Deciuscaecilius - Kommentare

Alle Kommentare von Deciuscaecilius

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    Also machen wir's kurz: Ich glaube, dass Oliver Stone glaubt, dass er hier ein satirisches Meisterwerk über Medien, das Verhältnis von Medien zur Gewalt und über die Faszination des Zuschauers daran gemacht hat. Das mag für seine Zeit stimmen. Der Film reiht sich ein in damalige Versuche, den Kuchen zu essen und ihn zu behalten, und dafür hat er viel Lob erhalten und auch viel negative Kritik bekommen, was aber immer auch mit einer Menge Aufmerksamkeit einherging. Der ein oder andere bemerkte damals aber auch, dass es schwierig ist, beim Blutwurst Rühren das Lebensrecht des Schweins zu diskutieren.
    Ich mag subtile Filme, aber Subtilität ist nicht die Sache dieses Films. Weder in seiner visuell ausufernden und meiner Meinung nach oft hässlichen Cinematography noch in seiner Gewaltdarstellung oder den Darstellungen seiner Charaktere. Der Stil sollte sicher verstörend wirken und gleichzeitig einen künstlerischen Touch verleihen, mir ging das rot flimmernde Gemansche eher auf den Geist. Das Gleiche gilt auch für seine Arschlöcher, die den Tag damit verbringen Menschen zu hassen, um sich das vom Film mit irgendwas mit Medien und schlechter Kindheit erklären zu lassen.
    Ist jemandem aufgefallen, dass Mallory den ganzen Film hinweg missbraucht wird? Der Film adressiert noch den Missbrauch durch den Vater, aber glorifiziert den, der vom gewalttätigen neuen Freund Mickey ausgeht und suhlt sich schließlich in dem der Polizei. Das soll alles satirisch gemeint sein, weil da die Medien schuld sind und sicher gibt es, ganz speziell in den USA, diese medialen Auswüchse der Gewaltverherrlichung und Sensationsgier aber glaubt jemand, das Natural Born Killers seine Zuseher zum nachdenken über Gewalt anregt? Und mit welchem Ergebnis rechnet man? Werden die Zuschauer dann die Verhältnisse in den Gefängnissen der USA hinterfragen, die Polizeigewalt, Real Crime Dokus oder die Gewalt an Frauen? Kann man sich in etwas suhlen, das man kritisiert?
    Es ist ein anstrengender Film, der seinen Spaß damit hat, Menschen brutal zu töten und dessen Protagonisten dafür keinen Grund brauchen, außer einem fröhlich inszenierten kindlichen Trauma. Es sind aber eben nicht die Frauen mit Missbrauchserfahrungen, die tötend durch amerikanische Supermalls ziehen. Mir fehlt irgendein interessanter Gedanke in dem Film, etwas Ruhe, um den Protagonisten Raum zu geben, Menschen zu werden und damit sie die Möglichkeit hätten, etwas zu sagen, das über Floskeln hinausgeht. Dabei verlange ich sicher zu viel, ein solcher Film hätte den kommerziellen Erfolg nicht erzielt. Sein Erfolg ist gerade die Gewalt, gepaart mit dem Label Satire, das ihn ins Gespräch und dann auf die Leinwände gebracht hat.
    Ehrlich gesagt hatte ich den Film auch besser in Erinnerung und war fast erschreckt, wie sehr er mir bei der Neusichtung auf die Nerven gegangen ist. Aber es ist ein Kultfilm, der damals offenbar einen Nerv getroffen hat, und wohl immer noch trifft, auch wenn ich nicht finde, dass er besonders gut gealtert ist. Sein kultureller Einfluss ist aber unbestreitbar und den Karrieren von Juliette Lewis, Woody Harrelson und Oliver Stone hat er nicht geschadet. Alle paar Jahre hat so ein Film offenbar seine Berechtigung, um seine Zuseher satirisch damit zu versorgen, was er kritisiert.

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    • 7
      Deciuscaecilius 23.07.2023, 21:17 Geändert 23.07.2023, 21:20

      Clarence and Alabama fly to Cancún, sounds like a movie.
      “True Romance", geschrieben von Quentin Tarantino und nach der Regie von Tony Scott, ist ein Genre-Mix aus Romanze, Action-Drama und einem Mafia-Film mit dem ein oder anderen Einschub absurden Humors. Es ist ein typisches Tarantino Drehbuch aber konventioneller erzählt. Die Besetzung ist bis in die kleinste Nebenrolle hochkarätig und die Musik von Hans Zimmer. Die Frage muss also sein: Wieso ist das kein so bekannter Kultfilm wie Pulp Fiction?

      Clarence, gespielt von Christian Slater, ist ein einsamer Film Nerd, praktisch Tarantinos Alter Ego, dem die von Patricia Arquette gespielte Alabama begegnet. Die beiden erleben einen wilden Abend, eine wilde Nacht, mit sehr neunziger Sexszene, und sie macht ihm schließlich ein Geständnis. Die beiden belieben trotzdem zusammen werden dadurch aber in eine Gangstergeschichte verwickelt, die bis zum Ende des Films kräftig eskaliert. Eigentlich ist es also eine Fantasy Geschichte für junge Männer, die von der besonderen Frau und dem Abenteuer träumen, der „Fish out of the Water“ Anteil, hat ein paar Anleihen bei Hitchcock, der Gangstersprech ist typisch Tarantino und die weichgezeichnete schmalzige Ästhetik eindeutig Tony Scotts Werk.
      Das alles ist aufgehübscht mit beeindruckenden Auftritten etablierter Hollywood Größen, die Konfrontation zwischen Dennis Hopper und Christopher Walken ist der Hammer, der Gewaltexzess zwischen Patricia Arquette und James Gandolfini eine der heftigsten Szenen die ich je in einem Blockbuster gesehen habe und Gary Oldman spielt brillant einen seiner völlig abgefuckten Charaktere. Jede dieser Szenen ist ein Meisterwerk für sich selbst und der finale Shootout auch großartig. Dazu mag ich die kleine Melodie, die Hans Zimmer dem Film spendiert hat und ach, Arquette ist so fucking sexy in dem Ding, Alter…
      Bleibt noch das Problem mit dem Slacker Slater, der hier nicht ganz mit dem Ensemble um ihn herum mithalten kann. Jede der Nebenfiguren ist über seine Möglichkeiten besetzt, da stiehlt ihm noch ein völlig zugedröhnt spielender Brad Pitt die Show. Die große Liebe wirkt auch deshalb etwas unter den Möglichkeiten, die der Film verlangen würde, um sein Zentrum zu füllen. So richtig konnte sich keiner entscheiden, ob Clarence nur Actionheld, Trottel oder tragischen Helden spielen sollte, also ist es mal so, mal so, ohne einer Sache richtig Rechnung zu tragen. Da beginnen dann auch die Probleme des Films, die vielen guten Einzelteile ergeben kein konsistentes Ganzes.
      Vielleicht fehlt mir am meisten die Energie aus dem Score, die weihnachtliche Grundmelodie ist super, aber die mitreißenden Songs der richtigen Tarantino Filme fehlen. Dazu greift der Humor nicht richtig, der Film ist Drama, soll dabei cool sein und ist dann aber schrecklich albern. Immer wieder wird gewaltig über acted, einige Figuren wie eben Pitt oder sein Kollege Michael Rapaport sind nur als Comic Relief besetzt und das funktioniert eher mittel. Die berühmten Tarantino Dialoge laufen hier des Öfteren ins Leere, die wunderbare Dialog- und Gewaltszene von Walken steht zum Beispiel nur für sich, Walken selbst hat dann keine weitere Szene. Ganz komisch bleiben die merkwürdig deplatziert wirkenden Szenen mit Val Kilmer als Elvis, da ist dann der Wahnsinn beim Drehbuchschreiben, zu sehr durchgegangen.

      So wirkt der ganze Film wie eine Aneinanderreihung toller Ideen und toller Einzelszenen, aber im Ganzen wirkt er leicht ungelenk. Tarantino erschafft Welten, in denen seine Charaktere verwurzelt werden, Scott inszeniert szenisch und hofft, dass das alles am Ende zusammenpasst. Das Ende ist dann auch ein bisschen zu schmalzig und ein paar Längen gibt es auch noch. Sicher kann man das trotzdem gut weggucken, solange einem die 90er Jahre Film Gewalt nichts ausmacht, aber ein Meisterwerk habe ich leider nicht gesehen. Was ich schade finde, denn es ist alles da, und immer wieder ist das großartig und so rau wie heute Filme nicht mehr gemacht werden. Sollte man aber gesehen haben und wenn es nur für einzelne Szenen ist.

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      • 9
        Deciuscaecilius 22.07.2023, 22:13 Geändert 22.07.2023, 22:17

        Reservoir Dogs ist Quentin Tarantino erster Film und das sieht man dem Film auch in der restaurierten Variante an. Das verringert seinen Kultstatus aber nicht, der Heist Film ohne Heist ist ein Klassiker seines Genres und eine zeitlose Schönheit.
        Was dabei besonders beeindruckt ist immer noch der effektive Aufbau des Films. Der Film hat weder viele, noch sehr schöne Schauplätze, aber der geschickte, zeitlich fluide Aufbau des Plots kaschiert das beispielhaft. Die Handlung spielt zwar größtenteils in einem bescheidenen Lagerhaus, aber durch Rückblenden wird die Story abwechslungsreich aus diesem Zentrum heraus erzählt. Das erzeugt Abwechslung und bringt uns regelmäßig ins Freie.
        Der Film startet nach dem berühmten Epilog im Cafe stark, mit einer Szene, in der ungewöhnlich deutlich Schmerz und Verletzungen gezeigt werden, und erzeugt damit effektiv Spannung. Diese Spannung hält er dann über den ganzen Film, weil wir immer wieder durch Einschübe in die dringliche Handlung in der Gegenwart Informationen aus der Vergangenheit eingeschoben bekommen. So bleibt die Haupthandlung frisch und dringlich und man giert trotzdem auf mehr Informationen über das Geschehen. Der erste Akt fungiert dabei als Set-up der Frage nach der Identität des Undercover- Bullen und endet mit dessen Offenbarung dem Publikum gegenüber, der zweite Akt jagt dann gnadenlos in die absehbare Katastrophe. Der Film ist so einfach aufgebaut und genau daher brillant, ein Statement für gute Drehbuchautoren.
        Dabei beeindrucken immer noch die drei verschiedenen Helden des Films, zwischen denen sich der Zuschauer kaum entscheiden kann, weil es kein wirkliches schwarz-weiß gibt. Mr. Orange ist per se der Gute und doch irgendwie ein Gefallener. Mr. White hat einen klaren moralischen Kompass agiert, aber als gnadenloser Gangster. Mr. Pink ist nervig und anstrengend, aber irgendwie der Einzige, der wirklich durchgängig professionell agiert. Es ist Tarantinos große Stärke, diesen Film so klare, und doch in wenigen Pinselstrichen komplex gezeichnete Charaktere geschrieben zu haben. Wir erfahren wenig und sind doch effektiv an ihrem Schicksal interessiert. Das Drama, das sich hier entfaltet, ist daher berührend, obwohl die Jungs alle nicht so sympathisch sind.
        Wir müssen über die heftig einfallende Gewalt reden. Schon hier wird sie effektiv inszeniert, was ihr etwas von der Grausamkeit nimmt, speziell die Musik spielt hier eine große Rolle und ironisiert ganz speziell Mr. Blonds Verhalten. Trotzdem ist das ein harter Film, der schwer an die Grenzen des Genres und vielleicht auch ein wenig darüber hinausgeht. Er zieht aber aus seiner brutal schmerzhaften Klarheit eine intensive Kraft. Gewalt als ästhetisches Mittel ist hier bereits ein typisches Merkmal des Trademarks Quentin Tarantino.
        Die Musik ist dabei ein integraler Bestandteil des Films. Die Songs sind nichts Besonderes, aber sie passen so gut zu den Szenen, pulsieren im Rhythmus der Spannung und besonders der Gewalt, sind nachhaltiger Teil eines besonderen Filmerlebnisses. Ihr Einsatz ist ein Musterbeispiel für alle Filmschaffenden.
        Dieser Film ist ein kleines Wunder, die amateurhafte Filmproduktion macht aus so wenig, so unendlich viel. Der Film ist nie langweilig, zieht sich keine Sekunde, charakterisiert simpel aber effektiv und pulsiert in Gewalt und Musik. Auch heute noch bleibt man fassungslos darüber zurück, dass ein Mann so einen Debütfilm herstellen konnte. Das ist vielfach kopiert worden und doch haben das wenige auch nur in Ansätzen erreicht. Man muss das schon deshalb gesehen haben, weil es meiner Meinung nach der Heilige Gral der B-Movies ist.

