TommyDeVito - Kommentare

Alle Kommentare von TommyDeVito

  • Kann man sich sparen und besser die Kurzfassung schauen:
    https://youtu.be/p2VUGfrZyck

    3
    • 5
      TommyDeVito 25.10.2020, 00:34 Geändert 25.10.2020, 01:08

      Der polnisch-amerikanische Schriftsteller Jerzy Kosiński, geboren 1933, überlebte den Zweiten Weltkrieg, da er bei einem Paar einheimischer Katholiken unterkommen konnte. Er erzählte später stattdessen, dass er sich an verschiedenen Orten Polens verstecken musste, dramatisierte, ergänzte und fiktionalisierte die eigenen Erlebnisse und verarbeitete diese Fiktionalisierung im Roman «Der bemalte Vogel», der zunächst als autobiografisch beworben, dann als semiautobiografisch bezeichnet worden war, bis letztlich klar wurde, dass der junge Protagonist des Buches und dessen Leidensweg keine wesentlichen Parallelen mit dem Leben des auch ansonsten kontroversen Kosiński hatten.

      Die fiktive Odyssee eines Jungen, welcher auf der Suche nach Obdach und Nahrung immer wieder misshandelt wird, hat der tschechische Regisseur Václav Marhoul in Schwarz-Weiss-Bildern mit einer Laufzeit von fast drei Stunden festgehalten. Die Interslawische Sprache, eine Sprache erfunden zur Erleichterung internationaler Kommunikation im slawischen Raum, wird im Film verwendet, um den Handlungsort nicht zu konkretisieren und um eine Art umfassende osteuropäische Hölle während den Kriegsjahren zu kreieren, was auch angesichts von Vorwürfen einer anti-polnischen Haltung der Vorlage vielleicht nicht die schlechteste Idee war.

      Die etwas weniger als drei Stunden Laufzeit fordern Geduld. Geduld deshalb, da der Junge fast ausschliesslich ausgebeutet und malträtiert wird – bebildert in mitunter sehr expliziten Gewaltdarstellungen. Eine solche Szene der Gewalt (jedoch nicht am Jungen) verleiht dem Roman bzw. dem Film seinen metaphorischen Titel: Bei einem seiner temporäreren «Gastgeber» hilft der Junge einen Vogel anzumalen. Dieser wird freigelassen und fliegt gen Himmel, um in den Lüften zu einer Schar dazuzustossen, in der das Tier die eigene Art erkennt. Aufgrund der scheinbar andersartigen Farbe attackieren die Artgenossen den «Eindringling», bis dieser in den Tod stürzt. Der Protagonist, der aufgrund seiner dunklen Haare und als «böse» wahrgenommenen Augen abwechselnd als Zigeuner oder als Jude beschimpft wird, fährt zärtlich über den toten Körper des Gefallenen, doch wie lange wird sich diese bewahrte Menschlichkeit noch halten?

      Es gelingen Regisseur Marhoul und Kameramann Vladimír Smutný einige eindrückliche Bilder. Panaromaaufnahmen von Figuren etwa, die förmlich von der Landschaft verschlungen werden. Vergleiche mit Tarkowski oder anderen Arthouse-Grössen halte ich jedoch für ziemlich weit hergeholt. Den Bildern fehlt trotz handwerklich ausgefeilter Umsetzung die hypnotisch-spirituelle Atmosphäre eines Tarkowski, genauso wie die fast surreal anmutende alptraumhafte Klaustrophobie von Elem Klimovs «Komm und Sieh» oder die mittelalterliche Metaphysik von «Marketa Lazarová».

      Die Handlung selber, wie sie in Filmsprache übersetzt wurde, gestaltet sich leider als eine eher simple, auch ziemlich repetitive Angelegenheit, während – in der literarischen Vorlage womöglich vorhandene – tiefergehende psychologische oder philosophische Ansätze kaum spürbar sind. Es herrschen in dieser kargen, erbarmungslosen Welt Eigensinn, Überlebenswille und fehlende Empathie gegenüber anderen Menschen und Lebewesen vor, das macht Marhoul klar. Ebenso dass die Natur bzw. das Tierreich mit all der gegenseitigen Zerfleischung und dem Überleben auf Kosten anderer Lebewesen kein sehr einladender Ort ist und auch der Mensch nicht alleine durch Güte und Barmherzigkeit über die Runden kommt - gerade in harten Ausnahmezeiten. Dies muss auch der Junge erfahren und verroht zunehmend. Ähnlich erging es auch mir. Drastische Szenen die zu Beginn noch eine emotionale Wirkung hatten, konnte ich im späteren Verlauf eher gleichgültig betrachten.

      «The Painted Bird» ist dabei nicht ohne Qualitäten. Hauptdarsteller Petr Kotlár schafft es, den emotionalen und seelischen Wandel der Hauptfigur fast ausschliesslich in seinen dunklen Augen zu spiegeln. Der kurze Auftritt von Harvey Keitel bringt einen Ansatz von Wärme in die Geschichte, Wärme die aber wie aus den vielen erkaltenden Leichen ziemlich rasch wieder verströmt. Auch Stellan Skarsgard schafft es mit wenigen Blicken Abwechslung in die Tristesse zu bringen. Vielleicht ist aber das gerade exemplarisch für den Film, der eine Geschichte über die Anpassung an eine unmenschliche (bzw. allzu menschliche) Welt erzählen möchte und internationale Stars braucht, um mich trotz der Schwere des Materials bei der Stange zu halten. Wer eine Vorliebe für kompromissloses Kunstkino hat, darf selbstverständlich einen Blick riskieren.

      PS: Warum zum heiligen Säbelzahntiger wird in ernsten Filmen immer noch der Wilhelm-Schrei verwendet?

      14
      • TommyDeVito 22.10.2020, 17:18 Geändert 22.10.2020, 17:18

        Cesare Zavattinis Gedanken zum Neorealismus #7:
        "I am quite aware that it is possible to make wonderful films, like Charlie Chaplin's, and they are not neorealistic. I am quite aware that there are Americans, Russians, Frenchmen and others who have made masterpieces that honour humanity, and, of course, they have not wasted film. I wonder, too, how many more great works they will again give us, according to their particular genius, with actors and studios and novels. But Italian film-makers, I think, if they are to sustain and deepen their cause and their style, after having courageously half-opened their doors to reality, must (in the sense I have mentioned) open them wide."

        1
        • 5
          TommyDeVito 21.10.2020, 18:11 Geändert 21.10.2020, 18:51

          Aaron Sorkin, welcher bekannt ist für seine geschliffenen, spritzigen und häufig temporeichen Dialog- und Monologsalven, ist nach dem eher mässigen «Molly’s game» zurück und bereits ist die Rede von einem möglichen Oscarfavoriten. Die Oscars finden auch in «The Trial of the Chicago 7» Erwähnung und spätestens in der zweiten Hälfte ist auch klar, weshalb dieses Gerichtsdrama Kritiker mehrheitlich zufriedenstellt.

