Framolf - Kommentare

Alle Kommentare von Framolf

  • 7

    Mateus und einige andere junge Männer, die sich bisher überwiegend als Tagelöhner verdingen, erhalten ein Jobangebot aus Sao Paulo, von dem allerdings anfangs nicht ganz klar ist, was sie eigentlich tun sollen. Also lassen sie sich erstmals in ihrem Leben in die große Stadt fahren, wo sie nicht schlecht über die imposante Architektur staunen. Ihr Ziel liegt jedoch auf einem heruntergekommenem Hinterhofschrottplatz, dessen zwielichtiger Betreiber erstmal die Reisepässe aller Neuankömmlinge haben möchte – zu Verwaltungszwecken, wie er behauptet. Die Unterkunft der Wanderarbeiter ist mit gleich zwei Stahltoren gesichert, was ebenfalls nicht gerade Vertrauen schafft. Und ehe sich die Jungs versehen, finden sie sich in einem regelrechten Albtraum wieder.

    Doch das ist nur ein Teil der Geschichte, die hier erzählt wird. Mit zunehmender Laufzeit taucht die Erzählung auch tiefer in die Welt der Hintermänner ein. Je nachdem, aus welcher Perspektive man die Handlung betrachtet, handelt es sich bei der brasilianischen Filmproduktion '7 Gefangene' also um ein Sozial- oder Kriminaldrama. Erzählt wird von einem System, das nur wenige Gewinner, aber zahlreiche Verlierer (oder besser: Opfer) kennt. Offenbar geht es also nicht nur um kriminelle Auswüchse, sondern eher um syndikatähnliche Strukturen zur systematischen Ausbeutung mehr oder weniger mittelloser Menschen. Und um es nur vage anzudeuten: Der vielleicht erschütterndste Aspekt der Thematik wird noch nicht mal vollständig durchdekliniert, weil auch das Gezeigte schon tragisch genug erscheint, um den wesentlichen Punkt der Handlung klarzumachen.

    Regisseur Alexandre Moratto legt bei der Inszenierung augenscheinlich großen Wert darauf, das Publikum an die Hand zu nehmen und als stumme Zeugen einzubinden, wodurch der Eindruck entstehen kann, man wäre auch als Zuschauer in das Geschehen involviert. Spätestens als Kunde, der unter prekären Verhältnissen hergestellte Produkte kauft, ist man es letztlich ohnehin. Der (im Film ausführlich thematisierte) Umstand, dass es auch unter den Arbeitern vereinzelte Krisengewinnler gibt, ist von diesem Befund schließlich unbenommen. Wie würde man sich selbst in einer derartigen Situation verhalten? Vermutlich sollte man besser zwei mal über diese Frage nachdenken, bevor man den ersten Stein wirft. Der springende Punkt bleibt jedoch die Frage nach den mafiösen Strukturen, die hinter dem Menschenhandel und den damit verbundenen Arbeits- und Lebensbedingungen stehen. Moratto macht diese in Form eines fast schon thrillerartig inszenierten Dramas sichtbar.

    KURZFAZIT

    Der FDP gefällt dieser Film NICHT.

    33
    • 5 .5

      Oscar Madness (2 Nominierungen)

      Zwei Polizisten (Michael Douglas und Andy Garcia), die in einem Restaurant Zeugen eines Mordanschlages werden, sollen wenig später den Täter nach Japan ausliefern, wo sie unmittelbar nach ihrer Ankunft in eine Falle tappen. Aus dem vermeintlichen Routinetrip wird somit eine Mission, die gefährlicher kaum sein könnte. Statt wie erhofft eine ruhige Kugel schieben zu können, müssen sie nicht nur um ihre Reputation bangen, sondern im wahrsten Sinn des Wortes auch um ihr Leben kämpfen.

      Coole Typen, coole Action, coole Musik – so ähnlich hätten manche Zuschauer 'Black Rain' vielleicht kurz nach der Veröffentlichung beschrieben. Einige Jahrzehnte später hingegen wird deutlich, dass alleine schon die Betonung eines einzigen Adjektivs einen riesigen Unterschied machen kann. Was Ende der 80er vielleicht noch modern war (Betonung auf der zweiten Silbe), beginnt einige Jahre später schon zu modern (Betonung auf der ersten Silbe). Machogehabe, das seinerzeit manchen Menschen vielleicht sogar als Inbegriff der Männlichkeit galt, wirkt in der Retrospektive vielleicht präpubertär bis infantil. Das Motorradrennen, mit dem die Erzählung eröffnet wird, verheißt in dieser Hinsicht jedenfalls nichts Gutes. Tatsächlich täuschen die Vorzeichen auch nur sehr bedingt. Ein Teil der vermeintlichen Wendungen stinkt kilometerweit gegen den Wind und die Dynamik zwischen den US-amerikanischen Cops und ihren japanischen „Gastgebern“ könnte unwuchtiger kaum sein. Was wären die Asiaten nur ohne die (ungebetenen) weisen und gütigen Ratschläge und Erklärungen ihrer selbsternannten amerikanischen Mentoren?

      Deutlich besser gealtert als der Inhalt erscheint hingegen der vergleichsweise düstere Stil der Inszenierung. Auch wenn bei der Darstellung Japans ein Klischee auf das andere folgt, so kann einen die Atmosphäre durchaus in ihren Bann ziehen. Auch die Action ist mehr als solide inszeniert, wodurch sich 'Black Rain' hervorragend für eine cineastische Zeitreise zurück ins Thrillerkino der späten 80er Jahre anbietet – mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen.

      KURZFAZIT

      Es hätte völlig ausgereicht, 'Black Rain' mit einem Drittel des Budgets und Michael Dudikoff in der Hauptrolle zu verfilmen.

      38
      • 6
        Framolf 21.03.2025, 05:50 Geändert 21.03.2025, 06:22

        Nielsen Madness (17.569 Auszeichnungen)

        „Ihr Hund, er hat so einen erstaunlichen Blick im Gesicht.“
        - „Tja, nur weil Sie in sein Hinterteil blicken.“
        „Dann wird er das Leckerli, das ich ihm gerade reingesteckt habe, wohl kaum genießen können.“ (8:35)

        Auch wenn Leslie Nielsen eine Reihe mehr oder weniger ernsthafter Rollen in seiner Filmographie stehen hat, so lässt sich für seine Klamaukfilme doch eine Besonderheit feststellen: Zumeist spielt er dort nicht nur irgendeine Rolle, sondern er spielt Leslie Nielsen, der eine Blödelrolle spielt, wodurch seiner Rollenhistorie eine zusätzliche Facette verleiht. Oder anders formuliert: Der Stempel, den er seinen Gaudirollen aufdrückt, erscheint derart markant, dass man die Rollen wahrscheinlich selbst dann noch als Leslie-Nielsen-Parts identifizieren würde, wenn man sein Erscheinungsbild komplett verfremden würde. Wer Leslie Nielsen für eine Komödienproduktion bucht, will eben zumeist auch ein ganz bestimmte Art von Performance dafür bekommen. So oder so ähnlich muss wohl auch Produzent Bernd Eichinger beim Einstieg in dieses Projekt gedacht haben. Und ohne jeden Zweifel: Genau das hat Eichinger schließlich auch bekommen. Überhaupt wird hier ein Gagfeuerwerk abgebrannt, das in einer derartig kurzen Taktung nicht allzu oft zu erleben ist.

        Die fast schon exzessiv durchexerzierte Blödelorgie sollte daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass über weite Strecken durchaus hohe Aufmerksamkeit gefragt ist, denn Pat Profts Inszenierung erweist sich als geradezu vollgestopft mit Gags und Easter Eggs jeglicher Art. Zwischenrufe aus der Peripherie, Nonsense-Zeitungsartikel (die man nur im Standbild vollständig lesen kann) oder diverse Albereien im Abspann (beispielsweise die Preisliste der Kantine) sind nur einige Beispiele, die im Gewitter der Slapstick-Einlagen oder der fast durchweg auf Humor getrimmten Dialogzeilen untergehen könnten.

        In Sachen Handlung orientiert sich Profts Grundgerüst an Andrew Davis' Kinoadaption der Erfolgsserie 'Auf der Flucht' (besonders an der Figur des Ermittlers), während in Bezug auf den Protagonisten schon beim Namen klar wird, dass sein Charakter nicht ausschließlich im Dienst der besagten Vorlage steht, sondern durchaus auch im Sinne weiterer Produktionen mit Harrison Ford (bspw. die Jack Ryan Filme) – und nicht nur ihm – zu verstehen ist. Weitere Referenzen an Filme wie 'Titanic', 'Braveheart', 'Die üblichen Verdächtigen', 'Mission Impossible', 'Baywatch', 'Star Wars', '3 Engel für Charlie', 'Der unsichtbare Dritte', 'Die Vögel' u.v.m. runden das Konzept schließlich ab.

