Framolf - Kommentare

Alle Kommentare von Framolf

  • 6

    ++ Minimale SPOILER ++

    Eine fromme junge Frau (Sidney Sweeney) tritt in Italien einer religiösen Sekte bei, in der Frauen nicht viel zu sagen haben und in der auch körperliche Misshandlungen keine absolute Seltenheit darstellen.

    Oh, Verzeihung, falscher Film. Neuer Versuch: Eine fromme junge Frau (Sidney Sweeney) tritt in Italien einer einem Orden der katholischen Kirche bei. Fraglos haben sich nicht wenige Familien in vergangenen Jahrhunderten aus finanziellen Gründen oder durch die Aussicht auf schulische Bildung dazu entschlossen, ihren Nachwuchs in die Fänge bzw. in die Obhut Geistlicher zu geben, die bereits qua ihres Amtes einen Vertrauenvorschuss genossen. Nicht so im Fall von Cecilia, die selbst durchaus überzeugt von ihrem Schritt zu sein scheint. Nach einer Weile wird ihr Fall jedoch ebenso kurios wie rätselhaft, denn Cecilia scheint eine unbefleckte Empfängnis bevorzustehen. Wie ist das möglich? Ein Wunder? Eine Lüge bzw. ein Schwindel? Oder etwas ganz anderes – und wenn ja, was?

    Eines deutet sich bereits früh an: Wer eine Erzählung mit einer derartigen Prämisse beginnt, manövriert sich sehenden Auges in eine Lage, aus der es voraussichtlich nur sehr wenige bodenständige Auswege geben kann: Nämlich wenn es sich um eine vorgetäuschte Schwangerschaft (oder maximal noch um ein Missverständnis oder eine Fehldiagnose handelt). Andernfalls steht wohl eher eine Auflösung im Raum, die man getrost als an den Haaren herbeigezogen empfinden kann. Auf der anderen Seite: Im religiösen Umfeld liegt die Messlatte für Verwunderung dann doch wieder sehr viel niedriger als im weltlichen Bereich.

    Regisseur Michael Mohan macht sich diesen Umstand zunutze, indem er zunächst eine Ästhetik der Makellosigkeit zelebriert, ehe er sich dem Konzept der unbefleckten Empfängnis zuwendet. Von dort aus geht es dann auch klar in Richtung Horror und das Kloster scheint einmal mehr zum cineastischen Hort des Bösen zu werden. Und womit? Mit Recht – auch wenn gegen Ende hin dann so extrem über die Stränge geschlagen wird, dass man sich schon längst nicht mehr diesseits der Trashgrenze bewegt.

    KURZFAZIT

    Die katholische Kirche mal wieder...

    36
    • 6

      Im Eröffnungssatz eines Filmkommentars zu 'Rebirth – Die Apokalypse Beginnt' würde sich der Hinweis anbieten, dass es sich um Found Footage Horror mit Science Fiction Einschlag handelt. Doch das würde vielleicht falsche Assoziationen wecken, auch wenn die Genrezuordnung durchaus korrekt wäre. Von den meisten anderen FF-Horrorstreifen ist man hier dann aber doch ein ganzes Stück entfernt. Dies beginnt bereits mit den Rahmenbedingungen, in denen die Handlung stattfindet: In einer nicht sehr weit entfernten Zukunft verfügt die Kirche über die Macht, verstorbene Personen wiederauferstehen zu lassen. Die Entscheidung, welchen Toten diese Ehre zuteil werden soll, wollen sich die kirchlichen Würdenträger natürlich nicht aus der Hand nehmen lassen. Wohin führt das? Wie wirkt sich die wiedererlangte Macht auf die Kirche als Institution und als gesellschaftlichem Akteur aus? Wie werden sich die Un-Toten als Individuen verhalten und wie als Gruppierung?

      Eines ist absehbar: Wenn das Konzept funktioniert, wird die Kirche enormen Zulauf erhalten, wodurch mittelfristig die Zahl an „Rückkehrern“ steigen dürfte. Gestorben wird schließlich immer; infolge der neuen Möglichkeiten wird der Tod für manche Menschen geradezu attraktiv. Im Grunde ist das hier entworfene Szenario dem in Charlie McDowells Science Fiction Drama 'The Discovery' (2017) also gar nicht mal so unähnlich. Wenn der Tod nicht zwingend das Ende bedeutet, verliert er für einige Menschen eben auch seinen Schrecken.

      In der Geschichte von 'Rebirth' schließt sich der Vater eines verstorbenen und wiedererweckten Jungen als Priester der Kirche an. Dabei stellt er schnell fest, dass (nicht nur) innerhalb der religiösen Institution verschiedene Strömungen existieren und dass sich der Ton und die Lage zunehmend verschärfen. Er sucht sowohl kirchenintern als auch -extern nach Unterstützung; doch bereits kurze Zeit später überschlagen sich die Ereignisse und ein rasant wachendes Bedrohungsszenario baut sich auf.

      Der Stil (man folgt dem Protagonisten über dessen Laptop) ist an sich nicht unbedingt neu; in Kombination mit der Religions- bzw. Sekten- oder Kultthematik dann allerdings doch. Wie es der deutschsprachige Nebentitel bereits andeutet, führt der Beginn, den man gemeinhin mit einer Wiedergeburt verbindet, hier direkt an den Rande eines Abgrundes. Kein besonders verlockender Gedanke, aber zumindest einer, den man in dieser Form noch nicht so oft in einem Spielfilm gesehen hat.

      KURZFAZIT

      Found Footage Horror mit Science Fiction Einschlag...

      33
      • 5 .5

        Der Tod ist das Ende. Bislang war er das zumindest. Doch nun findet ein Forscher (Robert Redford) heraus, dass auch nach dem Ableben noch Wellen messbar sind, die auf eine Post-Mortem-Aktivität der Seele (oder wie auch immer man die entsprechende Essenz nennen mag) hinweisen. Bei nicht wenigen Menschen weckt diese Entdeckung eine gewisse Neugier oder auch Hoffnung und sie stürzen sich in den Freitod, was wiederum dem besagten Forscher angelastet wird. Ein richtiges Leben nach dem Tod kann er zunächst zwar nicht nachweisen, doch er findet im Selbstversuch heraus, dass auch nach dem Eintreten des medizinischen Todes noch Gedankengänge und Erinnerungen aktiviert werden können. In der Folge entsteht um ihn herum ein sektenartiger Kult, während er auf der anderen Seite auch öffentlich angefeindet wird. Vor diesem Hintergrund lernt sein Sohn eine junge Frau kennen, die augenscheinlich nicht mehr viel Freude an ihrem Leben hat. Beide kommen sich näher, wobei sie auf verschiedene Weise (und aus verschiedenen Motiven) auch Interesse für den aktuellen Stand der Forschung entwickeln.

        Wie die Zusammenfassung der Prämisse schon andeutet, konzipiert Charlie McDowell 'The Discovery' (2017) als relativ farb- und freudlose Entdeckungsreise an die Ränder des menschlichen Daseins. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit sorgt eben nur selten für Heiterkeit. So gesehen wird dem Publikum hier auch eine Liebesgeschichte der ganz besonders tristen Art serviert, was jedoch nicht bedeuten soll, dass 'The Discovery' langweilig wäre. Dennoch erscheint der Modus der Inszenierung eher meditativ als kurzweilig-unterhaltsam. Kein Material also für einen lustigen Abend unter Freunden, sondern eher etwas für nachdenklichere Stimmungslagen. Ob sich aus der Handlung konkrete Erkenntnisse ableiten lassen, sei dahingestellt. Doch schaden kann gelegentliches Nachdenken über derlei Themen vermutlich nicht.

        5 – 5,5 Punkte.

        KURZFAZIT

        Schwermütiges Gedankenexperiment.

        36
        • 6

          Von Netflix produzierte True Crime Dokus: Kennste eine, kennste... - die hier noch nicht! Auch wenn der berühmte Streamingdienst ständig auf der Suche nach kuriosen Kriminalfällen zu sein scheint, schert 'Der Teufel auf der Anklagebank' dennoch deutlich aus. Im Kern geht es um den Hauptverdächtigen in einem Mordprozess, der geltend macht, während der Begehung des Kapitalverbrechens vom Teufel besessen gewesen zu sein. Da kann ja jeder kommen... Interessant (nicht unbedingt in juristischer, doch aber in cineastischer Hinsicht) erscheint der Fall jedoch in zweierlei Hinsicht:

          Die Familie des Hauptverdächtigen legt eine ganze Reihe an Ton- und Videoaufnahmen aus früheren Tagen vor, die einen Fall von Besessenheit und den damit verbundenen Exorzismus belegen sollen. Der Einwand, was das mit einer sehr viel später verübten Tat zu tun haben solle, wäre natürlich berechtigt, doch gerade für Fans von Horrorfilmen weist der Fall eine zweite Dimension auf: An den Ritualen zur Teufelsaustreibung war seinerzeit niemand geringeres als Lorraine und Ed Warren beteiligt! Den Fall schlachteten sie damals medial (und letztlich auch pekuniär) regelrecht aus. Abseits der Welt der Filme aus dem Conjuring-Universum sind die Warrens eben nicht nur (vermeintliche oder tatsächliche) Okkultismusexperten, sondern in allererster Linie Geschäftsleute, was auch ihre Auftraggeber deutlich zu spüren bekommen.

          Filmemacher Chris Holt spielt mit den Erwartungen und Vorurteilen des Publikum über das Thema Besessenheit an sich sowie über die Warrens. Über weite Strecken ist nicht ganz klar, worauf seine Dokumentation zulaufen soll und welche Position er schließlich beziehen wird. Überhaupt ist anfangs nicht mal so recht absehbar, inwiefern das Verbrechen überhaupt mit dem zur Tatzeit bereits zurückliegenden medialen Zirkus zusammenhängen soll. Wie ein Pendel bewegt sich der Tenor der Dokumentation zunächst hin und her, ehe absehbar wird, worum es hier eigentlich geht. Dem Mordfall an sich wird dabei nicht mehr Raum eingeräumt als unbedingt nötig. Von detektivischer Puzzlearbeit ist man in dieser Doku also weit entfernt. Stattdessen wohnt man einer skurrilen Erzählung bei, die im späteren Verlauf auf einen entlarvenden Blick auf zwei popkulturelle Ikonen zuläuft. Das Ergebnis ist zwar ganz sicher kein Meilenstein der Filmgeschichte, aber zumindest ein Kuriosum, das eigentlich recht gut mit den Ausstellungsstücken in den Vitrinen der Warrens korrespondiert.

