Punsha - Kommentare

Alle Kommentare von Punsha

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    über Exil

    Visar Morina muss man im Auge behalten. Lange nicht mehr einen so klug geschriebenen und dicht inszenierten Film gesehen. Anfangs dachte ich noch einen politisch allzu korrekten und überzeichneten Film über Alltagsrassismus und Mobbing am Arbeitsplatz zu sehen, doch je tiefer man in den Film eintaucht, desto komplexer werden die immer wieder auftauchenden Konflikte und desto fragiler wird der eigene moralische Standpunkt. Die beklemmende Inszenierung trägt ihren Teil dazu bei, dass man irgendwann nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, aber das immer deutlicher werdende Gefühl einer Paranoia, und hier liegt das besondere an diesem Drehbuch, verharmlost nicht den Rassismus, den Xhafer umgibt und einschnürt, sondern verdeutlicht für jeden Zuschauer umso besser die einengende und erniedrigende Perspektive eines Deutschen mit Migrationshintergrund. Und Misel Matičević spielt das phänomenal und unvergesslich. Wahnsinns-Film.

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      „Is anyone seeing this?“

      Angst vor einer Naturkatastrophe, Angst vor dem finanziellen Ruin, Angst vor einer Epidemie, Angst vor der eigenen Familie und schließlich auch die Angst vor sich selbst - Jeff Nichols' stilles Weltuntergangsszenario ist fernab von Massenpanik und Terror die Analyse der Ängste eines hingebungsvollen Familienvaters. Michael Shannon spielt jenen Mann, der sich selbst die Rolle des Familienoberhaupts auferlegt hat und sichtlich unter dem riesigen Druck leidet, nicht versagen zu dürfen. Wie soll es weitergehen, wenn ich gefeuert werde? Was passiert, wenn mich dasselbe Schicksal meiner Mutter ereilt? Wie schütze ich meine Familie, wenn es zu einer unkontrollierbaren Katastrophe kommt, von denen fast täglich in den Medien berichtet wird? Ein unheimlicher Druck lastet auf seinen Schultern, den er nur noch einer gigantischen Urgewalt zuzuordnen vermag. Alles fängt mit Alpträumen an, Halluzinationen, Panikattacken, vollurinierten Bettlaken - zu stolz, sich seiner Ehefrau mitzuteilen und zu ängstlich, um untätig zu bleiben. Besessen von seiner Vision baut er einen Bunker, um sich wieder sicherer zu fühlen und entfernt sich immer mehr von seiner Familie und seinem Umfeld. Trotz dass alles darauf hinweist, dass Protagonist Curtis LaFoche den Verstand verliert, wahrt Nichols durch eine absolut einnehmende Atmosphäre und nicht seltenen Schockmomenten die knisternde Spannung. Dennoch ist die Frage nach Realität oder Fiktion in „Take Shelter“ nur zweitrangig, denn es ist primär die traditionelle Familienrolle des Mannes, die Nichols in seinem Film zu kritisieren versucht. Der sensible Vater kann diese höchste Position, obgleich er es mit allen Mitteln versucht, nicht allein stemmen, denn er hat mit denselben menschlichen Schwächen zu kämpfen, mit denen alle Geschlechter zu kämpfen haben. Nur gemeinsam lassen sich Krisen bewältigen, Psychosen besiegen und Naturkatastrophen abwenden - Hand in Hand in Hand.

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          Green Lantern, Hulk, Hellboy, X-Men, Watchmen, Thor, und, und, und: Sie alle sind Superhelden, die in den letzten Jahren auf die Leinwand transportiert wurden und werden wie in den Comics in eine reale Welt gesetzt, in der niemand ihre Fähigkeiten hinterfragt. Und wir als Zuschauer erfreuen uns an ihren Heldentaten und genießen ihre One-Man-Show, während wir uns aber zu jeder Zeit bewusst sind, dass so nicht die Realität aussieht. Doch UNBREAKABLE fühlt sich anders an. "Logisch, ist ja auch keine Comic-Adaption", möchte man meinen, aber so einfach kann man das nicht abhandeln, denn hier wird sich ebenso mit dem Übernatürlichen, mit dem Wesen des Superhelden befasst. Shyamalan verankert nur seinen Helden tiefer in der Gesellschaft, lässt ihn an seinen Fähigkeiten zweifeln und bastelt einen realen Kontext mit Hilfe der Comics, deren Geschichten womöglich nicht einfach der Fantasie entspringen. Atmosphärisch weniger fesselnd als sein Vorgänger THE SIXTH SENSE, aber mindestens genauso mystisch und geheimnisvoll rätselt der Zuschauer mit, wenn es um die seltsame Natur zweier Männer geht, die ein und dasselbe Schicksal teilen und dennoch gegensätzlicher nicht sein können. Es ist, als ob wir uns in einer anderen Welt befinden, die sich von unserer kaum unterscheidet und es liegt nun an jedem Einzelnen selbst, diese zu akzeptieren oder ihre Existenz als idiotisch abzuhandeln. Shyamalan hat mich gepackt. Ich akzeptiere sie.

