Weltenkind - Kommentare

Alle Kommentare von Weltenkind

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    Rowling, wenn Du mir unter die Augen kommst unterhalten wir uns mal ernsthaft miteinander.

    In Liebe
    ein Fan

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    • 7

      [...] Harvey Keitel ist jener „Bad Lieutenant“, dessen Name niemand kennt. Und eigentlich will ihn auch niemand wissen. Von diesem Bastard eines Menschen, der sich selbst verloren hat und in seiner eigenen Verzweiflung versunken ist, möchte man nichts wissen. Er hat Familie, ist sogar relativ angesehen in seinem Beruf. Immerhin ist er Lieutenant. Doch gleichermaßen zieht alles an ihm vorbei, was menschlichen Wert haben könnte. Seine Kinder will er loswerden, um sich die nächste Dröhnung noch im Auto vor der Schule geben zu können – und seinen Job nutzt er, um an den Stoff ranzukommen. Die Präsenz des Bad Lieutenant resultiert allein aus Keitels enorm physischer Darstellung. Sein stämmiger Körper, wenn er Jesuspose, mit geschlossenen Augen und vollkommen vollgedröhnt dasteht, wird zur metaphysischen Differenz zu seinem psychischem Auftritt als existenz- und rastloser Polizist. Er wankt, stöhnt, verzieht sein Gesicht leidend, ist aber doch so starr wie eine Statue. Regisseur Abel Ferrera wollte diese Szene aus dem Film nehmen, da ihm die Referenz zum Jesusbild zu auffällig erscheint. Doch genau hier erreicht Keitels Darstellung seinen Höhepunkt aus panischer Einsamkeit, die er sich nicht entziehen kann. [...]

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      • 2

        [...] Xavier Dolan geht diesen eigentümlichen Schritt der Erklärung und nicht der Empfindung. „Herzensbrecher“ ist so überstilisiert und karg, dass die Emotionalität der Liebe nicht greifbar ist, sie schwebt nur im gläsernen Kasten der Undurchdringlichkeit von Habgier und Missgunst vor sich hin, ist aber nie ein Teil dessen, was es zu erleben gilt. Die Protagonisten, gleichsam so stereotyp wie gewollt hip, dass sich die Hosenbeine hochkrempeln, treten als beste Freunde auf und enden als gehässige Egoisten. Sie sind die Instrumente der „Liebe“, die es hier gar nicht gibt; vielmehr agieren und funktionieren sie als Kampfwerkzeuge, um sich gegenseitig zu schaden. Francis (Xavier Dolan) und Marie (Monia Chokri) denken, sie würden lieben, den gleichen Jungen, das gleiche Objekt der Begierde. Doch ihre Liebe verklausuliert Dolan an seine Protagonisten: Sie erhalten ihre Liebe nur dann, wenn der andere dafür scheitert. [...]

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        • 4

          [...] Konflikte gestalten sich aus Anschreien und Vorwürfen – nicht aus Auseinandersetzungen. Dies vermag dem Realitätsanspruch einer Ja-nein-Diskussion entsprechen, aber keiner versucht psychologischen, zumindest aber emotionalen Annäherung der Thematik genügen. Die Dramaturgie bleibt auf einem Level der Einseitigkeit, sie stagniert im Stadium des Hasses, der unausgesprochenen Sehnsüchte. Ein Prozess, der erklärend fungiert, und die Charaktere innerlich vorzustellen vermag, ist nicht vorhanden. Stattdessen überhäuft Dolan sein Publikum mit pubertärer Uneinsichtigkeit, die nicht selten von einer unschuldigen Adoleszenz Abstand nimmt und in Bösartigkeit und Selbstverliebtheit mündet. Er selbst sagt heute, dass „I Killed My Mother“ den Eindruck einer Bestrafung mache. Eine Bestrafung für die dargestellte Mutter, aber auch eine Bestrafung für seine eigene. Denn die Darstellung der Mutter funktioniert nur als Unsympath, als Gegenpol zu dem Sympathie empfindenden Hubert, der zwar in seiner jungen Dummheit gefangen ist, aber nachvollziehbar, wenn auch extrem, handelt. Anders ist die Mutter zu verstehen, die nicht nur eine Sorgfaltspflicht, sondern auch eine Pflicht der Liebe hat. Und dieser Liebe kommt Chantal in ihrer Position als Mutter nicht nach. Sie als Charakter abzulehnen, ist zu einfach, als dass Dolan die Vielschichtigkeit von komplexen Mutter-Kind-Beziehungen ernsthaft reproduzieren könnte. [...]