          KURZFAZIT

          True Crime in doppelter Hinsicht: Ein Mordfall und vielleicht auch ein kolossaler Schwindel (begangen von verschiedenen Akteuren).

          33
          • 7 .5

            Oscar Madness (10 Nominierungen)

            „Wenn jemand 'nen Hund getreten hat, kann man ihn leichter verurteilen, als wenn er 'nen Indianer umgelegt hat.“

            ++ Minimale SPOILER ++

            Als auf dem Land des Osage-Stammes Ölvorkommen gefunden werden, kommen die Eigentümer zu plötzlichem Reichtum. Wie so oft, werden dadurch auch allerlei dubiose Gestalten angezogen, die nicht nur ein Stück vom Kuchen, sondern am liebsten gleich die ganze Konditorei haben wollen. Allen voran der zwielichtige Unterweltpate William Hale (Robert De Niro), der in schier grenzenloser Skrupellosigkeit einen diabolischen Plan ersonnen hat: Einer seiner Angehörigen, der etwas einfältig wirkende Ernest Burkhart (Leonoardo DiCaprio), soll in die wohlhabende Familie einheiraten und gemeinsam mit seinem Bruder einen potentiellen Erben nach dem anderen aus dem Weg räumen, bis nur noch er selbst übrig bleibt. Was dieser möglicherweise nicht so recht versteht: Sofern das Vermögen eines Tages auf ihn übergehen sollte, wäre er selbst in allerhöchster Gefahr. Vielleicht aber hat er dies auch längst umrissen und er setzt seine Hoffnungen auf andere Entwicklungen, wie beispielsweise auf ein baldiges Ableben seines „Onkels“ William. Mit letzter Sicherheit lässt sich dies nicht sagen, denn der Protagonist dieser auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte erweist sich als extrem schwer greifbar. Ein beachtlicher Anteil seiner Dialogzeilen besteht ganz offenkundig aus Lügen. Darüber hinaus ist auch nicht immer ganz klar, wann er sich übertölpeln lässt und wann er bestimmte Zusammenhänge ganz bewusst ignoriert. Die diesbezügliche Interpretation des Geschehens bleibt größtenteils dem Publikum überlassen, dem Scorsese in mehreren Aspekten vermeintlich einen großen Wissensvorsprung vor Ernest zugesteht. Während er anfangs als unbedarfter Naivling präsentiert wird, mehren sich mit zunehmender Dauer die Anzeichen, dass er wohl sehr viel bewusster an der Verübung der Verbrechen beteiligt sein dürfte, als er zuzugeben bereit ist.

            Die vielleicht bedeutendste Szene scheint Scorsese in seinem rund dreieinhalbstündigen Werk regelrecht verstecken zu wollen. Als eine unheilige Allianz aus Ölmagnaten, Polizisten, Juristen, Mediziniern und anderen gesellschaftlichen Akteuren Ernest zu einem gefälligen Aussageverhalten vor Gericht bewegen möchte, wird zwischen den Zeilen angedeutet, dass William Hale wahrscheinlich selbst nur ein Laufbursche der wirklich Mächtigen sein dürfte, wodurch die Kapitalverbrechen eine noch sehr viel wuchtigere Sprengkraft erhalten. Zwar steht der Verdacht eines noch größeren Ganzen auch zuvor schon im Raum, doch das klandestine Treffen in düsterer Atmosphäre unterstreicht, dass an den Schaltstellen der Macht Individuen lediglich als Spielfiguren ohne nennenswerten Wert angesehen werden. An anderer Stelle wird zudem eine Verbindung zu einer Freimaurerloge gezogen, doch die entsprechenden Andeutungen bleiben eher nebulös. So oder so: Scorsese möchte 'Killers of the Flower Moon' ganz offenkundig so verstanden wissen, dass es sich hier keineswegs um die Taten raffgieriger Einzelner, sondern vielmehr um ein strukturelles Problem handeln dürfte. Auf diese Weise legt er den Finger in eine Wunde, die auch Jahrzehnte später noch eitern dürfte. Geschichten wie diese müssen einfach erzählt werden; umso besser, wenn dies durch einen Meister wie Martin Scorsese geschieht.

            KURZFAZIT

            Schleichend, aber drastisch. Die Nacherzählung eines verheerenden Falles von Zerstörung aus Gier.

            36
            • 6 .5

              Oscar Madness (1 Nominierung)

              Edwards (Sebastian Stan) Gesicht ist von Wucherungen überzogen. Er lebt in einer Gesellschaft, in der Erkrankungen wie Neurofibromatose keine Seltenheit zu sein scheinen, aber in der es trotzdem an einem normalen Umgang mit den Betroffenen mangelt. Jedenfalls wird ein Imagefilm über entsprechende Verhaltensempfehlungen gedreht, in dem auch Edward eine kleine Rolle spielt. Nachdem auch seine Nachbarin (Renate Reinsve, 'Der schlimmste Mensch der Welt') an einem Bühnenstück schreibt, sieht er seine Chance auf eine Rolle am Theater gekommen. Zugleich nimmt er an einer Studie zur Erforschung eines experimentellen Therapieansatzes zur Heilung seiner Haut- und Gewebeprobleme teil. Werden die Medikamente bei ihm anschlagen oder gehört er zur Kontrollgruppe? Und falls seine Heilung gelingen sollte, könnte er dann immer noch die Figur verkörpern, die auf seiner Person basiert?

              Das soeben skizzierte skurrile Szenario nimmt Filmemacher Aaron Schimberg zum Anlass, eine Geschichte zu erzählen, in die er ein regelrechtes Sammelsurium an Ideen einfließen lässt. Wie man es auch aus den frühen Schaffensphasen manch anderer Regisseure kennt, wirft er dabei teilweise auch Ideen in den Ring, von denen nicht auf Anhieb klar erscheint, inwiefern sie sich auf das restliche Geschehen beziehen (vgl. die Sektenthematik gegen Ende). Doch auch wenn sich in dieser Hinsicht zeitweilig kleinere Dissonanzen einstellen, wirkt das Gesamtkonstrukt keineswegs fragmentarisch.

              Vielmehr stehen satirische Einsprengsel (beispielsweise mit Zielrichtung Immobilienmarkt, Theaterbetrieb oder Betroffenheitskultur) recht homogen neben einer Art Charakterstudie. Einige dieser Faktoren treffen beispielsweise aufeinander, wenn sich die Bühnenautorin (unwissentlich) anmaßt, mehr über die Person zu wissen, die bei der Konzeption ihres Protagonisten als Vorbild dient, als die entsprechende Person selbst. Eine weitere Facette erhält das von Schimberg entworfene Konstrukt durch die Figur eines „Eindringlings“, der sich wie eine externalisierte Metastase in den Alltag der beiden Hauptcharaktere frisst. Klingt womöglich alles etwas kryptisch und auf den ersten Eindruck vielleicht auch unstrukturiert, doch genau diese leichte Schroffheit und Ungehobeltheit verleihen dem Skript und der Inszenierung auch einen gewissen Wiedererkennungswert – von der oscarnominierten Maske ganz zu schweigen.

              KURZFAZIT

              A different film.

              37
              • 6

                Oscar Madness (1 Auszeichnung, 7 weitere Nominierungen)

                Unter den rund zwei Dutzend (Stand: 2025) Verfilmungen von Emily Brontes Roman 'Sturmhöhe' sticht besonders die Adaption durch William Wyler ('Ben Hur', 'Weites Land', 'Ein Herz und eine Krone' u.v.m.) heraus. Ein Oscar für die beste Kamera (s/w) sowie sieben weitere Nominierungen in den Sparten Regie, adaptiertes Drehbuch, Szenenbild, Filmmusik, Hauptdarsteller (Laurence Olivier), Nebendarstellerin (Geraldine Fitzgerald) und Bester Film sprechen in dieser Hinsicht für sich.

                Während die Kameraführung vergleichsweise zeitlos wirkt und das Szenenbild effektiv in Szene gesetzt wird, spiegelt Alfred Newmans Musik eher zeitgenössische Entwicklungen wider. Wie auch vielen anderen Produktionen aus der (relativen) Frühzeit des Tonfilms merkt man auch der 1939er Version von 'Sturmhöhe' den geringen zeitlichen Abstand zur Stummfilmära an. Die überwiegend orchestralen Klänge erscheinen omnipräsent und sind keineswegs nur auf Understatement bedacht. Wiederholt kündigen dramatisch intonierte Melodien großes Ungemach an, das jedoch nicht immer unmittelbar folgt. Mehrmals verweilt es oft erst eine Weile am Horizont, ehe es sich schließlich doch anschleicht.

                Überhaupt schwappen die dramatischen Spitzen in wellenartigen Bewegungen auf das Publikum über, wodurch sich der Eindruck einer zyklischen Struktur einstellen kann. Charaktere reisen ab und kehren nach einem (mal größerem, mal kleinerem) Zeitsprung wieder zurück, um sich anschließend in einer zwar ähnlichen Konstellation, aber einer veränderten Dynamik wiederzufinden. Die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten entwickelt sich stetig weiter und kommt dennoch keinen Schritt voran. Ohnehin wird nahezu die gesamte Erzählung von einem gleich zu Beginn angedeuteten Unglück überschattet. Zwar werden die besagten Andeutungen zunächst recht kryptisch gehalten, doch sie verheißen keine guten Entwicklungen, woraus eine pessimistische Grundstimmung resultiert, die zumindest latent nahezu durchweg vorhanden scheint. Ein Liebesdrama mit der Betonung auf „Drama“ also. Einen Großteil der nachfolgenden Adaptionen (darunter zahlreiche TV-Produktionen) hätte man sich unter inhaltlichen und handwerklichen Gesichtspunkten wahrscheinlich sparen können, doch so bleibt William Wylers Inszenierung immerhin der Ruf, die wahrscheinlich ambitionierteste Version unter vielen zu sein.

                Aus filmhistorischer Sicht interessant: „Emporkömmling“ gilt hier noch als Schimpfwort, was sicherlich der Epoche, in der sich die Handlung abspielt, geschuldet ist. Ob die exakt selbe Dialogzeile jedoch auch Eingang in eine US-Major-Produktion aus den späten 50er oder gar 60er Jahren gefunden hätte, sei dahingestellt, da sie im Kern dem Konzept des American Dreams komplett zuwider läuft.