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            Punsha 23.11.2014, 14:10 Geändert 23.11.2014, 14:28
            über Geister

            HBO: Sieh zu und lerne.

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              Eine halbe Ewigkeit ist es her, als Ridley Scott noch kein x-beliebiger Regisseur war, und doch lebt sein unvergessenes Glanzstück "Alien" in ihm weiter, als wäre es erst gestern gewesen. Ein für die Größe dieses Werks sinnbildliches bombastisches Raumschiff schwebt durch die Sphären des Alls, als wollte es sagen: 'Ja, seht mich an. So etwas war damals schon möglich.' Kaum zu glauben. Scott filmt milimetergenau in schier endlosen Plansequenzen jede kleinste Ecke im Innern des Schiffs und verzaubert das Wohnzimmer zu einem kalten und schwerelosen Raum, während man als Filmfan innerlich jubelt, wenn man erkennt, wie jede Kameraeinstellung perfekt sitzt. Mit minimalistischen Mitteln erzeugt er eine Atmosphäre, die durch ihre Einzigartigkeit einen eigenen Namen verdient und verwandelt so die unendlichen Weiten des Weltraums in ein klaustrophobisches Gefängnis. Selten war es so mitreißend anzusehen, wie ein bereicherndes Crewmitglied nach dem anderen sein jähes Ende findet, bis Scott schließlich kaum merklich in einer schier ausweglosen Situation eine echte Amazone hervortreten lässt, die auch heute noch als Vorbild für eine Emanzipation der Frauen im Filmgeschäft steht. Weitere Beweise, dass "Alien" von der Kritik am Forscherdrang bis hin zur im Nachfolgewerk "Blade Runner" wesentlich ausführlicher ausforumulierter Definition des Menschseins noch auf tieferen Ebenen funktioniert, gibt es also zur Genüge, doch sollte man dabei nicht außer Acht lassen, wofür "Alien" primär steht: Für ein unantastbares Muster- und Meisterstück des Horrorfilms, und das ist er auch - verdammt nochmal!

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                Punsha 02.12.2015, 17:40 Geändert 02.12.2015, 17:42

                Nachdem schon MISSION: IMPOSSIBLE viele fast schon vergessene Talente De Palmas wieder an die Oberfläche brachte, scheint er mit SNAKE EYES endlich sein zu Hause (wieder)gefunden zu haben. Und das sind weder Komödien noch Western noch Gangsterdramen, das ist der klassische Thriller ohne Botschaft, ohne unnötig komplexe Charaktere, stattdessen mit einem Nicolas Cage im Hawaiihemd unterm Jackett (instant 8) der wiedermal komplett abdrehen darf. Inmitten von Betrug, Korruption und falscher Berichterstattung sucht er die Antwort einer von De Palmas grundlegendsten Filmemacher-Fragen: Wie viel Wahrheit steckt noch in der Kamera?
                Ganz nach Kurosawas RASHOMON erfolgt die Auflösung des Kriminalfalls anhand verschiedener mal mehr, mal weniger zuverlässiger Blickwinkel, die die philosophische Tragweite der Vorlage nie gerecht werden. Aber warum auch? Schuster de Palma bleibt bei seinen Leisten und liefert exzellente Unterhaltung für Auge und Körper. Die erste viertel Stunde ist ein einziger, cineastischer Orgasmus, der Rest genüssliches Nachspiel.

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                  Irrwitzige wie treffende Satire über eine Großstadtfamilie, die nach allen Regeln der Kunst übers Ohr gehauen wird und statt den Traum vom eigenen Haus zu verwirklichen, unter die Dampfwalze kapitalistischer Institutionen gerät. Für Fans des schwarzen, österreichischen Humors ein absolutes Muss.

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                    Dass mich dieses in Kitsch ertränkte Abgenerde kriegen würde, hätte ich nie gedacht. Aber ein Kinobesuch hat eben auch immer ein Momentum - und das hatte der Film definitiv auf seiner Seite. Lange hab ich mich nicht mehr so verbunden mit dem Publikum gefühlt, zusammen geweint und gelacht wie mit 12 und derlei Emotionen offen und ehrlich vor mir hergetragen. Es ist ein Film, dem ich gerne alles verzeihe und es ist vor allem endlich ein Film im Mainstream-Kino, der es im Gegensatz zu platten Superhelden und Raumschiffen wirklich versteht, die unendlichen Möglichkeiten des Filmemachens zunutze zu machen - und dem Kino damit eine Zukunft gibt.