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        • 6 .5

          „Uncut Gems - Der schwarze Diamant“, ist ein Thriller mit Adam Sandler, der endlich einmal wieder das tut, was er am besten kann, ein verschrobenes toxisches Arschloch darstellen, ohne dabei auch nur einen Hauch witzig zu sein. Im Gegensatz zu vielen seiner Filme ist das aber hier tatsächlich auch das, was er darstellen soll. Das macht den Film unendlich anstrengend, aber auch faszinierend wie eine immer weiter eskalierende Massenkarambolage.
          Sandler spielt Howard Ratner, einen Diamantenhändler und spielsüchtigen Verrückten, der sich durch ein chaotisches Leben rennt und brüllt. Es ist eine Rolle, die ihm auf den Leib geschnitten ist und die er brillant verkörpert, er lebt diesen Film und diesen Plot. Allein in seinen Augen spielt sich das ganze Elend der Sucht, die Angst, der gespielte Charme, es sind so viele intensive Momente, die er kreiert, dass seine Figur irgendwann scheinbar real zum Leben erwacht.
          Der Film setzt dabei auf Tempo, auf konstante Überforderungen. Von allen Seiten quatschen alle Menschen im Raum durcheinander und übereinander, die Kamera folgt ihnen dabei mäandernd und im Hintergrund rauschen die Geräusche der Stadt. Es ist ein einziger Wahnsinn, der nie aufzuhören scheint, da ist immer pure Energie im Bild und der Score brettert dann hin und wieder auch noch lautstark darüber. Es ist alles wie eine Achterbahn fahren auf Koffein.
          Das ist dann einerseits die große Stärke des Films und aber auch seine große Schwäche. Der Film ist schwer auszuhalten, er macht alles ein bisschen zu viel, alles ist zu dick aufgetragen, zu anstrengend und zu nervig. Speziell dieser Howard Ratner ist eines der größten und anstrengendsten Arschlöcher der Filmgeschichte. Ganz viele Szenen sind körperlich schmerzhaft. Wäre da nicht das wunderbare Ende, man könnte sagen, es ist nicht zum Aushalten. Und für viele Zuseher wird es nicht zum Aushalten sein, allein dem konstanten, oft redundanten Gequatsche, mit seinen ganzen Flüchen und der Fachsprache einer New Yorker Zwielicht Welt zu folgen, ist eine Herkulesaufgabe.
          Indem muss man Spaß und Erfüllung finden aber ich hatte meine Schwierigkeiten damit, das ist auf eine Art brillant, aber mein Gott habe ich den Arsch gehasst. Nicht alles ist logisch in diesem Film, nicht jeder Charakterzug überzeugend, weil alles so schrecklich toxisch ist. Vielleicht ist nur Idina Menzel als Dinah Ratner so etwas wie nahbar, alle anderen sind so sehr Klischees ihrer selbst, dass kaum irgendein Gefühl aufkommen will. Genervt haben mich auch diese eigenartigen langen Kamerafahrten ins Innere von irgendwas, wenn ein solcher Film anfängt philosophisch zu werden, wirkt das wie ein Fremdkörper.
          Insgesamt ist das aber eine bemerkenswerte Leistung von Adam Sandler in einem ungewöhnlichen Film mit interessanten Sujet, der die Nerven der Zuschauer maximal beansprucht. Sehenswert ist das, aber ob ich es nochmal sehen werde, da bin ich mir nicht sicher. Für jeden, der einmal aus dem Einheitsbrei heraus will, und sich im New Yorker Slang suhlen mag, ist das aber der Film. Schön das Sandler das auch noch viele Jahre nach „Punch Drunk Love“ drauf hat.

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          • 7

            Vergiss mein nicht ist ein Film über eine Frau mit retrograder Amnesie, die sich Stück für Stück wieder eine Persönlichkeit erarbeiten muss und natürlich über ihre Umgebung, ihren Mann, die Freunde etc., die sich alle damit arrangieren müssen. Das ist ein Drama in dem eine Komödie steckt und ein Film, der den Menschen analysieren möchte.
            Lassen wir am Anfang einmal die Definition von Retrograder Amnesie zur Seite stehen. Ich weiß es nicht wirklich, aber ich habe meine Zweifel, dass ein solcher Fall so ablaufen kann bzw. ob die Störungen, die hier dargestellt werden, allzu realistisch sind. Am Ende verliert hier die von Maria Schrader gespielte Lena schlicht ihre Persönlichkeit. Zumindest insofern, wie wir unsere Persönlichkeit als etwas betrachten, was sich aus der Summe unserer Erfahrungen, unserer kontinuierlich getätigten Reaktionen auf unsere Umwelt und dem Gedächtnis an zwischenmenschliche Beziehungen definiert.
            Dieser Neustart ist also eine künstliche Anordnung, die uns etwas über den Menschen erzählen soll, über seine Art Beziehungen zu knüpfen, Emotionen zu interpretieren und im Laufe der Zeit zu reifen. Es gibt ein genetisches Grundgerüst und an den Wänden dazwischen wird konstant gearbeitet, das Schöne an dieser Konstruktion ist die theoretische Freiheit, die in den Möglichkeiten des Neubaus steckt.
            Die Last dieses Neubaus liegt dabei auf Maria Schrader, der wir praktisch beim Lernen des Schauspiels zusehen. Sie entwickelt im Spiel aus einem verwirrten desorientierten Wesen Stück für Stück eine Persönlichkeit mit Macken, Habitus und Gestus. Es ist wie der Schöpfungsakt, und auch hier gern aus der Nacktheit geboren, aber eben als schauspielerische Meisterleistung. Dabei nutzt der Film die Möglichkeiten eines blanken Blattes in Bezug zu gesellschaftlichen Normen auch gleich zum komischen Bruch mit der Bürgerlichkeit. Lena darf hier relativ frei auf den Konventionen herumtrampeln, Glas zerschlagen und damit wilde Komik erzeugen. Hinter dem bürgerlichen Drama stand schon immer die Komik.
            Was auch nicht zu kurz kommt, ist die Erotik des Fremden, sexuale Spannung hat es in etablierten Beziehungen irgendwann schwer, aber hier darf faktisch ganz neu begonnen werden. Diese Neue Welt erkundet der Film genüsslich und spielt in den letzten zehn Minuten ganz köstlich damit.
            Letztlich fragen wir uns, wie unser Ich entsteht, aber ich bin mir nicht sicher, ob der Film wirklich Antworten darauf hat, aber er exerziert seine Prämisse unterhaltsam und spannend und zieht eine ganze Menge an spannenden Konflikten aus der Neugeburt. Allein dieses Tagebuch, durch das die alte Lena, sowohl die neue Lena, wie auch ihre Umwelt formt, ist eine wunderbare Idee und schreiend komisch.
            Trotz dieser Stärken hat mich die ein oder andere Szene gestört in der Lena konstruiert, kindlich wirkt und damit etwas an der Glaubwürdigkeit der ganzen Prämisse kratzte. Da ist dann auch etwas Fremdscham in vielen Momenten, die auch deshalb entsteht, weil das größtenteils völlig abgekühlte von Schraders Spiel kaum emotionale Bindung erzeugt. Mir fehlte eine Person, die mir ans Herz geht, die so wirklich wirkt, dass sie mich rührt. Das klappte nur in den ersten Minuten, in denen Lena noch völlig hilflos wirkte, danach waren sie und vor allem ihre ganze Umgebung zu künstlich klischeehaft großbürgerlich. Da war der Auftritt vom gewohnt entspannten Ronald Zehrfeld als Roman, leider der einzige wirkliche emotionale Ankerpunkt.
            Insgesamt ist es damit nicht der ganz große Wurf, sondern deutsches Kino, das stark an seiner Prämisse hängt und damit zu kühl bleibt. Kann man aber gut ansehen.

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            • 7 .5

              Copie conforme - Die Liebesfälscher kann man am besten als Arthouse Film beschreiben, es ist eine künstliche Anordnung, ein Konstrukt an dem Themen wie Liebe, Kunst, Originalität und der Wert von Dingen und Konzepten im Bezug zu verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden soll. Die Anordnung ist spannend, hat einen schönen italienischen Schauplatz und mit Juliette Binoche eine der Ikonen europäischer Schauspielkunst als Protagonistin.
              Wo wir auch bei ihr wären, sie gibt dieser künstlichen Welt ihren Charme, vermutlich hätte der Film ohne sie auch nicht funktioniert. Ihre natürliche Verletzlichkeit, die kleinen Unsicherheiten und die dann aufkeimende sehnsüchtige Verzweiflung, sind wunderbar gespielt und erzeugen wirkungsvoll Nähe. Das ist wichtig, weil William Shimell eine ganz andere Rolle hat, er wirkt steif und unnahbar und soll das auch. Es ist eine typische Amateurdarstellung, die von einer Natürlichkeit leben soll, die aber dann auch nicht viel Nähe vermittelt. Im Konzept des Films passt das gut, ich hatte aber nicht wirklich Spaß an seiner Darstellung.
              „Ich heirate nicht, um allein zu sein.”
              Worum geht es? Na ja, irgendwie um ein Paar, das sich entweder gerade kennengelernt hat, oder seit 15 Jahren verheiratet ist oder irgendeinen Status dazwischen hat. Es ist nicht klar, so wie manchmal nicht klar ist, was eine perfekte Kopie eigentlich von einem Original unterscheidet, eben primär unsere Rezeption der Sache. Das ist dann das zweite Thema des Filmes, die Frage, wie sich Dinge im Wert unterscheiden, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtet. So verändert sich auch unser Blick auf das offene Ende des Films, der immer etwas anderes vermuten wird, je nachdem wie wir die Ereignisse davor interpretiert haben. Der Film könnte eine Romanze sein, pure Comedy oder ein Drama, wir entscheiden das am Ende.
              „Es wäre dämlich, wenn wir uns unglücklich machen würden wegen unserer Idealvorstellungen.“
              So kann man sich auch fragen, ob wir die Mona Lisa bewundern, weil sie im Louvre hängt oder weil sie ein schönes Bild ist. Was ist der Frau hier wichtiger, eine ganz besondere Sache zu erhoffen oder etwas in der Hand zu haben? Ist der stotternde dickliche Mann, der ihr verfallen ist, besser oder schlechter als der distanziert nachdenkliche Fels, dessen Intellektualität beeindruckt, der aber nicht wirklich da ist? Es kann und soll hier keine Antwort geben, es ist eben eine Frage des Blickwinkels. Abseits des Blickwinkels ist es aber auch die Frage danach, was wir wollen?
              „Wenn wir mehr Nachsicht mit den Schwächen des anderen hätten, wären wir weniger allein.“
              Wir können die Geschlechter einteilen, der Frau das Emotionale zusprechen und dem Mann das Kontrollierende und es dann dabei belassen, ein Leben führen in den Standardisierungen mit allen ihren Vor- und Nachteilen. Genauso gut können wir versuchen, unsere Nische zu suchen und die Welt aus der Schublade zu holen, um dabei zu riskieren, nicht alles erreichen zu können. Manchem ist das Original an sich wichtiger als eine mehr oder minder funktionale Kopie, sie werden damit nicht leben wollen.
              Der Film ist ohne Frage steif, ein schön gefilmtes Kunstwerk, das aber auch sehr künstlich daherkommt. Es ist verkopft und schwelgt in Bildern, die langsam bis zum Stillstand auf dem Bildschirm verweilen. Man muss sich einlassen auf diese Spielerei, auf einen Ausflug in eine Welt der Kunst und den Spaß daran in ihr zu interpretieren. Das ist kein Liebesfilm und kein Drama, sondern ein Gemälde, das erschlossen werden will, aber dabei verschlossen bleiben kann. Im letzteren Fall spielt dann die Frage nach Original oder Kopie keine Rolle mehr, wenn man an der Oberfläche bleibt, ist das hier keine gute Unterhaltung.

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              • 8 .5
                Deciuscaecilius 12.07.2023, 22:40 Geändert 12.07.2023, 22:43

                Frances Ha, ist ein Schwarz-Weiß Film der sichtlich in der Tradition der New Yorker Woddy-Allen-Filme steht und uns eine siebenundzwanzig jährige Frau zeigt, die nicht erwachsen werden kann und will. Daran verzweifelt aber erst einmal weniger Sie, als wir die Zuschauer, die wir diesen schwierigen Akklimatisierungsprozess begleiten müssen. Ob man das mag oder nicht hängt stark davon ab, ob und wann man Verständnis und Nähe zu dieser komplexen Figur aufbauen kann.
                Der Film ist an der Oberfläche reduziert und simpel in seiner Bildsprache, aber das ist nur Understatement. Er nutzt sein schwarz-weiß geschickt für Kontrasteffekte, spielt viel mit dem Licht und hat ein paar schöne Ideen für die wenigen Außenaufnahmen in New York. Es ist eine kleine, aber feine Schönheit, die den Film damit umgibt, und das lässt dem Zuseher Zeit und Muße, sich auf die Bewegungen und Interaktionen der Protagonisten zu konzentrieren. Hier wurde mit großem Aufwand viel Mühe darauf verwendet, klein aber edel auszusehen.
                Im Mittelpunkt steht Greta Gerwig als die titelgebende Frances Halladay, ihre Leistung ist beeindruckend, wie auch die ihrer Kollegen. Die natürliche Ausstrahlung stand hier ganz klar im Fokus und das wirkt manchmal, als wenn Gerwig in einer Doku auftreten würde. Alle Bewegungen und Gesten sind klar choreografiert, aber sie sollen gegenteilig wirken und so entsteht gerade durch detailverliebte Genauigkeit der Eindruck großer Natürlichkeit. Es entsteht langsam eine Nähe zu der überbordend agilen Francis, deren Lust am Leben die Räume füllt. Gerwig gelingt es aber auch, den Schmerz zu visualisieren, der unter dem allem liegt, ohne dabei plakativ werden zu müssen.
                Es ist der Schmerz, der entsteht, wenn man die Verantwortung unendlich hinauszögert, es ist der tiefe Schmerz der Einsamkeit als Preis für dieses Leben. Frances braucht ständig Menschen, um ihr zu entfliehen, aber sie bräuchte eher Einsamkeit, um erwachsen zu werden. Es ist der Teufelskreis, in der sich unsere Figur befindet und in der sie so unendlich anstrengend ist. Oh mein Gott, wie anstrengend ist dieses übergroße Kind, wie schrecklich Hip ist sie mit ihren knapp dreißig Jahren, es ist anfangs unerträglich und sägt an den Nerven des Zuschauers wie eine weinende Säge am Ohr des Schlafenden.
                Wann kommt also der Moment, an dem man plötzlich merkt, wie sehr sich der Film dessen bewusst ist, wie sehr er selbst das Hipstertum infrage stellt, und wann versinkt man plötzlich im unerträglichen Schmerz ihrer Einsamkeit? Ich glaube, der Moment kommt irgendwann für jeden aufmerksamen Zuschauer, aber nicht unbedingt an derselben Stelle. Es ist der Moment, in dem der Film von etwas Unerträglichem zu etwas Großartigem wird. Es ist auch der Moment, wo der Humor in diesen Film dringt, indem sich die Tragik so sehr aufgebläht hat, dass sie sich in ihrer Komik auflöst.
                Dieser Film ist ein Kleinod, das schauspielerische Finesse mit einem naturalistischen Skript zusammenführt und damit eine Milieu Beschreibung der umsorgten Generation erzeugt, die Generation die Angst hat, sich zu entscheiden, sich zu binden und irgendwo anzukommen. Es ist eine unendliche Reise, die irgendwann zur Farce wird. Das ist großartig aber es ist auch nicht mehr als das, der Film hat keinen Punch darüber hinaus, er hat selbst keinen Klimax, keine richtige Handlung, er schwelgt in seinem schwarz-weiß, das auch Hommage ist und sicher nicht nur stilistisches Mittel und will sicher auch nicht mehr.
                Es ist ein Film, der aus der Generation für die Generation kommt und dabei gleichzeitig stolz und selbstbewusst die Vergangenheit zitiert, vielleicht auch, um zu sagen, dass es schon immer so war. Die Möglichkeiten und Voraussetzungen ändern sich mit jeder Generation, aber der Prozess freiwillig und bewusst Verantwortung zu übernehmen, ist und bleibt schwer. Der Film kommt damit schwer aus seiner Nische, aber er ist ein Meilenstein. Das kann nicht jedem gefallen, aber spannend zu sehen ist es.