        Doppelte Ironie: In der Mutterserie 'Auf der Flucht' (1963-1967) bekleidet Leslie Nielsen gleich zwei verschiedene Gastrollen.

        KURZFAZITZ

        Leslie Nielsen.

        37
        • 5 .5

          Eine Gruppe junger Menschen (unter ihnen Alycia Debnam-Carey aus 'Fear the Walking Dead') trifft sich, um einen lustigen Abend zu verbringen. Einer von ihnen fehlt, doch er scheint es faustdick hinter den Ohren zu haben; schließlich kursieren verschiedene Gerüchte über ihn. Überhaupt ist hier zu Beginn vieles in der Schwebe, denn auf die Zuschauer wird ein zunächst vergleichsweise unübersichtliches Figurentableau losgelassen. Viele der Charaktere werden vorerst nur mit stakkatohaft vorgetragenen Dialogfetzen eingeführt, was nicht unbedingt dazu beiträgt, ausnahmslos allen von ihnen sofort Konturen zu verleihen. Was beispielsweise Slashergenre oftmals nicht weiter von Belang ist (wenn die meisten Figuren ohnehin bald das Zeitliche segnen), kann in einem Science-Fiction-Mystery-Irgendwas-Hybrid wie 'Zeig mir, wer du bist' schnell zu einem Problem werden. Als wenig überraschend der ominöse „Freund“ doch noch auftaucht, bringt er eine Partyidee mit, die man als Zuschauer nur in vollständiger Kenntnis der Eigenarten der maßgeblichen Charaktere komplett auskosten kann; andernfalls würde ein Verwirrspiel folgen, bei dem große Teile des Sehvergnügens wohl auf der Strecke bleiben dürften.

          Greg Jardin (Regie & Drehbuch) kommt hier also mit einer Idee um die Ecke, die zwar grundsätzlich nicht unbedingt neu ist, in einem (zumindest zeitweilig) derart temporeichen Vortrag jedoch schnell zu einer Herausforderung werden kann; zumindest wenn man die Geschichte in all ihren Facetten erfassen will. Erschwerend kommt hinzu, dass man sich als Zuschauer über weite Strecken auf dem Kenntnisstand einiger Charaktere befindet und man somit teilweise auch selbst nur mutmaßen kann, was gerade vor sich geht bzw. wie sich die Dynamik zwischen verschiedenen Personen gerade entwickelt.

          Als Zuschauer nimmt man so an einer Art Spieleabend teil, der den großen Vorteil bietet, sich nicht selbst mit dieser Clique treffen zu müssen. Gegen Ende überschlagen sich schließlich die Ereignisse und es folgt ein Epilog, der fast mehr Entwicklungen zeigt als die „reguläre“ Handlung zuvor.

          KURZFAZIT

          Vergleichsweise temporeich vorgetragenes Verwirrspiel.

          35
          • 7

            Oscar Madness (1 Nominierung)

            Die kritischen Töne zuerst: Die Dokumentation 'To Kill a Tiger' beginnt mit der Einblendung von Texttafeln, in denen darum gebeten wird, keine Bilder der Minderjährigen, die gezeigt werden, anderweitig zu verbreiten; wohlgemerkt bei einer Produktion, die via Netflix ausgestrahlt wird. Aber sei's drum, die grundsätzliche Intention dahinter erscheint zumindest nachvollziehbar. Dennoch kann hier (nicht nur in dieser Hinsicht) das stellenweise etwas unsensible Vorgehen der Produzenten womöglich noch einen hohen Preis nach sich ziehen, denn der Umstand, dass beispielsweise gezeigt wurde, wie der Nebenklägerin einige Blätter mit ihrer bevorstehenden Aussage zum Auswendiglernen vorgelegt werden, könnte eventuell bei der Berufungsverhandlung vor dem obersten Gericht thematisiert werden.

            „Einen Tiger kann man nicht alleine töten“ (1:57.45)

            Über allem schwebt der Begriff der Ehre. Notfalls muss, wenn es nach dem Willen vieler Außenstehender geht, auch mal ein Verbrechen ungesühnt bleiben, bevor es überregional Wellen schlägt. Doch eigentlich scheint die dominierende Kraft die Angst zu sein. Verbrechensopfer haben Angst vor den Angehörigen ihrer Peiniger, unbeteiligte Dorfbewohner decken Täter aus Angst vor einem Verlust der Ehre des Dorfes und Lokalpolitker fürchten den Zorn der Dorfbewohner, wenn sie sich vorbehaltlos auf die Seite der Opfer stellen. In städtischen Gebieten herrschen andere Strukturen vor. Dort kann sich der Vater des Opfers in diesem Fall frei bewegen, ohne dass ihm jemand Prügel androht. Auf der anderen Seite wird er dort mit Situationen konfrontiert, die ihn (aus nachvollziehbaren Gründen) verunsichern. Wird er den Staatsanwalt überzeugen können, den Fall seiner Tochter mit Nachdruck zu verfolgen? Wird er auch sonst alles richtig machen und zudem dem Druck standhalten, der ihm an seinem Wohnort entgegenschlägt?

            „Einen Tiger kann man nicht alleine töten.“ (1:57.45)

            Um seine Erfolgsaussichten zu erhöhen, werden der Vater und seine Familie von drei Abgesandten der Srijan Stiftung unterstützt, die ihm Rechtshilfe leisten und ihm beratend zur Seite stehen. Diese wiederum werden selbst zum Ziel von Anfeindungen. Doch sie lassen sich nicht beirren. Sie machen sich auf die Suche nach Personen, die zugunsten des Opfers aussagen könnten, sprechen mit dem Staatsanwalt, organisieren Fahrten in die Stadt und stehen für Nachfragen zur Verfügung. Es ist davon auszugehen, dass sie wohl in einem mehr oder minder urbanen Umfeld wohnen werden; denn an vielen Stellen wird deutlich, wie sehr sich die Lebenswirklichkeiten innerhalb vergleichsweise kurzer Distanzen ändern können. Noch dazu steht die These im Raum, dass es im Osten Indiens (wohlwollend formuliert) deutlich traditioneller, aber auch ruppiger, zugeht als als in anderen Landesteilen.

            „Wir sind hier in Jharkhand, nicht im Westen. Ich kann hier nicht mal meinem Sohn trauen.“ (42.20)

            Söhne, deren Stellenwert (ganz besonders in ländlichen Gegenden) ohnehin als sehr viel höher angesehen wird als der von Töchtern, glauben, sich in diesem Umfeld nahezu alles erlauben zu können. Vergewaltigt ein Mann eine Frau, soll er sie eben heiraten, um die Schande der Frau(!) zu beseitigen. Sind mehrere Täter daran beteiligt, reicht es, wenn das Opfer einen von ihnen heiratet. Die anderen gelten dann als automatisch unschuldig. Werden derlei Fälle über die Gemeindegrenzen hinaus öffentlich, trifft die Schande alle Bewohner. Für den seltenen Fall, dass es zu einer Verurteilung kommt, geht die Schande gewissermaßen vom Opfer (das die Täter angeblich zu ihrer Tat provoziert hat) auf die Dorfgemeinschaft über, da dann ja von einer unabhängigen Instanz festgestellt wurde, dass das Opfer eben kein Täter ist. Ungefähr so lässt sich die Logik beschreiben, auf denen die Handlungen vieler Dorfbewohner beruhen. Manche sind voller Zorn auf die Familie des Opfers, andere meiden den Kontakt zu ihnen – entweder aus Scham oder aus Angst vor Repressalien der Dorfgemeinschaft.

            Nisha Pahuja (Regie) zeichnet also das Bild einer fatalen Gemengelage nach, stellt dabei aber das Wirken progressiver Kräfte in den Vordergrund, die mit großem Idealismus einen beharrlichen Kampf gegen Windmühlen führen.

            KURZFAZIT

            Porträt über zivilgesellschaftlichen Einsatz für Gerechtigkeit.

            34
            • 5

              Sich in betrügerischer Absicht als Experte für okkulte Phänomene auszugeben, führt im Horrorgenre nur selten zu etwas Gutem. Meistens geht es nur so lange gut, bis die Schwindler tatsächlich in Kontakt mit dem Bösen (in Gestalt von Menschen oder irgendwelchen Entitäten) kommen. Angela (Florence Pugh) und ihr Bruder versuchen trotzdem, ihren Kunden mit einer Mischung aus Technik und Schauspielerei das Geld aus der Tasche zu ziehen. Zwar setzt sich Angela dafür ein, es nicht zu übertreiben, aber nicht zuletzt aufgrund rätselhafter Erscheinungen, die sie aktuell plagen, hat sie aktuell andere Prioritäten, als sich ein neues Auskommen zu suchen. Also nehmen die beiden (gemeinsam mit ihren zwei Komplizen) den Auftrag einer etwas rätselhaften Dame an, in deren Haus irgendwo im Nirgendwo mysteriöse Dinge vor sich gehen. Ein böser Fehler!

