TommyDeVito - Kommentare

Alle Kommentare von TommyDeVito

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    TommyDeVito 30.08.2020, 19:20 Geändert 30.08.2020, 19:25

    Murrays Kommentar unter mir hat Mohsen Makhmalbafs Film «Brot und Blumentopf» – mir gefällt auch sehr der englische Titel «A Moment of Innocence» – schon sehr treffend beschrieben. Ich will es aber trotzdem versuchen, meine eigene Sichtweise wiederzugeben und neue Informationen anzufügen (auch wenn ich dabei das eine oder andere im untenstehenden Kommentar von Murray wiederholen mag).

    Die Realität:
    Der iranische Regisseur Makhmalbaf verarbeitet in «Brot und Blumentopf» ein Erlebnis aus seiner Jugend. Zu Zeiten, als der Schah Mohammad Reza Pahlavi im Iran herrschte, stach der junge, damals 17-jährige Makhmalbaf auf einen Polizisten ein und wurde zum Tode verurteilt. Letztlich wurde er dann nach ein paar abgesessenen Jahren während der Iranischen Revolution wieder freigelassen.

    20 Jahre später tauchte ausgerechnet derselbe Polizist bei einem Casting für einen Film von Makhmalbaf auf und bewarb sich als Schauspieler, da er mittlerweile seinen Beruf gewechselt hatte.

    Die Rekonstruktion des Realen:
    In «Brot und Blumentopf» werden diese realen Elemente in einer ungemein komplexen Wechselwirkung aus Realität und Fiktion thematisiert. Makhmalbaf spielt eine fiktionalisierte Version von sich selber, während Schauspieler Mirhadi Tayebi, welcher nebenbei die glorreichsten Augenbrauen jenseits von Eugene Levy und Martin Scorsese aufweisen kann, in die Rolle des Polizisten schlüpft, in welcher er, in Anlehnung an die unerwartete Reunion der beiden bei der gewalttätigen Auseinandersetzung involvierten, einen Polizisten spielt, der sich für eine Rolle im neuen Film von Makhmalbaf bewirbt. Der ehemalige Polizist wird engagiert, soll jedoch stattdessen eine beratende Funktion einnehmen und einem jüngeren Schauspieler dabei helfen, sein vergangenes und jüngeres Ich authentisch zu verkörpern, um eine autobiografische Wiedergabe zu ermöglichen. Gleichzeitig findet Makhmalbaf einen Jungschauspieler, den er für die Darstellung des 17-jährigen Täters und damit seiner eigenen Vergangenheit passend findet.

    Was folgt ist ähnlich wie Abbas Kiarostamis «Close-Up» ein Meta-Film, der die Grenzen zwischen der realen Hintergrundgeschichte und der Fiktion, kreiert durch die Filmkamera, verwischt. Kiarostami sagte einmal prägnant, dass eine Filmkamera niemals die Wirklichkeit einfangen könne, denn schon bei der Auswahl der Linse werde die Realität verzerrt. «Brot und Blumentopf» ist deshalb auch keine einfache Dramatisierung, sondern wirft die Frage auf, inwieweit das Medium Film überhaupt dem «Realen» nahekommen kann, erörtert den Nutzen, welchen eine solche Dramatisierung, eine Nachstellung, ein versuchtes Einfangen der Realität (d. h. jeder Film) haben kann, und geht darüber hinaus auf sehr rührende Weise auf Themen wie Schuld, Vergebung und der Suche nach einem Lebensziel und -Sinn ein.

    Womöglich klingt das alles unglaublich verkopft und eher nach einem Film, über welchen man eine Arbeit im Fach Film- oder Medienwissenschaften schreiben könnte (und ja, das könnte man durchaus). Trotz der Metaebene und der Verwischung der Wirklichkeitsebenen sind es gerade die gezeigten Menschen und ihre Gesichter, ihre Emotionen, ihr Humor, welche dazu führen, dass «Brot und Blumentopf» ein kurzweiliges Vergnügen ist. Gerade die Szenen, in denen der Polizist dem Jungdarsteller vorführt, wie sich ein richtiger Polizist zu verhalten hat, erinnern schon fast an einen Buddy Comedy-Film. Grosses kleines Kino, welches im Gegensatz zu einigen Mindfuck-Filmen gerade nicht durch vertrackte Handlungskonstruktion verdutzt und letztlich mitunter wenig Substanz aufweisen kann, sondern seine Komplexität in charmante, universell verständliche und verspielte Form verpackt. Die Schlussszene wurde nicht ohne Grund mit Antoine Doinels eingefrorenem Blick aus «Les 400 coups» verglichen. Ich kann mich Murray also nur anschliessen und ebenso meine Empfehlung aussprechen, insbesondere für jeden, der «Close-Up» mochte.

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      TommyDeVito 29.08.2020, 16:55 Geändert 29.08.2020, 18:58

      In "Seemabaddha" (deutscher Titel: "Beschränkt"), dem zweiten Teil seiner Kalkutta-Trilogie über soziale Ungleichheit und wirtschaftlichen Leistungsdruck, lässt Satyajit Ray in einem seiner zeitweise dynamischsten, teilweise leicht an der Nouvelle Vague und vor allem Godard angelehnten Filme den zielstrebigen Vorzeigearbeiter Shyamal (Barun Charanda) von einem wirtschaftlichen Aufstieg träumen.

      Eine bequemere Wohnung, finanzielle Absicherung und berufliches Ansehen in der britischen Firma locken, doch ist der Weg zu einer Beförderung nicht zu bewältigen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Seine ihm sehr nahestehende Schwägerin Tutul (Sharmila Tagore) personifiziert sein zunächst unterdrücktes, dann zunehmend ins Wanken geratendes Gewissen.

      Shyamal ist fest entschlossen, die Stelle zu ergattern, doch statt Befriedigung drohen Verzweiflung und Scham, falls sein Mitarbeiter recht behalten sollte, welcher ihm die Worte Joseph Conrads ans Herz legt: "All ambitions are lawful except those which climb upward on the miseries or credulities of mankind."

      Nicht auf dem Niveau von Rays herausragendsten Arbeiten, dennoch ohne Frage sehenswert.

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        TommyDeVito 28.08.2020, 23:20 Geändert 28.08.2020, 23:42

        Arindam Muhkerjee (Uttam Kumar), dem grossen und begehrten indischen Filmstar, soll ein Preis verliehen werden. Per Zug macht er sich auf die Reise, welche schliesslich zur Reise ins eigene Innere wird.

        Satyajit Ray zeigt in einem seiner wenigen mit Originaldrehbuch gefilmten Werke einen detaillierten Mikrokosmos auf dem engen Raum der Zugabteile und -Gänge. Er folgt etwa einem für eine Werbeagentur tätigen Ehemann, welcher versucht mit einem anderen Passagier Geschäfte zu machen und auch nicht davor zurückschreckt, seine attraktive, jüngere Frau als Lockmittel einzuspannen. Der Fokus des Regisseurs als auch der meisten Zuggäste gilt jedoch Arindam, welcher zwar allein durch seine Präsenz die Blicke auf sich zieht, aufgrund schlechter Presse am Tag der Abreise – er soll einen anderen Mann verprügelt haben – trotzdem auch mit Misstrauen begutachtet wird. Darüber hinaus sorgt er sich um seinen bald erscheinenden Film, in welchem er einen bevorstehenden Flop zu erkennen fürchtet.

        «We live in a world of shadows, so it’s not good to show the public too much of our flesh and blood.»
        Schliesslich trifft er die für ein Frauenmagazin schreibende Aditi Sengupta (Sharmila Tagore), welche mit ihrer skeptischen Haltung sowohl gegenüber Arindam als auch der Kunst- und Unterhaltungsform Film eher mit Widerwillen ein Interview mit dem Star beginnt, nachdem sie von ihren Mitreisenden dazu ermutigt wurde. Was folgt ist ein komplexes Psychogramm, in dem Dialoge, Flashbacks und Träume nach und nach einen tiefen Einblick in das unruhige Seelenleben des nach aussen so gefassten und charismatischen Schauspielers geben.

        In einer besonders eindrücklichen Traumsequenz findet er sich in einer Geldwüste wieder. Kleine Dünen aus 1000-Rupie-Scheinen umgeben ihn, während dasselbe Papier vom Himmel regnet. Wie ein Kind tollt er in seinem Reichtum herum, doch dann dringt das Ringen eines Telefons in sein Ohr. Sein Auge fällt auf einen Skelettarm, welcher den noch immer laut ertönenden Hörer in die Luft hält. Verängstigt rennt er davon, doch überall ragen weitere Skelettarme hervor und das Ringen wird unerträglich. Plötzlich sinkt er wie im Treibsand nach unten, droht im Geld zu ersticken und… er wacht auf. Gerade in dieser Sequenz, wird klar, dass Ray sich an Fellinis «8 ½» orientiert, dessen ikonische Eröffnungsszene er durch den ausgestreckten Arm des aus dem Alptraum erwachenden Uttam Kumar direkt zitiert.

        Ray setzt sich in seinem vielschichtigen Drehbuch mit der Kunstform Film kritisch auseinander, analysiert die Widersprüche zwischen der kommerziellen und von Angebot und Nachfrage diktierten Seite der Filmindustrie einerseits und der einzigartigen Kunstform, die sie andererseits im besten Fall sein kann. Im Gegensatz zu Fellinis fast selbsttherapeutischer und autobiografisch gefärbter Studie des Regisseurs Guido Anselmi ist Ray eher am widersprüchlichen Leben eines Schauspielers interessiert. Dieser, so sagt ein Theaterfreund, früherer Mentor und weiterer Filmskeptiker an einer Stelle zu Arindam, könne zwar schnell die Karriereleiter aufsteigen, doch es brauche nur ein paar Flops und schon merke man, dass die Leiter weg sei und es nur noch einen Schubser brauche, um tief zu fallen und auf der Nase zu landen. Ebenso sei ein Filmschauspieler doch ohnehin nur eine Puppe, die von Kameramann, Regisseur und Cutter gesteuert werde.