                3
                • 7
                  über Nimona

                  The film that was too queer for Disney to make. Nimona ist ein computeranimierter Sci-fi Fantasy Abenteuer Film, der eigentlich ganz konservativ erzählt ist. Ein junger Mann soll der erste Ritter aus dem normalen Volk werden, aber es passiert etwas Schlimmes und er bekommt die Schuld dafür. Nun ist er es der sich reinwaschen muss und dazu begegnet er einer lustig schrägen Außenseiterin mit geheimen Kräften und sie wird Sidekick und Freundin für ihn. Eine ganz durchschnittliche Disney Verfilmung also…
                  Let's go dunk that punk in the trunk!
                  Der Film ist super animiert und beeindruckt besonders durch seine energiegeladenen Actionsequenzen, die von gut ausgewählter Rockmusik unterlegt sind. Die Szenen sind fantasievoll und leben von den vielen Ideen bei der Gestaltwandlung und von der Interaktion zwischen den beiden Protagonisten. Das ist dann auch der Kern des Films, die Chemie zwischen Nimona, gesprochen von Chloë Grace Moretz, und Ballister, gesprochen von Riz Ahmed, ist fantastisch. Die beiden funktionieren super zusammen und haben hörbar Spaß bei der Sache. Überhaupt schafft es der Film in kurzer Zeit, das Verhältnis der beiden effektiv und nachvollziehbar aufzubauen und dabei außerdem gut zu unterhalten. Gerade die Gesichtsanimationen von Nimona, gepaart mit der Energie von Moretz tragen den Film. So einfach kann dann der Animationsfilm sein.
                  It would be easier if you were a normal girl.
                  Dass Nimona dabei als Gestaltwandeln weder im Geschlecht noch im Aussehen festgelegt ist, hat Implikationen für sie und offensichtlich für die Gesellschaft um sie herum, aber eigentlich ist das der Standard Konflikt. Der einzige Unterschied hier ist, dass es im normalen Disneyfilm das Ziel ist, den Außenseiter zu reassimilieren und dass dieser das auch erstrebt, auch wenn er sich das anfangs häufig nicht eingestehen mag. Das hier nur eine „ich will akzeptiert werden als das, was ich bin“ Aussage im Raum steht ist ein so kleiner Schritt, dass man sich fragt, was der Big Deal hier sein soll. Das gleiche gilt für Ballister, der Konflikt mit einem „Freund“, wink wink, um die Frage, ob er der Böse ist oder nicht und ein zeitweiser Konflikt zwischen den beiden, ist absolute Standardkost, es erscheint erstaunlich konsequent das „Friend“ gegen „Boyfriend“ zu tauschen.
                  Self-righteousness is the road to disaster.
                  Spannenderweise wartet man selbst auf das große Böse, das die beiden jetzt bekämpfen müssen, so sehr ist man gefangen in dieser Erzählungslogik. Außerhalb der Mauer wartet das Böse und innerhalb dessen muss Ordnung und Wachsamkeit mit strenger Hierarchie gewahrt werden, weil ohne diese Tradition das Böse sofort gewinnen wird. Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung für jeden, der als erster Riss betrachtet werden kann. Nimona ist diese Anarchistin und das ist der wirkliche Tabubruch. Die Idee von Disney Filmen ist es, die „natürliche Ordnung“ wiederherzustellen, in der es Herrscher und Beherrschte gibt, nur dass ein schlechter Herrscher einfach durch einen guten ersetzt wird. Dass es einfach auch ohne Herrscher gehen könnte, liegt außerhalb des Erwartungshorizonts des Konzerns.
                  Die Diskussion um den Film hat ihm aber nicht geschadet, denn offensichtlich ist er schon deshalb ein Erfolg, weil er die zentrale Beziehung geschickt aufbaut, gute Action hat und sich auf seine Kernstärken konzentriert. Er ist aber nicht ohne Schwächen. Die Animationen sind toll aber die Hintergründe etwas steril. Dazu kommt, dass der Film wenig über seine Hintergründe erzählt, der Konflikt zwischen Adeligen und der normalen Bevölkerung ist wenig erklärt und wird noch weniger gezeigt, die Hintergründe der Hauptcharaktere kommen auch etwas kurz. Auch die Nebencharaktere hätten ruhig etwas weniger klischeehaft ausfallen dürfen. Dazu zieht sich das Ende inklusive Rückblenden und dick aufgemaltem Schmalz etwas, da hätte man ruhig zeitlich umlagern können. Es bleibt dann doch eher ein Kinderfilm.
                  Alles in allem funktioniert der Film aber gut, da er zur Sache kommt und die Frage, wer hier Held und wer Monster ist, neu verhandelt. Das ist wirkungsvoll und schafft eine gute Balance zwischen Action und Story. Schön, dass Netflix den Ice Age Leuten ermöglicht hat, das Projekt ohne Disney zu beenden, und dass es sich einreiht in neue Alternativen zum drögen Disney Brei.

                  9
                  • 7 .5

                    The Darjeeling Limited ist ein Film über die Verarbeitung von Trauer, das Verhältnis von Verwandtschaften, speziell zwischen Brüdern und, zumindest behauptet das Wes Anderson, über Indien. Der Film ist dabei ein typischer Road Movie am Schauplatz indischer Zug, während der Fahrt müssen drei Brüder sich selbst und ihren Zusammenhalt suchen und müssen über den Tod des Vaters und die abwesende Mutter hinwegkommen. Durch die Beschränkung auf weniger Personal gelingt dabei ein persönlicherer Film als bei Wes Anderson üblich.
                    Wir immer ist der Film gut besetzt Wilson, Brody und Schwartzman bilden die drei Brüder hervorragend ab, verleihen ihnen die Quirkiness, für die Wes Anderson so berühmt ist, aber sie geben den Charakteren auch die Tiefe, die nötig ist, um mitfühlen zu können. Alle drei sind anstrengend, vielleicht am meisten Wilsons Francis, aber wir bekommen befriedigende Erklärungen für ihre Macken. In Francis Fall zum Beispiel erleben wir erst im Zusammenspiel mit der Mutter, welche Rolle er zwangsweise übernommen hat, und verstehen, warum es gerade ihm so wichtig ist, die Mutter wieder zu integrieren, damit er wieder frei sein kann von dieser Verantwortung.
                    Diese Nähe macht den Reiz des Films aus und es ist das Besondere an genau diesem Werk. Die üblichen Fragen danach, wie Menschen kommunizieren, finden hier Widerhall in Personen, die wir wirklich kennenlernen. Sehr subtil sind einige der Bilder aber nicht, das mitgeschleppte Gepäck, das es loszulassen gilt, die fehlenden Sprachfähigkeiten in Indien, die Verletzungen, die man nicht zeigen will, des Vaters Brille durch die man alles unscharf sieht aber die man trotzdem nicht loslassen kann und den Geruch der Ex, den man durch ganz Indien mitgeschleppt, der Film stopft Bilder um Bilder in die Geschichte und trägt dabei einiges sehr dick auf. Für wie philosophisch man das hält, ist daher jedem selbst überlassen, für einen Unterhaltungsfilm ist es aber so oder so überdurchschnittlich.
                    Trotzdem müssen wir kurz über Indien sprechen. Wes Anderson selbst sagt, es wäre ein Film über Brüder und über Indien und davon stimmt so richtig, aber leider nur die Hälfte. Es ist ein Film, der in Indien spielt, der dabei seine Plotdevices aus dieser Umgebung saugt, vieles bleibt dabei aber nur Hintergrund und Klischee. Sei es die typische exotische Schönheit die den Einheimischen mit dem Westler betrügt, der Tote Junge, der mit seinem Tod den Heilungsprozess der Männer in Gang setzt, die allgegenwärtige Spiritualität, der klauende indische Junge, die einheimischen Jungen die gerettet werden müssen, die Märkte mit gefährlichen Dingen und so weiter. Es sind die Bilder, die wir alle schon so oft über exotische Länder gesehen haben, dass es etwas dumpf wird. Ich verstehe, dass Anderson anfangs ganz bewusst die Ignoranz der Männer einsetzt, aber auch ihr Lernprozess im Verlauf des Films handelt am Ende von Klischees. Es fehlt eine wirkliche Reaktion des Landes, um nicht nur Kulisse zu sein.
                    Insgesamt ist die Botschaft des Films das Glück nicht zu erzwingen und es nicht zu organisieren. Die fließend natürliche Entwicklung mit einem Tod zu beginnen, ist aus meiner Sicht aber auch keine so gute Idee. Auch wenn das viele Filme anders sehen, glaube ich nicht, dass traumatische Erlebnisse, wie ein Kind sterben zu sehen, zu positiver Entwicklung führen. Anderson trägt dick auf, und vielleicht hätten den drei Jungs auch ein paar normale Tage in einem indischen Dorf dabei geholfen, sich wieder selbst sehen zu können. Dabei hätten sie und wir vielleicht auch einmal richtige Inder kennenlernen können.
                    Darjeeling Limited hat seine Schwächen, aber er profitiert vom kleinen Cast und der schönen Atmosphäre im Zug und erzeugt dabei ein besonderes Gefühl, das zum Nachdenken über familiäre Verpflichtungen und das Vertrauen, das es nur in der Familie geben kann, anregt. Die mutige Entscheidung, das Problem mit der Mutter einfach offen zu lassen, beeindruckt und fügt eine interessante Perspektive auf die Pflichten oder besser die „Nicht Pflichten“ einer Mutter hinzu. Das alles zusammen ergibt einen immer noch funktionierenden Film, der seine Wirkung nicht verfehlt.

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                      Deciuscaecilius 07.07.2023, 16:31 Geändert 07.07.2023, 16:34

                      Inherent Vice – natürliche Mängel ist eine Literaturverfilmung des gleichnamigen Romans von Thomas Pynchon. Paul Thomas Anderson versucht hier stilistisch und im Erzählmuster nahe an der Vorlage zu bleiben und übernimmt auch Dialoge und Texte eins zu eins in den Film. Das führt zu einer gewollten Verwirrung des Zuschauers, die inhaltlich auch in der Drogenkarriere des Protagonisten und seiner nostalgischen Erinnerung begründet ist.

                      Hier geben sich diverse berühmte Schauspieler die Klinke in die Hand, alle paar Minuten tauchen neue Gesichter auf und erzählen uns ihren Teil der Geschichte oder auch nur ihre Sicht der Dinge. Wenn man also Lust darauf hat Owen Wilson, Benicio del Toro, Katherine Waterston, Reese Witherspoon, Maya Rudolph, Martin Short, Hong Chau und natürlich den großartig stoischen Josh Brolin in diversen Rollen, beim Spaß haben zuzusehen, ist man hier absolut richtig. Überstrahlt wird das alles vom brillanten tragikomischen Joaquin Phoenix als Larry "Doc" Sportello, der sich wunderbar in diese Welt aus Zukunftsangst und Drogenrausch einfügt. Seine Reaktionen und seine Gefühle bestimmen die Welt, und wohl auch, ob man dem Film etwas abgewinnen kann.

                      Denn das ist nicht ganz so einfach, die Cinematography ist sehr solide und naturalistisch gehalten, aber nicht besonders aufregend, manchmal hat der Film etwas von einer Fernsehdokumentation und der Score von Greenwood ist schön, aber auch eher zweckmäßig eingebunden. Der ganze Film konzentriert sich auf lange Dialoge in Innenräumen, die etwas gestelzt und literarisch von Verschwörungsgeschichten und den Verbrechen des Kapitalismus erzählen. Das ist schon etwas dröge insbesondere, weil die Handlung dazu konfus ist und immer neue Elemente erscheinen und dem Film etwas Traumhaftes geben. Der Humor ist dabei immer vorhanden, aber nie brüllend komisch, es ist dieses absurd komische, dass man aus der Stoner Comedy kennt, aber da liegt auch etwas zutiefst Verlorenes und Trauriges darunter, sodass der große Spaß nicht aufkommen will.

                      People refused to believe that people they knew were actually dead.

