sein Wissen ist gering, doch seine Zeit und sein Interesse ausgeprägt. Morgens geht er in die Schule, nachmittags und abends gilt seine Aufmerksamkeit nur den Filmen. Fast jeden Tag einen Film sieht er, an den Wochenenden oft auch zwei oder drei, befasst sich mit der Theorie und schwänzt die Schule um in Nachschlagwerken noch unentdeckte Schätze zu finden. Sonntags verdient er ein bisschen Geld von dem das meiste wiederum in Filme wandert, während seine DVD-Sammlung zunehmend aus allen Nähten platzt. Kino wird zur großen Leidenschaft, zum Lebensretter für einen, der sonst nicht viel hat. Die Noten in der Schule sind gut, doch viel Enthusiasmus spendet er ihr nicht, wie auch wenn die Hälfte seiner Notizen irgendwelchen Filmen gilt. Ganze Collegeblöcke werden gefüllt mit Skizzen und Notizen, alles handschriftlich, um einzuordnen, was gut und schlecht, neu und bereits bekannt ist. Oft kombiniert er die FIlme mit Spaziergängen, geht nach jedem Film eine Runde um ihn Revue passieren zu lassen, Gedanken und Worte zu finden, zu schreiben und einzuordnen.

                      März 2018. Die Schule ist lange aus, die Arbeitstage meist so lang, dass es schon dunkel ist wenn er nach hause kommt. Das Filmregal ist noch immer groß, viel größer als früher sogar, nur sein Kopf nicht mehr frei. Ein Buch hat er schon lange nicht mehr gelesen und das Schauen von Filmen wird zunehmend zu einem quälenden Übel. Er sieht die Kunst, doch ist müde geworden, schafft es nicht noch Konzentration aufzubringen für das Kino, das er so liebt. Stattdessen sitzt er da und verschwendet Zeit mit Nichtigkeiten, guckt nichtssagende Serie und versinkt in Oberflächlichkeiten, die er zuvor immer bewusst hatte vermeiden wollen. Die viel zu vielen ungesehenen Werke bleiben ungesehen, da Zeit, Aufmerksamkeit und am auch oft die Motivation fehlt. Gequält wie das Antlitz des Accattones ist er angekommen in einem Strudel aus Verpflichtungen, der außer an manchen Wochenenden kaum noch Platz lässt für dieses, sein liebstes Hobby. Das ehemalige Versprechen Filme nur im Originalton gesehen bedingt durch die Müdigkeit immer mehr unter den Teppich gekehrt, das Kunstkino ohnehin immer seltener betrachtend. Die Jugend ist vorbei, die Jugend...

                      wer sein Brot nie mit Tränen aß, wird nicht zu schätzen wissen, wenn es irgendwann einmal wieder anders ist. Irgendwann.

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                        Freitagmorgen, Anfang März. Meine Nacht endet früher als gedacht, da die Wellensittiche im Wintergarten meiner Nachbarn ihren Dienst früher als gewohnt beginnen. Immerhin, ich wache wie jeden Morgen mit Vogelgezwitscher auf, was ja auch nicht die schlechteste aller Optionen ist. Auf meinem Handy befindet sich eine knapp siebenminütige Sprachnachricht einer Freundin, die gerade, wieder einmal, eine schwierige Zeit durchmacht und sich damit an mich wendet. Noch müde von der Nacht liege ich hin- und hergerissen zwischen weiterschlafen und doch schon aufstehen im Bett, durch den Spalt der bewusst offen gelassenen Schlafzimmertür kommt ein kleiner Hauch Tageslicht, der weitaus weniger erhaben scheint als in den vergangenen Tagen. Für gewöhnlich grüßt mich auf diesem Wege die Sonne des frühen Morgens, lässt das Bett mit ihrer Wärme erstrahlen, doch diese bleibt anm heutigen Tage offenbar aus.