              In dieser Geschichte und Inszenierung, die sich irgendwo zwischen 'Der letzte Exorzismus' und 'The Borderlands' (beide 2013) bewegen, ist eigentlich schon von vornherein klar, dass es für die Hochstapler wohl in den Graben laufen wird. Die Spannung generiert sich also fast ausschließlich über die Frage, ob bzw. wie zumindest manche der Charaktere ihren Kopf aus der Schlinge ziehen werden. Das Gemäuer an sich erscheint zwar wie geschaffen für eine Horrorstory, doch die Setzung einer düster-morbiden Atmosphäre gelingt nur bedingt. Stattdessen wirkt die Stimmung über weite Strecken eher unterkühlt als düster. Auch wenn der Grad der Bedrohung mit fortschreitender Handlungsdauer steigt, trägt die Figurenkonstellation nicht gerade zum Aufbau von Spannung bei. Alleine schon die Zusammensetzung der Gruppe liefert Hinweise, in welcher Reihenfolge die Charaktere voraussichtlich in Gefahr geraten werden. Etwas mehr Unberechenbarkeit im Skript hätte nicht geschadet. So bleibt am Ende nur ein solider Genrebeitrag von der Stange.

              KURZFAZIT

              Stangenware mit renommierter Hauptdarstellerin.

              35
              • 4

                Oscar Madness (1 Auszeichnung)

                Als Marie Antoinette (Kirsten Dunst) an den Hof von Versailles kommt, stellt sie fest, dass der dortige Tagesablauf vor allem aus drei Elementen besteht: Während die Männer auf die Jagd gehen, probiert sie selbst Schuhe an. Ansonsten schlagen sie und Ludwig XVI. (Jason Schwartzman) sich vornehmlich die (erstaunlich flachen) Bäuche voll; vorwiegend mit Schokolade in allen denkbaren Facetten. Warum auch nicht, wenn alles reichlich vorhanden ist und man kein Gramm zunimmt? Auch um das Volk, das all den Luxus schließlich finanziert, müssen sie sich keine großen Gedanken machen; schließlich hat der Pöbel ja seinen Kuchen. Zwischendurch geht es hin und wieder in die Oper, wo die Gemahlin des Königs mangels entsprechender Vorbildung gerne auch mal eigene Gepflogenheiten einzuführen versucht. Immerhin gelingt es ihr damit, einen Indikator für die Sicherheit ihrer eigenen Stellung zu etablieren. Ob sie daraus zu gegebener Zeit auch adäquate Schlüsse ziehen wird, steht auf einem anderen Blatt.

                Unvorhergesehene Konzeptionen und radikale Neuausrichtungen gehören zum täglichen Brot bei der Inszenierung historischer Stoffe. Schließlich lassen sich auf diesem Wege oftmals Sachverhalte konkretisieren, auf die der Blick andernfalls vielleicht verstellt geblieben wäre. Bis zu welchem Punkt sich derlei Stilmittel als gewinnbringend erweisen, ist wahrscheinlich nicht ganz einfach zu beantworten. Durchaus strittig erscheint beispielsweise die Frage, ob hier mit zeitgemäßen Stilmitteln neue Bezüge zu gegenwärtigen Phänomenen freigelegt werden oder ob der innere Kern von Marie Antoinettes Biografie einfach nur weitgehend ausgehöhlt wurde. Zudem sind sich selbst zahlreiche renommierte Kritiker nicht einig, ob Sofia Coppola hier einen Perspektivwechsel oder Geschichtsklitterung betreibt. Natürlich gehört es zu den inhaltlichen Hauptaufgaben des Dramengenres, tradierte Sichtweisen zu hinterfragen und sich gerne auch mal durch Gepolter Gehör zu verschaffen, doch im Fall der vorliegenden Adaption können durchaus auch Fragen nach der Relevanz aufkeimen. Folgt man Coppolas Argumentation, könnte man durchaus auch zu der Ansicht gelangen, Marie Antoinette sei schlichtweg nur ein Opfer der äußeren Umstände. Diese These mag bedingt auch zutreffend sein, denn ein Produkt der Rahmenbedingungen und zeitlichen Begleiterscheinungen ist schließlich jeder. Was man als Zuschauer jedoch mit einem derartigen Befund anfangen soll, wird wohl nur die Regisseurin selbst wissen.

                KURZFAZIT

                Genialer Perspektivwechsel oder plumpe Geschichtsklitterung?

                34
                • 8

                  Detroit, Michigan: Eine blühende Oase der Industriekultur - das war einmal. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts müssen einige Viertel der Stadt als Sinnbild für Verfall und wirtschaftlichen Niedergang herhalten. Während Jim Jarmusch wesentliche Szenen seines dystopischen Vampirdramas 'Only Lovers Left Alive' in dem besagten Umfeld ansiedelt, wählt Zach Cregger in 'Barbarian' eine andere Herangehensweise, die allerdings auch nicht sehr viel hoffnungsvoller erscheint.

                  Tess (Georgina Campbell) bucht sich in einer Unterkunft ein und muss vor Ort feststellen, dass dort bereits ein anderer Gast (Bill Skarsgard) residiert. Zumindest gibt der Fremde sich als Gast aus. Ob seine Ausführungen der Wahrheit entsprechen, muss sich erst noch herausstellen. Deutlich schneller klar wird jedoch eines: In dem Haus gehen rätselhafte Dinge vor sich; und sie verheißen nichts Gutes. Im Keller (worin die verfallenden Häuser als Sinnbild für die Vergangenheit ihre Entsprechung finden) spielen sich düstere Szenen ab. Wird auch Tess in den Sog der Gewalt geraten?

                  In drei Kapiteln (nebst eines eingeschobenen Rückblicks) wird in 'Barbarian' (2023) eine finstere Geschichte über systematische Unterdrückung und massive Gewaltexzesse erzählt, in der die Täter ironischerweise nicht nur ihre Opfer zerstören, sondern letztlich auch sich selbst. Scheinbare Nebenhandlungen fügen sich zu einem pessimistischen Blick auf die Ellbogengesellschaft zusammen.

                  Abseits der thematischen Aspekte wird man hier als Zuschauer durch Kulissen geführt, die stimmungsvoller (und somit effektiver) kaum in Szene gesetzt werden könnten, womit die Drehorte zu den heimlichen Stars der Produktion avancieren. Hinter jeder Ecke kann das Grauen lauern, wobei Cregger in den meisten Räumen einfach nur Assoziationen in den Köpfen der Zuschauer ihre Wirkung entfalten lässt. Die Ereignisse finden in bedrückender Enge statt und wiederholt werden Andeutungen entweder über zurückliegende oder in anderen Räumen stattfindende Gräueltaten gemacht. Das Grauen am Horizont oder hinter der nächsten Ecke bekommt so einen noch höheren Stellenwert als die aktuelle Präsenz des Bösen. Doch dieser Ort ist nicht nur gottverlassen, auch die Polizei hat dieses Viertel und seine Bewohner längst aufgegeben. Sollen sie doch selbst schauen, wo sie bleiben. Auch wenn die Protagonistin mehrere schlaue Ideen entwickelt und in die Tat umsetzt, steht ihr eine regelrecht Tour de Force bevor, die mit „barbarisch“ noch euphemistisch umschrieben ist.

                  KURZFAZIT

                  Seelische Abgründe tun sich in düsteren Kulissen (und doch mitten in der Gesellschaft) auf.

                  42
                  • 5

                    „Zickezacke, zickezacke“ – „Hoi, hoi, hoi!“

                    Mit Liedern aus der Mottenkiste und Slogans aus den 80ern Jahren gelangt ein eigentlich nur mäßig erfolgreicher Musiker zu Reichtümern, die er sich von den Konzerteinnahmen und sonstigen Verkaufserlösen normalerweise nicht einmal ansatzweise leisten könnte. Seine Bandkollegen rätseln über die Tätigung dieser oder jener Investition, doch deren Bedenken wischt er zumeist wahlweise lapidar oder theatralisch weg. Wie also kann er seinen aufwändigen Lebensstil realisieren?

                    In der Tragikomödie 'The Polka King' wird das Bild eines nur mäßig talentierten Musikers (Jack Black) gezeichnet, der seinen Fans zweifelhafte Geldanlagen anbietet, um seinen Shows mit den eingeworbenen Mitteln einen glänzenderen Anstrich zu verleihen. Oder handelt es sich bei ihm zuvorderst um einen Anlagebetrüger, der seine absurden Shows in erster Linie dazu nutzt, arglose Investoren in eine Art Schneeballsystem zu locken?

