Darbon - Kommentare

Alle Kommentare von Darbon

  • 7 .5

    Eine Szene, die dicht an der Wirklichkeit orientiert ist und in der Autor und Regisseur Gianni Buffardi grausam spekuliert: Schauspielerin Sylvie (Claude Jade) sorgt sich zitternd und weinend um ihren guten Freund Massimo (Guido Mannari), der seit Tagen verschwunden ist und berichtet dem Capitano (Luigi Pistilli) von der Nacht des Todes ihrer Freundin Deborah Garner, ein Pseudonym für das 1971 in Rom verstorbene It-Girl Talitha Pol-Getty: Massimo und sein Freund Dino (Howard Ross) beruhigen ihren Freund Teddy Garner Jr. (Paolo Malco als Double des echten John Paul Getty Jr.). Da seine Frau Deborah gerade an einer Überdosis Heroin sterben wird, sollte er keinen Arzt rufen, sondern das Ende ihres Todeskampfes abwarten. So würde auch die anstehende Scheidung billiger. Die arme Deborah wälzt sich nackt und voller Schmerzen auf dem Bett, derweil die drei Männer Karten spielen und immer wieder schauen, wann der Todeskampf vorbei ist. Wie Talitha Getty wirklich starb - sie verging nur zwei Tage nach ihrer Ankunft in Rom, um die Scheidung von ihrem drogensüchtigen Gatten zu regeln - wurde nie geklärt und der Film "Number one" verschwand kurz nach seiner Uraufführung 1973. Zu sehr waren an den im Film verhandelten Fällen Beteiligte nicht erfreut, Thema eines Krimidramas mit halbdokumentarischen Zügen zu sein.

    2021 tauchten in einem Lagerhaus Negative auf, die Cineteca Nazionale restaurierte das farbenfrohe und düstere Werk, das Ende 2021 seine Wiederaufführung im Kino auf dem Filmfest Torino und seine Erstausstrahlung im Fernsehen hatte. "Number one" ist zum einen der legendäre Nachtclub in Rom, in dem der Jetset unverholen mit Kriminellen verkehrte - zum anderen die Suche nach der "Number one" in einflussreichen Kreisen hinter einigen Verbrechen, die sich nah an der Realität orientieren. Das "Number one" wurde nach weiteren Kokain-Skandalen geschlossen und Tatverdächtige verließen Rom und kehrten nie zurück.
    Gianni Buffardis Film ist ein Krimi und ein Politdrama, das dem Zuschauer wenig Hoffnung lässt: wie in den Filmen von Damiano Damiani verschwinden Zeugen und die Verbrecher werden nicht zur Rechenschaft gezogen.
    Buffardi recherchierte bei Journalisten und auf Polizeirevieren in einigen Fällen, bei denen die Fäden im "Number one" zusammenlaufen. Und Buffardi kannte die Beteiligten gut und war selbst in einige Fälle verwickelt. In einem Vorspann mit dem Geräusch einer Druckerpresse knallen uns Zeitungsartikel entgegen und die Gesichter prominenter Club-Gäste: Brigitte Bardot, Elizabeth Taylor und Richard Burton, Gina Lollobrigida, Helmut Berger, Audrey Hepburn, Marisa Mell mit ihrem Koks-Lover Pier Luigi Torri, das ermordete Model Tiffany Hoyveld mit Freund Giuliano Carabei, Jackie Kennedy und Aristoteles Onassis... Neben Drogenhandel und Gemälderaub werden bekannte Todesfälle werden zum Thema: der des It-Girls Talitha Pol-Getty, Frau des Drogenkonsumenten und Milliardärs John Paul Getty Jr - eben jener mit dem ihm 1973 zugesandten Ohr seines gekidnappten Sohnes - und der Tod des Filmsternchens Tiffany Hoyveld (im Film gespielt von Isabelle de Valvert als Betsy) und ihres Geliebten Giuliano Carabei, die man hingerichtet am Ufer des Lago Martignano fand. Auch zwei nie geklärte Todesfälle im Dunstkreis des italienischen Adels werden abgehandelt.
    Der Film hat viele Hauptfiguren, die in den ersten Minuten vorgestellt werden: Pier Luigi Torri, ein Filmproduzent, der Marisa Mell gern im Drogenrausch verkloppte, verschwand im Zuge der Ermittlungen nach England und kehrte aus Angst vor Prozessen nie wieder zurück nach Rom. Im Film ist er der Fotoagenturchef Benny (Chris Avram), der hier seine Freunde trifft: den "Boss" (Renato Turi), den Clubbesitzer Leo (Venantino Venantini), den Verlagschef Cattani (Massimo Serato) und die französische Schauspielerin Sylvie Boisset (Claude Jade). Es werden in Dringlichkeit geheime Telefonate geführt, die Sylvies Aufmerksamkeit wecken und Buffardi schubst uns aus dem Nachtclub-Keller hinaus ins Morgengrauen und in eine römische Villa, in der im Morgengrauen die Amerikanerin Deborah Garner leblos aufgefunden wird. Dass etwas nicht stimmt mit dem Totenschein wird schnell klar, als der verwirrte junge Witwer Teddy Garner Jr.von seinen kriminellen Freunden und Drogenlieferanten gedrängt wird, rasch das Land zu verlassen. Ins Visier der Ermittler gerät zuerst Sylvie, denn sie ist die einzige auf Deborahs Beerdigung - und Buffardi macht die junge Dame rasch zur Hauptfigur, die den Karabinieri anonym den Aufenthaltsort von geraubten Kunstwerken nennt - ein Kloster bei Rom. Und Buffardi stiftet Verwirrung mit immer neuen Rückblenden auf die Nacht des Gemälderaubs und des Todes von Talitha alias Deborah. So übernimmt zeitweise auch Sylvies in Panik geratender guter Freund Massimo mit seinen eigenen Rückblenden, die sich allmählich zu einem Ganzen fügen. Neben Sylvie und Massimo gibt der Film zwei Ermittlern Raum, die mit großer Authentizität gespielt werden: in der ersten Dreiviertel Stunde ermittelt allein Kommissar Vinci (lebensprall zu Beginn und dann immer wütender: Renzo Montagnani), dann kommt der Capitano hinzu, berührend gespielt von Strehler-Star Luigi Pistilli. Der Capitano hat die große Hoffnung, dass Sylvie das Kartenhaus nach dem Auffliegen der Beteiligung der Kirche beim Kunstraub restlos zum Einsturz bringen könnte. Doch die Ermittler kennen zwar die Wahrheit, haben aber keine Beweise. Gibt es einen italienischen Politkrimi der 70er, in dem das nicht der Fall ist?
    Kamermann Roberto D'Ettorre Piazzoli überwachte die Restaurierung und wir erleben ein hässliches und korruptes Rom in strahlend satten Farben, die Kamera ist immer in Bewegung, umkreist nah und unermüdlich die in Bedrängnis geratenen Figuren, das Tempo der Handlung ist enorm und ihr zu folgen könnte unübersichtlich werden. Doch genau hier liegt Buffardis Absicht. Es wird ein Puzzle der Andeutungen. Dialoge werden in bestimmten Passagen vom Lärm der Autos übertönt oder von der Musik im Nachtclub. Für Retronostalgiker ein Fest des 70er-Jahre-Looks unter jazziger fiebriger Musik, während Nachtclub die Instrumentalversion von Stevie Wonders "Superstition" läuft. Dass der Film mit diesem Lied beginnt und endet, als sei nichts geschehen und die Verantwortlichen oder Verdächtigen weiterfeiern, macht seinen Ausgang umso bitterer.

    Den Kunstfälscher, der ein Gemälde mit weißer Farbe überpinselt, spielt Regisseur Gianni Buffardi selbst.
    Der Film ist zur Zeit auf Italienisch mit englischen Untertiteln verfügbar.