                        Ich nehme einen Schluck aus dem Glas Wasser neben meinem Bett, von dem ich nicht weiß, ob es denn nun halbvoll oder doch halbleer ist, wer weiß das schon, entscheide mich doch aufzustehen und begebe mich an den Ende des Gangs um mich müde unter die Dusche zu schleppen. Ich habe das Brot vergessen, kommt es mir in den Sinn, wieder einmal, ich habe schon wieder das verfluchte Brot vergessen, dann eben gleich noch zum Bäcker, dann eben ein paar Minuten weniger duschen. Dazwischen immer Gedanken an den Abend zuvor, den eigentlich sehr gut verlaufenen Donnerstag, die Zeit im Schwimmbad, beim Asiaten das "Geschmacksverstärker sind in China üblich" als große Lüge am Ende der Speisekarte und die Stunden im Billiardcafé. Ich hatte endlich mal wieder einen der zahllosen, immer gleichen Abende nach meiner Arbeit genutzt, nicht nur die Zeit vergeudet, die viel zu schnell verfliegt, ohne das man es merkt.

                        Auch ich merke das wieder einmal als ich ins Auto steige, 07:58 Uhr, viel zu spät bereits, später zumindest als gedacht, wenn auch noch rechtzeitig um beim Bäcker vorbeizuschauen und um halb neun im Büro zu sein. Gerade den Motor gestartet, drehe ich den Schlüssel auch gleich zurück in seine Anfangsstellung, haste hinaus in den milden Morgen, durch die Haustür, die Treppen zur Wohnungstür hinauf und zurück ins Schlafzimmer. Die Pakete, die Post, da war doch noch etwas, was ich fast wieder vergas, die kleine Vase, die einen neuen Besitzer gefunden hat und die Retoure der Kleidung, die einfach nicht aussah, wie sie hätte aussehen sollen. Dann wieder zurück, aus dem Schlafzimmer zur Wohnungstür, die Treppen hinab, der immer selbe Ablauf in einem Zahnrad der vernichtend schnell zerstörerischen Monotonie. Den Motor nochmal starten, jetzt aber, 08:02 Uhr, der Bäcker, das Büro, die Zeit, die ich nicht habe.

                        Wir hasten zu oft. Ich zumindest. Zumindest habe ich das Gefühl zu hasten, obgleich ich ein Mensch bin, der sich viel zu häufig und gerne von Verpflichtungen und Konventionen löst, der sich nicht einfügen mag in das Erfüllen permanenter Verpflichtungen, obgleich auch ich am Ende Geld verdienen muss, mich um Erledigungen kümmern muss, denen ich gerne Filme, ein gutes Buch oder Reisen vorziehen würde. Monotonie, die permantente Übermüdung und diese verflucht anhängliche Einsamkeit sind es, die mich klein halten, durch meinen Kopf kreisen und mich am Ende doch wieder dazu bringen ein paar Worte zu verfassen, damit ich mich zumindest für die Dauer eines kleinen Augenblickes frei fühle. Frei wie Bruno und Robert, deren Vergangenheit wir nicht kennen, über die wir nicht viel wissen und viel erwarten, die sich treiben lassen, in einem alten Möbelwagen, entlang einer imaginären innerdeutschen Grenze in trostlos-tristen Gegenden, die eine vorzügliche Parabel auf die Leere ihrer, meiner, vielleicht unser aller Leben bietet. Da ist nicht viel, nur der in der Ferne laut vorbeiziehende Zug als Relikt eines hastigen Fortschritts, der hier bewusst umgangen wird. Worte und Schnelllebigkeit, die für drei Stunden verschwinden, uns zwingen einmal zurückzukehren zu uns und der Stille, fast meditativ in uns zu kehren und uns zu erinnern, dass es die kleinen Dinge sind, die im Leben zählen.