                    Wer sich schon immer einmal im nüchternen Zustand wie auf Drogen fühlen wollte, dürfte bei den aberwitzigen Veranstaltungen des Polka Kings genau richtig sein. Wie man jedoch auf die Idee kommen kann, er sei ein seriöser Verwalter privater Vermögen, steht auf einem anderen Blatt. Genau dieser Frage gehen die Drehbuchautoren Maya Forbes und Wallace Wolodarsky in der Tragikomödie 'The Polka King' nach.

                    Unterschätzen sollte man den Polka King jedoch tunlichst nicht. Was einige der Geschädigten offenbar nicht auf dem Schirm haben: Er gibt sich zwar gerne als Clown, doch er scheint ein sehr gutes Gespür dafür zu haben, welche Knöpfe er in welcher Situation drücken muss. Wiederholt stellt er im Film unter Beweis, dass er, sobald er sich in die Enge getrieben fühlt (und nicht nur dann), zielgenau an jene Empfindungen appelliert, die er bei seinem Gegenüber gerade als Ansatzpunkt oder gar als Schwachstelle ausmacht. Der Erfolg gibt ihm offenbar recht, denn immer wieder gelingt es ihm, bei seinen Gesprächspartnern eine radikale Abkehr von deren ursprünglichen Anliegen (hin zu einer Haltung in seinem Sinne) zu bewirken. Besonders daraus generieren sich in der Inszenierung von Maya Forbes wiederholt Komik und Tragik zugleich.

                    KURZFAZIT

                    „Zickezacke, zickezacke“ – „Ha, ha, ha!“ [sic!]

                    32
                    • 6

                      ++ Minimale SPOILER ++

                      Eine fromme junge Frau (Sidney Sweeney) tritt in Italien einer religiösen Sekte bei, in der Frauen nicht viel zu sagen haben und in der auch körperliche Misshandlungen keine absolute Seltenheit darstellen.

                      Oh, Verzeihung, falscher Film. Neuer Versuch: Eine fromme junge Frau (Sidney Sweeney) tritt in Italien einer einem Orden der katholischen Kirche bei. Fraglos haben sich nicht wenige Familien in vergangenen Jahrhunderten aus finanziellen Gründen oder durch die Aussicht auf schulische Bildung dazu entschlossen, ihren Nachwuchs in die Fänge bzw. in die Obhut Geistlicher zu geben, die bereits qua ihres Amtes einen Vertrauenvorschuss genossen. Nicht so im Fall von Cecilia, die selbst durchaus überzeugt von ihrem Schritt zu sein scheint. Nach einer Weile wird ihr Fall jedoch ebenso kurios wie rätselhaft, denn Cecilia scheint eine unbefleckte Empfängnis bevorzustehen. Wie ist das möglich? Ein Wunder? Eine Lüge bzw. ein Schwindel? Oder etwas ganz anderes – und wenn ja, was?

                      Eines deutet sich bereits früh an: Wer eine Erzählung mit einer derartigen Prämisse beginnt, manövriert sich sehenden Auges in eine Lage, aus der es voraussichtlich nur sehr wenige bodenständige Auswege geben kann: Nämlich wenn es sich um eine vorgetäuschte Schwangerschaft (oder maximal noch um ein Missverständnis oder eine Fehldiagnose handelt). Andernfalls steht wohl eher eine Auflösung im Raum, die man getrost als an den Haaren herbeigezogen empfinden kann. Auf der anderen Seite: Im religiösen Umfeld liegt die Messlatte für Verwunderung dann doch wieder sehr viel niedriger als im weltlichen Bereich.

                      Regisseur Michael Mohan macht sich diesen Umstand zunutze, indem er zunächst eine Ästhetik der Makellosigkeit zelebriert, ehe er sich dem Konzept der unbefleckten Empfängnis zuwendet. Von dort aus geht es dann auch klar in Richtung Horror und das Kloster scheint einmal mehr zum cineastischen Hort des Bösen zu werden. Und womit? Mit Recht – auch wenn gegen Ende hin dann so extrem über die Stränge geschlagen wird, dass man sich schon längst nicht mehr diesseits der Trashgrenze bewegt.

                      KURZFAZIT

                      Die katholische Kirche mal wieder...

                      36
                      • 6

                        Im Eröffnungssatz eines Filmkommentars zu 'Rebirth – Die Apokalypse Beginnt' würde sich der Hinweis anbieten, dass es sich um Found Footage Horror mit Science Fiction Einschlag handelt. Doch das würde vielleicht falsche Assoziationen wecken, auch wenn die Genrezuordnung durchaus korrekt wäre. Von den meisten anderen FF-Horrorstreifen ist man hier dann aber doch ein ganzes Stück entfernt. Dies beginnt bereits mit den Rahmenbedingungen, in denen die Handlung stattfindet: In einer nicht sehr weit entfernten Zukunft verfügt die Kirche über die Macht, verstorbene Personen wiederauferstehen zu lassen. Die Entscheidung, welchen Toten diese Ehre zuteil werden soll, wollen sich die kirchlichen Würdenträger natürlich nicht aus der Hand nehmen lassen. Wohin führt das? Wie wirkt sich die wiedererlangte Macht auf die Kirche als Institution und als gesellschaftlichem Akteur aus? Wie werden sich die Un-Toten als Individuen verhalten und wie als Gruppierung?

                        Eines ist absehbar: Wenn das Konzept funktioniert, wird die Kirche enormen Zulauf erhalten, wodurch mittelfristig die Zahl an „Rückkehrern“ steigen dürfte. Gestorben wird schließlich immer; infolge der neuen Möglichkeiten wird der Tod für manche Menschen geradezu attraktiv. Im Grunde ist das hier entworfene Szenario dem in Charlie McDowells Science Fiction Drama 'The Discovery' (2017) also gar nicht mal so unähnlich. Wenn der Tod nicht zwingend das Ende bedeutet, verliert er für einige Menschen eben auch seinen Schrecken.

                        In der Geschichte von 'Rebirth' schließt sich der Vater eines verstorbenen und wiedererweckten Jungen als Priester der Kirche an. Dabei stellt er schnell fest, dass (nicht nur) innerhalb der religiösen Institution verschiedene Strömungen existieren und dass sich der Ton und die Lage zunehmend verschärfen. Er sucht sowohl kirchenintern als auch -extern nach Unterstützung; doch bereits kurze Zeit später überschlagen sich die Ereignisse und ein rasant wachendes Bedrohungsszenario baut sich auf.

                        Der Stil (man folgt dem Protagonisten über dessen Laptop) ist an sich nicht unbedingt neu; in Kombination mit der Religions- bzw. Sekten- oder Kultthematik dann allerdings doch. Wie es der deutschsprachige Nebentitel bereits andeutet, führt der Beginn, den man gemeinhin mit einer Wiedergeburt verbindet, hier direkt an den Rande eines Abgrundes. Kein besonders verlockender Gedanke, aber zumindest einer, den man in dieser Form noch nicht so oft in einem Spielfilm gesehen hat.

                        KURZFAZIT

                        Found Footage Horror mit Science Fiction Einschlag...

                        33
                        • 5 .5

                          Der Tod ist das Ende. Bislang war er das zumindest. Doch nun findet ein Forscher (Robert Redford) heraus, dass auch nach dem Ableben noch Wellen messbar sind, die auf eine Post-Mortem-Aktivität der Seele (oder wie auch immer man die entsprechende Essenz nennen mag) hinweisen. Bei nicht wenigen Menschen weckt diese Entdeckung eine gewisse Neugier oder auch Hoffnung und sie stürzen sich in den Freitod, was wiederum dem besagten Forscher angelastet wird. Ein richtiges Leben nach dem Tod kann er zunächst zwar nicht nachweisen, doch er findet im Selbstversuch heraus, dass auch nach dem Eintreten des medizinischen Todes noch Gedankengänge und Erinnerungen aktiviert werden können. In der Folge entsteht um ihn herum ein sektenartiger Kult, während er auf der anderen Seite auch öffentlich angefeindet wird. Vor diesem Hintergrund lernt sein Sohn eine junge Frau kennen, die augenscheinlich nicht mehr viel Freude an ihrem Leben hat. Beide kommen sich näher, wobei sie auf verschiedene Weise (und aus verschiedenen Motiven) auch Interesse für den aktuellen Stand der Forschung entwickeln.

                          Wie die Zusammenfassung der Prämisse schon andeutet, konzipiert Charlie McDowell 'The Discovery' (2017) als relativ farb- und freudlose Entdeckungsreise an die Ränder des menschlichen Daseins. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit sorgt eben nur selten für Heiterkeit. So gesehen wird dem Publikum hier auch eine Liebesgeschichte der ganz besonders tristen Art serviert, was jedoch nicht bedeuten soll, dass 'The Discovery' langweilig wäre. Dennoch erscheint der Modus der Inszenierung eher meditativ als kurzweilig-unterhaltsam. Kein Material also für einen lustigen Abend unter Freunden, sondern eher etwas für nachdenklichere Stimmungslagen. Ob sich aus der Handlung konkrete Erkenntnisse ableiten lassen, sei dahingestellt. Doch schaden kann gelegentliches Nachdenken über derlei Themen vermutlich nicht.

