Deciuscaecilius - Kommentare

Alle Kommentare von Deciuscaecilius

  • 8 .5

    Millennium Actress ist der zweite Film von Satoshi Kon und ein zwischen realem Leben und der Filmografie einer japanischen Schauspielerin schwankendes Drama. Es gibt verschiedene Figuren, die hier zur Inspiration standen, aber letztendlich ist der Mix ein genuin eigenständiges Werk von Kon, das Elemente des Fantums, der Natur, der Schauspielerei und unserer subjektiven Erinnerung elegant miteinander vermischt.
    Die neu aufgelegte Version zeigt uns dabei eine Welt, die primär in entsättigten Farben daherkommt, aber detailliert und dynamisch ausgearbeitet ist. Die Farben sind dann auch etwas, das situativ eingesetzt wird, während wir durch die tausend Jahre streifen, die Chiyokos Filmografie in ihren Filmhandlungen umfasst. In einigen Zeitperioden werden Rottöne präferiert, es gibt intensive Blautöne und der Stil neigt sich auch zu einem realistischeren Stil während der Weltkriege. Es ist ein konstanter Strom aus Eindrücken, der nie abreißt und keine Minute langweilt. Es ist, als wenn man sich selbst durch die Filmgeschichte arbeiten würde. Dazu kommt der fantastische Soundtrack, der wunderbar passend und traurig diese einsame Suche nach dem Glück untermalt.
    Diese sich aus einem Interview mit der alternden und vermutlich mehr oder minder dementen Schauspielerin entwickelnde Geschichte lässt offen, wann wir es hier mit Realität zu tun haben und wann Inhalte aus ihren Filmen sich mit ihrer Biografie in den Erinnerungsfetzen vermischen. Das gilt dann auch für das ständige Auftauchen des Interviewers in ihren Erinnerungen, der für uns Filmfans steht, die in ihrem eigenen Kopf eine Realität konstruieren, die Star und Film miteinander verschmelzen lässt. So bleibt völlig offen ob ihr Leben aus der Suche nach dieser einzig wahren Liebe bestand, ob das nur ihr Schicksal in den vielen Filmen war, in der eine Schauspielerin selten etwas anderes zu tun bekommt, als nach der großen Liebe zu suchen oder ob wir das in ihr Leben hinein interpretiert haben durch einen allgegenwärtigen Starkult.
    Aus diesen vielen Unsicherheiten bezieht der Film seine Spannung und seine Faszination. Viele Referenzen zum japanischen Film sind für mich explizit nicht zu erkennen, aber man erkennt, dass sie da sind. Kurosawas sieben Samurai oder Godzilla erkenne aber sogar ich und ich hatte nie das Gefühl, das es der Film darauf anlegt hier als Suchspiel zu fungieren, mehr will er eine unsichere Welt schaffen die eine innere Unsicherheit der Figur betont und uns ebenfalls auf ein solch schwankende Planke befördert. Das Balancieren drauf ist dann der Spaß, den man hier finden kann. Das hat mich tatsächlich abgeholt, der Film bringt das elegant über die Linie, ohne je langweilig zu werden.
    Man kann schon sagen, dass die Konzentration auf diesen Liebesverlust-Plot manchmal etwas schmalzig ist, aber darüber hinaus habe ich nichts zu meckern. Der Film sieht gut aus, ist untermalt mit schöner Musik und führt uns genüsslich und mit Spaß und Liebe an der Kunst an der Nase herum. Das ist dann nicht nur etwas über große Kunst, sondern auch für sich große Kunst. Damit ist Millennium Actress ein sehr schönes Werk geworden.

    7
    • Bester Film (keine Ahnung warum, aber the Killer ist da einfach stehen geblieben…😂):
      Oppenheimer
      Tár
      The Banshees of Inisherin
      Past Lives
      Sonne und Beton
      Limbo
      How to have Sex
      The Killer
      Roter Himmel
      Return to Seoul

      Beste Regie:
      Christopher Nolan (Oppenheimer)
      Martin McDonagh (The Banshees of Inisherin)
      David Wnendt (Sonne und Beton)
      Davy Chou (Return to Seoul)
      Celine Song (Past Lives)
      Todd Field (Tár)
      RackaRacka (Talk to me)
      Christian Petzold (Roter Himmel)
      David Fincher (The Killer)
      Greta Gerwig (Barbie)

      Bestes Drehbuch:
      The Banshees of Inisherin
      Past Lives
      Women Talking
      Tár
      Anatomie eines Falls
      Sonne und Beton
      Roter Himmel
      Decision to Leave
      Holy Spider
      Oppenheimer

      Bester Darsteller:
      Colin Farrell (The Banshees of Inisherin)
      Cillian Murphy (Oppenheimer)
      Barry Keoghan (The Banshees of Inisherin, Saltburn)
      Gordon Lam (Limbo)
      Robert Downey Jr. (Oppenheimer)
      Vincent Wiemer (Sonne und Beton)
      Mehdi Bajestani (Holy Spider)
      Milo Machado Graner (Anatomy eines Falls)
      Christopher Abbott (Sanctuary)
      Ryan Gosling (Barbie)

      Beste Darstellerin (der Oscar Snub 2023):
      Cate Blanchett (Tar)
      Sandra Hüller (Anatomie eines Falls)
      Mia Goth (Pearl)
      Mia McKenna-Bruce (How to have Sex)
      Ji-Min Park (Return to Seoul)
      Margot Robbie (Babylon)
      Abby Ryder Fortson (Are You There God? It's Me, Margaret.)
      Jessie Buckley (Woman Talking)
      Tang Wei (Decision to Leave)
      Sophie Wilde (Talk to Me)

      Schlechtester Film (Wie immer eher Enttäuschung…)
      Salaar
      Indiana Jones and the Dial of Destiny
      A Haunting in Venice
      Die Theorie von Allem

      Bester Animationsfilm (hab nur die beiden gesehen 😉 sind es aber trotzdem wert…)
      Spider-Man: Into the Spider-Verse
      Nimona

      Beste Kamera (harte Kategorie):
      Oppenheimer
      Limbo
      Past Lives
      Decision to Leave
      John Wick: Chapter 4

      Beste Ausstattung:
      Barbie
      Asteroid City
      Babylon
      The Creator
      Sisi & Ich

      Bester Schnitt:
      Oppenheimer
      Return to Seoul
      Tár
      Anatomie eines Falls
      The Killer

      Beste Effekte:
      Spider-Man: Into the Spider-Verse
      The Creator
      Guardians of the Galaxy Vol. 3
      Oppenheimer
      John Wick: Chapter 4

      Beste Filmmusik (alle fünf wow, da ist The Killer leider rausgefallen…):
      Ludwig Göransson - Oppenheimer
      Justin Hurwitz - Babylon
      Hildur Guðnadóttir - Woman Talking
      Daniel Pemberton - Spider-Man: Into the Spider-Verse
      CHO Young Wuk - Decision to Leave

      Bester Song (falls ich je aus dem Fenster springe dann zu PIMP….):
      Barbie - What Was I Made For? - Billie Eilish Finneas O’Connell
      Spider-Man: Across the Spider-Verse - Am I Dreaming” - Metro Boomin x A$AP Rocky x Roisee
      Babylon - Voodoo Mama – Justin Hurwitz
      Past Lives- Quiet Eyes - Sharon Van Etten
      Anatomie eines Falls - PIMP - Bacao Rhythm & Steel Band (Original: 50cent)

      9
      • 8

        Nanpakal Nerathu Mayakkam (English: Like An Afternoon Dream) ist ein bilingualer Film, gespielt zum Teil in Tamil und zum Teil in Malayalam. Es ist ein extrem entschleunigtes Werk, das einen Traum erzählt, einen Traum vom Kennenlernen und vom Abschied nehmen. Hier treffen sich zwei Welten: die malaiische städtische Reisegruppe und die dörfliche tamilische Welt auf dem Land. Es sind Menschen, die sich nicht nahe sind und doch tauchen sie für einen Tag in die Welt der anderen ein.
        Der Film hat etwas, das mich an Tarkowski erinnert, etwas so langsam Verspieltes, indem jede Einstellung gemütlich und interessiert eine Welt erzählt. Die Kamera schwelgt still in Einstellungen des dörflichen Lebens, aber trotzdem bleibt es beweglich, weil sich das Leben um die Kamera herum bewegt, es ist eine Beobachterperspektive auf fremdes tamilisches Leben. Dazu läuft die ganze Zeit irgendwo ein Fernseher und berichtet über seinen Sound vom Leben anderer, als würde man uns daran erinnern wollen, dass wir heute überall anhalten und beobachten können, einfach indem wir Filme gucken. Viel wird dabei auch über die traditionellen Lieder beider Sprachen transportiert, überhaupt scheint in Indien nie Stille zu herrschen, immer hört man irgendwo die Medien trällern, dass die Untertitel rauschen und man kaum zwischen Dialog und Song trennen kann. So verwischt das alles in einen diffusen Mix, der manchmal eher spüren lässt, denn für Verstehen sorgt. Man fühlt hier eine Welt, während diese sich weiterdreht.
        Der vielsprachige Schauspieler Mammootty spielt dabei seine beiden Figuren mit der Gelassenheit und Normalität, dass wir in einer Doku sein könnten. Sein Wechsel zwischen den Sprachen, dem Habitus und dem Wesen, symbolisiert durch den Wechsel seines Sarong, erscheint so leicht und ohne Aufwand. Alles, was er tut, hat den Ausdruck absoluter Normalität und steht damit im Gegensatz zur Verwirrung, die rund um ihn herrscht, weil er so sehr die gemütlichen zwei Welten verrührt.
        Das ist kein Film für jedermann, der unendlich langsame Ansatz und das verträumt lyrische des Films kann schnell langatmig erscheinen, auch wenn der Film für indische Filme extrem kurz ausfällt. Wenn man sich aber fallen lassen will und kann, ist es eine interessante Erfahrung, so in eine ferne Welt reisen zu können. Wie unsere Reisegruppe erleben wir einen Traum, der einen überfälligen und verpassten Abschied ersetzt, den das Schicksal bisher vergessen hatte, den es aber jetzt ermöglicht, und wir dürfen dank des Films dabei sein.
        Das ist schönes Kino für einen verträumten Sonntagnachmittag, an dem ein Ausflug in andere Welten so einfach erscheint, wie es nur der Film möglich machen kann. Schön, dass der Sommernachtstraum, die kleine Flucht in eine neue Welt so universal kulturübergreifend funktioniert.

        3
        • 7 .5

          Suzhal: The Vortex ist eine in Tamil gedrehte indische Serie über ein Dorf, in dem Verbrechen geschehen, die Stück für Stück die Grundlagen des größeren sozialen Zusammenlebens und die der Familienstrukturen infrage stellen.
          Das hört sich an, wie etwas das im ZDF unter Regionalkrimi laufen würde und ein bisschen ist es das auch. Nur haben wir es mit einer indischen Variante davon zu tun, die ganz explizit auf vieles verzichtet das man am indischen Kino anstrengend finden kann. Es gibt kein Overacting, keinen zentralen Überhelden, keine Tanzchoreografien und auch keine absurden Actioneinlagen, wir haben es hier mit solider Krimikost zu tun. Das macht die Serie erstaunlich wirkmächtig, weil es ihr gelingt sich auf das Wesentliche, seine Figuren und seine Umgebung, zu konzentrieren.
          Wir erleben die Welt eines Dorfes inmitten eines religiösen Festes, das in knalligen Farben in jeder Folge ein paar Minuten Präsenz bekommt und den Hintergrund liefert für ein Liebesdrama um Schuld, Sühne und Verrat. Was dann eher harmlos beginnt, wird im Verlauf immer dunkler, bis wir am Ende an den tiefsten Abgründen menschlicher Gelüste und Grausamkeiten ankommen. Die Serie hat dabei ein schönes Pacing, in dem in jeder Folge ein Stück weiter nach unten gegangen wird, als würden wir Dante begleiten, bei seiner Erkundung der Hölle.
          Das lebt von seinen realistisch erzählten Figuren, die Stärken und Schwächen haben und in ihrer Umgebung tief verankert sind. Dabei erfährt man etwas über religiöse Vorstellungen und auch über politische Strukturen und Abläufe, die in einem bayerischen Dorf vielleicht gar nicht so anders wären. Die soziale Struktur und Machtverhältnisse, die im Klüngel und nach Status ausgemacht werden, wirken universell, auch wenn sie hier aus südindischer Sicht erzählt werden.
          Das ist schön anzuschauen, auch wenn leider ein paar sehr prominent eingesetzte aber wirklich billige wirkende CGI-Szenen störend wirken. Die Bilder des Festes dagegen, immer untermalt mit hervorragender indischer Pop Musik, sind ein absolutes Highlight des Films. Viele Landschaftsansichten und die Kameraarbeit in Innenräumen und in Menschenmengen sind dagegen schön und solide, absolut über dem Niveau, das man dann von einem deutschen Pendent erwarten würde. Das gilt auch für die Figuren, die durchweg schauspielerisch gut besetzt sind und interessante Arcs haben, die oft ungewöhnliche Perspektiven erlauben.
          Ich würde nicht behaupten, hier den heiligen Gral der Serie Kunst gesehen zu haben, aber einen optimalen Einstiegspunkt für alle, die indisches Kino versuchen wollen, aber ein bisschen Angst vor Bollywood Liebestänzen haben. Das ist schönes solides Fernsehen mit sehr guten Darstellern, einer interessanten Welt und einem düsteren Fall, der den Skandinavien Noir ausstrahlt mitten in Indien.