                5,5 – 6 Punkte.

                KURZFAZIT

                Liebesgeschichte der düsteren (statt rosaroten) Art.

                32
                • 6 .5

                  Oscar Madness (1 Auszeichnung, 5 weitere Nominierungen)

                  Den schönsten Blick auf Manhattan (wovon im restlichen Verlauf des Filmes nur sehr wenige Außenaufnahmen zu sehen sein werden) gibt es gleich zu Beginn, als eine verspielte Plansequenz von Kameramann Michael Ballhaus ('Gangs of New York') das Publikum auf beschwingte Weise an den Ort des Geschehens heranführt. Im weiteren Verlauf erfolgt die Kameraführung zwar ungemein pragmatischer, doch dafür treten ein Stück weit der Inhalt, aber ganz besonders die Leistungen der Darstellerriege in den Vordergrund. Wenn Olympia Dukakis, Alec Baldwin, Oliver Platt, Kevin Spacey und sogar Hollywood-Legende Harrison Ford von drei anderen Darstellerinnen überstrahlt werden, dürfte dies eine Menge über die Erlesenheit des Casts aussagen.

                  Die Geschichte an sich ließe sich etwas boshaft als eine romantische Komödie mit solider Substanz umschreiben. Eine Sekretärin ohne nennenswerte Karriereaussischten findet eine Abkürzung nach oben. Der Startschuss dazu fällt im Stile einer Screwballkomödie, als sich die zwei maßgeblichen Charaktere kennenlernen - und sich gegenseitig jeweils für jemand anderen halten. In einem stark männerdominierten Umfeld bahnt sich die Protagonistin ihren Weg, wobei stets das Damoklesschwert der Enttarnung über ihrem Kopf schwebt.

                  Selbst wenn man keinerlei Vorwissen über den Produktionszeitraum oder das Alter der Darstellerinnen aufweisen (und auch alle anderen diesbezüglichen Faktoren wie Frisuren, Kostüme, Requisiten usw. ausblenden) würde, wäre spätestens während der Sichtung klar, dass dieser Film eigentlich nur während der Reagan-Ära gedreht worden sein kann. Auch wenn das Drehbuch in gewisser Hinsicht sicherlich auch ein wenig progressiv daherkommt, so sind die Rahmenumstände, die eben auf tatsächlich vorhandenen zeitgenössischen Phänomenen basieren, unverkennbar mit der wirtschaftspolitischen Situation in den USA der späten 80er Jahre verbunden. Vielleicht stellt auch gerade dieses Aufeinanderprallen von Utopie und Wirklichkeit einen der Gründe dar, weshalb Mike Nichols Inszenierung im Rahmen der Oscarverleihung 1989 mit der vierthöchsten Anzahl an Nominierungen vergleichsweise viel Beachtung fand. Passend zur Thematik wurden mit Melanie Griffith, Sigourney Weaver und Joan Cusack nicht weniger als drei Darstellerinnen nominiert. Sängerin Carly Simon wurde für den Titelsong 'Let the River Run' sogar mit der begehrten Trophäe ausgezeichnet. Desweiteren kam es zu Nominierungen in den Sparten Regie und Bester Film.

                  KURZFAZIT

                  Inhaltlich relevant, jedoch nur bedingt bissig.

                  34
                  • 8

                    Der Titel des Billy Idol Konzertfilmes von 2023 ist schnell erklärt: Am Hoover Dam, nur wenige Meter von der Bundesstaatsgrenze zwischen Arizona und Nevada entfernt, spielt Billy Idol mit seiner Band, einigen Gastmusikern (Alison Mosshart von The Kills, Tony Kanal von No Doubt und Steve Jones von den Sex Pistols, der seinerzeit auch Billy Idols Bandkollege bei Generation X war) sowie den beiden Backgroundsängerinnen Kitten Kuroi und Maiya Sykes ein Konzert vor offiziell 250 Zuschauern, deren Namen sogar während des Abspanns aufgeführt werden. Bei den Ticketpreisen in Höhe von 1206, 2012 bzw. 3619 US-Dollar war die besagte Nennung bereits inkludiert. Zusätzlich konnten die Käufer mit der Eintrittskarte - abhängig von der erstandenen Kategorie – auch eine Getränkeflatrate, zwei Übernachtungen in einem Luxushotel, eine Geschenkbox sowie eine Zugangsberechtigung zu einer After Show Party mit Billy und Steve erwerben. Man gönnt sich ja sonst nichts.

                    Der Film an sich beginnt mit einer dokumentarischen Hinführung zum eigentlichen Konzert. Auf einen kompakten historischen Abriss zur Entstehung des Dammes folgt eine kurze Jamsession an der Staumauer mit Billy Idol und Steve Stevens, in der sie ein Medley aus einigen bekannten Hits zum Besten geben. Jedenfalls kommt beim Publikum der Eindruck eines Medleys an, wobei die Vermutung naheliegt, dass wahrscheinlich einzelne Stücke eingespielt und schließlich montiert wurden. Weiter geht es mit einem kurzen Einspieler über die Vorbereitungen an der Konzertlocation selbst. Zudem werden an mehreren Stellen kurze Interviewfetzen eingespielt, die während der Fahrt des Sängers zum Konzert aufgenommen wurden. Die dem eigentlichen Konzert vorangestellte Zusammenstellung kann durchaus den Eindruck erwecken, dass die beiden Regisseure Vincent Adam Paul und George Scott Mühe hatten, die offenbar angepeilte Spieldauer von rund anderthalb Stunden mit rein musikalischen Inhalten zu füllen. Doch nach etwa zwanzig Minuten geht es endlich los und die Show beginnt mit 'Cradle of Love' und 'Dancing With Myself', ehe die Band mit einer erneut überarbeiteten Version von 'Flesh For Fantasy' einen jener Hits folgen lässt, die auch einige Jahrzehnte später noch große Bekanntheit genießen. Die beiden ähnlich erfolgreichen Auskopplungen 'Catch My Fall' und 'Sweet Sixteen' hingegen haben es nicht in den Konzertmitschnitt geschafft.

                    Gegen Ende hin verabschieden sich schließlich die meisten Gastmusiker und die Band spielt in einem deutlich aufgeräumteren Line Up weiter, wobei ohnehin fraglich erscheint, wie hoch der Zugewinn durch die anfängliche Einbindung von nicht weniger als vier Gitarristen gewesen sein könnte. Um nicht die komplette Setlist vorwegzunehmen: Am Ende einer recht bunten Mischung an überwiegend neu arrangierten Songs ('John Wayne' wird beispielsweise als Duett mit Alison Mosshart gesungen) aus einer langen Karriere stehen drei Lieder, die zum jeweiligen Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung noch nicht ganz den Stellenwert hatten, der ihnen im Lauf der Folgejahre zukam.

                    Am Ende bleibt der Eindruck einer ausgewogenen Setlist, deren Inhalte an einer originellen Location dargeboten werden, wobei es aber nicht geschadet hätte, einige weitere Songs zum Besten zu geben. Kandidaten für eine Erweiterung des Repertoires gäbe innerhalb von Billy Idols Diskographie mehr als genug.

                    KURZFAZIT

                    Wenn schon zum Hoover Dam, dann zum Konzert von Billy Idol und Steve Stevens – angesichts der horrenden Ticketpreise allerdings besser per Blu-ray oder Streaming.

                    [Randbemerkung: Von der kurzen Inhaltsbeschreibung durch MP stimmt ungefähr gar nichts...]

                    Ausnahmsweise mal Werbung: Zwischen Mitte Juni und Anfang Juli 2025 machen Billy Idol und Stevens Stevens auch Station in Northeim, München, Bonn und Wiesbaden. Die Tourankündigung fällt schon mal recht heiter aus:

                    https://www.youtube.com/watch?v=9mmD75yiQj4

                    Zum Abschluss noch eine Kostprobe aus der Show am Hoover Dam:

                    https://www.youtube.com/watch?v=Q_S88HRy4ng

                    32
                    • 7

                      Oscar Madness (2 Nominierungen)

                      Viele Filmfreunde, die sich vor der Sichtung von Ali Abbasis Biopic 'The Apprentice' Gedanken darüber machen, was sie wohl erwarten wird, dürften wohl zu zwei Vermutungen gelangen: Der Erzählton wird wahrscheinlich ambivalent gehalten werden und in irgendeiner Form dürfte wohl auch die gleichnamige Reality Show mit einfließen, die ab 2004 produziert wurde. Zumindest von der letzteren Erwartung kann man sich schon vor dem Einschalten des Bildschirms oder Beamers wieder verabschieden. Zwar findet durchaus eine Reihe an Dialogzeilen und Motiven Eingang in die Handlung, die in direktem oder indirektem Zusammenhang zu der besagten Show stehen, doch im Großen und Ganzen dürfte die Wahl des Titels wohl eher als eine Spitze zu werten sein, die Aufmerksamkeit auf den Film ziehen soll, was – zumindest in Bezug auf zwei Nominierungen im Rahmen der Academy Awards 2025 - schließlich auch gelungen sein dürfte (bezogen auf das Ergebnis im Box Office trifft dies jedoch nur sehr bedingt zu).

                      Wie es der Titel bereits andeutet, geht es dabei um die „Lehrjahre“ Donald Trumps, wobei man den in Anführungszeichen gesetzten Begriff besser nicht allzu wörtlich nehmen sollte. Dargeboten wird im Grunde die Geschichte eines Mannes, den manche für einen Superhelden und andere für einen üblen Schurken halten. Wie lässt sich diese Story also erzählen, ohne schon von vornherein die Hälfte des Publikums zu vergraulen? Abbasi hat einen Weg gefunden, indem er polarisierende Aspekte zunächst eher zwischen den Zeilen versteckt – mal gut und mal weniger gut getarnt; wobei dies im postfaktischen Zeitalter wahrscheinlich ohnehin fast egal ist. Szenen, die eine der beiden Fraktionen abstoßen, könnten auf die andere womöglich sogar noch attraktiv wirken. So oder so: Mit fortschreitender Spieldauer werden hier zunehmend drastischere Mittel gewählt, wodurch die von Regie und Drehbuch vertretenen Thesen gegen Ende deutlich expliziter als noch zu Beginn vorgetragen werden.