          Wiederum auf dem Regiestuhl platznehmend verarbeitet Sorkin die Vorfälle rund um die nationale Versammlung der Demokraten im Jahre 1968, die blutigen, an mehreren Orten Chicagos erfolgten Zusammentreffen zwischen gegen Vietnamkrieg und den politischen Status Quo Demonstrierenden und brutal durchgreifenden Polizisten. Die realen Figuren, welchen im Anschluss an die Demonstrationen exemplarisch der Prozess gemacht wurde, werden in ihren fiktiven Entsprechungen standardgemäss in einfach verständliche Typen verwandelt, deren Wandlungen so vorhersehbar für den Cineasten wie für den Durchschnittszuschauer effektiv sind. Beispielsweise den Clown Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen), hinter dessen frechen und für den Zuschauer damit selbstredend besonders sympathischen Anti-Establishment-Attitüde weitaus mehr steckt. Oder der eher zurückhaltende, klarsichtige, freundliche junge Mann Tom Hayden (Eddie Redmayne), welcher nicht eine Gefängnisstrafe absitzen möchte, nur um politisch unwirksamem Protest, naivem Idealismus und Emotionalität Raum zu geben und in welchem vielleicht mehr stecken mag…

          Diese Figur ist im Vergleich zum realen Tom Hayden jedoch stark verwässert und deutlich von den restlichen Repräsentanten der Gegenkultur abgegrenzt – auch hinsichtlich seines Auftretens, d. h. etwa dadurch, dass Sorkin Hayden, welcher in den realen Gerichtsverfahren zeitweise einen falschen Bart und ein Halstuch trug, nicht an den Spässen teilhaben lässt. Dies ist ja alles schön und gut, schliesslich möchte ich keine Debatte über Sinn und Unsinn der «dramatic licence» beginnen – ja, es dürfen zumindest prinzipiell Elemente verändert oder hinzugefügt werden, die Frage ist, wie das vollzogen wird. Dass Sorkin aus Hayden den Dreh- und Angelpunkt zu machen scheint und ihn rückwirkend zum bewundernswerten liberalen Vorbild stilisiert, an welchem die ebenfalls liberale Elite vermutlich ihre wahre Freude haben wird, ist dann doch ärgerlich. Mag die folgende an Abbie Hoffman (und womöglich junge Amerikaner) gerichtete Rede über Pragmatismus und politisch sinnvolle Tätigkeit…

          «My problem is, for the next 50 years, when people think of progressive politics, they’re gonna think of you. They’re gonna think of you and your idiot followers passing out daisies to soldiers and trying to levitate the Pentagon. They’re not going to think of equality or justice. They’re not going to think of education or poverty or progress. They’re gonna think of a bunch of stoned, lost, disrespectful, foulmouthed, lawless losers, and so we’ll lose elections.»

          …später zumindest einen kleinen wahren Kern bezüglich der unterschiedlichen Wahrnehmung von aussen der beiden Männer haben und mag Sorkin anschliessend auch eine Antwort von Seiten Abbies parat haben, ich kann mich nicht des Gefühls erwehren, dass hier ein Hollywood-Liberaler eine über Zündstoff verfügende Geschichte über die «New Left», über die «Black Panther» und über Opposition gegen den bekanntesten Stellvertreterkrieg, an dem die USA beteiligt waren, zum seichten Hollywood-Märchen umfunktioniert. Man vergleiche dies nur einmal mit dem heute fast vergessenen, formal viel mutigeren «Medium Cool» von Haskell Wexler, in welchem Hauptdarstellerin Verna Bloom mit der Kamera begleitet wird, während die echten (!) Ausschreitungen stattfinden. Trotz ein paar Mängeln ist jene bewusste Vermischung von Fakt und Fiktion bis heute klar erkennbar als ein Produkt der Gegenkultur, als Produkt einer vergleichsweise radikaleren Zeit in der linke amerikanische Politik, so naiv und idealistisch sie teilweise gewesen sein mag, noch weiter weg von der Mitte des Spektrums war. Doch weist uns Sorkin in der oben aufgeführten Rede durch sein Sprachrohr Hayden ja ohnehin daraufhin, dass die langhaarigen, dauerbekifften Hippies (und die heutigen Linken jenseits der Linksliberalen?) nicht noch mehr umsetzen konnten – gerade hinsichtlich Wahlerfolgen –, weil ihnen dazu die Manieren, der Stil, der Fokus fehlten.

          Am deutlichsten ist dieses märchenhaft-verklärende Erzählen erkennbar in einer Schlüsselszene, in der eine Frau verwundert äussert: «Hey. Am I the only one who sees what’s going on out there??” Wie viele Zuschauer werden sich mit dieser extrem unglaubwürdig wirkenden Frau in dieser gestelzt gespielten, steif inszenierten Szene identifizieren? Ich vermute die grosse Mehrheit. Sorkin lässt ohnehin die Assoziationen des Zuschauers zur neu gewählten Trump-… pardon, Nixon-Regierung – ein Klassiker im Hollywood-Film – eine deutliche Sprache sprechen und zeigt früh etwa durch Dean Norris (Hank aus «Breaking Bad»), was für Bastarde diese Männer waren. Im Falle des Staatsanwalts gespielt von Joseph Gordon-Levitt nützt Sorkin hingegen den klassischen Trick des amerikanischen Drehbuchautors, indem er einer wichtigeren Figur, welche auf der Seite der «Bösen» steht, schon früh ein Herz in die fiktive Brust setzt, welches, so vermutet man schon in der Einführungsszene der Figur, über die kühle Rationalität und das Pflichtbewusstsein triumphieren könnte. Denn schliesslich sind dies die USA, ein Land von Gerechtigkeit, Ordnung und Empathie. Empathie die auch billig rübergebracht werden kann, wenn, wie in Politfilmen aus Hollywood üblich, der ohnehin schon überaus dramatische Stoff in geschmackloser Weise noch zusätzlich dramatisiert wird (etwa indem man eine versuchte Vergewaltigung als auch deren Verhinderung einfach schamlos dazu erfindet…).

          Gerade in den ersten 30-50 Minuten kann Sorkin zumindest durch den gewohnten Schwung für kurzweilige Unterhaltung sorgen. Die Übergänge in der Einführungsphase, in denen Sätze kurz vor dem Ende abrupt durch einen Schnitt beendet werden, woran andere Charakteren in humorvoller und teilweise cleverer Kontinuation anknüpfen, sind sehr vergnüglich. Und die vielen Informationen zur damaligen Zeit zu Beginn sind durchaus gelungen verdichtet. Die absurd anmutenden Geschehnisse rund um Black Panther Bobby Seale (und in begrenztem Ausmasse Fred Hampton) in der ersten Hälfte sind trotz chronologischer Neuordnung bereits erfreulich dadurch, dass sie es in eine solche massenwirksame Produktion geschafft haben. Zuvor waren diese Geschehnisse im skurrilsten Gerichtsprozess der Filmgeschichte in Woody Allens klamaukigem Frühwerk «Bananas» nur zum eher unpolitischen, aber saulustigen Gag umfunktioniert worden.

          Mitnehmen wird der Zuschauer jedoch eher die oben aufgeführte Rede über die Wichtigkeit, Wahlen durch Pragmatismus und Kompromissbereitschaft gewinnen zu wollen und obendrein die SPOILER Schlussszene, welche nicht nur wiederum sehr stark fiktionalisiert wurde, sondern auch von Pathos trieft, in der der Sorkin’sche Hayden wie erwartet im Zentrum steht und in der der hervorragend spielende, jedoch sehr eindimensional geschriebene Frank Langella endgültig zur jämmerlichen Karikatur verkommt. SPOILER ENDE

          Ich wurde durchaus unterhalten, gerade der noch nicht erwähnte Mark Rylance als unkonventioneller Anwalt konnte mich mit seiner sympathischen, bescheidenen Art auf seine Seite und damit die Seite der Chicago Seven ziehen, doch je mehr Zeit seit der Sichtung vergangen ist, je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr wirkt «The Trial of the Chicago 7» wie das alljährliche Oscar-Kino. Kino, welches Substanz in erster Linie durch eine historische Basis vorgaukelt.

          13
          • Cesare Zavattinis Gedanken zum Neorealismus #6:
            "I am against 'exceptional' personages. The time has come to tell the audience that they are the true protagonists of life. The result will be a constant appeal to the responsibility and dignity of every human being. Otherwise the frequent habit of identifying oneself with fictional characters will become very dangerous. We must identify ourselves with what we are. The world is composed of millions of people thinking of myths."

            1
            • Cesare Zavattinis Gedanken zum Neorealismus #5:
              "The question is, to be able to fathom the real correspondences between facts and their process of birth, to discover what lies beneath them. Thus to analyse 'buying a pair of shoes' in such a way opens to us a vast and complex world, rich in importance and values, in its practical, social, economic, psychological motives. Banality disappears because each moment is really charged with responsibility. Every moment is infinitely rich. Banality never really existed. Excavate, and every little fact is revealed as a mine. If the gold diggers come at last to dig in the illimitable mine of reality, the cinema will become socially important."