        Doch Arindam lockte damals der Ruhm und die bessere Bezahlung und ebnete sich seinen Weg zum Ruhm, der begleitet wird von ständigen Autogramm-Anfragen und unangenehmer Neugier für sein Privatleben, welches er so gestalten muss, dass es von seinem Ruf als Darsteller heroischer Figuren nicht zu stark divergiert.

        Innere Leere und Einsamkeit machen sich breit, die durch die oben erwähnten Skelettarme symbolisch als allseitige aber letztlich leere Aufmerksamkeit im Leben der Berühmtheit visualisiert werden. Neben dieser bereits ungemeinen Vielschichtigkeit gibt es auch ein politisches Element, welches in der Reibung zwischen systemkritischer Haltung (personifiziert durch einen politisch aktiven Freund) und der Notwendigkeit eines harmlosen Images wiederum im Kontext des Filmschauspielers weitere Denkansätze beinhält. Einfach nur eindrücklich, wie ein Nebenwerk (!) Rays so meisterhaft und facettenreich inszeniert und vor allem in der Hauptrolle hervorragend gespielt ist und sich trotz der Komplexität nicht als sperrig, sondern im Gegenteil als ziemlich unterhaltsam erweist. Wer sich bisher nie die Frage gestellt hat, wie eine Variation von «8 ½» über die Kunst und das Privatleben und deren Überschneidungen im Leben eines Schauspielers aussieht, sich davon aber angesprochen fühlt, dem kann ich «Nayak» (deutscher Titel: «der Held») nur wärmstens ans Herz legen.

        Oder kurz: Für Film-Freunde fürwahr eine Film-Freude.
        (Bemerkung: Wer bei Interesse auf eine aktuell auf Youtube zu findende Version stossen sollte, sollte achtgeben, da Untertitel und Ton teilweise deutliche Mängel aufweisen).

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          TommyDeVito 28.08.2020, 10:22 Geändert 28.08.2020, 10:47

          Aus verschiedensten Regionen der Welt reisen Musiker, Sänger und sogar Tänzer an, um im kanadischen Winnipeg den Wettbewerb zu gewinnen, in dem es um die traurigste Musik der Welt geht. Guy Maddins schwarzer und sehr skurriler Humor und seine einzigartige Bildsprache, die Stummfilmklassikern und besonders dem deutschen Expressionismus entlehnt ist, begleiten hauptsächlich eine ungewöhnliche Familie und deren jetzige oder einstige Geliebten, wobei es letztlich um zwei universelle Dinge geht: Sex und den Umgang mit Trauer, insbesondere nach dem Verlust von geliebten Menschen.

          Die verschrobenen Figuren und die kulturellen und bewusst völlig überzogenen Klischees amüsieren, die unbändige Kreativität von Maddin fasziniert, auch wenn sie im Gegensatz zu meinem Erstkontakt mit Maddins "My Winnipeg" vergleichsweise sperriger daherkommt, und die Darsteller, zu denen auch bekannte Gesichter wie Isabella Rossellini ("Blue Velvet") oder Maria de Medeiros ("Pulp Fiction") zählen, fügen sich nahtlos in diese Maddin'sche Parallelwelt ein, in der etwa mit Bier gefüllte, gläserne Beinprothesen nicht nur zur Rückkehr zum Gang auf zwei Beinen, sondern auch zu höchster Lust führen.

          Obwohl ich auch diesen Film des kanadischen Autorenfilmers mag, wundere ich mich doch, was aus dem ursprünglichen Originaldrehbuch von Kazuo Ishiguro, dem Maddin nur die Grundidee entnommen hat, geworden wäre, wenn daraus ein konventionellerer Film resultiert hätte.

          Vergnüglichster Dialog (aus der Erinnerung):
          "Are you American?"
          "No, I'm a nymphomaniac."
          "As long as you're not American, you can be anything you want."

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            TommyDeVito 27.08.2020, 02:00 Geändert 27.08.2020, 02:48
            über Tenet

            Anmerkung: Obwohl ich den untenstehenden Kommentar als (grösstenteils?) spoilerfrei betrachte, kann und will ich für nichts garantieren.

            Ich möchte nicht behaupten die Plotstruktur von "Tenet", diese komplexe und ultimativ Nolan'sche Handlungsmaschinerie mit ihren vielen vorwärts und rückwärts arbeitenden und gleichzeitig doch irgendwie ineinander greifenden Zahnrädern vollumfänglich verstanden zu haben. Jedoch bin ich mir sicher, dass Nolans neuster Streich mindestens für meinen Geschmack Mängel aufweist, welche auch bei einer Zweit- oder Drittsichtung nicht verschwinden werden. Der Film läuft nun einmal linear ab, was geschehen ist, ist geschehen und wird bei Wiederholung auf gleiche Weise geschehen.

            Über einen deutlichen Teil dieser linearen Laufzeit kam bei mir keine wirkliche Spannung auf und es dauerte etwa 1.5 Stunden bis ich erstmals mit meiner Neugier bezüglich dem auf der Leinwand krachenden und berstenden Geschehen Bekanntschaft machte und dann sogar in den Genuss gewisser "Aha-" und "Wow-"Momente kommen durfte. Aber: Wenn ich dem Zuschauer wichtige Informationen vorenthalte und diese dann häppchenweise im späteren Verlauf serviere, dann sollte ich dafür sorgen, dass der Zuschauer schon früh einen Appetit verspürt. Bestenfalls läuft ihm bereits nach 20 Minuten oder sogar schon in der Eröffnungsszene das Wasser im Munde zusammen.

            Von der Faszination, die für mich beispielsweise in "Inception" von Beginn an vorhanden war, kann hier keine Rede sein. Am ehesten könnte ich behaupten, dass ich wie der Protagonist in der einzigen und obligatorischen Szene mit Michael Caine zwar ein richtiges und potentiell satt machendes Menü bestellt habe (soll heissen: der Ticketkauf an der Kinokasse mit positiven Erwartungen), in den Genuss dessen dann jedoch nicht kam. Oder zumindest nicht wirklich. (Ich verspreche an dieser Stelle keine weiteren kulinarischen Analogien anzuführen.)

            Bei den ersten Actionsequenzen fühlte ich mich unangenehm an den dritten Teil der "Dark Knight-Trilogie erinnert, der ebenfalls bombastische Setpieces (etwa die Flugzeug-Sequenz mit Bane) aufwies, welche mich irritierend gleichgültig zurückliessen und auch ästhetisch nicht viel hermachten. Jedoch konnte mich Nolan gegen Ende der Trilogie - sicherlich auch dank der Vorarbeit der ersten beiden Batman-Kapitel - emotional abholen und dank dem sehr dick aufgetragenen Pathos, welcher sicher nicht bei jedem Zuschauer ankam, letztlich zufriedenstellen.

            Man mag mich für verrückt bzw. einen Actionbanausen halten, aber ich fand gerade in der ersten Hälfte von "Tenet", wie wenig eindrücklich ein Film mit einem solchen Monsterbudget wirken kann. Von dem Staunen, in welches die zusammenfaltende Stadt aus "Inception" versetzt, der Intensität des Heist-Auftakts im zweiten Batman-Film oder der temporären Atemnot, die bei mir die Andock-Sequenz in "Interstellar" herbeiführte, ist für mich der labyrinthische "Tenet" weit entfernt.

            Vielleicht liegt es ja doch zumindest teilweise am Unverständnis für die undurchsichtige Handlung, letztlich sind einige der daran gekoppelten Ideen dafür aber zu simpel gestrickt. Dies gilt etwa für die "familiären Streitigkeiten" zweier Figuren, welchen Nolan zwar nur stellenweise Zeit und nähere Beschäftigung widmet, welche aber bereits in dieser Form kaum substanziell wirken. Auch das wurde etwa in "Inception" besser gelöst oder zumindest geschickter kaschiert, da die Kinder der Hauptfigur und die Trennung von diesen eine leichte Motivation für die ganze Traumreise darstellten, was zwar nie wirklich vertieft wurde, jedoch ohnehin schon fast eine Art MacGuffin war.

            Ein weiteres Problem stellen die schablonenhaften Charaktere dar. John David Washington war für mich bereits in Spike Lees "BlacKkKlansman" eine eher blasse Leinwandpräsenz (nein, diese Formulierung ist weder freiwillige noch unfreiwillige Komik, dazu komme ich noch...) und auch in "Tenet" sind es eher die Nebendarsteller, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wobei die Figurenzeichnung des Drehbuchs in beiden Fällen nicht sehr dankbar ist. (Sir) Kenneth Branagh darf bzw. muss etwa versuchen, als klischeehafter russischer Oligarch und bad motherfucker die ohne Zweifel dem Drehbuch geschuldete eindimensionale Charakterisierung durch vollen schauspielerischen Einsatz bestmöglich zu übertünchen. Nach meinem Empfinden unfreiwillig komische Vergleiche mit Tigern rezitiert er in bierernstem Ton, als hätte es ein anderer bekannter britischer und Branagh sehr vertrauter Autor einst in einer Tragödie niedergeschrieben. Oder er kämpft gegen flache Psychologisierung, wenn er seiner Frau sagt, wenn er sie nicht haben könne, könne sie niemand haben. Selbst den computeranimierten Thanos aus dem MCU empfand ich als greifbarere Person mit mehr Tiefgang und vergleichsweise nachvollziehbaren Beweggründen.

            Am ehesten sticht für mich aus der Besetzung Robert Pattinson heraus, dessen Charisma für mich ein Hauptgrund war, weshalb ich nicht vollkommen auf Distanz ging gegenüber dem komplex anmutenden Treiben.