                      Das liegt daran, weil wir es im Kern mit einer Trauergeschichte zu tun haben, hier geht die Traumwelt der freien Hippies der 60er im Kapitalismus, in der Gentrifizierung, Korruption und staatlicher Ordnung unter. Vielleicht ist da auch noch mehr, vielleicht sehen wir auch einen Mann in Trauer um die einzige Liebe seines Lebens und bei einer Tour durch seine Erinnerungen und seine Hoffnungen in eine herbei halluzinierte Zukunft. So genau wird das nicht klar und es spielt keine so große Rolle.

                      Es geht eh um den Weg, um eine verrückte Suche durch eine verrückte Welt nach einer Erklärung für das alles. Da muss es etwas geben, das Schuld ist an dem ganzen Elend auf der Welt? Wenn man es locker sieht, kann das eine sehr unterhaltsame Reise sein aber darauf muss man sich einlassen wollen. Der Film ist sperrig und auch seine Unterhaltungselemente, so lustig sie sind, kommen immer auch ernst und verkopft rüber. Es ist genau das, was viele von einer Literaturverfilmung erwarten, eine realistische Abbildung der anstrengenden Literatur Pynchons, die PTA hier so nahe wie möglich umgesetzt hat.

                      Also stürzt euch rein, ignoriert das Ziel, denn es gibt keines und lasst euch treiben wie auf der ersten Reise mit Maria Huana…

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                        Paul Thomas Andersons „There will be Blood“ ist ein Kapitalismus-Drama, eine krasse und harte Abrechnung mit unendlicher Gier und fehlender Empathie. Ohne Frage ist es einer der besten Filme von PTA und sicher gibt Daniel Day-Lewis eine der besten schauspielerischen Leistungen überhaupt ab. In seiner ganzen Härte zeigt der Film fast so etwas wie Humor über die allzu menschlichen Schwächen im Betreiben nach immerwährendem Wachstum, auch noch im Angesicht totaler Vereinsamung.

                        Fangen wir mit Daniel Day-Lewis an, der hier zu Daniel Plainview wird, einem ambitionierten, besessenen Glücksritter, der sich ganz von eigener Kraft vom einsamen Silbersucher zum Ölbaron hinaufarbeitet. Day-Lewis spielt die Figur mit ganzer Körperlichkeit, entwickelt dessen körperliche Gebrechen zur Symbolik, verkrampft sich in typische Halterungen und zeigt damit bei jeder Bewegung seinen Gemütszustand. Die Kamera unterstützt das, indem es uns immer wieder auf sein Gesicht fixiert, in dem allein die Augen von diebischer Freude am Übertölpeln, bis zur rasenden Wut alles abbilden, das menschliche Emotionen hergeben. Die Darstellung sucht ihresgleichen und dominiert diesen Film bis zum legendären Finale, in dem die gebrochene Gestalt zum letzten Triumph des Willens ausholt. Die Bösartigkeit dieses Ausbruchs lässt jeden Horrorfilm wie einen Osterspaziergang wirken. Dieser Film ist ohne Day-Lewis nicht vorstellbar, selten war der Oscar für den Hauptdarsteller so verdient.

                        Der Film brilliert aber auch mit seinem geschickt eingesetzten Score, der dosiert aber effektiv mit teils verstörend atonalen Klängen die Gefühlswelt der Protagonisten aufzeigt, manchmal Hektik erzeugt und uns dann wieder schwungvoll durch totale Schuld und Sühne begleitet. Das Gleiche gilt für die Cinematography, die in langen sich langsam entwickelnden Takes sowohl Weite und Leere der Landschaft, wie auch die Enge der Menschen zeigt und symbolisiert. Der Film definiert sich immer wieder in diesen Gegensätzen, um dann plötzlich in seltenen, aber brutal einsetzenden Schnitten in Explosionen oder Gewalt zu eskalieren. Der Film ist kalt und dabei schmerzhaft nah an den verlorenen Seelen dieser Welt.

                        Ansonsten müssen wir über den Kapitalismus sprechen. Hier geht es um die Akkumulation von Land und Macht, um die Befreiung des Menschen von seinem Land, der repressiven Familie und den daran verknüpften Zwängen, genau wie auch die damit einhergehende zukünftige Abhängigkeit von den Menschen, die nun die Arbeitsmittel besitzen und um seine eigene Vereinsamung. Menschen wie Paul können der väterlichen kleinen Welt auf der Ziegenfarm entkommen, aber nicht wenige werden den Preis mit Einsamkeit, dem Tod in den Mühlen der Arbeitgeber und dem Verlust ihrer kulturellen Wurzeln bezahlen. Davon ist nicht zuletzt Daniel selbst betroffen, der die Familienwerte zum Schein hochhält, aber in den Mühlen des unbeschränkten Wachstums hängen bleibt und dies mit totaler Isolation bezahlt.

                        “I have a competition in me. I want no one else to succeed. I hate most people. There are times when I look at people and I see nothing worth liking. I want to earn enough money that I can get away from everyone. I see the worst in people. I don’t need to look past seeing them to get all I need. I’ve built my hatred up over the years, little by little…”

                        Wie weit geht der Mensch, um zu bekommen, was er begehrt? Der Neid und die Eifersucht, die diesen Frühkapitalisten umtreibt, hindern ihn auch daran, glücklich zu werden, hindern ihn an gesunden menschlichen Beziehungen und auch am Glauben. Dieser Mann ist so von sich eingenommen, dass nicht einmal Gott daneben bestehen kann. Hier steht der neue Übermensch über jeden Glauben und über jede soziale Ordnung. Der fleißige Selfmade Millionär sagen wir anerkennend, trennen ihn von den Faulen, die es nicht geschafft haben, und meinen doch Denjenigen der am skrupellosesten aus dem Blut der Erde, dem Blut seiner Arbeiter und auch seinem eigenen Blut, den Reichtum extrahierte.

                        Der Film bietet Rettung an, nicht im Unternehmen Religion, welches ebenso aggressiv um die Seelen der Menschen feilscht wie der Kapitalismus selbst, aber doch in der Familie. Daniel, das muss man ihm lassen, sucht seine Rettung dort, aber er muss am Ende scheitern, weil seine Hoffnung zu eng darauf gefasst ist, sich selbst in der Familie zu suchen. Seine Gene sollen die Rettung bringen, sein eigenes Gegenstück soll Ruhe vor ewiger Konkurrenz sein und gerade das ist so abwegig, dass es scheitern muss. Asiatische Regisseure wie Hirokazu Koreeda setzten heute der kapitalistisch geprägten Auflösung der Familie in Filmen wie Shoplifters oder Broker das Konzept der Wahlfamilie entgegen aber davon weiß Daniel noch nichts und es hätte ihm wohl auch nichts geholfen, wer das Leben als ständigen Kampf begreift und das Leben allein sozialdarwinistisch angeht, stirbt einsam.

                        Der Film zeigt die amerikanische Ambition in ihrer ganzen sozial-, umwelt- und liebes zerstörerischen Wucht, er zeigt eine Welt im Fortschritt und Rückschritt zugleich. Es ist ein krasser Trip durch eine einzelne menschliche Psyche und einer der besten Filme des zweiten Jahrtausends. Ein Meisterwerk, das man gesehen haben muss.

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                          Deciuscaecilius 04.07.2023, 15:42 Geändert 04.07.2023, 15:45

                          The King ist ein Historienfilm der einen Spagat versucht zwischen einem Shakespeare Drama und einem Historien Kriegsfilm über Henry V bzw. um den Wendepunkt im hundertjährigen Krieg rund um die Belagerung von Harfleur und der Schlacht von Agincourt. Die historischen Ereignisse fungieren dabei, obwohl sie Teil eines Gründungsmythos des modernen Englands sind, mehr als Hintergrund für ein Drama, das sich im König selbst abspielt. Es soll mehr Charakterdrama als Monumentalfilm sein.

                          From this day to the ending of the world,
                          But we in it shall be remembered
                          We few, we happy few, we band of brothers;

                          Das offensichtliche Problem des Filmes ist es, dass er zwar der Handlung des Shakespeare-Dramas folgt, aber ansonsten die Konventionen des historischen Kriegsfilms übernimmt. Hier will wieder jemand den Kuchen essen und behalten, ein reines Shakespeare-Drama schien den Machern wohl zu wenig anregend für ein modernes Netflix Publikum, also musste es ein Hybrid werden. Leider funktionieren so beide Seiten wenig.

                          Ich schätze Timothée Chalamet, der hier König Henry V spielt sehr, aber ein Shakespeare Darsteller ist er nicht wirklich, seine Ansätze große Monologe zu halten versickern und das Skript tut ihm auch keinen Gefallen ihn zuerst als lustlosen Alkoholiker, dann als willenlosen unsicheren König, dann als schlechten Kriegsherren ohne eigene Ahnung und zuletzt als einen dummen Jungen im Angesicht seiner viel cleveren Frau zu präsentieren. Speziell die letzte Szene zwischen ihm und Lily-Rose Depp als Catherine of Valois, ist eine so historisch unglaubwürdige und vollständig aus dem Arsch gezogene Szene, dass man sich beim Zusehen fremdschämt.
                          In einem Shakespeare-Drama darf man ein unsicherer zweifelnder Mann sein, schließlich sind es Dramen, die den Aufstieg und Fall von scheinbar großen Männern hilflos im großen Lauf des Schicksals und in ständiger Wiederholung alter Fehler zeigen. Das ist zeitlos in dieser Form, weshalb es sich so schön auch heute noch auf jede Bühne adaptieren lässt, aber es passt nicht zu einem Kriegsfilm über den ersten richtigen englischen König und es ist keine Hollywood Heldenreise.

                          Der Rest ist dann aber einfach zu wenig, die Mittelalterwelt ist langweilig und reizlos ausgestattet, die Innenräume frei von Eleganz, die berühmte Belagerung von Harfleur ein zehnminütiger Langweiler und Henry ist als fremdbestimmter Charakter ohne Spannung. Richtig geärgert hat mich die absurde Darstellung des Dauphin Louis durch Robert Pattinson, dem hat man offenbar nicht gesagt, dass er gerade keinen Vampir aus einem Jugendroman mehr darstellen soll, seine beiden Szenen wären Tom Cruise in „Interview with the Vampire“ zu dick aufgetragen gewesen. Diese ganzen „Joker“ Bösewichte in historischen Filmen sind so anstrengend, genau wie die blöden Aufforderungen zu Duellen „um die eigenen Männer zu schützen“.

                          Was also bleibt, ist eine ganz nett aufgemachte Schlacht von Agincourt, die wenigstens die Schwere und Gewalt der Zeit spannend rüberbringt, wenn sie auch ansonsten so wohl nicht abgelaufen sein dürfte. Es bleibt ein eher langweiliger Film mit bemühten Hauptdarstellern und einem leicht angerissenen inneren Shakespeare-Konflikt, der auf jeder Kleinstadtbühne vermutlich besser dargestellt wird. So ist das wieder nur ein netter Film als Zeitvertreib, ein weiteres Ergebnis des allwissenden und daher unfehlbaren Netflix Algorithmus.

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                            Little Woman ist ein literarisches Phänomen, aber ein sehr amerikanisches Phänomen, daher sind Filme und Bücher hier nicht so populär. Ich kann daher nichts zu den Büchern sagen und es ist auch meine erste Filmadaption (vielleicht gebe ich mir noch die Winona-Ryder-Version, und wenn ich richtig Lust habe auch noch die mit Katharine Hepburn 😉). Die Faszination mit dem Stoff ist aber auch für mich nun nachvollziehbar. Die Wärme und Nähe, welche die Geschichte abstrahlt und das dabei geschickt eingeworbene Drama, scheint mir tatsächlich das Zeug zu einem Klassiker zu haben.
                            Aber kommen wir zu dieser Version von Greta Gerwig. Der Film ist geprägt von einer interessanten Struktur, in der die Geschichte aus einer farblich natürlichen, leicht künstlich bläulich gefilmten Zukunft, in Zusammenschnitten die Vergangenheit in kräftigen gelben und roten, fast glühenden warmen Farben, erzählt. Immer wieder werden bedeutende Szenen nebeneinandergestellt und so werden zukünftige Ereignisse mit denen vergangener Entwicklungen verglichen. Der Film scheint dabei davon auszugehen, dass die Grundstory bekannt ist, das war zwar bei mir nicht der Fall, aber gerade diese kleine Puzzellei fand ich erstaunlich befriedigend. Der Film passt damit nicht nur gut zur teilweisen, aber nicht vollständig autobiografischen Form des Romans, sondern erzeugt dabei auch eine interessante Dynamik.
                            Die Story wirkt so weniger auf das Ziel Heirat und damit glückliches Ende hin optimiert, sondern eher auf den Weg und die Entwicklung unserer Figuren hin fokussiert. Das Ende ist dabei dann offen dahingehend, ob es nur ein Ende des fiktiven Romans oder der tatsächlichen Geschichte der Autorin sein soll. Das ist alles clever arrangiert und ich war deutlich mehr gefangen in dem Thema, das mir nicht so liegt, wie ich erwartet hatte. Der Gegensatz zwischen der Moderne und dem Traditionellen kommt durch, ohne aufdringlich zu sein. Man möchte es fast als eine Form des sanften Feminismus begreifen, der ganz liebevoll darauf aufmerksam macht, dass es Ungleichheiten gibt, die man beseitigen müsste.
                            Auch die schmalzigen Liebeshändel oder die traurigen Anteile kommen so ganz angenehm daher und wirken nicht aufdringlich und schleichen sich ganz gemein ins eigene Herz ein, bis dann plötzlich ganz unerwartet ein Tränchen rollt. Der Film ist in dieser Hinsicht wirklich bemerkenswert wirkmächtig. Die Atmosphäre verdankt er auch seiner sprühenden Lebendigkeit, seiner ständigen Bewegung, die durch den Wechsel von Gegenwart und Zukunft noch verstärkt wird. Die Cinematography ist einfach, aber schön, die Landschaften wunderbar in Szene gesetzt und selten sah Kerzenschein so heimelig aus und wurde so passend vom Score begleitet. Die große Sache außer der Inszenierung ist aber die Riege perfekt besetzter Schauspieler.
                            Es ist ohne Frage Saoirse Ronans beste Rolle, sie spielt Josephine "Jo" March und dominiert jede Szene. Es ist eine solche Freude und ein solches Drama, sie durch die Geschichte kämpfen zu sehen. Ihr Schmerz über die für Frauen geschlossene Welt ist so überzeugend und ihre Unentschlossenheit der Liebe wegen tut dem Zuseher weh, wie auch ihre Freude das Licht erhellt. Ihre Aura ist so zentral für den Film und es ist so ein Glück, dass ihr gerade Florence Pugh als Amy March entgegengesetzt wurde. Pugh ist ihr perfektes Gegenstück, ein anderer Lebensentwurf, ohne wirklich ihre Antagonistin zu sein. Die beiden großen Schauspielerinnen machen den Kern der Emotionalität aus, während Laura Dern als Mutter March, die Geschichte über die perfekte Familie wundervoll umhüllt.
                            Hier sind sich nicht alle einig, es gibt unterschiedliche Ansichten und Perspektiven aber letztlich stehen alle zusammen. Das ist die Kernaussage und auch die Forderung nach außen, dass eine Gesellschaft die verdammte Pflicht hat, ökonomische und soziale Umstände für den Erfolg eines solchen Modells zu schaffen. Wo es dann einmal an Energie fehlt, bringt die Timothée Chalamet als „Laurie" Laurence in den Film und rundet dabei die perfekte Gruppe exzellenter Schauspieler ab. Gerwig hat hier das Kunststück vollbracht einen hervorragenden und großen Cast auf eine Aufgabe zusammenzuführen, sie vor Ausstrahlung sprühen zu lassen und jedem den Raum für seine Stärken zu zeigen.
                            Eine 150 Jahre alte Geschichte, geschickt neu angeordnet und in die Zweitausender gebracht, ist ein kleines Meisterwerk des Period Piece. Ein angenehmes Drama, eine warme Erfahrung, die man machen sollte. Sicher auch für Deutsche, die nicht familiär sind mit dem Stoff, ein Ereignis und wirklich damit klar zu empfehlen.