                      Eine gewisse Verankerung in der Realität erfährt die Inszenierung nicht zuletzt durch das Spiel Sebastian Stans, das besonders durch dessen Fähigkeit zur Mimikry besticht, indem unzählige mimische und gestische Eigenarten des späteren Präsidenten konsequent über die komplette Laufzeit hinweg dargeboten werden. Die Nebenrolle des ebenfalls für einen Oscar nominierten Charakterdarstellers Jeremy Strong stellt in dieser Hinsicht einen Gegenpol zu der eher teleologisch angelegten Hauptrolle dar; schließlich unterliegt sie einem Wandel, der drastischer kaum sein könnte.

                      In cinematographischer Hinsicht überzeugt vor allem das Spiel mit stilprägenden Elementen der jeweils zu zeigenden Dekade. In zahlreichen Einstellungen kommt Kasper Tuxen, der Director of Photography, doch recht nahe an augenfällig Stilelemente der jeweiligen Jahrzehnte heran. Die Dialoge wiederum sind regelrecht gespickt mit Aphorismen aus der Karriere Trumps oder aus dessen Umfeld. Abbasi scheint sich dabei einen regelrechten Spaß aus der Herleitung diverser (unter Trumps Anhängern teils ikonisch gewordener) Zitate zu machen, wodurch der Protagonist letztlich auch als eine Art Plagiator erscheint.

                      Am Ende bleibt das Bild eines Vergewaltigers, der sich um eine Infektion mit „Schwulenkrebs“ (wie er es nennt) per Atemluft oder Berührung sorgt. Abbasi entwirft das Bild eines Mann, der rücksichstlos austeilt, aber in Bezug auf seine eigene Person wie von Angst zerfressen wirkt. Wie nahe der Filmemacher mit dieser cineastischen These an der Realität liegt, wird abschließend wohl niemand außerhalb von Trumps privatem Umfeld mit absoluter Sicherheit bewerten können. Doch Klappern gehört schließlich zum Handwerk; denn wer will schon einen Film sehen, der keiner einzigen These folgt? Die Reaktionen im Nachgang der Veröffentlichung legen jedoch die Vermutung nahe, dass viele Anhänger Trumps diesen Film entweder gar nicht erst gesehen haben oder dass nicht wenige von ihnen diesen „Gründungsmythos“ einer Person des öffentlichen Lebens sogar goutieren (frei nach dem Motto: „Der nimmt sich eben, was er möchte“).

                      Randnotiz: An der Erstellung des Soundtracks ist niemand geringeres als David Holmes beteiligt.

                      KURZFAZIT

                      Teils drastische Abrechnung, die in einer Vielzahl an Szenen jedoch auch Spielraum für ambivalente Lesarten lässt. Letzteres erscheint schließlich nur konsequent, da sich durch diesen Spielfilm wahrscheinlich ohnehin kaum jemand zum Überdenken einer bereits zuvor gefassten Meinung bewegen lassen wird.

                      36
                      • 3

                        Der filmtastische Festtagskalender 2025, Film #4 – Karneval

                        Alle rheinischen Jecken bitte kurz weghören bzw. den folgenden Absatz überspringen...

                        Wenn die Rede vom Karneval ist, kommt einem schnell auch Brasilien in den Sinn. Ohne hierzulande jemandem zu nahe treten zu wollen: Die Assoziationen zwischen den Feierlichkeiten in Rio und in Mainz könnten unterschiedlicher kaum sein. Das sollte doch ausreichend Stoff für einen brasilianischen Film über die närrischen Tage am Zuckerhut zu Verfügung stehen. Doch die erste Überraschung gibt es gleich zu Beginn, denn gefeiert wird hier nicht in Rio, sondern in Salvador. Aber gut, dann wird halt dort die Sau rausgelassen. Oder etwa doch nicht? Zur Prämisse:

                        Das bisher nur mäßig erfolgreiche Social Media Sternchen Nina wird zu einem Influencer-Treffen eingeladen. Sie handelt aus, dass sie dorthin drei Freundinnen mitnehmen darf und macht sich gemeinsam mit diesen auf den Weg. Vor Ort angekommen ist die Ernüchterung erstmal groß, da sich das Feriendomizil als Zwei-Klassen-Gesellschaft entpuppt. Auf der einen Seite die Stars der Szene und auf der anderen Seite in einer eher rustikalen Unterkunft diejenigen, die kaum jemand kennt. Drama, Drama! Nachdem der erste Schock erstmal verdaut wurde, stürzt sich das Quartett ins Urlaubs- und (später auch ins) Karnevalsgetümmel und macht das Beste aus der Situation.

                        Für die Filmcrew von 'Carnaval' mag der Dreh im Urlaubsgebiet vielleicht ein tolles Erlebnis gewesen sein, auf das Publikum trifft das nur bedingt zu. Zwar kommt hier und da durchaus ein wenig Ferienstimmung auf, die Handlung ist allerdings derart flach und vorhersehbar, dass sie nur leidlich Spaß zu vermitteln vermag. Obendrauf kommt, dass auch noch ausgerechnet die konturenloseste der vier Freundinnen als Protagonistin fungiert, was den Film auch nicht gerade interessanter erscheinen lässt. Daran kann auch der Wandel, den sie durchmacht, nicht viel ändern.

                        Und so bleibt am Ende ein zwar unbeschwerter, aber auch belangloser filmischer Trip in den Urlaub.

                        KURZFAZIT

                        ...dann lieber selbst Urlaub machen. Und wenn's „nur“ ein Tagestrip in die nähere Umgebung ist.

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                          Oscar Madness (1 Auszeichnung)

                          Der Titel von Molly O'Briens Kurzdokumentation 'Die einzige Frau im Orchester' schürt die Erwartung, dass es um eine Frau in einem Orchester gehen könnte; um die einzige Frau in diesem Orchester. Irgendwie wird diese Erwartung zwar auch adressiert, aber letztlich geht es dann doch um andere Dinge. Zwar wird durchaus angesprochen, dass sie sich argwöhnisch beäugt fühlte und sich einem ganz besonders hohen Druck ausgesetzt sah, doch letztlich dominieren zwei andere Themen.

                          Eines der beiden nimmt nur einen sehr kurzen Teil der Laufzeit ein, transportiert aber dennoch eine Menge an Informationen über die Entwicklung des Feuilleton Ressorts. Orin O'Brien liest dabei aus einer Reihe von Artikeln über ihre frühen Auftritte vor, die vor Chauvinismus (und teilweise auch Sexismus) nur so triefen. Um ihren Stil, das Cello-Spiel zu interpretieren und mit Leben zu erfüllen, geht es in den zitierten Abschnitten so gut wie gar nicht. Stattdessen konzentrieren sich die Verfasser wahlweise auf gönnerhafte Kommentare über ihr Aussehen oder sie lassen Gedanken über die Rolle der Frau ihren Lauf, die auch während der Siebziger Jahre schon rückständig waren.

                          Auf der anderen Seite wird das Bild einer äußerst ehrgeizigen Musikerin skizziert, die scheinbar alles in ihrem Leben einem Karriereplan unterordnet. In mehrerlei Hinsicht wird klar, dass Musik für sie nicht nur ein Beruf ist, sondern das sie das Musizieren regelrecht atmet, was so weit geht, dass auch einige ihrer Aussagen von Denkmustern geprägt erscheinen, die man als musikalischer Laie nur bedingt nachvollziehen kann. Über weite Strecken versucht sie sich möglichst bescheiden zu präsentieren, wobei die Fassade diesbezüglich jedoch stellenweise zu bröckeln beginnt.

                          Am Ende bekommt man also ein kompaktes Kurzporträt einer Musikerin, die ihren Schülern gewiss viel zu vermitteln hat, deren Rolle als einzige Frau in einem Orchester jedoch nur bedingt relevant für den Ansatz der Produzenten zu sein scheint und eher das Vehikel für eine kurze Künstlerdoku darstellt.

                          KURZFAZIT

                          Kurzdoku, deren Produktionsteam sich nahezu komplett auf die zu portätierende Musikerin zu verlassen scheint.

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                            Framolf 02.03.2025, 06:53 Geändert 04.03.2025, 06:32

                            Oscar Madness (1 Nominierung)

                            Getroffen von fünf Schüssen geht 2018 in Chicago ein Mann auf offener Straße am hellichten Tag zu Boden. Die Polizisten, aus deren Richtung die Schüsse kamen, sperren die Straße, aber kümmern sich nicht großartig um ihn. Sie bestätigen sich lieber gegenseitig, dass alles richtig lief, während sie von Passanten (und möglichen Augenzeugen) beschimpft werden. Was ist geschehen?

                            Anhand der Aufzeichnungen der Body Cams mehrerer Polizisten am Einsatzort und unter Zuhilfenahme weiterer Kameras, wird in Bill Morrisons Kurzdokumentation 'Incident' (2023) das Geschehen aus mehreren Blickwinkeln gezeigt. Zuerst von der gegenüberliegenden Straßenseite aus, danach aus einer deutlich näheren Einstellung und schließlich von der Body Cam eines der beteiligten Polizisten aus. Teilweise werden per Split Screen zwei oder gar vier Blickwinkel simultan montiert, während der Funkverkehr oder auch vereinzelte Audioaufnahmen vom Tatort zu hören sind. Während sich der Schütze und seine Kollegin auf Notwehr berufen, spricht ein anderer Polizist von dem Niedergeschossenen als „Victim“.

                            Der zweite Skandal findet bereits wenige Minuten nach der Tat statt. Die beteiligten Polizisten (Anwärter) suchen aus Angst vor dem Zorn der Protestierenden das Weite, um sich zu beraten, bis sie schließlich auf die Idee kommen, ihre Kameras auszuschalten. Was dem Publikum per etwas ungelenk einmontierten Texttafeln mitgeteilt wird: Nach einer ähnlichen Tat sechs Jahre zuvor besteht ein Recht auf die Veröffentlichung der besagten Aufnahmen. Man könnte nun meinen, der Schütze hätte restriktive Konsequenzen zu befürchten. Aber naja, es handelt sich eben um die Realität und nicht um einen Spielfilm.

                            Zwar werden die Aussagen der beiden Polizisten durch die Kamerabilder widerlegt, doch wer unbedingt möchte, kann das Bildmaterial auch zu Ungunsten des Verstorbenen interpretieren. Eine Sichtweise, der sich die Dienstaufsicht wenig überraschend angeschlossen hat...

                            Randnotiz: Im Abspann ist zu lesen, dass die US Navy bei der Google Earth Animation involviert war.

                            KURZFAZIT

                            Roher Zusammenschnitt des audiovisuellen Beweismaterials im Fall eines Tötungsdelikts.