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                    • 8

                      Es ist der Geburtstag der Mutter ihres Freundes Adi, ein Ereignis von sekundärer Wichtigkeit, das sie nichtsdestotrotz keinesfalls missen durfte. Eng aneinandergequetscht sitzen alle Gäste an einem verhältnismäßig winzigen Tisch und tauschen vollkommene Nichtigkeiten aus, lachen über Trivialitäten, während in der Mitte des Bildes die Studentin Otilia in ihrem auffällig grünen Pullover wie ein Fremdkörper wirkt. In Gedanken versunken, ist sie noch nicht im Hier und Jetzt angekommen, sondern schwelgt stattdessen in den grausamen Erinnerungen vergangener Stunden. Nur wir wissen, was momentan in ihrem Kopf vorgeht ... und sind erschüttert. Diese beinahe 10-minütige Plansequenz ist beispielhaft für die große Stärke des Cannes-Gewinners von 2007, zeigt sie doch mehr als treffend die klaren Prioritäten, die Regisseur Cristian Mungiu für sein gesellschaftskritisches Schicksalsdrama setzt. Nicht das eigentlich Schockierende ist von Bedeutung, sondern der Schock, den die Figuren anschließend tragen, der sie nachdenklich stimmt und verzweifeln lässt. Das Subtile, das Unterbewusste und das scheinbar Alltägliche rüttelt uns wach, weil wir wissen, dass im Verborgenen gerade irgendetwas Schlimmes geschieht. So lässt uns Mungiu nicht an einer Vergewaltigung teilhaben, dafür aber am (zeitgleichen) unaufhörlichen Tropfen des Wasserhahns, das die Gräueltat verschleiern soll, aber einfach nicht dazu imstande ist. Es dringt zu uns durch.

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                        Punsha 24.02.2015, 01:15 Geändert 24.02.2015, 01:17

                        Als Doc schließlich den sichtlich erleichterten Coy Harlingen in die Freiheit, zurück zu seiner Familie, entlässt, erhebt Anderson schließlich seine Hauptfigur zum stillen Helden. Doch auch er ist ein Held der tragischen Sorte. Ein Mann, den die Einsamkeit plagt, den Erinnerungen antreiben, selbige permanent erstickt, nur um sie wieder aufkeimen lassen zu können. Er braucht seine Shasta, genauso sehr wie Lt. "Bigfoot" ihn. Paul Thomas Anderson nächstes Kunstwerk ist nicht nur zum Brüllen komisch, sondern zieht aus einem großen Nichts aus Verwirrungen und Verstrickungen wieder einmal die ganz großen Inhalte. Es scheint fast so, als wäre die Welt ein einziges Chaos aus Wahn- und Widersinn, alles verschwimmt, alles verändert sich. Nur das Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Nähe bleibt bestehen, ordnet das Chaos, schafft einen Sinn.

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                          Wer hätte gedacht, dass die Fortsetzung eines 23 Jahre lang unangetasteten, populären und hoch geschätzten Klassikers ohne seinen Erschaffer Alfred Hitchcock so gut werden kann? Als Vorläufer des heutigen Franchise-Wahnsinns hat Richard Franklins "Psycho II" damals wie heute mit den Schmährufen vieler Fans zu kämpfen. Ein Missverständnis wie sich herausstellt, bietet doch die so genannte Auferstehung des Psychos zahlreiche Querverweise auf Hitchcocks Meisterwerk und eine liebevolle Rekonstruktion alter Requisiten, weshalb man hier vielmehr von einer Verbeugung als von einer Verunglimpfung sprechen muss. Nicht zuletzt der zurückgekehrte Anthony Perkins, der sich noch einmal seiner Paraderolle annimmt, liefert genügend solcher Beweise, denn von Norman Bates ist nach über zwei Jahrzehnten absolut gar nichts verloren gegangen. Die aufgeregte Art, das unsichere Grinsen und wie er sich selbst durchs Haar strubbelt - Eine Kultfigur des Kinos kehrt ohne jegliche Verbrauchsspuren zurück und weiß den Zuschauer noch genauso gut mitzureißen wie der Film selbst. Nur diesmal gilt Bates als rehabilitiert, bis ihn seine Vergangenheit nach und nach einzuholen versucht. Wieviel kann seine Psyche verkraften, bis er rückfällig wird? Wann wird das Fass zum Überlaufen gebracht? Wie lange wird es dauern, bis Mutter wieder das Zepter übernimmt? Franklin spielt mit den Nerven des Zuschauers, hält sich stets mehrere Lösungen offen und gipfelt seinen Film schließlich in einer genialen Endszene, in der er trotz neu eingeschlagener Wege letztlich doch einen formvollendeten Kreis schließt und einen meisterlichen Klassiker zu meisterlichen Kult macht.