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          • 6

            Ein kleines Pummelchen, so wenig attraktiv wie auffallend. Doch wie viele große Persönlichkeiten definiert sich auch Roger Ebert nicht über seine optische Präsenz, sondern über sein Schaffen. Seiner Frau Chaz sagte er einmal, als er sie kennenlernte, vor Jahren und lange vor seiner Erkrankung, er wisse er sei fett und es störe ihn nicht. Das hat seine spätere Frau so beeindruckt, dass eine Beziehung entstand, die in ihrer Stärke und Emotionalität so anders und gleichzeitig ungleich erscheint, wie das gesamte Leben Roger Eberts.
            Über einen Mann zu schreiben, dessen Leben aus dem Schreiben bestand und der besser und effizienter schrieb als man es selbst überhaupt jemals könnte, erscheint blasphemisch, vielleicht auch beleidigend, aber dann ist vielleicht doch die größte Würdigung für einen Mann der das Schreiben mehr liebte als alles andere, das Geschriebene selbst.

            Seine Loyalität zum Wort machte ihn zur Koryphäe seines Metiers. Heute ist der Filmjournalismus (explizit: die Filmkritik) zum Blogger-Sport geworden, doch zu einer Zeit in der das Kino seine erste Renaissance erlebte, war Roger Ebert derjenige, der die Filmkritik belebte und zu einer eigenständigen Ausdrucksform der Kunst machte. Das alles zeigt „Life itself“ nicht wirklich, denn wer die geschichtliche Person Ebert ist, weiß jeder, der im Internet nach Filmkritik sucht. Steve James hingegen möchte nach mehr sehen, wollte Ebert über ein Jahr lang begleiten, in sein Privatleben eindringen und es verstehen. Ebert verstarb früher und seine letzten im Film gezeigten Worte an Regisseur James waren „i can’t“. Unfähig die letzten essentiellen Interviewfragen zu beantworten, die sich um das drehen würden, was wir alle in Roger Ebert sehen - einen Mann, der Kino mehr liebte als sein Leben und nichts lieber und besser tat als zu schreiben – setzt sich der Fokus des Dokumentarfilms auf die Privatperson.

            Die Bilder, wenn sich die Kamera an Eberts durch den Krebs gezeichnetes Gesicht festsetzt sind hart. Dort wo ein Unterkiefer sein sollte, hängt nur ein Hautlappen und man kann durch die Mundhöhle auf den Hals sehen. Was abstoßend zum Zusehen ist, zeigt allerdings in einfachster Form, wie Roger Ebert als Mensch war: Schonungslos offen, zu dem Stehend, was er tat und war. Egal ob in jüngeren Jahren fett, in späteren Jahren durch den Krebs gezeichnet; als Mensch war er immer genauso ehrlich zu sich selbst, wie zu den Filmen die er verriss oder liebte. Was er von anderen forderte, lebte er ebenso.

            Man lernt nicht viel aus „Life itself“ – am Ende wohl noch am Ehesten, dass Roger Ebert ein Mann war, der liebte. Im Besonderen seine Frau Chaz, die bis zum Schluss an seiner stand. Das ist von allem noch der ergreifendste Aspekt des Films, der zu oft versucht zwischen der intensiven Auseinandersetzung der Privatperson und dem Journalisten Ebert zu wechseln und an besonders holprigen Stellen zu verbinden. Denn um beide Seiten zu zeigen, reicht selbst ein zweistündiger Dokumentarfilm nicht aus. Die Beziehung zu Gene Siskel nimmt einen Stellenwert in der Geschichte ein, die in ihrer Verhältnismäßigkeit überbordend erscheint. Wenn Männer wie Martin Scorsese und Werner Herzog zu Wort kommen, die Film so lieben wie Ebert es tat und filmgeschichtliche Anekdoten preisgegeben werden, hat „Life itself“ den lebenswichtigen Spagat zwischen Privatperson und Filmkritiker am besten vollzogen.

            Bekannt für seine Präzision und Effizienz im Schreiben seiner Texte, schrieb Ebert an einer vollausformulierten Kritik eine halbe Stunde. Diesen Text zu schreiben dauerte eine Stunde (inklusive Facebook-Surfing), Roger Ebert hätte ihn in der Hälfte der Zeit geschrieben. Aber das unterscheidet uns, die über Film schreiben, von einem wie Roger Ebert, der das Schreiben und Filme sehen gelebt hat.

