Roco De Long - Kommentare
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Alle Kommentare von Roco De Long
In "Berlin: Die Sinfonie der Großstadt" nimmt uns der Regisseur Walther Ruttmann mit auf eine 1-stündige experimentelle Reise durch einen Tag im Berlin der 20er Jahre.
Menschen, Tiere, Züge, Gebäude, Technik und Industrie - die mannigfaltigen Eindrücke des Berlins im Wirtschaftsaufschwung, untermalt von Edmund Meisels Klaviermusik, verschmelzen zu einem audiovisuellen Meisterwerk. Und das aus dem Jahre 1927!
Gleich zu Beginn kann man Schnittfrequenzen und Tempowechsel bestaunen, die es mit modernen Musikvideos aufnehmen könnten (nur dass sie nicht so nervig sind). Kombiniert mit unzähligen innovativen Kameraeinstellungen und -fahrten wird der Film wirklich zu einem kaleidoskopartigen Trip. Das Berlin der goldenen 20er in all seinen Facetten, die Stadt als lebendiger Organismus.
Zeitgeschichte, Berlingeschichte, Filmgeschichte. "Berlin: Die Sinfonie der Großstadt" - als Deutschland das visionärste Filmland der Welt und Berlin seine Hauptstadt war.
Wow, klingt gut! Aber ist das nicht Gaspar Noé auf dem zweiten Bild??
Technisch ist wie immer alles erste Sahne im Fincher-Universum. Mit welcher Routine und Eleganz er inszeniert, ist schon immer wieder beeindruckend. Die Besetzung ist gut, Rooney Mara sticht dabei schauspielerisch hervor UND ist heiß. Vorspann und vor allem Trent/Atticus wurden zu Recht schon ausreichend gelobt. Alles gut soweit.
Irgendwie kann aber kein David Fincher dieser Welt die Story für mich retten. Ich will Stieg Larsson nicht zu nahe treten, vor allem da ich die Bücher nicht kenne. Tragisch genug, dass seine Werke erst post mortem so erfolgreich sind. Aber hier geht es um die Story als Film und diesen Bestsellern, die immer tausende Fässer aufmachen, konnte ich nie viel abgewinnen. Wirtschaftsverbrechen und die globale Korruption. Investigative Journalisten. Nazi-Vergangenheit (na klar). Bibelzitate, die auf die Spur des Killers führen (zum WIEVIELTEN mal?). Der standesgemäße perverse Psychopath, der sich am Abschlachten unschuldiger Mädchen aufgeilt.
Alles irgendwie zuviel des Bösen. Ken Follet-Tom Clancy-Da Vinci Code-mäßige Strandlektüre. Das ist legitim, geht mir aber einfach nicht vollends rein. Der interessanteste Punkt ist eigentlich die Beziehung von Salander und Blomkvist, die dem ganzen eine neue Dimension hinzufügt. Das ist aufgrund des angesprochenen Pottpürees an Plot ("Plotpüree" wäre ein gutes Wort) aber auch nicht so ausgereift, wie ich es vielleicht gerne gesehen hätte...
TGWTDT ist keiner von Finchers besten Filmen, dazu hat der Regisseur die eigene Messlatte schon zu hoch gelegt und Gehaltvolleres abgeliefert. Aber es ist auf jeden Fall ein sehenswerter, technisch einwandfreier Thriller.
Endlich habe ich mir den Film, der einige meiner Kollegen in den letzten Monaten doch stark inspirierte, nochmal in Ruhe und komplett angesehen :)
EXIT THROUGH THE GIFT SHOP ist ein bunt bemaltes Überraschungsei: der Film liefert einen informativen und interessanten Blick in die Street Art Kultur, nimmt sich mit der Erschaffung der fiktiven Figur Thierry Guetta selbst auf die Schippe und verteilt gleichzeitig ironische Seitenhiebe auf all die Schaumschläger, die diese Szene zwangsläufig mit sich bringt.
Vor allem aber ist der Film in seinem doppelbödigen Doku-Mockumentary-Mix ein völlig neues und eigenständiges kreatives Werk. Das ist es auch, was letzten Endes den wahren Künstler für mich ausmacht: nicht nur auf Trendzüge aufspringen, nicht nur über Sellout meckern, sondern weitergehen. Neues erschaffen. Und das tut (das) Banksy (-Kollektiv) mit diesem Film. Dabei kann man als Zuschauer zu keinem Zeitpunkt sicher sein, ob man nicht gerade wieder voll verarscht wird. Ich persönlich finde das super. Die berühmte Frage "Ist das Kunst oder kann das weg?" kann ich im Falle von ETTGS eindeutig beantworten: Das ist Kunst. Das sollte bleiben.
"Im Schatten" ist kein schlechter Film. Die Bilder sind elegant und durchdacht, die kühl inszenierte Story kommt ohne Schnörkel aus. Vor allem aber ist es der Versuch eines deutschen Genrekinos in einer der Königsdisziplinen: dem Thriller. Allein das verdient schon ein gewisses Lob. Stellenweise kommt auch Spannung auf, die aber durch die gedehnte Beobachtung immer auf der Kippe steht. Eine 10-minütige Autoverfolgung mit Tempo 30 durch Berlin mag authentisch sein. Es sind aber die Momente, wo ich mir etwas weniger Authentizität und etwas mehr Introsequenz von "Drive" wünsche. Nur ETWAS :)
Der große Schwachpunkt sind für mich allerdings die Dialoge. Die reduzierten, emotionslos vorgetragenen Zeilen dienen ausschließlich dem Plot und lassen quasi keinen Raum für Subtext. Das ist sicherlich auch Teil des Stils, wirkt aber oft sehr schablonenhaft. Man sieht förmlich, wie Sätze à la "Je schlechter die Zeiten, desto besser die Drogengeschäfte" oder "Ich hab dich auf dem Schirm, Trojan" ins Drehbuch getippt werden.
Einen guten Thriller in unserer Muttersprache zu machen, inklusive dem Wissen, dass man dieses Genre schon oft nahezu perfekt gesehen hat, ist schwer. Thomas Arslans Film ist auf einen guten Weg, wie ich finde.