    • Darbon 28.10.2014, 16:17 Geändert 28.10.2014, 16:19

      Wenn Françoise Dorléac in Brasilien ein neues Gefährt benötigt, soll ihr Verlobter ihr eines stehlen. "Adrien, welche Farbe will ich?" Belmondo darauf: "Rosa mit grünen Sternen." Schnitt - und die Helden sitzen in einem Auto, rosa mit grünen Sternen. Daniel Boulanger wurde für sein Drehbuch zu "Abenteuer in Rio" für einen Oscar nominiert. Als Drehbuch- und Dialogautor war einer einer der Besten im Französischen Film.
      Sein Freund François Truffaut gab ihm zudem kleine, sehr prägnante, Rollen in dreien seiner Filme: in "Schießen Sie auf den Pianisten" prahlt er vor einem von ihm entführten Jungen, als wäre er selbst ein Kind und in "Die Braut trug schwarz" ist er in der letzten Einstellung Jeanne Moreaus letztes Opfer. Seine legendärste Rolle verschaffte ihm Truffaut in "Domicile conjugal", in dem der Dialogautor stumm bleibt: Als Nachbar von Jean-Pierre Léaud und Claude Jade wirft er immer wieder Mantel und Tasche seiner ständig trödelnden Frau die Treppe hinunter. Im Epilog kopieren Léaud und Jade das Verhalten ihrer Nachbarn. Boulanger hilft Jade in ihren Mantel, in dem sie nun dankend weiterhastet. Nun sagt Boulangers Filmgattin: "Siehst du chéri, jetzt lieben sich die beiden wirklich." Der Film endet auf dem Blick von Daniel Boulanger.
      Daniel Boulanger starb am 27.Oktober 2014.

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      • Sollen alle deine Freunde gelbe Rosenblüten auf deine Ruhestätte regnen lassen.

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        • 2 .5
          Darbon 16.11.2013, 12:39 Geändert 08.03.2017, 09:06

          Furchtbar verklemmte Umdeutung Hollywoods eines bösen britischen Romans von Fay Weldon.
          Ruth tröstet sich, nachdem sie vom Gatten Bob für die Schriftstellerin Mary Fisher verlassen wurde, mit zahlreichen Bettgefährten. Davon unbefriedigt und zudem hasserfüllt, intrigiert sie gegen Bob. Sie klaut das Geld seiner Klienten, schafft Indizien, dass er das Kapital mit seiner Sekretärin außer Landes bringen wolle und beschläft zudem den für Bobs Verurteilung zuständigen Richter. Ruth unterzieht sich schmerzhaften Schönheitsoperationen, um endlich wie die inzwischen verstorbene Mary Fisher auszusehen. Sie kauft deren Haus und Bob schmort im Knast... Soweit Weldons Roman und die Adaption als preisgekrönte BBC-Serie.
          In Susan Seidelmans harmlosem Spaß schaut Roseanne Barr erst mit und später ohne angepappter Warze auf das von ihr im Off trocken kommentierte Geschehen, das fast nichts von Weldons Vorlage übernimmt. Ruth bleibt brav und ohne Leben, denn nichts im Abspulen des kleinlichen Racheplans erscheint ansatzweise reflektiert. Das komödiantische Talent Meryl Streeps als in die Hysterie getriebene Softsexromanzen-Autorin, ein rosafarbener Klon aus Barbara Cartland und Jackie Collins, tröstet mit outriertem Gestus zeitweise über die spießige Rachekomödie hinweg.

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          • 7 .5

            Horror- und Giallo-Ikone Patty Shepard eröffnet den mörderischen Reigen als hübsche Nymphomanin, die lässig aus einer Weinpulle lökert, als ihr Lover in sie eindringt. Ein rotes Tuch wird lässig über die Nachttischlampe geworfen und der Kerl beginnt, die Schöne im Rhythmus zur Vögelei zu würgen, was ihr höchste Lust bereitet - bis sie wimmert und schließlich tot ist. Über die Mordsequenz laufen die Titel, der eingängige Hit "Una ragazza come tante" - und Shepards Rolle ist perdu.

            "Poor little bitch", bedauert Shepards Witwer Sandro, als er sein totes Weibchen kurz darauf im Lotterbett auffindet. Den Gatten, seines Zeichens Privatdetektiv, spielt Frederick Stafford, Frankreichs Antwort auf Ladykiller James Bond in den "OSS 117"-Filmen der 1960er. Als er neben der Leiche ein Photo entdeckt, auf dem ein behelmter Lederjacken-Kerl mit Motorrad und im Hintergrund eine Frau zu sehen sind, eilt er zu Tiffany, einer amerikanischen Fotografin, die im roten Licht der Dunkelkammer auf dem Blow-up die Frau zu erkennen scheint. Tiffany führt Sandro in einen Nachtclub, in dem diese Laura Damiani, Model für Valentino und zudem Boutiquebesitzerin, als Stripperin auftritt. Der schöne Sandro leckt sich bei diesem Anblick die Lippen, besucht die Dame und besteigt sie im Zuge seiner Ermittlungen. So oft sie sich ihm auch in allen Positionen hingibt, behält sie den Namen des Motorradfahrers doch für sich. Tiffany schmachtet weiterhin Sandro an und hilft ihm bei seiner Mördersuche, doch der Detektiv ist bereits Laura Damiani verfallen. Aber das schöne Flittchen verdankt ihre Boutique an der via Condotti dem mafiösen Anwalt Russo, lässt ungern von ihrem Luxus ab und ist in dunkle Geschäfte der Reichen und Mächtigen Roms verwickelt ...

            Dem spanischen Regisseur Germán Lorente ("Striptease" mit Terence Stamp) gelingen ausgezeichnete Giallo-Bilder, die stimmungsvolle Musik von Enrico Simonetti hat Klasse, die arg in weitere Stränge verzweigte Story rankt sich um Sex & Crime.

            Femi Benussi, sonst sexy Beiwerk in B-Filmen und Beischlaf-Mordopfer in diversen Gialli, hat als Laura eine seltene Hauptrolle. In der hat sie abwechselnd Sex mit Lover Russo (potent, ölig und zuverlässig gut: Alberto de Mendoza), Ermittler Sandro, Pornohengst Tony und einer drallen Blonden. Mario Capriotti, vor dessen Kamera sonst Italowestern-Helden wie George Hilton und Guy Madison ihre Colts blank ziehen, zoomt oft auf Benussis Brüste. Dazwischen werden in der Totalen fiese Killer abgeknallt, Autos geschrottet oder gesprengt und der 191 große Stafford verprügelt smart wie gewohnt kleine Gangster, die ihm in den Straßen und auf Autofriedhöfen nach dem Leben trachten. Bekannte Gesichter des spanischen Kinos der 70er konkurrieren zu Benussis Nacktauftritten: Manuel de Blas spielt den durchdrehenden Mordverdächtigen Franco und Simón Andreu den smarten Frauenmörder und Erpresser Mario. Undankbar sind die kurzen und inspirationslosen Auftritte von Michel Constantin ("Frühstück mit dem Killer") als Polizeiinspektor. Truffaut-Heldin Claude Jade, einige Jahre zuvor Staffords Filmtochter in Hitchcocks "Topas", bleibt im Gegensatz zu Benussi ansprechend hübsch bekeidet, darf als Tiffany ihren 20 Jahre älteren Co-Star anschwärmen und schließlich küssen, bleibt ansonsten leider unterfordert. Stafford selbst, einst tschechischer Olympia-Anwärter im Schwimmen und gefeierter Hockey-Spieler, macht in allem eine stattliche Figur. Was seine Filmfigur antreibt und weshalb er den Mörder seiner Frau finden will, lässt der Film offen, was angesichts der im Mittelpunkt stehenden Action und Sexploitation sowie den von der eigentlichen Mordermittlung ablenkenden Abzweigungen auf andere Verbrechenspfade nicht weiter verwundert: ein im Mittelteil eher schwaches Drehbuch, dessen Verfilmung für 70er-Jahre-Nostalgiker und Rom-Liebhaber einige sleazy Schauwerte hat.