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                              Asteroid City ist der Kern, die Kumulation des typischen Wes-Anderson-Stils. Dabei wird glücklicherweise im Vergleich zum schon sehr überbordenden French Dispatch nicht noch einmal einer draufgepackt, sondern tatsächlich wieder mehr in eine klare Geschichte investiert. Ansonsten ist alles beim Alten, der farb übersättigte Stil, die getakteten Bewegungen, die Schauspielerriege, die sich Szene für Szene die Hand gibt, und eine abstrakte artifizielle Betrachtung über Existenz, Kunst und Verlust, das alles ist wieder beisammen und unterhaltsam.
                              Jason Schwartzman als zynischer Kriegsfotograf Augie und Scarlett Johansson als deprimierte Marilyn Monroehafte Schauspielerin, bilden die zentrale Liebesgeschichte und das macht die Beiden überzeugend. Beide schaffen es wenigstens zeitweise in dieses durch und künstliche Gewitter so etwas wie Gefühl und Tragik zu bringen. Fast noch schöner ist die kleine Romanze zwischen ihren Kindern, die allerdings etwas zu kurz im Film kommt.
                              Und wobei man sagen muss, sie spielen eh nur Schauspieler, die wiederum ein Stück spielen und wir sehen sowohl eine Doku über die Entstehung des Stücks als auch die Hintergründe mit den Gedanken und Schwierigkeiten des Autors und des Regisseurs parallel. Es ist diese typische kühle und konstruierte Struktur, die Anderson so schätzt, die aber dem Film viel Wärme nimmt. Alles im Film scheint Meta und die gesamte Konstruktion bringt, zumindest soweit ich das sagen kann, nicht mehr mit, als die Erkenntnis, dass die Macher der Kunst nicht immer alle Implikationen ihrer Kunst überblicken und trotzdem etwas Großes erschaffen können. Nerviger weise singt uns der Film das dann auch in der Form: „Du musst zuerst einschlafen, um aufwachen zu können“ laut und aufdringlich vor.
                              Das ist dann alles ein großer Spaß, die Kulissen sind der absolute Wahnsinn, die Dialoge lustig, die ganzen rhythmischen Spielereien in den Bewegungen und Ausdrucksformen der Schauspieler interessant, und einige Szenen sind wirklich sehr lustig. Auch die Tragik, die langsam in den Film tropft, die Trauer über den Verlust, die Trauer über die kalte Welt, der nach Aussehen eingeteilten Schauspielerinnen, kommt hin und wieder durch. Sie hat es nur schwer in dem ganzen künstlerischen Gewitter. Es ist geflüsterte Lyrik während eines Gewittersturms, man kann die Tragik spüren, aber jeder Donner übertönt sie bei Weitem. Die ganze Fünfzigerjahre Existenzangst, die Angst vor einem Atomkrieg, die Angst vor dem fremden unsichtbaren Gegner, gepaart mit den realen Fragen unserer Sterblichkeit und eines ziellosen Lebens, das im Gegensatz zum Blick eines Schriftstellers auf seine Figuren, keinen Blick über den Tellerrand erlaubt, sind spannende Themen, nur haben sie wenig Platz im Film.
                              Asteroid City ist der Kindheitstraum eingeschlossen zu werden im Candystore, um dann festzustellen, dass bunte Zucker Krusten unangenehm werden, wenn man nicht auch noch Brot und Wasser dargereicht bekommt. Wie vieles von Wes Anderson ist der Film ein audiovisuelles Meisterwerk, das man gut sehen kann, das einem aber nicht den Magen füllt. Das Sättigungsgefühl stellt sich hier schwer ein, dazu müsste der Film wieder etwas aus der Künstlichkeit heraustreten, eine oder zwei visuelle Ideen fallen lassen und in die Tragik seiner Figuren investieren. Wenn dem Jungen, dem die Mutter verstorben ist, eine einzige aufgetupfte Träne über das Gesicht rollt, ist das einfach zu abstrakt, um Empathie zu wecken.
                              Ich war ehrlich gesagt ein bisschen enttäuscht.

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                                “Phantom Thread” – “Der seidene Faden" ist nur ein Liebesfilm, ein Film über einen alten eingefahrenen Künstler, der Musen braucht und Stück für Stück verbraucht. Nichts könnte also gewöhnlicher sein, als einen Film über eine ganz besondere Muse zu machen, diese Eine, die den Kreislauf durchbricht, die das Rad zerbricht. Hier gibt es also nichts zu sehen außer einem Meisterwerk…
                                Daniel Day-Lewis spielt hier nicht den in seinen Manierismen und Gewohnheiten gefangenen Künstler, er ist dieser Reynold Woodcock. Day-Lewis verschmilzt mit der Rolle, passt seinen Akzent an, lässt ihn zittern, wenn er aus der Ruhe gerät, ist distinguiert bis in die gegelten Haare, abgekühlt und auf leise Art grausam, dann hocherregt, kindlich stur, wenn er „fuck you“ brüllt, um sich dann wie ein Baby hilflos einzurollen. Eine Performance, für die man einen Oscar bekommen würde, wenn diese Wahlen nicht ihre eigenen Regeln hätten.
                                Dann ist da Vicky Krieps als seine Muse Alma Elson, die zurückhaltend und schüchtern spielt und doch Kraft aufblitzen lässt. Sie zeigt den Willen, der in ihr steckt ganz subtil und leise und kann mit einem Lächeln seine Seele zerstören oder ihn zur tiefen Liebe rühren. Die dritte im Bunde ist Lesley Manville als Reynolds Schwester, eine beeindruckende Performance der Kraft, ihr Ausdruck der Härte ist zum Schauern schön und jede Drohung von ihr im feinsten höflichen Englisch eine markerschütternde Erfahrung. Es ist der Film dieser drei Schauspieler, die hier miteinander und gegeneinander aufspielen, die damit das Drama aufbauen und auch die ganze Komik dieser absurden englischen Gesellschaft.
                                Es ist ein Film über die Liebe, aber noch mehr ist es ein Film über Macht Dynamiken in Beziehungen, wie sehr wir es brauchen, gebraucht zu werden, und wie wenig akzeptabel und verletzend es ist, nur für die Anwesenheit gemocht zu werden. Dieses Paar kämpft mit der ganzen masochistischen Härte, zu der Liebende fähig sind, durch ihre Beziehung, dass man am Ende kaum noch sagen kann, ob er gebrochen werden wollte oder ob sie diese Entscheidung ganz allein getroffen hat. Ist es zu unserem Besten, wenn wir uns anpassen müssen? Wollen wir angepasst werden, um Liebe und Ruhe zu finden, oder ist uns der ewige sinnlose Kreislauf unserer faulen Gewohnheiten am Ende lieber?
                                Es ist nicht zu beantworten, ob das die toxischste oder liebevollste Beziehung aller Zeiten ist. In jedem Fall ist es nicht langweilig, diesen tiefen Mutterkomplex gewickelt in die Arroganz des Künstlers herausgefordert zu sehen. Das macht die Komik des Filmes aus und ist spannend auf seine sehr leise Art und Weise.
                                Wenn da nicht dieser berührende Score von Jonny Greenwood wäre, der die Stille durchbricht, die Stimmungen anzeigt und uns Wendepunkte mit Musik markiert. Dies ist ohne Frage ein Meilenstein der Filmmusik. Aufgefallen ist mir auch die einfache Kameraarbeit, die aber so effektiv daherkommt, ganz genau werden die Figuren geframed, müssen um die Ecke dem anderen hinterherblicken, hinter den Gegenständen zurückbleiben oder sich mühsam hinein oder hinaus arbeiten in den engen Räumen dieses Geisterhauses. Hier atmet noch eine Mutter, obwohl sie schon lange tot ist, ist sie in der Musik, der Kamera und den Gedanken der Protagonisten ständig präsent. Wo sind die Ghostbusters, wenn man sie braucht?
                                Dieser Film über das englische Frühstück, den englischen Gentleman und seine Mutter, geschaffen vom Kalifornier Paul Thomas Anderson ist der schönste Märchenfilm der letzten Jahre, eine „Beauty and the Beast“ Geschichte im neuen Gewand und im Wandel von Geschlechterrollen. Diese zwei Stunden sind immer wieder gut angelegte Freiheit…

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                                  Barry Lyndon, immer wieder eine ganz schöne Aufgabe, drei Stunden Historien Abenteuer, langsam bis zum Stillstand, mit schwieriger Hauptfigur und wenigen Dialogen, ist der Film Kubricks anstrengendster Film. Es ist aber auch ein Film, der den Aufwand wert ist, ein Meisterwerk an Bildern, an klassischer Musik und in der Analyse des normalen Menschen. Ein Werk, das zeigt, wie sehr der Einzelne egal ist, wie sehr die kleinen Schicksale verschwimmen, wie sehr uns Geschichte trügt.
                                  Filme und ganz besonders die epischen Historienfilme werden geprägt von Helden, das macht Barry Lyndon so ungewöhnlich, seine Hauptfigur ist ein langweiliger, unentschlossener und selbstsüchtiger Mensch. Wir sehen sein Leben, aber er selbst scheint kaum teilzunehmen, er sagt insgesamt wenig, viel erfahren wir nur vom distanziert kühlen Erzähler, der ironisch auf die Menschen dieser Zeit blickt. Man fragt sich, warum man ihn überhaupt mögen soll und vermutlich soll man das auch gar nicht oder nur ab und zu, wenn Barry wirklich versucht, ein guter Mensch zu sein. Er ist dafür ein glaubwürdiges Beispiel für einen normalen Menschen, der oft getrieben und fremdbestimmt durch das Leben strauchelt.
                                  Damit wären wir dann auch bei der historischen Akkuratesse, dieser Film ist Brett, wenn es darum geht. Jede Szene ist mit größter Liebe gestaltet, jedes Kostüm sorgsam ausgesucht, jede Uniform geprüft, jeder Hintergrund mit historisch glaubwürdigen Details gefüllt. Im Hintergrund klingt die Musik der Zeit in wunderbaren Arrangements und im Vordergrund gleiten wir langsam durch Gemäldegalerien und alte Schlösser. Und der Film macht hier nicht halt er inszeniert auch seine Protagonisten wie normale Menschen, nicht wie Figuren die übergroß aus den Geschichtsbüchern steigen, es sind Menschen mit Problemen, mir Fehlern und vieles in ihrem Leben ist nicht übermäßig spannend, nicht einmal dann, wenn sie die großen Fehler machen.
                                  Nur manchmal lässt sich Kubrick erwärmen, zeigt uns stumme, aber intensive Liebesanbahnungen, eine vor Spannung fast zerspringende Duellszene am Ende oder grausam und intensive Szenen aus dem siebenjährigen Krieg. Aber immer bleibt das in dieser Welt, steigt nie heraus, gibt nie zu viel, es ist ein konsequent in der Geschichte lebender Film. Was auch heißt, dass er sicher für die meisten heutigen Filmseher sterbenslangweilig ist. Es ist schwer zu fassen, dieses Gefühl von Bewunderung, diese Faszination, welche dieser Film und seine sich durch die Welt kartenspielende Hauptfigur ausüben.
                                  Es ist so traurig, wie dieser Mann nach etwas sucht, nach einer Identifikationsfigur, einem neuen Vater, der ihm den Weg weist und doch nichts findet außer Lug und Betrug. Ebenso ist es dann nicht verwunderlich, dass er selbst nichts besser kann, als es mit den gleichen Mitteln zu versuchen. So wie er aufgestiegen ist unter dem Druck einer grausamen Welt behandelt er auch die anderen, nur dass diese darauf nicht so reagieren wie er. Wo beim Aufstieg Glück und andere Verhältnisse passen, sind es die neuen Verhältnisse, die dasselbe in das andere, das Falsche verkehren. Barry weiß es nicht besser und er kann es nicht besser. Wie frei ist er in seinen Entscheidungen? Wie frei sind wir alle in unseren Entscheidungen oder ist unser aller Schicksal determiniert aus Genen und Sozialisation? Kann man seinem Schicksal entrinnen?
                                  Barry kann es nicht, er verliert seine Würde im selben Maße, wie er nicht im Stande ist, die Würde anderer zu respektieren. Seine fehlende Empathie macht ihn klein und stopft ihn dahin zurück, woher er gekommen ist. Trotzdem blitzt hier und da etwas in ihm auf, das Hoffnung geben könnte, dass vielleicht etwas in ihm gewesen ist, das mehr war als nur ein Abziehbild aller seiner Vorbilder, die er Papageienhaft nachmacht, ohne Eigenständigkeit zu erreichen. Es ist ein Trauerspiel und ein damit bei aller Distanz der Bilder und des Erzählers ein sehr emotionales Filmerlebnis.
                                  Vielleicht eines, das kaum zu ertragen wäre, wenn da nicht dieser leise Humor unter allem liegen würde. Nicht nur die Ironie des Erzählers, sondern auch die menschlichen Schwächen dieser ganzen Schauspieler, die Eitelkeiten, die absurden Rituale sind mit den paar Metern Abstand zur Projektionsfläche ein Spaß, der Abstand verlangt, aber den man doch genießen kann. Es ist ein Film, der immer mal wieder seine drei Stunden wert ist.
                                  They are all equal now…