            Nebenbei: Wiesen Nolan-Filme immer schon an einigen Stellen so schwache und meines Erachtens fast schon holprige Bildabfolgen auf? Gerade in einfachsten Dialogszenen mit Schuss-Gegenschuss-Inszenierung war für mich ein mitunter recht unruhiger Schnitt erkennbar, der neben den auf Bombast getrimmten Actionszenen kaum dem Erzählrthythmus dienlich war.

            Nochmals zurück zu ebendiesen Spektakel-gefüllten Actionmomenten.
            Obwohl es um das Schicksal der Welt geht, fühlt sich das alles irgendwie klein und unbedeutend an. Wenige Figuren sind im Fokus und trotz unzähliger Schauplätze und aufwändiger Setpieces kam bei mir nie das Gefühl auf, als müsste ich mir ernsthafte Sorgen um diese fiktive Welt machen, deren politische Elemente sicher als sozialkritischer (Zukunfts-)Spiegel unserer eigenen Welt konzipiert sind. Natürlich ist es Teil der Mission des Protagonisten und logische Konsequenz der Grundidee des Drehbuchs möglichst im Geheimen zu verfahren, doch auch hier war ich verblüfft, wie wenig ich emotional involviert war.

            Die Schlusssequenz erinnerte mich trotz der konzeptuellen Rafinesse gar an eine Runde Paintball zwischen zwei befreundeten Teams. Es ist bemerkenswert, dass Nolan nach seinem emotional wirkmächigsten Film ("Interstellar" - trotz vorhandener Mängel) und dem für mich zwar nicht durchweg gelungenen, jedoch packenden "Dunkirk" nun scheinbar die Zugänglichkeit des Vorgängers mit verschwurbeltem Plotting überkompensiert hat, während die zwischenmenschlich einfühlsame Ebene seiner interstellaren Reise nun nur noch so nahbar ist wie ein Paradoxon, welches im Film mehrfach explizit besprochen wird (wer denkt, dass "Tenet" gänzlich auf Exposition und schwerfällig handgehabte Diskussionen verzichtet, der irrt leider auch).

            Zum Schluss möchte ich auf das Buch verweisen, welches Nolan laut eigener Aussage auf eine einsame Insel mitnehmen würde: "Fiktionen" von Jorge Luis Borges. Kein Wunder, dass ausgerechnet die mathematisch-konzeptuelle Fantasie des Argentiniers den britischen Starregisseur begeistert. Nur sollte er sich vielleicht nach seinem neusten Streich an die trotz cleveren Einfällen und Prämissen entscheidende Prägnanz des Klassikers von Borges errinern.

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              TommyDeVito 26.08.2020, 01:21 Geändert 26.08.2020, 02:01

              «A person who knows no frivolity in life can know little about the world.»
              -Miss Oyu

              Eine Ehe soll arrangiert werden zwischen der jungen Shizu und dem Zimmermann Shinnosuke. Jedoch verliebt sich der potenzielle Ehemann Hals über Kopf ausgerechnet in die ältere Schwester Oyu, welche zwar verwitwet ist, doch aufgrund gesellschaftlicher Konventionen gewissermassen in der Rolle der Ehefrau gefangen ist - toter Ehemann hin oder her.

              Regisseur Kenji Mizoguchi greift in "Miss Oyu" einmal mehr sein vielleicht bekanntestes Motiv auf, nämlich das der opferbereiten Frau.

              Dies äussert sich einerseits in dem Opfer, welches die Existenz Oyus darstellt. Sie ist in ihrer individuellen Freiheit trotz gesellschaftlichem Ansehen deutlich eingeschränkt, versucht jedoch ihrer Schwester Shizu ein besseres Leben zu ermöglichen, indem sie diese von der Ehe mit Shinnosuke überzeugt. Gleichzeitig, wie sich später herausstellt, entwickelt sie Gefühle für Shinnosuke, die sie dem Wohl ihrer Schwester unterordnet. In Shizu reift wiederum der Entschluss, ihre eigenen Wünsche und Begierden in einer Scheinehe hintanzustellen und so als eine Brücke zwischen Oyu und Shinnosuke zu fungieren.

              Eine komplexe Dreiecksbeziehung entsteht, die letztlich von sozialen Zwängen erstickt wird. Mizoguchi inszeniert das durch seine zu diesem Zeitpunkt (1951) bereits formal vollendeten Kamerafahrten, welche durch den bedeutenden Kameramann Kazuo Miyagawa (Rashomon), mit dem er ein paar Jahre später nebenbei seine bekanntesten Filme «Ugetsu» und «Sansho Dayu» drehen sollte, präzise umgesetzt werden. Naturaufnahmen nützt Mizoguchi nicht nur atmosphärisch, sondern auch um die turbulente, jedoch nicht immer direkt sichtbare Gefühlswelt des Trios extern zu verbildlichen.

              In zwei Schlüsselszenen werden dramatische Momente nur abseits der Kamera bzw. Kadrage angedeutet, was die emotionale Wirkung drastisch erhöht. Auch ein scheinbar banales Detail wie ein im Hintergrund vorbeifahrender Zug scheint als symbolisches Gefühlstoben auf die Sekunde genau geplant zu sein und hebt «Miss Oyu» vom einfachen Melodram auf eine - wie ich finde - künstlerisch höhere Ebene. Die musikalisch-poetische Schlussszene, wie so häufig bei Mizoguchi ein emotionaler als auch filmischer Höhepunkt, bestätigt mir erneut, weshalb ich den Japaner bewundere wie womöglich keinen anderen Regisseur.

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                TommyDeVito 25.08.2020, 08:59 Geändert 25.08.2020, 09:01

                In "Treibende Wolken" zeigt Mikio Naruse eine Beziehung im Japan der 50er-Jahre zwischen zwei sehr unterschiedlichen Menschen, welche von Anfang an zum Scheitern verurteilt scheint. Yukiko (Hideko Takamine) und Kengo (Masayuki Mori) hatten sich Jahre zuvor in Französisch-Indochina kennengelernt und trotz der Verpflichungen Kengos zu seiner Ehefrau im Heimatland eine aufregende Affäre begonnen, während der sie sich ihre fortwährende Liebe versprachen.

                Nach der Rückkehr in Japan versucht Yukiko den Kontakt mit Kengo wieder aufzunehmen, zu ihrer Ernüchterung hat jener jedoch seinen Teil des Versprechens gebrochen. Dennoch geht die Affäre weiter, wobei der Womanizer Kengo nie wirklich dasselbe Interesse an einer permanenten Bindung hat wie sie. Yukiko treibt fortan wie die titelgebende Wolke umher, bis die schwierige Zweisamkeit während einem anhaltenden Niederschlag ihr Ende findet.

                Neben den glänzenden darstellerischen Leistungen sticht insbesondere die Reduktion der eingesetzten filmischen Mittel heraus. Naruse erzählt seinen Film fast ausschliesslich durch den Schnitt, verzichtet auf Schnörkel bezüglich Kamerabewegung, -Einstellungen und -Perspektiven und bietet damit ein Musterbeispiel dafür, dass die Faustregel, dass eine gelungene Montage meist eher unsichtbar sein sollte, ihre Gültigkeit hat.

                Trotz des angenehmen Erzählflusses, der subtil dokumentierten, das heisst eher indirekt wahrnehmbaren ökonomischen Schwierigkeiten im Japan der Nachkriegszeit und trotz des Pessimismus Naruses, welcher bei mir offene Türen einrennen sollte, zog sich für mich das sich wiederholende Hin und Her zwischen den beiden letztlich zu sehr in die Länge. Ein mindestens sehenswerter Film ist "Treibende Wolken" jedoch allemal.

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                  TommyDeVito 23.08.2020, 15:23 Geändert 23.08.2020, 17:15

                  Ausschliesslich innerhalb von vier Wänden und bei Kerzenlicht gefilmt, mit eleganten Auf- und Abblenden, welche die ineinander fliessenden Szenen verbinden, jedoch ohne konventionellen Schnitt, zeigt Hsiao-Hsien wie Konkubinen in Luxusbordellen in Shanghai gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Männern (Kunden) als auch Frauen (die als "Tante" bezeichneten Puffmütter) abhängig sind, sich ihre Freiheit erkaufen müssen, während reiche Männer sich neben den erkauften Liebschaften mit gutem Essen, Trinkspielen und Opium die Zeit totschlagen. Wie ein Kenji Mizoguchi-Film in Zeitlupe, teilweise hypnotisierend, teilweise fast einschläfernd.

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                    TommyDeVito 23.08.2020, 11:26 Geändert 23.08.2020, 11:30

                    Ein Film wie ein Landschaftsgemälde. Technisch präzise und ästhetisch ansprechend, doch letztlich bevorzuge ich doch deutlich eine subjektbezogenere Malerei mit Fokus auf Mensch oder Tier, welche mir auch einen emotionalen Zugang bereitet.

                    Womöglich ist meine Wertung zu hart, da ich auch Schwierigkeiten hatte, der Handlung zu folgen und dies u. a. an meiner fehlenden Aufmerksamkeit lag. Hou Hsiao-Hsien scheint bewusst die typischen poetischen Wuxia-Kampfsequenzen, welche dem westlichen Publikum (und mir) aus "Hero" oder "Crouching Tiger, Hidden Dragon" bekannt sind, knapp zu halten.

                    Diese kommen und gehen wie kurze Windstösse und Hsiao-Hsien geizt gegenüber dem Zuschauer wieder einmal mit zu direkt transportierten Informationen, was sich gerade in der bruchstückhaft-elliptischen Erzählweise äussert. Nicht, dass ich beim taiwanesischen Regisseur einen spektakulären Actionfilm erwartet hätte, jedoch entzieht sich "The Assassin" leider meinem analytischen oder emotional-intuitiven Verständnis.