            • 8 .5
              Darbon 17.04.2013, 01:15 Geändert 08.03.2017, 08:58

              Ein Pegesus aus Blech, das englischen Akzent spricht, landet in Bagdad, um Sheherazade aus dem Kerker - wie jede Kulisse hier ein gemaltes Blue-Screen-Puppenhaus - zu retten und durch die entscheidende der 1001 Nächte zu tragen. Denn Sultan Shariar, der jede seiner Angetrauten nach der ersten Nacht enthaupten lässt, will der cleveren blonden Märchenerzählerin die Hände abhacken lassen.
              Das schwarzhumorige Märchen für Erwachsene, basierend auf einem Stück von Jules Supervielle, war 1971 die traditionelle conte des fées zum Jahresausklang.
              Truffaut-Stammspielerin Claude Jade ist energisch und amüsant als clevere Sheherazade, die 18jährige Anicée Alvina aus Lewis Gilberts Friends-Filmen der frühen 70er lispelt sich süß als deren Schwesterchen durch ihren ersten größeren Part.
              Köstlich im bonbonbunten Geschlechterkrieg sind zudem die Auftritte von Tsilla Chelton, der späteren "Tatie Danielle", als durchgenknallte Magierin, die hyperventilierend auf des Sultans Schultern reitet oder auf einem fliegenden Teppich der blonden Sheherazade durch den Nachthimmel hinterherprescht.

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              • 7
                Darbon 03.02.2013, 17:30 Geändert 08.03.2017, 09:10

                Das Zentralthema, die Ermittlungsarbeit und die damit verknüpfte Geschichte um die beiden Gegenspieler Polizist und Stasimann ist erfunden. Wollte der Film sich auf wahre Begebenheiten berufen, sähen wir dem Psychologieprofessor Szewczyk bei seiner Arbeit zu. Er verwies bereits zu Beginn auf einen jungen homophilen Sadisten und zog Parallelen zum BRD-Fall um Jürgen Bartsch, besorgte sich mit Hilfe der Stasi Akten aus Westdeutschland und komplettierte so das Täterprofil. "Mord in Eberswalde" will aber in seinen Brauntönen ein DDR-Stasi-Thema-Film sein.

                Die Konflikte um Erweiterung oder Einstellung der Ermittlungen zwischen Polizeihauptmann Heinz Gödicke (Ronald Zehrfeld) und Stasimann Stefan Witt (Florian Panzner) sind ebenso fiktiv, denn das MfS sorgte für eine groß angelegte Jagd und Recherche.

                Abgesehen von erneuter DDR-Geschichtsklitterei - hinzu kommen Auslassungen wie der Kastrationstod Bartschs oder das in Wirklichkeit erfolgte Revisionsverfahren Hagedorns - ist der Film durch die gut gespielte Dreiecksgeschichte der Hauptfiguren sehenswert.

                Zwischen Florian Panzner und Ronald Zehrfeld liebt und leidet Ulrike C. Tscharre als Lehrerin Clara Böhm, Freundin des einen und heimliche Geliebte des anderen. Tscharre spielt eine moderne junge Frau, elegant, berufstätig, stark, unabhängig.

                Wenn er sich in den Täter hineinfühlen will, fährt Zehrfeld, neben seinem Talent zu Authentizität zudem warmblütiges Sexsymbol unserer Tage, der beim Liebesspiel gefesselten Tscharre mit einem Messer über die blanke Brust und den Hals und dämpft ihre Hilfeschreie mit der anderen Hand. Das Bild dieser Besessenheit des Ermittlers erinnert an gute französische Filme aus den 70ern. Die Geliebte rennt aus seiner Wohnung, nur um wenig später zurückzukehren und sehr vernünftig neue Regeln einzufordern.

                Zehrfeld, der nun offiziell mit der Geliebten zusammenlebt, verzehrt sich auf der Mördersuche, bezieht monatelang Posten auf einem Hochsitz im Eberswalder Forst. Nun bittet Tscharre den Vater eines der ermordeten Jungen, Zehrfeld von seinem Versprechen, den Mörder zu finden, zu entbinden. Als er den Hochsitz verlässt und heimkommt, hat Tscharre bereits die in der Küche aufgestellte Blechwanne mit heißem Badewasser aufgefüllt. Zehrfeld, bis dahin vom Fall besessen, begreift, dass sie ihn abgezogen hat - und dankt es ihr mit einem Kuss. In Szenen wie dieser und dem Spiel seines wunderbaren Darstellertrios Zehrfeld, Tscharre und Panzner - der hat seinen schönsten Moment, als er eine dicke Bratwurst genießt und dabei seinen Partner Zehrfeld verwegen anschaut - liegt die große Stärke des Films.

                Als Eifersuchtsdrama ein schönes Kleinod, hat "Mord in Eberswalde" als Tatsachenkrimi mit seiner Schwarzweißmalerei allerdings versagt.

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                • 8

                  Nein, ein Dokumentarfilm ist die Beschreibung des erfundenen Skaters Denis "Panik" Paracek (u.a. gespielt von Kai Hillebrand) und seiner Kumpels zu keiner Zeit. Und das will der unterhaltsame Spaß "This Ain't California" auch nie sein. Bereits der Umzug eines der Erzähler aus Magdeburg nach Berlin, wo sein Spielplatzfreund Panik plötzlich - ohne jede Erklärung - ebenfalls lebt, freilich mit einer völlig anderen Physiognomie als der des kleinen Jungen, verrät zu Beginn laut und bunt: Alles Fiktion.

                  Heute noch glauben viele, das Winterpalais sei 1917 gestürmt worden, doch sie vertrauen einer Fiktion aus dem Kino. Das Winterpalais wurde nie gestürmt, es sei denn 1928 in Sergej Eisensteins Spielfilm "Oktober".

                  Bereits der Todeswidmungs-Prolog unter den Titeln ist ein gelungener Scherz, denn dass ein Junge, der sich nie einer Autorität unterwerfen wollte, ausgerechnet als Soldat stirbt, lässt die "Zeitzeugen" von einst die Köpfe schütteln und verweigert jeden Realitätsanspruch. "Panik", einst ein braunhaariger Junge mit James-Dean-Tränensäcken, später ein drahtiger Blondschopf mit einer vagen Ähnlichkeit zum jungen Robert Stadlober ist eine Collage aus vielen Skatern, von dem jeder auf der Welt spricht und dabei die gleichen Attribute verwendet, darunter mag einer aus Magdeburg stammen, einer aus Berlin und ein anderer mag auch als Soldat in Afghanistan erschossen worden sein. "Panik" ist wie "Keyser Söze" - but this ain't California! Vielmehr ist der Film ein lustiges, oft rotzfreches, manchmal angenehm sentimentales Erinnern an die Jugend in der DDR der 1980er Jahre. Der von einem Schauspieler dargestellte Stasimann und vor allem die als Scherz zu erkennende DDR-TV-Sendung sind dabei Spielarten wie die Zeichentricksequenzen im Stil der norwegischen Musikband Aha aus jener Zeit, die der Film ausstattungsfreudig nachstellt.

                  Nicht nur Ausstattung und Kostüme sind gelungene Fälschungen eines Zeitsprungs. Besonders Casterin Karen Wendland vollbringt das Kunststück, Schauspieler und echte Skater in einem harmonischen Gleichklang zu besetzen, so dass Authentizität aufkommt, die eher an das cinéma vértité erinnert als an das zu recht geschmähte Privat-TV-Genre Doku-Fiction. Und wenn Fernsehen, dann das öffentlich-rechtliche Doku-Drama à la Breloer.

                  Marten Persiel langweilt in seinem Jugendfilm nicht mit einer nerdigen Sportart sondern diskutiert spannend und kurzweilig den Begriff der Freiheit: verliert sie ihren Individualismus, wenn das Skaten plötzlich kommerzieller Massensport wird? Weshalb werden Frauen immer nackt gezeigt, Männer aber nicht? Wie befreie ich mich von den Richtlinien meiner Eltern, wie im Fall der Puzzle-Figur "Panik". Und er macht sich lustig über diese Frage, wenn Skater bei einem internationalen Treffen mit Essen um sich werfen, wobei schon die Eltern immer wussten: "Mit Essen spielt man nicht!"

                  Ein vielfach zum Finale eingeleiter Epilog, der letztendlich dann flott und überraschend ist, bremst den Schwung des Films im letzten Viertel ein wenig und auch die Notwendigkeit der Episode um einen DJ im dritten Kapitel bleibt fraglich. Kleine Macken, die beim Abspann, der vor allem 1970er Jahrgänge in friedliches Grinsen versetzen dürfte, rasch verflogen sind.