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                                  • 7 .5
                                    Deciuscaecilius 27.06.2023, 22:31 Geändert 27.06.2023, 22:31
                                    über Orlando

                                    “Nothing thicker than a knife blade separates melancholy from happiness.”
                                    Sally Porters Literaturverfilmung von Virginia Woolfs Orlando ist ein besonderer und anstrengender seltsamer Film, so anstrengend und seltsam, wie der Roman selbst und damit vermutlich irgendwie adäquat. Es ist eine Geschichte über eine Reise durch die Zeit und durch die Ansprüche an unsere Geschlechter, eine fluide Geschichte, die sich nicht stauen möchte, die fließen will, unabhängig von dem, was man erwartet und verlangt.
                                    Es ist ein bisschen seltsam heute dabei zuzusehen, ein wenig als wäre man in ein Literaturreferat geraten, das über Möglichkeiten philosophiert, aber es hat auch eine erschreckende Aktualität, wenn es Geschlechterrollen in Frage stellt und ihre Bedeutung negiert. Der Film stellt die Frage, was Emanzipation eigentlich erreichen soll, leider scheint man oft anzunehmen, dass es nur um Gleichberechtigung geht, aber vielleicht geht es doch eher um Freiheit, um die Freiheit beider Geschlechter sich zu geben, wie man es selbst gerne hätte…
                                    “He is not a man; he is an enemy.”
                                    Orlando hat so seine Schwierigkeiten mit dem “Mann sein”. Man muss seinen Mann stehen im Angesicht des Feindes, man muss die große Liebe suchen und Verantwortung übernehmen und man darf nicht schwermütig werden. Die ganze Reise, das ganze fantastische Leben in Zeiten von denen die Menschen träumen und doch passt er einfach nirgends hinein.
                                    “The same person, just a different gender.”
                                    Was läge da näher, als einfach zu wechseln, kurz zu schlafen und wieder zu erwachen als man selbst und doch als etwas anderes. Das ist eine neue Chance, aber statt jetzt die Last der Welt tragen zu müssen, trägt man nun plötzlich gar nichts mehr. Die Verantwortung ist weg oder besser ist sie geschrumpft auf die Kleider, das Aussehen und die Familienrolle.
                                    “I might choose not to sacrifice my life caring for my children, nor my children’s children, not to drown anonymously in the milk of female kindness, but instead, say, to go abroad. Would I then be… A real woman?”
                                    Orlando ist ein Traum der einem Roman folgt, in seinen klugen Worten schwelgt und seiner Verspieltheit folgt. Der Film lebt von Tilda Swinton und ihren fragenden Blicken, ihrer Androgynität, ihrem stoischen dabeibleiben. Das ist dabei kein Filmerlebnis im eigentlichen Sinn, es ist mehr eine Kunstperformance, die sich hart am Buch hält und so ganz allein ein wenig verloren wirkt. Mir fehlte etwas Eigenes, Filmisches aber das muss natürlich nicht für jeden gelten. Es kann aber ein unangenehmes Erlebnis sein, so tief in eine Welt gezogen zu werden, in die niemand passt und in der alle nur Literatur sind.
                                    Die Erfahrung kann man aber ruhig einmal machen…
                                    PS: Cool, 9 Jahre seit dem letzten Kommentar...!

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                                    • 5 .5

                                      Outlaw King ist ein Netflix Original und irgendwie passt das auch, es ist ein Historienfilm, der alle glücklich machen will. Der Film will gerade den berühmten Braveheart geraderücken, und ansonsten mit historischer Ausstattung punkten, ohne brutale Schlachten, Gemetzel oder die ritterliche Liebesromanze zu vernachlässigen. Im Prinzip soll also alles besser gemacht werden, als beim historisch sehr freihändig agierenden Vorgänger zur selben Zeitperiode.
                                      Die zentrale Figur Robert the Bruce wird von Chris Pine gespielt, der das ohne Frage gut macht, aber sich scheinbar sehr in eine geschichtliche Interpretation des Charakters eingelesen hat. Er legt Robert nachdenklich und analytisch an, verleiht ihm eine gewisse Kälte, vielleicht gar eine Unsicherheit und vergisst, dabei ihm auch etwas Charisma zu geben. Bewusst oder unbewusst macht der die Figur dabei etwas dröge. Ganz speziell im Zusammenspiel mit seiner Ehefrau im Film Elizabeth de Burgh, die von Florence Pugh gespielt wird. Sie sprüht vor Spiellaune, steht in ihren Szenen im Mittelpunkt und bezaubert mit einem einfachen, aber vor Intelligenz sprühenden Charme. Was leider auch dazu führt, dass die Chemie zwischen den beiden überschaubar bleibt. Eine besondere Erwähnung hier für den tollen Aaron Taylor-Johnson als James „the black“ Douglas, der hat richtig Spaß bei der Sache und rockt alles weg, was ihm an Screen Time geboten wird.
                                      Da sind wir dann auch beim Punkt historische Akkuratesse, der Film ist sichtlich bemüht, hat in realistisch wirkende Kleider, Rüstungen und Waffen investiert und macht einen guten Job bei der Ausstattung und Belichtung von Räumen. Ganz speziell sehen Städte erstaunlich mittelalterlich aus, und bei einigen Ritual Szenen, wie einer Beerdigung und der Hochzeit von Robert und Elizabeth, ist das Ganze atemberaubend schön gelungen. Das sind Ausstattungen, die man so tatsächlich noch nicht gesehen hat. Leider fängt das Grundproblem des Films aber gerade hier an, in einer historisch realistischen, aber absurd überzogenen Kriegsankündigung lässt man zum Beispiel Billy Howle als Edward (später Edward II of England) zwei sehr künstlich aussehende Schwäne an den Hälsen packend Kriegsgeschrei ausstoßen. Das ist so drüber, dass es eher einen unangenehmen und sehr ahistorischen Eindruck verstärkt, genau den Eindruck, den seine Figur eh im gesamten Film hinterlässt.
                                      Wie leider häufig wird hier ein Gut gegen Böse aufgebaut. Wir haben einen Helden, der zwar mit Fehlern belastet ist, aber im Innersten ein sympathischer Dude bleibt und auf der anderen Seite zwei abgrundtief böse englische Herrscher, die natürlich nichts als Tod und Verderben wollen. Gerade Billy Howle überacted sich hier regelrecht in eine Joker Rolle hinein. Das findet dann in der absurden Kampfszene im Match eines Schlachtfeldes seine Kumulation, bei der Howle völlig frei dreht, und dann aber von den Schotten, obwohl besiegt, einfach gehen gelassen wird. Die ganze Mühe, die man sich hier um Authentizität gemacht hat, reißt der Film so ständig mit dem Arsch wieder um.
                                      Und er tut das völlig sinnfrei, denn dahinter ist keine künstlerische Idee zu erkennen, der Film ist nicht mehr als eine nette Nacherzählung früherer Ereignisse, um dann genau darin Fehler zu machen. Ironischerweise fällt er genau deshalb gegen seinen Vorgänger Braveheart so flach auf die Nase. Braveheart war nur eine lustige epische Operette ohne Anspruch auf irgendeine historische Genauigkeit abseits von Namen und Ortschaften, aber er war dann auch aufregend, episch und vor allem groß und drüber, ein Spaß der bei sehr vielen zahlenden Zuschauern gut ankam . Outlaw King dagegen startet stark, dümpelt dann im historischen Dokumentationsstil ein bisschen bräsig vor sich hin, um dann nach einer großen Schlacht, die die Mitte des Befreiungskrieges markierte, plötzlich vorbei zu sein.
                                      Die Frage ist, was dieser Film als Zielgruppe angepeilt hat, ich würde, spekulieren alle Netflix Zuschauer gleichzeitig und deshalb muss er sich nicht wundern, wenn ihn viel zu wenige davon gesehen haben. Für Historiker fällt er am Ende hinten über, für eine Romanze ist dieser Teil zu kurz und der Film insgesamt zu gewalttätig, aber für die Fans von Schlachten ist dann wieder eine Stunde lang Leerlauf. Dem Film fehlt es an Charme, an einer Vision oder einfach an Spaß an der historischen Fantasie. Es ist wie die Hochzeit von Robert und Elizabeth, die Zeremonie ist spannend, die Party verheißungsvoll aber danach muss man alleine schlafen…

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                                      • 7
                                        Deciuscaecilius 24.06.2023, 14:24 Geändert 24.06.2023, 14:26

                                        Es ist die x-te Verfilmung des Stoffs und genau wie alle andern eine Variante, eine Version von Geschichte, die hier weniger Fokus auf Schlachten oder geschichtlicher Deutung legt, sondern sich mehr auf die Dualität der beiden Frauen, Elisabeth der Ersten und Maria Stuart als Herrscherinnen desselben Landes konzentriert. Der Film will die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Frauen herausarbeiten, die sich in dem Konflikt zwischen katholischer und evangelischer Religion und den Konflikten zwischen Mann und Frau spiegeln.
                                        Saoirse Ronan als Maria ist eine überragende Schauspielerin und sie gibt ihrer Figur die Würde und auch die Zerbrechlichkeit, der sie bedarf. Die falschen Entscheidungen bekommen durch ihren Stolz Glaubwürdigkeit und gleichzeitig erscheint sie als liebenswerte Frau. Ihr Willen zur Regentschaft wird klar dargestellt, ohne dabei merkwürdig oder unglaubwürdig zu werden. Sie überzeugt in der sehr zentralen Rolle. Margot Robbie als Elisabeth hat deutlich weniger zu tun, aber sie macht die Entwicklung einer normalen Frau zur kalten Herrscherin glaubwürdig. Den Gegensatz zur Wärme der Maria, kann man hier gut spüren. Eine Erwähnung verdient das zugewucherte Gesicht von David Tennant, der John Knox spielt und in brutalen Reden sichtlich Spaß an der ausladenden Rolle hat, die er hier spielen darf.
                                        Der Elefant im Raum solcher Filme ist immer der Begriff historische Akkuratesse. Ich habe den Eindruck, dass die Frage allerdings weniger bei Blut, Schweiß und Tränen Filmen wie Braveheart öffentlich diskutiert wird, sondern immer dann, wenn ein Film eine neue moderne Perspektive einnehmen will. Plötzlich machen sich dann alle Sorgen darum, dass ein Treffen, das so historisch nicht belegt ist, den Eindruck des Films und vielleicht gleich der ganzen Geschichtsschreibung zerstören könnte. Das ist Unsinn, alle Filme dieser Art sind mal mehr, mal weniger ahistorisch. Die Frage ist, ob der Film eine künstlerische Vision hat, die seine Veränderungen begründet und ob er damit erfolgreich war, daraus etwas Interessantes zu machen.
                                        Diese Frage kann man hier so und so beantworten. Tatsächlich funktioniert die Dualität der beiden Frauen über den größten Teil des Films. Der Konflikt ist spannend und das verzweifelte Streben Marias ist bewegend. Die Perspektive hält den Film auf einem guten Spannungslevel und die Ansätze einer feministischen Sichtweise machen den Film reicher, da sich diese Seite frisch und unerforscht anfühlt. Man muss aber auch sagen, dass manches etwas zu unglaubwürdig und dick aufgetragen wird. Das Treffen, das im Prinzip der Höhepunkt des Films sein soll, ist dann zum Beispiel zu schmalzig geworden. Die Sätze, die dort fallen, wirken etwas zu modern und das ganze „Laken“ Szenario etwas zu bühnenhaft.
                                        Ansonsten war ich aber zufrieden, die Kämpfe der Königinnen um ihre Macht beobachten zu können, und froh darüber, dass keine blau angemalten Männchen komplexe politische Konflikte allein mit dem nackten Hintern lösen. Wenn dann fehlte mir die religiöse Seite des Konflikts, die John-Knox-Figur funktioniert, aber der innere Konflikt von Maria kommt mir zu kurz, sie wirkt nie wie die überzeugte Katholikin, die sie darstellen soll.
                                        Für den Film spricht aber außerdem die wunderschöne Ausstattung, von Kostümen über die akkurat in Szene gesetzten Landschaften, bis zum harten Kontrast der beengten Innenräume, die historischer und glaubwürdiger erscheinen als in vielen anderen Filmen. Das ist alles ein großer Spaß und alleine dafür lohnt sich der Film.
                                        Insgesamt eine gute, wenn auch nicht lebensverändernde Erfahrung. Wer Kostümfilme mag, wird hier etwas Neues entdecken können, wer historische Filme wegen der Schlachten guckt, ist hier aber falsch. Die Reize des Films sind seine Hauptdarsteller, die Ausstattung und seine moderne und intime Perspektive auf unser Bild von herrschende Frauen des sechzehnten Jahrhunderts.