          3
          • 7

            Beau Is Afraid ist Ari Asters dritter Film und wohl in erster Linie eine schwarze Komödie. Es ist Beaus, der gespielt wird von Joaquin Phoenix, drei Stunden lange Reise zur Beerdigung seiner Mutter, durch eine surreale Welt, die aufgeteilt in einzelne Episoden, unterschiedliche Stile und Ideen präsentieren, immer grob zusammengehalten von Beaus Angststörung und seinem Verhältnis zur Mutter.
            Das ist damit ein seltsamer und holpriger Film geworden, der sich grob in drei Teile spalten lässt. Im ersten erleben wir Beau in seiner Wohnung und in der Vorstadt, hier sehen wir eine überdrehte Welt, die aus seinen Angststörungen geboren ist und in Paranoia lebt. Wir sehen eine Gesellschaft in Medikamentenabhängigkeit und tiefer Angst vor dem Draußen, eine Gesellschaft, in der sich Überwachung und Verfolgungswahn gegenseitig beeinflussen. Das ist komisch und sehr unterhaltsam, hat einiges an Schwung und auch in schwächeren Szenen viel Humor, der diesen Teil zu etwas Sehenswerten macht.
            Danach allerdings geht Beaus Reise tiefer in sein und unser Unterbewusstsein, er streift durch eine sommernachtstraumartige Welt und sieht sein Leben in einem Theaterstück. Das alles ist stärker abstrahiert und versinkt im Surrealen, das ist dann auch der Teil, wo man als Zuseher den Grip verliert. Etwas entweicht, die Spannung aber auch das Interesse am Ganzen, weil der Film hier stoppt und sich selbst verliert. Die Welten wirken wie von Bildern aus Augenarztpraxen gerissen, als hätte Paul Klee einige Scherenschnitte gebastelt, alles ist bunt und bedeutungsschwanger. Dazu wird erzählt und erzählt, Beaus Geschichte wird einmal mehr in noch mehr Worten dargestellt und das wird sehr langweilig. Der Film hat mich hier zeitweise völlig verloren, weil er nichts zu sagen hat außer Surrealismus ohne Inhalt.
            Dann kommen wir in den dritten Akt, der Konfrontation mit seinem Mutterkomplex und die Story zieht hier wieder an. Einige Szenen im Haus sind schön und abstrus, wie schon im ersten Teil wird aber einiges wiederholt und dass nun schon zum dritten Mal. Wieder wird alles auserzählt, wieder wird Symbolismus präsentiert bis er einem zu den Ohren herauskommt. Jede Einstellung und jede Handlung ist eine einzige freudsche Botschaft, aber hier wird nichts Neues präsentiert. Gut gespielt, gut gefilmt und ab und zu getroffen, ist das Motto dieses Kampfes zwischen Penis und Vulva. Wenn dann auch noch zum Prozess angesetzt und noch einmal alles wiedergekäut wird, hat man dann wirklich genug davon. Subtil ist in diesem Film leider zu wenig.
            Der mit vollem Elan ausdauernd nuschelnde Joaquin Phoenix spielt eine passive Gestalt, die sich den ganzen Film hinweg von der Welt treiben lässt, eine Welt, die im surrealistischen Symbolismus zerfließt. Das hat sehr komische Momente und das hat die Dramatik, die ein solcher Muttersohn Konflikt ausstrahlen kann, aber das begeistert keine drei Stunden. Dabei ist der erste Teil mit seiner weniger auf Beau fixierten Gesellschaftsanalyse, der mit Abstand stärkste der drei Abschnitte, hier wird etwas Neues präsentiert und hier verfangen die Bilder der paranoiden Welt auf der Couch der Pharmazie. Ari Aster hat hier aber nicht genug, er will weiter und offenbar immer tiefer in eine sehr persönliche Psychoanalyse, bis dem Zuschauer die Puste ausgeht.
            Der Film erinnert an Babylon, auch so ein Film, bei dem einem gefeierten Regisseur die Zügel durchgegangen sind. Das Ergebnis ist dabei ähnlich, etwas, das irgendwie ein Meisterwerk des Wahnsinns ist und gleichzeitig ein enervierendes Stück der Redundanz und Langeweile. Es kann auch hier sein, dass sich meine Meinung bei weiteren Sichtungen noch nach oben korrigiert, hier haben Filme die alles an die Wand werfen immer den Vorteil das etwas kleben bleibt. Nur muss man auch sagen, dass es die Aufgabe des Künstlers ist, seine Darlings zu töten und damit ein kohärentes und pointiertes Werk zu schaffen, nicht meine, mir das Beste herauszusuchen. So wie der Film jetzt ist, schafft er es nicht, dass man dauerhaft dranbleibt.
            Trotzdem oder wegen des Größenwahns bleibt aber trotzdem eine Erkenntnis: Man kann das versuchen, solange man weiß worauf man sich einlässt. Hier ist ein hervorragender, analytischer und optisch ansprechender eineinhalb bis zwei Stunden langer Film versteckt, man muss ihn nur finden…

            7
            • 7
              über Pearl

              Pearl is the X-traordinary Origin Story of Ti Wests Film X und die ultimative Mia Goth Show. Der Film spielt zur Zeit des Ersten Weltkriegs und während die Spanische Grippe in den USA und besonders unter den Soldaten wütet. Das bildet den Hintergrund für den Konflikt der isolierten Pearl auf einer Farm mit ihrer strengen deutschen Mutter und dem schwerbeschädigten Vater. Sie träumt von der großen Welt, aber ihre Realität ist eine düstere einsame Provinz im Lockdown und in Armut.
              Der Film lebt von Goths Performance, zeitweise verharrt die Kamera minutenlang auf ihrem Gesicht, während sie alle Emotionen, zu denen ein Mensch fähig ist, spielt. Sie lebt diese Rolle zwischen hoffnungsvollem Optimismus, wilder Erregtheit, tiefer Trauer und unbändiger Wut. Jedes Stück an ihrem Körper und ihrer Haltung erzählt uns ihre Gefühle und sie trägt damit alles nach außen, was der Film zu geben hat. Diese großen Augen sind ein tiefes Meer, in dem man versinkt.
              Dazu kommt noch die Welt der Zeit, in der Ti West alles in Technicolor artige Farben taucht. Er erschafft eine „Zauberer von Oz“ artige Welt, die zwischen weiten Feldern und dem bedrückenden Bauernhof wunderbar aussieht. Die Cinematography hat großartige Momente, wenn Pearl zwischen den Feldern hindurchfährt, durch die Scheune tanzt oder mit dem Alligator Freundschaft schließt. Die Welt ist reich, bunt und schön in großen Bildern, die begeistern. Untermalt wird das durch einen soliden Score, der seine Momente hat.
              Warum ist das dann also nicht der beliebteste Horrorfilm aller Zeiten? Na ja, vielleicht weil es etwas zu sehr Mia Goths Show ist. Der Rest des Films fällt dagegen ab, sie bestimmt die Szenen aber sie überlässt nichts der Fantasie. Wir wissen vom ersten Moment des Films an, wie dieser verlaufen wird, wir wissen, wer sterben wird und wie das vermutlich ablaufen wird. Der Film hat keine Spannung, weil immer alles klar ist und was nicht klar ist, wird auserzählt. So schön ihr Monolog schauspielerisch ist, so sehr nimmt er dem Film die Basis zu zeigen statt zu sagen. Damit gibt es auch keinen Impakt, wenn etwas passiert, weil man das eh die ganze Zeit erwartet. Es ist wie ein Fußballspiel zum zweiten Mal gucken, die technischen Elemente sind dieselben, die Bewunderung dafür gegebenenfalls größer, aber es wird sicher kein überraschendes Tor fallen. Selbst der Gewalt fehlt der Punch.
              Das führt dazu, dass der Film von der psychologischen Entwicklung leben muss, aber auch die ist nicht so großartig. Diese Konflikte alt gegen jung, Sexualität gegen Prüderie und Hoffnung gegen Verantwortung sind interessant und es gibt Momente, an denen das wirkt. Niemand wird diese Szene mit der Vogelscheuche vergessen, wenn Pearls Sexualität wilde Blüten schlägt, aber der Film taucht nicht sehr tief in diese Welt ein. Der Konflikt mit der Mutter hat dann auch eine große Szene aber dann ist auch hier schon wieder Schluss. Pearl entwickelt sich nicht, sie ist einfach, was sie ist. Das ist immer noch gut beobachtet für einen Horrorfilm aber nicht so beeindruckend, wie man sich das wünschen würde. Das liegt auch daran, dass Goth in ihrem ganzen Wahnsinn etwas verpasst, ihre Figur wenigstens etwas sympathisch oder komplex zu machen. Man hat Spaß ihr zuzusehen, aber fühlt sie sich als Figur lebendig an?
              Der Film ist ein offensichtlicher Mix aus dem „Zauberer von Oz“ und „Carrie“ und die Elemente beider Filme sind wohlbekannt, nichts davon ist neu und nicht wirklich viel kommt hinzu. Das ist schade, denn da wäre meiner Meinung nach Potenzial für mehr gewesen. Noch mal: Das ist ein Horrorfilm, der für mich über dem Durchschnitt liegt, aber der gerade daher ein bisschen enttäuschend war. Ich mag, wie er aussieht, ich mag Mia Goth und ich mag die Absurdität einiger Szenen, aber als Horrorfilm hat er zu wenig Impakt, fühlt sich fast ein wenig flach an und als Drama ist er mir zu oberflächlich. Damit bleibt leider ein nur guter Film, der keine ganz großen Wellen zieht.