                          5 – 5,5 Punkte.

                          KURZFAZIT

                          Schwermütiges Gedankenexperiment.

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                          • 6

                            Von Netflix produzierte True Crime Dokus: Kennste eine, kennste... - die hier noch nicht! Auch wenn der berühmte Streamingdienst ständig auf der Suche nach kuriosen Kriminalfällen zu sein scheint, schert 'Der Teufel auf der Anklagebank' dennoch deutlich aus. Im Kern geht es um den Hauptverdächtigen in einem Mordprozess, der geltend macht, während der Begehung des Kapitalverbrechens vom Teufel besessen gewesen zu sein. Da kann ja jeder kommen... Interessant (nicht unbedingt in juristischer, doch aber in cineastischer Hinsicht) erscheint der Fall jedoch in zweierlei Hinsicht:

                            Die Familie des Hauptverdächtigen legt eine ganze Reihe an Ton- und Videoaufnahmen aus früheren Tagen vor, die einen Fall von Besessenheit und den damit verbundenen Exorzismus belegen sollen. Der Einwand, was das mit einer sehr viel später verübten Tat zu tun haben solle, wäre natürlich berechtigt, doch gerade für Fans von Horrorfilmen weist der Fall eine zweite Dimension auf: An den Ritualen zur Teufelsaustreibung war seinerzeit niemand geringeres als Lorraine und Ed Warren beteiligt! Den Fall schlachteten sie damals medial (und letztlich auch pekuniär) regelrecht aus. Abseits der Welt der Filme aus dem Conjuring-Universum sind die Warrens eben nicht nur (vermeintliche oder tatsächliche) Okkultismusexperten, sondern in allererster Linie Geschäftsleute, was auch ihre Auftraggeber deutlich zu spüren bekommen.

                            Filmemacher Chris Holt spielt mit den Erwartungen und Vorurteilen des Publikum über das Thema Besessenheit an sich sowie über die Warrens. Über weite Strecken ist nicht ganz klar, worauf seine Dokumentation zulaufen soll und welche Position er schließlich beziehen wird. Überhaupt ist anfangs nicht mal so recht absehbar, inwiefern das Verbrechen überhaupt mit dem zur Tatzeit bereits zurückliegenden medialen Zirkus zusammenhängen soll. Wie ein Pendel bewegt sich der Tenor der Dokumentation zunächst hin und her, ehe absehbar wird, worum es hier eigentlich geht. Dem Mordfall an sich wird dabei nicht mehr Raum eingeräumt als unbedingt nötig. Von detektivischer Puzzlearbeit ist man in dieser Doku also weit entfernt. Stattdessen wohnt man einer skurrilen Erzählung bei, die im späteren Verlauf auf einen entlarvenden Blick auf zwei popkulturelle Ikonen zuläuft. Das Ergebnis ist zwar ganz sicher kein Meilenstein der Filmgeschichte, aber zumindest ein Kuriosum, das eigentlich recht gut mit den Ausstellungsstücken in den Vitrinen der Warrens korrespondiert.

                            KURZFAZIT

                            True Crime in doppelter Hinsicht: Ein Mordfall und vielleicht auch ein kolossaler Schwindel (begangen von verschiedenen Akteuren).

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                            • 7 .5

                              Oscar Madness (10 Nominierungen)

                              „Wenn jemand 'nen Hund getreten hat, kann man ihn leichter verurteilen, als wenn er 'nen Indianer umgelegt hat.“

                              ++ Minimale SPOILER ++

                              Als auf dem Land des Osage-Stammes Ölvorkommen gefunden werden, kommen die Eigentümer zu plötzlichem Reichtum. Wie so oft, werden dadurch auch allerlei dubiose Gestalten angezogen, die nicht nur ein Stück vom Kuchen, sondern am liebsten gleich die ganze Konditorei haben wollen. Allen voran der zwielichtige Unterweltpate William Hale (Robert De Niro), der in schier grenzenloser Skrupellosigkeit einen diabolischen Plan ersonnen hat: Einer seiner Angehörigen, der etwas einfältig wirkende Ernest Burkhart (Leonoardo DiCaprio), soll in die wohlhabende Familie einheiraten und gemeinsam mit seinem Bruder einen potentiellen Erben nach dem anderen aus dem Weg räumen, bis nur noch er selbst übrig bleibt. Was dieser möglicherweise nicht so recht versteht: Sofern das Vermögen eines Tages auf ihn übergehen sollte, wäre er selbst in allerhöchster Gefahr. Vielleicht aber hat er dies auch längst umrissen und er setzt seine Hoffnungen auf andere Entwicklungen, wie beispielsweise auf ein baldiges Ableben seines „Onkels“ William. Mit letzter Sicherheit lässt sich dies nicht sagen, denn der Protagonist dieser auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte erweist sich als extrem schwer greifbar. Ein beachtlicher Anteil seiner Dialogzeilen besteht ganz offenkundig aus Lügen. Darüber hinaus ist auch nicht immer ganz klar, wann er sich übertölpeln lässt und wann er bestimmte Zusammenhänge ganz bewusst ignoriert. Die diesbezügliche Interpretation des Geschehens bleibt größtenteils dem Publikum überlassen, dem Scorsese in mehreren Aspekten vermeintlich einen großen Wissensvorsprung vor Ernest zugesteht. Während er anfangs als unbedarfter Naivling präsentiert wird, mehren sich mit zunehmender Dauer die Anzeichen, dass er wohl sehr viel bewusster an der Verübung der Verbrechen beteiligt sein dürfte, als er zuzugeben bereit ist.

                              Die vielleicht bedeutendste Szene scheint Scorsese in seinem rund dreieinhalbstündigen Werk regelrecht verstecken zu wollen. Als eine unheilige Allianz aus Ölmagnaten, Polizisten, Juristen, Mediziniern und anderen gesellschaftlichen Akteuren Ernest zu einem gefälligen Aussageverhalten vor Gericht bewegen möchte, wird zwischen den Zeilen angedeutet, dass William Hale wahrscheinlich selbst nur ein Laufbursche der wirklich Mächtigen sein dürfte, wodurch die Kapitalverbrechen eine noch sehr viel wuchtigere Sprengkraft erhalten. Zwar steht der Verdacht eines noch größeren Ganzen auch zuvor schon im Raum, doch das klandestine Treffen in düsterer Atmosphäre unterstreicht, dass an den Schaltstellen der Macht Individuen lediglich als Spielfiguren ohne nennenswerten Wert angesehen werden. An anderer Stelle wird zudem eine Verbindung zu einer Freimaurerloge gezogen, doch die entsprechenden Andeutungen bleiben eher nebulös. So oder so: Scorsese möchte 'Killers of the Flower Moon' ganz offenkundig so verstanden wissen, dass es sich hier keineswegs um die Taten raffgieriger Einzelner, sondern vielmehr um ein strukturelles Problem handeln dürfte. Auf diese Weise legt er den Finger in eine Wunde, die auch Jahrzehnte später noch eitern dürfte. Geschichten wie diese müssen einfach erzählt werden; umso besser, wenn dies durch einen Meister wie Martin Scorsese geschieht.

                              KURZFAZIT

                              Schleichend, aber drastisch. Die Nacherzählung eines verheerenden Falles von Zerstörung aus Gier.

                              37
                              • 6 .5

                                Oscar Madness (1 Nominierung)

                                Edwards (Sebastian Stan) Gesicht ist von Wucherungen überzogen. Er lebt in einer Gesellschaft, in der Erkrankungen wie Neurofibromatose keine Seltenheit zu sein scheinen, aber in der es trotzdem an einem normalen Umgang mit den Betroffenen mangelt. Jedenfalls wird ein Imagefilm über entsprechende Verhaltensempfehlungen gedreht, in dem auch Edward eine kleine Rolle spielt. Nachdem auch seine Nachbarin (Renate Reinsve, 'Der schlimmste Mensch der Welt') an einem Bühnenstück schreibt, sieht er seine Chance auf eine Rolle am Theater gekommen. Zugleich nimmt er an einer Studie zur Erforschung eines experimentellen Therapieansatzes zur Heilung seiner Haut- und Gewebeprobleme teil. Werden die Medikamente bei ihm anschlagen oder gehört er zur Kontrollgruppe? Und falls seine Heilung gelingen sollte, könnte er dann immer noch die Figur verkörpern, die auf seiner Person basiert?