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            • 6

              [...] Die Kälte der Bilder, die dann besonders hervorkommt, wenn das Rot des Bluts und die wärmenden Strahlen der Kerzen versuchen, so etwas wie Innigkeit zu suggerieren und die Vergänglichkeit des menschlichen Daseins projiziert, wird diese Kälte zum wiederkehrenden Symbol der Einsamkeit der gesamten Familie. Mit ausgebreiteten Armen, Vollbart und langen, wilden Haaren wirkt Vater William beim Gebet im Schein der Kerzen wie der Sohn Gottes, gesandt zur Erde, um die Familie vor dem Unheil zu bewahren, dass der Teufel in sie gebracht hat. Hier wird der Glaube der Familie zum Aberglauben, zum Gespött dessen, was Glaube eigentlich bewirken soll: Nächstenliebe, Zusammenhalt. Dem Bösen soll widerstanden werden – doch Eggers nutzt dieses uramerikanische Sittenbild einer Familie, gefangen in ihrem eigenen Glauben, als Auslöser allen Übels. [...]

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              • 8

                [...] Durch Bilder, die ihre poetische Kraft entfalten und die Übergänge zwischen Realität und spiritueller Eingebung verwischen, bleibt das Gefühl dieser transzendenten Schönheit. Der Realitätsanspruch, den Thailänder und Weerasethakul im Besonderen haben, unterscheidet sich massiv von westlichen Auffassungen. Die Koexistenz zwischen jener spirituellen Religiosität und der tatsächlichen physischen Existenz ist ein Kontinuum, welches ohne das andere nicht funktioniert. So ist gerade „Cemetery of Splendour“ für Weerasethakul, wie jeder seiner Filme, ein persönlicher und nahegehender Film. Obgleich er in seinem Plot sehr dünn agiert, schöpft er seine Kraft aus der Relation von Verständnis und Empfindung. Die biografischen Parallelen lassen die emotionale Härte, mit der Weerasethakul hier voranschreitet, und ihren Mystizismus nicht so distanziert erscheinen, wie sie unter anderen Umständen sein könnten. Die menschliche individuelle Verknüpfung von Charakteren und Schicksalen ist eine für das Kino von Weerasethakul typische Stilübung. Denn trotz seiner oft fernen inhaltlichen Auseinandersetzung mit Thematiken wie Seelenwanderung und Realität bleibt deren Verkettung für ihn von zentraler Bedeutung. [...]

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                • 5

                  [...] Man könne plakativ grölen, es handle sich um eine modernisierte Version Rockys, mit angepassten Eigenschaften an Zeitrahmen und den geschichtlichen Kontext. Seine Modernisierung des Franchise formatiert Coogler aber nicht auf narrativer Ebene, sondern allein auf dem technisch-formellen Ehrgeiz der Bildgestaltung. Kamerafrau Maryse Alberti (die zuvor bereits mit „The Wrestler“ Kampfsportfilmerfahrung gesammelt hat) akzentuiert zwischen der rauen Physis des Kampfes und der stilvollen Eleganz elegischer Behäbigkeit die Kämpfer selbst. In einem One Take filmt Alberti den ersten offiziellen Kampf Creeds in eigenartiger Intimität zu den Kämpfenden. Den Ring niemals verlassend, tänzelt die Kamera um Michael B. Jordan herum, folgt den austeilenden und einsteckenden Faustschlägen. Der Kampf selbst ist kein distanziertes Sportereignis in den großen Sporthallen globaler Medienpräsenz, sondern ein Charakter entwickelndes Soziogramm der umherfliegenden Fäuste und derer Besitzer. Innerhalb des Rings entwickeln sich Protagonist und Film, während die einseitigen und bereits mehrfach ausdiskutierten Schüler-Lehrer-Beziehungen uninteressant wirken. [...]

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                  • 7

                    [...] Jane Campion macht aus ihren konformen Figuren geächtete, filmisch sezierte Ausreißer. Sie sind keine Rebellen, sie werden von Suchenden zu Leidenschaftlichen zu Liebenden. Aida sucht ihr Piano, findet die Musik und verliebt sich in Baines. Und Baines sucht Zuneigung, findet körperliche Befriedigung und verliebt sich schließlich in Aida. Sie gehen leise, nur den Klängen des Pianos folgend, den Weg, der sie zusammenfinden lässt. Obwohl Baines ein Sympathieträger gegenüber Stewart ist, versteht es Campion, von einer Romantisierung des Mannes Abstand zu nehmen. Aida ist für ihn erst eine Hure, ein Objekt, wie es auch das Piano ist. Er nimmt den Profit, den er haben kann. Für ihn zählt Körperliches, Emotionalem ist er eher fern. Erst mit der Zeit wird aus dem Materiellen etwas Emotionales. „Das Piano“ würde auch als Stummfilm funktionieren, doch würde dies dem Film seine Dynamik und Gegensätze nehmen. Aida würde zum uneingeschränkten Mittelpunkt des Filmes. Baines und seine Hintergründe verkämen zur bildhaften Assistenz der Protagonistin. Nicht selten lebt der Film allein durch die Koexistenz der beiden Hauptcharaktere, ihren Gefühlen und ihren selten gezeigten, aber umso präsenter wirkenden Emotionen zueinander. [...]