              1
              • Cesare Zavattinis Gedanken zum Neorealismus #4:
                "The true neorealistic cinema is, of course, less expensive than the cinema
                at present. Its subjects can be expressed cheaply, and it can dispense
                with capitalist resources on the present scale. The cinema has not yet found its morality, its necessity, its quality, precisely because it costs too much; being so conditioned, it is much less an art than it could be."

                3
                • TommyDeVito 20.10.2020, 17:06 Geändert 20.10.2020, 17:28

                  Cesare Zavattinis Gedanken zum Neorealismus #3:
                  "Neorealism, it is also said, does not offer solutions. The end of a neorealist film is particularly inconclusive. I cannot accept this at all. With regard to my own work, the characters and situations in films for which I have written the scenario, they remain unresolved from a practical point of view simply because 'this is reality: But every moment of the film is, in itself, a continuous answer to some question. It is not the concern of an artist to propound solutions. It is enough, and quite a lot, I should say, to make an audience feel the need, the urgency, for them. In any case, what films do offer solutions? 'Solutions' in this sense, if they are offered, are sentimental ones, resulting from the superficial way in which problems have been faced. At least, in my work I leave the solution to the audience.

                  The fundamental emotion of Miracolo a Milano is not one of escape (the flight at the end), but of indignation, a desire for solidarity with certain people, a refusal of it with others. The film's structure is intended to suggest that there is a great gathering of the humble ones against the others. But the humble ones have no tanks, or they would have been ready to defend their land and their huts."

                  2
                  • Cesare Zavattinis Gedanken zum Neorealismus #2:
                    "When anyone (he could be the audience, the director, the critic, the State, or the Church) says, 'STOP the poverty', i.e. stop the films about poverty, he is committing a moral sin. He is refusing to understand, to learn. And when he refuses to learn, consciously or not, he is evading reality. The evasion springs from lack of courage, from fear. (One should make a film on this subject, showing at what point we begin to evade reality in the face of disquieting facts, at what point we begin to sweeten it.)"

                    2
                    • Cesare Zavattinis Gedanken zum Neorealismus #1:
                      "Naturally, some film-makers, although they realise the problem, have to 'invent' stories in the traditional manner, and to incorporate in these stories some fragments of their real intuition. This, effectively, has served as neorealism for some film-makers in Italy. For this reason, the first endeavour was often to reduce the story to its most elementary, simple, and, I would rather say, banal form. It was the beginning of a speech that was later interrupted. Bicycle Thieves provides a typical example. The child follows 'his father along the street; at one moment, the child is nearly run over, but the father does not even notice. This episode was 'invented,' but with the intention of communicating an everyday fact about these people's lives, a little fact - so little that the protagonists don't even care about it - but full of life.

                      In fact Paisa, Open City, Sciuscia, Bicycle Thieves, La terra trema, all contain elements of an absolute significance - they reflect the idea that everything can be recounted; but their sense remains metaphorical, because there is still an invented story, not the documentary spirit. In other films, such as Umberto D., reality as an analysed fact is much more evident, but the presentation is still traditional. We have not yet reached the centre of neorealism. Neorealism today is an army ready to start; and there are the soldiers - behind Rossellini, De Sica, Visconti. The soldiers have to go into the attack and win the battle. We must recognize that all of us are still only starting, some farther on, others farther behind. But it is still something. The great danger today is to abandon that position, the moral position implicit in the work of many of us during and immediately after the war."

                      1
                      • 7
                        TommyDeVito 17.10.2020, 00:22 Geändert 17.10.2020, 00:27

                        Gérard Depardieu im Duell gegen Roman Polanski. Depardieu, der Mann, der verhört wird, trinkt und bepinkelt sich - das fühlt sich unangenehm vertraut an. Polanski, der Kommissar, der verhört, erfreut sich an psychischen Abgründen - ebenso eine Kombo von Persönlichkeit und Sujet, die nicht neu ist. Ein (Zwei-)Kampf auf begrenztem Raum, den Giuseppe Tornatore inszeniert wie einer, der die Regiearbeiten seines zweiten Stars gründlich studiert hat.

                        Auf formaler Ebene: Viele Kameraperspektiven, Auf- und Untersichten, rasche Schnittfolgen, das Spiel mit Licht und Dunkelheit und die Bemühung des Regisseurs seinen Film in seiner Existenz als Film zu rechtfertigen, "Eine reine Formalität" nicht zum abgefilmten Theater, das Formale nicht zur reinen Formalität verkommen zu lassen; hoch atmosphärischer Regen, nie enden wollender Regen, taucht gleich Kevin Spacey auf?; Literatur, Krimiliteratur, das Schreiben als Thema, metatextuelle Verweise auf das Genre, seine Klischees; der Geist eines gewissen deutschsprachigen Autoren, welcher immer wieder die Kriminalhandlung zu durchkreuzen scheint, sie leicht ins Surreale übergehen lässt.

                        Kurz: Dieser eher vergessene Thriller aus den 90er-Jahren hat einiges zu bieten, hält seinen Zuschauer laufend am Ball und ist spürbar bestrebt auch intellektuell zu fordern. Hinsichtlich Schauspielführung und Inszenierung kann man Tornatore (am besten bekannt als Regisseur der Kino-Hommage schlechthin: Cinema Paradiso) kaum etwas vorwerfen.

                        Letztlich lässt mich jedoch ausgerechnet das Ende zwiespältig zurück. Moralisch ist dieses für mein Empfinden eher bedenklich, da zu einseitig, zu klar positioniert, und es hätte dem Film ohnehin gut getan, die surreale Note nicht einfach in den üblichen Mindfuck-Gefilden verklingen zu lassen und Erklärungen für das Vorangegangene zu liefern, sondern diese in ein äussert ambivalentes, vielfältig interpretierbares, traumähnliches Finale kulminieren zu lassen. Dann wäre man auch dem Schriftsteller gerecht geworden, dessen traumähnlichen Erzählungen die Reverenz erwiesen wird (selbst der Titel geht in diese Richtung). Es bleibt für mich ein eindrücklich fotografierter und montierter Autorenfilm, der sein Versprechen nicht einlösen kann, da er sich auf der Schlussgerade zu wenig traut.

                        8
                        • Eine nette Idee für eine Liste. Man könnte vielleicht noch John Singletons "Boyz n the hood" und Tarkowskis "Iwans Kindheit" nennen, wobei deine Wertungen - gerade zu ersterem - kaum Begeisterung suggerieren. Überraschend ist jedoch, dass "12 Angry Men" nicht in der Liste ist. Auch John Hustons "The Maltese Falcon" fällt mir ein, aber vielleicht willst du es ja bei den runden 30 belassen.

                          Freut mich, dass Lucas' Debütfilm für einmal entsprechend gewürdigt wird. Die vielen mittelmässigen bis bestenfalls soliden Wertungen kann ich nicht nachvollziehen. Das ist schon ein bemerkenswerter, höchst atmosphärischer Film (und für mich auch sein bester).

                          7
                          • Mich würde Wunder nehmen, wer hier schon von diesem Preis (Praemium Imperiale) gehört hat und was ihr davon hält.

                            2
                            • 6 .5
                              TommyDeVito 14.10.2020, 19:37 Geändert 14.10.2020, 19:42

                              John Woos Heroic Bloodshed-Kultfilm ist ein kleines Wunder. Trotz (und teilweise auch aufgrund) hanebüchener Handlung, reisserischer Gewalt, fragwürdigem Frauenbild, Woo'scher Tauben-Obsession und unbeabsichtigter Homoerotik ist der Actionklassiker mit dem ultracoolen Chow Yun-fat irgendwie mitreissendes und sogar etwas berührendes Kino. Woo stellt sich als Romantiker heraus, der noch an Freundschaft, Loyalität, Liebe und vielleicht ebenso an Gott glaubt, auch wenn der kompromisslose Ausgang dies nur haarknapp rüberbringen kann und fast übertüncht. Jedenfalls gibt es wenige Leinwandbeziehungen wie die zwischen Auftragskiller Ah Jong, Triaden-Veteran Fung Sei und Polizeidetektiv Li Ying, welche so unterhalten. Bemerkenswerter Quatsch, auch wenn mich weiterhin zu viel an dieser Art von Film stört, um mehr Punkte zu geben.