              4
              • 8 .5

                How to Have Sex ist das Debut von Molly Manning Walker und Cannes 2023 Gewinner des Un Certain Regard. Wir haben es hier mit einem modernen Drama zu tun, dass unsere gleichberechtigte Gesellschaft zeigt und drei Mädchen, die sich nach der Schule dazu aufmachen, vor der Ankunft ihrer potentiellen Collagezulassungen, diese dadurch gegebene Freiheit zu genießen. Es zeigt auch wie Genuss heutzutage von der Vergnügungsindustrie geframt wird und wie eine sexualisierte Gesellschaft noch lange nichts über Sex wissen muss. Wir sehen die menschliche Einsamkeit, wenn sie am schlimmsten ist, unter Freunden und unter den vielen Menschen da draußen, die nicht zuhören wollen und nicht handeln können, weil sie nicht wissen wie.
                Vor allem sehen wir ein technisch brillantes Debut des Hyperrealismus, dieses Partydorf Malia auf Kreta in dem sich alljährlich britische Jugendliche die Hörner abstoßen wollen, ist brutal realistisch gefilmt. Die Kamera lässt uns nahe heran und begleitet uns durch alle Momente, hinein in das kalte Wasser, in das enge Hotelzimmer und zwischen die schwitzenden halb nackten Menschen auf den Animationspartys. Wir steigen damit in den Kopf der Protagonistin, bis wir ihre Sicht nicht mehr von der unseren unterscheiden können. Ihre Sicht wird unsere, während die Beats Hämmern und tonnenweise Alkohol in uns hineingeschüttet wird, dass man vom zusehen Kopfschmerzen bekommt. Wir erwachen zwischen den Mädchen auf Luftmatratzen, engen Betten, Fußböden und Liegestühlen und erleben so hautnah den Horror menschlicher Ausschweifung, wenn sie allein getrieben wird, vom Willen dabei zu sein. Es ist eine Welt, die auch tagsüber verschoben wirkt, poetisch verträumt und verschlafen, ein bisschen unwirtlich, wie nach einer endlos durchzechten Nacht.
                Hauptdarstellerin Mia McKenna-Bruce als Tara liefert dabei eine phänomenale Leistung ab, sie führt rastlos durch den von hektischer Aktivität geprägten ersten Teil des Films, in der wir ihre ganze Entschlossenheit erleben, jetzt endlich Erwartungen zu erfüllen und die wertvolle kurze Zeit vor dem Beginn einer Erwerbsarbeit, zu genießen. Anfangs auf der Suche nach Spaß lässt sie uns später lange, quälend lange, in ihre toten Augen blicken, nachdem sie erlebt hat, wonach alle vorgaben zu suchen. Diese Augen, diese kleinen Unsicherheiten, die Momente des Zweifelns und der Fremdheit und ultimativ diese einsetzende Verdrängung spielen in ihrem Habitus und ihrem Ausdruck so minutiös ein Drama, das es jedem mit einem Herz dasselbe zerreißen möchte.
                Die Jungs mögen feiern so lange und so hart sie wollen, mehr als eine Alkoholvergiftung und den Verlust von ein paar Millionen ihrer Gehirnzellen riskieren sie nicht. Die jungen Frauen dagegen können es sich nicht leisten zu streiten oder eigene Wege zu gehen. Diese Frauen müssten aufeinander aufpassen, diese Frauen müssten wachsam sein und bleiben, diese Frauen können diesen Urlaub so nicht machen, wenn sie kein Trauma riskieren wollen. Der scharf und klug beobachtende Film will aber zurecht nicht diesen Frauen die Schuld geben, sie glaubten, nach der sexuellen Revolution zu leben, aber vielleicht hätten diese fiktiven Frauen besser Kommentare im Internet zu ihrem realen Film gelesen, dann wäre ihnen aufgefallen, dass es nicht für alle Menschen das Jahr 2024 ist.
                Der Film zeichnet eine kapitalistische Welt, glänzend nach außen und innen so dunkel, dass sie einen verschlingen könnte. Eine Welt, in der der Freiheit mit Lärm, Drogen und Gruppendruck zu Leibe gerückt wird. Trotzdem gibt es diese Momente, zum Beispiel wenn der wunderbar in cockney nuschelnde Shaun Thomas als Badger, zärtlich und ein bisschen unsicher versucht Kontakt zu Tara aufzubauen oder wenn Enva Lewis als Em am Flughafen die Wahrheit erfährt, die hinter all dem Lärm nette leise Menschen zeigen, denen man am liebsten in Ruhe und Gemütlichkeit begegnen möchte. Es sind diese Momente, die Hoffnung machen. Wenn man lernt auszubrechen, das Internet schließt und sich Menschen nähert, die intelligent genug sind, zurückhaltend zu sein, kann man die Freiheit genießen welche die Revolutionen der letzten Jahrhunderte hervorgebracht haben. Aber das ist ein Prozess, der diesen jungen Frauen in der kurzen Zeit der Freiheit von Schule und Arbeit fern erschien. Das führt dann in die Katastrophe, in der der juristisch kalt gebrauchte Begriff Konsens in der Realität gebraucht worden wäre, die aber komplizierter ist, als es politische Diskussionen wahrhaben wollen. Man möchte denken, dass man von allen Menschen mindestens Empathie erwarten könnte aber dem ist leider nicht so.
                Es ist ein kleines Wunder, was heute möglich ist, was für wunderbare Filme schon im ersten Versuch entstehen können, weil Technik und Erfahrung überall verfügbar sind und sich die Welt geöffnet hat. Die Sonne scheint jetzt auch dorthin, wo der Akzent nach englischer Arbeiterklasse klingt aber jemand den Mut hat ambivalente Figuren zu porträtieren, die großartig sind, weil sie sich so fehlerbehaftet wie glaubwürdig anfühlen. Der Film ist fantastisch bedrückend, sensibel erzählt und voller Empathie also klar ein Meisterwerk.

                12
                • 7
                  über Dunki

                  Dunki ist der neue in Hindi gedrehte Film von Rajkumar Hirani und es ist ein sehr typisch indischer Film mit den ganzen Stärken und Schwächen, die ich bisher ausmachen konnte. Der Film erzählt die Geschichte von einer Gruppe von Menschen, die aus Indien auswandern möchten, um ihr Glück im Westen und ganz konkret in Großbritannien zu finden. Wir erleben die Schwierigkeiten, das legal zuwege zu bringen, und alle Probleme, die in der Illegalität entstehen. Es ist dabei einmal mehr ein Genre Mix aus Comedy, Drama und Abenteuerfilm, der kunterbunt daherkommt, um seine Botschaft möglichst sanft unter das Kino Volk zu bringen.
                  Das führt zu seltsamen Momenten, wenn in diese albern komische Welt wie aus dem nichts das Drama einschlägt, heftigste Szenen der Gewalt und des Selbstmords eindringen, in das, was lange Zeit nur wie ein durchschnittlicher Bollywood Film wirkte. Zusammengehalten wird die ganze Handlung dabei von einer Liebesgeschichte zwischen Shah Rukh Khan, einem der großen Stars des Hindi Kinos, als Hardayal "Hardy" Singh Dhillon und Taapsee Pannu als Manu Randhawa, die sich über Kontinente, Länder und dreißig Jahre erstreckt. Das soll sich episch anfühlen und ist dabei das größte Problem des Films. Ich gebe zu, ich habe grundsätzlich ein Problem mit den indischen Filmhelden, aber Shah Rukh Khan geht mir besonders auf den Senkel und ich bin der Meinung, die einzige Person, die ich ihm je abnehmen werde, zu lieben, ist sich selbst. So sehr er sich hier sichtlich bemüht und Tränchen um Tränchen herausgedrückt, die Chemie zwischen den beiden Leads ist nicht vorhanden und damit fällt leider vieles flach. Der Film kritisiert explizit das im Vergleich zu Europa veraltete Frauenbild und ist dann selbst nicht in der Lage Manu etwas Sinnvolles zu tun zu geben, damit sie eine eigene Agenda entwickeln kann.
                  Zusätzlich kommt hinzu, dass der Film seine anderen Macken nicht abstellen kann, der Film wartet mit großen zum Teil gelungenen Tanzchoreografien auf, taucht tief in indische Komik ein und abstrahiert die entscheidende Zeit der Flucht mit viel CGI und Verkürzung, das am Ende der zentrale Punkt des Films kleiner wirkt, als es sich richtig anfühlen würde. Wie so oft wird die Botschaft erdrückt, vom unbedingten Willen nett zu unterhalten und keinem weh zu tun und über diese grundsätzliche Harmlosigkeit kann dann auch nicht hinwegtäuschen, dass der Film plötzlich die dicken Gewaltkeulen herausholt.
                  Was nicht heißt, dass der Film nicht auch seine Punkte machen würde, das Thema Flucht und Migration ist etwas, das offensichtlich unter indischen Nägeln brennt. Das Problem des Unglücks vieler Migranten in den europäischen Ländern, in denen sie oft nicht richtig ankommen und Zeit Ihres Lebens Fremde bleiben, wird thematisiert. Auch erleben wir, wie dieses Leben ihnen auch ihre Heimat Indien nimmt, weil es ihnen keine Wahl lässt, außer sich endgültig zu entscheiden. Wir erleben die gnadenlose indische Industrie, die sich entwickelt hat, um Auswanderungswillige auszunehmen, und schließlich sehen wir auch die erschreckende Gewalt, die sie auf der Fluchtroute erleben müssen. Das ist alles da und es verfehlt seine Wirkung trotz des ganzen Fluffs nicht. Der Film hat seine Wirkmächtigkeit, wenn er nur etwas mehr dazu stehen könnte. Der Film kämpft im Bällebad und will dabei ernst genommen werden.
                  Der Film wäscht sich nur mit Trockenshampoo aber wir sehen trotzdem ein Ergebnis und ahnen wie heftig das alles wäre, hätte uns jemand hier einen naturalistischen Film gebaut, der jeden seiner zentralen Darsteller gleich ernst nehmen würde. Einmal wieder aber frage ich mich, ob es nicht ein Problem ist, dass ich aus westlicher Perspektive in den Film projiziere. Wann war ein Film, der ernsthaft über Flucht und Migration redet, je erfolgreich, wer guckt solche Filme wenn sie realistisch sind und ist es nicht das, was Dunki besonders macht, dass er dabei erfolgreich ist und trotzdem einen Punkt macht? Lockt dieser Film am Ende sein Publikum nur ins Bällebad, um ihnen dort die harte Wahrheit unterzujubeln, ist Shah Rukh Khan das Vehikel, das im Schaumbad liegend die Welt erklärt?
                  Das mag genauso sein und macht den Film dann wichtig, nur leider macht er ihn damit für mich nicht zu einem großartigen Film. Ich kann ihn nur beurteilen als etwas, das tonal kaputt wirkt, das eineinhalb Stunden albern blödelt und dann plötzlich brennt. Die Sehnsucht nach diesem Symbol Big Ben, das dort steht, als etwas das Freiheit, Wohlstand und die Möglichkeit verheißt, selbst über das Leben zu bestimmen, hat mit meinem Privileg, am richtigen Ort geboren zu sein, nicht die gleiche Bedeutung. Trotzdem ist der Film gewachsen in der Zeit nach dem Sehen, seine Frage danach, warum man nach Indien auswandern darf, ohne indisch sprechen zu können, aber nicht nach England, ohne englisch sprechen zu können, ist die Frage nach selten hinterfragten Privilegien. In einem Turm ganz oben wirkt jeder Inder da unten wie eine Ameise und von noch weiter oben wie eine homogene Masse, aber wehe, wenn man mit ihnen ins Bällebad steigt, dann wird am Ende sogar Shah Rukh Khan zum realen Menschen.

                  3
                  • 7

                    Fifty Shades of RomCom oder einfach Sanctuary ist ein Film über den Versuch, mit einer Domina Schluss zu machen oder besser gesagt mit der eigenen Schwäche, mit der eigenen Lust am unten liegen, Schluss zu machen. Es ist eine Therapiesitzung über übermächtige Väter und die Frage, ab wann man eigentlich in einer Beziehung ist und wie ehrlich wir uns selbst darüber sind. Das ist lustig und aufregend, immer mal wieder hart an der Grenze zum Cringe, aber Margaret Qualley als Rebecca und Christopher Abbott als Hal überzeugen durch Spiel, das Spannung erzeugt, weil man nie weiß was hier authentisch ist und was nicht.
                    Es liegt in der Natur eines solchen Spiels, dass es Schwierigkeiten gibt, es von der Realität abzugrenzen, aber wann spielen die beiden wirklich und wann nicht? Die Art ihrer Beziehung hat ihnen den Ausweg gegeben, das ganze Distanziert anzugehen, der berufliche Aufstieg Hals und seine persönliche Veränderung stellen diese Distanz nun in Frage. Das hat das Zeug einen interessanten Film zu machen. Das Ganze entwickelt sich ein bisschen wie ein Thriller, der langsam den Einsatz nach oben treibt, wobei der Einsatz nur scheinbar ein Monetärer ist, es geht eher um Authentizität und Verletzlichkeit, die Eigenschaften, die sich hier untereinander und gegeneinander bedingen. Im Spiel ist man nicht verletzlich, daher geht es nicht um die Höhe des Einsatzes, es geht darum, ob man etwas empfindet und wer das zuerst zugibt.
                    Ich will nicht sagen, das der Film dabei immer den perfekten Ton trifft aber größtenteils funktioniert das, auch wenn man keinen der Kinks geil findet, es hat einen positiven Vibe, ganz anders als das depressiv sterile „Fifty Shades of Grey“ und wird aber auch nie zu artifiziell wie Polanskis „Venus im Pelz“ an manchen Stellen. Für ein Kammerspiel ist die Kamera dabei bemüht, keine Langeweile aufkommen zu lassen, es wird mit Farben, Licht und Ausstattung in der obszön großen Hotelsuite gespielt und ab und zu kippt sie auch einmal mit uns zur Seite, um Verwirrung zu erzeugen. Das reicht dann, um interessant zu bleiben, ohne aus „solide“ auszubrechen. Trotzdem gibt es dann doch ein paar Momente, in denen das etwas repetitiv wirkt und manche Sprünge in ihrer Beziehung sind schon weiter geworfen, als man ihnen das zutrauen würde.
                    Tja, das ist nicht die Neuerfindung von Kino, sondern ein sexuell positiv gestimmtes Spiel, das aber immer so wirkt, als hätten die beiden Darsteller Lust am Unsinn gehabt. Das hebt den Film dann über die Latte, die Hal da mit sich herumträgt, während er sein großartiges Leben als harter Firmenchef plant. In einer Welt, aus der die RomComs fast verschwunden sind, ist dieses nicht ganz klischee, aber immerhin Lack-, Leder- und Peitschenfreie Stück, in dem fast alles nur im Kopf passiert, einen Blick wert. Vielleicht aber trotzdem ohne Mutti gucken…

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                    • 5 .5

                      Jigarthanda DoubleX ist ein interessanter Genre Mix, der als etwas konfuse Action Komödie beginnt und als ein Sozial- und Umweltdrama endet. Primär liegt der Fokus aber auf einer Betrachtung darüber, was der Film für eine Gesellschaft bedeutet und wie sich das Schießen im Film zum Schießen des Films verhält. Es ist eine Liebeserklärung an das indische Kino im Speziellen und dem Kino ganz allgemein, seine Referenzen zu den Western mit Clint Eastwood sind dabei überdeutlich.