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                              Framolf 01.03.2025, 06:22 Geändert 04.03.2025, 06:31

                              Oscar Madness (2 Auszeichnungen, 3 weitere Nominierungen)

                              Die Gepflogenheit, Filmkommentaren eine kurze Synopse voranzustellen, verbietet sich angesichts der spartanischen Handlung von 'Dune: Part Two' fast von selbst. Von daher in aller Kürze: Paul Atreides flieht in die Wüste, um von dort aus mit der Hilfe von Nomaden Rache für einen Putsch zu nehmen.

                              Die mehr oder weniger nahtlose Fortsetzung des Inhalts findet ihre Entsprechung auch im Stil. Erneut wird ein äußerst erlesener Cast aufgeboten, dem unter anderem Namen wie Timothée Chamalet, Zendaya, Rebecca Ferguson, Javier Bardem, Stellan Skarsgard, Austin Butler, Dave Bautista, Josh Brolin, Christopher Walken, Florence Pugh, Charlotte Rampling, Léa Seydoux und Anya Taylor-Joy angehören. Auch und gerade mit dem Gewicht, das sie durch ihre prominenten Namen in die Waagschale werfen können (und der damit verbundenen Leinwandpräsenz), entsteht trotz landschaftlicher Weiten und teils überdimensionierter Innenräume zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass Charaktere in den weitläufigen Kulissen verloren oder bedeutungslos wirken könnten.

                              Wie schon im ersten Teil der Reihe wirkt auch das Szenenbild der Fortsetzung kompromisslos aufgeräumt, ja geradezu steril. Einer der damit verbundenen Vorteile liegt auf der Hand: Wenn in karg ausgestatteten Räumen nur die notwendigsten Requisiten zu sehen sind, wird der Blick auf das Wesentliche nicht verstellt. So fällt beispielsweise auf, dass sich in den Kulissen verschiedene Motive finden lassen, die mit realen totalitären Regimen aus dem 20. oder 21. Jahrhundert assoziiert werden könnten oder zumindest stark an die jeweilige Stilistik erinnern.

                              Eingefangen werden diese Welten erneut von einer vergleichsweise ruhig geführten Kamera, die stets darauf bedacht zu sein scheint, Räume zu eröffnen und zu erweitern – und interessierte Zuschauer schließlich auch zum Verweilen einzuladen. Positiv formuliert findet die Kargheit des Inhalts also ihre Entsprechung im Stil.

                              KURZFAZIT

                              Nahtlose Fortsetzung ohne größere Brüche in Inhalt und Stil.

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                                Framolf 28.02.2025, 07:06 Geändert 04.03.2025, 06:31
                                über Anuja

                                Oscar Madness (1 Nominierung)

                                ++ Leichte SPOILER ++

                                Zwei Schwestern, die elternlos in einem äußerst prekären Viertel aufwachsen, verdienen sich ihren Lebensunterhalt in einer Art Schneiderei. Der zwielichtige Inhaber des Betriebes zahlt offenbar zwar zuverlässig, aber die Löhne sind nur mickrig. Eines Tages bietet ein sozial engagierter Lehrer dem jüngeren Mädchen eine Art Stipendium für ein Internat an. Sie gilt als mathematisch begabt, was regelrecht nach einer gezielten Förderung schreit. Der Chef der Schneiderei wiederum ködert sie mit einem vergifteten Angebot. Ihre Schwester rät ihr zum Wechsel an die Schule. Wie wird sie sich entscheiden?

                                Filmemacher Adam J. Graves verleiht mittel seines Kurzfilmes 'Anuja' Kindern eine Stimme, die ansonsten kaum gehört werden. Eine der beiden Hauptrollen ist mit einem Mädchen besetzt, das auch im realen Leben von einem Internatsstipendium profitiert. Einziger „Makel“ des hier gewählten Konstrukts (wobei die Bezeichnung „Makel“ eigentlich schon viel zu hart erscheint): Eine Organisation, die Stipendien an Schulkinder aus prekären Verhältnissen vergibt, ist selbst an der Produktion beteiligt, wodurch 'Anuja' ein Stück weit die Funktion eines Imagefilmes zukommt. Päpstlicher als der Papst sollte man wahrscheinlich dennoch nicht sein, denn schließlich gilt es auch als weitgehend unproblematisch, wenn Filme von Banken oder anderweitigen Firmen produziert werden.

                                Aufhorchen lassen besonders der Erzählton sowie die Ausgestaltung der beiden Hauptcharaktere. Statt in eine deprimierte Stimmlage zu verfallen, werden die Gegebenheiten angenommen und als Auftrag zu einer Verbesserung der Lage verstanden. Die beiden Kinder nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Nicht nur durch ihre Arbeit in der Textilfabrik, sondern auch durch die gewitzte Persiflage eines Heists.

                                Die besagte Organisation wiederum agiert mit dem Mitteln, die ihr zu Verfügung stehen. Auch wenn eine gerechtere Sozialpolitik fraglos der nachhaltigere Weg wäre, bleibt zivilgesellschaftlichen Akteuren (egal ob Individuen oder Organisationen) nicht viel anderes übrig, als innerhalb der vorhandenen Rahmenbedingungen zu agieren.

                                6,5 – 7 Punkte.

                                KURZFAZIT

                                Locker vorgetragene Geschichte mit äußerst ernstem Hintergrund.

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                                  Framolf 27.02.2025, 05:20 Geändert 04.03.2025, 06:32

                                  Oscar Madness (1 Nominierung)

                                  Wie es der Titel bereits andeutet, wird in 'I'm Ready, Warden' der Fall eines Mannes in der Todeszelle skizziert, der seine in wenigen Tagen bevorstehende Hinrichtung mehr oder minder akzeptiert hat. Nachdem ihm bereits mehrere Aufschübe in letzter Minute gewährt wurden (was letztlich wohl auch als Bestandteil der Bestrafungsrituale zu verstehen sein dürfte), scheinen sich seine juristischen Möglichkeiten ebenso erschöpft zu haben wie seine mentale Disposition, rechtlichen Widerstand zu leisten. Die Täterschaft räumt er unumwunden und vollumfänglich ein. Im Gegensatz zu vielen anderen Dokumentationen mit ähnlicher Thematik geht es hier also nur sehr bedingt um die Frage, wem hier - eine wie auch immer geartete – Gerechtigkeit zuteil werden wird. Gezeigt wird stattdessen ein Häftling, der sich im Angesicht seiner bevorstehenden Exekution um angemessen letzte Worte gegenüber seinem eigenen Sohn und dem Sohn des Opfers bemüht.

                                  Als vergleichsweise ungewöhnlich erweist sich Smriti Mundhras Kurzdoku in Bezug auf die weiteren involvierten Personen. Eine Angehörige einer nahegelegenen Kirchengemeinde kümmert sich um die Seelsorge des Todeskandidaten. Eigentlich befürwortet sie die Todesstrafe. Der direkte und langfristige Kontakt zu einem Todeskandidaten lässt sie umdenken. In der Bibel steht eben doch etwas mehr als nur „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Konkret verweist sie auf Psalm 32.

                                  Der Staatsanwalt, der seinerzeit die Todesstrafe forderte (und sich damit durchsetzen konnte), hadert mittlerweile mit dem Urteil. In Zukunft möchte er nur noch lebenslange Haftstrafen fordern. Der Sohn des Opfers wiederum betont fast schon gebetsmühlenartig, dass nach der Ermordung seines Vaters nun eben der Täter an der Reihe sei. Nach der Vollstreckung des Urteils überkommen ihn Zweifel und er durchlebt eine regelrechte Achterbahn der Empfindungen. Die Ermordung seines Vaters wird dadurch gesühnt, dass einem Jugendlichen (der zum Zeitpunkt der Tat noch gar nicht am Leben war) ebenfalls der Vater genommen wird. Bezogen auf den Täter mag das manchen Menschen gerecht erscheinen, in Hinsicht auf den Sohn dürfte es jedoch schwer sein, religionsbezogene Argumente für die Hinrichtung seines Vaters zu finden. Der Jugendliche pflegt offenbar ein gutes Verhältnis zu seinem Vater, was jedoch keineswegs bedeuten soll, dass Smriti Mundhra diesbezüglich plumpe schwarz-weiß Malerei betreiben würde. Todeskandidat John Henry Ramirez sagt schließlich selbst, dass er in Freiheit wohl kein guter Vater gewesen wäre und erst durch die Reflexion in der Haftanstalt zu einem bewussteren Umgang mit seinen Mitmenschen gelangte.

                                  8 – 8,5 Punkte.

                                  KURZFAZIT

                                  Kompakter Blick auf eine vermeintliche Problemlösung, die aber eigentlich nur weitere Probleme produziert.

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                                    Framolf 26.02.2025, 01:14 Geändert 04.03.2025, 06:31

                                    Oscar Madness (1 Nominierung)

                                    Schon zu Beginn, als ein Zitat von Elton John eingespielt wird, worin er sich darüber beklagt, dass er zeitweise nichts anderes hatte als seinen Erfolg und die Drogen, wird klar, dass es in dieser Dokumentation wohl hauptsächlich um die Befindlichkeiten des großen Musikstars gehen wird. Dabei wird das Bild eines Mannes gezeichnet, dessen Ehrgeiz sich als zweischneidiges Schwert erweist. Platzierungen in den Top 40 oder Top 20, die für manch andere Musiker ein guter Grund für eine einwöchige Freudenfeier wären, nimmt er als persönliche Niederlagen wahr. Der Umstand, dass er derart hohe Ansprüche an sich selbst stellt, treibt ihn zu immer intensiveren Bemühungen an, woraus schließlich auch größere Erfolge resultieren, während er auf der anderen Seite offenbar nur begrenzt Freude über das bisher Erreichte empfindet. Für den berühmten Musiker selbst mag dies belastend sein, doch als Problemstellung einer Dokumentation taugt dieser Einstieg nur bedingt. Deutlich mehr Fallhöhe weist im Gegensatz dazu schon seiner familiärer Hintergrund auf (gewalttätige Eltern), dessen Nachwirkungen sich durch seine gesamt Karriere zu ziehen scheinen. Doch dafür interessieren sich die Filmemacher R.J. Cutler und David Furnish offenbar nur bedingt. Zwar wird mehrfach thematisiert, dass sich Reginald Kenneth Dwight, so der bürgerliche Name Elton Johns, nach einer intakten Familie ebenso sehnt wie danach, die These seines Vaters, wonach Musik brotlose Kunst sei, zu widerlegen, doch inhaltliche Bezüge zu den Liedern und Texten werden kaum hergestellt. Stattdessen wird nach einem kurzen Exkurs über seine musikalischen Wurzeln und seinen Schaffensprozess (verkürzt gesagt vertont er in erster Linie lyrische Texte seines Freundes und Weggefährten Bernie Taupin) hauptsächlich wieder den Wehklagen über die Einsamkeit Raum eingeräumt. Wiederholt wird dabei erwähnt, dass er eben nichts außer Erfolg, Ruhm, Reisen, Fans, Bewunderung, Sex und Drogen hatte, wobei fast unweigerlich die Frage aufkeimt, wie eigentlich die Steigerung von „First World Problems“ lautet. Ganz so schlimm scheint der Ruhm aber nicht gewesen zu sein, wenn man bedenkt, dass er auf das Wehklagen Mitte der 70er Jahre immerhin noch knapp 50 weitere Karrierejahre folgen ließ.