                  Angenehm befreit sich der Film zudem von der Annahme vieler DDR-Nostalgiker, "Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt" sei eine Schöpfung der Ost-Kapelle Puhdys und lässt den Klassiker aus der Feder Ulrich Plenzdorfs und Peter Gotthards von einer jungen Frau neu interpretieren.

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                  • 9 .5

                    Dank meines Alters (41) darf ich mich glücklich schätzen, diesen Film als Kind gesehen zu haben. Leone d'oro, BAFTA, New York Critics Award, Oscar, Bodil etc sind sekundäre Kriterien. Kunstinteressierte bekommen "Jeux interdits" bei der derzeitigen kulturfeindlichen deutschen Filmpolitik so schnell nicht zu Gesicht.

                    Heute, wenn 95 % aller im Fernsehen ausgestrahlten Fílme nicht älter als zehn Jahre sein dürfen (Begründung: Sehgewohnheiten minderbemittelter 14-49jähriger) und auf DVD nur veröffentlicht wird, was gerade brandneu hingerotzt wurde, haben die meisten Moviepiloten das Nachsehen.

                    Die Grausamkeit des Krieges und die Verlogenheit der Kirche finden einen Spiegel in den unschuldigen Bestattungsritualen der Kriegswaise Paulette und ihres Freundes Michel. Menschen werden "in Gruben geworfen wie Hunde". Paulette verarbeitet ihr Trauma mit dem Ehrenfriedhof für jedes tote Geschöpf: Nur die schönsten Kreuze sollen ragen über Gräbern aus Muscheln und Blüten. Ihr toter Hund wird nicht allein sein neben toten Maulwürfen und von Michel aus einem Kugelschreiber bombardierten Kakerlaken.

                    Paulette (Brigitte Fossey, damals fünf Jahre alt) hat bei der Bombardierung einer Brücke Mutter, Vater und Hund verloren. Alle drei tot. Sie möchte den Hund bestatten und trifft Michel, mit dem sie nun aus Kirchen und von Menschengräbern Devotionalien, Kreuze für tote Kreaturen, stiehlt - in einem aufrichtigen Vertreter des oft missbrauchten Genres Antikriegsfilm, dessen bigotten Etiketts sich andere Filme zur Eigenwerbung bedienen ("Platoon"). So karg die kleine Geschichte um eine fünfjährige Waise, so unlaut auch die Gitarrenmusik von Narciso Yepes. Brigitte Fossey ist unbestritten das wohl eindringlichste Filmkind aller Zeiten. Schön, dass diesem Start eine beständige Karriere (u.a. Truffauts "Der Mann, der die Frauen liebte", Geißendörfers "Die gläserne Zelle", Altmans "Quinet" und durch Fossey veredelte Massenkonfektion wie "La Boum") folgte.

                    Als Entschädigung für all jene Moviepiloten, die "Verbotene Spiele" nie sehen konnten und dereinst wohl so schnell nicht sehen werden, hier eine Rarität: Criterion (kann man ohne Pipifax-Extras nicht kaufen, weil US-Kodierung) hat das alternative Ende veröffentlicht, in dem die ganze Geschichte um Michel und Paulette aus einem Buch - am Ende mit leeren Seiten - gelesen wird. Es beginnt mit ahnungslosen Nachtigallen und führt zu einem wütendenden Mädchen, das auf ein Buch einschlägt, weil es erzählte wahre Geschichten für wahre Geschichten hält -Zu entdecken in diesem Kleinod: eine grandiose fünfjährige Schauspielerin. Brigitte Fossey.

                    http://www.youtube.com/watch?v=Qm62y5vkoo0&feature=related

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                    • Bin fern meiner Filmkunstpassion bei Robert Pattinson gelandet und plötzlich relativiert sich ausgerechnet bei ihm jene Ferne. Weil sich der "Eward" aseptischer Mädchenerweckungen in Filmkunst probiert, wie es sie seit etwa zwanzig Jahren kaum noch gibt. Auch bei Filmkunst-Nachahmer David Cronenberg nicht, der Literatur konfus bebildert ohne dabei Filmliteraten erreichen zu können wie Truffaut, Welles und Wyler. Doch Cronenberg ist immerhin einer der wenigen Hoffnungsträger - und das ausgerechnet trotz oder mittels dieser Diktion dank Mr. Magneto 2012, ergo mit Robert Pattinson.

                      Durch einen erquicklichen Zufall habe ich aujourd'hui ein Video entdeckt, das weniger als eine Minute dauert; einen Clip, in dem er in einen Aschenbecher ascht, der für andere wohl eine Schale sein soll.

                      Ja, die banale Vampirreihe für Kinder hat ihn zu einer fragwürdigen Ikone gemacht, doch ihm deshalb eine Entwicklung abzusprechen, ist unreflektiert gehässig. Johnny Depp aus einer Teenie-TV-Serie und im Kino erstmals als Blutfontäne-Opfer Freddy Krugers in Erscheinung getreten, weiß seit einiger Zeit danach zu fesseln - auch wenn er in seinen immergleichen Tim-Burton-Kitschfilmen zwischen zwei bis drei Gesichtsausdrücken zu variieren weiß, virtuos - ganz sicher - und kleine Mädchen in echten Frauen mobilisiert. Elizabeth Taylor (wer sie noch einmal "Liz" nennt, gehört geohrfeigt!) bewahrt sich von "Lassie Come Home" (1943) bis zu "The Mirror Crack'd" (1980) ihre immergleichen legendären Blicke.

                      Veritable und wenige Stars, wie sie defininiert werden, sind reduziert auf wenige Posen, zumeist auf eine einzige: James Dean mit hochgwuchteten Augenbrauen über betörenden Tränensäcken eines 24jährigen, die Dietrich auf ihren wohl immergleichen Beleuchter, die Garbo auf ihre Lider, die Deneuve auf ihr gefrorenes Lächeln. Pattinson probiert noch, ohne ein Star bleiben zu wollen. Er befindet sich auf der Flucht vor dem Star-Fluch, vermute ich.

                      In dem kurzen Video betrommelt sich Robert Pattinson zwischen Brust und Bauch - vor 70 Jahren bestaunte Jimmy D. einen sich ebenso selbst betrommelnden Affen.
                      Jetzt staunt doch bitte mal und haltet inne, denn seine Ambitionen, sich von seinen Expartnern Stewart und Lautner lösen zu müssen und zu können, sind ambitioniert ohne billige Verwerflichkeiten. Ich gönne Mr. Pattinson keinen legendären Karrierestop im 550 Spyder und wünsche ihm viel Spaß und die anstregende Überwindung vieler Ärgenrnisse bei seiner Entwicklung.

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                      • Danke Ines, für die Listen, die hoffentlich bewirken, dass nun die Filmkunstregale in den Videotheken gestürmt werden.

                        Die Liste der Geheimtipps offenbahrt sich immer mehr als eine Schande des gemeinen Geschmacks und zeigt zugleich die erschreckend miserable cineastische Bildung der meisten Moviepilot-Nutzer auf.

                        Es ist mit Sicherheit ein Hohn, "Sie küssten und sie schlugen ihn", einen der wichtigsten und einflussreichsten Filme der Filmgeschichte überhaupt, in einer solchen Liste der Geheimtipps zu finden. 476 Bewertungen. Horror.

                        Die überwiegende Anzahl der Moviepiloten kennen nur die neuesten Filme oder Filme aus den letzten zwei Dekaden.

                        Schuld an diesem Ungewicht ist mit Sicherheit auch die Gesamtheit der deutschen Fernsehsender, ausgenommen Arte und 3Sat, die - und das ist ein Fakt - in den letzten zehn Jahren zu 95 Prozent ausschließlich Filme aus den 1990er, 2000er und 2010er ausstrahlen.

                        Und dass Arte nur eine mit 2% angegebene Zuschauerquote hat, lässt im Umkehrschluss nix Gutes ahnen.