Am Ende ist ein Film aber doch mehr als die Summe seiner Teile und das gewisse Etwas, das aus dem Zusammenspiel der filmischen Elemente entstehen kann, fehlt bei "Im Schatten" irgendwie. Aufgrund seiner konsequenten Machart ist es für mich definitiv ein überdurchschnittlicher Film, am Ende aber doch zu wenig für den ganz großen Wurf.
Geht doch. GEHT DOCH! Da zeigen die Schluchtenscheißer uns Piefkes, wie die Berliner Schule funktioniert. Oder besser gesagt: die Österreichische.
"Revanche" besticht durch präzise Bilder, tolles Sounddesign und authentische Milieuzeichnung. Und vor allem durch genau das richtige Maß an Reduktion in Sachen Dialog und Backstory, das die Balance zwischen geheimnisvoller Spannung und ehrlicher Tiefe gekonnt hält. Die sehr guten Darsteller reihen sich ein in einen starken und schnörkellosen Film, der genau weiß was er will.
Ich muss eine kleine Lanze für "Vanilla Sky" brechen. Natürlich gebührt Amenábar aller Respekt für die Idee und auch den Originalfilm, der gut ist. Auch die Tatsache, dass Crowes Version nichts wirklich neues hinzugefügt hat, stimmt natürlich (was aber eigentlich bei den meisten Remakes der Fall ist).
Man muss aber festhalten, dass die Schauspielerriege in "Vanilla Sky" der in "Abre los ojos" deutlich überlegen ist (neben Cruise, Cruz und Diaz super Nebenrollen von Kurt Russell, Jason Lee und sogar Michael Shannon). Auch die Hollywood-Kohle kommt der visuellen Qualität einfach zugute, die ganze Kryonisierungs-Luzidtraum-Geschichte wirkt im Original doch sehr billig. Und der Soundtrack ist der absolute Wahnsinn. "Vanilla Sky" ist ein guter, visuell teilweise großartiger Film und sicherlich besser als die Community-Wertung.
Es war einmal eine Dozentin, die mir sagte: "Wenn du dir einen qualitativen Abstieg angucken willst, nimm dir TANNÖD vor. Lies erst den Roman, dann das Drehbuch, dann die verwursteten weiteren Fassungen des Drehbuchs und schau dir am Schluss die Verfilmung an."
Ich hatte da zwar nur den Film gesehen, war aber trotzdem froh, dass meine Meinung auf Verständnis stieß. Denn da sie es war, die das Drehbuch geschrieben hatte, musste nicht mehr viel gesagt werden.
Keine Ahnung, warum dieser Film bislang nur eine 9 von mir bekommen hat. Aber vielleicht braucht es dann nach Jahren diese eine weitere Sichtung, um die ganze Brillanz wirklich zu erkennen.
Ein einziges Lehrstück, wie sich diese Tragödie Stück für Stück aufbaut, ihren unvermeidlichen Höhepunkt findet und zu einem nahezu perfekt ausbalancierten Ende gelangt. Beeindruckend, wie das Ensemble aus damals großenteils unbekannten Darstellern der Geschichte Leben einhaucht.
Dass Jack Nicholson in den folgenden Jahren viele geniale Rollen spielen sollte, ist kein Geheimnis. McMurphy ist noch immer seine Beste. Was sich in und hinter seinem Gesicht abspielt, alleine in dem langen Closeup nach der Party, bei dem man nur noch denkt "Junge, jetzt hau doch endlich ab!", ist der für mich zeitlose Kern jeglicher filmischen Empathie. Seine ganze Entwicklung vom egoistischen Rebell (man beachte die anfängliche Zigarettenpackung unter dem T-Shirt-Ärmel à la James Dean) zum sich aufopfernden Kämpfer, dem sein ganzes Dilemma zwischen Verantwortung, persönlicher Freiheit und womöglich sogar der Angst vor ebendieser Freiheit klar wird - as good as it gets (Achtung! Querverweis) :)
Louise Fletcher als Nurse Ratched ist der "beste" Antagonist, den ich kenne. Sie muss nicht tausende Menschen abschlachten und sie hat auch kein Lichtschwert in der Hand. Doch sie hat diese passive Aggressivität, diesen Sadismus unter der Maske des Kontrollsystems, der sie für mich so hassenswert macht wie keine andere Filmfigur.
Kein Zufall, dass es in einem amerikanischen Film am Ende der Indianer ist, der seine Freiheit erlangt. Kein Zufall auch, dass es Regisseur Milos Forman ist, der ein ganzes System anklagt und selbst jahrelang unter sowjetischer Zensur litt. In diesem Film passt wirklich alles. Bleibt nur die Frage: wie viele 9er sind eigentlich noch eine 10? :)
THE PLAYER ist eine ideensprühende und technisch grandiose Hommage an das Kino und funktioniert gleichzeitig als präzise und böse Hollywoodsatire.
Ein Film, der sich mit einer inszenatorischen Leichtigkeit zwischen verschiedensten Genres bewegt, wie sie wohl nur Regisseure des Kalibers Altman hinbekommen. Meisterwerke der Filmgeschichte werden zitiert, um diese dann aufs Korn zu nehmen und abermals zu zitieren. Das Hollywood-Studiosystem wird von der Putzfrau bis zum Chief Executive karikiert, überragend alleine die Plansequenz am Anfang des Films. Im Bildvorder- und Hintergrund und auch dazwischen geben sich Hollywoodstars des letzten Jahrhunderts die Klinke in die Hand und parodieren sich - gewollt oder nicht - selbst. Und sollten sie sich und ihre Szenen vielleicht doch zu ernst nehmen, wartet einer im Hintergrund und hat schon wieder etwas anderes vor: Robert Altman.
THE PLAYER ist ein Fest für alle, die Filme lieben und theoretisch sogar für alle, die sie nicht lieben. Und da mir jetzt kein brillantes Ende dieses Textes einfällt, sage ich einfach: "Traffic was a bitch" :)
In "4 luni, 3 săptămâni și 2 zile" führt uns Regisseur Cristian Mungiu das Schicksal zweier junger Frauen im Rumänien der Ceaușescu-Diktatur vor Augen.