                              8
                              • TommyDeVito 14.10.2020, 13:15 Geändert 14.10.2020, 13:17

                                Es ist sicher nicht einfach, ein Star in der (im weiteren Sinne) chinesischen Welt zu sein. Als Aussenstehender, als jemand aus einer liberaleren und demokratischeren Kultur kann man über fehlende Regimekritik von Seiten gewisser Persönlichkeiten jammern, ohne zu wissen, wie schwierig es sein kann, gegen eine autoritäre Weltmacht die Stimme zu erheben (welche letztlich leider wohl ohnehin untergehen wird) und gleichzeitig vergessen, dass gerade in der Filmindustrie starke politische Positionen stark nachteilig sind. Aber es ist ja nicht nur die Frage, ob man es wagt, ein solches Regime zu kritisieren, sondern im Falle von Jackie Chan auch, ob es denn nötig ist, ein solcher Arschkriecher zu sein und immer wieder die Demokratie anderer Teile dieser chinesischen Welt mit Füssen zu treten.

                                Etwa:
                                -During a news conference in Shanghai on 28 March 2004, Chan referred to the recently concluded Republic of China 2004 presidential election in Taiwan, in which Democratic Progressive Party candidates Chen Shui-bian and Annette Lu were re-elected as President and Vice-President, as "the biggest joke in the world". Police and security personnel separated Chan from scores of protesters shouting "Jackie Chan, get out" when he arrived at Taipei airport in June 2008.
                                -In December 2012, Chan caused outrage when he criticised Hong Kong as a "city of protest", suggesting that demonstrators' rights in Hong Kong should be limited.
                                -In 2019, Chan criticised Hong Kong anti-extradition bill protests, saying that the "'Five-starred Red Flag' is respected everywhere around the world."
                                -Er sagte auch: “I’m gradually beginning to feel that we Chinese need to be controlled. If we’re not being controlled, we’ll just do what we want." Hat er Hobbes gelesen oder ist er einfach der China-Fan Nummer 1?

                                Man vergleiche das mit Chow Yun-Fat (zumindest in Bezug auf die Proteste):
                                -When asked about being banned in mainland China after voicing support for the pro-democracy protests in Hong Kong, actor Chow Yun-fat simply replied, “I’ll just make less then”.

                                Als Actionstar und Stuntman mag er dennoch unantastbar sein, ich kenne das Genre zu wenig.

                                5
                                • 5 .5
                                  TommyDeVito 13.10.2020, 19:05 Geändert 13.10.2020, 19:10

                                  In "Black Book" macht Verhoeven all das, was er am besten kann. Eine kinetische Regie mit sich stetig bewegender Kamera (obwohl er hier viel Kamerabewegung mit dem Schnitt suggeriert), das Verweben von ernsthaften Sujets (Holocaust, Widerstandskampf, Antisemitismus, Kollaboration) mit einem gehörigen Mass von Sex und Gewalt, und oben drauf schwarzen Humor. Und wie in den meisten Filmen, die ich von ihm kenne, ist das teilweise hart an der Grenze zum Trash.

                                  Selbstverständlich muss der im Film schon so oft behandelte Zweite Weltkrieg nicht zwangsläufig bleischwer (europäisches Kunstkino) oder bieder und larmoyant (Hollywood) daherkommen, doch Verhoeven - und mag er dabei noch so selbstironisch und mit Augenzwinkern inszenieren - verhebt sich für meinen Geschmack zu häufig mit seinem (fehlenden) Geschmack.

                                  Auch ist die Handlung so dermassen konstruiert, um auch wirklich Verhoevens Botschaft rüberzubringen, dass überall der moralische Verfall, der Judenhass und der Selbsterhaltungstrieb herrscht. Grundsätzlich ein ehrenwertes Unterfangen, würde dadurch der Plot mit seinen endlosen Volten nicht noch wirrer und unglaubwürdiger als der durchschnittliche Einsatz von 007. Carice van Houten, die eine der besten Leistungen in Verhoevens Filmografie bietet, kämpft, vögelt und singt mit vollem Körpereinsatz, kann für mich trotz vorhandenem Unterhaltungswert "Black Book", der in den besten Momenten an Spielbergs Indiana Jones-Auftakt erinnert, nicht retten. Zu viel Scheisse klebt an ihr und damit an Verhoevens Film.

                                  4
                                  • TommyDeVito 13.10.2020, 18:23 Geändert 13.10.2020, 18:31

                                    "Man mag vielleicht denken, dass Mafiosi es übelnehmen würden, auf der Leinwand böse dargestellt zu werden, aber das ist nicht der Fall. In seinem erhellenden 'Codes of the Underworld' (2009) hat Oxford-Akademiker hervorgehoben, dass Gangster wollen, dass die Leute vor ihnen Angst haben, also sind Filme, die sie als angsteinflössend porträtieren, gut fürs Geschäft. Sie bauen die Marke auf. Er hat nur einen Film finden können, in dem ein Filmemacher für einen Mafiafilm bestraft wurde: das Aufschlitzen von Juzo Itami im Jahr 1992 für seinen 'Minbo - die Kunst der Erpressung'. Aber das Problem war nicht, dass der Regisseur die Yakuza als böse dargestellt hatte, sondern dass er sie inkompetent aussehen liess."
                                    Quelle: https://www.google.ch/amp/s/amp.smh.com.au/entertainment/movies/why-hollywood-is-married-to-the-mob-20100913-158dl.html
                                    (spannender Artikel)

                                    Aus Wikipedia:
                                    "Am 22. Mai 1992, sechs Tage nach der Veröffentlichung seiner Anti-Yakuza-Satire 'Minbo' wurde Itami attackiert, verprügelt und sein Gesicht aufgeschlitzt von fünf Mitgliedern der Goto-gumi, einem Yakuza-Clan aus Shizuoka, welche verärgert waren über die Darstellung von Yakuza-Mitgliedern in Itamis Film. Dieser Angriff führte zu einer Razzia von Seiten der Regierung gegen die Yakuza.
                                    [...]
                                    Itami starb am 20. Dezember 1997 in Tokio, nachdem er vom Dach des Gebäudes gefallen war, in dem sich sein Büro befand. Auf seinem Schreibtisch wurde ein Abschiedsbrief gefunden, in dem es hiess, dass er fälschlich einer Affäre beschuldigt worden sein und nun seinen Namen weisswaschen wolle; zwei Tage später veröffentlichte ein Boulevardmagazin einen Bericht einer solchen Affäre. Niemand in seiner Familie glaubte, dass er sich sein Leben nehmen würde oder dass er so massiv blamiert reagieren würde auf eine reale oder angebliche Affäre. Eine Theorie ist, dass Itamis Suizid von Yakuza-Mitgliedern erzwungen wurde. Ein ehemaliges Mitglied der Goto-gumi-Bande sagte gegenüber Journalist Jake Adelstein 2008: 'Wir haben es so inszeniert, dass sein Mord wie ein Suizid aussah. Wir schleppten ihn aufs Dach und drückten eine Waffe an sein Gesicht. Wir gaben ihm die Wahl: spring und die wirst vielleicht leben oder bleibe und wir blasen dein Gesicht weg. Er starb. Er überlebte nicht.'"

                                    3
                                    • Don't let mobsters hide behind Hollywood makeup

                                      Autor: John Kass
                                      Quelle: https://www.google.ch/amp/s/www.chicagotribune.com/news/ct-xpm-2012-06-14-ct-met-kass-0614-20120614-story,amp.html

                                      The news that mobster Henry Hill had died after a long illness — presumably, nothing to do with the hole in his soul — triggered spasms of nostalgia for "Goodfellas", the classic gangster movie by Martin Scorsese that was based on Hill's story. "Henry Hill was a hood. He was a hustler. He had schemed and plotted and broken heads," author Nicholas Pileggi wrote in the 1985 book based on Hill's life, "Wiseguy: Life in a Mafia Family." "He knew how to bribe and he knew how to con. He was a full-time working racketeer, an articulate hoodlum from organized crime."