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                      TommyDeVito 22.08.2020, 23:14 Geändert 22.08.2020, 23:39

                      "Eine Stadt der Traurigkeit" ist stattliche 2 Stunden und 40 Minuten lang und grösstenteils in Totalen gefilmt. Regisseur Hou Hsiao-Hsien gibt indirekt wichtige und im Erscheinungsjahr 1989 immer noch kaum verarbeitete zentrale Ereignisse in der Geschichte Taiwans wieder, macht dies jedoch auf eine so distanzierte und zurückgenommene Weise, dass man Langeweile erwarten könnte.

                      Hsiao-Hsien dokumentiert die höchst dramatischen Geschehnisse in Form eines glänzend gespielten Familienporträts, welches letztlich gerade aufgrund der so bemerkenswert stillen Inszenierung zutiefst berührt. Herausragend ist insbesondere der taubstumme Wen-ching, der von Tony Leung verkörpert wird. Wenn er sich etwa per Notizbuch über die Vertonung von Heines "Lorelei" unterhält oder mit seiner Frau auf einen Brief mit schlechten Nachrichten reagiert, dann werden universell zugängliche Schnappschüsse aus dem Leben von greifbaren Menschen gezeigt, wobei auch das bei einem westlichen Zuschauer fehlende Hintergrundwissen die emotionale Resonanz nicht hemmen kann. Es fühlt sich mitunter sogar so an, als würde man diese Figuren schon seit vielen Jahren kennen und ins eigene Herz geschlossen haben.

                      Ein brillant konzipierter Film, der mit seiner Mischung aus Intimität und epischem Ausmass an Edward Yangs "Yi Yi" erinnert und dabei eine ähnliche Wirkung entfaltet.

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                        TommyDeVito 17.08.2020, 00:14 Geändert 17.08.2020, 00:18

                        Es gab eine Phase, in der ich jeden Klassiker mit grosser Offenheit und stets positiver Erwartungshaltung angesehen habe. Auch wenn mir schliesslich das Eine oder Andere missfiel, so konnte ich dafür immer die nötigen mich selber beschwichtigenden Begründungen finden. Empfand ich etwa einen Film als zu melodramatisch oder das Schauspiel zu theatralisch, so war klar, dass das Alter des Films oder eine bestimmte Schauspielführung dafür verantwortlich sein mussten.
                        Aufgrund dessen und da der eigene (Film-)Geschmack sich über die Jahre ändert – genau so, wie auch wir uns verändern -, ist es nicht immer einfach einzuschätzen, ob die damalige Wirkung, die ein Film entfalten konnte, noch heute gilt. Heute habe ich mir nach vielen Jahren wieder Roman Polanskis «Chinatown» angesehen. Die 10er-Wertung, die ich dem Film ursprünglich gegeben hatte, korrigierte ich vor etwa einem Jahr auf 9 Punkte herunter. Mir sagte mein Bauchgefühl, dass ich mit der vollen Punktzahl zu hoch gegriffen, also mich von meiner positiven Herangehensweise zu deutlich beeinflussen liess.

                        Falsch. Der Neo-Noir-Klassiker unter der Regie Polanskis und auf der Basis des legendären Drehbuchs von Robert Towne ist aus meiner Sicht ein Werk, das so nahe an der Perfektion ist, wie es nur selten der Fall ist.

                        Neben der immer noch brandaktuellen gesellschaftlichen Relevanz bezüglich den Machenschaften von (Gross-)Konzernen und skrupellosen Geschäftsmännern oder grundsätzlich der düsteren Seite, welche unter der profitgesteuerten Konsumwelt lauert, die individuelle Existenzen falls notwendig dem Kapital unterordnet bzw. opfert, neben der brillanten Verwendung und Erneuerung der typischen Noir-Elemente (femme fatale, der abgebrühte Detektiv, melancholisch-pessimistische Grundhaltung usw.), neben der exzellenten Dramaturgie und der Filmmusik, die mit so wenig so viel vermittelt, neben Schnitt und Regie, welche jeder Szene den geeigneten Rhythmus geben und den Film über das dürre Los Angeles wie ein ruhiges Gewässer wirken lassen, auf dem man sich trotz trüben und unheimlich anmutenden Stellen gerne treiben lässt – neben all den Dingen, die «Chinatown» ohnehin so herausragend machen, sind es viele einfache Details, die den Film aus dem ohnehin schon starken Jahrgang 1974 zu einem der Höhepunkte der New Hollywood-Zeit machen.

                        Ob man etwa an die Szene denkt, in der Gittes sich vor der Polizei flüchtet, bei einem ihm bekannten Schuldner unerwartet auftaucht und von der Ehefrau mit einem blauen Auge begrüsst wird, was die ohnehin von Korruption, Lasterhaftigkeit und Gewalt zersetzte Gesellschaft nochmals unterstreicht, ohne dabei deplatziert zu wirken. Oder an das Dinner mit dem sonst (soll heissen: in der realen Welt) als Sympathieträger bekannten John Huston, in welchem neben geschäftlichen und familiären Angelegenheiten auch über Fisch- und Hühnchenköpfe gesprochen wird und in welchem beängstigende Abgründe bereits angedeutet werden, ohne dafür einen hochdramatischen Auftritt eines klischeehaften Bösewichts zu benötigen.

                        «Chinatown» ist die Art von Film, die nach einigen enttäuschenden Sichtungen meine Begeisterung für das Medium im Alleingang wieder entfachen könnte. Das heisst: wieder zurück zur 10er-Wertung.

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                          Glauber Rochas "Terra em transe", der stets zu den grössten Filmen Brasiliens und den zentralen Werken des Cinema Novo gezählt wird, erzählt vom Versuch eines politisch aktiven Dichters die durch Grosskonzerne und korrupte Amtsträger bedrohte und von Armut gezeichnete brasilianische Gesellschaft in die richtigen Bahnen zu lenken (welche aufgrund Rochas persönlichen Ansichten natürlich linkspolitisch und kapitalismuskritisch sind).

                          Eine radikale, allegorische und schwer verdauliche Bilderflut, die in manchen überbordenden Sequenzen wirkt, wie ein Film den Fellini nach einem schlechten Trip gedreht hätte. Der ungewöhnliche Einsatz von Kameraperspektiven und Soundeffekten - etwa mehrfach zu hörendes Schiessen - untermauert die revolutionären Elemente, führt aber dazu, dass der Film mitunter fast nur assoziativ zu verarbeiten ist. Gerade für Freunde von politischem, Avantgarde- oder Experimentalkino sicherlich empfehlenswert.

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                            TommyDeVito 16.08.2020, 14:15 Geändert 16.08.2020, 14:24

                            Jean Renoirs nie vollendeter und nach einer Kurzgeschichte von Guy de Maupassant gedrehter "Une Partie de Campagne" lebt von seiner unbeschwerten Atmosphäre und den eingefangenen Bildern von Wasser, Bäumen und Lichtstrahlen, welche an impressionistische Gemälde von Monet oder natürlich Jeans Vater Pierre-Auguste erinnern. Ein charmanter kleiner Film, der zusammen mit Satyajit Rays "Charulata" beweist, dass junge Frauen auf einer Schaukel poetischer und eindrücklicher sein können als gigantische Actionsequenzen.

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                              TommyDeVito 16.08.2020, 13:59 Geändert 25.08.2020, 10:18

                              John Ford drehte einst ein(en weiteren) Film in der Wüste und wurde von einem Mitglied der Crew gefragt: "Mr. Ford, what can we shoot out here?" Darauf antwortete Ford gewohnt prägnant: "What can we shoot? The most interesting and exciting thing in the whole world: the human face."

                              John Cassavetes hat daraus einen ganzen und entsprechend betitelten Film gemacht, der sich wie kaum ein anderer die menschliche Mimik zunutze macht.

                              Der schon früh erkennbare Zerfall der Ehe zwischen Richard "Dickie" Forst (John Forst) und Maria (Lynn Carlin) und deren jeweilige Techtelmechtel mit der Prostituierten Jeannie (Gena Rowlands) und dem jungen Lebemenschen Chet (Seymour Cassel) werden von Cassavetes in grösstenteils intimer Nähe zu den Körpern und natürlich Gesichtern der Figuren dokumentiert. Mitunter erreicht diese dokumentarische Kameraarbeit eine klaustrophobische Intensität, welche an John Frankenheimers ungewöhnlichen Science-Fiction-Film "Seconds" erinnert, der auch inhaltlich einige Parallelen zu Cassavetes' Drama aufweist.

                              Im Gegensatz zu einem weiteren Film Cassavetes' über enttäuschte Menschen und emotionale Krisen im mittleren Alter (der zwei Jahre später erschienene "Husbands") hat der Schauspielregisseur für mich dieses Mal nicht über die Strenge geschlagen. Während "Husbands" so naturalistisch inszeniert wurde, dass die improvisatorisch wirkenden Dialoge - gerade wenn Peter Falk und Co. mehrfach sichtlich nach Worten ringen - ironischerweise mitunter sehr artifiziell wirken, bietet "Faces" eher einen Realismus, der zwar in Teilen als überhöht wahrgenommen werden kann (andere Rezensenten haben etwa das grotesk erscheinende Gelächter beklagt), letztlich aber zu einer spiralförmigen Dramaturgie mit sich immerzu explosiver äussernder emotionaler Wucht führt, welche schliesslich nach einem dramatischen Höhepunkt in einer so schlichten wie zutiefst bewegenden Schlussszene und -Einstellung ihr auch bildlich treffendes Ende findet.

                              Meines Erachtens grandioses Gefühlskino, welches selbst bei nur in Einzelszenen auftretenden Nebenfiguren emotionale Abgründe und Verletzlichkeit erkennen lässt, wie ich es noch selten in einem Film gesehen habe.