                                    Randbemerkung: Nachdem er sich selbst laut eigenem Bekunden regelmäßig Alkohol, Kokain und auch große Mengen an Valium gönnte, sieht er sich anno 2024 dazu berufen, für eine Rekriminalisierung von Cannabis einzutreten.

                                    KURZFAZIT

                                    Zielgruppe: Menschen, die erste Informationen übe Elton John als Person und Künstler in Erfahrung bringen wollen und Fans, die sich grundsätzlich über Dokus über ihr Idol freuen. Darüber hinaus lässt sich hier nicht übermäßig viel holen.

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                                      Oscar Madness (3 Nominierungen)

                                      ++ Kommentar bezieht sich auf den Director's Cut und enthält SPOILER bzw. historische Wegmarken ++

                                      Eine Geschichte wie die von Napoleon würde man wohl jedem Drehbuchschreiber um die Ohren hauen – wenn sie denn fiktional wäre. Revolution, Konterrevolution, politische bzw. militärische Funktionsträger ernennen sich quasi selbst zu neuen Monarchen, ein Feldherr wird verbannt, kehrt zurück und wird erneut verbannt – und erobert zwischendurch gefühlt halb Europa.

                                      Nur wenige historisch verbürgte Persönlichkeiten dürften wohl derart exemplarisch für politische Entwicklungen stehen, die das Volk derart vom Regen in die Traufe kommen lassen. Der Geburtsadel isst ab 1789 keinen Kuchen mehr, dafür tritt eine neue Form von Funktionsadel an deren Stelle, während sich im Hintergrund eine Art Geldadel zu formieren beginnt.

                                      Regisseur Ridley Scott dürfte zunächst vor der Frage gestanden haben, welchen Abschnitt aus dem Leben seines Protagonisten er zum Gegenstand seiner Erzählungen machen möchte und welchen Episoden daraus er die größte Bedeutung zukommen lassen möchte. Er hätte sich einen bestimmten Kipppunkt vornehmen können oder einen besonders symbolträchtigen Lebensabschnitt. Eine andere bewährte Variante wäre es gewesen, einen der ganz besonders prominenten Momente herauszugreifen und anhand dessen symbolträchtige Entwicklungen darzustellen, die sich als pars pro toto begreifen lassen. Doch Scott orientiert sich offenbar am (Anti)Helden seiner Geschichte, denn er will nicht weniger als alles (oder zumindest so viel wie möglich). Also beginnt seine Erzählung mit der französischen Revolution und endet irgendwann nach Napoleons Verbannung auf Helena. Der Preis für die Wahl dieses umfangreichen Zeitfensters besteht in einer Erzählung, in der das Publikum alles und zugleich nichts (bzw. nicht viel) erfährt. Man wird einerseits mit einer Vielzahl an Stationen, Personen und Ereignissen erschlagen, wobei nur bei einem Teil der Szenen wirklich tief in die Materie vorgedrungen wird. Hauptdarsteller Joaquin Phoenix bekommt die Gelegenheit, sich bei einer Vielzahl verschiedenster Stimmungslagen zu entfalten, hat aber andererseits nicht die Möglichkeit, eine einzelne Facette bis in den hintersten Winkel hinein auszuleuchten.

                                      Rein stilistisch lassen sich einige Parallelen zu Luchino Viscontis Historiendrama 'Ludwig II' (1973) erkennen. Die Frage, ob sich dieser Befund auch in Bezug auf den Inhalt stellen lässt, gestaltet sich etwas komplexer. Vereinzelte Gemeinsamkeiten zwischen der Biographien beider Herrscher lassen sich nicht von der Hand weisen, doch um zu erkennen, inwieweit sich das kolportierte Allgemeinwissen mit den historischen Fakten deckt, müsste man wohl Historiker sein.

                                      Festzuhalten bleibt jedenfalls, das Ridley Scott ein umfangreiches Werk zu den Nachwehen der französischen Revolution gelungen ist, das die Titelfigur dem Publikum jedoch nur bedingt näherbringt. Die vielleicht intensivsten Momente erreicht Scotts Biopic ausgerechnet während der Schlacht- oder Massenszenen, in denen Individuen in der Anonymität aufgehen, was nicht weniger ironisch erscheint als zahlreiche Details aus Napoleon Bonapartes Leben.

                                      KURZFAZIT

                                      Kantige Inszenierung einer Filmbiographie über einen sperrigen Charakter.

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                                      • 6 .5

                                        Oscar Madness (1 Nominierung)

                                        ++ Enthält SPOILER ++

                                        Ein Jugendlicher sitzt auf dem Fahrersitz eines Autos. Er telefoniert, als sich offenkundig die Polizei nähert. Wenige Augenblicke später kommt es buchstäblich zu einem harten Aufprall. Doch auch wenn bereits dieser Start in die Erzählung aufrüttelt, so setzt es einen vielleicht noch heftigeren Schlag durch eine Texttafel während des Abspannes, die die Handlung gewissermaßen von der Leinwand in das reale Leben holt. Worum geht es?

                                        Marc, der bei so ziemlich jeder sich bietenden Gelegenheit durchblicken lässt, dass er sich Autoritäten nur sehr ungerne unterordnen möchte, verbüßt eine Jugendhaftstrafe, die jedoch die Möglichkeit eines offenen Vollzuges beinhaltet. Die Zeit während seines Freiganges verbringt er gerne an einem See (überhaupt kommt dem Wasser hier die Funktion eines Leitmotivs zu). Wasser scheint das Element seiner Wahl zu sein. Er sitzt gerne am Ufer, nimmt am Gefängnissport im Pool teil und aktiviert auch ganz gerne mal die Sprinkleranlage, die eigentlich zur Brandbekämpfung gedacht ist. Sein bisweilen plakativ ruppiges Auftreten bedeutet keineswegs, dass er nicht auch zur Selbstreflexion fähig wäre. Schließlich hat er eine Ader dafür, seine Gedanken auf lyrische Weise zu artikulieren. Während sein Freund in der Haftanstalt pubertäre Parolen drischt, schreibt sich Marc in einer Weise seine Gedanken von der Seele, die durchaus die Keimzelle zu literarischen Qualitäten aufweist. Ansatzpunkte, seine Talente zu fördern, sind also durchaus vorhanden, was im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten während der Unterrichtsstunden auch geschieht. Doch Marc hat eben auch enorme Schwierigkeiten mit der Einsicht, Autoritäten zu akzeptieren. Für das Personal ist er somit sicher kein ganz einfacher Fall, jedoch einer, mit dem man durchaus arbeiten kann. Ob der Staat ausreichend viele Sozialarbeiter dafür zur Verfügung stellt, steht auf einem anderen Blatt. Ausbaden müssen derartige Sparzwänge sowohl die betroffenen Jugendlichen als auch das vorhandene Personal - und in vielen Fällen wohl auch die Gesellschaft. Es bleibt zu befürchten, dass es noch zahlreicher ähnlicher Kurzfilme bedarf, bis sich endlich etwas ändern wird.

                                        KURZFAZIT

                                        Tragisches Einzelschicksal, das wohl leider auch stellvertretend für zahlreiche andere steht.

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                                        • 6 .5
                                          Framolf 23.02.2025, 06:34 Geändert 23.02.2025, 06:35

                                          Oscar Madness (1 Nominierung)

                                          Der folgende Kommentar enthält nicht einfach nur Spoiler, im Grunde genommen ist er sogar ein einziger Spoiler.

                                          Während der Titel 'Ninety-Five Senses' vor der Sichtung zunächst möglicherweise Fragen aufwirft, kommt der Erzähler Coy (gesprochen von Tim Blake Nelson) innerhalb einer kompakten Laufzeit von gerade einmal rund 13 Minuten doch recht zügig auf den Punkt. Schnell wird klar, dass er – in der Todeszelle sitzend – wohl kurz vor seiner Hinrichtung steht. Er erinnert sich an eine Episode aus seiner Kindheit, die in der Retrospektive wie eine Art Weichenstellung erscheint. Kurz darauf kreisen seine Gedanken um die Tat, die ihn letztlich dorthin brachte, wo er sich jetzt befindet. Nicht zufällig kommt er schließlich auf die Henkersmahlzeit zu sprechen, die gewiss all seine Sinne ansprechen wird, ehe während der Hinrichtung ein Sinn nach dem anderen weichen wird, beginnend mit der olfaktorischen Wahrnehmung und dem Augenlicht, endend mit dem Gehör, welches wohl noch über die Vitalitätszeichen hinaus funktionstüchtig sein soll. Es kann also durchaus Sinn machen, mit sterbenden Menschen etwas länger zu sprechen, als man es vielleicht aus einem unspezifischen Gefühl heraus getan hätte. Was dies für die Vollstreckung einer Hinrichtung bedeuten kann, liegt auf der Hand. Sofern dies ein möglicherweise anwesender Seelsorger nicht berücksichtigt, lässt sich erahnen, welches wohl die letzten Eindrücke des Sterbenden sein dürften. Doch darum geht es in dem Kurzfilm von Jared und Jerusha Hess allenfalls implizit. Vielmehr laufen die Gedanken des Erzählers auf die Theorie hinaus, dass der Mensch womöglich hundert Sinne habe, von denen er zu Lebzeiten nur fünf nutze, woraus Coy die Hoffnung ableitet, nach seinem Tod vielleicht die restlichen 95 nutzen zu können.