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                    • 7

                      [...] Man findet sich in Trostlosigkeit und Einsamkeit wieder. Ob der Eisplanet Hoth, das sumpfige Dagobah-System oder die undefinierbare Wolkenstadt – nirgendwo ist ein Zuhause für die treibenden Charaktere, ruhelos und ungestüm, genauso wie es ihre Situation verlangt. Denn für eine Rast ist keine Zeit, in Anblick mit dem Bösen, das es zu bekämpfen gilt. Stattdessen stehen diese Orte für Entwicklung und Fortschritt. Konfrontation und Einsicht erfolgen stets an Orten, die eine Selbstdekonstruktion voraussetzt und dem Neuanfang frönt. In Dagobah trifft Luke auf Yoda und muss sich von Anfang neu definieren, um sich zu entwickeln. Jedi zu sein bedeutete schon immer mehr als ein bloßer Krieger. Auch wenn es keinen Jedi-Orden gibt, so wie wir ihn aus den Prequel-Filmen kennen, evoziert sich dennoch eine konstitutive Gemeinschaft, ein Zugehörigkeitsgefühl, dessen soziale Komponente ein relevanter Bestandteil der Philosophie der Jedis ist. Alte Lasten zu vergessen und Neues anzunehmen, ist Voraussetzung zur Macht. [...]

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                      • 6

                        [...] Noch immer sind Lucas die Charaktere weitestgehend egal, betrachtet sie nur aus der Ferne und lässt sie Dialogzeilen von erbrechend ekelhafter Einseitigkeit referieren. Doch manchmal blitzt alte Intimität auf. Jene Intimität, die damals offenbarte, dass Leia und Luke Geschwister sind, oder der filmgeschichtliche Paukenschlag „Ich bin dein Vater“ – ganz selten verweist Lucas auf seine Nähe zur Thematik. Darauf, dass das Produkt „Star Wars“ nicht nur sein filmgeschichtliches Privatunternehmen ist, sondern auch, wie verwurzelt er in den Weiten des Alls mit alldem ist. Endlich heizt Lucas seine Saga nach zwei erfolglosen Versuchen wieder ein, drängt sie zurück zu Melodrama und Kitsch. Dass, was „Star Wars“ unter anderem auch ausmachte und dass, was sich von vorangegangener Sterilität und Desinteresse abhebt. Die altmodische Präferenz im Green Screen, die jeder sehen wollte. Für Lucas ist dies die letzte imperiale Schlacht, die es zu schlagen gilt, bevor er sich von seinem Monumentalwerk verabschiedet. Und es gelingt ihm, Fanherzen wieder schlagen zu lassen. [...]

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                        • 5

                          [...] Dass die größten emotionalen Ausbrüche der im Nerdkanon als Hasscharakter überhaupt definierten Sidekick-Figur Jar Jar Binks zu verdanken sind, demonstriert die eiskalte Berechnung des Drehbuchs und dessen Verwirklichung. Es fehlen Identifikationsfiguren. Anakin ist ein rotzfreches Balg, dessen Arroganz ihn schon in der ersten Minute uninteressant werden lässt. Und auch Qui-Gon Jinn, der großväterliche Meister, ist ein blasses Abziehbild des späteren Obi-Wan, der in den Prequels zum Lehrer von Anakin deklariert wird und Eigenständigkeit vermissen lässt. Viel zu oft ruht man sich auf dem Ruhm vergangener Tage aus – eine mehr als undankbare Herangehensweise für Fan und Gefolge. Es geht aber gar nicht anders, als mit Fanboyherzen und zwei zugedrückten Augen in das neue Abenteuer zu starten. Denn trotz fehlender Qualitäten und einsamer Kälte hat es doch ein schlagendes Herz, tief drinnen, irgendwo versteckt. Als Fan muss man gewillt sein, danach Ausschau zu halten – denn wie man heute weiß, hat George Lucas es geschafft, in Episode II und III altes Flair zurückzuholen.

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                          • 4
                            über Idioten

                            Die Arschlöcher der Gesellschaft, die Asozialen, die Dummen – oder ganz einfach die Idioten. Sie tanzen und sie rennen, sie simulieren spastische Anfälle und beleidigen Menschen. Wie die Idioten, die sie sind, ignorieren sie Konventionen, leben das, was sie wollen. Jene charakteristische Liebe zur eigenen Person, der alles egal ist, solange sie selbst das sind, was sie entschieden haben zu sein. Lars von Trier macht aus den Dummen die Klugen, aus den Klugen die Dummen. Eine umgedrehte Gesellschaft, so simpel, dass „Idioten“ nichts weiter als ein Film über Idioten ist, die aber verstanden haben, was es heißt, einzigartig, interessant zu sein. Als Dogma-Film ist „Idioten“ einfach: keine Dramatik, keine Brisanz; das einfache Leben einer Randgruppe. Und doch kommt da diese Frage auf, man fragt sich selbst, ist man einer dieser Spießer, die in den Idioten nur Idioten sehen, weil sie sich idiotisch verhalten, oder ist man doch einer dieser toleranten, verstehenden Personen, die nicht den Kopf schütteln und verhalten lächeln? Es geht dabei um das Verstehen, nicht um das Akzeptieren. [...]