                      Oh Herrscher. Warum?
                      Das Politische ist dabei unübersehbar, der Film erzählt nicht nur über Polizeigewalt, sondern schaut dabei höher und fragt nach denjenigen, denen Chaos, Ablenkung der Menschen und die Zerstörung der Umwelt hilft. Dabei werfen wir im letzten Akt einen langen Blick in die unberührten Ecken Indien mit seinen schön in Szene gesetzten Wäldern und Menschen, die weder als Wähler registriert sind noch sonst im Fokus eines politischen Interesses stehen. Der Film entwickelt dabei überraschend plötzlich eine Empathie für Natur, Tiere und Menschen gleichzeitig.

                      Kein Fürst des Todes kommt an uns die Künstler heran! Wir sind unsterblich!
                      Dazu macht der Film aus einem empathielosen Rowdy eine heilige Robin-Hood-Figur, die inspiriert durch einen selbstbestimmten Filmemacher zur Erlösung findet. Das ist ein berührender Prozess, wenn er auch mit dem typischen indischen Pathos daherkommt. Die Kunst strebt zu Höherem und reißt die Menschen dabei mit sich, stachelt sie an und gibt ihnen neue Waffen in die Hand, Waffen die nicht töten, stattdessen die Massen wachrütteln. Das ist eine schöne Botschaft, die aber ehrlicherweise besser klingt, als es im Film dann tatsächlich rüberkommt.

                      Der Film will vieles gleichzeitig sein und verliert seine Actionfilm Idee dabei leider nie aus den Augen. So kann er dann das Erschießen nie ganz lassen und überhaupt schwelgt er lange und ausgiebig in der Gewalt, die dann am Ende kritisiert werden soll. Der ganze erste Akt ist dabei faktisch eine Karikatur indischer Actionfilme, in der alle Elemente seiner späteren Kunstwerdung angekündigt und in verwirrender Weise wieder fallengelassen werden, um sie dann im Laufe des Films wieder zusammensetzen zu können. Das ist ein beliebtes Mittel in indischen Filmen und soll den letzten Akt durch seine Verbindung aller fallen gelassenen Fäden beeindruckender machen, tatsächlich machte es aber die ersten eineinhalb Stunden zu einem anstrengenden Akt der Konzentrationsübung.

                      Glücklicherweise hilft dem Film sein durchgängig großartiger Soundtrack, alle Songs und Choreografien sind gut gelungen und der Film lebt und pulsiert in seiner Musik. Sie trägt viel bei zu den sehr unterschiedlichen Gefühlen, die jeder einzelne Akt auslösen soll, und fügt den Film erst richtig zusammen. Dazu kommt eine schöne Cinematography mit einigen Highlights rund um Naturdarstellungen und der Inszenierung seiner Actionszenen. Leider leiden einige Szenen unter offensiv eingesetzter CGI, die gerade die, für den letzten Akt zentralen Elefanten, etwas ihrer Seele beraubt.

                      Es fällt schwer, den Film als Ganzes zu beurteilen, sein letzter Akt ist wirkmächtiges und eindrucksvolles Kino mit starker Botschaft, großartiger Musik und schön arrangierter Szenerie aber bis man dahin kommt, braucht der Film seine Zeit und wirkt dabei ziellos und überfordert mit Themen und Ideen. Der ganze erste Akt ist ein heilloses Durcheinander, bei dem ich tatsächlich überlegt hatte, einfach auszustellen. Der zweite Akt entwickelt dann zwar langsam Zug und hat ein paar gute Actionszenen, insbesondere entwickelt sich hier endlich eine einigermaßen konsistente Story, aber so richtig zünden wollte es da auch noch nicht. Der Film wirkt, als ob er etwas zu viel wollte und sich dabei nicht getraut hat, seinem Publikum ein echtes Drama zu erzählen. Gerade die anfänglich alberne Komik und das übliche Heldenepos, beißt sich mächtig mit seiner finalen Botschaft.

                      Vielleicht ist das aber auch alles ein gemeinsamer Teil der Botschaft des Films, indem sich aus dem bedeutungslosen indischen Film mit seinen lustigen Nebencharakteren und den mächtigen, aber Empathie- und Hirnlosen Helden erst langsam Neues entwickelt, das dann zum großen Gegenschlag ansetzten, kann. Man kann das als Kunst lesen, die sich entwickelt und die die tamilische Filmindustrie und den indischen Zuschauer dazu aufruft, es ihr gleichzutun. Für meinen westlichen Geschmack war das dann aber (zu) viel gleichzeitig auf dem Teller und vor allem zu viel, was nicht wirklich schmeckte, bevor dann endlich Nachtisch aufgetragen wurde. Als Liebeserklärung an das Kino kann man das aber sicher einmal gucken.

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                      • 6 .5

                        “Are You There God? It's Me, Margaret” ist eine Wohlfühl Komödie in den schönsten goldgelben Farben der rückblickend erfühlten frühen Siebziger Jahre. Der Film lebt von der gut gecasteten und wirklich beeindruckend süßen Abby Ryder Fortson als Margaret, die ihr Verhältnis zur Religion erkundet, weil ihre Eltern das vertraute New York verlassen haben, um in einem Vorort in New Jersey ihren Mittelstand Traum weiterleben zu können, weshalb sich Margarets Leben komplett ändert. Ihre Schwierigkeiten sind aber überschaubar und von Teenagerliebe, Freundschaften und der Suche nach dem richtigen Glauben geprägt und die Erwachsenen, durchweg präsentiert durch hochkarätig besetzte Schauspieler, dürfen dann auch noch kleinere Probleme hineintun. Das Ergebnis ist dann purer Ausgleich, indem niemand zu kurz kommt.
                        Das hört sich dabei negativer an, als ich es empfunden habe, das ist ein wunderschöner, traumhaft ausgestatteter, kompetent gemachter Film der ein Gefühl von zu Hause erwecken will und dabei eine Traumwelt erschafft, die wohl jeden wieder in eine Kindheit zurückversetzt, die er so nicht gehabt haben wird. Es war schön, das eineinhalb Stunden lang anzusehen. Sofern das also reüssiert, kann dieser Film bestimmt ein kleines Wunder sein, aber der Pragmatiker in mir möchte doch anmerken, dass es hier um wirklich gar nichts geht, es ist ein Traum von Glückseligkeit auf Zelluloid, in der Probleme nur deshalb existieren, weil man ansonsten keinen Film hätte rechtfertigen können. Das macht den Film nicht schlecht, aber da es sich auch noch um den spezifisch amerikanischen Traum der Vororte handelt, zu etwas, das in Europa wohl keinen ganz großen Widerhall finden wird.

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                          Les passagers de la nuit; Passagier der Nacht ist ein französischer Film von Mikhaël Hers mit Charlotte Gainsbourg als Élisabeth in der Hauptrolle. Vermutlich ordnet man das unter Drama ein, diesen Moment in den Achtziger Jahren in dem Élisabeth von ihrem Mann verlassen wird, sie mit den zwei fast erwachsenen Kindern allein bleibt und ein Wind der Veränderung durch Paris weht, aber es ist immer noch ein leichter besinnlicher Film über Frankreichs Bürgerlichkeit, die schon einen Weg findet. Es ist ein Film, wie er nur aus Frankreich kommen kann, der Sex ist natürlich und natürlich explizit, die sehr präsente Wohnung sieht aus wie etwas das sich der Zuseher niemals leisten können wird, und es ist eben die Gainsbourg, die das im Schlaf spielen könnte, so leicht fühlt sich das an. Noée Abita bildet als das geheimnisvolle Mädchen Talulah, dann auch noch ein zauberhaftes Gegenstück zu ihr, mit tiefen Augen, in denen man den Schmerz spüren kann, ist sie der kleine Bruch in dieser sonst so klaren Welt.
                          Eine Atmosphäre trauriger Nostalgie und leichter Beschwingtheit hält uns dabei, wir sehen, wie man bemüht ist sich gegenseitig zu retten, indem man nett und liebevoll ist, und wie neue Chancen ergriffen werden, wir sehen wie Menschen erwachsen werden und wie eine Frau mittleren Alters wieder zu sich selbst findet. Das sind First World Problems und doch sind sie schön und angenehm inszeniert, nicht völlig konfliktfrei aber wirklich auch nicht zu dramatisch, es ist ein Film zum Schwelgen und darin herumlungern. Hier wird sich alles finden, weil sich in diesen Welten immer alles findet. Es ist schön, anzusehen, und vielleicht auch ein bisschen belanglos…

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                            Deciuscaecilius 07.02.2024, 21:30 Geändert 07.02.2024, 21:34

                            Sick of Myself ist eine schwarze Komödie oder auch Satire über eine wahrhaft toxische Beziehung in der sich beide Partner gegenseitig mit Aufmerksamkeitsentzug quälen und ihre Umgebung mit unbändiger Geltungssucht malträtieren, wofür sie aber auch bereit sind große Opfer zu bringen. Das ist komisch und manchmal kurz vor einem Horrorfilm, insbesondere wenn die Realität langsam für unsere Protagonistin mit der Fantasie verschwimmt. Leider ist der Film auch ein bisschen wie seine Protagonisten, die ganze Geschichte ist so voyeuristisch, wie sich seine Figuren es wünschen würden. Dabei sind sie mir nicht nahe gekommen, weil sie so unwirklich sind. Diese Art von Charakteren sollen moderne Abziehbilder einer Instagram-Generation sein, aber für mich fühlten sie sich nur unwirklich an. Da ist nichts, das diese Personen real macht, und damit verlieren sie an Bedeutung und der Film an Schlagkraft. Der Film ist interessant in seiner Prämisse, solide gefilmt und gut gespielt, aber vielmehr hat er mich nicht gegeben. Das war mir zu nahe am Cringe und das ist nicht so meins.
                            PS: Das hat mich wieder an “Der schlimmste Mensch der Welt” erinnert, der in mir einen ähnlichen Effekt ausgelöst hat. Diese Charaktere wirken wie die Parodie von etwas, das selbst schon ein Meme war und nicht wie Menschen, die wirklich an sich selbst leiden.