Mehr will ich nicht sagen, da man den Film erstens unvoreingenommen sehen sollte und zweitens der reine Inhalt weniger wichtig ist als das beklemmende Gefühl, das der Film auszulösen vermag.
Zwischen Überwachung, Ignoranz und Willkür, denen die Frauen ausgesetzt sind, ist es das beklemmende Gefühl der Ohnmacht, das den Film auszeichnet. Die kalten Bilder des wirtschaftlich kaputten Rumäniens der 80er Jahre komplettieren eine trostlose und fast klaustrophobische Atmosphäre. Unerträglich lange Einstellungen, aus denen man als Zuschauer genauso wenig rauskommt wie die Protagonistin(nen), lassen einen die allgegenwärtigen Machtlosigkeiten gnadenlos nachempfinden. Ein tolles Beispiel für einen Film, bei dem die formale Gestaltung Konzept ist und den Inhalt bestmöglich transportiert.
Eine Geschichtsstunde, sichtbar und vor allem spürbar gemacht anhand eines von tausenden alltäglichen Schicksalen. European Cinema at it's best.
4.Jtds. v. Chr.: Rad
1879 n.Chr.: Glühlampe
1982 n.Chr.: Internet
2013 n.Chr.: Hobbit
POINT BLANK ist so etwas wie die blutige Essenz eines Rachethrillers. Handlung: Walker (Lee Marvin) will sich an seiner Ex und deren Lover rächen, die ihn betrogen und angeschossen haben. Mehr braucht man erstmal nicht zu wissen. Die gnadenlose Suche wird in harten und düsteren Bildern serviert, im klaren 60er Jahre-Dekor, Walkers konsequente Getriebenheit musikalisch atmosphärisch untermauert. Dosierte Flashback-Montage-Sequenzen geben immer wieder Einblick in Vergangenheit und Gedankenwelt des Mannes ohne Vornamen.
Wann immer man im Leben denkt, man wäre einigermaßen cool: schnell nochmal Lee Marvin anschauen und der Realität ins Auge sehen. Der Mann ist von seiner ganzen Aura bis hin zum Dialog, in dem er oft nur mit knappen Rückfragen antwortet, bis zur reduziertesten Coolness stilisiert. Der Prototyp des harten Loners, mit dem John Boorman Einiges zur filmgeschichtlichen Ikonographie dieser Coolness beigetragen hat. Ruhe und Unnahbarkeit, in denen immer wieder Gewalt ausbricht. So bringt man Gebrauchtwagenhändler einfach zum Reden, indem man sie in einem ihrer eigenen Autos auf Probefahrt mitnimmt und die Karre dabei wie wahnsinnig zerlegt.
POINT BLANK ist stilistisch schon ein kleines Meisterwerk, schnörkellos, hart und - wie gesagt - einfach cool.
Auch wenn in "The Trip" der (filmische) Horizont des Zuschauers nicht so erweitert wird wie das Bewusstsein von Peter Fonda: als Zeitportrait der Hippie-Ära und für den Versuch, die Erfahrung LSD visuell umzusetzen, ist der Film auf jeden Fall sehenswert.
Wenn man ihn auf englisch übrigens schon gesehen hat und den Trashfaktor enorm steigern will, empfiehlt sich ausnahmsweise sogar die deutsche Fassung. Die Synchronisation, die sich an all die neuen Drogenbegriffe aus Übersee wohl erstmal gewöhnen musste, hat einige echte Perlen der Übersetzung geschaffen: "He's high on weed" = "Er ist oben vom Heu". Und (mein Favorit): "He's an acid head" = "Er ist ein Säurekopf" :D
Am Anfang steht ein portugiesischer Abenteurer mit gebrochenen Herzen, der auf ein melancholisches Krokodil trifft. Ziemlich schnell ist man also in der teils absurden, aber immer poetischen Filmsprache von Miguel Gomes.
"Tabu" ähnelt einem Überraschungsei, nur dass statt "Spannung, Spiel und Schokolade" die Attribute "Tragikomik, Liebe und Kritik" sind. Die ersten beiden Begriffe zeigen sich in den zwei völlig unterschiedlichen Hälften des Films. Im ersten Teil lernen wir drei Frauen aus der Lissaboner Vorstadt kennen. Die feine Dame Aurora, ihre schwarze Haushälterin Santa und die hilfsbereite Pilar. Die Beziehung der Frauen untereinander ist durch eine Mischung aus Verbundenheit und Einsamkeit gekennzeichnet. Alle wirken sie melancholisch, genau wie das Krokodil. Alle sind sie Außenseiterinnen im Portugal der heutigen Zeit.
Aurora ist das Bindeglied zur zweiten Hälfte des Films. Der Rückblick auf ihr Leben als wohlhabende Plantagenbesitzerin in Afrika ist als Stummfilm inszeniert (genau wie der Titel des Films eine Hommage an F.W. Murnaus Abenteurfilm "Tabu" von 1931) und wird nur vom Voiceover ihres Liebhabers Gian Luca begleitet. An sich eine mutige Entscheidung, da viel gesprochener Text oftmals als "erzählerisch faul" bezeichnet wird. Gomes' Umgang mit Sprache besitzt jedoch eine außergewöhnliche lyrische Qualität und schafft eine zweifellos stimmige Atmosphäre. Immer wieder gleitet die schlichte und schöne Liebesgeschichte dabei in absurd wirkende Verweise auf (filmische) Epochen, beispielsweise wenn Gian Lucas Swing-Band amerikanische Songs am Pool der Plantage zum Besten gibt, während die Einheimischen - meist nur im Bildhintergrund, wenn überhaupt - für die weißen Kolonialherren schuften.