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                            • 6

                              [...] „Das Fest“ ist der wohl radikalste Dogma-Film, Thomas Vinterberg macht aus der Liebe Hass, aus der Idylle einen Kriegsschauplatz. Bei Vinterberg werden Menschen zu Monstern. Nicht, weil er Menschen hasst, sondern weil Menschen sich selbst hassen. Sie sind Furien, sie müssen sich gegenseitig verletzen, bis sie merken, dass sie sich selbst zerstören. Die Wahrheit ist das Motiv des Films; sie zu ertragen, die Aufgabe. Es ist nicht einfach, die Naivität der Menschen zu ertragen, ihre fehlgeleiteten Auffassungen über Recht, Liebe und Moral zu akzeptieren. Doch man erkennt, es sind Menschen. Ihre Fehler: schwerwiegend, unentschuldbar, indiskutabel, doch menschlich. Die Akzentuierung von Menschlichkeit zur Barbarei ist ein Fest. Ein Fest voller Abscheu und Hass, aber auch ein Treffen der Freude und des Wiedersehens. Aber letztendlich sind sie alle haltlose Heuchler, so, wie Menschen eben sind. Gleichgültig sind sie alle, vergessen wird aber keiner. Auch, wenn sie es wollen, werden sie nicht vergessen, wie Christian sich erhob, seinem Vater ins Gesicht blickte und die Wahrheit erzählte. Die Wahrheit, die eine bereits kaputte Familie endgültig zerstörte. Für Christian aber war es die Absolution. [...]

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                                [...] Manchmal hält Guzmán die Kamera einfach auf seine Interviewpartner und fragt sie im Hintergrund aus, dann schlägt er die Brücke zur Rekonstruktion und erzählt nicht nur, was geschehen its, sondern zeigt es auch. Um den Schrecken durch die Pinochetdiktatur transparenter zu machen, offenbart er die Unmenschlichkeit jener Politik. Man könne Respektlosigkeit und Ignoranz hinter der Sensationsgier jener Rekonstruktion von Mord und Entsorgung sehen, doch versteht es Guzmán die meiste Zeit, einen respektvollen Abstand zu halten. In der Sterilität eines leeren Raumes, nur bestückt mit einem Tisch, filmt Guzmán zwei Männer dabei, wie sie eine Puppe einpacken. Erst in Plastikfolie, dann in einen Kartoffelsack. Jeweils über die Beine und über den Oberkörper. Beschwert wird das Ganze mit einem Schienenstück, verschnürt am Körper der Puppe. Die Puppe steht für einen Menschen. Politische Gegner, einfache Menschen, redundante Individuen, die zu Desaparecidos wurden. Feinde des Diktators Augusto Pinochet, der in seiner Amtszeit als Diktator mehrere Zehntausend Menschen tötete. Guzmán verdeutlicht diese Gräuel durch Sterilität und Distanz. Die Puppe wird von einem Helikopter abgeworfen und im Ozean versenkt. Das Heiligtum der Menschen wird zum Massengrab. Jener Ort, der für die Indianer Nahrungsquelle war. Ganz im Sinne der spirituellen Bedeutung nimmt das Wasser jene auf, die es geschaffen hat. Es besitzt die Stimmen der Vergangenheit. [...]

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                                  [...] Sie beginnen ein Leben, fern ihrer in Perspektivlosigkeit vagabundierenden Existenz. Eine Zeit lang scheinen sie in Glückseligkeit zu schwelgen, doch ihre Euphorie verkommt bald. Vergessen war das aussichtslose System, in dem sie festhingen. Und nun bricht es voll auf sie ein: Die Notwenigkeit, ein weiteres Lebewesen zu ernähren, lässt die finanziellen Mittel der Großmutter an ihre liquiden Grenzen stoßen. Konsequent agiert Rosales nur auf seine Charaktere bezogen. Denn auch wenn er verloren ihre Gedanken zu erforschen versucht, ihre Gefühle hat er verstanden. Sie sind absolute gesellschaftliche Verlierer und werden auch niemals gewinnen können. Die Schlussszene schließt den Kreis: Natalia ist wieder da, wo sie gemeinsam mit Carlos begonnen hat: auf der Couch. Bereit, sich wieder einmal zu verkaufen. Doch diesmal ohne Carlos. „Schöne Jugend“ lässt Gerechtigkeit missen. Denn jeder Schritt Richtung Besserung macht am Ende nur noch alles schlimmer. Umso sarkastischer und grausamer kann der Titel des Films ausgelegt werden. „Schön“ ist wenig, was ihr Leben betrifft. Doch die schönen Momente im Leben sind die, an die sie sich erinnern werden. [...]