                              Edit: Die Anekdote zu Ford scheine ich nicht von ungefähr mit Cassavetes in Verbindung gebracht zu haben. Ein Kommentar von Timo K zu Cassavetes bzw. ein Zitat Scorseses scheint der Ursprung meiner Erinnerung gewesen zu sein. Sei's drum, auch hier passt das Zitat sehr gut.

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                              • TommyDeVito 06.06.2020, 01:06 Geändert 06.06.2020, 01:11

                                David Lynch:
                                Ronnie Rocket
                                (Schon der alliterierende Titel rockt!)

                                Dazu zwei religiöse Werke, die nie zustandekamen:

                                -Bressons Verfilmung des Buchs Genesis
                                -Carl Theodor Dreyers Film zum Leben von Jesus von Nazareth

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                                • TommyDeVito 05.06.2020, 22:01 Geändert 05.06.2020, 22:03

                                  Ein kritisches Wort zu Woody Allen und dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs (Teil 2)

                                  (siehe meinen untenstehenden Kommentar für den ersten Teil)

                                  Was mich – und das sage ich offen – neben den oben aufgeführten und weiteren bei kritischer Untersuchung anzutreffenden Punkten (siehe Links unten) zusätzlich skeptisch gegenüber Ronan, Mia oder auch Dylan Farrow macht, ist der Verweis auf schwach argumentierte und verfälschende Artikel, wie den Vanity Fair-Artikel (Zitat Ronan: «meticulously researched»), den ich bereits mehrfach erwähnt habe. Wäre ich Opfer eines schweren Verbrechens, würde ich sicherlich nicht auf einen journalistisch äusserst schwachen Artikel verweisen, der meine Behauptungen –bei genauerem Hinsehen – eher untergräbt als stärkt. Ich empfehle z. B. folgenden Artikel als Beginn einer kritischen Auseinandersetzung mit den 10 «unbestreitbaren Fakten»:

                                  https://medium.com/@levine2001/the-woody-allen-controversy-reader-why-maureen-orths-10-undeniable-facts-about-the-woody-allen-5f26791c15a0

                                  Es ist nicht so, dass ich davon ausgehe, dass Ronan oder gerade Dylan von Allens Unschuld wissen und bewusst lügen – selbst Allen selber teilt diese Auffassung nicht –, jedoch halte ich deren Herangehensweise selbst bei Berücksichtigung ihrer Sichtweise (d. h. traumatisches Erlebnis und nachzuvollziehender Hass gegenüber dem Vater) für äusserst…sagen wir mal: ungelenk.

                                  Noch eine Sache möchte ich erwähnen. Dass Allen häufig – sowohl in Blogs als auch in sozialen Netzwerken – als Kinderschänder bezeichnet wird, OHNE auf die wichtigen Dokumente (wie eben das Dokument zum Sorgerechtsprozess oder die zwei langen Studien) einzugehen, bzw. – wie es manchmal online klar erkennbar wird – indem man sich sogar explizit weigert, diese existierenden Informationen überhaupt als RELEVANT anzusehen, finde ich äusserst beunruhigend. Es ist immer wieder ersichtlich, dass für einige Leute Allens ursprüngliche sexuelle Affäre zur damals erwachsenen Adoptivtochter Mia Farrows (Soon-Yi), als eine Art gedankliches Sprungbrett hin zum sexuellen Missbrauch fungiert.

                                  Wenn er so eine moralische Grenze überschritten hat (Sex mit der Tochter der Partnerin), dann MUSS er ja ein «creep» und ein «pervert» sein und die Frage des sexuellen Missbrauchs stellt sich angeblich gar nicht mehr. Dass es sich, unabhängig von der persönlichen Haltung diesbezüglich (Allen hat in einem damaligen Interview gesagt, dass er jegliche auf ihn gerichtete «heat» hinsichtlich Soon-Yi akzeptieren könne), bei einer Affäre (und späteren Beziehung) zwischen zwei Erwachsenen und dem vermeintlichen Missbrauch der eigenen Tochter um zwei extrem unterschiedliche Handlungen handelt, scheint für viele Leute nicht klar zu sein. Ähnliches bzw. noch Problematischeres gilt für Online-Kommentare und Blogs, welche Allens Schuld an anderen Beziehungen zu sehr jungen Frauen (z. B. zur damals 17-jährigen Stacey Nelkin –soweit ich weiss das «age of consent» in New York, wobei dies bei der moralischen Bewertung nicht essentiell ist) festmachen wollen.

                                  Muss ich an dieser Stelle hervorheben, dass eine einvernehmliche Beziehung zu einer 17-Jährigen, so fragwürdig dies eingeschätzt werden kann, nicht dasselbe ist, wie der sexuelle Missbrauch der 7-jährigen Tochter? Und an die unbeschreibliche, online anzutreffende Dummheit, welche Allens Schuld (zumindest teilweise) sogar mit Handlungsmustern, Charakteren und Gags aus seinen Filmen untermauern will, möchte ich gar nicht zu lange denken. Da eröffnet sich ja eine neue Dimension der Filmanalyse, welche die Person und die künstlerische Ausdrucksweise nicht nur gleichsetzt, sondern Letzteres sogar zur Bewertung des Menschen hinter der Kamera verwendet. Würde man dies zur filmwissenschaftlichen Methodik erheben, würde das Filmstudium wohl zur Hasstirade gegen Sergio Leone, Werner Herzog oder wem auch immer verkommen.

                                  Letztlich, falls dies überhaupt jemand zu Ende gelesen hat, appelliere ich an die Vernunft der hier anzutreffenden Filmliebhaber, von welcher schon Kant sagte, dass nur der Mut nötig sei, sich ihr zu bedienen. Seid kritisch gegenüber dem, was ich geschrieben habe, lest – falls ihr dafür Zeit und Geduld habt – vor allem die oben aufgeführten Berichte zu den Untersuchungen, dem Sorgerechtsprozess usw. (d. h. also die «neutralen» Informationen). Darüber hinaus empfehle ich die Lektüre der veröffentlichten Artikel gegen Allen (auch die oben verlinkten Texte von Ronan und Dylan), verweise aber auch auf die teilweise unglaublich ausführlichen Artikel, welche Allens Unschuld beteuern. Letztere (und ich zähle da beispielsweise auch das interessante und vor kurzem erschienene Youtube-Video «By the way, Woody Allen is innocent») sind übrigens teilweise sogar zu detailliert, übereifrig und können sich mitunter in Richtung persönlicher Attacken gegenüber (insbesondere) Ronan oder Mia Farrow bewegen (auch wenn gerade mögliche Motive von Mia Farrow bei der Evaluation der verfügbaren Infos berücksichtigt werden müssen).

                                  Neben dem Blog, welcher den Vanity Fair-Artikel kritisch betrachtet (https://medium.com/@levine2001/the-woody-allen-controversy-reader-why-maureen-orths-10-undeniable-facts-about-the-woody-allen-5f26791c15a0
                                  ), und dem gerade genannten Youtube-Video (https://www.youtube.com/watch?v=muyaCg2dGAk&t=3195s), würde ich folgende Seiten empfehlen:

                                  -Der Artikel “Do I really care?' Woody Allen comes out fighting» von Guardian-Journalistin Hadley Freeman (ein vergleichsweise nüchterner Artikel, der sich nicht in Spekulationen über Ronan oder Mia Farrow verliert):
                                  https://www.theguardian.com/film/2020/may/29/do-i-really-care-woody-allen-comes-out-fighting

                                  -Versch. Artikel von Robert B. Weide, welcher nicht nur ein berühmtes Internet-Meme ist, sondern auch Allen-Biograph und bekannter Kritiker der Vorwürfe ist:
                                  https://ronanfarrowletter.wordpress.com/2019/04/08/the-truth-about-woody-allen-part-i/
                                  https://ronanfarrowletter.wordpress.com/2019/04/08/the-truth-about-woody-allen-part-ii/
                                  https://ronanfarrowletter.wordpress.com/2017/12/13/qa-with-dylan-farrow/

                                  Keiner der genannten Artikel, welche eine Position zu den Vorwürfen einnehmen ist «perfekt» (und gerade im Falle von Weide, der schon vor seinem Einsatz für Allens Unschuld mit ihm zusammenarbeitete, natürlich unmöglich unvoreingenommen), jedoch bin ich davon überzeugt (auch wenn man letztlich meine Position beziehende Meinung nicht teilen sollte), dass jeder, der genauer hinsieht, überrascht sein wird, dass der «Fall Allen» nicht einfach auf «Aussage gegen Aussage» oder eine dysfunktionale Familie, die einzig «die Wahrheit» kennt, beschränkt werden kann.

                                  Woody Allen mag in seinem Leben fragwürdige Beziehungen zu sehr jungen Frauen gehabt haben, er tat sicherlich in den Augen vieler Menschen etwas Furchtbares, als er seine Partnerin mit deren Adoptivtochter betrog und bereits vor dem Vorwurf Dylans die Familie tief erschütterte. Dies ist jedoch weder ein Grund ihn gleich auf den Scheiterhaufen zu werfen noch ein Grund schlechte Argumente und Artikel gegen Allen für bare Münze zu halten.

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                                  • TommyDeVito 05.06.2020, 21:58 Geändert 05.06.2020, 22:35

                                    Ein kritisches Wort zu Woody Allen und dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs (Teil 1)

                                    (der folgende Kommentar ist so lange, dass ich ihn in zwei Teile aufgeteilt habe)

                                    Woody Allen ist spätestens seit den letzten paar Jahren ein Mann, dessen Filme man einerseits scheinbar nicht mehr ohne Unbehagen schauen kann/(darf?) und andererseits ein Mann, dessen Filme man als in der Industrie tätiger Arbeiter nicht mehr finanzieren, durch eigene Mitarbeit unterstützen (dies gilt vor allem für die im Rampenlicht stehenden Schauspieler) oder produzieren sollte. Zumindest wird dies von vielen Unterstützern der «MeToo»-Bewegung und vielleicht auch darüber hinaus in dieser Form ziemlich eindeutig artikuliert. Menschen mit abweichenden Meinungen werden in der Online-Welt – wenig überraschend insbesondere auf Twitter – attackiert und mitunter diffamiert.