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                        • 3

                          Ein Film, der alle gut da stehen lässt und den Kulturschock nur im gelungenen Prolog vortäuscht. Wer banale Seichtheit für Ruhe hält und es bei einem kleinen Swippsch mag, wenn unsubtile Comedians ihr langjähriges Kabarettprogramm als drögen Humorversuch auf die Leinwand übertragen, ist vielleicht unterhalten.
                          Identifikationsheld Philippe (Comedian Kad Merad) ist ein homophober Halbglatzeträger, mit einer genau ein Dutzend Jahre jüngeren Schmollmundglucke (Zoé Félix) verheiratet, die er so irgendwie liebt und deshalb folgerichtig permanent belügt: Ein Sujet à la "Menschen wie du". Feinen Humor, politische Unkorrektheit oder geistreichen Spott sucht man bei dieser Diktion vergebens. Als Handlungsalibi erfundene Konflikte wie der mit einer überdominaten Mutter (Line Renaud) oder einer pseudodepressiven Ehefrau werden in der dürftigen Sketchparade nur behauptet und schackschack im Endspurt mit zwei dürftigen Platituden weggesülzt. Die krampfigen Witze beschränken sich auf das Besaufen und in-den-Bach-Pinkeln am Nachmittag, was von Boon und Merad derart unglaubwürdig gespielt ist, dass es schmerzt. Die grimassierenden Schauspielversuche der Komiker sind gelinde gesagt durchweg kläglich. Sie versuchen nicht nur in Manier des Fun-Freitags im Privatfernsehen, Betrunkene zu spielen; im um Rührung bemühten Finale chargieren sie in Comedy-Manier im Heulbojenwettstreit. Und dazu läuten die Glöckchen die sentimentale "I just call"-Schnulze von Sch'ti We Wonder. "Willkommen bei den Sch'tis" ist nach dem vielversprechenden und wirklich köstlichen und fabelhaft boshaften Kurzauftritt von Michel Galabru zu Beginn des Films im weiteren Verlauf eine entsetzliche Enttäuschung.
                          An Rezensenten, die auch gern Zuschauerzahlen im zweistelligen Millionenbereich vertrauen: Würden bei uns die Sachsen ihr Sächsisch in einem Kinofilm als niedlich verkaufen, könnte es durchaus ein Kinoerfolg oder ein Quotenhit beim MDR werden. Ich freue mich schon diebisch auf "Willgommen in Borna, nu?" oder auch "Von Sömmorda noch Limbach-Obofrohna" mit Guntho Emmolisch und Uwe Steimle. Wer den Europapark Rust, Andrew-Lloyd-Webber-Musicals und den Ballermann für Ausflugsziele hält, amüsiert sich wohl bei einem zünftigen Herrengedeck über die "ch'tis" und lacht sich vielleicht auch schlapp, wie es Otto Waalkes für die Bild-Zeitung gelang ("Der witzigste Streifen, den es je gab!"). Eines der ebenso schlappen wie erbärmlichen Leckerli des Films ist denn auch ein Briefmarken mit Igelbildchen schluckender Dany Boon. Hahahoho.
                          Was den immensen Erfolg der banalen Filmgurke ausmacht, die nun tatsächlich die köstliche Résistance-Posse "Die große Sause" als erfolgreichsten französischen Film verdrängt hat, ist dieser hierzulande vergleichbar mit den Bully-Filmen und in früheren Dekaden mit den Otto-Filmen, den Schulmädchenreportagen und den Supernasen.
                          Bereits im 19. Jahrhundert nahm der in Paris geborene und auch ebenda verstorbene Charles Baudelaire das Erfolgsgeheimnis dieser flachen Witzparade in "Der Hund und das Fläschchen", in dem ein Hund lieber an Scheiße schnüffelt als am Flacon, vorweg: "Also auch du, unwürdiger Begleiter meines traurigen Daseins, bist wie die Masse, die nicht die zarten Düfte reizen, aber dafür sorgfältig ausgewählten Mist." Mais non, Sorgfalt ist bei diesem massenkompatiblen Braunkackschwank absolut absent.

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                            Kürzlich von Belafilm auf DVD ausgegrabene Filmperle, ein böses Märchen, das einst viel einstecken musste.
                            Variety schimpfte über Gilles Kohler, dass er dumm genug spiele, um dumme Dinge zu sagen und lobte nur die überragende Kameraarbeit und das Talent der Doppelrollen-Heldin Claude Jade, über deren Mitwirkung sich Cine Tele Revue dann fraqte: "Pourquoi la gentille Claude Jade s'est-elle aventurée dans cette galère ?"
                            Viellicht ließ sie sich auf den optisch zweifellos betörenden Schlamassel ein, weil sie gleich zwei Frauen spielt, die hier jenseits ihrer prägenden François-Truffaut-Filme "Youpi" schreit und psychedelisch auf einer Burg und im Wald tanzt; als ein oiseau rare, der sie vor den Abenteuern bei Truffaut schon war.
                            Eine Parallele zu den Doinels bildet die Behauptung des Regiedebütanten Faber, sein Film sei autobiographisch. Faber geht hart ins Gericht mit Jean-Pierre: Der Mann zwischen den beiden Claude Jades ist ein übler Egoist, ein Zögerer auch wie seine Theater-Rolle als Lorenzaccio und er wird beide Frauen verlieren. Faber spielt aufdringlich mit Symbolen, wenn in der Wohnung von Anne jenes Bild einer Eule hängt, das auch auf der Märchenburg von Juliette an einer Wand prangt. Es ist sein Spiel um Traum und Wirklichkeit, die sich immer wieder aufheben.
                            Faber hatte neben Claude Jade einen dereinst poulären Sänger vorgesehen, der noch zögerte, weil er seine Leinwandwirkung in einer vorangegangenen Arbeit abwarten wollte. Faber wählte mit Kohler ein Mannequin, das bereits bei Marcel Carné zweite Wahl für die Rolle eines Engels war. Der sehr schöne Kohler verabschiedete sich dann auch hart aber herzlich ins General Hospital und zum Denver Clan. Zwischen Anne und Juliette stehend, macht er - 35 Jahre danach - auf dieser Wiederentdeckung dennoch eine gute Figur neben einer großen Schauspielerin.

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                              "Le passager de la pluie" - Francis Lai übt hier einige "Love Story"-Akkorde und lässt Séverine das Titellied singen, Kameradirektor Andreas Winding versteht sich darin, auf Marlène Joberts Gesicht zu verweilen. Könnte hübsch werden, denn Marlène Jobert gehört in die wundervolle Zwischengeneration französischer Schauspielerinnen zwischen den Zeitaltern Bardot/Moreau/Deneuve und den Nachfolgerinnen aus den 80ern. Sie bleibt dann auch das Einzige an Cléments Films, das die 95 Minuten sehenswert bleiben lässt. Wer sie sehen will, dem sei der Film bedingt als Jobert-Studie empfohlen.

                              Clément hatte nach seinem grandiosen "Jeux interdits" und einem optisch reizvollen "Plein soleil" in seinem Alterswerk vor, Hitchcock Rreminiszenz zu erweisen. In einem Trashfilm darf eine Figur ganz sicher "McGuffin" heißen, doch Clément, der diesen Begriff für einen seiner Charaktere verwendet, stellt an den Anfang die Vergewaltigung einer ewig kindlichen Alice, Lewis Carrolls Alice, die "im freien Fall genügend Zeit findet, alles wahrzunehmen und zu überdenken". Er will ernst dabei sein und poetisch. Beides misslingt. Und Suspense gibt es überhaupt nicht.