                        Ich liebe den Sonnenschein, der mich morgens durch meine Schlafzimmertür weckt; das Knistern der Schallplatten; das Zwitschern der Vögel am Morgen; die Bäume beim Blick aus meinem Wohnzimmerfenster; die 35qm Dachterasse, die Teil meiner Wohnung ist und dass ich dabei an "Ghost Dog" denken muss; den kleinen Marienkäfer, der vor ein paar Wochen in meine Wohnung kam und seither in meinem Wohnzimmer haust; Kräutertee in allen Varianten; den Geruch von Kaffee und den Geschmack von Reis; die Poesie von Schwarz-Weiß-Fotografie; Kerzenlicht und Blumen im Übermaß; endie Überreste eines Regenschauers, die nach und nach vor meinem Fenster heruntertropfen; Croissants mit Marmelade und Orangensaft an jedem Samstagmorgen; Stille. Ich liebe das Kino, die Poesie der kleinen Leute und Filme, Wim Wenders introvertierte Art und "Im Lauf der Zeit", weil er so viel ist und so wenig sein möchte.

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                        • Nonkonformist 03.03.2018, 23:22 Geändert 03.03.2018, 23:29

                          Ich finde Hollywoods Selbstbeweihräucherung eher amüsant als wirklich ernstnehmbar. Vielleicht könnte ich deshalb nie beruflich etwas mit Filmen machen, aber dieses ganze Gerede über Preise und Einspielsummen und jegliche Galas mit ihren ach so perfekten Stars, mindern die Freude an der Schönheit des Kinos für mich eher als dass sie irgendeine Form des Mehrnutzen liefern.

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                          • 8 .5
                            Nonkonformist 02.03.2018, 12:12 Geändert 02.03.2018, 12:40

                            Anfang 2018 habe ich den Entschluss gefasst, Filme grundsätzlich nur noch in schwarz-weiß zu sehen, ausgenommen, ich erkenne durch die Farbe klar einen Mehrwert, wie es beispielsweise in den Werken von kar-Wai Wong immer der Fall gewesen ist. Ich mag die Farblosigkeit einfach zu sehr, finde, dass sie dem Kino, das ich so liebe, immer noch eine zusätzliche Spur Eleganz verleit und die meisten Filme noch gleich um ein vielfaches besser erscheinen lässt. Vor allem Technicolor fand ich immer schrecklich, so übertrieben in seiner Farbdarstellung und so weit weg von den Bildern, die ich sehen wollte. Nun also schwarz und weiß, die Erkenntnis, das ich Bilder küntig in einem neuen Licht sehe und deshalb auch einige Aufwertungen werde vornehmen müssen.

                            Antoine Doinel. Kein Filmcharakter begleitete mich auf meinen filmischen Wegen mehr als er, niemandem fühle ich mich heute zugewandter, scheint doch, die immer ein wenig unsicher, rastlos, aber doch eben letztendlich sehr charmante Art durchaus einige Parallelen aufzuweisen zu demjenigen, dem ich morgens in den Spiegel schaue. Wie ungebunden man immer sein möchte, frei im Kopf, nicht gebunden an berufliche Pflichten, generell an Pflichten, die Schönheit der kleinen Dinge, der Sprache der Poesie so zugewandt, dass es zu wenig Sinn ergibt, sie einfach über Board zu werfen.

                            "Tisch und Bett" ist der vierte Teil jener Serie, die für mich immer primär drei Meisterwerke beinhaltete. Dieser Teil ist gut, aber nicht mehr, Antoine in seine jugendlichen Art gereift und ich noch nicht an dem Punkt in dem ich denselben Lebensabschnitt teile, den er gerade durchlebt. So dachte ich jedenfalls bisher, beim letzten Mal, als ich den Film 2016 in meiner letzten Retrospektive einiger Truffaut-Filme sah.

                            Jetzt aber wendete sich das Blatt. Vielleicht weil auch ich mittlerweile wieder ein wenig älter geworden bin, alleine wohne, einen festeren, wichtigeren Job habe, weiter weg von meiner Jugend bin, die ich mir trotzdem nicht so recht nehmen lassen mag. Und dann ist da eben die Sache mit der Farbe, die nicht mehr dort ist, die ich dem Film entzogen habe. Es ist 1970, es ist Nouvelle Vague, hier zumindest noch, auch wenn die großen Spuren jener Bewegung vorbeiziehen, ihr spätester Vertreter hier bereits namentlich angekündigt wird, Jean Eustache, und Truffaut die Flammen jenes verlischenen Feuers noch einmal mit viel Liebe und Feinheit für das Detail aufleuchten lässt.