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                            Hunderte, vielleicht tausende Kriegsgefangene beherbergt das Kriegsgefangenenlager "Stalag Luft III", eine riesige Ansammlung von Menschen, die ein Ziel verbindet: Ab nach Hause, zurück zur Familie. Und dabei scheinen es die Gefangenen zwischen all dem Stacheldraht gar nicht so schlecht zu haben, denn, wie mehrmals betont, sind die Deutschen der Luftwaffe weit weniger streng als die Gestapo oder die SS. Es folgt ein Ausflug wie auf Klassenfahrt, während der man die "Betreuer" nur zu gern reinlegen oder reizen möchte und stets an der Grenze zum Unerlaubten wandelt. Ob man nun die ständigen Ausbruchsversuche, oft weniger von Erfolg geprägt, das Enfant terrible Steve McQueen, dem nichts die Laune zu trüben vermag oder das regelrecht zum Schmunzeln veranlassende Ende her nimmt: Wie schon Billy Wilder in Stalag 17 setzt auch John Sturges auf Amüsement in Gefangenschaft, versucht vom Schrecken der NS-Zeit abzuweichen und zeigt abseits der Front und den Konzentrationslagern, dass Humor und Menschlichkeit nicht tot zu kriegen sind. Im Gegensatz zu Wilder, der zu offensiv und beinahe schon provokativ ein verdrehtes Weltbild kreierte, gelingt Sturges der rosarote Farbanstrich wesentlich besser, da er sich vor der Realität nicht verschließt und dem Zuschauer die kuriosen, wie auch grauenvollen Tatsachen dieser wahren Begebenheit nicht vorenthalten will. Ganze 172 Minuten benötigte er, um die Geschichte der Massenflucht 1944 nachzuerzählen. Beinahe drei Stunden, die zu keinem Zeitpunkt wirklich langweilig werden, denn das stetige Interesse ist der Exaktheit des Drehbuchs geschuldet. Aufs Haar genau werden uns die Wochen von der Idee, über die Planung, bis zum tatsächlichen Ausbruch geschildert. Kein Detail wird verschwiegen. Baustein für Baustein vervollständigt sich der Weg zur Freiheit mit steigender Spannung und Relevanz, lässt seine anfangs eher blassen Charaktere zur Entfaltung kommen und erreicht in der Nacht des Ausbruchs schließlich seinen unangefochtenen Höhepunkt. Die darauffolgende Flucht, geprägt von Höhen und Tiefen, ist ebenso interessant wie unterhaltsam. Wer schafft es nach Hause, wer wird wieder eingefangen? Die Kamera folgt den Hauptfiguren auf ihren individuellen Wegen zu Wasser, zu Land, zu Luft, während wilde Verfolgungsjagden mit großartigem Score untermalt werden, sodass das herrliche Gefühl eines locker-leichten Katz-und-Maus-Spiels entsteht. Gänzlich anders als die erste Hälfte des Films und dennoch so genau und detailliert wie eh und je. So wird Realität nacherzählt.

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                              Punsha 24.11.2015, 16:49 Geändert 02.12.2015, 16:36
                              über Ekel

                              Es gibt Frauen, die sind so schön, so zart, dass man denkt, man könne sie nicht berühren, man würde sie beschmutzen, wenn man seine eigene, beharrte, bakterielle Haut, unter der es an Fleisch, Blut und Exkrementen brodelt an das beinahe schon plastisch-vollkommene Gegenüber reibt. Carole (Catherine Deneuve) in REPULSION ist eine solche Frau. Unschuldig, unberührt und engelsgleich, leicht wie eine Feder geht sie gedankenverloren durch ihren Alltag, immer in ihrer eigenen Welt, in ihrem Geist verschwunden und gefangen. Es ist diese Reinheit, die Polanski in seinem Film gegen das Verdorbene, das Schmutzige, das Sexuelle einen aussichtslosen Kampf kämpfen lässt; die friedliche Abgeschiedenheit der Wohnung (die Seele) gegen die äußeren Unruhestifter wie soziale Verantwortung und Konvention. Natürlich aber kommentiert der Regisseur das Geschehen zu keinem Zeitpunkt, REPULSION ist in erster Linie immer noch ein surrealer Horrorfilm ohne Botschaft, sein neuer Surrealismus ist, auch trotz Traumsequenz und Bunuel-Zitats zu Beginn, keiner, der Traum und Realität gegenüberstellt, sondern einer, der die subjektive Wahn- wie Alltagswahrnehmung seiner Hauptfigur nach außen kehrt und für den Zuschauer real erfahrbar macht.
                              Und immer wieder findet Polanski dafür aufregende Bilder: Seien es die Risse im Ornament, der Tierkadaver, die grapschenden Hände aus der Wand: Sie alle dokumentieren den seelischen Zerfall eines Opfers einer das soziale Leben dominierenden Männlichkeit, das sich gegen das unaufhaltsame Eindringen alles Maskulinem zu verteidigen versucht. Beinahe wirkt der Film an Symbolen und Motiven gar überladen, wechselt sich ab mit Subtilem (Fötusmetapher) und Plakativem (Nonnen) und ist vielleicht deshalb nicht Polanskis reifster Film, dafür aber ein hochinteressantes und komplexes Frühwerk, das hohe Maßstäbe setzte.