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                              Deciuscaecilius 06.02.2024, 22:57 Geändert 25.02.2024, 19:07

                              Anatomie d'une chute; Anatomie eines Falls ist der Sieger der Goldenen Palme in Cannes 2023. Der Film von Justine Triet ist ein Gerichts- und Ehedrama aus Frankreich, über den Tod eines Mannes, dessen Ehefrau des Mordes verdächtigt wird. Die Ehefrau wird von Sandra Hüller gespielt, aber eigentlich ist das etwas untertrieben, der Film ist um sie herum gebaut, es ist eine Sandra-Hüller-Show.
                              Das liegt daran, weil sie der komplexen trauernden Frau ein verstörtes und überfordertes Gesicht gibt und dabei trotzdem in der Lage ist, Stärke in ihrem Verhalten zu bewahren. Dabei hilft ihr der Sprachwechsel im durchgängig zweisprachigen Film, indem sie Englisch als eine Art sprachliche Maske benutzt, hinter der sie viel sicherer und dominanter auftritt. Überhaupt schimmert so viel Kraft in dieser leicht androgyn angelegten Figur durch, dass erst dadurch der Zweifel entsteht, ob genau daran ihr Mann zerschellt ist, ohne dass sie einen Finger rühren musste. Die Ambivalenz der Figur bleibt ein Spiel, das den ganzen Film andauert und das zum großen Vergnügen für den Zuseher wird. Dass den Film die langen zweieinhalb Stunden trägt. Es ist eine überragende Darstellung, die sie auf dem Oscar-Zettel geschrieben hat.
                              Wobei auch Milo Machado Graner als ihr elfjähriger Sohn Daniel eine interessante und überzeugende Darstellung gibt. Seine Verletzlichkeit, die sich mit plötzlichen Momenten der Entschlossenheit abwechselt, hilft der Story schließlich bei ihrem Finale. Was dann auch für Snoop den Begleithund des sehbehinderten Jungen gilt. Ich erwähne hier selten Tiere in den Kritiken, aber dieser Border Collie rockt und tut einem dann wirklich leid, nach einer denkwürdig harten Nacht im Tiefschlaf…
                              Das war jetzt viel Lob für einen Film, der ein bisschen langweilig aussieht, professionell und bemüht, aber letztlich vergesslich, gestaltet sich die Cinematography im Schwanken zwischen Doku Style und den Berglandschaften im Weitwinkel. Man sieht viele Großaufnahmen, die immer schön sind, weil sie großartige Darstellungen zeigen, aber richtig warm ums Herz wird einem beim Ansehen nicht. Man könnte geneigt sein, es nett zu nennen.
                              Diese Geschichte wird hier nicht zum ersten Mal erzählt, es ist ein Klassiker dieses Ehedrama und die ewige Frage, wem man denn nun glaubt. Man muss sich dann schon entscheiden und der Reiz liegt darin, wie gut Hüller mit uns spielt und uns diese Entscheidung immer wieder schwer macht, bis sie fast belanglos geworden ist. Das ist aber auch die Krux des Films, denn was ist dann die Botschaft des Films? Ich bin mir nicht sicher, wie gut der Film dabei ist, ein zweites Mal zu begeistern, wenn die erste Erstarrung abgefallen ist. Viel zu lange verbringt man mit kleinen Herleitungen und einigen fragwürdigen Details der Ermittlung, die mit dem aggressiven, dabei unterhaltsamen, aber auch ein bisschen unglaubwürdigen Staatsanwalt, ihren Höhepunkt erreichen.
                              Dann erst gibt es einen großartig inszenierten und gespielten Streit zu sehen, das ist aber kurz vor dem letzten Drittel des Films und das erinnert auch daran dass bis zu diesem Zeitpunkt eine Weile nicht viel dazu gekommen ist, außer der Erkenntnis das die Menschen nicht immer so sind wie sie erscheinen und schon gar nicht wie wir sie im ersten Moment bewerten. Das ist für einen so langen Film nicht so viel, auch wenn er fesselnde Momente hat. Das Tempo des Films ist mit kriechend noch zu gut beschrieben, das kann sich zur größten Spannung aufbauen, aber irgendwann muss jeder Spieler seine Karten auf den Tisch legen. Hier schrammt der Film für mich dann aber am Meisterwerk vorbei, weil der Film nur das Erwartbare präsentiert.
                              Nichts daran ist schlecht, das ist ein guter Film, aber ein bisschen eindampfen hätte man ihn vermutlich doch müssen. Da wird viel Wasser getreten und zu wenig vorangekommen. Sandra Hüller ist eine Sensation, so kommt ruhig und seht, was das deutsche Kino kann, wenn es über die Grenze tritt. Ich bin leider etwas ernüchtert, dass ich, als die Musik das Ende einläutete berührt, aber auch ein wenig froh darüber war, dass es ein Ende hat.

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                                über Jailer

                                Jailer ist eine Tamil Action Comedy mit den üblichen Elementen des indischen Kinos. Es ist ein einigermaßen unterhaltsamer Film geworden, der mit ein bisschen Ironie und überzeichneter Gewalt das Pathos zeitweise übertünchen kann. Was er nicht überspielen kann, sind dagegen seine Längen im ansonsten durchschnittlichen Plot rund um einen eigentlich in Rente gegangenen Bullen, der noch einmal den üblichen obercoolen, unverletzbaren Actionhelden geben muss. Hauptdarsteller Rajinikanth als "Tiger" Muthuvel Pandian wirkt dabei seltsam deplatziert in diesem Film, auch wenn man ein Wunder vollbracht hat den über Siebzigjährigen optisch für den Film fit zu machen, bleiben alle Actionszenen mit ihm statisches Stückwerk. Kann man mal gucken, muss man aber nicht und ist definitiv viel zu lang.

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                                  Women Talking inszeniert von Sarah Polley ist ein Drama, das grob auf realen Ereignissen in einer Methodisten Community in Peru basiert. Es geht darum, dass die Frauen einer streng religiösen Gemeinschaft zwei Tage Zeit haben, um zu entscheiden ob sie Kämpfen, bleiben oder einfach gehen, denn gerade kam heraus, dass Männer über Jahre hinweg Frauen und Mädchen in der Gemeinschaft betäubt und vergewaltigt haben und dieses dann per Gaslighting auf Dämonen oder weibliche Hysterie geschoben hatten. Das ist ein dunkles Thema, das hier mit aller Sensibilität dem Zuschauer gegenüber angegangen wurde.
                                  Ich habe den Film ehrlich gesagt gesehen, wie ich NYAD gesehen habe, mit einer gewissen Neugier darauf, was den Film letztes Jahr zu einem Oscar Kandidaten gemacht hat. Im Gegensatz zu NYAD kann man das aber hier sehen. Nicht nur sind die Schauspieler durchweg gut, sondern Polley zeigt auch filmische Ambitionen, das Thema spannend aufzubereiten. Der Film zeigt uns zwar primär die Gesprächsrunde der Gruppe an Frauen, die eine finale Entscheidung für alle anderen treffen soll, aber lockert das durch Szenen in der Gemeinschaft aus der Gegenwart und Vergangenheit auf, erzählt dabei sogar eine ganz zarte Liebesgeschichte. Fast wir bei Nolan werden immer wieder Ereignisse der Gegenwart durch Rückblenden unterbrochen und damit Motivationen erklärt und Hintergründe beleuchtet.
                                  Der Film sieht dabei gut aus, speziell die Lichtstimmung ist zeitweise hervorragend gelungen, ganz speziell in träumerischen Passagen, welche die ländliche Umgebung zeigen. Leider ist jemand auf die schwer nachvollziehbare Idee gekommen den Film stark farblich zu entsättigen, was mir nicht gefallen hat. Zum Ausgleich gibt es einen schönen zurückhaltenden Soundtrack, der eine angenehme Stimmung zu einem wenig angenehmen Thema erzeugt. Der Film kommt bis auf eine Ausnahme ohne Männer aus und kann daher auch komplett auf die Tätersicht und Gewaltdarstellungen insgesamt verzichten. Die Nachwirkungen sind aber klar gezeichnet und lassen so kaum etwas von der Dringlichkeit vermissen. Der Film zeigt die Täter nicht, weil er nicht über Täter reden will, sondern über Opfer.
                                  Das wird dann vom hervorragenden Cast getragen, bei dem es sich fast falsch anfühlt, einzelne herauszugreifen. Die Gruppe ist bewusst breit besetzt von Kinderdarstellern bis zur über siebzigjährigen Judith Ivey und ist zusätzlich befüllt mit Stars wie Rooney Mara und Claire Foy. Diese ganze Gruppe überzeugt mit intensiven Darstellungen, leidenschaftlicher Argumentation und wirklichem Engagement in der Sache und in ihrer Religion, die Dialoge sind dabei elegant und theaterhaft schön, sodass es eine Freude ist, den Diskussionen aus ästhetischer Sicht zu folgen.
                                  “We do not have to be forgiven by the men of God, for protecting our children from the depraved actions of vicious men who are often the very same men we are meant to ask for forgiveness.”
                                  Da liegt dann aber auch mein großes Problem mit dem Film, er ist zerrissen zwischen seinem Drang, eine realistische Welt mit einer in der Realität verankerten Situation zu erschaffen und einem rein metaphorisch zu verstehenden Theaterstück. Diese Diskussionen sind keine Diskussionen, die man von Frauen erwarten würde, die keine Schulbildung genossen haben, die nicht lesen und schreiben können und die isoliert von der Welt aufgewachsen sind. Das ist alles literarisch erzeugter, ausgefeilter Disput über die Natur des Glaubens, des Menschen und der Macht, die mit der Gläubigkeit kommt. Machtmissbrauch ist ein Drama, das solchen Gemeinschaften droht und die Lösung dafür wird hier ausgiebig diskutiert, obwohl sie uns klar erscheint, nur eben nicht denjenigen, die unter den Umständen aufgewachsen sind.
                                  Diesen Widerspruch kann der Film nicht auflösen, die Glaubwürdigkeit der hier dargestellten Abläufe bleibt zweifelhaft. Der Film ist ein Kunstwerk über eine reale Situation, aber kann seine Künstlichkeit nicht verbergen, gerade weil er so sehr in seinen filmischen Aufbau investiert, der eine reale Welt zeigen soll. Hier wird aber eben nicht Peru mit einer sprachlich und intellektuell isolierten Gruppe von Opfern eines massenhaften Missbrauchs gezeigt, sondern eine divers besetzte, sprachlich geübte Podiumsdiskussion inszeniert, die Philosophie-Studenten in Oxford geführt haben könnten. Damit setzt sich der Film zwischen die Stühle, in seinem Bemühen, es allen gemütlich zu machen, fällt er für mich am Ende zu flach aus. Er ist das Gegenteil eines unnötig unangenehmen europäischen Arthouse Genres, das Gewalt zu sehr zelebriert, allerdings um hier dann Unangenehmes unglaubwürdig gemütlich zu machen. Pazifismus wird hier an einer Stelle gefeiert, wo sich jeder Zuseher fragen wird, ob es nicht doch Momente gibt, an denen es gerechtfertigt wäre, ganz unliterarisch zur Axt zu greifen.
                                  Trotzdem finde ich den Film sehenswert, einfach weil er gut gemacht und gut gespielt ist. Man muss ihn aber ein bisschen sehen, wie ein Shakespeare Stück, das Fragen aufwirft, aber dabei akademisch immer über der realen Welt schweben bleibt.

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                                    Deciuscaecilius 01.02.2024, 22:22 Geändert 01.02.2024, 22:30