                                      Henry Hill was a career criminal who later became an informant and betrayed his friends. So before we mourn him because his story made an entertaining movie, we should remember something: Career criminals are liars by nature. Why? Because they're criminals, compelled to lie as snakes are compelled to crawl.

                                      I liked the book fine, but it was the movie that most folks remember. It bordered on the romantic, Henry Hill living in the suburbs, just as HBO's Tony Soprano lived in the suburbs. Real-life mobsters live in the Chicago suburbs, too, but those who live in fiction belong to a specific subgenre, the postmodern gangster.

                                      The postmodern gangster serves the audience as a fantasy object, as unreconstructed white guy, sometimes a suburbanite with wife and kids, sometimes a fellow who is in need of a psychotherapist, but always a guy who does what he wants. He grabs what he wants, eats what he wants, beds who he wants, kills who he wants and makes jokes while chopping a head or two.

                                      What's important about the postmodern fictional gangster is this. After the show ends, we in the audience go back to our office cubicles, writing our memos and emails and planning meetings and so on, envious of that Tony Soprano, who didn't have to write reports from the Bada Bing.

                                      Most of you already know the classic scenes in "Goodfellas" — that "Am I a clown? Do I amuse you?" scene or the cooking scene in the federal penitentiary, the guys in their bathrobes in a private cell preparing their daily feast, the garlic sliced thin with a razor so it liquefies in the pan, the sauces and various cheeses, steaks or lobster on ice.
                                      [...]
                                      After he's arrested on drug charges, Hill makes a deal, turns rat, testifies against his crew and joins the witness protection program and whines.

                                      "I had paper bags filled with jewelry stashed in the kitchen. I had a sugar bowl full of coke next to the bed. Anything I wanted was a phone call away," runs Hill's final soliloquy in the movie. "Today, everything is different. There's no action. I have to wait around like everyone else. Can't even get decent food. Right after I got here I ordered some spaghetti with marinara sauce, and I got egg noodles and ketchup. I'm an average nobody."

                                      Even in this miserable, suburban summation, the postmodern gangster is glorified. It's self-mocking, ironic, wistful, funny.

                                      But then I think of real-life mobsters, like the Chicago Outfit's Anthony Centracchio running his crimes out of an abortion clinic. Or the federal testimony of Outfit hit man Nicholas Calabrese, who helped the FBI and the U.S. attorney's office in the famous Family Secrets case.

                                      I'll never forget Calabrese sitting on the witness stand. There wasn't anything funny or ironic about him. He wasn't cool. He looked like a nerd, but a precision freak, a man who'd have all his tools on the right pegs on the walls of his garage. He told the jury that after committing his first murder, he was so scared that he urinated on himself.

                                      And still someone will make a movie about him, and his Uncle Nicky character will tell jokes and have an attitude and tell politicians what to do and roll through Chinatown in a nice car, and those of us in our cubicles will repeat his best lines over lunch in the food court.

                                      But I'm reminded of a story told to me by a guy wise in the ways of the Chicago Outfit. It's about the farmer and the snake.

                                      The farmer finds the snake frozen in the snow. He brings the stiff reptile home, warms it by the fire, until the snake starts to move again. Just then, one of the farmer's children approaches for a look. The snake bites the child in the face and the child dies.

                                      "I saved your life!" shouts the astonished farmer. "How could you do such a thing?!"

                                      "How could I?" says the snake. "Because I'm a snake."

                                      1
                                      • TommyDeVito 12.10.2020, 15:26 Geändert 12.10.2020, 15:35

                                        Potentielle Reanimation dieser witzigen Liste:
                                        Tom Turbo - Von 0 auf 111

                                        3
                                        • "A shot that does not call for tracks
                                          Is agony for poor old Max,
                                          Who, separated from his dolly,
                                          Is wrapped in deepest melancholy.
                                          Once, when they took away his crane,
                                          I thought he'd never smile again."
                                          -James Mason

                                          4
                                          • Are you in a pessimistic stage?
                                            "I am not a pessimistic guy. If I was pessimistic, I would never even have started to make films. I hope that these films will be watched in twenty, thirty or forty years, and I think this is as optimistic as you can get in today’s world. Yesterday someone came up to me after one of the screenings and said: ‘this film is sad and depressing, but there is a lot of energy in it, and this makes me happy in the final analysis."

                                            I can imagine you abandoning filmmaking, but I cannot imagine you having no more ideas. What will you do with them?

                                            "Yesterday I went home by taxi and the driver did not know the way. Since I lived in Berlin and I know the city well, I explained the way to him. So I thought, I know how to drive and I like it, so perhaps I will be a taxi driver in Berlin..."

                                            Bela Tarr als Taxifahrer, eine Vorstellung, die mir ein Lächeln aufs Gesicht zaubert.

                                            Mehr: https://hlo.hu/interview/the_end_of_the_world_won_t_be_a_great_show.html

                                            7
                                            • TommyDeVito 10.10.2020, 12:56 Geändert 10.10.2020, 14:16

                                              Anbei der zweite Teil von Jan Agheds höchst empfehlenswertem Interview mit Ingmar Bergman:

                                              -"Zu Godards Filmen hingegen hatte ich nie einen Bezug. Sie fühlten sich konstruiert, pseudointellektuell und mausetot an. Kinematographisch uninteressant und unendlich langweilig. Godard ist eine verdammte Langeweile. Er hat seine Filme für die Kritiker gemacht. Einer von ihnen, 'Masculin, féminin', wurde hier in Schweden aufgenommen und war haarsträubend öde. Aber ich mag den dritten der Hauptfiguren der Nouvelle Vague, Claude Chabrol, der ein wunderbarer Erzähler im Bereich der Krimis ist. Ich hatte immer eine Schwäche für seine Thriller sowie für seinen älteren Kollegen Jean-Pierre Melvilles, den ich besonders liebe - eine knallharte, stilisierte Ästhetik, die sich gut in seiner großartigen Beleuchtung und Landschaft eignet. Darüber hinaus war er einer der ersten, der die Verwendung von Cinemascope wirklich verstand."

                                              Am Ende des Jahres 1971 sahen Bergman und sein Freund und Regisseur Kjell Grede zufällig eine Kopie von Andrei Tarkovskys "Andrej Rubljov" in einem Aufführungssaal der schwedischen Filmindustrie. Sie sahen ihn ohne Titel. Er zählt es zu seinen schwindelerregendsten und unvergesslichsten Filmerlebnissen.

                                              Was haben die Amerikaner gemeint? Ihre Dramaturgie wurde in ihn hineingetrommelt, als er als 24-Jähriger einen Job in der Drehbuchabteilung von SF bekam. Sobald sich die Gelegenheit ergab, rannte er zwei Stufen zur Distribution hinunter, um sich die neuesten Importe aus den USA anzusehen, und stellte fest, dass es unmöglich war, ein Drehbuch nach anderen Regeln als Hollywood zu schreiben oder zu bearbeiten.

                                              -"Meine ersten Drehbücher und Filme basierten darauf. Es fühlte sich sicher an, zunächst die amerikanische Dramaturgie zu haben, gegen die man Stellung beziehen konnte. Später musste man sich natürlich davon befreien. Der Vertreter, den ich am meisten bewunderte, ist der alte österreichische Exilant Billy Wilder. Er war ein virtuoser Schauspielregisseur und wählte immer diejenigen aus, die für seine Filme absolut perfekt waren, einschließlich Marilyn Monroe. Ich liebe Wilder."