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                                über Ed Wood

                                „Visions are worth fighting for. Why spend your life making someone else's dreams?“

                                Taucht ein in die riesige Welt Hollywoods, taucht ein in den Verstand eines engagierten, sympathischen, aber offenbar talentfreien Regisseurs, taucht ein in ein besonderes Stück Filmgeschichte. Tim Burton geht durch die Zeit zurück in die 50er, malt alles schwarz-weiß an, lässt durch einen grandiosen Cast tote Menschen wieder auferstehen und rekonstruiert mit viel Liebe zum Detail jegliche Requisiten aus bestimmten Filmen, um wohl einen der größten Filmliebhaber die Ehre zu erweisen, die ihm gebührt. Edward D. Wood Jr. war ein Kämpfer, ein Träumer und nicht zuletzt ein leidenschaftlicher Künstler, der nichts weiter wollte als den Menschen aufregende Geschichten zu erzählen und seine große Liebe zum Film zum Ausdruck zu bringen. Doch jeder seiner Filme waren für die Masse ein absolutes Desaster und Burton zeigt, wie Wood aller Widerstände zum Trotz seine Liebe treu bleibt und mit allen Mitteln versucht, weiterhin Filme zu produzieren.
                                Der Film bleibt dabei in den treuherzigen Gefilden des Protagonisten, die somit in einer positive Grundstimmung resultieren und doch hin und wieder in Momenten, in denen Wood an seinem Talent zweifelt, von der unbarmherzigen Realität eingeholt werden. Nicht zuletzt deswegen gibt Burton seine Figur nicht der Lächerlichkeit preis. Im Gegenteil. Man spürt zu jeder Sekunde die ehrliche Sympathie, die Burton für diesen Mann empfindet und die sich letztlich auch auf uns überträgt. Insofern man das tut, wofür man Leidenschaft spürt, tut man das Richtige. Neben dieser offenkundigen Lebensweisheit spiegelt ED WOOD ebenso die freundschaftliche Beziehung zweier Männer wieder, die einander brauchen. Der eine ein alternder Filmstar, dessen Stern längst gesunken und den Drogen verfallen ist, der andere ein ehrlicher Bewunderer des Ersteren, ein junger, erfolgloser Regisseur der in Hollywood versucht Fuß zu fassen. Bela Lugosi darf wieder in Filmen mitspielen und Ed Wood hat hingegen einen Star in seinen Werken, die sie für die Masse ansprechender machen, und doch zeigt der Film, dass sich zwischen den beiden so viel mehr als eine bloße Zweckfreundschaft entwickelt. In diesem Biopic steckt so viel mehr als die Geschichte eines einzigen Lebens: Es ist vielmehr eine wunderschöne Liebeserklärung an den liebevollen, altmodischen Trash, an die Freundschaft, an den stilvollen Horror der 30er Jahre und natürlich an das Medium Film an sich. Kein Film hat jemals mehr Interesse an einen Menschen geweckt, als ED WOOD an ... Ed Wood.

                                „This is the one. 'This' is the one I'll be remembered for.“

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                                  Hervorragende Mischung aus zurückhaltender Charakterstudie und spannendem Crime-Plot, die zeitlich zwischen Monumenten wie Godfather I + II und Apocalypse Now in Coppolas Œuvre ein wenig unterging. Zu unrecht, wie sich herausstellt. In gewohnt gemächlichem Schritt erzählt "The Conversation" eine kritische Phase aus dem Leben des Abhörspezialisten Harry Caul (Gene Hackman), der, paranoid und verschlossen, bereits zu seinem eigenen Beruf geworden ist. Ungemäß seinem Titel sind es hier nicht die Konversationen, die am meisten sagen, sondern die Momente der Stille, in denen die Mikrofone stumm sind und das Abhörgerät schweigt; jene, in denen Harry ängstlich unter dem Sofa kauert und vor sich hinstarrt oder jene, in denen er einfach nur grübelt und die Kamera uns erzählt worüber. Ein leises Meisterwerk über den Wert der Privatsphäre.