                              Jobert, als Mélancholie mit dem Kosenamen "Mellie" gerufen, wird vor der Heimkehr ihres fremdgehenden Ehemannes (immerhin: Gabriele Tinti, ein Sexsymbol seiner Zeit) von einem Unbekannten vergewaltigt, den sie hernach erschießt und seinen Kadaver im Meer entsorgt. Sie verschweigt das Vorkommnis, doch dann kommt Harry Dobbs. Den spielt Charles Bronson zwischen "Adieu l'ami" und der Selbstjustiz-Reihe "Deat Wish I-V". Sein Ermittler Dobbs spielt die Vergewaltigung herunter und übertrumpft sich hernach mit Alphamännchen-Getue, dass einem bei dieser Frauenfeindlichkeit mintunter speiübel wird. Monsieur Clément, Alain Delon und Charles Bronson 1968 nackt: ja, Charles Bronson 1969 allein nackt über Jobert den Gorilla spielend: Hemd drüber!
                              Witzig bleibt Mélancholies Aussage zu ihrer Flittchen-Freundin Nicole (gespielt von Mrs. Charles Bronson, Jill Ireland): "Sie ist eine Trommel." Bronson: "Eine was?". Jobert: "Wenn ich was Gemeines sagen will, dann sag ich Trommel."

                              Die neue Synchro ist zudem eine ..., eine Trommel.

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                                Darbon 10.05.2012, 22:47 Geändert 08.03.2017, 09:04

                                Vorwarnung zum DVD-Cover: Werbemagnet Welles hat drei Kurzauftritte, es ist ein Film mit Inger Stevens und George Peppard.

                                Jetzt gibt es die endlich den Politthriller um Antimilitaristen gegen adelige Faschisten auf DVD. Neu hinzugefügt die Szene, in der ein angeblicher "Arzt" des unter Flaggen, Orden und Militaria schlafenden Jungen prophezeit, dass der kleine Paul mal Soldaten drillen wird, statt Zähne zu ziehen. Und in einer weiteren zuvor zensierten Szene suchen Inger Stevens und George Peppard in der gottlosen Stadt (Rom) in der Fontana di Trevi nach Münzen und finden fast nur Bierdeckel.

                                Der Politthriller um OAS und heimatvertriebene Adelige, die als heimattreue Faschisten die Demokratie mit eigener Armee zerstören wollen, ist hip, hat Sixites-Sex-Appeal und glänzt mit Witz und Charme. Perrette Pradier, die sanfte Constance aus den 1961er "Musketieren", befreit sich hier als sexhungrige Zofe Jeanne-Marie von ihrem braven Image und zieht kurz blank.

                                Inger Stevens, die sich mit ihren großen Augen angwidert an die Wand projektierte Filme von der Farm in Algerien anschauen muss, als seien sie die grenzenlose Heimat von Erika Steinbach, ist hier die vielleicht beste Hitchcock-Heldin aller Zeiten, weil sie nicht so anämisch ist wie die Damen Bergman, Saint*, Kelly und Hedren.

                                *Das phallische Schlafwagenabteil im Zug in "North by Nothwest" ist ein Pimmelchen gegen die grandios gespielte Fahrkartenkontrolle Inger Stevens' im Bikini!

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                                • Ihr Tanz währt nur Sekunden, doch diese brennen sich ein ins Gedächtnis des Kinos. Als brennende Bücherfrau steht Bee Duffell eigentlich mehr als dass sie tanzt zur Musik von Bernard Herman in Truffauts "Fahrenheit 451". Bei genauer Betrachtung steht sie wohl. Und mit ihr brennt auf dem Umschlag einer Filmzeitschrift Anna Karina, ein Indexopfer der 60er als Diderots/Rivettes "Réligieuse".

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                                    Püntklich zum treffenden Essay Malte Weldings zur Mutlosigkeit im deutschen Fernseh-Entwicklungsland zeigt der neue Film von Dominik Graf in der Arte-Premiere, dass TV-Filme sich nicht sogenannten zuschauerfreundlichen Regeln anbiedern müssen, wie es das Kommerzkino seit drei Dekaden kultiviert hat.

                                    Das Thema Kinderprostitution wird hier im Gewand eines Heimatfilms gezeigt - ohne moralinsaure Andächtigkeit und die erwarteten Tugendwächter unter sauberen Ermittlern. Hier geht’s dreckig zu, im besonderen in der oberen Politebene um Innenminister und Ministerpräsident und nicht unterbelichtet. Graf kennt sich aus im Milieu und seine Könnerschaft nach Recherchen im russischen Mafiasumpf innerhalb Deutschlands brachte eines der besten Fernsehereignisse der letzten Jahre zustande: "Im Angesicht des Verbrechens". So liegt die Vermutung nahe, dass er auch in diesem Ressort Duzfreunden näherkam als ihm selbst wohl lieb ist. Die Dokumentaristin Ina Jung stand ihm und Friedrich Ani denn auch gut und unverzichtbar zur Seite.

                                    Wenn sein Ermittler Niklas Tanner die Dörfer Tschechiens nahe der deutschen Grenze abfährt und überall die Kinder vor den Bordellen herumlungern, wirkt die dokumentarisch wirkende Aufnahme elektrisierend gruselig - in diesem Sonnenlicht. Und im deutschen Schwimmbad fast nebenan hüpft hysterisch eine Zehnjährige im Badeanzug herum, weil die anderen Kinder rutschen und sie Verstecken spielen will: "Ich will spielen!" Hinter ihr buhlt eine Micaela Schäfer oder Naddel Abd el Farrag als "Venus"-Messe-Botschafterin auf einem Plakat um Erniedrigung. Wenn später drei kleine Mädchen im tschechischen Puff seinen Film-Antihelden streicheln und Sexspielzeug hervorkramen, muss Ronald Zehrfeld als Tanner nur in den Ausschnitt eines kleinen Zwangsfreudenmädchens schielen. Ja, jener kompakt-schöne Zehrfeld, der gerade feuchter Traum unzähliger cinephiler "Barbara"-Kinogängerinnen sein dürfte, lugt nun auf ein Kinderdekolleté. Graf lässt sein exzellentes Ensemble über Spiegel spielen, er nutzt die visuelle Kraft des Films für das Fernsehen, die Kamera schneidet an Wände gemalte Worte dazwischen: "Sina, du bist immer bei uns". Denn vor Jahren verschwand ein kleines Mädchen, das, so vermutet Tanner, der durch Zufall auf den Fall stößt, noch lebt und jetzt 19 sein müsste. Doch Wilhelm Michel, der Chef der SoKo "Sina", will Tanners Ermittlungen sabotieren.

                                    Ulrich Noethen gibt als Michel eine der widerlichsten Figuren jüngerer TV-Geschichte ab, ohne zu chargieren. Bei ihm genügt der Schweiß auf der Oberlippe und ein Blinzeln von Machterhaltinstinkt unter den bekannten Schlupflidern, um seinen Michel zum Teufel zu wünschen.

                                    Begnadet wie immer ist Silke Bodenbender, die zu den Talentiertesten ihrer Generation gehört und die dem Film einen Großteil seines Schauwerts gibt. Graf reicht ihr, der Wandelbaren, abonniert auf die Widersprüchlichen, die Palette für ein neues Bodenbender-Frauenbildnis als heruntergekommene Dorfnutte Inge-Maria Kolb, die seit dem Verschwinden ihrer Tochter Sina anschafft für einen Zuhälter, aber nur, weil sie ihn mag, wie sie elendig heulend gesteht, als Zehrfeld sie zusammengeschlagen vorfindet. In einer anderen Szene, einer früheren, hat Silke Bodenbender den aparten Zehrfeld abgeschleppt, ist jedoch so knülle, dass sie erledigt nölt: "Aber jetzt nicht noch ficken, oder?" Dass Bodenbender kaum wiederzuerkennen und dabei überzeugend ist, liegt gewiss nicht an der weißblonden Provinzmähne. Sie spielt eine Trauernde, die wirklicher ist als die Normalität in der Wirklichkeit. Als ihre Tochter verschwand, hat sie das Kind eine Woche später als tot gemeldet und einen Grabstein bestellt. Sie mochte die Qual der Hoffnung nicht. Am Ende des Films wird sie an einem Grab stehen und schreien. Ein Schrei, den wir selten im Fernsehen hören.

                                    Neben den drei Vedettes Zehrfeld, Bodenbender und Noethen bleibt noch etwas Raum für Elmar Wepper, der still im Hintergrund beobachtet und erst am Ende zum Handeln aufläuft. Er zieht eine Konsequenz, die Grafs Komplizenschaft für dessen Rolle unverholen zwinkern lässt. Dass nebenher der wunderschönen Lisa Kreuzer als Weppers Ex und Dorfwirtin mit einem Foto aus den 70ern gehuldigt wird, untermauert Grafs Respekt vor seinen wunderbaren Film-Komplizen.