                                    Guardians of the Galaxy Vol. 3 ist der dritte und abschließende Teil der Filmreihe, zumindest soweit sie von James Gunn produziert werden. Den Rest der Truppe werden wir sicher in der ein oder anderen Form im Marvel Universum wiedersehen. Das Ganze ist unangenehme zweieinhalb Stunden lang und folgt grob einer Verbindung aus der düsteren Vorgeschichte Rockets und den Versuchen, ihn in der Gegenwart zu retten. Der Film ist ein unrundes Kuddelmuddel aus Themen, Ideen und Stimmungen, das nie wirkt, als wäre es komplett unter der Kontrolle einer Person gewesen. Stattdessen wirkt es, als hätte man mehrere Filme gedreht und dann in Stimmungsbögen zusammengeschnitten, um die Gefühle der Zuschauer optimal steuern zu können.
                                    Story 1 ist die in kurzen Rückblenden erzählte dramatische Vorgeschichte Rockets, die aus unethischen medizinischen Experimenten bestand, mit dem Ziel, eine perfekte Rasse zu erschaffen. Das ist die Geschichte, die mehr oder minder funktioniert. Man kann es kaum glauben, aber ich hatte Interesse an den Schicksalen computeranimierter Otter, Hasen und Waschbären, weil diese „Die Insel des Dr. Moreau“ Variante Punch hatte, vielleicht auch weil sie an grundsätzliche Fragen danach, was einen Menschen ausmacht, anknüpft und das mit unserem Mitleid für niedliche Tiere verknüpft. Das Design dieser Figuren ist perfide rührend gelungen. Die Geschichte ist aber leider immer nur ausschnittsweise zu sehen, vergleichsweise kurz und wird ständig unterbrochen von Geschichte zwei.
                                    Geschichte zwei ist die Suche nach einem Heilmittel, eine völlig überzogene und anstrengend blödelnde Schnipseljagd von Unsympathen, die ihre Behauptung gute Freunde zu sein, versuchen dadurch unter Beweis zu stellen, dass faktisch alle ihre Interaktionen auf Beleidigungen basieren. Als Höhepunkt dieser Geschichte machen die unterbeschäftigte Karen Gillan als Nebula und Pom Klementieff als Mantis, den von Dave Bautista gespielten Drax herunter, indem sie ihm während er hilflos verwirrt daneben steht eine krankhafte Idiotie unterstellen, um ihm dann am Ende einfach spaßig das Gedächtnis an diese Situation zu löschen. 2 von 3 Menschen finden Mobbing gar nicht so schlimm. Ich mochte niemanden in der Truppe und von den Witzen war wenig bis gar nichts komisch. Vor allem weil die Tonalität komplett mit der ersten Story kollidiert. Wer es außerdem noch hasst, dass die Liebesgeschichten in allen Marvel-Filmen immer wieder von Film zu Film durch irgendwelche Umstände auf null gesetzt und dann auf dem Startpunkt, der immer ist das sie sich nicht ausstehen können, wieder neu angefangen werden, hebe bitte den Finger.
                                    Dann gibt es noch den ganzen überflüssigen Rest. Die Truppe auf der Heimat Sphäre ist anstrengend, hier wird ein guter Hund / böser Hund Witz so lange zu Tode getrampelt, bis er einem gehörig auf die Nerven geht und da steht dann noch Sean Gunn herum, der offenbar das Familieneinkommen der Familie Gunn, durch seine reine Anwesenheit erhöhen soll. Der Rest der Gaststars hat dann in Sekunden abgerechnete Cameos. Zur Abwechslung mochte ich dann wieder den charismatisch verrückten Bösewicht, gespielt von Chukwudi Iwuji, der war in jeder seiner Szenen der absolute Mittelpunkt und spielte dabei besonders den durchweg ungelenk wirkenden Chris Pratt an die Wand.
                                    Der Rest des Filmes ist ein CGI-Fest, eines, das allerdings größtenteils sehr gut aussieht. Mich stören die immer künstlich unwirklichen Welten trotzdem, aber hier hat das seine Momente. Vermutlich war das einer der am besten aussehenden Superheldenfilme bisher. Die Action ist etwas langgezogen, macht aber auch Spaß. Die Musik dagegen wird dominiert von mal mehr, und viel öfter weniger, zur Szene passenden dominanten Popsongs, die wirkten, als hätte ein 50-jähriger Philosophieprofessor zu Omas runden Geburtstag seine ganze aus der Pitchfork erlesene Popmusik Expertise seinen Gästen präsentieren wollen. Anstrengend.
                                    Ich wurde wirklich nicht warm damit. Der Film ist zu lang und zu uneben, auch wenn die Geschichte rund um Rocket etwas hat. Wenn diese gequälten Wesen sich dort auf der Erde kugeln, funktioniert da etwas im Film, aber das geht dann schnell in schlechtem Humor unter. Damit nicht genug, wird es überspült von allen möglichen anderen Motiven, da auch noch niedliche Kinder gerettet werden müssen, um dann auch noch mehr niedliche Tiere nachzuschieben, um eine Tierschutz Botschaft zu senden. Das ist alles so schrecklich konstruiert, jede Szene, jede Gelegenheit wird genutzt, um irgendeine Emotion beim Zuschauer zu wecken und offensichtlich ist es völlig egal, welche, die Hauptsache ist, dass es Engagement auslöst. Es ist ein ewiger Zielgruppen optimierter Werbespot für Marvel, ein auch noch schnell hinein gequetschtes Kuscheltier und überhaupt so vielen Figuren wie möglich, um Content für alle Zeiten produzieren zu können, statt einmal auch nur eine Minute, bei dem Schicksal einer einzelnen Figur verweilen zu können. So fühlt sich dieser Teil nicht verdient und ernsthaft genug an.

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                                      Deciuscaecilius 29.01.2024, 21:36 Geändert 29.01.2024, 22:17

                                      Broker ist der erste Film, den Hirokazu Kore-eda für und in Südkorea gedreht hat. Was sich nicht verändert hat, ist, dass es einmal mehr primär als Drama daherkommt, das mit leisen komischen Elementen aufgelockert wird, und dass Menschen am Rande der Gesellschaft porträtiert werden, die einen Zusammenhalt in Wahlfamilien finden. Das Ökonomische ist hier immer Teil der Geschichte, wie auch die Vereinzelung der Menschen in westlichen Gesellschaften.
                                      Das macht er mittlerweile mit großer Sicherheit und Eleganz, die besonders in einzelnen Dialogszenen auffällt. Es gibt wieder wahnsinnig berührende Momente in denen Charaktere, die es offensichtlich gewöhnt sind sich abzuschotten, plötzlich ihr Schild fallen lassen können und mit soviel Entgegenkommen des Gegenübers belohnt werden, dass es zum Heulen schön ist. Das ist dann auch der Grund, warum man das guckt. Es ist ein Roadmovie, in dem Stück für Stück eine Gruppe emotional zusammenfindet, über der aber auch immer das Damoklesschwert hängt. Das erzeugt eine interessante Dramatik und eine so intensive Sorge um deren Wohlergehen, dass man immer involviert bleibt. Trotzdem schafft er es mit einer ganz leichten Komik, die Situation nicht erstarren zu lassen, sondern angenehm und locker durch den Film zu führen.
                                      Das wird dann auch schön erzählt mit teils besonderen Bildern von Südkorea und einem Geschick darin, Situationen zu kreieren, wie zum Beispiel in einem Riesenrad oder in einem dunklen Hotelzimmer, die Atmosphäre haben. Die Musik plätschert dabei immer angenehm und beruhigend vor sich hin und trägt ihren Teil bei. Der Cast ist gut zusammengestellt, das alte Schlachtross Song Kang-ho ist eh super und ich mochte besonders Gang Dong-won als netten jungen Mann, der so viel tiefen Schmerz und Verletzlichkeit offenbart und damit seinem eigenen Kriminellen Image sofort die Gefährlichkeit nimmt. Er ist damit das Herz des Films. Das K-Pop-Sternchen Lee Ji-eun bildet dazu ein überraschend überzeugendes Gegenstück, schauspielern kann sie offenbar und überzeugt hier mit dem größten Wandel im Film.
                                      Warum ist da also noch keine Note 10 aufgetaucht? Na das liegt an mehreren Sachen. Zuerst einmal ist das alles nicht neu, man könnte sogar sagen, es ist mittlerweile Kore-eda Standard, ein Shoplifters 2.0, das daher wenig überraschend um die Ecke kommt. Diese Situation im Riesenrad funktioniert trotzdem fast genauso gut wie die wunderbare Liebesszene beim Essen in Shoplifters, aber manchmal kommt man sich auch ein wenig manipuliert vor, so sehr erinnert das an ein System.
                                      Das hat dann hier auch etwas damit zu tun, dass die Story zu hoch aufgehängt ist. Er zeigt uns oft Menschen, die im kleinkriminellen Rahmen arbeiten, aber hier entführen zwei Männer Babys, um sie zu verkaufen. Das ist keine kleine Sache, auch wenn sie gewohnt locker entspannt präsentiert wird und man natürlich immer weiß, dass dieser Film niemandem und schon gar nicht einem Kind weh tun wird. Trotzdem wirkt es arg konstruiert und wenig durchdacht, dass dann die Mutter da mitkommt und die Polizei die gesamt Zeit einfach zusieht, ist störend dick aufgetragen. Das ist alles eh nur Set-up für die Wahlfamilienbildung, aber mir war das zu viel.
                                      Dann ist da auch noch das Ende, das dann plötzlich als Thriller-Twist erzählt werden soll und dabei eher unnötig konfus wirkt. Happy Ends der klassischen Art liegen dem Regisseur nicht, aber hier war es dann ganz viel auf einmal, wie es allen ein bisschen Recht gemacht werden sollte. Die Moral soll gewahrt werden, die staatliche Macht auch und doch sollen alle ein bisschen glücklich werden. Das war seltsam. Ich war daher nicht so zufrieden, wie ich es erwartet hatte, Kore-eda könnte einmal eine Frischzellenkur gebrauchen, hier jedenfalls kommt er meiner Meinung nach nicht an seine eigenen Klassiker heran.

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                                      • 7 .5
                                        Deciuscaecilius 28.01.2024, 18:16 Geändert 28.01.2024, 18:18

                                        Einen Film mit so einem griffigen Namen wie: „Irandam Ulagaporin Kadaisi Gundu muss man einfach schon deshalb lieben. Das Ganze heißt übersetzt dann: „The last bomb of World War II“ und ist ein indischer Kollywoodfilm auf Tamil gedreht. Wie meistens bei diesen Filmen, ist das Genre fluid, es ist am ehesten ein Sozialdrama mit einigen Comedy Elementen und einem Thriller Part. Der Film wirkt dabei fast wie eine Dokumentation, benutzt ähnliche Stilmittel, folgt seinen Charakteren ganz unprätentiös und mischt eine realistisch anmutende journalistische Recherche inklusive großer Pressekonferenz unter.
                                        Dieser realistische Ansatz macht dann auch viel von der Faszination des Filmes aus. Das Ganze beschäftigt sich mit den Überbleibseln eines lange zurückliegenden Krieges, der dann ganz direkt unsere Generation beeinträchtigt. Hier ist der Film ganz dem Pazifismus verpflichtet, seine Botschaft, dass ein Krieg so lange nachwirkt, dient aber nicht nur dazu, Kriege an sich zu kritisieren, sondern seine Botschaft ist eine dezidiert Linke. Die Idee ist vielmehr durch detaillierte Porträts von ausgebeuteten und geschlagenen Schrottplatz Arbeitern und ihrer Familien ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sehr Gesellschaften fehlgeleitet darin sind, ihre Steuereinnahmen in sinnloses Kriegsmaterial und nicht in gesellschaftlichen Fortschritt zu stecken. Indien tritt hier als übergriffiger Staat auf, der bis in seine kleineren Beamten Positionen den Menschen nur das Leben schwer macht. Eine echte Problemlösung ist so nicht möglich, der Kampf muss um jeden Zentimeter geführt werden und dieser Kampf ist gefährlich.
                                        Leider steht hinter der starken Botschaft etwas die Charakterentwicklung zurück. Die Liebesgeschichte ist nett erzählt und die typisch indischen Montagen aus romantischen Bildern und Songs, durchaus wirkungsvoll, aber da wird dann mehr behauptet als gezeigt. Vielleicht liegt meine geringe emotionale Bindung aber auch nur daran, dass der Hauptdarsteller Attakathi Dinesh, als LKW/Müllfahrer Selvam, ein schwieriger Held ist, der mir nie so richtig nahe kam. Bei allem Verständnis und der sichtlichen Mühe, ihn menschlich und nahbar erscheinen zu lassen, hat er immer etwas Abgehobenes, das nicht zu seiner Rolle, aber dafür mehr zum Bild eines indischen Filmstars passte. Es ist, als wollte er nicht richtig reinpassen, in das, was er zu spielen hatte.
                                        Der Film hat leider auch wieder seine derben Komödien-Elemente, hier wieder primär durch eine Nebenfigur etabliert, die über den Film ziemlich anstrengend wird. Der Film zeigt hier wenig Empathie für seine Nebenfiguren, unter der Forderung nach einer gerechteren Welt liegt auch eine gewisse Mitleidlosigkeit den Figuren gegenüber, die der Film als schwach brandmarkt. Das ist etwas, das mir auch schon in anderen indischen Filmen aufgefallen ist, da ist häufig ein großer Heldenkult um den Hauptdarsteller und parallel gerne eine gewisse Verachtung für lustig gefasste Nebenfiguren.
                                        Der Film an sich ist dann eher solide gefilmt, aber trotzdem schön anzusehen. Er konzentriert sich auf seine wichtige soziale Botschaft, findet aber schon faszinierende Bilder für das Leben auf den Schrottplätzen der westlichen Zivilisation und zeigt immer wieder auch ein kulturell reiches und buntes Indien. Bei den Feiern und religiösen Veranstaltungen ist er dann auch ganz bei sich. Die sehr realistisch gehaltene Kamera hat aber manchmal auch etwas von einer Iphone-Doku im Industriegebiet, was dann den leicht dokumentarischen Ansatz verstärkt.
                                        Als kleine Nebenhandlung der Liebesgeschichte wird dann noch das Thema Zwangsheiraten und die Konflikte rund um das indische Kastensystem aufgemacht und das entfaltet, auch wegen der charmanten Anandhi als Chitra, ebenfalls seine Wirkung. Insgesamt ist ein geschickt zusammengestellter Film entstanden, der ein realistisches Drama aus der Unterschicht im südlichen Indien erzählt und dabei ganz nebenbei große weltpolitische Fässer aufmacht. Das ist dann in seiner Gesamtheit doch beeindruckend, mit welch breitem Schritt und Scope der Film hier auftritt. Ich war gut unterhalten und beeindruckt, auch wenn mir etwas filmische Eleganz fehlte. Um die indische Filmwelt außerhalb Bollywoods zu erleben und um mehr über die indische Gesellschaft zu erfahren, ist das definitiv ein guter Einstieg. Es ist ein starkes Road Movie außerhalb der USA.
                                        Mal wieder vielen Dank für die Empfehlung an Eudora…😁