                            Claude Jade, die einzige, die noch mehr Charme versprüht als Godards Allzweckwaffe Anna Karina, und dann eben, einmal mehr, Jean-Pierre Léaud. Auch das Gefühl eines freien Tages im Frühjahr, der Duft von Rosen, Kaffee, dem Leben, der Liebe mit ihren Höhen und Tiefen. Doinel verkauft Schallplatten, ist Nachtwächter in einem Hotel, Privatdetektiv, Blumenverkäufer und er schreibt, er ist alles und nichts, immer mit dem nötigen Tiefgang und der ewig ungezwungenen Leichtigkeit.

                            Zeit also mich zu korrigieren.
                            Der Zyklus des Antoine Doinel hat nicht drei Meisterwerke.
                            Er hat vier.
                            Zweifelsfrei.

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                              Nonkonformist 01.03.2018, 17:19 Geändert 05.03.2018, 10:24

                              Yes! Endlich ist auch die wohl beste, schönste und poetischte Dokumentation über einen Filmschaffenden überhaupt hier gelistet. Ich mag den Film so, so gerne, da er mehr Leidenschaft für das Kino weckt als fast alles sonst in mir, weil Buster Keaton ein unglaublich vielseitiges Talent war und heute viel zu unterschätzt wird und weil der Erzähler mich in seiner ruhigen Art so wunderbar entspannend an Wim Wenders erinnert - ein bisschen zumindest.
                              Eine derart gute Bewertung für eine 53-minütige Dokumentation, die nichts besonderes ist, vor allem nicht besonders aufreißerisch oder außergewöhnlich inszeniert, sondern vor allem durch ihre stille Bescheidenheit zu punkten weiß, mag zunächst übertrieben erscheinen, ist aber dennoch hier mehr als verdient.

                              In hervorragender Qualität zu sehen auf Youtube:
                              https://www.youtube.com/watch?v=SvF9InalUCE

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                              • Danke für diese Liste.
                                Ich habe mich damals schon über die Top 50 zutiefst gefreut, weil dein Geschmack so außergewöhnlich ist und daher eine fantastische Grundlage für Inspirationen bietet, aber mit dieser so wundervoll andersartigen, bunt-tristen europäischen und asiatischen Auswahl schaffst du ein noch viel großartigeres Äquivalent zur hiesigen Amerikanisierung.
                                Chapeau :)

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                                • Nonkonformist 24.02.2018, 13:21 Geändert 24.02.2018, 13:41

                                  Ich habe sieben weiße Gnedby-Regale nebeneinander stehen, die ich immer mal wieder ein wenig umräume(n muss).
                                  Jedes Regal hat (senkrecht betrachtet) acht Fächer, woraus sich folgende acht Reihen ergeben:

                                  1.Reihe: Blu-Ray-Boxen, BFI- und Masters of Cinema-Blu-Rays
                                  2.Reihe: DVD-Boxen, Masters of Cinema-DVDs
                                  3. Reihe: Blu-Rays (eher unsortiert, primär nach persönlicher Präferenz)
                                  4. Reihe: Filmreihen Second Run, Artificial Eye, Arthaus Close-Up, -Retrospektive, -Collection
                                  5. Reihe: DVDs: französische Filme, deutsche Filme, Ingmar-Berman-Filme
                                  6. Reihe: DVDs: italienische Filme, britische Filme, restliche europäische Filme (Spanien, ...), Filme aus der Zweitausendeins-Reihe
                                  7. Reihe: DVDs: asiatische Filme, Dokus
                                  8.Reihe: DVDs: amerikanische Filme

                                  Ungesehene Filme stehen zudem in einem extra Regal in einem anderen Raum und werden erst nachdem ich sie gesehen habe dazu sortiert.
                                  Serien habe ich keine.