Die beiden Teile des Films würden für sich genommen gut funktionieren, stellten ohne weitere Betrachtung aber wohl nicht mehr als einen narrativen Kniff dar. Bei einem klugen Regisseur wie Gomes kann man aber davon ausgehen, dass es nicht nur eine Verknüpfung dieser beiden Zeitebenen gibt, sondern dass diese auch noch für etwas anderes stehen. In diesem Fall ist es der kritische Blick des Filmemachers auf sein Heimatland Portugal. Auf das, was es mal war, eine der führenden Kolonialmächte der Welt. Und auf das, was es heute ist, eines von vielen verschuldeten Ländern Europas, das den Ernst der Lage womöglich noch nicht begriffen hat und längst vergangenen Zeiten nachhängt. Genau wie die alte Aurora, die mal wieder all ihr Geld im Casino verspielt hat, sich aber auf keinen Fall von ihrem Pelzmantel trennen will. Und die es immer noch gewohnt ist, von einer Schwarzen bedient zu werden. Obwohl der Regisseur damit einen bösen Unterton anschlägt, werden die Figuren nie verurteilt und bleiben alle sympathisch. Eine weitere Qualität.
In "Tabu" steckt wesentlich mehr, als ich es unmittelbar nach der ersten Sichtung vermutet hätte. Miguel Gomes kennt das Kino in all seinen Facetten. Mit diesen Facetten spielt er, nicht nur zum Tarantinoesken Selbstzweck (was auch Spaß machen kann), sondern immer im Kontext einer komplexen Geschichte. Wenn die in Teilen auch noch humorvoll und sensibel daherkommt, dann ist das schon verdammt gutes Filmemachen.
Das Dokumentarfilmdebüt der blutjungen Filmemacher Andreas Lamoth und Frederic Leitzke führt uns in die Welt der Berliner Urban Art. Im Stil einer episodenhaften Reportage angelegt, ist "In The Belly Of A Whale" (ein wunderbarer Titel und gleichzeitig der Introsong von der Band PLUS) in erster Linie eins: informativ. Diverse Künstler liefern authentische Eindrücke ihres Lebens in der Hauptstadt, zwischen kreativer Selbstverwirklichung und Kühlschrankauffüllen, in einer Szene, die mit allen Vor- und Nachteilen für die Beteiligten die Entwicklung vom Underground um Mainstream vollzogen hat. Der Film ist gut recherchiert, das Spektrum der Protagonisten ist breit angelegt. Man merkt auch, dass man es hier mit einem Herzensprojekt zu tun hat. Die Filmemacher lieben die Welt, die sie betreten. Und die Protagonisten, die das spüren, danken es mit Offenheit.
Der Film ist aufgrund seiner Episoden abwechslungsreich und gut geschnitten. Hervorzuheben ist besonders das geschulte Auge der Regisseure für Intermedialität: die Typografien sind erfrischend, die Musikauswahl ist außergewöhnlich und außergewöhnlich gut. Genau das sind die Elemente, die dieses Thema verlangt und die in einem Film über Kunst zusammen kommen müssen - mit dem Resultat eines neuen Kunstwerks, eines Kunstwerks über Kunst(werke).
In dieser Hinsicht ist natürlich nicht alles perfekt, denn es ist noch kein Meisterfisch vom Himmel gefallen und so gibt es auch im Bauch des Wals die ein oder andere Grete, die etwas quer steckt: der interviewlastige Film wird großenteils durch Standbilder der Werke der verschiedenen Künstler unterstützt; echte Filmaufnahmen sind verhältnsmäßig rar. Gerade aber auf Ebene der Bildästhetik wäre mehr Potenzial vorhanden, die spannenden Kontraste im Leben der Protagonisten zu etablieren. Ein zweiter Punkt ist der Übersichtscharakter, den die zahlreichen Interviews kreieren. Stellenweise erschwert er die Definition eines klaren Themenkerns. Geht es um das Leben von und mit der Kunst? Geht es um die Entwicklung der Kunst an sich? Oder doch um das Berliner Modethema Nummer 1, die leidige Gentrification? Vieles wird angerissen, vieles wiederholt sich. Hier wäre weniger evtl. mehr und eine dramaturgische Beratung sinnvoll gewesen. Hehe...
Wie dem auch sei, dieser Erstling lässt aufhorchen. Mit ihrem untrüglichen Gespür für - ich nenne es mal ganz lapidar und allumfassend - "Style" haben die Filmemacher eine Basis künstlerischen Schaffens, die nicht alltäglich ist und sich vom Einheitsbrei abzuheben vermag. Eine noch strukturiertere und exaktere Fokussierung auf das Zusammenspiel von Inhalt und Form und man kann einiges erwarten.
Fazit: Wer auch immer diese Jungs sind und was auch immer sie vorhaben: auf den Output von Editude Pictures in den nächsten Jahren darf man gespannt sein.
Einen spannenden Geiselthriller zu inszenieren ist bestimmt schwer, ein tiefgründiges Geiseldrama zu schaffen wohl noch schwerer, beides zu kombinieren könnte man als "verdammt schwer" bezeichnen. CAPTIVE jedenfalls versucht sich an letzterem und scheitert auf ganzer Linie.
Geldgier unter dem Deckmantel des Dschihad, die physischen und psychischen Leiden in monatelanger Geiselhaft, Kritik am Versagen der Behörden: viele Fässer will Regisseur Mendoza aufmachen, aber irgendwie sind alle leer. Wie man ein so komplexes Thema derart mit dem Holzhammer bearbeiten kann, ist für mich unverständlich. Nie gibt es eine echte tiefere Auseinandersetzung mit den Wurzeln von religiösem Fanatismus, globalen Vorurteilen oder den diversen Dynamiken, die sich innerhalb einer solchen Gruppe abspielen. Aber Moment! Ich höre und lese es schon: "Der Regisseur deutet nur an. Er wertet nicht. Er überlässt die Auseinandersetzung dem Zuschauer." Das kann man natürlich machen und es kann auch funktionieren. In diesem Fall jedoch werden verschiedene Blickwinkel einfach plakativ und uninspiriert hintereinander weg erzählt. Das ist weder zurückhaltend noch intelligent, das ist einfach oberflächlich, in jeder Hinsicht langweilig und in keinster Weise berührend. Und am schlimmsten: es geht weit unter der Messlatte hindurch, die sich Mendoza selbst viel zu hoch legt.