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                                        • 3 .5
                                          über Salaar

                                          Salaar: Part 1 – Ceasefire ist ein in Telugu gedrehter Actionfilm, der von allem zu viel ist. Die Zeitlupen nerven, die Story ist wirr, die Charaktere sind leere Hüllen, die Action repetitiv und das alles ist viel zu lang. Trotzdem strahlt er immer wieder die Kraft aus, die das indische Kino eigentlich immer hat, etwas, das sich dynamisch und anders anfühlt, aber hier wird es sogleich begraben von Pathos. Ne, so dann nicht…

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                                          • 5 .5
                                            über Nyad

                                            Tja Nyad ist ein nettes Biopic/Sport-Abenteuerfilm über die reale Diana Nyad, hier gespielt von Annette Bening, die mit 64 Jahren die fast 180 km von Kuba nach Florida geschwommen sein soll (der finale Versuch wurde nicht ratifiziert). Wir erleben sie im Alter von 61 Jahren beim Beschluss, einen neuen Versuch nach dem Abbruch 1978 zu wagen, bis zum finalen Versuch 2013. Der Film erzählt dabei ihre persönliche Beziehung zu Bonnie Stoll, gespielt von Jodie Foster zusammen mit einigen technischen Errungenschaften rund um die Überquerung und deutet ein paar kleinere persönliche Konflikte an.
                                            Natürlich habe ich den Film gesehen, um die etwas überraschenden Oscar Nominierungen zu beurteilen, der Film hatte, soweit ich das überblicken kann, ansonsten kaum Erfolg, obwohl er eine weltweit verfügbare Netflix Produktion ist. Das liegt in der Tat aber nicht an den schauspielerischen Leistungen, gerade Jodie Foster ist fantastisch in dem Film und die beiden spielen ihre komplizierte Freundschaft/Business Partnerschaft überzeugend. Es macht Spaß, den beiden dabei zuzusehen, was den Film insgesamt einigermaßen unterhaltsam macht.
                                            Der Film bemüht sich außerdem sehr die eher langweilige dreiundfünfzigstunden Schwimmerei spannend zu gestalten. Es werden dabei Ereignisse im Vergleich zur Realität überdramatisiert, aber als Film ist dann spannend. Leider hat der Film ansonsten aber nicht viel zu bieten, die Konflikte sind arg oberflächlich geraten, auch ein großer Streit nach dem vierten Versuch wirkt nicht wirklich auserzählt. Gerade das Thema Druck, Selbstüberschätzung und Selbstbezogenheit werden angedeutet, aber der Film geht dabei nicht wirklich tiefer als irgendein Fernsehfilm. Die Spannung zwischen den Protagonisten ist spürbar, der Streit überzeugt und wird gut gespielt, aber irgendwie blieb bei mir nicht viel hängen. Es wirkte alles ein bisschen konstruiert.
                                            Auch die Tatsache, dass der Versuch nie anerkannt wurde, spielt im Film keine Rolle, obwohl gerade die Eigenbrötlerei von Nyad immer mal wieder Thema ist, da hätte man die fehlenden Bemühungen, für überzeugende Beobachtung zu sorgen, gut thematisieren können. Der Film geht auch ansonsten sehr wohlwollend mit einigen Aussagen um und verpasst daher auch, auf einiges an logistischer Unterstützung einzugehen. Wie oft in diesen sehr freundlich gestimmten Hollywood Bio-Pics dominiert eine etwas öde Glorifizierung, die wenig Raum lässt für Sichtweisen außerhalb der Selbstsicht der von Nyad verfassten Biografie.
                                            Da es aber kaum Konflikte und schon gar keine größeren Hindernisse gibt, bleibt der Film etwas langweilig. Das Ergebnis steht eben vorher fest und damit wartet man immer nur darauf, dass es so weit ist. Das reiht sich ein in die mittelprächtige Netflix-Kost. Um ehrlich zu sein, ist der Wiki Artikel mit seinen Informationen rundherum und den verschiedenen Links dazu spannender als der Film, auch wenn es sehr schön war, einmal wieder Jodie Foster in ihrer ganzen Energie zu sehen. Vielleicht schaffe ich es nun mir einmal die neue Staffel von True Detective reinzuziehen.

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                                              Deciuscaecilius 26.01.2024, 21:52 Geändert 26.01.2024, 21:55

                                              Poor Things ist eine Steampunk Version der Frankenstein Geschichte mit einigen Anleihen beim Neo-Feminismus und tragikomischen Elementen, die sich schamlos bei den Gesellschafts Satiren der viktorianischen Ära bedienen. Der Mix ist schwierig und manchmal so viel, dass man bezweifeln darf, dass dieser Film ein allzu großes und begeistertes Publikum finden wird, was mir schade erscheint, weil es ein fucking Meisterwerk ist.

                                              Wie wird ein Mensch frei?
                                              Wir sehen die überragende Emma Stone in der besten Rolle ihrer Karriere, und auch wenn sie den Oscar dafür diesmal vielleicht gar nicht gewinnen wird, hat sie jetzt den für La La Land wenigstens zurecht. Sie gibt eine verstörende Darstellung der Bella Baxter, während diese langsam fast unmerklich ihre geistige Adoleszenz erreicht. Nur durch diese schöne und tragische Entwicklung wirken dann ihre brutale Dominanz und diese betörend offene Art erst überzeugend. Manchmal bemerkt man nicht einmal, dass da wieder ein Schritt an Entwicklung stattgefunden hat, so subtil spielt sie die Veränderungen dieser nun wirklich nicht subtil gespielten Figur aus. Ihr unbedingter Freiheits- und Entdeckungsdrang treibt den Film voran.

                                              Geh mir aus der Sonne!
                                              In ihrer Emanzipation muss sie aus der Rolle einer Kindfrau herausfinden und bekommt dazu erwartungsgemäß nicht von jedem Mann Unterstützung. Noch viel mehr als in Barbie werden damit Macht Dynamiken offenbart, die das gesellschaftliche Leben prägen. Die Männer wollen sie führen und sie mit ihrer Liebe in Ketten legen, entsprechend komisch sind dann auch ihre sexuellen Tabubrüche, weil sie zuerst noch erwünscht, dann aber aufgrund des Inhärenten Freiheitsstrebens sogleich wieder unterdrückt werden sollen. Heiraten oder getötet werden ist die Wahl, die man zusteht, aber dieser Körper kann niemandem gehören, weil er keinen sozialen Anpassungsprozess machen muss. Erschaffen von Gott und als ihre eigene Mutter, kann sie als Mensch frei werden, ohne erzogen werden zu müssen. Der Film erschlägt einen aber nie mit seiner Message, es ist am Zuschauer seine Gedanken, um diese Dynamiken zu wickeln. Es ist Kunst für Erwachsene, die ganz ohne herausgestellte Monologe im Kinosaal auskommt.

                                              Die Knappheit von Geld ist eine Krankheit.
                                              Ganz im Gegensatz zu Barbie wird hier dann folgerichtig auch Ökonomische nicht ausgeblendet. Die Frage, ob das Produktionsmittel seine Produktion frei wählen kann, wird nicht zufällig im Zusammenhang mit der Frage nach einer Ehe gestellt. Eine Frau ist kein Territorium, aber man kann sie besitzen, wenn man die ökonomische Macht in Händen hält. Der Bruch des einen ist zwangsläufig mit dem Bruch des anderen verbunden, dem 1% Feminismus aus Sex in the City wird hier geradlinig widersprochen.

                                              Tragik und Komik
                                              Das Besondere hier ist aber die gnadenlose Unbeschwertheit des Ganzen. Es ist einer der komischsten Filme des Jahres, weil er so viel Spaß daran hat, gesellschaftliche Konventionen zu brechen und den Zuseher, daran teilhaben zu lassen. Lachen ist die wirkliche Machtergreifung und der unglückliche Duncan Wedderburn, gespielt von dem glücklichen Mark Ruffalo, ist Kern dieser Botschaft. Ruffalo darf endlich einmal wieder zeigen, dass in ihm ein begnadeter Schauspieler steckt, der uns hier allen als schlechtes und urkomisches Beispiel dienen darf. Höhepunkt ist der Versuch, die gute und ganz sicher symbolisch besetzte Hanna Schygulla als Martha von Kurtzroc vom Schiff zu stoßen. Ich habe laut gelacht in einem schlecht geheizten und spärlich besetzten Indiekino.

                                              Dazu ist es ein berauschend schöner Film, in dem sich zuerst die Farben emanzipieren müssen, aber dann nicht mehr aufhören können zu blühen. In fantastischen Kulissen entsteht eine Welt des viktorianischen Englands, immer wieder gebrochen mit Mode und Design Elementen moderner Epochen. Der Minirock hat genauso seinen Auftritt wie stylishe Sonnenbrillen vor futuristisch modernisierten Stadtansichten quer durch ganz Europa. Jedes Bild ist hier ein Kunstwerk, besonders die Kapitel Einblendungen sind dabei atemberaubend geworden, es ist, als hätten Surrealismus und Realismus ein seltsames Baby geboren. Dazu wird der Sound genauso hart und präzise eingesetzt wie in Oppenheimer, hat aber im Gegensatz dazu mehr Geduld, kann sich zurücknehmen und damit umso wirkungsvoller aufbranden, wenn es nötig ist. Der Score ist gerne dissonant und heftig, was eine weitere Ebene der sinnlichen Überfrachtung hinzufügt.

                                              So wie ich hier nach Worten suche, um den Film zu beschreiben, verwendet auch Bella ihre sich entwickelnde Sprache mit Bedacht. Wir erleben eine präzise Entwicklung eines Sprachschatzes, der sich langsam von wilden bellenden Lauten zum scharfen Schwert der Satire und schließlich der Macht entwickelt. Die Sprache ist es, die diesen Film zum Leben erweckt.

                                              Im noch jungen Kinojahr in Deutschland ist es ein erstes Highlight, aber als Film von 2023 ist es meiner Meinung nach der beste Film dieses Jahres. Poor Things ist schräg, verstörend, gemein, komisch, traurig, philosophisch und vor allem ist er das alles, ohne dass man zu etwas gedrängt wird. Der Film macht nie den Eindruck das er sich erklären wolle oder das es ihm wahnsinnig wichtig wäre, Erwartungen zu erfüllen, vielmehr ist da eine klare Vision zu erkennen, aus der sich jeder nehmen kann, was er möchte. Yorgos Lanthimos hat seine Sprache gefunden und vervollkommnet. Das ist angenehm zu sehen, obwohl es ein krasser Film ist. Puh, das fühlt sich mal wieder nach genau dem an, was man von Filmen erwartet.