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                                  • 5

                                    [...] Legitimiert aus Leben und Tod, falscher Liebe und eskapistischer Lethargie verrennt sich Scherfig in ihren Ambitionen, ein mondänes Liebesspiel im Mantel der Einfachheit des Dogma-95. Gelangweilt, könnte man die uninspirierte Herangehensweise an das Medium Film beschreiben, wenn die Regisseurin versucht ihre Kompetenz blind zu überschreiten und die Peripherie des Lebens als keine Singularität, sondern übertriebener Destruktivität zu verstehen. Da schreiten nur Abziehbilder von Stereotypen durchs Bild, verlieren sich, zerstören sich, aber erreichen nichts. Als Dogma-Film zu einfach und doch zu überladen.

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                                    • 7

                                      [...] Konfrontiert mit dem Erfolg anderer, wird Allen zynisch. Er erkennt sein Versagen, bleibt aber grotesk. Groteske Sinnbilder des Scheiterns werden zur Diffamierung seines Fühlens. Alvy Singer ist ein Mann, der eigentlich weder der Adonis ist, der er gerne wäre, noch so intelligent, wie er wirken möchte und doch kreiert er ein Überlegenheitsgefühl. Er selektiert und distanziert sich selbst von Typisierungen, will dabei anders sein, bleibt aber doch ein wandelndes Klischee. Jener neurotische Außenseiter, der Jude, der sofort Antisemitismus erkennt, wenn Juden zum Thema werden. Ein empfindlicher Kauz, doch in seinem Stereotyp liebevoll und einzigartig. Der Zwang, andere fernzuhalten und dabei zu vergessen, wer er eigentlich ist, macht aus ihm – und auch Annie – ein sich selbst nicht verstehendes Wesen. Die Menschen sollen auf Abstand bleiben, aber doch wollen sie körperliche und auch emotionale Nähe. Das aber ist unmöglich, der Konflikt breitet sich aus. Im Inneren, wo es keiner sieht, kämpfen Alvy und Annie darum, miteinander und sich selbst klar zu kommen. Da sie aber stets in Verteidigungs- und Abwehrhaltung verharren, bleiben sie Außenseiter, unverstandene, eben neurotische Müßiggänger. [...]

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                                      • 6

                                        [...] Als zweiter Teil der „proletarischen Trilogie“ geht Kaurismäki in „Ariel“ einen Schritt weiter und lässt seinen Protagonisten noch tiefer fallen, aber gleichsam auch noch höher aufsteigen. Wieder ist es ein Schiff, welches vor einem schlimmen Schicksal rettet. Wieder finden zwei Menschen zueinander. Kaurismäkis Geschichten des einfachen finnischen Mannes sind gleich und doch beinhalten sie eine Individualität, die sich, wie jedes einzelne Individuum auf diesem Planeten, durch offensichtliche Gemeinsamkeiten zusammenfügen, aber auch durch ihre natürliche Einzigartigkeit soweit unterscheiden lassen, dass es niemals dieselbe Geschichte sein wird. Anders als im ersten Teil der Trilogie „Schatten im Paradies“ ist es nicht die Geschichte einer Liebe, sondern das Erzählen und Erleben eines einzelnen Mannes, der ein neues Leben beginnt. Dabei beobachtet man den Fall, das Aufstehen als auch das Stagnieren des Protagonisten Taisto. Dieser lebensbejahende, kämpfende Mann, der aus dem Morast seines Lebens aufsteht und mit offenem Verdeck all jenem den Rücken zukehrt, was ihn einst herunterzog. Ein niemals aufgebender, für sein Glück ein stehender Mann, ist bei Kaurismäki aber auch nur ein Fußabtreter, der erst alles verlieren muss, bevor er irgendetwas gewinnt. Verlust ist für Kaurismäki Voraussetzung des Glücks. [...]