Zwischendurch werden die Geiselnehmer zu so guten Menschen, dass selbst das Dschungelcamp mehr Konfliktpotenzial bietet. Aber das löchrige Blatt wendet sich hier sehr schnell und schwupps! - zeigen uns die Krieger wieder allerhand Klischees von Osamas phrasendreschenden Jüngern. Allahu Akbar. Die Gruppe ihrerseits bewegt sich von hier nach da, wird in den standesgemäß wackeligen und unscharfen Handkamerabildern in Counterstrike-Optik angegriffen, einige verletzten sich, sie gehen weiter. Animierte Hornissen, Ameisen und anderes Getier komplettieren diesen zähen und (filmisch) völlig wahllosen Trip.
Isabelle Huppert, die ich zu meinen Lieblingsschauspielerinnen zähle, ist auf verlorenem Posten. Bei so manchen Dialogzeilen ("Do you like Chocolate?") wirkt sogar sie wie die Laiendarsteller, die sie großenteils umgeben. Ganz selten dringt ihr Können durch, beispielsweise in Form eines Monologs, den sie in die Kamera der Geiselnehmer spricht. Generell wird jedoch keine Figur näher beleuchtet, alle wirken wie Pappkameraden. Sie kämpfen, leiden, schöpfen Hoffnung, weinen, lachen, sterben und man weiß, dass das alles schlimm ist. Wenn man sich aber dabei ertappt (und auch die Kollegen um einen herum), dass einem das irgendwann nicht nur egal ist, sondern dass man es auch unglaubhaft und lächerlich findet, dann ist echt was schief gelaufen.
Ich bitte von einigen zynischen Stellen meines Textes abzusehen, aber sie sind nur das Reslutat meiner Enttäuschung und des Gefühls der Zeitverschwendung. Filmfestivals sind Wundertüten. Aber das Gute ist, dass es nach CAPTIVE eigentlich nur besser werden kann.
Nazis sind '45 auf der dunklen Seite des Mondes gelandet und planen im Jahre 2018 den großen Gegenschlag. Man braucht nur einen Satz, um ungefähr zu wissen, was einen erwartet. Ich hatte wirklich Bock auf diesen sinnfreien Spaß, bevor es in den nächsten Tagen auf der Berlinale anspruchsvoller werden dürfte.
Funktioniert hat es leider nicht. Bei der Art meiner Enttäuschung musste ich teilweise an "Idiocracy" denken. Ein Film, der ebenfalls mit einer wirklich witzigen Grundidee aufwatet, die aber allerhöchstens 20 Minuten zieht. Dann kommen aber eben noch 70 Minuten, die mit Klischees und platten Jokes gefüllt werden müssen, welche wiederum von mittelmäßigen Darstellern dargeboten werden (im Fall von "Iron Sky" sei Udo Kier ausgenommen. Dessen Präsenz ist immer super, selbst wenn er nur Gebäck futtert). Alles ist natürlich vorhersehbar ohne Ende und hat mich meistens gelangweilt. Der gern zitierte Trashfaktor kann es nicht retten, zumal mein Verständnis von Trash ein anderes ist. "Streetfighter" mit JCVD und Kylie ist für mich wahrer Trash. Der will eine halbwegs coole Videospielverfilmung sein und ist so dermaßen kacke, dass er wieder witzig ist. "Iron Sky" jedoch verkauft sich aber von vornherein als trashig und WILL ja witzig sein. Einige gute Einfälle sind sicherlich dabei, aber am Ende ist das alles doch reichlich dünn.
Im Übrigen wird einem beim Thema Nazis einmal mehr bewusst, wie gut es Tarantino einfach gemacht hat: die Lächerlichkeit der Nazis zu entlarven (und das auch noch innerhalb ihrer Boshaftigkeit), ohne sie allzu OFFENSICHTLICH lächerlich zu machen. Eine schwierige und meisterhafte Gratwanderung. Die Nazis vom Mond sind lächerliche Karikaturen und daher für mich - wie gesagt - leider kaum witzig.
Dass ein derartiges Projekt großenteils mit Crowdfunding gestemmt wird und dann mit derart guten CGI daherkommt, ist auf jeden Fall positiv zu erwähnen. Aber mal ehrlich: wen interessieren CGI...?
Die Authentizität, der glaubhaft dargestellte Berliner Polizeialltag, ist für mich das große Plus der Serie. Auch die Tatsache, dass sich an Gangstermilieus überhaupt herangetraut und diese auch gut recherchiert wurden, hebt "Im Angesicht des Verbrechens" natürlich deutlich über den (deutschen) Standard.
Ich kann aber nicht leugnen, dass ich nach den vielen Vorschusslorbeeren doch mehr erwartet hätte. Bei zu vielen Faktoren der Serie ging mir ein ziemlich deutliches "What the fuck?" durch den Kopf. Immergleiche Rückblenden, teilweise mehrfach in einer Folge, machen einfach keinen Sinn. Sie nerven. Sie bringen nichts voran und wirken, als hätte man zu wenig Footage. Generell kommt die Serie nie richtig in Fahrt und es bleibt das Gefühl, dass man auch alles in 5 Episoden hätte erzählen können. Der Schnitt war für mich ein weiteres Ärgernis: vielleicht soll er "rough" wirken, ich fand ihn stets nah am Trash und teilweise einfach nicht gut.
Was ich aber am wenigsten nachvollziehen kann, ist, dass die Serie immer als wenig Mainstream, sogar als "zu komplex" beschrieben wird. Das sehe ich überhaupt nicht. Die Figurenkonstellationen sind nachvollziehbar und überschaubar. Vor allem aber wird alles ausreichend erklärt, oftmals mithilfe einer doppelten Erklärung in Wort und Bild. Also genau das, was zwar keine offenen Fragen lässt, gleichzeitig aber viel erzählerische Qualität wegnimmt.
Wäre die Serie noch stringenter, noch kompromissloser, spannender, härter (und das Potential hätte sie!) und wäre DANN gescheitert... OK, dann wüsste man wenigstens und mit erhobenem Haupt WARUM sie gescheitert ist. Aber diese ständigen Zugeständnisse an den "Normalzuschauer" (wer immer das ist) sind für mich einfach enttäuschend.