                                Das soeben skizzierte skurrile Szenario nimmt Filmemacher Aaron Schimberg zum Anlass, eine Geschichte zu erzählen, in die er ein regelrechtes Sammelsurium an Ideen einfließen lässt. Wie man es auch aus den frühen Schaffensphasen manch anderer Regisseure kennt, wirft er dabei teilweise auch Ideen in den Ring, von denen nicht auf Anhieb klar erscheint, inwiefern sie sich auf das restliche Geschehen beziehen (vgl. die Sektenthematik gegen Ende). Doch auch wenn sich in dieser Hinsicht zeitweilig kleinere Dissonanzen einstellen, wirkt das Gesamtkonstrukt keineswegs fragmentarisch.

                                Vielmehr stehen satirische Einsprengsel (beispielsweise mit Zielrichtung Immobilienmarkt, Theaterbetrieb oder Betroffenheitskultur) recht homogen neben einer Art Charakterstudie. Einige dieser Faktoren treffen beispielsweise aufeinander, wenn sich die Bühnenautorin (unwissentlich) anmaßt, mehr über die Person zu wissen, die bei der Konzeption ihres Protagonisten als Vorbild dient, als die entsprechende Person selbst. Eine weitere Facette erhält das von Schimberg entworfene Konstrukt durch die Figur eines „Eindringlings“, der sich wie eine externalisierte Metastase in den Alltag der beiden Hauptcharaktere frisst. Klingt womöglich alles etwas kryptisch und auf den ersten Eindruck vielleicht auch unstrukturiert, doch genau diese leichte Schroffheit und Ungehobeltheit verleihen dem Skript und der Inszenierung auch einen gewissen Wiedererkennungswert – von der oscarnominierten Maske ganz zu schweigen.

                                KURZFAZIT

                                A different film.

                                39
                                • 6

                                  Oscar Madness (1 Auszeichnung, 7 weitere Nominierungen)

                                  Unter den rund zwei Dutzend (Stand: 2025) Verfilmungen von Emily Brontes Roman 'Sturmhöhe' sticht besonders die Adaption durch William Wyler ('Ben Hur', 'Weites Land', 'Ein Herz und eine Krone' u.v.m.) heraus. Ein Oscar für die beste Kamera (s/w) sowie sieben weitere Nominierungen in den Sparten Regie, adaptiertes Drehbuch, Szenenbild, Filmmusik, Hauptdarsteller (Laurence Olivier), Nebendarstellerin (Geraldine Fitzgerald) und Bester Film sprechen in dieser Hinsicht für sich.

                                  Während die Kameraführung vergleichsweise zeitlos wirkt und das Szenenbild effektiv in Szene gesetzt wird, spiegelt Alfred Newmans Musik eher zeitgenössische Entwicklungen wider. Wie auch vielen anderen Produktionen aus der (relativen) Frühzeit des Tonfilms merkt man auch der 1939er Version von 'Sturmhöhe' den geringen zeitlichen Abstand zur Stummfilmära an. Die überwiegend orchestralen Klänge erscheinen omnipräsent und sind keineswegs nur auf Understatement bedacht. Wiederholt kündigen dramatisch intonierte Melodien großes Ungemach an, das jedoch nicht immer unmittelbar folgt. Mehrmals verweilt es oft erst eine Weile am Horizont, ehe es sich schließlich doch anschleicht.

                                  Überhaupt schwappen die dramatischen Spitzen in wellenartigen Bewegungen auf das Publikum über, wodurch sich der Eindruck einer zyklischen Struktur einstellen kann. Charaktere reisen ab und kehren nach einem (mal größerem, mal kleinerem) Zeitsprung wieder zurück, um sich anschließend in einer zwar ähnlichen Konstellation, aber einer veränderten Dynamik wiederzufinden. Die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten entwickelt sich stetig weiter und kommt dennoch keinen Schritt voran. Ohnehin wird nahezu die gesamte Erzählung von einem gleich zu Beginn angedeuteten Unglück überschattet. Zwar werden die besagten Andeutungen zunächst recht kryptisch gehalten, doch sie verheißen keine guten Entwicklungen, woraus eine pessimistische Grundstimmung resultiert, die zumindest latent nahezu durchweg vorhanden scheint. Ein Liebesdrama mit der Betonung auf „Drama“ also. Einen Großteil der nachfolgenden Adaptionen (darunter zahlreiche TV-Produktionen) hätte man sich unter inhaltlichen und handwerklichen Gesichtspunkten wahrscheinlich sparen können, doch so bleibt William Wylers Inszenierung immerhin der Ruf, die wahrscheinlich ambitionierteste Version unter vielen zu sein.

                                  Aus filmhistorischer Sicht interessant: „Emporkömmling“ gilt hier noch als Schimpfwort, was sicherlich der Epoche, in der sich die Handlung abspielt, geschuldet ist. Ob die exakt selbe Dialogzeile jedoch auch Eingang in eine US-Major-Produktion aus den späten 50er oder gar 60er Jahren gefunden hätte, sei dahingestellt, da sie im Kern dem Konzept des American Dreams komplett zuwider läuft.

                                  5,5 – 6 Punkte.

                                  KURZFAZIT

                                  Liebesgeschichte der düsteren (statt rosaroten) Art.

                                  32
                                  • 6 .5

                                    Oscar Madness (1 Auszeichnung, 5 weitere Nominierungen)

                                    Den schönsten Blick auf Manhattan (wovon im restlichen Verlauf des Filmes nur sehr wenige Außenaufnahmen zu sehen sein werden) gibt es gleich zu Beginn, als eine verspielte Plansequenz von Kameramann Michael Ballhaus ('Gangs of New York') das Publikum auf beschwingte Weise an den Ort des Geschehens heranführt. Im weiteren Verlauf erfolgt die Kameraführung zwar ungemein pragmatischer, doch dafür treten ein Stück weit der Inhalt, aber ganz besonders die Leistungen der Darstellerriege in den Vordergrund. Wenn Olympia Dukakis, Alec Baldwin, Oliver Platt, Kevin Spacey und sogar Hollywood-Legende Harrison Ford von drei anderen Darstellerinnen überstrahlt werden, dürfte dies eine Menge über die Erlesenheit des Casts aussagen.

                                    Die Geschichte an sich ließe sich etwas boshaft als eine romantische Komödie mit solider Substanz umschreiben. Eine Sekretärin ohne nennenswerte Karriereaussischten findet eine Abkürzung nach oben. Der Startschuss dazu fällt im Stile einer Screwballkomödie, als sich die zwei maßgeblichen Charaktere kennenlernen - und sich gegenseitig jeweils für jemand anderen halten. In einem stark männerdominierten Umfeld bahnt sich die Protagonistin ihren Weg, wobei stets das Damoklesschwert der Enttarnung über ihrem Kopf schwebt.

                                    Selbst wenn man keinerlei Vorwissen über den Produktionszeitraum oder das Alter der Darstellerinnen aufweisen (und auch alle anderen diesbezüglichen Faktoren wie Frisuren, Kostüme, Requisiten usw. ausblenden) würde, wäre spätestens während der Sichtung klar, dass dieser Film eigentlich nur während der Reagan-Ära gedreht worden sein kann. Auch wenn das Drehbuch in gewisser Hinsicht sicherlich auch ein wenig progressiv daherkommt, so sind die Rahmenumstände, die eben auf tatsächlich vorhandenen zeitgenössischen Phänomenen basieren, unverkennbar mit der wirtschaftspolitischen Situation in den USA der späten 80er Jahre verbunden. Vielleicht stellt auch gerade dieses Aufeinanderprallen von Utopie und Wirklichkeit einen der Gründe dar, weshalb Mike Nichols Inszenierung im Rahmen der Oscarverleihung 1989 mit der vierthöchsten Anzahl an Nominierungen vergleichsweise viel Beachtung fand. Passend zur Thematik wurden mit Melanie Griffith, Sigourney Weaver und Joan Cusack nicht weniger als drei Darstellerinnen nominiert. Sängerin Carly Simon wurde für den Titelsong 'Let the River Run' sogar mit der begehrten Trophäe ausgezeichnet. Desweiteren kam es zu Nominierungen in den Sparten Regie und Bester Film.

                                    KURZFAZIT

                                    Inhaltlich relevant, jedoch nur bedingt bissig.

                                    34
                                    • 8

                                      Der Titel des Billy Idol Konzertfilmes von 2023 ist schnell erklärt: Am Hoover Dam, nur wenige Meter von der Bundesstaatsgrenze zwischen Arizona und Nevada entfernt, spielt Billy Idol mit seiner Band, einigen Gastmusikern (Alison Mosshart von The Kills, Tony Kanal von No Doubt und Steve Jones von den Sex Pistols, der seinerzeit auch Billy Idols Bandkollege bei Generation X war) sowie den beiden Backgroundsängerinnen Kitten Kuroi und Maiya Sykes ein Konzert vor offiziell 250 Zuschauern, deren Namen sogar während des Abspanns aufgeführt werden. Bei den Ticketpreisen in Höhe von 1206, 2012 bzw. 3619 US-Dollar war die besagte Nennung bereits inkludiert. Zusätzlich konnten die Käufer mit der Eintrittskarte - abhängig von der erstandenen Kategorie – auch eine Getränkeflatrate, zwei Übernachtungen in einem Luxushotel, eine Geschenkbox sowie eine Zugangsberechtigung zu einer After Show Party mit Billy und Steve erwerben. Man gönnt sich ja sonst nichts.