                                              -"Unter den heutigen Regisseuren bin ich natürlich beeindruckt von Steven Spielberg und Scorsese sowie von Coppola, obwohl er anscheinend aufgehört hat, Filme zu machen, und von Steven Soderbergh - sie alle haben etwas zu sagen, sie sind leidenschaftlich, sie haben eine idealistische Einstellung gegenüber dem Filmemachen. Soderberghs 'Traffic' ist beispiellos. Einige andere großartige Beispiele für die Stärke des amerikanischen Films sind 'American Beauty' und 'Magnolia'."

                                              Was den schwedischen Film nach Victor Sjöström betrifft, wird Bergman lyrisch bezüglich Jan Troell, nennt Lukas Moodysson "einen teuflisch begabten Mann" und spricht begeistert von "Meeting with Evil", Reza Parsas neuem Kurzfilm über einen Selbstmordattentäter.

                                              -"In seinem Format ist es die gleiche Klasse wie bei 'No man's land' [Anm. von Danis Tanovic, 2001) es ist die gleiche bodenlose Verzweiflung und die gleiche schwarze Ironie und der gleiche Humor inmitten des Schrecklichen. Es ist so tief komprimiert und schön gemacht. Gleichzeitig zeigt es, was das große Wunder des Films ist: das menschliche Gesicht. Die richtige Nahaufnahme im richtigen Moment hat eine unglaubliche Wirkung. Wenn es gut komponiert und gut beleuchtet ist und einen guten Schauspieler hat, können Sie es tatsächlich so lange auf der Leinwand lassen, wie Sie möchten. Mein Traum, als ich aktiv war, war es, einen ganzen Spielfilm in einer einzigen Nahaufnahme drehen zu können."

                                              Wenn ich frage, ob Bergman den Schriften der Kritiker über seine Filme mit Aufmerksamkeit gefolgt ist, gibt er einige Beispiele für Rezensionen aus der Vergangenheit. Fünfzig Jahre später erinnert er sich immer noch daran; auswendig zitierte Fragmente deuten darauf hin, dass sie tiefe Spuren in seiner Seele hinterlassen haben. "Ich weigere mich, das Erbrochene, das Ingmar Bergman diesmal zurückgelassen hat, visuell zu untersuchen", schrieb Filmson in Aftonbladet über 'Abend der Gaukler'. Noch unverständlicher angesichts des Rufs des Schriftstellers war Olof Lagercrantz 'Bewertung für "Das Lächeln einer Sommernacht" in DN: "Die schlechte Vorstellungskraft eines jungen verpickelten Mannes", "Ich schäme mich, dass ich ihn gesehen habe".

                                              -"Ich hatte am Anfang einen verdammt beschissenen und schwierigen Weg. Niemand denkt heutzutage darüber nach. Ich hatte es schwer. Solche Reaktionen im Druck zu sehen, fühlte sich nicht gerade ermutigend an."

                                              Bo Widerberg hat dich unser Dalapferd der Welt genannt.
                                              -"Ja, es war eine zurückhaltende Formulierung. Aber ich war nie wütend oder bitter auf ihn, denn schließlich waren wir in derselben Branche, dieser verdammten Huren- und Metzgerbranche. Bosse Widerberg war ein kluger Fan. Er dachte: Wenn ich mich öffentlich auf Bergman stürze, dann profiliere ich mich! So funktioniert das in unserer Branche. Persönlich habe ich in seinem ganzen Leben nie ein beschissenes Wort über ihn gesagt. 'Das Rabenviertel' ist ein völlig makelloses Meisterwerk. Er war ein wunderbarer, großartiger Filmregisseur. Ich glaube jedoch nicht, dass er ein guter Theaterregisseur war, dafür hatte er keine Geduld."

                                              Apropos Theater, während wir reden, wird Bergmans Produktion von Henrik Ibsens "Gespenster" in Dramaten gespielt. Während der Vorbereitungen wollte er, dass das Ensemble "Doctor Romand" las und disktutierte, Emmanuel Carrères Buch über den französischen Arzt, der 1993 seine gesamte Familie ermordete, anstatt zuzugeben, dass sein Leben ein Scherz war. Für Bergman war das Buch eine geeignete "Kursliteratur" für ein Stück, in dem es genau um Fassaden und Verkleidungen geht und wie die kompakte Lüge des Lebens Menschen von innen heraus auffrisst. Von "Gespenster" geht das Gespräch auf seine legendäre Theaterzeit in Malmö zurück.

                                              -"Dann hatten die Leute das Gefühl, sie könnten ins Theater gehen, weil sie wussten, dass sie etwas dafür bekommen, entweder auf der großen oder der kleinen Bühne. Die, die seitdem gekommen sind, haben das Publikum misstrauisch gemacht. Sie haben - wie mein alter Chef Lars-Levi Laestadius sagte - Plakate gespielt. Deutsche Dramatiker der Jahrhundertwende, von denen kein Bastard gehört hat. Die Menschen in Malmö haben Millionen für die Renovierung von Hipp ausgegeben, und es kommt ein junger Regisseur, der den Ehrgeiz hat, seine künstlerische Qualität zu behaupten und ein unverständliches Stück nach dem anderen zu spielen. Das Publikum taucht auf, sitzt und gähnt, versteht nichts, geht dann nach Hause und denkt, Scheiße, unsere Millionen sind verschwendet. Das darf also nicht passieren! Und dieser junge Regisseur ist jetzt der neu ernannte Direktor von Dramaten."

                                              -"Sie sehen, jetzt hat er einen großen Vorteil, nachdem er sechs Jahre in Malmö war. Er hat erkannt, dass er falsch lag. Es gibt einen verdammten Unterschied zwischen dem Stadsteatern und dem Dramaten, denn es geht um zwei verschiedene Arten von Publikum. Hier ist ein leidenschaftlich interessiertes Theaterpublikum, ein echtes Theaterpublikum, und er ist ein echter Theatermann. Staffan Valdemar Holm passt genau. Er wird gut für das Theater sein."

                                              4
                                              • TommyDeVito 09.10.2020, 17:57 Geändert 09.10.2020, 18:25

                                                Nachfolgend ein grossartiges Interview in zwei Teilen - anbei Teil 1 - mit dem vielleicht grössten aller Filmemacher: Ingmar Bergman. In Ermangelung einer deutschen oder gar einer vollständigen englischen Übersetzung habe ich den schwedischen Text selber übersetzt, auch wenn ich die schwedische Sprache nicht beherrsche. Google Translate und mein Sprachgefühl mussten genügen. Abgesehen von ein paar skurrilen Redensarten, welche ich nicht zu übersetzen wusste und welche sowohl höchst amüsant als auch aus dem Kontext eindeutig zu erschliessen sind, ist das Endresultat meines Erachtens überraschend gut gelungen. Nun dann:

                                                Wenn Bergman ins Kino geht

                                                Interview von Jan Aghed, 12. Mai 2002

                                                Sydsvenskan traf Ingmar Bergman 2002 in Dramaten [Anm. Königliches Dramatisches Theater] in Stockholm und führte dieses Interview. "Im Laufe der Jahre gab es viele Interviews mit Regisseuren. Aber ich habe noch nie jemanden getroffen, der den unersättlichen Appetit und die Neugier des 84-Jährigen auf Filme hat und über sein ständiges Ansehen von Filmen sprechen möchte", sagt Jan Aghed von Sydsvenskan, der den Filmfan und Filmsammler Ingmar Bergman in seinem Arbeitszimmer in Dramaten in Stockholm traf.