Somit sieht "Im Angesicht des Verbrechens" natürlich schwach aus, wenn man es mit dem internationalen Toplevel derartiger Serien vergleicht. Aber alleine die Tatsache, DASS man diesen Vergleich zieht, ist wahrscheinlich bereits ein großes Kompliment. Das Moviepilot-Begriffe-Fazit: ich finde die Serie "ganz gut".
"Kriegerin" hat eigentlich richtig gute Voraussetzungen: eine Milieudarstellung, die durch Authentizität besticht, eine starke Hauptdarstellerin, eine technisch einwandfreie Umsetzung.
Der emotionale Funke ist bei mir jedoch nicht gänzlich übergesprungen, die Story wirkt oftmals zu vorhersehbar und oberflächlich. Ich meine dabei nicht, dass die Tiefe aller Figuren und deren Beziehung zueinander immer erklärt werden muss. Das muss sie nicht und das sollte sie auch nicht. Aber eines müssen die Konstellationen nun mal sein: glaubhaft. Und glaubhaft waren sie an einigen entscheidenden Stellen leider nicht, z.B. das für mich zu schnelle Abdriften der intelligenten 15-jährigen in die rechte Szene inklusive 88-Tätowierung an der ersten Party. Vor allem aber die sich anbahnende Freundschaft zwischen der Protagonistin und dem afghanischen Jungen, immerhin das Herzstück der Geschichte, hat mich nicht immer gepackt.
Man hat natürlich automatisch den Vergleich zum überragenden "American History X". Diesen Vergleich wollte ich vermeiden, da er eigentlich nicht fair ist. Allerdings sind die Parallelen (nicht nur thematisch, sondern vor allem inszenatorisch) so überdeutlich, dass es sich kaum umgehen lässt: Die Beeinflussung des jüngeren Teenies; der Altnazi, der rechtes Gedankengut unter arbeitslosen Jugendlichen verbreitet; die frühe Saat falscher Ideologien durch die liebsten Familienmitglieder. Und wenn man sich dann anguckt, an welcher Location die Schlussszene stattfindet, ist die Linie zwischen "Sich-Inspirieren-lassen" und "Klauen" für mich einfach etwas überschritten.
Die Schwächen des Films, die für mich ganz klar im (am meisten vernachlässigten?) Bereich Drehbuch anzusiedeln sind, sollten aber insgesamt nicht darüber hinweg täuschen, dass der Film - vor allem aufgrund der starken Alina Levshin - auf jeden Fall überdurchschnittlich ist. Und: wir reden hier immer noch von einem Abschlussfilm! Den muss man erstmal so hinbekommen.
Roberto Rossellinis "Germania Anno Zero" spielt im komplett zerstörten Berlin des Jahres 1947 und zeigt die alltäglichen Bemühungen des 12-jährigen Edmund, etwas Essbares für seine Familie aufzutreiben. Mit Laiendarstellern gedreht und vom Plot her unspektakulär, erscheint der Film auf den ersten Blick vielleicht "nur" wie ein interessantes Zeitportrait in beklemmender Atmosphäre. Wie ich jedoch mal wieder feststellen musste, zeigt sich die ganze Qualität eines derartigen Films erst auf den zweiten und dritten Blick. Und Rossellinis Film lässt sich nur erfassen, wenn man sich mit dem im Neorealismus entstandenen Bildtypus und der daraus resultierenden speziellen Ästhetik des Erzählens intensiv auseinandersetzt.
Auffällig ist, dass Edmund nicht als Protagonist im Sinne einer klassischen Narration zu verstehen ist. Sein Handeln ist weder aktiv noch zielgerichtet. Er ist zwar ständig unterwegs und macht Besorgungen für das Wohl seiner Familie, ist dabei jedoch stets durch die außergewöhnlichen Umstände des frühen Nachkriegsdeutschland determiniert. Er reagiert ausschließlich auf seine äußerlich wie innerlich traumatisierte Umwelt. Invaliden, Prostituierte, tote Pferde - Rossellini führt uns diese Umwelt vor Augen; in Bildern, die als eigenständige Wirklichkeitsabbildungen fungieren und in keinem erkennbaren Handlungszusammenhang zu Edmunds Figur stehen. Die ziellose Reise des Jungen geht zudem einher mit wachsender Verzweiflung, die in totale moralische Orientierungslosigkeit mündet: beeinflusst vom nationalsozialistischen Gedankengut seines ehemaligen Lehrers, wird auch Edmund schuldig werden. In dieser Welt muss er sogar schuldig werden. Um es auf repräsentativer Ebene zu sagen: er trägt die Verantwortung für die Schuld einer ganzen Generation, eines ganzen Volkes.
Bezogen auf die Bildästhetik ist Edmund also nicht als filmische Identifikationsfigur zu begreifen, nicht einmal als primär menschliches Wesen. Vielmehr findet er seinen Ausdruck als "Körper im Raum". Durch Trümmerhaufen blockiert und in den kaum wieder zu erkennenden Straßenzügen des zerbombten Berlins völlig orientierungslos, tastet sich dieser kindliche und zerbrechliche Körper des Jungen durch eine Nachkriegswelt, die keinerlei Orientierung liefern kann. Es ist faszinierend, wie Rossellini diese Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit auf visueller und auditiver Ebene hervorruft und dabei immer wieder bricht. Edmunds Stationen erscheinen fragmentarisch, er rennt aus dem einen Bild, um im nächsten wieder gehend anzukommen. Glaubt man als Zuschauer, in einer Einstellung noch die Subjektive des Jungen eingenommen zu haben, beobachtet man ihn nach dem nächsten Schnitt wieder als Außenstehender aus völlig anderer Perspektive.
Das bedrückende Gefühl der Orientierungslosigkeit und der Unfähigkeit, mit den überwältigenden Gegebenheiten dieser Zeit klarzukommen, wird somit für den Zuschauer spürbar. Dies ist letzten Endes das Meisterhafte an Rossellinis Film.
Besonders die letzten 10 Minuten sind in ihrer Wirkungsweise einzigartig. Das unvorhersehbare Ende und die damit verbundene Radikalität der Botschaft machen "Deutschland im Jahre Null" außergewöhnlich und - was die historische und politische Bedeutung betrifft - zu einem Jahrhundertfilm.