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                                  • Nonkonformist 18.02.2018, 19:58 Geändert 19.02.2018, 10:47

                                    Als ich vor ein paar Tagen das 15-stündige Werk "The Story of Film" sah, der mich hin- und hergerissen zwischen Faszination für das Kino und den oft liegen gelassenen Möglichkeiten jenes Werkes ließ, traf ich - wie soll es auch anders sein - auch wieder auf Yasujiro Ozu. Jenen Ozu, der minimalistisch über die kleinen Probleme der Menschen erzählt, zutiest menschlich, zutiefst realistisch, zutiefst konzentriert auf die wesentlichen Elemente des Films. Ich kannte Ozu bereits, hatte eine handvoll seiner Filme gesehen, doch meine Erinnerungen waren schwach, wie so oft, da ich Filme häufig schnell vergesse und deren Inhalt und das Wissen darüber, wie gut sie mir gefallen haben, daher schnell verfliegen. Ich erinnerte mich an die mittlerweile ausverkaufte Ozu-Box, die einzige, die jemals in Deutschland veröffentlich wurde, die seit 2015 mein Regal schmückt und noch immer nicht vollständig erschlossen war. Wer die Geschichte des Films verstehen will, nun, der muss auch lernen Ozu zu verstehen.

                                    In gut einer Woche sah ich alle sieben Filme Ozus aus jener Box, am vergangenen Sonntag gleich ganze drei hintereinander und stehe nun ähnlich da, wie bereits zuvor. Ich mag Ozu, keine Frage, sein Kino ist mein Kino, auch wenn es immer noch eine handvoll Regisseure gibt, mit denen ich vertrauter werde, und doch bleibt da dieses eine, bei mir grundsätzlich, aber in Ozus Fall inbesondere, auftretende Problem: ich erinnere mich einfach nicht an die Filme. Schon nach ein paar Tagen weiß ich nichts mehr, nicht viel jedenfalls, vermutlich weil die Inhalte oft identisch sind, bei Ozu, irgendwas mit Familie, mit Verpflichtungen und gesellschaftlichen Zwängen, Erwartungen und dem Problem, diesen gerecht werden zu müssen. Vermutlich auch weil Titel wie "Weizenherbst" nichts aussagen, es weder um Weizen, noch um den Herbst geht, aber eben auch nicht jeder Film "innerfamiliäre Diskurse über das Für und Wider bei der Entscheidungsfindung in einer schwierigen Situation" heißen kann. Sieben Tage, sieben Filme, sieben Mal Ozu, sieben Mal in denen ich wieder einmal viel zu abgelenkt war, in denen ich zu verloren in meiner unkonzentrierten Art war, in der ich erkannt habe, dass immer nur anspruchsvolles Kino zu schauen schlichtweg oft meine Möglichkeiten als Mensch übersteigt. Sieben Filme, von denen ich keinen mit weniger als sieben Punkten bewerten musste. Vermutlich nicht, denn so richtig weiß ich es ja nicht mehr. So richtig weiß ich schon jetzt nichts mehr, außer, dass Ozu gut ist, mir seine Filme gefallen, sie einflussreich waren und das auch zurecht, dass ich Wenders mag, der immer wieder betont, wie sehr Ozu ihn beeinflusst hat, mich Wenders Anblick in "The Story of Film" noch immer verstört, ich Wenders mit Schnauzbart und langen Haaren gewöhnunsbedürftig finde, ich abschweife und...

                                    Yasujiro Ozu. Eine Woche lang. Ich glaube sie war gut.