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                                        • 4

                                          [...] Nicht selten blickt man auf die Interaktionen der beiden Protagonisten und hinterfragt den Sinn dieser Beziehung. Mit welcher Intention setzt Peter Sattler, der Regisseur, seine Figuren dieser Problematik aus, wenn er gänzlich darauf verzichtet, die für diese Thematik wichtige Moral zu hinterfragen und so stattdessen alles dem Fatalismus überlässt? Sattler blickt auf Guantanamo Bay mit einer geschichtspolitischen Quisquilie. Fragen nach Schuld und Unschuld gibt es nicht. Die einseitige Betrachtungsweise der Hintergründe führt zu einer Stigmatisierung jedes Insassen der Haftanstalt. Bei allen, bis auf Ali. Dieser bibliomane, soignierte und beizeiten juvenile Mann darf sie mit „Blondie“ ansprechen, während andere die schwarzen Schafe in der weißen Herde sind. Ali distanziert sich so sehr von seiner ihm zugewiesenen Gruppe, dass er zum ausgewiesenen Filius wird. Der verstoßene Sohn, der doch so anders denkt als der Rest. Es mangelt an Novitäten und scheint, als seien alte Denkansätze repliziert und mithilfe weniger Handgriffe zugunsten der „Liebesgeschichte“ angepasst worden. [...]

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                                            [...] Unfähig, ihre Zuneigung füreinander auszuleben und gefangen in den gesellschaftlichen Konventionen, die sie in persönlicher als auch allgemeiner Ebene einschränken, ist die Liebe zu Beginn zum Scheitern verurteilt. Ihre Zugehörigkeit wird durch die individuelle Eigenständigkeit und die Loyalität zueinander auf die Probe gestellt. Ist die Existenz wichtiger als die Erfüllung emotionaler Bedürfnisse? Diese Frage stellt sich Ilona mehrmals unbewusst. Einmal flieht sie mit Nikander über das Wochenende, dann versetzt sie ihn. Sie ist überfordert mit sich selbst, ihren Absichten und Möglichkeiten. Doch letztendlich findet sie ihre Erfüllung in dem, was sie schon lange hatte. Ihre Liebe ist nicht auf dem Fundament der sozialen beziehungsweise gesellschaftlichen Existenz gebaut, sondern definiert sich durch das Verständnis der beidseitigen Situation. Beide sind mittellos und einsam. Sie sind unwichtige Fußabtreter der restlichen Gesellschaft. Und doch sind es diese Leute, die in der Lage sind, vom Leben zu erzählen. Die Geschichten von Liebe und Hass, Verlieren und Gewinnen, sind Geschichten, die der kleine Mann aus der Einzimmerwohnung erlebt hat. Für sie scheint am nächsten Tag die Sonne, weil sie wissen, der nächste Tag wird so sein wie der vorherige. Doch es gibt etwas zu gewinnen, dessen Ausmaße für sie nicht zu ergründen sind, weil sie bereits verloren haben. Diese Marionetten des Lebens spielen auf der Bühne nur eine kleine Rolle, doch machen sie das Stück erst interessant. [...]

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                                            • 4

                                              [...] Der Film beginnt mit einer verwackelten, unklaren Handyaufnahme. Ein Gerangel wird gezeigt. Menschen streiten sich, man hörte Schreie und Gebrülle, dann ein Schuss. Ab diesem Moment beginnt Coogler seinen Film als Spielfilm. Vorher betrachtet er rund fünf Minuten das Geschehen aus Augen Dritter. So bleibt die Möglichkeit des Verstehens ein Ziel des Films. Es ist einem nicht bewusst, was geschehen ist, warum dieser Schuss ertönte. Das Einzige, was man beobachten konnte, waren verwackelte Aufnahmen, ein nicht verurteilter Einstieg in einen richtenden Film. Beginnt Coogler allerdings seine Haupthandlung werden sämtliche Anreize durch das Desinteresse an Menschen, Handlungen und Themen zerstört. „Nächster Halt: Fruitvale Station“ ist ein formelhaft inhaltloser und auf allen Ebenen verschenkter Film, der die Sicherheit des Nichts der Brisanz des Themas vorzieht. Coogler versucht sich im Schatten des simplen Rekonstruierens zu verstecken. Im vollen Bewusstsein unterlässt er es, Urteile zu fällen, Handlungen zu hinterfragen oder Zustände zu kritisieren. Stattdessen erzählt er einfach nur, aber er vergisst etwas auszusagen. Und eine Geschichte ohne Inhalt hat auch, trotz einem Ende, keine Signifikanz in seiner Darstellung. [...]