OK, die hiesige Datenbankpflege wird zugunsten von Gewinnspielen, Fights der Woche und Interviews ("Kannst du mal zusammenfassen, um was es in dem Film geht?") des öfteren vernachlässigt. Allerdings ist ein Film von Howard Hawks mit Gary Cooper in der Hauptrolle auch kein taiwanesisches Independentkino aus dem Jahre 1974. Soweit meine leise Kritik, aber nun gut :)
Howard Hawks' "Ball of Fire" (deutscher Titel [Achtung, kein Witz]: "Die merkwürdige Zähmung der Gangsterbraut Sugarpuss") ist das, was man als klassische Screwball-Komödie bezeichnen kann. Eine Gruppe von acht kauzigen Wissenschaftlern, darunter der Literaturprofessor Bertram Potts (Gary Cooper), wohnen gemeinsam in einer Villa und arbeiten an der ultimativen Enzyklopädie, die alles Wissen der Menschheit vereinen soll. Beim Versuch, in Sachen Slang und Straßenjargon einiges aufzuarbeiten, trifft Potts auf die Barsängerin und Gangstergeliebte Sugarpuss O'Shea (Barbara Stanwyck). Diese muss vor der Polizei flüchten und zieht kurzerhand in die Villa der Gelehrten. Potts und O'Shea verlieben sich (oder auch nicht), die Gangster treten auf den Plan, das Chaos nimmt seinen Lauf usw... mit einem Wort: Screwball.
Der Film ist wie viele dieser Art eigentlich eher oberflächlich, im dramatischen Sinne von "die Figuren machen keine sichtbare tiefgreifende Entwicklung durch". Er funktioniert aber trotzdem hervorragend und fesselt durch die klug gebaute Handlung, die locker-leicht voran schreitet und einen blendend unterhält. Die Gags zünden, die Figuren sind sympathisch, sogar die standesgemäße Romantik ist auf den Punkt. Man merkt, dass die Filmemacher die Welt und die Figuren, die sie kreieren, wirklich lieben und ernst nehmen. Seien es die Gelehrten, die mal "raus ins Leben" müssen oder die Lebeleute, die ihre Vorurteile oder sogar Gefühle überdenken. Vielleicht ist der gezeigte Klamauk auch deshalb einfach witzig und eben nicht - wie in einem Großteil der zeitgenössischen Romantic Comedy - eher peinlich und dumm.
Rainer Werner Fassbinders "Angst essen Seele auf" erzählt die ungewöhnliche Liebesgeschichte der älteren Dame Emmi (Brigitte Mira) und des deutlich jüngeren Marokkaners Ali (El Hedi ben Salem).
Inspiriert von Douglas Sirks "All That Heaven Allows" verlegt Fassbinder die Geschichte ins Deutschland der 1970er Jahre, in dem es Unterschiede in Alter und besonders Nationalität der Liebenden sind, die bei der Umwelt auf Intoleranz und Zynismus stoßen.
Nach dem großen Vorbild von Sirks Melodramen kommt der Bildsprache auch bei "Angst essen Seele auf" eine entscheidende Bedeutung zu. Ist die Mise-en-Scène bei Sirk jedoch bis ins Detail komponierter Ausdruck überbordender Leidenschaften, bestechen die Bilder von Kameramann Jürgen Jürges durch Reduktion. Die asketische Kamera bleibt dezent im Hintergrund und lenkt den Fokus somit stets auf die Geschichte dieses ungleichen Paares, das seine Liebe inmitten der Engstirnigkeit seiner Mitmenschen zu bewahren versucht.
Fassbinder beobachtet das zwischen(un)menschliche Verhalten der Spießer treffend und überzogen, fast schon satirisch. Daraus entsteht eine teils absurd wirkende Präzision der Dialoge. Alis Aussprache, aus der auch der zentrale Satz und Titel des Films hervorgeht, wirkt aus heutiger Sicht wie die sprachhistorische Parodie von gebrochenem Ausländerdeutsch. All das ist natürlich mehr als komischer Selbstzweck, erwächst aus dieser Sprachgestaltung doch eine figurenbezogene Einfachheit: im Falle der Mitmenschen einfach dumm; im Falle Alis einfach ehrlich.
Was den Film herausragend macht, ist, dass er nicht nur als böse und entlarvende Gesellschaftssatire funktioniert, sondern als Liebesdrama ebenso bewegt. In ihrer Aufrichtigkeit zueinander und ihrer rührenden Allianz gegen den Rest der Welt fungieren Emmi und Ali als strahlendes Exemplar für den Glauben an die Liebe und den Mut, sich über Konventionen hinweg zu setzen.
So ergeben kleine Gesten in zurückhaltenden Bildkompositionen am Ende einen großen Film. Mit seinem ungewöhnlichen Inszenierungsstil, seiner ästhetischen Schlichtheit und emotionalen Direktheit gehört "Angst essen Seele auf" zum Stärksten, was das Deutsche Kino in den 70er Jahren und bis heute hervorgebracht hat.
"Ein deutscher Film? Nee, den guck ich mir gar nicht erst an."
Oftmals, auch im Vorfeld dieses Films, liest man derartige Kommentare. Man weiß dann nicht genau wo die Leute, die derartige Aussagen treffen, nach qualitativen deutschen Produktionen suchen oder ob sie vielleicht tatsächlich nur Til Schweiger und Co. als zeitgenössisches deutsches Kino betrachten. Man kann aber ziemlich sicher sein, dass eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Kino ihres Heimatlandes kaum stattgefunden haben kann.
Dieses Intro wird Andreas Dresens neuem Film eigentlich nicht gerecht, da man sich mit den Pauschalaussagen von Schubladendenkern weniger beschäftigen sollte als mit dem Film selbst. Dennoch erscheint es mir an dieser Stelle angebracht, denn "Halt auf freier Strecke" ist ein tolles Beispiel für anspruchsvolles und bewegendes deutsches Kino im Jahre 2011.