                                                Jedes Frühjahr sendet Ingmar Bergman eine Liste mit etwa 150 Filmen, die er sehen möchte, an das riesige Filmarchiv des Filminstituts. Anfang Juni werden sie per LKW zu seinem Haus in Fårö geliefert, wo er ein privates Kino mit modernster Ausstattung und einer unerschütterlichen Routine hat, die darin besteht, fünf Tage die Woche jeden Nachmittag um drei Uhr Filme zu schauen. Während der Sommermonate zusammen mit Urlaubskindern und Enkelkindern, die am Montag eine Zeitung mit dem Kinoprogramm dieser Woche erhalten. Darüber hinaus leiht er sich eine Reihe neuer Filme aus dem Kinorepertoire aus, die sein Interesse bei verschiedenen Verleihfirmen wecken und die aktuelle schwedische und ausländische Produktion genau verfolgen. Erwähnen Sie François Ozons "Unter dem Sand" oder Danis Tanovics "No man's land", und die Antwort wird eine begeisterte Antwort sein. Er hat Ozons Film mehrmals gesehen und Danovics ist "schrecklich gut". Darüber hinaus gibt es eine zärtlich gepflegte private Filmsammlung mit über 400 Titeln sowie rund 4.500 Filmen auf Videokassetten. Wenn Sie mit Bergman über Film sprechen, wundern Sie sich nicht, dass Sie schnell ein umfassendes und vielseitiges Wissen über die Filmgeschichte bemerken.

                                                Gleichzeitig kommen viele sehr unorthodoxe Einordnungen einzelner Filmemacher und ihrer Werke zum Vorschein. Manchmal sind sie mit etablierten Ansichten völlig unvereinbar. Zum Beispiel bei Orson Welles, einer der Ikonen der Filmgeschichte. - "Für mich ist er nur ein Betrug. Es ist leer. Es ist uninteressant. Es ist mausetot. 'Citizen Kane', den ich in meiner Sammlung habe - es ist der Liebling aller Kritiker, immer ganz oben auf allen Abstimmungslisten, aber ich finde den Film langweilig. Nicht zuletzt wird es schlecht gespielt. Welles läuft mit einer Gesichtsmaske und einer Perücke herum, während er diesen Magazin-Mogul Hearst darstellt, aber Sie sehen die ganze Zeit das Perückengelenk! Der Ruf dieses Films ist völlig unverständlich."

                                                Und "The Magnificent Ambersons"?
                                                -"Nää. Auch furchtbar langweilig. Und ich habe Welles als Schauspieler nie gemocht, weil er nicht wirklich ein Schauspieler ist. In Hollywood gibt es zwei Kategorien: Man kann von Schauspielern und Persönlichkeiten sprechen. Welles war eine unvergleichliche Persönlichkeit, aber wenn er Othello spielt, dann ist es scheiße, sehen Sie, dann geht er mit dem Daumen im Arsch weg. Nein, in meinen Augen ist er ein unendlich überbewerteter Filmemacher."

                                                Wenn ein anderer gefeierter Kollege, Michelangelo Antonioni, trotz seiner 90 Jahre noch aktiv ist, klingt das so:
                                                -"Er hat zwei Meisterwerke gemacht, die anderen Filme, auf die kann man verzichten. Eines ist 'Blow-Up', das ich schon oft gesehen habe, und das andere 'La Notte', ebenfalls ein wunderbarer Film, aber sehr abhängig von der jungen Jeanne Moreau. In meiner Sammlung habe ich eine Kopie von 'Il Grido' und verdammt, wie langweilig es ist. So verheerend öde dann. Weißt du, Antonioni hat den Beruf nie richtig gelernt. Er ist im Grunde ein Ästhet. Nehmen Sie 'Die Rote Wüste' - wenn er eine Straße hatte, malte er die Häuser auf der Straße neu. Er konzentrierte sich auf das einzelne Bild und verstand nie, dass Film ein rhythmischer Bildfluss ist, eine Bewegung. Klar, in seinen Filmen stecken brillante Details. Aber für 'L'Avventura' zum Beispiel fühle ich nichts. Nur Gleichgültigkeit. Ich habe nie verstanden, warum Antonioni so unglaublich verärgert war. Und seine Muse Monica Vitti fand ich als Schauspielerin beschissen. - Ich habe eine ganz andere Beziehung zu Antonionis Landsmann Federico Fellini und seinen Filmen. Wir wollten einmal zusammenarbeiten und mit Akira Kurosawa jeweils eine Liebesgeschichte in einen von Dino de Laurentiis produzierten Film verwandeln. Ich ging mit meinem Drehbuch nach Rom und verbrachte viel Zeit mit Federico, während wir auf Kurosawa warteten, der am Ende aus gesundheitlichen Gründen nicht das Haus verlassen durfte, sodass das ganze Projekt zusammenbrach. Fellini beendete 'Satyricon'. Ich war oft mit ihm im Studio und habe gesehen, wie er arbeitet. Ich liebte ihn sowohl als Regisseur als auch als Person und schaue mir immer noch seine Filme an, wie 'La strada' und vor allem diese Kindheitsdarstellung - wie heißt sie jetzt wieder?"

                                                Der Interviewer hat den fraglichen Film auch mehrmals gesehen, hat aber gerade den Titel verschluckt. Bergman bellt entzückt. - "Was für ein Spaß, dass du auch ein bisschen schwindlig bist! Ich freue mich." (Am selben Abend, einige Stunden nachdem wir uns an Dramatens Empfang getrennt hatten, klingelt das Telefon. Bergman ruft: "AMARCORD!")

                                                -"Wenn wir über Filmemacher sprechen, die mir grundlegende Erfahrungen und Impulse gegeben haben, müssen wir in erster Linie mit Victor Sjöström beginnen, ihm. Und dann Marcel Carné und Kurosawa und natürlich Fellini. Kein gegenseitiges Ranking zwischen ihnen, es ist nur so, dass ich eine besondere Beziehung zu ihnen habe.

                                                Victors 'Körkarlen' [Anm. 'Der Fuhrmann des Todes' von Sjoström] und 'Tösen från Stormyrtorpet' [Anm. 'Das Mädchen vom Moorhof') sehe ich jedes Jahr. Es gehört fast zu mir, dass ich meine Kinosaison auf Fårö mit dem einen beginne und mit dem anderen beende. Sie immer wieder zu sehen, ist eine Tradition geworden. Eine Droge. Oder eine Ladung. Von Victors Hollywood-Filmen wird 'The Wind' oft zuerst erwähnt, aber ich denke, dass 'Der Mann, der die Ohrfeigen bekam' äußerst bemerkenswert ist. Ist es nicht erstaunlich, wie er es geschafft hat, sich in Hollywood zu akklimatisieren und gleichzeitig innovativ zu sein?" Bergman behauptet, für Stummfilme von Mitte bis Ende der 1920er Jahre, den Jahren kurz bevor die Filmkunst durch Ton infiziert wurde und gerade eine eigene Sprache entwickelte, eine besondere Schwäche zu haben.

                                                -"Dann hatten Sie Friedrich Wilhelm Murnau und sein 'Der letzte Mann' mit Emil Jannings, der keine Texte hat, sondern nur im Bild erzählt und dies mit einer wunderbaren Beweglichkeit und Sinnlichkeit bei der Bildwahl tut. Und sein 'Faust' mit Jannings und Gösta Ekman in der Titelrolle und das Meisterwerk 'Sunrise'. Drei erstaunliche Filme, die uns erzählen, dass Murnau, während Erich von Stroheim in Hollywood auf der gleichen Linie [Anm. auf dem gleichen künstlerischen Niveau?] war, einen langen Weg zurückgelegt hat, um eine originelle und unabhängige Filmsprache zu schaffen."

                                                Als Kind lief Bergman ständig ins Kino, manchmal Nacht für Nacht und jeden Sonntag bei den Matineen.
                                                -"Ich hatte ein Problem damit, sonntags in die Kirche gehen zu müssen. Die erste Matinee-Aufführung begann um ein Uhr, aber nach der Kirche gab es in unserem Haus Kirchenkaffee, und dann muss man da sein und höflich sein und alles. Die zweite Show begann um drei, aber dann war es verdammt gut, dass wir um fünf zu Abend gegessen haben. Trotzdem habe ich es oft geschafft, mich wegzuschleichen und dann pünktlich nach Hause zu kommen. Vater war Priester in Sofiahemmet und dann Pastor in Storgatan, daher gab es in der Nähe viele lebhafte kleine Kinos.