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                                                [...] Distanziert von jeglicher Beliebigkeit wird die Homosexualität von Rimbaud und Verlaine kein Akt sexueller und persönlicher Auseinandersetzung, sondern ein universelles Kausalprodukt der Persönlichkeiten. Holland interpretiert ihre Liebe nicht als Homosexualität, sondern als Liebe zweier intellektueller Geister. Ein Zugehörigkeitsgefühl, welches sich als Problem der Gesellschaft manifestiert. Verlaine, bis zu dem Treffen mit Rimbaud ein klar heterosexueller Mann mit einer Familie, ein Freiheitskämpfer während der Revolution, auf einmal vernarrt in Rimbaud. Die Homosexualität beider ist fern von physiologischer und anatomischer Abhängigkeit. Ihre Sexualität lebt sich in einer Liebe der Deckungsgleichheit aus. Sie lieben sich dann, wenn sie es brauchen, nicht, wenn sie es wollen.
                                                Als der endgültige Bruch zwischen Verlaine und Rimbaud geschieht, ist es einer Gewalt geschuldet, der Verlaine sich seinem ganzen Leben nur schwerlich entziehen konnte. Während seiner Ehe mit seiner Frau zündet er ihr die Haare im Alkoholrausch an und schleudert das eigene Kind durch das Zimmer. Es scheint, als wäre die Liebe der beiden in einer Katharsis der Gewalt, der Selbstfindung und Zerstörung gefangen. Der Ausweg aus diesem Kreis ist unmöglich. Rimbaud versucht den Bruch, scheitert an der Hilflosigkeit des Anderen. [...]

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                                                  [...] Die Liebe zweier Individuen ist der Mittelpunkt aller Konspiration. Ennis Del Mar begegnet der Liebe mit Abneigung. In ihrer ersten Nacht reagierte er aggressiv und später abweisend. Er ist sich der gesellschaftlichen Ausgrenzung Seinerselbst bewusst, während Jack Twist, der naive und lebenslustige Jüngling, in seinen Gefühlen lebt. Beide Gegenpole zementieren ihre Liebe ganz individuell, aber verlieren sie niemals. Während Ennis nach ihrer Trennung heiratet, ein geordnetes Leben zu führen versucht, gleitet Jack verloren durch die Welt. Der Versuch, ein Jahr später auf den Brokeback zurückzukehren, endet mit der Einsicht, dass ihr Geheimnis nicht so geheim war, wie erhofft.
                                                  Dennoch bleibt die Liebe der beiden zueinander, trotz verschiedener Lebensstile, allgegenwärtig. Die Suche der Gefahr, das fehlende Gefühl des Zusammenseins, verstärkt sich im Laufe der Jahre, verliert sich in vorgeheucheltem Interesse an Frauen und dem Aufbau anderer Existenzen. Dann der Versuch der Wiedervereinigung: Im Schatten der eigenen Ehen zelebrieren sie eine Affäre. Zurück auf dem Brokeback besprechen sie ihre Zukunft. Aussichtlos, verloren, unmöglich – da ist nichts, was sie zusammenhält. Ihre Liebe besteht nicht die Prüfung der Gesellschaft. „Wie lange denn?“, fragt Jack und Ennis resümiert nur vage: „So lange, wie wir können.“ [...]

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                                                    [...] Regisseur Sacha Gervasi behandelt in seinem Spielfilmdebüt „Hitchcock“ nur einen entscheidenden Lebensabschnitt und suggeriert damit den Eindruck, dass sich an diesen (im Kontext) weniger relevanten Ereignissen das gesamte Schaffen von Hitchcock definieren lasse. Es wird zu keiner Zeit ein Rückbezug zu vergangenen Filmen geschaffen und niemals beachtet der Film einen weiteren (für das Leben von Hitchcock) wichtigen Aspekt, um ein klares Bild über diesen Ausnahmeregisseur zu machen. Zwar kann man den Film in diesem Punkt zugute halten, sich im vollkommenen Bewusstsein nur auf die Dreharbeiten des Films „Psycho“ zu beschränken, dies mindert aber nicht den Eindruck, dass es sich hierbei um ein halbfertiges Produkt handelt ohne jegliche Relevanz zu seiner Titelfigur.
                                                    Um sich den Halbwahrheiten noch weiter zu beugen, legt Gervasi seinen Blickpunkt nicht auf das filmische Schaffen von Hitchcock, sondern übergeht jegliche historische Korrektheit, in dem er den von Anthony Hopkins gespielten Hitchcock eine äußerst melodramatische Liebesgeschichte zu seiner Frau Alma Reville andichtet. Reville (Helen Mirren, erstaunlich blass), eher bekannt als Ruhepol hinter Alfred Hitchcock, verkommt zu einer launischen und aufmerksamkeitsheischenden Frau, die sich zwingend aus dem Schatten ihres Ehemannes lösen will. Es scheint fast so als bange Regisseur Gervais darum sich emanzipatorisch zu weit der heutigen Darstellung zu entfernen und damit etwaigen Zuschauern auf den Schlips zu treten. Mut zum Kino sieht anders aus. [...]

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