                                      Der Film an sich beginnt mit einer dokumentarischen Hinführung zum eigentlichen Konzert. Auf einen kompakten historischen Abriss zur Entstehung des Dammes folgt eine kurze Jamsession an der Staumauer mit Billy Idol und Steve Stevens, in der sie ein Medley aus einigen bekannten Hits zum Besten geben. Jedenfalls kommt beim Publikum der Eindruck eines Medleys an, wobei die Vermutung naheliegt, dass wahrscheinlich einzelne Stücke eingespielt und schließlich montiert wurden. Weiter geht es mit einem kurzen Einspieler über die Vorbereitungen an der Konzertlocation selbst. Zudem werden an mehreren Stellen kurze Interviewfetzen eingespielt, die während der Fahrt des Sängers zum Konzert aufgenommen wurden. Die dem eigentlichen Konzert vorangestellte Zusammenstellung kann durchaus den Eindruck erwecken, dass die beiden Regisseure Vincent Adam Paul und George Scott Mühe hatten, die offenbar angepeilte Spieldauer von rund anderthalb Stunden mit rein musikalischen Inhalten zu füllen. Doch nach etwa zwanzig Minuten geht es endlich los und die Show beginnt mit 'Cradle of Love' und 'Dancing With Myself', ehe die Band mit einer erneut überarbeiteten Version von 'Flesh For Fantasy' einen jener Hits folgen lässt, die auch einige Jahrzehnte später noch große Bekanntheit genießen. Die beiden ähnlich erfolgreichen Auskopplungen 'Catch My Fall' und 'Sweet Sixteen' hingegen haben es nicht in den Konzertmitschnitt geschafft.

                                      Gegen Ende hin verabschieden sich schließlich die meisten Gastmusiker und die Band spielt in einem deutlich aufgeräumteren Line Up weiter, wobei ohnehin fraglich erscheint, wie hoch der Zugewinn durch die anfängliche Einbindung von nicht weniger als vier Gitarristen gewesen sein könnte. Um nicht die komplette Setlist vorwegzunehmen: Am Ende einer recht bunten Mischung an überwiegend neu arrangierten Songs ('John Wayne' wird beispielsweise als Duett mit Alison Mosshart gesungen) aus einer langen Karriere stehen drei Lieder, die zum jeweiligen Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung noch nicht ganz den Stellenwert hatten, der ihnen im Lauf der Folgejahre zukam.

                                      Am Ende bleibt der Eindruck einer ausgewogenen Setlist, deren Inhalte an einer originellen Location dargeboten werden, wobei es aber nicht geschadet hätte, einige weitere Songs zum Besten zu geben. Kandidaten für eine Erweiterung des Repertoires gäbe innerhalb von Billy Idols Diskographie mehr als genug.

                                      KURZFAZIT

                                      Wenn schon zum Hoover Dam, dann zum Konzert von Billy Idol und Steve Stevens – angesichts der horrenden Ticketpreise allerdings besser per Blu-ray oder Streaming.

                                      [Randbemerkung: Von der kurzen Inhaltsbeschreibung durch MP stimmt ungefähr gar nichts...]

                                      Ausnahmsweise mal Werbung: Zwischen Mitte Juni und Anfang Juli 2025 machen Billy Idol und Stevens Stevens auch Station in Northeim, München, Bonn und Wiesbaden. Die Tourankündigung fällt schon mal recht heiter aus:

                                      https://www.youtube.com/watch?v=9mmD75yiQj4

                                      Zum Abschluss noch eine Kostprobe aus der Show am Hoover Dam:

                                      https://www.youtube.com/watch?v=Q_S88HRy4ng

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                                      • 7

                                        Oscar Madness (2 Nominierungen)

                                        Viele Filmfreunde, die sich vor der Sichtung von Ali Abbasis Biopic 'The Apprentice' Gedanken darüber machen, was sie wohl erwarten wird, dürften wohl zu zwei Vermutungen gelangen: Der Erzählton wird wahrscheinlich ambivalent gehalten werden und in irgendeiner Form dürfte wohl auch die gleichnamige Reality Show mit einfließen, die ab 2004 produziert wurde. Zumindest von der letzteren Erwartung kann man sich schon vor dem Einschalten des Bildschirms oder Beamers wieder verabschieden. Zwar findet durchaus eine Reihe an Dialogzeilen und Motiven Eingang in die Handlung, die in direktem oder indirektem Zusammenhang zu der besagten Show stehen, doch im Großen und Ganzen dürfte die Wahl des Titels wohl eher als eine Spitze zu werten sein, die Aufmerksamkeit auf den Film ziehen soll, was – zumindest in Bezug auf zwei Nominierungen im Rahmen der Academy Awards 2025 - schließlich auch gelungen sein dürfte (bezogen auf das Ergebnis im Box Office trifft dies jedoch nur sehr bedingt zu).

                                        Wie es der Titel bereits andeutet, geht es dabei um die „Lehrjahre“ Donald Trumps, wobei man den in Anführungszeichen gesetzten Begriff besser nicht allzu wörtlich nehmen sollte. Dargeboten wird im Grunde die Geschichte eines Mannes, den manche für einen Superhelden und andere für einen üblen Schurken halten. Wie lässt sich diese Story also erzählen, ohne schon von vornherein die Hälfte des Publikums zu vergraulen? Abbasi hat einen Weg gefunden, indem er polarisierende Aspekte zunächst eher zwischen den Zeilen versteckt – mal gut und mal weniger gut getarnt; wobei dies im postfaktischen Zeitalter wahrscheinlich ohnehin fast egal ist. Szenen, die eine der beiden Fraktionen abstoßen, könnten auf die andere womöglich sogar noch attraktiv wirken. So oder so: Mit fortschreitender Spieldauer werden hier zunehmend drastischere Mittel gewählt, wodurch die von Regie und Drehbuch vertretenen Thesen gegen Ende deutlich expliziter als noch zu Beginn vorgetragen werden.

                                        Eine gewisse Verankerung in der Realität erfährt die Inszenierung nicht zuletzt durch das Spiel Sebastian Stans, das besonders durch dessen Fähigkeit zur Mimikry besticht, indem unzählige mimische und gestische Eigenarten des späteren Präsidenten konsequent über die komplette Laufzeit hinweg dargeboten werden. Die Nebenrolle des ebenfalls für einen Oscar nominierten Charakterdarstellers Jeremy Strong stellt in dieser Hinsicht einen Gegenpol zu der eher teleologisch angelegten Hauptrolle dar; schließlich unterliegt sie einem Wandel, der drastischer kaum sein könnte.

                                        In cinematographischer Hinsicht überzeugt vor allem das Spiel mit stilprägenden Elementen der jeweils zu zeigenden Dekade. In zahlreichen Einstellungen kommt Kasper Tuxen, der Director of Photography, doch recht nahe an augenfällig Stilelemente der jeweiligen Jahrzehnte heran. Die Dialoge wiederum sind regelrecht gespickt mit Aphorismen aus der Karriere Trumps oder aus dessen Umfeld. Abbasi scheint sich dabei einen regelrechten Spaß aus der Herleitung diverser (unter Trumps Anhängern teils ikonisch gewordener) Zitate zu machen, wodurch der Protagonist letztlich auch als eine Art Plagiator erscheint.

                                        Am Ende bleibt das Bild eines Vergewaltigers, der sich um eine Infektion mit „Schwulenkrebs“ (wie er es nennt) per Atemluft oder Berührung sorgt. Abbasi entwirft das Bild eines Mann, der rücksichstlos austeilt, aber in Bezug auf seine eigene Person wie von Angst zerfressen wirkt. Wie nahe der Filmemacher mit dieser cineastischen These an der Realität liegt, wird abschließend wohl niemand außerhalb von Trumps privatem Umfeld mit absoluter Sicherheit bewerten können. Doch Klappern gehört schließlich zum Handwerk; denn wer will schon einen Film sehen, der keiner einzigen These folgt? Die Reaktionen im Nachgang der Veröffentlichung legen jedoch die Vermutung nahe, dass viele Anhänger Trumps diesen Film entweder gar nicht erst gesehen haben oder dass nicht wenige von ihnen diesen „Gründungsmythos“ einer Person des öffentlichen Lebens sogar goutieren (frei nach dem Motto: „Der nimmt sich eben, was er möchte“).