                                                Haben deine Eltern dieses Filminteresse nicht gestört?
                                                -"Nein, nicht im geringsten. Sowohl Vater als auch Mutter gingen ins Kino und fanden es lustig. Aber ich erinnere mich an eine Zeit, als meine Mutter für mich zur Dummköpfin wurde. Ich muss achtzehn Jahre alt gewesen sein und einen Film von Julien Duvivier mit dem Titel 'Pépé le Moko' gesehen haben, und ich sagte meiner Mutter und meinem Vater, dass sie ihn sehen müssen, also trotteten sie erwartungsvoll davon. Und es war kein geeigneter Film für Pastor Erik Bergman und seine Frau - ich bekam eine Schelte von meiner Mutter, die sich fragte, wie ich solch einen schrecklichen, unmoralischen Dreck sehen konnte. Also habe ich aufgehört, meinen Eltern Filme zu empfehlen." Diese Episode wiederum ruft eine weitere lebendige Erinnerung hervor. Bergman ist irgendwann in den 1960er Jahren auf einem Festival in Frankreich und wird von französischen Filmautoren interviewt. Sie wollen wissen, welche Filme ihm am meisten bedeuteten.

                                                -"Ganz ehrlich, ich sagte, dass Duvivier und Carné einen entscheidenden Einfluss hatten. Von 1936 bis 1939 erschienen Carnés 'Hafen im Nebel', 'Hôtel du Nord' und 'Le jour se lève' sowie Duviviers 'Pépé le Moko' und 'Spiel der Erinnerung'. Sie haben mich tief beeindruckt, und ich dachte mir, wenn ich jemals Regisseur werde und selbst einen Film machen darf, möchte ich einen Film wie Carné machen. Aber als ich diese Namen auf dieser Pressekonferenz erwähnte, verbreitete sich unter den anwesenden Filmjournalisten ein Spott. Sie konnten ihre Gesichter lesen. Diese Scheiße, wie konnte er? Sie hatten Jean Renoir als Idol und fragten sich, wie in all ihren Tagen jemand ein gutes Wort über Duvivier und Carné sagen konnte!"

                                                Sie repräsentierten "le cinéma de papa", gegen das der französische New Wave-Filmemacher unter der Leitung von François Truffaut rebellierte.
                                                -"Richtig. 'Papas Kino'! Und Godard und so weiter wurden angebetet. Und dann war es ein verdammt großer Tramp im Klavier, den ich unternahm, um diesen alten Schocks Tribut zu zollen [Anm. Lol]! Aber ich mag es immer noch, diese französischen Filme aus meiner Jugend zu sehen. Ich finde sie sehr schön. In ihnen steckt eine Traurigkeit, Zärtlichkeit und Sinnlichkeit, die großartig ist."

                                                In diesem Zusammenhang ist es ziemlich ironisch, dass Ihr 'Sommer mit Monika' mit seinem Gefühl der Freiheit sowohl in Harriet Anderssons Titelrollenporträt als auch in der Erzählung selbst als wichtige Vorlage für die Nouvelle Vague wahrgenommen wird. Godard schrieb bewundernswert über 'Monika' in Cahiers du Cinéma.
                                                -"Ja, und dann haben Sie diese symbolische Szene in Truffauts 'Les 400 coups' in der die Jungs mit Harriet das Standbild drehen", sagt Bergman heute mit einem amüsierten Lächeln. "Ich mochte Truffaut sehr, ich habe große Bewunderung für seine Ansprache an das Kinopublikum und seine Art zu erzählen empfunden. 'Die amerikanische Nacht' ist eine entzückende Sache, und ein anderer Film, den ich gerne sehe, ist 'Der Wolfsjunge' mit seinem feinen Humanismus."

                                                5
                                                • 8
                                                  TommyDeVito 09.10.2020, 01:23 Geändert 09.10.2020, 02:02

                                                  «Just the idea that I might ever lose this man is too much to bare. He’s my dad. He’s such an open, accepting person. That’s who you want for a father and that’s who I have, who I have always had. My whole life. But now it’s upon us, the beginning of his disappearance. And we’re not accepting it. He’s a psychiatrist, I’m a cameraperson. I suggested we make a movie about him dying. He said ‘yes’».

                                                  Dokumentarfilmerin Kirsten Johnson verlor bereits ihre Mutter durch eine Alzheimer-Erkrankung und erfuhr, wie es ist, wenn man sich von einer nahestehenden Person zweimal verabschieden muss. In «Dick Johnson is dead» fängt die Tochter den mentalen und damit auch physischen Niedergang des an Demenz erkrankten Vaters ein, inszeniert mit ihm und "Stuntdoubles" schwarzhumorig verschiedene, mitunter sehr skurrile Todesszenen, und belichtet spielerisch, aber immer mit dem nötigen Respekt, den Umgang mit dem unvermeidbaren Tod. Ehemalige Patienten von Dick, Freunde und Verwandte, Pfleger und die in enger Beziehung zu einander stehenden zentralen Figuren tauschen sich über Krankheit, Alter und Tod, Vergangenheit, Erinnerung, Zehen, Schokokuchen und nebenbei auch das Medium Film aus, welches sich letztlich als ideales Werkzeug entpuppt, um dem lebensfreudigen Richard ein kleines Denkmal zu setzen, was die im Film getätigte Aussage der Regisseurin zu bestätigen scheint: Manchmal ist das echte Leben spannender als das, was man in (Spiel-)Filmen erfinden kann. Dennoch ist auch ein Dokumentarfilm, und sei es noch "direct cinema" o. Ä., immer auch artifiziell, konstruiert, was gerade in einem besonders eindringlichen Moment während der vielleicht wichtigsten Sequenz des Films die Frage aufwirft, ob Johnsons Ansatz etwas zu weit geht. Letztlich ist "Dick Johnson is dead" aber mit sehr viel Einfühlvermögen gemacht und das Ausloten von Grenzen ist untrennnar mit der filmischen Dokumentation verbunden.

                                                  Wer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten von seiner besten, sympathischsten, schrulligsten und auch berührendsten Seite sehen möchte, sollte unbedingt diese Netflix-Doku ansehen. Meine Augen blieben nicht trocken und das ohne billige Sentimentalitäten oder deutlich als solchen erkennbaren emotionalen Voyeurismus.

                                                  5
                                                  • Interessant ist an "Mank" vor allem, dass laut Experten die ursprüngliche Drehbuchfassung von Jack Fincher aus den 90ern Behauptungen zu Orson Welles enthält, welchen eine Nähe zum kontroversen Essay "Raising Kane" von Kritikerin Pauline Kael aufweisen. Kaels Essay "Raising Kane" aus dem Jahr 1971 beschädigte Welles' Reputation und beschrieb Herman J. Mankiewicz als wahren (Drehbuch-)Autoren von "Citizen Kane". Welles, so Kael, hatte sich den Drehbuch-Credit quasi ergaunert.

                                                    Über die Jahre wurde Kaels Essay, der ein entscheidender Beitrag zur Debatte um den "auteur" Begriff war, immer mehr und deutlicher diskreditiert. Unzählige Fehler und journalistische Schlampigkeit hatten Kaels Text in ein sehr kritisches Licht gerückt.

                                                    Inwieweit "Mank" über die Jahre umgeschrieben wurde, bleibt offen. Auf jeden Fall scheint es selbst bei einer gewissen Nuanciertheit wahrscheinlich, dass der Film Welles-Bewunderer wie Peter Bogdanovich, welcher Kael damals mit dem Artikel "The Kane Mutiny" sehr harsch angriff, und Jonathan Rosenbaum auf den Plan rufen wird. Theoretisch könnte Finchers Film auf einer eher symbolischen Ebene einen weiteren Sargnagel in ehemals grosse Zeiten von Autorenfilmern schlagen. Dies würde natürlich nicht einer gewissen Ironie entbehren, so musste Fincher für seinen Film - auch wenn er den "auteur" Begriff für sich nicht verwendet - bei Netflix anklopfen, in Zeiten, in denen persönliche Filme mit mittelgrossem Budget und generell ambitionierte persönliche Projekte zunehmend rar werden. Ich bin gespannt und, zugegeben, skeptisch.

                                                    8