                                    Nichts in diesen 105 Minuten starker und wuchtiger Filmunst ist vorhersehbar. Da reihen sich urplötzlich Schock an Überraschung. Und Personen, die hinter Glas reden, so dass der Zuschauer nichts versteht, kennen wir zwar aus Hitchcocks "Topas" und einigen Paranoia-Filmen der 70er wie Pakulas "Zeuge einer Verschwörung", wo doch im Fernsehen Erklärungwut vorherrscht und erwünscht scheint. Also ganz anders, als es Redakteure für ihre Zuschauer wünschen. Sollen Graf, Zehrfeld und Bodenbender, ja auch Noethen und Wepper (der gute: Elmar) doch wieder Preise einsacken, so höhnen sie, denn die Quote bei hoher Fernsehqualität bleibt mies und Redakteure dürfen weiter die alten Gleise abfahren lassen. Und doch weiß Graf nicht nur Vorschriften kunstvoll zu ignorieren, er gönnt es sich auch kurz, sein Publikum zu quälen. Denn Sekunden vor regulärem Sendeablauf von eineinhalb Stunden ist Ronald Zehrfeld bis zum Kinn in einem verlassenen Wald an der Grenze eingegraben. Vor ihm ein Keiler, der diesen hübschen Happen leicht knacken kann. Ronald Zehrfeld schließt die von Zuhältern matschig geschlagenen Augen. Abblende.

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                                    • „Und wenn Sie nicht sehen, worin das Genie von Abel Gance besteht, dann haben Sie und ich nicht dieselbe Vorstellung vom Kino, wobei meine selbstverständlich die richtige ist.“ - François Truffaut

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                                        "Es ist doch immer schön, wenn guten Menschen Gutes widerfährt", verabschiedet uns Ray McKinnon als Nathaniel am Ende der Jeder-betrügt-jeden-Nummer.

                                        "Trau keinem über zehn, der 'The Sound of Music' hört", warnt Sergeant Rita Pompano (Ellen DeGeneres) ihr Mündel Nathaniel. Denn aus der starbesetzten Mörderbande ist eine besonders verdächtig: Patricia Arquette trällert immerfort Lieder aus dem "meistgehenen Film aller Zeiten", einem heiteren Musikantenstadel für Geschichtsrevisionisten. Das war nun fast ein Euphemismus.
                                        ( http://www.moviepilot.de/movies/meine-lieder-meine-traeume ).
                                        Aber unter diesem Kontext hören wir dem aparten Bubikopf Arquette gern beim Trällern zu.

                                        Zur Überraschung gibt es nach all den Verwirrspielchen und dem Ableben der meisten Schurken zudem einen Cameo-Star als Auftragsmörder.

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                                          Unfreiwillige Komik ist des Krimis einziger Unterhaltungswert. Immer, wenn Catherine Bilder der toten Freya Jordahl sieht, äußert sie, dass so etwas nur "ein krankes Hirn" malen kann: schreiende Fratzen und nebliges Land, wo Norwegen doch so schön ist mit seinen Fjorden. Eine von Freyas Töchtern, Ingrid, malt eben solche Bilder. Ist sie etwa auch gestört? Hat sie die Yacht gesteuert, die Catherines Boot gerammt hat? Oder war es Ingrids Schwester Anne-Marie? Huhaaa, gruselt es da gar schon ein wenig aufdringlich.

                                          Nach fünf gedehnten und gestelzt inszenierten Folgen in der Heimvideo-Ästhetik von "The Bold And The Beautiful" löst dann Altstar Ann Todd ("The Paradine Case") im Finale das triviale Rätsel, weshalb denn die in Norwegen geborene und in England aufgewachsene Catherine Alleinerbin wurde. Und hier gebiert sich der "TV-Kult aus dem DDR-Fernsehen" (DVD-Werbung für die BBC-Produktion) zudem als nicht ganz ernst zu nehmende Euthanasie-PR in der Sorge um mental Gestörte, denn auch erbliche Geisteskrankheit ist hier eine "unheimliche Erbschaft". Vor Jahren wurde die wegen der Sehnsucht nach ihrer verlorenen Tochter irre gewordenen Freya von ihrer Tante (Todd) mit einer ordentlichen Portion Phenobarbital entsorgt, was der Hausarzt als "Gnadentod" zu bezeichnen weiß und dem auch der ermittelnde Journalist zustimmt: "Das war es wohl." Wer sich hier noch nicht vor Fremdscham und Lachen krümmt, dem sei - bei diesem Machwerk von unzumutbaren 300 Minuten sei Spoilern als Gnadentod der Miniserie erlaubt - das Ende empfohlen. Catherines Halbschwester Anna Marie Jordahl, die sich für ihre tote Mutter Freya hält, will die fremde Erbin eigentlich verbrennen. Doch als sie erfährt, dass Catherine "ihre" - also Freyas - "verschwundene Tochter" ist, rettet sie Catherine aus den Flammen. Anne-Marie sitzt noch unversehrt im brennenden Haus, als ihr Schwager Lars sie retten will ("Sie ist immer noch drin. Sie wird umkommen"), doch Anne-Maries Schwester Ingrid hält ihn, wirkungsvoll die kranke Schwester erlösend, zurück: "Lars, welche Hoffnung gibt es noch für sie? Welch ein Leben würde sie denn führen? Sollten wir ihr das nicht ersparen?"

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                                            Der Titel TV-Dummchen des Jahres dürfte an Ellen Ludwig gehen, so heißt das von Yvonne Catterfeld dargebotene deutsche Mädel in einem geschichtsverfälschenden Schmonzett-Event mit dem Titel "Am Ende die Hoffnung". Das ist auch das einzig ungewollt Lustige an diesem ärgerlichen Film, der ein Bild des "guten Deutschen" pinselt, denn das Kitschmelo stellt hier Täter als Opfer dar.

                                            Ellen Liebig wird beim Plakatieren von gutgemeinten "Beendet den Krieg"-Postern fast von Nazis erwischt und vom schmucken britischen Widerstandskämpfer Robert (Stephan Luca) vor den ballernden Komparsen gerettet, ihre Freundin stirbt derweil im Kugelhagel. Beim Beischlaf mit Retter Robert verspricht sie diesem, den herzensguten Nazi Hans (Max von Pufendorf) auszuspionieren. Das macht sie so gekonnt, dass der Hans für Ellen sogar seine Verlobte verlässt. Doch Roberts enge Mitstreiterin Frieda (Katrin Pollitt) warnt davor, Ellen gegen die Nazis einzusetzen. Denn anders als skrupellose Nazigegner wie Robert und Frieda hat Ellen ein Herz: "Das Mädchen hat 'n Herz. Ganz schlecht in dieser Zeit." Ein Herz für Nazis. Was uns Ellen und der Film weismachen wollen: All diese jungen Männer, die eigentlich niemanden töten wollen und es doch tun, sind aufrechte Deutsche.

                                            So gerät die durchweg - ob im Staub bombardierter Häuser oder dem Kältetod nahe im norwegischen Schnneesturm - wie für den Laufsteg ondulierte Ellen in einen Konflikt, als sie dem Hans Geheimpläne der Nazis abluchst: "Ich bin eine miese kleine Spionin und er ist ein ehrlicher Mensch, der kann sich soetwas nicht vorstellen." Als sie nach dem Robert auch den Hans beschläft und ihn warnt, sie sei eine Spionin, lacht er sie aus: "Glaube ich dir nicht, schau dir mal mehr Mata Hari an." Dieser ehrliche edle Hans, der nur seiner Kameraden wegen in den Krieg zieht, gerät in der Charakterzeichnung à la Tuschen in der Vorschule bestensfalls zum Lausbub, der mit Ellen in die Villa des in Oslo stationierten Reichskommissars einbricht und dort eingeweckte Pfirsiche klaut. Für Maximilian von Pufendorf, Enkel des im "schwarzen Mai 43 abgeschossenen" U-Boot-Kommandanten Karl Ernst Schroeter, war die Beschäftigung mit der Rolle deshalb auch "persönlich 'ne schöne Sache", wie er im Interview zu erklären versucht: "So habe ich mich wieder mal mit seiner Geschichte beschäftigt. Was heißt, wieder mal. Ich hatte mich bisher noch gar nicht damit beschäftigt." Der Stoff habe ihn so derartig fasziniert, dass er heute, müsse er zwischen Zivildienst und Bundeswehr entscheiden, definitiv zur Marine gehen würde. Nicht nur der Kohle wegen habe er die Rolle gespielt, sondern auch, weil "wir die Leute, die wir verloren haben, wieder zurückholen. Das finde ich so berührend an dieser Geschichte."