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                                              • 7 .5

                                                Fallen Leaves ist der neue Film von Aki Kaurismäki und es ist eine Art romantische Komödie mit sehr düsterem Weltschmerz Oberton. Es spielt in einer zeitlosen Welt, die zwar vom Radio mit Meldungen zum Angriff Russlands auf die Ukraine zeitlich eingeordnet wird, dessen Welt aber stehen geblieben ist, in einem zeitlosen Raum irgendwo zwischen den Achtziger Jahren und heute. Alles im Film sieht etwas nach DDR oder Osteuropa vor dem Fall des Eisernen Vorhangs aus, hat aber gleichzeitig eine schmerzhaft böse kapitalismuskritische Grundstimmung.
                                                Der Film existiert damit in einer seltsamen Zwischenwelt, die manchmal aussieht als hätte es ein Studentenfilm auf eine zu große Leinwand geschafft und gleichzeitig ist da immer ein Zauber, dem man sich schwer entziehen kann, ohne dass man so richtig sagen kann, wo der überhaupt herkommt. Die Hauptdarsteller sind allesamt steif wie Schaufensterpuppen und sagen Sätze und Phrasen vom Abreißkalender, was schräge Komik hat und gleichzeitig fremd und steril wirkt.
                                                H1: Ich bin deprimiert.
                                                H2: Warum?
                                                H1: Weil ich so viel trinke.
                                                H2: Warum trinkst du so viel?
                                                H1: Weil ich deprimiert bin.
                                                H2: Das ist ein Zirkelschluss!
                                                Es sind Menschen aus einer Arbeiterklasse, deren Leben sich seit Jahrzehnten im Kreis dreht, deren Leben man nur anhand der Nachrichten zeitlich einordnen kann. Dabei sind sie immer auf der Suche nach demselben, einer menschlichen Nähe und etwas Zuneigung, jemandem mit dem sie seltsame unwirklich wirkende Gerichte essen können und der neben ihnen auf der roten Couch sitzt, um gemeinsam Radio zu hören. Was für eine Welt, in der dunkle Räume nur ab und zu von Licht erhellt wird, dass direkt auf die Gesichter seiner einsamen Insassen fällt. Es ist ein Film ohne Schauspieler und ohne eine vibrierende Welt, die nur vor sich hin lebt, in der Hoffnung auf ein Happy End, das sich aber immer wieder herausgezögert, weil das Schicksal diese Menschen nicht mag.
                                                Mich hat dieser Film nicht gerade vor Begeisterung aus dem Sitz gerissen, aber seine Stimmung hatte nachhaltige Auswirkungen. Die Szenen bleiben erstaunlich lang im Gedächtnis, weil sie so schräg und künstlich sind, während sie doch irgendetwas universelles Menschliches in uns triggern. Ich weiß nicht, ob ich das weiterempfehlen soll oder nicht, das muss jeder selbst entscheiden. Vielleicht ist es auch etwas, das erst beim nächsten oder übernächsten Mal zündet, etwas das ich nach dem halben Film noch ausgeschlossen hätte und das doch Stück für Stück wahrscheinlicher wird, während die Bilder vor sich hin fermentieren.
                                                Irgendwo in dieser Welt, aus finnischen Schlagern und Arbeitsplätzen aus der Welt von Modern Times, liegt Gold vergraben. Gold einer zeitlosen romantischen Komödie ohne Illusionen und ohne die schönen Models aus Hollywood. Wenn es das ist, was man für achtzig Minuten sucht, dann kann man es nur bei Kaurismäki finden.

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                                                • 8 .5
                                                  Deciuscaecilius 22.01.2024, 22:10 Geändert 22.01.2024, 23:13

                                                  Return to Seoul (in english very telling: All the People I'll Never Be) war Teil von Section Un Certain Regard in Cannes und stand auf der Shortlist der Foreign Film Oscars 2022. Es ist ein Drama von Davy Chou über Fremdheit mit sich und der Identität und dem Versuch einer jungen Frau, die Ihre zu finden. Die Film Debütantin Ji-Min Park spielt Frédérique "Freddie" Benoît, die als Kind koreanischer Eltern geboren wurde, aber noch als Kleinkind nach Frankreich adoptiert wurde und dort als Französin ohne besondere Kenntnisse über Korea und dessen Sprache aufwuchs. Wir sehen sie bei ihrem ersten Besuch dort und dann bei einigen weiteren im Laufe der Jahre.
                                                  Der Film ist gebaut rund um Ji-Min Park, die hier nicht im eigentlichen Sinne schauspielt, sondern eher eine Figur, die sich selbst grob anhand eines Scripts interpretiert. Chou und sie bauen den gesamten Film darum auf und das ist erfolgreich. Vielleicht war es absolut notwendig, das so zu tun, denn der Film ist ansonsten etwas steif. Wir erfahren wenig über Freddie und noch weniger über ihre Absichten, Pläne und Träume, stattdessen sehen wir sie handeln und sie handelt selten so, dass wir es rational nennen würden. Sie spielt Identitäten durch, immer auf der Suche nach einem Anzug, der passt und doch bricht diese Hülle immer wieder, wenn sie mit Menschen konfrontiert wird, die in ihren Sicherheitsbereich eindringen wollen. Die harschen Reaktionen und überstürzten Fluchten machen ihren Charakter schwer aushaltbar, man könnte auch sagen, sie treibt einen in den Wahnsinn.
                                                  Warum also sollte man das gucken? Erst einmal ist es ein sensibles und genau gefilmtes Drama einer jungen Frau zwischen den Welten. Sie ist gefangen in einem Sprachdschungel, der Film wechselt daher auch die ganze Zeit wild zwischen Französisch, Englisch und Koreanisch hin und her und keiner der Protagonisten versteht daher alles, so wie wir als Zuschauer, dank der Untertitel zwar alles lesen können, aber deshalb auch noch lange nicht alles verstehen. Der Film arbeitet mit Auslassungen und springt nach vorne in den Zeiten und in einzelnen Szenen und Bildern ihres Lebens, die manchmal irrational wirken und doch in eine rastlose Suche passen. Das alles entwickelt einen hypnotischen Sog um diese geheimnisvolle Frau, die so schnell von der sichereren Sex Göttin zum unsicheren Mädchen wird und die dann scheinbar plötzlich Geschäftsfrau ist, um doch nur eine schwierige Frau mit Impulskontrollstörung sein zu können.
                                                  So zwischen den Stühlen, Ländern, Sprachen, sexuellen Präferenzen und Familien zu sitzen, tut nicht gut, macht aber eine interessante Geschichte aus, die immer sehr nahe an ihrer Protagonistin bleibt. Nur ganz selten lässt die Kamera Freddie ein paar Meter aus den Augen, um einmal die Welt Südkoreas zu zeigen, oder in die düsteren Nachtclubs Seouls zu steigen. Trotzdem entwickelt sich das, was anfangs fast eine bisschen billig dokumentarisch wirkte, immer mehr zu einem auch optisch interessanten Trip über die Oberflächen einer unbekannten Welt und einer unbekannten Frau. Nur in den fast Musikvideo artig aufgemachten Tanzszenen ist man dann ganz bei ihr und in ihrer schwingenden Welt.
                                                  Ich habe mich irgendwann in dieser Welt verloren, die so intensiv ist, weil diese Identitätskrise die man erlebt, so intensiv ist. Es ist unglaublich, dass Ji-Min Park keine Schauspielerin ist, so überzeugend springt sie durch viele Jahre ihres Lebens und viele Versuche, etwas zu finden, das ihr nahe sein darf. Manche Momente sind herzzerbrechend schmerzhaft, wenn ihr Vater verzweifelt versucht sie bei sich zu behalten oder wenigsten irgendwie Kontakt mit ihr aufzubauen oder wenn sie Beziehungen beendet als würde sie verschimmeltes Brot entsorgen. Wann war eine Frau gleichzeitig so schrecklich und so faszinierend in ihrem Weltschmerz.
                                                  Wenn man sich auf so etwas einlassen kann, wenn man so eine Person ertragen will, wenn man die Zerrissenheit zwischen Kulturen erleben will, dann ist man hier absolut richtig. Hier kann man orientierungslos zwischen den Dingen schweben und Momente davon lieben, um gleich danach die Momente zu hassen, aber am Ende immer in einer Melodie schwingen. Das ist schwer erträglich, manchmal etwas zu lang und immer wieder etwas zu sprunghaft, aber davon abgesehen ein richtig guter Film.

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                                                  • 8 .5

                                                    Es ist ein Wunder, dass heutzutage Debüts so aussehen können. Danny und Michael Philippou ist ein brutaler und beeindruckender Film gelungen, der durch sein Tempo und seine Bildsprache eine Moderne in den Horrorfilm bringt und die Ideen der Youtuber im Hollywoodfilm verankert.
                                                    Es fällt als erstes auf, dass wir es hier mit ausgesprochen dummen Teenagern zu tun haben. Das ist in Horrorfilmen nicht ungewöhnlich, aber diese Truppe ist schon von manischer Lust getrieben, sich zu zerstören. Die Analogie zum Drogenkonsum liegt dabei fast schon drückend deutlich auf dem Tisch, immer wieder werden Parallelen zu Partydrogen gezogen, haben Eltern Angst vor den Auswirkungen des Alkohols und diskutieren schon 14-Jährige über die Auswirkungen des Zigarettenkonsums, um sich dann eine anzustecken. Alles hier ist ein „sowieso“, es geht um Spaß und um ein Verdrängen des Morgens.
                                                    Dazu kommen die immer sofort hoch gerissenen Handys, die jeden noch so verstörenden Spaß digital verewigen und den Postern damit ihre Sekunden des Ruhms gönnen. Im Zweifel wird danach der zu notgeile Hund entfernt und schon geht es weiter. Der Gruppendruck hat sich vom Partyraum auf ein weltweites Publikum erweitert, dem kein Spaß zu absurd ist, um ihn nicht weiter auszureizen. Dann ist da aber noch etwas ganz Altmodisches, die Trauer, eine Trauer, die einem das Leben wegfrisst, die den Toten zu viel Macht über die Existenz gibt, als dass es die Lebenden ausgleichen könnten. Hier helfen auch keine Abschiedsbriefe, die Gedanken der Trauernden drehen sich im Kreis, ihre Dämonen werden tatsächlich nicht locker lassen, obwohl der Film Heilung durch Zeit verspricht.
                                                    Das alles ist dick aufgetragen und subtil kann man das wirklich nicht nennen, aber „Talk to me“ ist eben kein konventionelles Drama, es ist ein Horrorfilm. Hier hört sich dann auch folgerichtig eine Kissenschlacht an wie ein Schusswechsel. Den Philippous ist eine bemerkenswerte Audiosprache gelungen. Der Film erzählt mit seinen Klingeltönen, seiner Musik, seinen Wasserplätschern und seinem allgegenwärtigen Krachen eine intensive Geschichte, die dann nur von den reißenden und brechenden Geräuschen der plötzlich einbrechenden brutalen Gewalt unterbrochen wird. Es sind intensive Momente, weil sie so gut vorbereitet sind und weil die Charaktere etwas bedeuten.
                                                    Sophie Wilde als Mia ist die Entdeckung des Films, sie trägt diese Welt mit ihrer Trauer und ihrer Unsicherheit, die immer wieder in manische Betriebsamkeit ausartet. Von tiefem Mitleid bis zu verzweifelter, aber entschlossener Gewalt reicht ihr Spektrum und sie trägt damit die Emotionen des Zuschauers über die Zielgerade. Was hier an Schuld dargestellt wird, ist schwer zu ertragen. Ohne Gefühl ist jeder Horror wertlos. Der Rest des Casts hat Stärken und Schwächen, aber Joe Bird als Riley liefert für sein junges Alter ebenfalls eine überzeugende Performance ab. Und natürlich ist es immer schön, die gute Éowyn wiederzutreffen.
                                                    Der Film hat einen besonderen Stil, der fast wie im Lehrbuch Einstellungen kreiert, die mit Farben und Kontrasten spielen. Die kippende Kamera ist hier ebenfalls keine Spielerei, sondern eine rhythmisch getaktete Eskalation von Szenen, die immer auf Tempo gehalten werden. Wenn hier der Hintergrund verschwimmt, dann weil er sich der Wahrnehmung unserer Protagonistin entzieht und wenn der Geist sich durch das Milchglas zeigt, dann weil wir langsam in der Trauer zu ertrinken drohen. Es ist erstaunlich, wie reif sich dieser Film anfühlt.
                                                    Gut kondensierte neunzig Minuten dauert das Ganze und dabei ist wenig zu sehen, das optional erscheint. Vermutlich ist der Film nicht so sehr in seine Horrorszenen verliebt, dass er jedem Fan gefallen wird, aber die Effektivität, mit der sie eingesetzt wurden, fand ich super. Der Film fühlt sich immer an, als hätte er einen Plan, ein Konzept, das ihn trägt und die schmutzigen Ecken dabei nicht meidet. Das ist kein Marketing Konstrukt, was man besonders am eleganten und ungewöhnlich konsequenten Ende merkt, hier stand die Vision vor der Drehbuch-Überarbeitung durch ein Studio.
                                                    So segelt der Film auf einem Grat entlang zwischen Arthouse-Drama und richtigem Horrorfilm, wird dem einen oder anderen zu sehr das Eine oder das Andere sein, aber man könnte ihn auch als befriedigende Ehe beider Seiten sehen. Ich jedenfalls fand ihn optisch fesselnd und interessant in seinen Implikationen, insgesamt damit als einen der besten Horrorfilme, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Das heißt nicht, dass er perfekt ist, aber gerade das hin und wieder improvisiert wirkende oder die Verkürzung und Verwirrung um die Motivation von Mia wirken eben trotzdem wie gewünscht. Das ist eine kleine australische Perle am Genre Himmel.

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