Der Film erzählt von den letzten Wochen eines Familienvaters, nachdem dieser die Nachricht eines inoperablen Gehirntumors bekommen hat. Nicht mehr, nicht weniger und das auf eine so brutal konsequente Art und Weise, dass man sich dem kaum entziehen kann. Nichts wird beschönigt, nichts mit Pathos versehen. Das unvermeidbare Zugrundegehen von den ersten Gedächtnislücken bis zum Sprachverlust ist hart und wird einem als Zuschauer teilweise mit komischen Momenten zumindest erleichtert; die Figuren werden dennoch niemals bloßgestellt. Was passiert, passiert. Immer bleiben sie einfach menschlich, wie der gesamte Film.
Natürlich kann "Halt auf freier Strecke" nur mit herausragenden Darstellern funktionieren. Und herausragend sind sie! Von der Nebenrolle des Arbeitskollegen (Bernhard Schütz), der am Sterbebett hilflos über Edin Dzeko erzählt, über die Familienmitglieder um die großartige Steffi Kühnert, bis hin zur ganz und gar beeindruckenden Leistung Milan Peschels. Wäre dieser Film eine US-Produktion und Milan Peschel hieße Paul Giamatti - der Oscar wäre ihm sicher (nichts gegen Giamatti, der ist super. Nur so als Vergleich). Und hieße der Regisseur Wenders und nicht Dresen ("Who the fuck is Drayson?"), der Film wäre Deutschlands Beitrag für den Auslandsoscar (nichts gegen Wenders, der ist auch super. Nur so zum Nachdenken).
Es bleibt die Frage, warum man sich einen so deprimierenden Film überhaupt anschauen sollte. Weil man weiß, dass einen die aufrichtige Authentizität berühren wird und das dann auch passiert? Weil man Mitleid empfindet für die da auf der Leinwand, für sich, für alle? Weil man vielleicht sogar etwas für sein eigenes Leben mitnimmt? Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Ich weiß nur, dass man es kaum bereuen wird.
Um den Kreis des leidlichen Themas "Deutscher Film" vorerst zu schließen: Wer sich diesen oder vergleichbare Filme nicht anschaut, weil ihn aktuelle deutsche Filme "einfach nicht interessieren", der ist beschränkt. Wer diesen Film sieht und danach immer noch derselben Meinung ist, gibt entweder ungern Fehler zu oder versteht von guten Filmen nicht allzu viel.
Nachdem TYRANNOSAUR und DRIVE mein Kinojahr bereits binnen zwei Wochen retteten, hätte ich nicht gedacht, dass der Höhepunkt noch folgen sollte.
THE ARTIST von Michel Hazanavicius ist ein Stummfilm der Neuzeit. Schwarz-weiß, ohne gesprochenen Dialog und im Format 4:3 erzählt er die Geschichte des Stummfilmstars George Valentin, der sich ausgerechnet in die Frau verliebt, die als neuer Stern am Tonfilmhimmel eine Gefahr für seine eigene Karriere darstellt.
Jean Dujardin, der sein Talent bereits in "99 Francs" unter Beweis stellte, liefert dabei eine grandiose Vorstellung ab und schöpft die dankbaren Begebenheiten des Spiels ohne Dialog voll aus. Auch der restliche Cast ist nicht zu vernachlässigen, sei es die zauberhafte Bérénice Bejo, der väterliche James Cromwell oder der sowieso stets coole John Goodman als harter Produzent mit Herz. In diesem Film hat sogar der Hund mehr Talent als die meisten Shia LaBeoufs.
THE ARTIST ist mit moderner Technik gedreht und verpasst dem Medium Stummfilm eine wohltuende Frischzellenkur, die die technischen Unzulänglichkeiten der damaligen Zeit vergessen lässt. Kamera, Schnitt und Sound sind feinstes Handwerk. Das ironische Spiel mit der Tonebene - besonders in der Szene, in der der Tonfilm für den Protagonisten erstmals zur "Gefahr" wird - ist einfach großartig. Natürlich könnte man einwenden, dass der originäre Charme alter Stummfilme fehlt, da die Optik von THE ARTIST zu clean und perfekt ist. Das Gegenteil jedoch ist der Fall, denn der Film schafft es zu jeden Zeitpunkt, ebendiesen Charme zu konservieren und die universell verständlichen, zeitlosen Elemente des Stummfilms in die heutige Zeit zu transportieren.
Mal wieder ist man erstaunt und auch froh, dass das populäre Kino im Jahre 2011 in regelmäßigen Abständen innovative und kreative Früchte hervorbringt, in diesem Fall sogar durch die Rückbesinnung auf längst Vergangenes. Und mal wieder fragt man sich, warum vorher noch niemand auf diese genial einfache und einfach geniale Idee gekommen ist! Es ist einfach beeindruckend, wie gut THE ARTIST funktioniert, obwohl - oder gerade weil? - man diese oder ähnliche Geschichten im Kino schon zig mal gesehen und lieben gelernt hat. Genau das ist aber letzen Endes auch die große Stärke des Films: das Erzählen einer Geschichte mit so vielen Mitteln wie nötig, aber so wenigen wie möglich. Der Film ist ein Stummfilm, der sich mit dem Ausklang des Stummfilms beschäftigt, er blickt also zurück und stellt gleichzeitig die Frage nach der Notwendigkeit filmtechnischer Innovationen. Trotzdem ist THE ARTIST natürlich nicht als reaktionärer Feldzug gegen alle technische Neuerungen der Filmgeschichte zu verstehen, war die Einführung des Filmtons doch zweifellos einer der wichtigsten Meilensteine, durch den ungeahnte erzählerische Perspektiven eröffnet wurden. Über aktuelle Diskussionen wie den Sinn oder Unsinn von 3D kann man angesichts einen Films wie THE ARTIST jedoch nur schmunzeln. Zu klar ist schon jetzt, dass auch die beste 3D-Technik das Kino auf inhaltlicher Ebene nicht entscheidend voranbringen kann.
Zuviel Diskussion wird diesem Film aber nicht gerecht. Dieser Film ist zum Genießen. THE ARTIST ist eine Liebeserklärung an den Stummfilm, an das Erzählen und die Zeitlosigkeit grundlegender Emotionen. Mein Fazit ist so schlicht und klar wie der Film selbst: "The Artist" ist Kino.