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                                        • 10

                                          Alfonso Cuaróns Children of Men ist ein modernes Meisterwerk, ein dystopischer Science-Fiction-Film in einer gar nicht so fernen Zukunft, in der keine Kinder mehr geboren werden. Es ist eine bedrückende Manifestation von diffusen Ängsten europäischer Bürger vor dem Ende der Geschichte, von einem spurlosen Aussterben und dem Ersatz durch etwas Fremdes.
                                          Als erstes muss gesagt werden, dass ich Emmanuel Lubezkis und Alfonso Cuaróns Cinematography absolut bewundere: Es ist ein fantastisch gefilmtes Werk. Die Mischung aus ungesättigten Farben und den vom tiefhängenden Abendlicht getränkten Landschaften, erzeugt den beeindruckenden Effekt, der bewirkt, dass alle Szenen aus sich selbst heraus zu leuchten scheinen. Die ganze Welt strahlt naturalistisch wie eine Dokumentation und ist dabei fast unnatürlich scharf und detailreich, das immer etwas zu entdecken und zu bewundern ist. Dabei folgt die Kamera ganz nahe und anhänglich den Protagonisten und erzeugt dabei ein intensives mittendrin Gefühl. Kein Moment vergeht, an dem wir nicht mitten in dieser düsteren Welt sind.
                                          Dabei macht die Kamera immer, wenn unsere Charaktere nicht direkt in Gefahr sind, kleine Ausflüge, plötzlich biegen wir ab und tauchen in diese fremde und schrecklich vertraute Welt. Es ist ein intensives Worldbuilding, dass einem das Gefühl gibt, alles mit eigenen Augen erlebt zu haben, es fast besser durchdrungen zu haben als die Protagonisten selbst. Es sind die Szenen, die von den Menschen in der Welt längst nicht mehr gesehen werden, weil sie so fest Teil ihrer Welt sind, dass sie ganz natürlich dazu gehören scheinen. Wir als Zuseher aber können die dunklen Auswüchse der Welt durch die auf Abwegen gehende Kamera erfühlen.
                                          Die Kameraarbeit wird besonders beeindruckend in den intensiv choreografierten Actionszenen, die gern in Long Shots angelegt sind und die so die Zeit zum Stillstand bringen. Action ist nicht der primäre Fokus des Films, aber das macht die Szenen umso wirkungsvoller. Jeder Schuss hier hat Gewicht und jeder Panzer ist eine Urgewalt anstatt ein CGI-Spielzeug.
                                          Wir sehen eine Welt, die kaum wie klassische Science-Fiction wirkt, die weniger wie die Zukunft 4.0 aussieht, sondern mehr wie die Gegenwart 1.2. Bereits vertraut sind uns die unablässig vor sich hin blubbernden Bildschirme, die diese Welt bestimmen, und jeden Bürger mit aufgeregten Nachrichten vollmüllen. Davon abgesehen ist nicht viel Neues zu sehen, das entzaubert die viel beschworene Technikgläubigkeit, nach der all unsere Probleme einfach ohne Verzicht in der nahen Zukunft ganz von selbst gelöst werden, als Illusion. Statt der Vision eines Stanley Kubrick kommt hier mehr der Tarkowski durch, die Welt wird geprägt durch die Gedankenwelt der Menschen, Evolution müsste eine geistige sein, keine Technische. Noch wichtiger ist vielleicht diese schreckliche Nähe der Welt, die obligatorisch zur filmischen Zukunft gehörenden fliegenden Autos vermisst man nicht nur, weil sie cool aussehen, sondern auch weil die Welt dann weiter entfernt wirkte. Cuaróns Welt wirkt viel zu nahe und damit so viel bedrohlicher. Das ist nicht hundert Jahre entfernt, sondern vielleicht nur noch zehn…
                                          Clive Owen ist eine wunderbare Wahl für diesen Theo, der hoffnungslos und Alkohol beschwipst durch diese Welt stolpert und dem ganz stellvertretend für uns die Hoffnung gezeigt wird. Seine persönliche Schwere erfüllt den Film und gibt allen Menschen darin stellvertretend Gewicht. Eine besondere Erwähnung verdient der grandiose Michael Caine als Jasper, er legt die Figur mit so viel sympathischer Verrücktheit an, dass man ihn sofort lieben muss.
                                          Damit hätten wir das Drumherum zusammen, ein Drumherum das eine Geschichte umschließt, die von einer Menschheit ohne Hoffnung handelt. Man könnte es auch als eine Welt im sterbenden Kapitalismus begreifen, in der unser so geliebter Konsum jeden Sinn verloren hat. Was hält eine Gesellschaft zusammen, wenn ihr Vermächtnis nichts mehr wert ist, wenn nichts mehr zählt, weil es keine Zukunft mehr gibt? Die dystopische Krankheit dient hier ganz wunderbar als Allegorie auf eine Welt ohne Geschichte, Sinn und Zweck. Wenn alles nur noch daraus besteht, irgendetwas vor allen anderen zu beschützen, ohne genau zu wissen, wofür man das alles überhaupt braucht, dann entgleiten Moral und Lebenswille schneller als man „Flüchtling“ sagen kann. Die Angst vor dem Kontrollverlust kann zum Verlust unserer Menschlichkeit führen, das Fremde darf nicht zum Angstfetisch werden. Ein Zaun lässt die Menschen besser schlafen, aber Abschottung ist trotzdem kein Selbstzweck und damit wohl kaum der Sinn des Lebens.
                                          Die Welt braucht neue Hoffnung in Form einer Erlösung, interessanterweise durch einen gänzlich vom Sex getrennten Akt. Dahinter steht der dringliche Wunsch nach etwas, das über allem steht und uns Sinn und Zweck bringen kann. Es ist ein alter Traum und ich weiß nicht, ob Cuarón tatsächlich auf ein quasi religiöses Ereignis hinarbeitet. Die Hoffnung im Film scheint mir viel näher zu liegen, stattdessen sucht sie auch in jenem Großbritannien jeder weit weg irgendwo im Nebel des Meeres, weit vor allen Ufern. Es ist eine seltsam komplizierte Suche nach etwas, das in uns ist und nicht da draußen auf dem Meer…

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                                          • 8 .5

                                            Alter, ist Bo Burnham's Inside großartig! Es ist ein durch und durch ironischer Film, der mit dem Drama spielt, und im und mit dem Internet tanzt. Inside ist auch ein Musical mit den erwartbaren Melodien, aber mit beißenden Texten, Stück für Stück werden Internet Manierismen, Darstellungshunger und Selbstoptimierung zerrissen. Darunter liegt auch ein Tabubruch, das letzte Tabu der westlichen Kunstwelt, die Infragestellung des Gewinns, als die heilige Kuh des Kapitalismus.
                                            Es ist nicht ganz klar, aber man kann annehmen, dass die Grenzen fluide sind, inwieweit hier der Künstler und seine Kunst überlappen. Wir haben in letzter Zeit wieder mehr über ein lyrisches Ich gelesen und Bo Burnham lässt hier bewusst offen, inwieweit wir hier etwas Authentisches oder etwas ganz und gar Artifizielles sehen. Es ist eben wie im Internet, in den Storys von Instagram oder den Twitchstreams der Influencer, die Oberfläche soll durchsichtig wirken, ob sie das tatsächlich ist, kann man nur erraten.
                                            In diesem Comedy-Special passt das aber natürlich, es passt zur Satire auf die künstliche virtuelle Welt, in der alles für ein unsichtbares Publikum gemacht wird und ganz besonders die Authentizität. Burnham gibt sich hin damit wir ihn konsumieren können, er zeigt uns seinen kreativen Prozess und seine Schwierigkeiten in der Ausführung, damit wir uns daran laben. Es ist der ewige Widerspruch zwischen einem destruktiven Seelenstriptease und der Sucht des Künstlers nach dem Beifall. Nur hier aus der Sicherheit der eigenen Laube ist er seinem Publikum auch überlegen. Was wir fühlen, ist letztlich das was er will, dass wir fühlen.
                                            Die Technik dahinter ist aber definitiv eine Meisterleistung, wie Burnham hier in einem Raum mit jedem Song und jeder Szene hinter der Kamera eine neue Welt erschafft, ist phänomenal. Diese Kreativität, in jedem Moment eine neue Stimmung zu erschaffen, die Umgebung nur mit Licht, Hintergründen und dem Umräumen des Raums spannend zu gestalten, nötigt ganzen Respekt ab. Das ist in dieser Hinsicht der Gipfel des Entrepreneurs. Die Songs selbst sind unterhaltsam und eingängig, letztlich aber sicher keine Meisterwerke der Musik. Hier geht es um die Texte und ihre Wirkung und diese Wirkmächtigkeit entfalten sie allesamt.
                                            Dann ist da dieser tiefe Schmerz über die Ungerechtigkeit der Welt, manifestiert in der unüberwindbar scheinenden Ungleichheit. Es ist eine angemessene Verzweiflung daran zu spüren, demgegenüber relativ hilflos zu sein. Die Welt wird von den Reichen beherrscht, solange die Produktionsmittel in ihrer Hand sind. Daran ändert sich auch nichts, wenn ein so tiefgründiges und beeindruckendes Special heutzutage von einem einzigen Menschen geschaffen werden kann, seine Vorbereitung und die Finanzierung der einjährigen Arbeit, ist immer noch in der Hand eines Konzerns, und wird es bleiben.
                                            Ist es Kunst, wenn sie niemand hört und niemand sieht? Burnham zeigt, dass die isolierte Arbeit aus seiner Laube heraus einfacher und beruhigender ist als die Konfrontation auf einer Bühne, aber dass es ohne diese Bühne irgendwann an Energie fehlt, um weiter Kunst zu schaffen. Er zeigt und verdeutlicht die großen Zweifel im Schaffen und die schreckliche Rotation aus Selbstkritik über Selbstkritik, wenn ein Ende und Feedback fehlen. Der Mensch ist ein soziales Wesen, er muss nach draußen und er muss mit anderen interagieren, ansonsten geht er ein, wie eine deutsche Fichte im Klimawandel. Es ist der Fluch der Kunst sich nicht isolieren zu können und damit hat sie den Platz gemeinsam mit den Menschen, deren mentale Probleme ihre sozialen Fähigkeiten einschränken. Burnham verbindet beide Übel zu einem intensiven und unter die Haut gehenden Meisterwerk der pandemie bedingten Isolationskunst. Es ist etwas das man gesehen haben sollte.
                                            „Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.“

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                                            • 7

                                              Moonage Daydream ist ein guter Dokumentarfilm. Die Szenen sind kompetent ausgewählt, passend im Rhythmus der Songs geschnitten und es wird in Songs und Interview-Schnipseln die Karriere und Gedankenwelt David Bowies nachvollziehbar zusammengefasst. Das ist, wie zu erwarten, vollständig unkritisch aber im Prinzip wird das niemanden überraschen. Man kann hier zwei Stunden lang gute Musik hören und dazu etwas über diesen Workaholic Bowie erfahren. Das Bild ist dabei nachvollziehbar und zeigt gut seine eigene Entwicklung vom Provokateur, über den süchtigen Künstler bis zum ruhiger gewordenen Lebemann.
                                              Ich finde das ehrlicher als diese ebenfalls unkritischen, aber viel intimer wirkenden Bio- Pics der letzten Jahre, wie Elvis, Rocketman oder Bohemian Rhapsody. Moonage Daydream gibt nicht vor, etwas Besonderes zu wissen oder besondere Einblicke zu liefern, der Film fasst lediglich die öffentlich zugänglichen Informationen zu einem öffentlich dokumentierten Bild der Kunstfigur David Bowie zusammen. Das wird auch klar unterstützt durch Bowies eigene Interviews, in denen beständig betont wird, dass wir hier eine Figur geboten bekommen, eine Projektion aus Fanträumen, experimenteller Kunst und Rock ’n’ Roll Attitüde.
                                              Das macht das ganze Werk zu einem interessanten und befriedigend schönen Dokumentarfilm. Die ganz großen Lobeshymnen kann ich allerdings nicht verstehen, sicher ist der Schnitt überdurchschnittlich gut, aber das ist es dann auch. Es ist ein solider und guter Film, so viel mehr habe ich nicht entdecken können. Was er aber erreicht hat: Hier läuft erst einmal wieder ein Best Off im Hintergrund…
                                              This way or no way, you know I'll be free
                                              Just like that bluebird now, ain't that just like me?
                                              Oh, I'll be free, just like that bluebird
                                              Oh, I'll be free, ain't that just like me?