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                                      Nonkonformist 13.02.2018, 22:58 Geändert 19.02.2018, 10:52

                                      Muss ich das erklären, und wenn ja, wie erkläre ich das?
                                      Ich halte David Lynch, den viele - auch mit durchaus ähnlichem Filmgeschmack - sehr mögen, für einen der vermutlich am meisten überschätzten Regisseure des sagen wir mal, etwas anspruchsvolleren Films. Ich weiß nicht mal, ob das Anspruch hat, vermutlich nicht, je nachdem was die eigenen Sehgewohnheiten einem sonst so servieren. "Mulholland Drive" sicherlich, und "Der Elefantenmensch", aber "Wild at Heart" ist bestenfalls ein Film, der - wie, ebenfalls zugegeben, häufiger bei Lynch - primär auf Grund seiner Atmosphäre funktioniert. Und das letztendlich auch nur in der ersten Hälfte.

                                      Ich bin ja bekennend kein besonders großer Freund des amerikanischen Kinos, da die Profitorientierung der meisten Werke oft so unverkennbar ist, die Emotionen derart aufgesetzt, der Humor so platt und die Action so allgegenwärtig, dass ich damit einfach keinen Frieden finden kann. Oft zumindest nicht, bestätigen doch auch hier die glücklichen Ausnahmen die langweilige Regel. Manche teilen diese Meinung hier sogar vielleicht, vielleicht auch nicht, klar sollte aber sein, welche Beliebtheit Lynch ganz unweigerlich gemießt.

                                      Wie die Filme anderer bekannter amerikanische Regisseure, etwa der Coen-Brüder (deren Werk mir ganzheitlich betrachtet durchaus etwas lieber ist), gibt es in den Werken Lynch immer diese Sorte von vollkommen überdrehten, viel zu deplatzierten und überspitzten Charakteren, dass es mir jedes Mal wieder die eigentlich nette Atmosphäre und damit das eigentlich einzige, was ich an den meisten Lynch-Werken mag, versaut. "Wild at Heart" treibt dies auf die Spitze, vor allem im letzten Drittel, vor allem Willem Dafoe als Bobby Peru, vor allem dann wenn der Film erkennen lässt, dass er doch eben primär Unterhaltungskino ist. Weniger verworren, weniger komplex als andere Werk Lynchs, nicht, dass das schlimmer wäre, nur wenn man ansonsten wenig zu bieten hat, bleibt eben nicht viel, was mir beliebt.

                                      Ich mag "Der Elefantenmensch" weil er dem Kino, das ich mag, entspricht, auch wenn er gleichzeitig wie ein Pendant zu Lynch restlichem Gesamtwerk wirkt. Auch der zweite Film, der sich gänzlich aus dem surrealen hervorhebt und fast schon untypisch für einen Lynch-Film wirkt, "The Straight Story", gehört zu jenen seltenen Exemplaren in seiner Filmographie, denen ich etwas positives abgewinnen kann. Weil er nichts reißen will, nichts sein will, was er nicht ist, er sich nicht verliert in immer absurderen Charakteren und Handlungssträngen bei denen Millionen von Menschen überlegen, ob sie denn nun Sinn ergeben oder nicht.

                                      Möglicherweise bin ich dafür einfach der Falsche, meine Betrachtungsweise, ich, mein kino zu realistisch, mein Denken schlichtweg zu wenig surrealistisch. Ich weiß nicht. Mir gibt das nichts, so sehr ich es auch versuche, immer wieder. Vielleicht braucht es mehr Ruhe, mehr von dem weniger, was ich oft im amerikanischen Kino so sehr vermisse, oder zumindest mehr Soundtracks wie den, der "Blue Velvet" zu einem zumindest ansehbaren Film macht.

                                      Ich bin "Wild at Heart" aber fühle hier nichts, nicht viel mehr als große Leere. Wieder einmal.

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                                      • Schwierig das für mich eindeutig zu beantworten. Ich gehöre zu der Sorte, die eigentlich jeden Film den ich mir kaufe, zwei Mal sieht, in der Regel eher häufiger. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass ich beim ersten Mal nicht immer alles mitbekomme, ich manchmal Recht vergesslich bin und mein Kino häufig wohl eher als anspruchsvoll beschrieben werden sollte. Zudem ändert sich mein Geschmack häufiger, Regisseure gewinnen an Bedeutung, andere verlieren selbige.