                                    Ich habe vor Jahren einen längeren Kommentar zu Woody Allen und meiner Bewunderung seiner Filme an dieser Stelle gepostet. Dementsprechend mag für einige meine «Objektivität» – die epistemologische Problematik des Begriffs mal aussen vor – bereits anzuzweifeln sein. Es ist jedoch so – und man möge mir glauben oder nicht –, dass ich bis vor kurzem, d. h. noch vor einer Woche, ein grosses Gefühl der Verunsicherung hatte und für mich die Anschuldigungen gegen Allen zumindest schwer widerlegbar wirkten. Ich suchte vor Jahren nach Informationen im Netz, welche mir einen genaueren und sich weniger in der Schwebe befindlichen Blick erlauben würden. Letztlich – ohne mehr als etwa 30-40 Minuten Zeit in meine kleine «Recherche» investiert zu haben – befand ich, dass kein klares Fazit möglich sei und ich wohl künftig versuchen müsste, den Künstler Woody Allen von der Privatperson, welche ein Kinderschänder sein könnte, zu trennen.

                                    Ich habe unterdessen meine Sichtweise diesbezüglich deutlich geändert und halte Allen nun mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit für ein Opfer einer falschen Beschuldigung. Wie kam es dazu?

                                    Nun, ich habe mir verschiedene für diesen Fall essentielle Dokumente (und ein paar weniger essentielle ebenfalls), welche allesamt online verfügbar sind, gründlich durchgelesen (manche davon stecken hinter einer Paywall – wer die NYT-Artikel in Textform zugeschickt bekommen möchte, kann mir eine Privatnachricht senden). Dazu gehören:

                                    -Der New York Times-Artikel “Doctor Cites Inconsistencies In Dylan Farrow's Statements” von Richard Perez-Pena, welcher am 4. Mai 1993 veröffentlicht wurde.
                                    Link:
                                    https://www.nytimes.com/1993/05/04/nyregion/doctor-cites-inconsistencies-in-dylan-farrow-s-statements.html

                                    -Der New York Times-Artikel “Panel Criticizes Prosecutor In Inquiry on Woody Allen” von Richard Perez-Pena, welcher am 24. Februar 1994 veröffentlicht wurde.
                                    Link:
                                    https://www.nytimes.com/1994/02/24/nyregion/panel-criticizes-prosecutor-in-inquiry-on-woody-allen.html#:~:text=A%20Connecticut%20prosecutor%27s%20handling%20of,of%20the%20prosecutor%2C%20Frank%20S.

                                    -Der New York Times-Artikel “Agency Drops Abuse Inquiry in Allen Case” von Richard Perez-Pena (ja, es handelt sich hier mehrfach um denselben Journalisten, der wohl mit der Reportage des Falls beauftragt war…), welcher am 26. Oktober 1993 veröffentlicht wurde.
                                    Link:
                                    https://www.nytimes.com/1993/10/26/nyregion/agency-drops-abuse-inquiry-in-allen-case.html#:~:text=New%20York%20State%20child%20welfare,they%20consider%20the%20accusation%20unfounded.&text="No%20credible%20evidence%20was%20found,maltreated%2C"%20the%20letter%20said.

                                    -Der New York Times-Artikel “Farrow Testifies That Daughter Accused Allen of Molestation” von Richard Perez-Pena vom 26. März 1993
                                    Link:
                                    https://www.nytimes.com/1993/03/26/nyregion/farrow-testifies-th

                                    -Der Independent-Artikel mit dem Titel “Cries & Whispers” von Jack Hughes, veröffentlich am 13. Juni 1993.
                                    Link:
                                    https://www.independent.co.uk/arts-entertainment/cries-whispers-1491361.html

                                    -Der New York Times-Artikel mit dem Titel «Judge Critical of Dual Inquiries Into Allegations of Abuse by Allen” von Peter Marks, veröffentlicht am 20. April 1993.
                                    Link:
                                    http://www.nytimes.com/1993/04/20/nyregion/judge-critical-of-dual-inquiries-into-allegations-of-abuse-by-allen.html

                                    -Der folgende Artikel beinhält das vollständige, unbearbeitete, aus dem Jahr 1993 stammende 33-seitige Urteil des Sorgerechtsprozesses zwischen Woody Allen und Mia Farrow (inkl. den Erkenntnissen einer ersten Untersuchung der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs).
                                    Link:
                                    https://de.scribd.com/document/205403621/Allen-v-Farrow-Custody-Ruling-June-7-1993

                                    -Der Artikel “PROFESSOR TESTIFIES PROSECUTOR ERRED IN WOODY ALLEN CASE” von Rachel Gottlieb, veröffentlich am 28. Juni 1996 in «The Hartford Courant».
                                    https://www.courant.com/news/connecticut/hc-xpm-1996-06-28-9606280355-story.html

                                    -Die Ergebnisse der ersten Untersuchung der Vorwürfe durch Experten (Yale-New Haven Spital):
                                    https://radaronline.com/wp-content/uploads/2014/02/yale-new-haven-hospital-allen.pdf

                                    -Dieser Artikel von Ronan Farrow (Journalist und Bruder des vermeintlichen Opfers):
                                    https://www.hollywoodreporter.com/news/my-father-woody-allen-danger-892572

                                    -Und selbstverständlich die veröffentlichten Stellungnahmen der Person, die den Vorwurf gegen Allen weiterhin macht:
                                    https://www.latimes.com/opinion/op-ed/la-oe-farrow-woody-allen-me-too-20171207-story.html
                                    https://kristof.blogs.nytimes.com/2014/02/01/an-open-letter-from-dylan-farrow/

                                    Welche Erkenntnisse sind aus diesen Artikeln zu gewinnen?
                                    Zuvor nochmals zur Rekapitulation (aus Wikipedia):
                                    “According to court testimony, on August 4, 1992, Allen visited the children at Mia Farrow's home in Bridgewater, Connecticut, while she was shopping with a friend. During the following day, that friend's babysitter told her employer that she had seen that "Dylan was sitting on the sofa, and Woody was kneeling on the floor, facing her, with his head in her lap". When Farrow asked Dylan about it, Dylan allegedly said that Allen had touched Dylan's "private part" while they were alone together in the attic.”

                                    Allen reagierte darauf, indem er die Vorwürfe scharf zurückwies und das Sorgerecht für Satchel (heute als Ronan bekannt; ein biologisches Kind des Paares Farrow und Allen) und die beiden gemeinsamen Adoptivkinder Moses und Dylan beantragte. Allen sagte damals: “These totally false and outrageous allegations have sickened me, so that I felt for the sake of all my three children I must try and move them from an atmosphere so unhealthy, it can surely leave irreparable scars.” Was folgte, war eine lange Schlammschlacht mit grenzwertiger medialer Omnipräsenz, welche weit weg ist von Jahrzehnte lang unter der Oberfläche brodelnden Fällen wie Harvey Weinstein oder Bill Cosby (welche sich vom Fall Allen nebenbei auch dadurch unterscheiden, dass es mehr als einen einzigen und einmaligen Vorwurf gibt).

                                    Also, welche Feststellungen lassen sich machen?
                                    1) Es gab zwei lange, unabhängige, staatlich finanzierte und von Seiten der Ankläger in Auftrag gegebene Untersuchungen bezüglich der Glaubwürdigkeit und Konsistenz der Vorwürfe.

                                    ->Eine 6-monatige Untersuchung des “Yale-New Haven Children's Hospital Child Abuse Program”, geleitet von Dr. John Leventhal (sowohl dieses Programm als auch Dr. Leventhal und dessen Stelle existieren noch heute: https://medicine.yale.edu/profile/john_leventhal/ und https://medicine.yale.edu/pediatrics/general/childabuse/clinic/ ), wobei die entscheidenden Interviews jedoch von den beiden Sozialarbeiterinnen Dr. Julia Hamilton und Jennifer Sawyer durchgeführt wurden. Dieses Team kam nach verschiedenen Treffen und ausgiebigen Befragungen und Untersuchungen zu folgendem Schluss:
                                    «In summary, Dylan presented as an intelligent, verbal 7-year-old whose story telling was quite elaborate and fantasy-like at times and who manifested loose associations in her thinking. She appeared confused about what to relate to the interviewers and was very controlling of what she would say. In her statements and her play she elaborated interrelated themes. She was upset by the loss of her father and Soon-Yi and worried that her father might take her from her mother’s care. She felt protective of and worried for her mother. Dylan was very much attuned to her mother’s pain, and her mother reinforced Dylan’s losses and her negative view of her father.

                                    Assessment of Whether Dylan was Sexually Abused:
                                    It is our expert opinion that Dylan was not sexually abused by Mr. Allen. Further, we believe that Dylan’s statements on videotape and her statements to us during our evaluation do not refer to actual events that occurred to her on August 4, 1992. Our initial impression was formulated in December 1992 before reviewing any outside materials and before meeting with anyone outside the family except the Connecticut State Police and Kristie Groteke, a babysitter. Our opinion was reinforced by additional information that we gathered throughout the rest of the evaluation.

                                    In developing our opinion, we considered three hypotheses to explain Dylan’s statements. First, that Dylan’s statements were true and that Mr. Allen had sexually abused her; second, that Dylan’s statements were true but were made up by an emotionally vulnerable child who was caught up in a disturbed family and who was responding to the stresses in the family; and third, that Dylan was coached or influenced by her mother, Ms. Farrow.