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                                                Deciuscaecilius 13.06.2023, 23:06 Geändert 16.06.2023, 20:30
                                                über Titane

                                                „Liebe ist ein Hund aus der Hölle.“ Titane ist nicht wie sein Vorgänger RAW, er ist größer, verkopfter, extremer und viel komplexer als der geradlinige RAW. Da RAW schon anstrengend war, kann man sich also vorstellen, was man hier erwarten kann. Titane ist aufreibend und vor allem hat Titane keine Antworten, man mag Fragen haben, man mag nach Logik suchen, aber Erklärungen gibt der Film keine. Was die beiden Filme dagegen verbindet, sind dominante und beeindruckende Hauptdarsteller.
                                                Hier spielt eine fulminante Neuentdeckung Agathe Rousselle, die Alexia bzw. Adrien. Es ist eine Rolle, die mit Körperlichkeit völlig unzureichend beschrieben ist, die Rolle ist eine vollständige Bloßlegung des menschlichen Körpers. Rousselle spielt mit großer Verletzlichkeit und unbändiger Wut, mehr unterdrückter Wut, als man ertragen kann, diese nach Liebe dürstende Frau, diesen hilflosen Jungen und diese grausame, mitleidlose Psychopathin. Das ist alles von erdrückender Wucht und beeindruckender Energie. Nur einer kann sie da aufhalten, der von Testosteron überschwemmte dabei unendlich fragile Vincent Lindon als Vincent. Dieser Kontrast lässt einen Mann entstehen, der so gegen die Konvention spielt, der so konsequent lieben kann, dass Identität schlussendlich keine Rolle mehr spielt.
                                                Dieser Film ist eine Lawine des ambitionierten Kinos, nichts ist hier gesetzt, es gelten keine Geschlechtergrenzen, keine Grenzen der Gewalt und keine Regeln dafür, wo denn nun Intimität enden muss, weil es zu schmerzhaft wird. Der Film entblößt seine Protagonisten, die verzweifelt auf der Suche sind nach Erlösung, nach ein bisschen Liebe und nach Aufmerksamkeit. Alexia findet mehr Zuneigung am kalten Metall der Maschinen als an den warmen Menschen, weder Mann, noch Frau, noch Familie können ihr etwas geben, alles ist nur schlechter Ersatz für wahre Zuneigung. Das Alleinsein ist eine eingeübte, wohl erlernte Fähigkeit, die erst dann aufgebrochen wird, wenn sie Hilfe benötigt und nur dort finden kann, wo die Verzweiflung genauso groß ist wie ihre Eigene.
                                                Wir sehen einen Kreislauf, der mit der Geburt zu enden scheint, als eine späte Erlösung aus dem Leid des Lebens. Wieder wird alles dekonstruiert, das einen menschlichen Körper ausmacht, bis nur noch etwas bleibt, das wir Menschlichkeit oder vielleicht Seele nennen würden. Julia Ducournau sucht da etwas in den schrecklich verformenden Körpern der Menschen, etwas das eine Essenz zu sein scheint, die über alle Körperlichkeit und damit auch über jedem Sex steht, etwas wie himmlische Liebe, auch wenn religiöse Wörter nicht in diesen Film passen. Es mag dann die absolute Akzeptanz unserer körperlichen Existenz sein, die hinter dem liegt, was nach Aufgabe aller Rollenbilder und sozialen Konstrukte übrig bleibt.
                                                Die Suche ist konsequent umgesetzt und mitleidlos inszeniert, nur in den Momenten, in denen die Songs spielen, löst sich die Spannung und macht sich etwas Erleichterung für den Zuschauer breit. Wie schon in RAW sind es diese eingestreuten Tanzszenen, die dem Film Momente der Emotionalität geben, die Alexia uns nicht geben kann. Ein schwer erträglicher Body-Horrorfilm breitet sich damit vor uns auf. Wieder zu intellektuell, um den Voyeurismus zu befriedigen und nun zu wenig an einer Erklärung interessiert, um zugänglich zu sein.
                                                Man könnte glauben, dass es Ducournau egal ist, was wir von dem Film halten, manchmal wirkt es, als wenn diese beiden Storys, diese metalliebende Psychopathin und dieser nach Hilfe suchende junge Mann nur konfrontativ aufeinander zurasen. Es fehlt eine Verbindung, ein Übergang, der von der einen in die andere Welt führt. So bleibt das Gefühl, etwas nicht verstanden zu haben, etwas verpasst zu haben von dem, was Alexia jetzt eigentlich antreibt. Als Experiment ist der Film mutig und furchtlos, aber als Erfahrung fehlt mir eine Bindung, irgendeine Erklärung, wo das alles herkam. Ich wünschte, dass Ducournau etwas mehr Liebe darauf verwenden würde, uns etwas zu erklären, bevor sie es dekonstruiert. Ein bisschen habe ich mir, bei all der dazugewonnenen Größe des Films, eine engere Linie gewünscht, ein Zentrum, in das meine Emotionen hätten fließen können. Glücklicherweise ist da aber wenigstens Vincent, von dem wir wissen, wo er steht und mit dem wir stehen können…

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                                                  Deciuscaecilius 11.06.2023, 20:29 Geändert 16.06.2023, 20:39
                                                  über Raw

                                                  RAW ist ein harter Film, hart zu sich selbst und hart zu den Zuschauern. Die erste unvorbereitete Sichtung kann einen heftig treffen, vom lustigen Versuch sich Haarmoden technisch anzupassen, bis zur „Sache mit dem Finger“ ist es nur ein kurzer Sprung aber ein potenziell langer in Bezug der eigenen Fähigkeiten in den nächsten Stunden Nahrung zu sich nehmen zu können. Trotzdem ist der Film kein wirklicher Horrorfilm, es ist ein Coming-of-Age Drama mit Bodyhorror Elementen und stark feministisch geprägtem Blickwinkel auf Körperbilder.
                                                  Die Hauptdarstellerin Garance Marillier als Justine ist Dreh- und Angelpunkt des Films und eine wahre Wucht, sie legt viel Körperlichkeit in die Rolle, exponiert sich in selten zu sehender Verletzlichkeit und brilliert in allen Konstellationen von hemmungsloser Lust, über Volltrunkenheit bis zum gelangweilten Dasein einer jungen Frau in einer neuen Welt. Unterstützt wird sie dabei vom fabelhaften, aber völlig unbekannten Darsteller Rabah Naït Oufella als Adrien und der Schweizerin Ella Rumpf als Alexia, beide bringen die Energie in den Film. Adrien ist Mister Sympathie und Alexia die böse und liebe, geliebte und gehasste Schwester und das wirkt beiden wie auf den Leib geschnitten. Während Naït Oufella jede Szene mit ruhiger Präsenz füllt, wirkt Alexia wie das Wetter, immer bereit zu einem Wirbelsturm über der Fakultät.
                                                  Diese Fakultät der Veterinärmedizin, dieses ästhetische Verbrechen aus Beton ist der Ort, wo die junge Justine nach einer Identität suchen muss. Ihre Eltern haben sie nicht nur von allen fleischlichen Lüsten ferngehalten, sondern ihr auch wenig an die Hand gegeben, dass eine komplette Frau aus ihr machen könnte. Sie weiß nichts darüber, dass da draußen eine Art emotionaler Kannibalen wohnen, ältere Kommilitonen die den Ersties die Welt zur Hölle machen werden, es ist eine Welt der alten männlichen Rituale und dem mobbing haften laben am Leid der Neuen. Es ist eine Welt, zu der Justine gehören will, vielleicht irgendwie gehören muss, aber sie stellt schnell fest, dass da etwas ist, das nicht passen wird. Ihr Elend ist, das es keinen Weg geben wird sich anzupassen.
                                                  Niemand wird Erwachsen, indem er sich unterdrückt, etwas muss raus aber Justines unterdrückte Gelüste sind nicht das, was in dieser Welt funktionieren wird. Dazu kommt dieser Konkurrenzkampf mit der einigermaßen angepassten Schwester, eine Hassliebe, die sich durch den Film zieht und für viel Schmerz sorgen wird. Das, was Frau ist, wird bestimmt von der Gesellschaft und es hat nicht haarig, schwabbelig, schwitzig oder sonst irgendwie auffällig zu sein. Das Ideal ist, leise und seidenglatt dabei zu sein, nicht zu weit weg von der Mitte, und bloß nicht zu laut und nicht zu auffällig. Das ist für manche nicht zu schaffen, manche die es ins Drama einer unmöglichen Existenz reißen wird. Die Regisseurin Julia Ducournau inszeniert das Drama einer Welt, in der auch der Exzess eingehegt werden muss.
                                                  Am Ende sind wir alle immer noch Tiere, nicht soweit weg von den Affen, wie wir manchmal denken, willens alles zu fressen, zu ficken, zu dominieren, ein dünnes Gewebe hält uns zusammen aus dem es für die eine Seite mehr Ausbruchsmöglichkeiten gibt als für die andere. Wo soll all diese neue Wut, diese neuen Gefühle, die von Hormonen überfluteten Momente der Lust nur hin? Manche finden ihre Nischen, andere müssen sich einhegen und hoffen, dass niemand allzu langlebige Videos gemacht hat. Destruktive Tendenzen nach außen sind etwas Männliches und Justine wird nicht das Privileg zuteil werden, auf Verständnis zu stoßen.
                                                  Na klar, das Thema des Filmes ist eine Allegorie, sicher auch eine wirkmächtige und eine, die zu seiner Einstufung als Horrorfilm führt. Trotzdem versteckt sich dahinter das alltägliche Drama der Identitätssuche in einem Raum begrenzter Möglichkeiten, hier eingefasst in einen Film mit brutal einbrechenden Body Horror, einigen harten Musikeinlagen und denkwürdigen engen hervorragend choreografierten Partyszenen. Der Film hat leider eine etwas zu Fernseh-Hafte, eine zu scharfe Farbabstimmung, ist davon abgesehen für eine Low-Budget-Produktion aber beeindruckend anzuschauen. Die Kraft seiner Allegorie, die grandiosen Schauspieler, die Musik und seine Kamera machen den Film zu Ducournaus frühen Meisterwerk. Für alle die mal zwei Stunden ohne Essen aushalten definitiv eine Empfehlung…

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                                                    Deciuscaecilius 10.06.2023, 17:05 Geändert 16.06.2023, 20:48

                                                    Es ist alles gesagt über Goodfellas, nur eben noch nicht von jedem, daher gern noch einmal ein paar Worte von mir. Es ist nicht wirklich mein Lieblingsfilm, ich mag die analytischen und nachdenklichen Godfather Filme mehr, aber ohne Frage ist das ein sehr guter Film. Ein Film, der „The Sopranos“ möglich und die Mafia Filme in ihrer Gesamtheit geprägt hat. Ein Boysclub 90er Film mit und über toxische Männer und die Rituale der Männlichkeit. Ein gewalttätiger Film über Menschen, die niemandem vertrauen.
                                                    Ich liebe diesen Anfang, dieses direkte Einsteigen in eine fremde Welt und die direkt aufgeworfene Frage des Films: Warum will man so werden wollen? Der Film ist eine lange und ausführliche Antwort auf diese Frage, ohne sie wirklich beantworten zu können. Niemand will so werden und doch wollen alle so werden, es ist eine Frage der Perspektive, wie es für den von Ray Liotta brillant gespielten Henry Hill solche und solche Momente gibt. Das eine ist ohne das andere schwer zu haben, aber was macht man, wenn man das eine unbedingt braucht. Was ist, wenn man nicht wie der Vater werden will, aber nicht werden kann, wie der Ziehvater auf der Straße? Man wird allen beiden irgendwann davonlaufen müssen.
                                                    Es ist die Musik, dieser ungewöhnliche Einsatz von Songs, die den Film prägen. Ihm den immer schneller werdenden Takt verleihen und ihm kleine Storys hinzufügen. Die Auswahl wirkt wie ein altes Mixtape für die aufbrausende Party und treibt den Film damit effektiv voran. Der Film hat eine starke Hinwendung zur Dokumentation, der Stil bleibt dadurch immer distanziert und erklärend. Er beantwortet Fragen, bevor man sie stellt. Wenn man wissen will, warum Lorraine Bracco als Karen diesen Henry so faszinierend findet, dann muss man nur der Kamera folgen, wie sie die Straße überquert, alle normalen Menschen überholt, von allen respektvoll gegrüßt wird und wie Tische herbeigezaubert und die erste Reihe freigemacht wird. Du willst ein Leben auf der Überholspur, dann begleite Henry. Das ist effektiv und verbindet wunderbar Form und Inhalt.
                                                    Es aktiviert auch unsere Fantasien, es zeigt dem Zuschauer eine Welt, die auch ihm gefallen könnte und erklärt daher, warum sie Henry gefällt. Natürlich wirft der Film so ganz nebenbei die Frage auf, wer hier eigentlich die Kontrolle hat und ob man so unsicher leben will, aber von der Sicherheit der heimischen Couch ist das erst einmal eine faszinierende Reise. Abstoßend wirkt dann primär die punktuelle und sehr effektiv eingesetzte Gewalt, die hart zuschlägt und aus dieser Kürze ihre Kraft zieht. Tonangeber dieser Seite ist Joe Pesci als Tommy DeVito, seine ikonische Rolle und eine Wucht an fragiler Männlichkeit und strahlend heller Gefahr für alle in seinem Umfeld. Eine Meisterleistung des modernen Films.
                                                    Es ist eine abgeschlossene Welt, in die wir hier eintauchen und die nicht viel an ihrer Kraft verloren hat, seit der Film erschienen ist. Das Thema fühlt sich zugegeben etwas ausgelutscht an und ich würde daher auch heute nicht mehr jedem die großen alten Mafia Filme empfehlen, aber wirkmächtig war der Film und das ist er auch heute noch. Aufstiegs Geschichten dieser Art faszinieren auch heute noch und am Ende laufen sie unter neuen Umständen heute auch noch ähnlich ab. Ich habe mir schon immer mehr Einblick in die Psyche von Henry gewünscht, hätte gern etwas mehr von seiner Familie gesehen und vielleicht auch das Verhältnis zwischen ihm und Robert De Niros Jimmy etwas näher betrachten wollen aber der Film zeichnet in seiner Länge ein Bild und bestimmt die Akzente dabei eben selbst. Das macht ein Kunstwerk aus und führt zu einem eigenständigen großen Werk der Filmgeschichte.
                                                    Das ist immer noch einen Abend wert.

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