                                        Oft denke ich mir auch, worauf meine Bewertungen bei einem Yasujiro Ozu, Eric Rohmer oder Carl Theodor Dreyer (um Mal drei Beispiele zu nennen bei denen es besonders schwer ist für mich) beruhen, da ich nur bruchstückhafte Erinnerungen an die Filme habe, da ich sie mehrere Jahre nicht gesehen habe und sie mir auf dem ersten Blick innerhalb ihres Werkes oft Recht ähnlich erscheinen.

                                        Generell bin ich ein Freund davon Qualität über Quantität zu stellen, sehe lieber einen Film zehn Mal oder keinen als einen schlechten, auch wenn sich das natürlich trotzdem nie ganz ausschließen lässt.

                                        Von den immerhin mittlerweile auch etwa 800 Filmen meiner Sammlung habe ich vielleicht die ersten drei Antoine Doinel-Filme, die frühen Godard-Werke, sämtliche Jarmusch-Filme, Chungking Express, Taxi Driver und bedingt durch Freunde mit ähnlichem Humor die Filme von Helge Schneider am häufigsten gesehen .

                                        Aber wirklich glücklich bin ich wohl erst wenn ich jeden Film meiner Sammlung auswendig kenne :D

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                                          Nonkonformist 04.02.2018, 12:27 Geändert 14.02.2018, 10:08

                                          Vermutlich war die Jugend der Teil meines Lebens, den ich einfach übersprang. Es gab sie nicht und wenn war sie so kurz, dass ich sie selbst kaum je registriert hatte. Bis ich fünfzehn war ich ein Kind, mit kindlichen Interessen, gering ausgeprägten sexuellen Interessen und ohne Leidenschaft für die Dinge, die die Erwachsenen eben so gerne machen. Auch mein Schulwechsel zu jener Zeit änderte daran zunächst herzlich wenig, auch wenn das Umfeld, die Menschen, das Leben ein komplett anderes wurde. Meine Noten wurden besser, das Gefühl der aufkommenden Jugend stärker und die Zeit, bis ich meine erste Freundin hatte, geringer. Irgendwann kurz vor meinem 16.Geburtstag und somit reichlich spät war es soweit, war ich soweit und ohnehin längst in die kurze Phase meiner Jugend abgetaucht, jedes Wochenende von Party zu Party hetzend, irgendwo versunken in der fragwürdigen Jugendkultur eines kleines westfälischen Dorfes, zudem ich für eine kurze Zeit zu gehören schien.

                                          Das alles dauerte vielleicht anderthalb, zwei Jahre, war recht turbulent und schnell, aber eben auch ebenso schnell vorbei. Die Wege trennten sich, ich ging fort und versank zum ersten Mal in meiner zu oft verlorenen Art. Ich hasste meine Ausbildung, meinen Ausbildungsbetrieb, zu arbeiten, wenn andere in meinem Alter frei hatten, war anders, naiv und gefangen in einem System in das ich nicht rein zu gehören schien. Wie war ich hier gelandet? Wie hatte ich dieses primitive Verhalten so lange aushalten können und wann, in welchem Augenblick war ich eigentlich so erwachsen geworden?

                                          Ich verließ die Vereine, denen ich mal angehörte, kündigte Freundschaften, die mir zu fremd geworden waren und versank immer mehr in einer eigenen kleinen Parallelwelt, die hier langsam ihren Anfang fand. Mit 18 schrieb ich zum ersten Mal Geschichten, eröffnete einen Interrnet-Blog, philosophierte und verliebte mich statt in Frauen in die deutsche Sprache, begann zum Erstaunen meiner Eltern zu lesen, mich für Musik zu interessieren und brauchte plötzlich zum ersten Mal in meinem Leben ein damals noch sperrliches DVD-Regal. Ich hatte drei Leidenschaften gefunden, drei, die mich in anderen Sphären brachten, mich gleichzeitig aber von vielen Dingen des Lebens rasend schnell entfernten.