                                          Welche Sinne könnten dies sein? Vielleicht ein Sinn der Vorahnung oder Eindrücke spiritueller Verbundenheit? In der Erkenntnistheorie wird beispielsweise die Frage diskutiert, wie der Mensch in die Erfahrung des Numinosen kommen kann. Oder um es anders zu formulieren: Gibt es vielleicht Instrumente der Erfahrung religiöser Eindrück, die jenseits der fünf „unstrittigen“ Sinne liegen? Es erscheint durchaus denkbar, dass in anderen Forschungszweigen ähnliche Problemstellungen erörtert werden. Dies herauszufinden, liegt nach der Sichtung in der Verantwortung der Zuschauer.

                                          Kurzfazit

                                          Die Essenz aus Gaspar Noés cineastischem Ungetüm 'Enter the Void' in Form eines animierten Kurzfilmes.

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                                            Framolf 22.02.2025, 06:43 Geändert 04.03.2025, 06:32

                                            Oscar Madness (1 Auszeichnung, 1 weitere Nominierung)

                                            Die beiden Cousins David (Jesse Eisenberg, der hier auch als Drehbuchautor und Regisseur fungiert) und Benji (Kieran Culkin) fliegen gemeinsam nach Polen, um dort ihrer verstorbenen Großmutter zu gedenken. In Bezug auf ihr Verhalten könnten beide unterschiedlicher kaum sein. David erscheint eher bieder und unauffällig, während dem deutlich extrovertierteren Benji nachgesagt wird, einen Raum zu erfüllen, sobald er ihn betritt. Auf der anderen Seite teilen die beiden jedoch gleich mehrere Backstorywounds. Neben den familiären Verhältnissen eint beide die Erfahrung einer Situation, die für beide auf verschiedene Weise traumatisch verlaufen sein muss. Als religiös-kulturelles Erbe kommt darüber hinaus der Schrecken der Shoah hinzu.

                                            Konkret geht Eisenberg in seiner Eigenschaft als Autor und Regisseur dergestalt damit um, dass er das Thema zunächst spiralförmig umkreist. Nach der Ankunft in Polen steht beispielsweise der Besuch eines Kriegerdenkmals auf dem Plan, der noch von vergleichsweise heiterer Laune begleitet wird. Stück für Stück bricht sich das Unfassbare – nicht zuletzt durch die Begehung verschiedener Orte – immer stärker Bahn, ehe bei der Besichtigung von Majdanek nach einer kurzen Erläuterung des Reiseführers die Bilder für sich sprechen. Gemäß Adornos Diktum sind dabei auch gar keine Worte mehr nötig. Einige kurze Einstellungen transportieren hier mehr, als in vielen anderen Filmen zu anderweitigen Themen über die gesamte Laufzeit vermittelt wird. Eine große Menge an Schuhen und ein Berg an Asche sprechen dabei für sich.

                                            In Bezug auf den Inhalt sollte der Filmkommentar an dieser Stelle dann auch enden, denn Worte können diesbezüglich kaum noch die Realität erfassen. Eisenbergs (oscarnominiertes) Dreh- und Regiebuch sprechen klar für sich.

                                            KURZFAZIT

                                            Ohne Verbitterung vorgetragene Tragikomödie zu einem Thema, bei dem es äußerst schwer fallen dürfte, innerhalb dieses Genre einen passenden Ton zu treffen. Eisenberg und Culkin finden jedoch einen angemessenen Weg.

                                            Anmerkung: Um Kieran Culkins Part noch als Nebenrolle durchgehen zu lassen, müssen eigentlich schon beide Augen zugedrückt werden, doch letztlich erscheint die Entscheidung der Jury der Academy of Motion Picture Arts and Sciences gerade noch vertretbar.

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                                              Framolf 21.02.2025, 01:32 Geändert 21.02.2025, 03:06

                                              ++ Leichte SPOILER ++

                                              Wer hätte das gedacht? Obwohl sich die Handlung in der Serie über den Motorradclub 'Sons of Anarchy' während der letzten Staffeln weitestgehend nur noch im Kreis drehte, war deren Geschichte mit dem Serienfinale keineswegs auserzählt. Rund vier Jahre nach Abschluss der Mutterserie produzierte Kurt Sutter ein Spin Off aus Sicht derjenigen Biker, die bei den Sons zumeist nur als „Fucking Mayans“ bezeichnet wurden. Ein Spin Off, das im Lauf der fünf Staffeln zu einer regelrechten Parade von Rückkehrern wird. Manche von ihnen haben Gastauftritte, andere wiederkehrende Rollen und einige wenige gehören sogar zur Stammbesetzung. Unter ihnen (in loser Reihenfolge, um nicht zu viel zu verraten): Gemma, Chibs, Happy, Chucky, Potter, Tig, Quinn, Wendy, Packer, Montez, Ramos und allen voran Alvarez. Auch wenn die Erzählung nun aus Sicht der Mayans erfolgt, wird (zumindest in geringen Dosen) durchaus auch die ursprüngliche Geschichte weitererzählt, nur eben aus einer anderen Perspektive.

                                              Statt eines Präsidenten-Stiefsohnes steht nun ein Prospect mit einer doppelbödigen Backstory im Focus. Gleich in der ersten Einstellung überfährt dieser eine Krähe, während er in anderen Episoden (die Fahrt entlang des Grenzzaunes fungiert während der ersten drei Staffeln als eine Art Leitmotiv) anderen Tieren geflissentlich ausweicht. Wer darin eine Kampfansage an SAMCRO (Sons of Anarchy Motorcycle Club Redwood Original) erkennen will, liegt nicht zwingend falsch. Auch wenn es zunächst halbwegs konfliktfrei zwischen beiden Gruppierungen zugeht, so sind sie trotz aller Kooperation eben auch Konkurrenten. Doch zunächst werden andere Felder beackert. Während die Mutterserie über weite Strecken als eine Art freie Hamlet-Neuinterpretation angelegt ist, spielt Sutter in 'Mayans MC' – gleich in mehrerlei Hinsicht - zunächst mit Anklängen an Kain und Abel. Ob die damit verbundenen Verheißungen auch eingelöst werden, gilt es im Verlauf der 50 Episoden herauszufinden. Unabhängig davon: Nicht zufällig tragen die Brüder Namen mit religiösen Konnotationen.

                                              Ezekiel „EZ“ Reyes lässt es jedenfalls nur vordergründig easy angehen. Denn nach und nach wird klar, dass er – trotz seiner regelrecht zur Schau gestellten Todessehnsucht - einen ziemlich klar umrissenen Plan verfolgt, der ab einem gewissen Punkt komplett aus dem Ruder läuft. Während sich Jax Teller in der Stammserie Episode um Episode darüber den Kopf zerbricht, wie er das Zerreißen des Clubs verhindern könnte, betrachtet sein gerissenes Pendant, das noch dazu mit einem fotografischen Gedächtnis gesegnet ist, die Dinge sehr viel direkter. Mit zunehmender Konsequenz und Geradlinigkeit geht ein ums andere mal regelrecht mit dem Kopf durch die Wand. Insofern erscheint es als überaus erstaunlich, dass die lokale Polizei so gut wie keine Rolle innerhalb dieser Geschichte spielt (während sich Bundesagenten im Verlauf der Staffel immer stärker einmischen).

                                              Bemerkenswert erscheint auch die Tatsache, wie oft in dieser Serie Charaktere Fehleinschätzungen unterliegen. Dem Kenntnisstand der Zuschauer sind gleich mehrere Figuren in verschiedenen Situationen meilenweit hinterher. Immer und immer wieder betrachten Charaktere Vermutungen als Gewissheiten, die gar nicht zutreffen, woraus die Dramaturgie wiederholt eine ganz besonders bittere Note erhält.

                                              Im Grunde besteht die Geschichte aus zwei Blöcken. Während die ersten drei Staffeln inhaltlich wie stilistisch wie aus einem Guss wirken, kommt es nach 30 Episoden zu einem deutlichen Bruch. Der Handlungsstrang um den Kartellboss Galindo nimmt eine massive Wendung, während die Lage rund um den MC komplett eskaliert. Die Gewaltspirale nimmt derart stark zu, dass dem Tod während der finalen Staffel keine besondere Bedeutung mehr zukommt. Gnadenlos werfen die Autoren so ziemlich alle Charaktere über Bord, deren Geschichten entweder auserzählt sind oder die für weitere Sequels nicht infrage kommen (wobei Kurt Sutters Aussagen ohnehin eher auf die Realisierung eines Prequels hindeuten). Auf der anderen Seite wird ab diesem Zeitpunkt endlich das riesige brach liegende Potenzial gehoben, das zahlreiche Charaktere mit sich bringen. Während anfangs nur einigen wenigen Figuren Geschichten aus ihrem Leben außerhalb des Clubs zugestanden werden, bekommen nun auch zahlreiche andere Personen aus dem Umfeld des Motorradclubs Backstorys oder einen privaten Rahmen und somit letztlich auch deutlichere Konturen. Sowohl in inhaltlicher als auch in stilistischer Hinsicht wird ab Staffel vier deutlich stärker mit dem Erbe des Westerngenres geflirtet.

                                              Der Protagonist, der sich zunehmend zu einer Bestie entwickelt, macht dabei seine ganz eigene 'Breaking Bad' Entwicklung durch. Bei allen Gemeinsamkeiten, die zwischen Jax und EZ bestehen (worauf auch regelmäßig angespielt wird), könnte die Emanzipierung des aufstrebenden Prospects deutlicher kaum ausfallen. Wo Jax zaudert, um schließlich doch wieder in alte Muster zu verfallen, lässt sich EZ ab einem gewissen Punkt von niemandem mehr hineinreden. Mehr Beratungsresistenz geht kaum noch. Es erscheint, als würde er ungebremst auf eine Wand zurasen – unter völliger Verachtung des eigenen Lebens, aber auch der Leben nahezu aller Menschen um ihn herum. Kann dieses Draufgängertum langfristig gutgehen? Fünf Staffeln 'Mayans MC' bringen die Antwort.

                                              KURZFAZIT

                                              Jünger, wuchtiger, radikaler. Die verdammten Mayans überrollen die Krähe.

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                                                Der Mai. Symbol für Frühling, Jugend, Frische, Tatendrang und Erneuerung, verbunden mit der Erwartung, dass die ereignisreichste Zeit des Jahres womöglich noch bevorsteht. Der Dezember hingegen weist (auch wenn es Hauptdarstellerin Julianne Moore gegenüber unfair erscheint), auf eine verblühte Vegetation und ein bald endendes Kapitel, aber immerhin auch auf ein Plus an Erfahrung hin. Zusammen ergeben beide Monatsnamen ein geflügeltes Wort zur Umschreibung eines großen Altersunterschiedes.