                                            Was die jungen Leute dazu bewogen hat, mitzuspielen, bleibt bei so offen zur Schau gestellter Unwissenheit weniger fragwürdig als die Mitwirkung der betagteren Rosemarie Fendel, die in der an "Titanic" angelehnten Rahmenhandlung die greise Ellen gibt und mit ihrer renitenten Enkelin nach Oslo fährt, wo - zumindest im Film - das U-Boot geborgen wird. Das U 864 liegt übrigens noch immer vor der norwegischen Küste, da eine Bergung zu gefährlich wäre. Die unsinnige Zeitebene im heute zeigt nach den Weltkriegskopulationen der Catterfeld die Enkelin (Marie Zielcke) beim Beischlaf mit einem knackigen Norweger und Omi darf auch noch zuschauen - und später im Altersstarrsinn die Namen der U-Boot-Kameraden ihres geliebten Hans herunterbeten. Die Opfer der Deutschen klammert das Machwerk aus. Als Ellen Schmuck beschaffen will, heißt es: "Juweliere gibt es kaum noch, die arbeiten alle in der Rüstung." Ja, wie der berühmte Rüstungsminister Schlomo Herzl. Und die deutsche Mutter des Engländers Robert, eine Jüdin, ist im fernen Britannien "aus Sorge um Deutschland gestorben."

                                            Ein Abschiedsbrief von Hans, aus dem U-Boot geborgen, tröstet die alte Oma Ellen immerhin, die "miese kleine Spionin" von einst, ganz großherzig: "Ich verzeihe dir."

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                                              Zwei flügge Kinderstars der 1960er-Epoche und zudem ein monstre sacré im Zwei-Minuten-Auftritt: Jean Carmet spielt in der trantütigen Moritat einen Gastwirt, der sich über ein drei Jahre zurückliegendes Verbrechen freut: "Ja, da war ein Mord. Eine Sensation. Alle kamen sie: Polizisten, Journalisten und sie haben alle bei mir getrunken. Die Bude war voll". Der Rest des bilingualen Film bleibt Radebrech.

                                              Zwei Engländerinnen radeln durch Frankreich und eine kommt dabei abhanden. Diese spielt ein Kinderstar aus der Dotrice-Dynastie (u.a. Karen, die Jane Banks in "Mary Poppins") . Um jene Michele Dotrice sorgt sich nun Pamela Franklin, legendärer Kinderstar seit "Schloß des Schreckens" und ernsthafte Adoleszenz-Schauspielerin seit "Miss Brodie". Und dann nur Langeweile. Landschaft war auch da: regennasse Straßen durchziehen kenianisch trockene Felder. Ein in lila-rosa-hellblau hübsch restaurierter Langweiler, dessen Verdienst heute die Inspiration zu einem genügsameren und spannenderen Remake ist.

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                                                Ein Hitchcock-Touch wird diesem Thriller von Pressebücklingen unterstellt, weil es bei aller Stümperei zwei schicke Studioaufnahmen vor angemaltem Himmel gibt: Während der Vorspann endet, schubst Matt Dillon seine Schulterpolstersakko-Braut vor jener Kulisse in den Tod und ebenda behauptet später deren Zwilling Sean Young, der Sturz sei kein Selbstmord gewesen. Sean Young schaut dann später - im Holzfällersakko - Hitchs "Vertigo".

                                                Um 1990 entsteht das Remake eines auf Ira Levin basierenden 50er-Jahre-Thrillers. Sean Young inspiriert hier Mark Gatiss als Putzfrau in der BBC-Serie "League of Gentlemen", wenn sie den Modemüll der 80er-90er präsentiert. Über Diane Ladd als Matt Dillons Mutter legen wir deren giftgrünes Sakko des Schweigens.

                                                Die mäßig spannende Krimivorlage um einen Emporkömmling, dessen Weg Leichen pflastern, ist trotz aparter Auftritte begabter Stars in jeder neuen Szene lächerlich, denn James Dearden, der Glenn Close mit Löwenminipli in Adrian Lynes "verhängnisvoller Affäre" ein Karnickel töten ließ, hat einen wichtigen Satz François Truffauts aus dem Jahr 1970 überhört: "Wenn sich ein Film der Mode anpaßt, ist er später lächerlich".

                                                Also: Schaudern über Frisuren, Klamotten, Dialoge (im Original ist La Young "tired", in der Synchro unaussprechlich "groggy") - und nebenher einem soliden Dominosteinkrimi folgen. Dass der billig ist, verrät bereits der Vorspann, der die Beteiligten in güldenen Lettern anpreist.

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                                                  Wie immer bei der "Nachtschicht" dynamisch, vielfach verflochten, saukomisch, und auch berührend. In wenigen Stunden in den hässlichen Stadtteilen Hamburgs passiert vieles, das durch Raffinesse in Erzählung und Schauspiel glänzt.

                                                  Die beste Vorstellung liefert Maja Maranow als Polizistenfrau von Uwe Kockisch (hier mal als schleimig-korrupter Chefbulle), die einen verdammt schlechten Tag hat: Ihrer Tochter wird das Handy gezockt, sie überfährt einen unachtsamen Fahrradkurier, ihre Fahrertür wird von einem Lieferwagen geschreddert, sie verstaucht sich das Handgelenk, muss den Wagen verschwinden lassen und steht am Ende mit der Waffe einem Killer gegenüber. Und den spielt dann der dänische "Tage des Zorns"-Star Thure Lindhardt als semmelblonden Lausbub.

                                                  So wie Maja Maranow grandiose Komik mit berührender Tiefe verbindet, funktioniert dieser Krimi von Lars Becker. Das Thema Selbstjustiz muss hier nicht diskutiert werden: Fritz Karl, der seiner nach Drogenkonsum im Koma liegenden Tochter vorsingt, ihr die letzten Sonnenstrahlen zeigen und ihren absenten Geruchssinn mit Lakritze wiedererwecken will, berührt. Und so lösen sich seine Taten auch recht schnell wie ein "roter Hering" auf. Denn die Spur führt die Polizisten in die eigenen Reihen. Zumal von Anfang an gezeigt wird, dass Fritz Karl der Rächer ist, der ohne Fangschaltung regelmäßig Polizeipsychologin Barbara Auer auf dem Laufenden hält.

                                                  So unkonventionell wie die Fahndung ist auch die Balance zwischen Comic und Milieuskizze. Lars Becker und seine Stars pfeifen mit deutlicher Ironie auf zwanghafte Logik und drögen Realismus. Sie stopfen ganz selbstverständlich beste Unterhaltung in diese irre Nachtschicht

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                                                    über Push

                                                    Ein Kindchenface auf Lego-Buildstone-Body wird gepusht - mal nicht by den Fannings - und sie könnte gemäß der deutschen Synchro promotingen: I arbeiting on a Maskottchenmovie but the Maskottchens where eingekaufting nicht.
                                                    Die zielgruppenfreundliche Synchro ist auch der einzig noch erträgliche Fremdschäm-Spaß an diesem Unfall im Superhelden-Fahrwasser.
                                                    "Push" ist lediglich bemerkenswert als Ausverkauf zweier lobotomiert wirkender Actionfilm-Mitmacher an eine Effektaneinanderreihung, die keine Spannung braucht, weil sie immerfort, wenn sie nicht weiter weiß, neue Effektheldenfähigkeiten erfindet. Somit reichte es auch nicht für ein Ende um den von den Machern falsch verstandenen McGuffin.

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