                                          Bin ich heute nostalgisch und vermisse die alten Tage, dann ist es nicht wie bei anderen die WG-Zeit während eines Studiums, die erste große Liebe oder der erste gemeinsame Urlaub mit Freunden, sondern genau die Zeit, die danach kam. Die Zeit in der ich ein junger Erwachsener mit viel Zeit und wenig Pflichten war, mich Filme und Musik aus meiner ersten kleinen Depression holten und ich auch die Natur wieder für mich entdeckte. Ich hatte viel Zeit, wenig Freunde, aber ich nutzte es, so sehr ich nur konnte und bereue rückblickend keine Minute jener Tage. Jeden Samstag- und Sonntagmorgen lag ich im Bett und schaute mir das Kino an, das ich zu lieben begann, schaute mir die Filme der Truffauts, Godards oder Bergmans an, sehnte mich nach einer Zeit, die ich nie erlebt hatte, nach rauchenden Männern mit Hüten und einer Zeitung in der Hand in Straßencafés, nach dem Gefühl einer nie endenden Jugend, dem Geruch des Kaffees am Morgen und der Natur. Ich liebte, was ich lebte, hielt mich für unfassbar kulturell und bei mir, auch wenn ich nur der stetig allein wandernde junge Erwachsene war, den ich in diesen Tagen perfekt verkörperte.

                                          Heute bin ich 25.
                                          Gegen die Arbeit sträube ich mich wie am ersten Tag, kann das nicht so hinnehmen wie andere, will arbeiten um zu leben und nicht wie sie sein. Ich will nicht alles opfern was ich habe um dieses dreckige Geld zu verdienen, nicht meine Arbeit nur machen müssen, sondern mich damit identifizieren, das Unternehmen für das ich arbeite verkörpern. Anders nur als damals, muss ich diesen Rebell die meiste Zeit vom Tag stillhalten, in mich kehren und mich besinnen, dass es derzeit keinen Ausweg gibt. Denn ich habe Pflichten, ich habe Ausgaben, muss Miete zahlen und somit dafür sorgen, dass irgendwie Geld reinkommt. Nur wie? Ist das mein Leben? Vor mir zu flüchten, immerzu mich selbst zu verstellen, jede Nacht neun Stunden schlafen zu müssen, um nicht noch müder zu sein, fünf Tage die Woche von acht bis 17 Uhr zu arbeiten, am Wochenende dann keine Kraft und Konzentration mehr zu haben, um zu lesen und Filme zu schauen, die mehr sind als die Massenware, die das Fließband heute so ausspuckt.

                                          Das Kino ist mir oft fremd geworden, ich oft zu müde und zu unkonzentriert, gefangen in den Gedanken meines Kopfes, die mich selten glücklich machen. Ich habe doch alles gesehen denke ich oft, kenne alle großen Klassiker des europäischen Kinos, kenne die Godards, Truffauts und Bergmans und auch sonst fast alle, fast so als gäbe es sonst nichts, was mich begeistert. Begeisterung finde ich ohnehin viel zu selten, schon gar nicht im oft zu profitorientierten amerikanischen Kino, das mir bis heute so fremd ist. Viel zu oft lege ich Platten auf und starre aus dem Fenster, sehnsüchtig suchend nach einem Weg, den ich noch nicht endeckt habe, einen der herausführt aus den aufkommenden Pflichten eines Lebens, das ich immer weniger verstehe. In dem ich auch wie Antoine Doinel merke, dass ich anders bin, eigentlich liebenswert und charmant, doch verloren, verloren in einem System, das Träumer wie mich überrrollt, wie es einst meine Jugend überrollte. Dann eben doch wieder Truffaut, Godard oder auch Bergman. Dann eben doch wieder das, was ich immer und immer wieder sehe. Antoine und Colette. 30 Minuten. Einfach mal weg sein. Atmen. Leben. Kino. Ich.

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