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                                    Endlich mal wieder ein herrlicher Spaßmacher am Nachmittag. Britischer, schwarzer Humor in einer intelligenten Story, die mit reichlich urkomischen Überraschungen aufwartet. John Cleese spinnt in seiner einzigen Regiearbeit ein verschachteltes Figurennetz talentierter Schauspieler, die allesamt um Jamie Lee Curtis kreisen. Leicht hätte sie zwischen den großartigen Kline, Palin und Cleese höchstselbst untergehen können, doch sie stemmt ihre Hauptrolle zwischen all den Männern mit einzigartiger Bravour und hat neben dem originellen Drehbuch einen erheblichen Anteil daran, dass A FISH CALLED WANDA eine perfekte, in sich stimmige Komödie ist.

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                                      Reality TV der Meisterklasse, RTL (2) mit Anspruch.
                                      FISH TANK erzählt die Geschichte von Mia Williams (Katie Jarvis), einem typischen Teenager, der in einem Drecksloch, seinem eigenen Aquarium, gefangen ist. Asozial, fluchend, aggressiv und nervtötend ist Mia nicht gerade die sympathischste Hauptfigur, erwirbt aber das Verständnis der Zuschauer, wenn dieser sich ihr Umfeld genauer unter die Lupe nimmt: Die Mutter trinkt, hurt herum und kümmert sich einen Dreck um ihre Kinder, und die kleine Schwester raucht und kennt alle möglichen Schimpfwörter. Wie kann man unter diesen Bedingungen nicht zu einem ungehorsamen Balg verkommen? Einen Ausweg verspricht nur der neue Freund ihrer Mutter (Michael Fassbender), der sozial besser dazustehen scheint, als Erster Interesse an Mia zeigt und an ihr Talent, das Tanzen, glaubt. Doch alles läuft anders, als es die Protagonisten vorhergesehen hatten. FISH TANK ist anders. Es ist eine zutiefst pessimistische und doch stets realitätsnahe Milieustudie, die nicht einmal ansatzweise den Glauben an einen amerikanischen Traum in Betracht zieht und ihn genau deshalb einen Schlag ins Gesicht verteilt. Jarvis, die ohne Schauspielerfahrung tatsächlich aus diesem Milieu stammt, spielt großartig. Man kann nur hoffen, dass sie den Sprung zu einer seriösen Schauspielerin schafft. Jedoch wenn es nach FISH TANK geht, stehen die Chancen schlecht, denn seinen Wurzeln entkommt man nicht. Den Käfig kann sie verlassen, aber nur um ihn gegen einen neuen Käfig einzutauschen.
                                      Käfig bleibt Käfig.
                                      Aquarium bleibt Aquarium.
                                      Fish tank remains fish tank.

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                                        über Misery

                                        „I am your number one fan. There is nothing to worry about. You are going to be just fine. I am your number one fan.“
                                        Was wären große Persönlichkeiten ohne ihre Fans? Unbekannter, ärmer, selbstloser und vor allem, wenn es nach MISERY geht, sicherer. Man stelle sich eine Teenager-Göre vor, die Daniel Radcliffe, der sich verhement von seinem Harry Potter-Image zu befreien versucht, vor dem Tod rettet und bei sich aufnimmt. Was wäre also für ihn schlimmer, als ewig in diesem Haus gefangen zu sein und seinen Fan mit dem eigenen verhassten Leben zufriedenzustellen? Ähnlich verhält es sich mit MISERY, in dem der erfolgreiche Schriftsteller Paul Sheldon (James Caan) endlich seinen letzten Misery-Band fertiggestellt hat und nun Abschied von einer Romanfigur nimmt, die seine ganze Karriere stets begleitete, um nun von seinen härtesten Kritikern wieder als ernstzunehmender Bestseller-Autor akzeptiert zu werden. Doch ein Unfall im Schneechaos verhindert seine Rückkehr nach Hause und seine Überlebenschancen stehen schlecht, bis ihn Annie Wilkes (Kathy Bates), sein größter Fan, rettet und bei sich aufnimmt. Noch ahnt er nicht, was für ein Charakter tatsächlich hinter seiner Retterin verbirgt, bis diese Pauls Buch liest und erfährt, dass die Heldin ihres Lebens sterben soll...
                                        Stephen King machte es vor, Rob Reiner macht es ihm auf unwiderstehliche Weise nach: MISERY ist der Horrorthriller schlechthin, der Spannung, Entsetzen, Ekel, Angst und sogar Humor in sich vereint und unverbraucht reflektiert. Reiner braucht nicht mehr zu machen, als eine lupenreine Adaption der Romanvorlage zu erschaffen, denn den Rest erledigen seine Darsteller, in deren Facettenreichtum sich auch verschiedenste Emotionen des Zuschauers widerspiegeln. Tatsächlich habe ich noch nie ein unterhaltsameres Schauspiel als jenes, der beiden Protagonisten erlebt. Wenn sich Kathy Bates wie ein kleines Kind freut und im Zimmer herum hüpft, dann plötzlich völlig ausrastet und schließlich melancholisch und schwermütig nach ihrem Revolver greift, James Caan schmeichelnd der Irren Honig ums Maul schmiert, später zum Zyniker avanciert oder schwer atmend und schmerzvoll durch die Wohnung kriecht, dann ist man ebenso mal schockiert, mal erfreut, mal angewidert, mal belustigt. Und wo der alte Sheriff und seine Frau den Zuschauer durch ihre Ehe mit der notwendigen Würze liebevoll zum Schmunzeln bringen, ist die Chemie zwischen Bates und Caan deutlich schwarzhumoriger angesetzt, so schwarz, das so manchen möglicherweise das Lachen im Halse stecken bleibt. MISERY spielt mit dem Zuschauer und überfliegt, trotz seiner einwandfreien, spannungssteigernden Dramaturgie, teilweise die Geschmacksgrenze seines Publikums. Ich aber erfreue mich jedes Mal köstlich am herausragenden Schauspiel zweier Künstler, die, zusammen mit der starken Romanvorlage, MISERY zu einem unvergesslichen Erlebnis und einem unverzichtbaren Teil meines Lebens macht. Ja, ich bin ein Fan. Seid gewarnt!