                                    While we can conclude that Dylan was not sexually abused, we can not [sic] be definitive about whether the second formulation by itself or the third formulation by itself is true. We believe that it is more likely that a combination of these two formulations best explains Dylan’s allegations of sexual abuse. The major reasons for our opinion that Dylan was not sexually abused are the following:

                                    1. There were important inconsistencies in Dylan’s statements in the videotape and in her statements to us.

                                    2. She appeared to struggle with how to tell about the touching.

                                    3. She told her story in a manner that was overly thoughtful and controlling. There was no spontaneity in her statements, and a rehearsed quality was suggested in how she spoke.

                                    4. Her descriptions of the details surrounding the alleged events were unusual and were inconsistent.

                                    ->Die zweite Untersuchung wurde vom Staat New York finanziert und durch “New York State child welfare investigators” während 14 Monaten durchgeführt. Diese – Zitat – “have dropped their inquiry into the charge that Woody Allen sexually molested his 7-year-old daughter, saying they consider the accusation unfounded.
                                    The state Department of Social Services informed Mr. Allen in a letter dated Oct. 7 that it had closed the 14-month-old investigation. "No credible evidence was found that the child named in this report has been abused or maltreated," the letter said. "This report has, therefore, been considered unfounded."”

                                    2) Dazu gibt es auch belegte Aussagen verschiedener (Psycho-)Therapeuten der Familie (u.a. der damaligen Therapeuten von Stachel bzw. Ronan und Dylan, aber auch der langjährigen Therapeutin von Allen), welche allesamt den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs explizit vernein(t)en. Ebenso gab es nach mehreren Untersuchungen von Dylan laut den (Kinder-)Ärzten keine (physischen) Hinweise auf sexuellen Missbrauch.

                                    Unzählige Argumente/Punkte, die in Anti-Allen-Artikeln aufgeführt werden (dies gilt vor allem für einen häufig verlinkten und zitierten Vanity Fair-Artikel [ironischer Weise unter dem Titel «10 Undeniable Facts About the Woody Allen Sexual-Abuse Allegation» veröffentlicht], welcher nach ausgiebigem Durchlesen versch. wichtiger Dokumente aus meiner Sicht als journalistisch bestenfalls extrem minderwertig und fehlerhaft und schlimmstenfalls als verleumdend angesehen werden kann), sind entweder nachweislich falsch (beispielsweise die Aussage, dass Allen vor dem vermeintlichen Vorfall bei einer Kinderpsychologin in Therapie für «inapporpriate behavior» war; wieso das Quatsch ist, kann hier nachgelesen werden: https://archive.nytimes.com/www.nytimes.com/books/97/02/23/reviews/farrow-doctor.html), stark verkürzt und verzerrend, oder diese sind wiederum mit anderen Punkten zu relativieren (beispielsweise sprach der Staatsanwalt Frank Maco tatsächlich von «probable cause» gegen Woody Allen, jedoch gab es damals mehrere Artikel, in denen Leute aus der juristischen (Fach-)Welt sehr kritisch reagierten. Z. B. «A New York law professor testified Thursday that a popular Litchfield County state's attorney violated a legal code of conduct when he announced he had cause to -- but would not -- prosecute actor-director Woody Allen on a child abuse charge.» oder «A Connecticut prosecutor's handling of a child-molestation complaint against Woody Allen was cause for "grave concern" and may have prejudiced the legal battle between Mr. Allen and Mia Farrow, a disciplinary panel has found. […] "This amounts to a public reprimand, though they're not calling it that," said Kate Stith, a law professor at Yale University and a former Federal prosecutor. Though the decision was "quite damning," she said she was not surprised that the panel did not punish Mr. Maco, because lawyers are rarely disciplined for their public statements.”).

                                    3) Zugegeben handelt es sich beim Untersuchen mancher Punkte, die gegen Allen vorgebracht werden (wie im Vanity Fair-Artikel), um Informationen, die man sich mühsam zusammensuchen muss und teilweise merkt man, dass es ziemlich kompliziert werden kann. Ich bleibe aber bei meiner Behauptung, dass alle verfügbaren Informationen nicht nur, wie ich einst dachte, Allens Unschuld zumindest offen bzw. möglich lassen (wie «jenny von t» etwa in diesem – nebenbei durchaus durchdachten – moviepilot-Artikel äussert, der von «Wort gegen Wort» und Undurchsichtigkeit aufgrund «familiärer Einbettung spricht: https://www.moviepilot.de/news/woody-allen-und-die-grenzen-der-metoo-bewegung-1102531), sondern seine Unschuld weitaus wahrscheinlicher erscheinen lassen als das Gegenteil. So wahrscheinlich, dass ich eben von der neutralen Sichtweise zur Pro-Allen-Sicht übergangen bin.

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                                    • Ich kenne die Musik der oben genannten zu wenig. Ich wäre für jemanden, der für mich einen Kinobesuch (halbwegs) rechtfertigt. Wie wär's mit Nick Cave?

                                      • Es gab viel Gerede rund um Scorseses Marvel-Kritik. Ich habe mich persönlich bisher nicht dazu geäussert. Nun hat er einen NYT-Artikel verfasst, der sehr lesenswert ist und deshalb teile ich auch mal etwas zum Thema:

                                        "(...)I’m certainly not implying that movies should be a subsidized art form, or that they ever were. When the Hollywood studio system was still alive and well, the tension between the artists and the people who ran the business was constant and intense, but it was a productive tension that gave us some of the greatest films ever made — in the words of Bob Dylan, the best of them were “heroic and visionary.”

                                        Today, that tension is gone, and there are some in the business with absolute indifference to the very question of art and an attitude toward the history of cinema that is both dismissive and proprietary — a lethal combination. The situation, sadly, is that we now have two separate fields: There’s worldwide audiovisual entertainment, and there’s cinema. They still overlap from time to time, but that’s becoming increasingly rare.(...)"

                                        Link zum Original:
                                        www.nytimes.com/2019/11/04/opinion/martin-scorsese-marvel.amp.html

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                                        • TommyDeVito 05.10.2019, 10:28 Geändert 05.10.2019, 10:31

                                          Ich fand ihn bisher am überzeugendsten als Freddie Quell in "The Master". Anderson drehte ursprünglich Kriegsszenen um das Trauma von Quell zu verdeutlichen (oder hatte es zumindest geplant), merkte aber dann, dass dies gar nicht nötig und vollkommen überflüssig ist. Phoenix kann Verletzlichkeit, Aggressivität, (Kriegs-)Trauma und triebgesteuertes, animalisches Verhalten alleine mit seiner "bent out of shape"-Haltung, seiner Mimik und Gestik rüberbringen. Ich habe Philip Seymour Hoffmann bisher nie überzeugender spielen sehen und trotzdem ist Phoenix sogar noch "besser" (dafür hätte er aus meiner Sicht einen Oscar erhalten müssen, aber Phoenix als Oscar-Skeptiker wird's wohl kaum kratzen...). Grossartiger Schauspieler, dessen Vielseitigkeit in der oben aufgeführten Rollenauswahl bereits klar ersichtlich wird.

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                                          • TommyDeVito 29.09.2019, 13:01 Geändert 29.09.2019, 13:05

                                            Ich zitiere hier mal einen Auszug aus einer Rede von Martin Scorsese vor ein paar Jahren:
                                            "...but most importantly we can’t afford to let ourselves be guided by cultural standards. Particularly now. I mean there was a time when the average person wasn’t even aware of box office grosses. But since the 80s, it’s become kind of a sport and really a form of judgement. It culturally trivializes film. And for young people today, that’s what they know. Who made the most money, who was the most popular. Who is the most popular now as opposed to last year, last month, last week. And all the cycles of popularity are down to a matter of hours, minutes, seconds… And the work that’s been created out of seriousness and real passion is lumped together with the work that really hasn’t.”

                                            Feige repräsentiert all das. Box Office, welcher Film vor kurzem zu den 10 erfolgreichsten Filmen gestossen ist, welcher Schauspieler "the highest-grossing" ist usw. und so fort. Das (Star Wars-)Publikum bekommt genau das, wonach es verlangt. Das gilt natürlich nicht für alle Fans, aber es gibt - wie der Artikel andeutet - auch Leute, die von einer wieder erwachten Macht nicht gerade begeistert waren und sogar bereits in den 90ern dem Begräbnis von Star Wars beiwohnten und dementsprechend nicht im Fokus sind.

                                            Meinetwegen sollen sie halt 20 weitere Filme drehen und daraus endgültig eine lahme, aufgeblähte (Fernseh-)Serie fürs Kino machen. Lucas war ja bereits in den 70ern von Filmserials inspiriert, somit schliesst sich der Kreis.

                                            Ohnehin wird es schwierig, Zuschauer davon zu überzeugen, dass das MCU nicht gerade ein filmisch-künstlerischer Höhenflug ist, wenn beispielsweise weiter unten das genannte Universum mit der griechischen und Shakespear'schen Tragödie und (scheinbar) das Indiekino mit Expressionismus und Dadaismus gleichgesetzt werden (??).

                                            Man mag mir hier mangelndes oder bewusst verzerrendes Leseverständnis vorwerfen, aber ich frage mich - wie Scorsese - was aus den ganzen mittelgrossen Autorenfilmen geworden ist. Es scheint in der Wahrnehmung der Masse eine Dichotomie zwischen prätentiösem (oder zu verschwurbeltem) Kunstkino und dem Mega-Budget-Studiokino zu geben (dessen halbwegs gewagtere Produktionen anscheinend noch nervig "postmodern" sind...). Viel dazwischen scheint nicht wahrgenommen zu werden.

                                            Dazu werden die meisten Filme des MCU - und das muss man auch mal festhalten - positiv aufgenommen. Ja, vielleicht nicht vom Cahiers du cinema oder Arthouse-orientierten Schreibern, aber durchaus von vielen. Wer sowohl Geld in der Kasse und Kritiker im Sack hat, der macht als Produzent nicht viel falsch.

