Ab dem heutigen Tage sind einige von euch in der Lage, Michael Fassbender in seiner ganzen Pracht zu begutachten. Das ist natürlich nicht der Grund, aus dem ihr euch Shame anschauen solltet, den gefühlvollen Film über einen sexsüchtigen, ausgebrannten Mann von Steve McQueen. Weil Kleiderlosigkeit im Film immer noch ein heißes Thema mit vielen Seiten ist, wollen wir euch hier einen kleinen Einblick in die wunderbare Welt der Nacktszenen geben. Auf eine Galerie verzichten wir natürlich.
Das Recht auf Nacktheit
Früher war alles besser. Im Jahre 1915 machte der Film Inspiration den Anfang, als er als erster amerikanischer Film eine Frau (Audrey Munson) zeigte, die nackt für ein Foto posierte. Damals war das noch mehr oder weniger normal, denn bis 1933 zeigten sich Schauspielerinnen wie Schauspieler gern und oft mal ohne Kleidung. Solang es nicht obszön war, versteht sich. Die Motion Picture Association of America verstand das nicht und verbot im letztgenannten Jahr sämtliche Nacktheit im Film innerhalb ihres Hays Codes. Der tschechische Film Exstase gab dazu Anstoß, denn er zeigte skandalöserweise eine Nacktbadeszene und einen simulierten, angedeuteten Orgasmus der Hauptdarstellerin Hedy Lamarr. Fortan sollten nur noch ausländische Filme und Dokumentationen mit Menschen im Adams- oder Evakostüm.
Dann kam das Jahr 1963 und mit diesem der Film Promises! Promises!, in dem sich Jayne Mansfield vollkommen auszog und am Set gleich noch ein paar Fotos für den Playboy machen ließ. Ich brauche eigentlich nicht zu erwähnen, dass der Film ein Riesenerfolg wurde. Danach lockerten sich die Regelungen langsam, aber die Vereinigten Staaten sind bei ihren Mainstreamproduktionen bekanntermaßen immer noch vorsichtig. Anders sah es ihn Europa aus. Brigitte Bardot zeigte sich in Die Verachtung wie selbstverständlich ohne Kleidung, genau wie Sophia Loren in Era Lui, Si Sie. Die Zeit mit Monika (Ingmar Bergman) hatte Nacktszenen, genau wie Liebende Frauen (Ken Russell), in dem Oliver Reed und Alan Bates ringen, mit voll sichtbarer Lendenpracht. Wir waren eben schon immer besser drauf.
Karriere- und Oscar-Köder?
Besonders für junge Schauspielerinnen ist das Blankziehen ein Karriereboost par excellence. Passwort: Swordfish dürfte nicht unerheblich von der nackten Halle Berry profitiert haben. Für Monster’s Ball (2000) erhielt sie einen Oscar und war ebenfalls oben ohne zu sehen. Für Gwyneth Paltrow (Shakespeare in Love) und Hilary Swank (Boys Don’t Cry) lief es ebenfalls sehr gut. Kate Winslet war in einigen Filmen nackt zu sehen, darunter Der Vorleser, für den sie einen Academy Award erhielt. Es gibt noch einige Beispiele mehr, dank derer wir Rückschlüsse auf den geistigen, vielmehr fleischlichen Zustand der Oscar-Jury machen könnten. Tatsächlich bewegt sich die Oscar-Quote bei den Filmen mit Nacktszenen aber auf einem 50:50-Niveau. Oft machen Nackt- und auch Sexszenen künstlerisch eben Sinn, wenn sie die Handlung oder die Atmosphäre bereichern. Oft sind diese Szenen nicht einmal besonders erotisch.
In anderen Fällen können sie auch der Komik dienen. Wer erinnert sich nicht gern an die Klatschlaute in Nie wieder Sex mit der Ex und den darauffolgenden, frontalen Shot auf den gigantischen Körper von Jason Segel? Nackte Männer sind ein Steckenpferd der Judd Apatow – Komödien, das uns die auch noch im neuen Jahrtausend vorhandene Prüderie augenzwinkernd ins Gesicht reibt. In anderen Fällen, können sie eine Schauspielerin oder einen Schauspieler schnell in eine Schublade stecken. Shannon Elizabeth entwickelte sich im Nachklang von American Pie – Wie ein heißer Apfelkuchen zu einem Sex-Symbol und wurde diesen Ruf nie vollständig los. Kein Wunder, immerhin war ihr nackter Körper nur um seiner Selbst willen im Film. Inzwischen sichert sie sich per Vertrag gegen Nacktszenen ab.
Testosteronmangel und Skandalszenen ohne Skandal
Während außerhalb der Comedy auch noch andere Männer gibt, die sich gern im Film ausziehen, darunter Viggo Mortensen (Indian Runner), Ewan McGregor, Peter Sarsgaard (Kinsey), M.C. Gainey (Sideways) oder Vincent Gallo (Brown Bunny), ist sie bei weitem nicht so selbstverständlich wie eine entblößte weibliche Brust. Die Filmwissenschaftlerin Laura Mulvey macht dafür in ihrem Aufsatz Visual Pleasure and Narrative Cinema das Unvermögen der meisten Männer verantwortlich, den Anblick entblößter Geschlechtskollegen ohne Angst- oder Würgereflex zu ertragen.
Andere schummeln sich um die Nacktszenen herum. Mark Wahlberg zeigte seinen Penis nicht wirklich in Boogie Nights. Er benutzte eine über 30 Zentimeter lange Prothese, während sich seine Kolleginnen Julianne Moore und Heather Graham wirklich die Blöße gaben. Auch Billy Crudup dürfte als Dr. Manhattan in Watchmen – Die Wächter nicht nackt gewesen sein. Der omnipotente blue dong schwang wohl kaum per Motion Capturing durch die Gegend. Sogar Lindsay Lohan ließ für die Poolszene in Machete ein Double engagieren, obwohl sie eher eines für das reale Leben gebraucht hätte. Und wer denkt, Mila Kunis, Willem Dafoe (Antichrist) oder Charlotte Gainsbourg (ebenfalls) schon einmal nackt gesehen zu haben, der irrt leider. Nacktheit ist eben noch lange nicht selbstverständlich, auch in unserer schönen neuen, gern als hypersexualisiert bezeichneten Welt nicht. Es stellt sich die Frage, in welchen Maßen und, wenn ja, auf welche Weise sie das sein sollte.
Was denkt ihr? Muss die Toleranz für Nacktszenen steigen oder sind sie nur ein für die Dramaturgie unnötiger Zuschauerköder?