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                                          "It is more difficult to pretend that you do have feelings when you don't, than to pretend that you don't have feelings when you do."
                                          Eigentlich nur eine blasse These des Protagonisten David (lieb gewonnen: Colin Farrell) und doch ein Spiegelbild des gesamten Films und seinem Duktus. Hätte Giorgos Lanthimos sich diesem gen Ende ein klein wenig energischer entzogen, THE LOBSTER wäre in die Filmgeschichte eingegangen. So bleibt er immer noch nicht mehr und nicht weniger als einer der erfrischendsten Filme der letzten Jahre.

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                                            Es ist schlichtweg bemerkenswert wie Wunderkind Anderson selbst dem so ausgelutschten, skurrilen Liebesfilm von "Harry und Sally" bis "True Romance" noch etwas Neues, völlig Erfrischendes abgewinnen kann. Weg von monumentalen Meisterwerken in Überlänge schafft er mit "Punch-Drunk Love" das komplette Gegenteil seiner vorangegangenen Filme und beweist damit ungeheure Vielseitigkeit. Während er hier zwar weiterhin auf altbewährte Mittel wie langsame Kamerafahrten, das Spiel mit Licht und Schatten und einem alles überstrahlenden Score arbeitet, verleiht er seiner Geschichte, und das brauch sie, ebenso eine große Portion Herz, Sympathie und Verständnis. Ein herrlich abgedrehter, süßer Film mit einem durchaus angenehm aufspielenden Adam Sandler und nur aufgrund seiner eher unbedeutenden Thematik zu Unrecht im Schatten Andersons anderen Werke.

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                                              Nach Eastwoods durchaus gelungener pazifistischer Botschaft in FLAGS OF OUR FATHERS, komplettierte er sein kritisches Werk, indem er sich in LETTERS FROM IWO JIMA noch einmal dem selben Krieg widmet und sich dabei auf die japanische Gegenseite konzentriert. Aber war das denn wirklich noch nötig?
                                              Nein, nötig war das vielleicht nicht, denn beide Filme funktionieren auch absolut unabhängig voneinander, aber vor allem Letzterer hat die Liste der (Anti-)Kriegsfilme ungemein bereichert. Mit einer gehörigen Portion Mut und Innovation stellt Eastwood die traurigen Einzelschicksale japanischer Soldaten dar und lässt das Publikum mit der schon von Beginn an hoffnungslos unterlegenen Streitmacht mitfühlen, während die Amerikaner auch für den Zuschauer als Feinde angesehen werden, jedoch ebenso menschliche und unmenschliche Züge offenbaren. Ein Film, der nicht nur durch seine Optik brilliert, sondern auch in einigen denkwürdigen Szenen herausfordert, fesselt und schockiert. Für mich Eastwoods bisher reifste Regiearbeit und sein mit Abstand wertvollster Film. Klasse!