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                                            • TommyDeVito 26.09.2019, 11:27 Geändert 26.09.2019, 11:34

                                              Letztens habe ich Jacques Rivettes Meinung über Titanic gelesen:
                                              "I agree completely with what Jean-Luc said in this week’s Elle: it’s garbage. Cameron isn’t evil, he’s not an asshole like Spielberg. He wants to be the new De Mille. Unfortunately, he can’t direct his way out of a paper bag. On top of which the actress is awful, unwatchable, the most slovenly girl to appear on the screen in a long, long time. That’s why it’s been such a success with young girls, especially inhibited, slightly plump American girls who see the film over and over as if they were on a pilgrimage: they recognize themselves in her, and dream of falling into the arms of the gorgeous Leonardo."
                                              Rivette liegt natürlich daneben, aber seine Kurzrezension ist so einseitig vernichtend, dass es mich schon wieder amüsiert. Titanic ist auch aus meiner Sicht ein guter Film, Winslet ist natürlich nicht "awful" und warum Spielberg ein böses Arschloch sein soll, ist auch nicht ersichtlich...

                                              Der Film, der mein Interesse für den Film entfacht hat, ist wohl Guy Ritchies "Snatch". Zumindest war das der erste Film, bei dem ich mir Gedanken über die Regie, Kameraarbeit und Schnitt machte. Meine damals kümmerlich entwickelte Wahrnehmung für Filme brauchte wohl einen solchen überstilisierten MTV-Film, um auf die technischen Aspekte wirklich aufmerksam zu werden. Aber ob das eine "Liebe" zum Film entfesselt hat? Dann wohl eher die "Herr der Ringe"-Trilogie.

                                              • Bezüglich des Hauptpreises bleibe ich mal etwas skeptisch, ich weiss nicht, ob mir die Nähe zu mindestens zwei Scorsese-Klassikern gefallen wird. Dass Phoenix' Leistung wieder einmal grossartig ist, bezweifle ich kaum.

                                                Und ich wusste gar nicht, dass Roy Andersson einen Film veröffentlicht hat. Klingt unglaublich vielversprechend! Hoffe mal, dass es nicht eine Ewigkeit dauert, bis man den sehen kann.

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                                                • TommyDeVito 30.04.2019, 00:07 Geändert 30.04.2019, 00:38

                                                  Meine Gedanken zur neuen Folge:
                                                  -Ja, auch ich empfand den Schnitt zumindest zu Beginn als etwas (zu?) hektisch und das Bild war an einzelnen Stellen schon etwas gar dunkel (von sehr schwer erkennbar kann bezüglich der Verwendung von Licht und Dunkelheit jedoch auch aus meiner Sicht nicht die Rede sein). Da ich jemand bin, der selbst beispielsweise den hochgelobten "Mad Max: Fury Road" teilweise recht unübersichtlich fand, kann es bei mir eigentlich gar nicht klar und eindeutig genug inszeniert werden. Ich mag den Jackie Chan-Ansatz, bei dem Schläge zweifach gezeigt und sinnvolle Einstellungsgrössen gewählt werden, damit selbst sehr langsame Hirne wie meines die visuellen Reize richtig registrieren (womit ich natürlich nicht suggerieren will, dass "Game of Thrones" wie der Action-Klamauk von Jackie angegangen soll - eher will ich aufzeigen, dass mir Actionsequenzen häufig Mühe bereitet).

                                                  -Trotzdem ist die etwas chaotische Regie durchaus gerechtfertigt, da, wie schon im "Battle of the Bastards", das Schlachtgetümmel als infernalisches Durcheinander ästhetisiert wird. Das ist mitunter verdammt effektiv, hochspannend und lässt den Atem auch einmal stocken, selbst wenn die Vielzahl an hervorgerufenen Assoziationen (u.a. World War Z, frühere GoT-Folgen, musikalische Anleihen an Hans Zimmer - wie im Recap treffend beschrieben - und natürlich wieder der Herr der Ringe) leicht irritieren können, da etwas die Eigenständigkeit fehlt. Sapochnik bedient sich ähnlicher Ansätze wie beim Bastarden-Duell: Figuren laufen durchs Schlachtfeld (der "obligatorische" Jon-POV fehlt natürlich nicht), der Tod lauert an jeder Ecke, der subjektive Blickwinkel erhöht die Dramatik - deshalb habe ich auch nichts gegen die Entscheidung, die Szene in der Bibliothek als dramaturgischen Kniff zu verwenden - und insgesamt ist das dann doch irgendwie grosses "Kino".
                                                  -Selbstredend ist die kinematische Kraft dieses Spektakels und der Fokus auf audiovisuelle Überwältigung auch gerade der Punkt, der diese Folge so polarisierend macht. Vom Assassins Creed-Meuchelmord mal abgesehen (ja, ist schon ein ziemlich gewagtes Ding, weiss schon...), hat mich dabei die fehlende Kompromisslosigkeit wiederum enttäuscht. Dass sich wichtige Figuren in vergangenen Folgen (und generell in der siebten Staffel) Mithril-Hemden durch Mittelerde-Zalando (wahrscheinlich per Brieftaube oder meinetwegen auch Adler) hatten einfliegen liessen, wäre für mich ein kleiner Wermutstropfen, wenn nun die Thronspiele zu alter Härte bezüglich Figurentoden zurückgefunden hätten. Deshalb fokussiere ich mich auch nicht auf den Night King-Abgang, denn dies ist für mich, nachdem ich vor Kurzem erst die Folge gesehen habe, nicht das, was mich (vorerst) kritisch stimmt.

                                                  Folgende Alternativen hätte ich mir erhofft und in einzelnen Szenen, anhand der Inszenierung und Dramaturgie, erwartet:
                                                  -Jorah und jeder einzelne Dothraki kommt beim ersten Angriff auf die White Walker-Armee um (und zwar genauso wie seine Mitkämpfer als ein kleiner Punkt, der in der Ferne verschwindet). Ein zurücklaufendes Pferd ohne Reiter (mehr als eines bräuchte es nicht einmal) und der geschickte Einsatz des Tons, wie er tatsächlich vorkam, hätten genügt, um (nochmals) zu zeigen was für ein übermächtiger, furchteinflössender Gegner vor der Tür steht.
                                                  -Daenerys oder Jon: einer von beiden stirbt. Auch wenn insbesondere Jons Tod noch zusätzlich Öl ins Feuer der für Fans antiklimaktischen Handlungsentwicklung gegossen hätte, die Reminiszenz an die Hardhome-Totenauferstehung, in der diesmal Jon nicht auf einem Floss noch um Haaresbreite davonkommt, sondern ohne dem Nachtkönig in die Nähe kommen zu können, von den untoten Viechern zerfleischt wird, das wäre kompromisslos und verdammt schockierend gewesen. Die Tötung wäre dann typisches GoT-Umgehen von gängigen Fantasy-Elementen gewesen (oder zumindest wäre es eine Andeutung gewesen, dass nicht Jon zum Nachtkönig-Killer wird).
                                                  -Am meisten irritierte mich aber - und vielleicht bin ich der einzige, der vor allem darüber nachdenkt - dass Sansa und Tyrion nicht in einem tragischen Doppelselbstmord umkamen. Vermutlich denkt sich jetzt mancher: hä? So sah es in meinem Kopf in etwa aus: Als sie sich in ihrem Versteck zueinander drehen, Sansa das Messer zückt und Tyrion den Tod bereits akzeptiert zu haben scheint, da dachte ich mir Folgendes: Alle anderen in der Krypta inkl. Kleinkinder werden gnadenlos abgemetzelt (d. h. dass durchaus beliebte Nebenfiguren wie Gilly und sogar Varys ohne dramatische, ihnen "gewidmete" Abgangsszenen einfach so mit den anderen Figuren niedergemacht werden) und schliesslich erkennen zwei der zumindest laut den Autoren cleversten Figuren, dass ihnen nur der qualvolle Tod bleibt. Entscheiden sich intelligente Menschen in einem Raum im fernen Innern einer Burg für den sinnlosen, aber heroischen Tod? Vielleicht. Vielleicht wählen sie angesichts des bevorstehenden Horrors aber lieber den Freitod. Ich hätte dies unglaublich berührend gefunden und war mit diesem Gedanken im Hinterkopf schon "bereit" ein Tränchen zu vergiessen. Falls diese Phantastereien wie schlechte Fan Fiction rüberkommen - durchaus möglich - dann habt ihr zumindest etwas zum Lachen (oder Kopfschütteln).
                                                  -Und wo ich mir schon den Tod von so vielen Figuren gewünscht hätte: Ich stimme zu, dass Brienne, Jamie und nun auch Sam zu häufig den Hals aus der Schlinge ziehen konnten. Emotional war das Ganze aber schon, deshalb bleibt mein erster Eindruck sicher positiv.

                                                  Fazit: Spektakulär inszenierte, packende und emotionale Folge, von der ich mir mehr Konsequenz bezüglich Figurentoden gewünscht hätte. Über die Night-King-Tötung muss ich mir noch Gedanken machen.

                                                  Edit: Es wurde unten schon gefragt: Was hatte es eigentlich mit Brans "I'm going" auf sich? Raben fliegen zum Nachtkönig, dann streckt er die Hand aus. War dies einzig und allein, um dem Nachtkönig anzuzeigen, wo Bran sich befindet?

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                                                  • TommyDeVito 26.11.2018, 10:16 Geändert 26.11.2018, 10:19

                                                    Nach Nicolas Roeg vor ein paar Tagen ist nun auch der italienische Regisseur von Klassikern wie "Der letzte Kaiser", "Der grosse Irrtum" oder dem kontroversen "Der letzte Tango in Paris" gestorben. November 2018: kein guter Monat für Regielegenden (und Cineasten)...

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