                                                Ein Altersunterschied, der auch die Beziehung von Gracie und Joe überschattet. Dabei geht es nicht einfach um eine Art von unterstellter oder tatsächlicher Unangemessenheit, sondern um den Umstand, dass sie als erwachsene Frau bereits sexuellen Kontakt zu ihm hatte, als er noch 13 Jahre alt war (der Handlung soll lose auf einer Begebenheit beruhen, nach der eine Lehrerin Sex mit einem Zwölfjährigen hatte), was seinerzeit für einen Skandal in der Klatschpresse gesorgt hatte und juristisch aufgearbeitet wurde.

                                                In der Geschichte von Todd Haynes 'May December' soll rund zwanzig Jahre später ein Live Action Movie über den Fall gedreht werden. Um sich auf ihre Arbeit am Set vorzubereiten, sucht die für die Produktion vorgesehene Hauptdarstellerin (Natalie Portman) den Kontakt zu der besagten Dezember-Dame, um ihr Rollenvorbild zu studieren und ein besseres Gefühl für die Situation und die Rolle zu entwickeln. Während der Vorbereitung auf die Dreharbeiten bemüht sie verschiedene Strategien des Method Actings, während sie selbst immer weiter in den Strudel ihrer Rolle gerät und dabei auch Grenzen überschreitet, die bis hin zu einer gewissen Auflösung ihres Daseins als eigenständige Person führen. Zwar ist ihre Mission rein beruflicher Natur (auch wenn verschiedene Beteiligte den Eindruck gewinnen, sie würden die Darstellerin nun privat kennen), doch durch das immer weitere Vordringen in die Sphäre ihres zu studierenden Rollenvorbildes wird eine Entgrenzung ihres Selbst in Gang gesetzt, die sie ab einem gewissen Punkt kaum noch aufhalten kann oder will.

                                                Dargeboten werden also ein Ehe- und ein Künstlerdrama zugleich; welcher Facette man bei der Interpretation den Vorzug geben möchte, bleibt jedem Zuschauer selbst überlassen. Unübersichtlich wird es jedoch mit Blick auf die von Haynes angewandte Filmsprache. Wiederholt kündigt der Score das Bevorstehen unfassbarer Ungeheuerlichkeiten an, nur um statt des durchaus erwartbaren Gebrülls einen halblauten Rülpser folgen zu lassen. Man mag Haynes zugute halten, dass er bei der Wahl der Stilmittel zur Dekonstruktion der Ereignisse eben alle Register zieht, doch ob er dem Projekt mit der Überfrachtung seiner Agenda einen Gefallen tut, sei dahingestellt. Bei der Academy der Motion Picture Arts and Sciences scheint man ähnlicher Meinung zu sein, denn berücksichtigt wurde 'May December' im Rahmen der Oscarverleihung 2024 ausschließlich in der Kategorie Bestes Originaldrehbuch.

                                                KURZFAZIT

                                                Ambitionierter, aber vielleicht auch etwas überfrachteter Entwurf.

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                                                  ++ Leichte SPOILER ++

                                                  Dem Hund sagt man nach, der beste Freund des Menschen zu sein. Doch wer ist eigentlich der beste Freund eines Hundes, der in einer Welt der anthropomorphen Tiere lebt?

                                                  In Pablo Bergers oscarnominierten Animationsfilm 'Robot Dreams' fällt die Wahl des Protagonistenhundes auf das Robotermodell „Amica 2000“. Ob die blecherne Dame sein Kumpel oder seine Lebensgefährtin werden soll, ist anfangs zwar noch nicht so richtig klar, doch etwas akuter wird diese Frage sowieso erst gegen Ende hin. Zunächst haben die beiden eine wunderbare Zeit, ehe Amica bewegungsunfähig am Strand liegenbleibt. Mangels ausreichender Muskelkraft und aufgrund der äußeren Umstände (Strandsperrung) kann Dog seinen Roboter nicht zur Reparatur bringen, also trennen sich ihre Wege an dieser Stelle. Dem Filmtitel gemäß beginnt Robo von nun an zu träumen (ob in seinen Träumen auch elektrische Schafe vorkommen, wird nicht verraten), während Dog sich nach wiederholten Rückschlägen seinem Alltag (und letztlich auch Alternativen) zuwendet. Werden beide bald wieder vereint sein oder droht ein trauriges Ende?

                                                  ++ Massive SPOILER ++

                                                  Hinsichtlich des Finales gehen Pablo Berger und sein Team ganz bewusst nicht den bequemsten Weg. Sie hätten sich problemlos einen schlanken Fuß machen können, indem sie auf einen der Kniffe zurückgreifen, die sich beispielsweise im Rom Com Genre großer Beliebtheit erfreuen, um um etwa eine Situation herbeizuführen, die sich mehr oder minder zwangsläufig aus den Gegebenheiten ergibt. Stattdessen trifft einer von vier Charakteren eine Entscheidung, die sich zwangsläufig auf die Zukunft dreier anderer Figuren auswirken wird. Der bittersüße Geschmack, der sich daraus ergibt, wird zwar ein wenig durch den Umstand abgefedert, dass die jeweiligen Wohnorte offenbar nicht sehr weit auseinanderliegen, wodurch sich die Betroffenen möglicherweise noch sehr viel öfter begegnen werden und wiederholt die Möglichkeit bestehen wird, die besagte Entscheidung zu revidieren oder zu modifizieren. Doch durch das gewählte Konstrukt führt Berger anhand des Beispiels von Robotern und anthropomorphen Tieren eine Situation herbei, die menschlicher kaum sein könnte und sich deutlich näher am realen Alltag als an klischeehaften Kinoszenen befindet. Nur selten stehen bei Entscheidungen eine schwarze und eine weiße Alternativ zur Verfügung. Oftmals gibt es einfach keine Variante, die die eindeutig bessere darstellt. Wenn eine Beziehung durch äußere Einflüsse zerbricht und sich später eine neue formiert, kann es eben durchaus sein, dass jede damit verbundene Entscheidung mit dem Gefühl Schmerz und / oder Ungerechtigkeit einhergeht. Für berufliche Vorgänge gilt dies analog (wenn beispielsweise jemand für befristete Zeit als Vertretung eingestellt wird und sich als ähnlich kompetent und beliebt erweist wie der zu vertretende Kollege). Dass derlei Dilemmata verfilmt werden, ist keineswegs neu; doch im Rahmen eines Animationsfilmes lässt ein derartiges Konstrukt durchaus aufhorchen. Erst recht, wenn die Geschichte so liebevoll und detailorientiert wie in 'Robot Dreams' erzählt wird.

                                                  8,5 – 9 Punkte.

                                                  KURZFAZIT

                                                  Waustark!

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                                                    ++ SPOILERgefahr für alle, die das Finale der dritten Staffel bzw. die kompletten letzten beiden Staffeln der Hauptserie ('Gomorrha') noch nicht kennen ++

                                                    Alles muss man selber machen...

                                                    Nachdem die Figur des Ciro Di Marzio zum Ende der dritten Staffel vorerst aus der Serie 'Gomorrha' herausgeschrieben wurde, blieb der Verbleib seines Körpers zunächst ungeklärt. Langjährige Zuschauer werden zwar sicher schon von Anfang an einen gewissen Verdacht gehegt haben, doch Gewissheit gab es zunächst keine bzw. in bester Mafiamanier nur gegen Bezahlung. Denn auch wenn die Veröffentlichung auf dem deutschsprachigen Markt anderweitig erfolgte, schaffte dieser Nebenstrang der Geschichte von 'Gomorrha' in einigen Ländern den Sprung auf die große Leinwand. Durch 'L'Immortale' wird die Lücke geschlossen, die bezüglich der Figur des Ciro zwischen der dritten und der fünften Staffel entstanden ist. Erzählt wird, wie es dem Protagonisten mehrerer Staffeln während der Zeit seines Untertauchens (im doppelten Wortsinn) ergangen ist, wobei die Autoren die Gelegenheit ergreifen und ihre Erzählung mit einer Backstory Ciros unterfüttern. Denn Ciro trifft in seinem Exil auf einen alten Weggefährten, der während seiner Kindheit ein zwielichtiger Mentor für ihn war.

                                                    Der Ganove Bruno machte seinerzeit eine Reihe Minderjähriger zu seinen Komplizen und Helfern; rund drei Jahrzehnte später sind die Vorzeichen auf den Kopf gestellt. Ciro spannt Bruno und dessen Leute in seine Geschäfte ein, während eine russische und eine lettische Bande Druck auf sie ausüben. Auf der früheren Zeitebene werden diverse Episoden aus Ciros Kindheit und früher Jugend gezeigt, in denen der Weg zu seiner späteren „Karriere“ bei den Savastanos geebnet wurde.

                                                    Regie führt, wie eingangs bereits angedeutet, Hauptdarsteller Marco D'Amore selbst. Gelungen ist ihm damit eine gewisse Veredelung des (visuell ohnehin schon beachtlichen) Stils sowie eine Erzählung, bei der – zumindest während der ersten Hälfte des Filmes – vorerst die Dramenaspekte wieder an Bedeutung gewinnen. Auch wenn der Protagonist sich in der späteren Zeitebene oftmals äußerst wortkarg und knurrig gibt, rücken Dialoge und halbwegs bodenständige Handlungen wieder stärker in den Vordergrund, was besonders dem Erzählfluss zugutekommt. Doch je näher der Abspann rückt, desto stärker wird wieder in jene Muster verfallen, von denen auch die beiden finalen Staffeln der Mutterserie dominiert werden: Erneut werden haufenweise Konkurrenten über den Jordan geschickt, wodurch die Handlung noch vorhersehbarer erscheint, als das das Gegenteil bewirkt wird. Positiv formuliert wird den Anhängern der Serie halbwegs ausgewogener Fanservice geboten, indem während der ersten Filmhälfte an den Erzählton der ersten Staffeln angeknüpft wird, wohingegen man sich gegen Ende hin eher an den Gepflogenheiten aus den späteren Staffeln orientiert.

                                                    KURZFAZIT

                                                    Folgerichtige Ergänzung der Serie, deren Sichtung für neu hinzugekommene Zuschauer aber wahrscheinlich nur bedingt Sinn macht.

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