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                                                Wer natürlich-starke Frauenrollen sehen will, sollte mal einen Blick in Chabrols LA RUPTURE riskieren. Was Stéphane Audran da eisern spielt, ist ein zu Film gewordenes Denkmal. Da können Michel Bouquet als gieriger Immobilienmogul und Jean-Pierre Cassel als schmieriger Ganove noch so bösartig auf sie einwirken: Die Frau bleibt standhaft und entschlossen, ihr Kind zu behalten. Die im Verlauf immer stärker werdende Skrupel-, aber auch Hilflosigkeit der Bourgeoisie ist spannend zu beobachten und eine am Ende verzeihende Umarmung zweier Geschiedener zerreißt einem fast das Herz. Bis dato mein liebster Chabrol.

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                                                  „Manchmal bedrückt mich die Nacht, diese Dunkelheit, dieses Schweigen. Dieser Frieden macht mir Angst. Diesen Frieden fürchte ich mehr als alles andere. Ich habe das Gefühl, als wäre er ein Trugbild, hinter dem sich die Hölle versteckt. Ich frage mich, was die Zukunft meinen Kindern bringen wird. Die Welt wird wunderbar sein, sagen sie. Aber wie kann sie wunderbar sein, wenn jemand nur auf einen Knopf zu drücken braucht, um sie in ein Chaos zu verwandeln? Man sollte fern aller Leidenschaft, jenseits aller Gefühle leben, in jener Harmonie, wie sie nur ein vollendetes Kunstwerk besitzt. In einer solchen verzauberten Ordnung. Man müsste so sehr lieben können, um außerhalb der Zeit zu leben, losgelöst ... losgelöst.“

                                                  Neben Fellinis Dokumentation des Roms der Nachkriegszeit und seiner offensichtlichen Bloßstellung der Paparazzi, stellt "La dolce vita" vor allem den kritischen Zustand einer rast- und ruhelosen Gesellschaftsschicht dar, die sich besonders in seiner Hauptfigur wiederspiegelt und über die Unfähigkeit zu verweilen und zu genießen lehrt. Der Journalist Marcello Rubini ist ein unglücklicher, ständig mit sich unzufriedener Mensch, der überall nach seinem Glück im Leben sucht, obwohl es bereits genau vor seiner Nase liegt. Voller Benommenheit stürzt er sich in das Nachtleben Roms zur Befriedigung seiner primitivsten Triebe. Natürlich deutet Fellini sexuelle wie andere obszöne Taten nur an, streut aber durch inszenatorische Feinheiten ungeheuer starke Reize aus (Höhepunkt: Brunnen-Szene mit Göttin! Anika Ekberg), die einen in ungeheure Schwingungen versetzen und den Zuschauer auf einer Welle der Ekstase gleiten lässt. Zwar schleicht sich auch bei knapp drei Stunden, bepackt mit allerhand philosophischen Ansätzen, Partys und anderen Exzessen, die ein oder andere Länge ein, welche jedoch weitestgehend unbeachtet bleiben, während man in einem Strudel voll Sehnsucht und Zerrissenheit versinkt.

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                                                    Die Rede David Strathairns zu Beginn und Ende des Films umfasst treffend alles, worum es Clooney in „Good Night, and Good Luck“ geht. Es ist ein Appell, die Macht des Fernsehens und die damit verbundene Verantwortung für wichtigere Dinge als Unterhaltung zu nutzen. Genau deshalb kommt dem Film jede Unterhaltsamkeit abhanden, denn sonst würde er seiner eigenen Kernaussage widersprechen und ist deswegen lediglich für anspruchsvolles Publikum goutierbar. In attraktiven schwarz-weiß Bildern, Zigaretten am Arbeitsplatz und mitunter historischen Archivaufnahmen atmet „Good Night, and Good Luck“ durch jede Pore die 50er ein, während er vordergründig die wahre Geschichte des Kampfes eines TV-Senders gegen die Machenschaften des Senators McCarthy schildert, tiefer gehend jedoch das Ringen eines auf Niveau bedachten Senders um Akzeptanz in einer damals schon verkommenden TV-Landschaft zeigt. Der letztliche Sieg gegen einen der mächtigsten Männer des Landes demonstriert, wozu das Fernsehen tatsächlich einmal fähig war und auch noch ist, würde man das Medium gezielt für das Wesentliche einsetzen. Doch auch dieser Erfolg wurde zu einer finanziellen Niederlage, denn die Konkurrenz zog mit unterhaltsameren Sendungen die Zuschauer auf ihre Seite. Clooney übt leise Kritik an führenden TV-Konzernen, vor allem aber an die Zuschauer, denn unterhalten lassen kann man sich auch im Theater, beim Kabarett oder im Kino. Doch nur das Fernsehen gelangt direkt in die heimischen Wohnzimmer und hält sich so die größte Kraft inne, Berge zu versetzen und Positives zu bewegen. So wahr, und doch bis heute so missachtet.

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