                                        Randnotiz: An der Erstellung des Soundtracks ist niemand geringeres als David Holmes beteiligt.

                                        KURZFAZIT

                                        Teils drastische Abrechnung, die in einer Vielzahl an Szenen jedoch auch Spielraum für ambivalente Lesarten lässt. Letzteres erscheint schließlich nur konsequent, da sich durch diesen Spielfilm wahrscheinlich ohnehin kaum jemand zum Überdenken einer bereits zuvor gefassten Meinung bewegen lassen wird.

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                                          Der filmtastische Festtagskalender 2025, Film #4 – Karneval

                                          Alle rheinischen Jecken bitte kurz weghören bzw. den folgenden Absatz überspringen...

                                          Wenn die Rede vom Karneval ist, kommt einem schnell auch Brasilien in den Sinn. Ohne hierzulande jemandem zu nahe treten zu wollen: Die Assoziationen zwischen den Feierlichkeiten in Rio und in Mainz könnten unterschiedlicher kaum sein. Das sollte doch ausreichend Stoff für einen brasilianischen Film über die närrischen Tage am Zuckerhut zu Verfügung stehen. Doch die erste Überraschung gibt es gleich zu Beginn, denn gefeiert wird hier nicht in Rio, sondern in Salvador. Aber gut, dann wird halt dort die Sau rausgelassen. Oder etwa doch nicht? Zur Prämisse:

                                          Das bisher nur mäßig erfolgreiche Social Media Sternchen Nina wird zu einem Influencer-Treffen eingeladen. Sie handelt aus, dass sie dorthin drei Freundinnen mitnehmen darf und macht sich gemeinsam mit diesen auf den Weg. Vor Ort angekommen ist die Ernüchterung erstmal groß, da sich das Feriendomizil als Zwei-Klassen-Gesellschaft entpuppt. Auf der einen Seite die Stars der Szene und auf der anderen Seite in einer eher rustikalen Unterkunft diejenigen, die kaum jemand kennt. Drama, Drama! Nachdem der erste Schock erstmal verdaut wurde, stürzt sich das Quartett ins Urlaubs- und (später auch ins) Karnevalsgetümmel und macht das Beste aus der Situation.

                                          Für die Filmcrew von 'Carnaval' mag der Dreh im Urlaubsgebiet vielleicht ein tolles Erlebnis gewesen sein, auf das Publikum trifft das nur bedingt zu. Zwar kommt hier und da durchaus ein wenig Ferienstimmung auf, die Handlung ist allerdings derart flach und vorhersehbar, dass sie nur leidlich Spaß zu vermitteln vermag. Obendrauf kommt, dass auch noch ausgerechnet die konturenloseste der vier Freundinnen als Protagonistin fungiert, was den Film auch nicht gerade interessanter erscheinen lässt. Daran kann auch der Wandel, den sie durchmacht, nicht viel ändern.

                                          Und so bleibt am Ende ein zwar unbeschwerter, aber auch belangloser filmischer Trip in den Urlaub.

                                          KURZFAZIT

                                          ...dann lieber selbst Urlaub machen. Und wenn's „nur“ ein Tagestrip in die nähere Umgebung ist.

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                                            Oscar Madness (1 Auszeichnung)

                                            Der Titel von Molly O'Briens Kurzdokumentation 'Die einzige Frau im Orchester' schürt die Erwartung, dass es um eine Frau in einem Orchester gehen könnte; um die einzige Frau in diesem Orchester. Irgendwie wird diese Erwartung zwar auch adressiert, aber letztlich geht es dann doch um andere Dinge. Zwar wird durchaus angesprochen, dass sie sich argwöhnisch beäugt fühlte und sich einem ganz besonders hohen Druck ausgesetzt sah, doch letztlich dominieren zwei andere Themen.

                                            Eines der beiden nimmt nur einen sehr kurzen Teil der Laufzeit ein, transportiert aber dennoch eine Menge an Informationen über die Entwicklung des Feuilleton Ressorts. Orin O'Brien liest dabei aus einer Reihe von Artikeln über ihre frühen Auftritte vor, die vor Chauvinismus (und teilweise auch Sexismus) nur so triefen. Um ihren Stil, das Cello-Spiel zu interpretieren und mit Leben zu erfüllen, geht es in den zitierten Abschnitten so gut wie gar nicht. Stattdessen konzentrieren sich die Verfasser wahlweise auf gönnerhafte Kommentare über ihr Aussehen oder sie lassen Gedanken über die Rolle der Frau ihren Lauf, die auch während der Siebziger Jahre schon rückständig waren.

                                            Auf der anderen Seite wird das Bild einer äußerst ehrgeizigen Musikerin skizziert, die scheinbar alles in ihrem Leben einem Karriereplan unterordnet. In mehrerlei Hinsicht wird klar, dass Musik für sie nicht nur ein Beruf ist, sondern das sie das Musizieren regelrecht atmet, was so weit geht, dass auch einige ihrer Aussagen von Denkmustern geprägt erscheinen, die man als musikalischer Laie nur bedingt nachvollziehen kann. Über weite Strecken versucht sie sich möglichst bescheiden zu präsentieren, wobei die Fassade diesbezüglich jedoch stellenweise zu bröckeln beginnt.

                                            Am Ende bekommt man also ein kompaktes Kurzporträt einer Musikerin, die ihren Schülern gewiss viel zu vermitteln hat, deren Rolle als einzige Frau in einem Orchester jedoch nur bedingt relevant für den Ansatz der Produzenten zu sein scheint und eher das Vehikel für eine kurze Künstlerdoku darstellt.

                                            KURZFAZIT

                                            Kurzdoku, deren Produktionsteam sich nahezu komplett auf die zu portätierende Musikerin zu verlassen scheint.

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                                              Framolf 02.03.2025, 06:53 Geändert 04.03.2025, 06:32

                                              Oscar Madness (1 Nominierung)

                                              Getroffen von fünf Schüssen geht 2018 in Chicago ein Mann auf offener Straße am hellichten Tag zu Boden. Die Polizisten, aus deren Richtung die Schüsse kamen, sperren die Straße, aber kümmern sich nicht großartig um ihn. Sie bestätigen sich lieber gegenseitig, dass alles richtig lief, während sie von Passanten (und möglichen Augenzeugen) beschimpft werden. Was ist geschehen?

                                              Anhand der Aufzeichnungen der Body Cams mehrerer Polizisten am Einsatzort und unter Zuhilfenahme weiterer Kameras, wird in Bill Morrisons Kurzdokumentation 'Incident' (2023) das Geschehen aus mehreren Blickwinkeln gezeigt. Zuerst von der gegenüberliegenden Straßenseite aus, danach aus einer deutlich näheren Einstellung und schließlich von der Body Cam eines der beteiligten Polizisten aus. Teilweise werden per Split Screen zwei oder gar vier Blickwinkel simultan montiert, während der Funkverkehr oder auch vereinzelte Audioaufnahmen vom Tatort zu hören sind. Während sich der Schütze und seine Kollegin auf Notwehr berufen, spricht ein anderer Polizist von dem Niedergeschossenen als „Victim“.

                                              Der zweite Skandal findet bereits wenige Minuten nach der Tat statt. Die beteiligten Polizisten (Anwärter) suchen aus Angst vor dem Zorn der Protestierenden das Weite, um sich zu beraten, bis sie schließlich auf die Idee kommen, ihre Kameras auszuschalten. Was dem Publikum per etwas ungelenk einmontierten Texttafeln mitgeteilt wird: Nach einer ähnlichen Tat sechs Jahre zuvor besteht ein Recht auf die Veröffentlichung der besagten Aufnahmen. Man könnte nun meinen, der Schütze hätte restriktive Konsequenzen zu befürchten. Aber naja, es handelt sich eben um die Realität und nicht um einen Spielfilm.

                                              Zwar werden die Aussagen der beiden Polizisten durch die Kamerabilder widerlegt, doch wer unbedingt möchte, kann das Bildmaterial auch zu Ungunsten des Verstorbenen interpretieren. Eine Sichtweise, der sich die Dienstaufsicht wenig überraschend angeschlossen hat...

                                              Randnotiz: Im Abspann ist zu lesen, dass die US Navy bei der Google Earth Animation involviert war.

                                              KURZFAZIT

                                              Roher Zusammenschnitt des audiovisuellen Beweismaterials im Fall eines Tötungsdelikts.

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                                                Framolf 01.03.2025, 06:22 Geändert 04.03.2025, 06:31

                                                Oscar Madness (2 Auszeichnungen, 3 weitere Nominierungen)

                                                Die Gepflogenheit, Filmkommentaren eine kurze Synopse voranzustellen, verbietet sich angesichts der spartanischen Handlung von 'Dune: Part Two' fast von selbst. Von daher in aller Kürze: Paul Atreides flieht in die Wüste, um von dort aus mit der Hilfe von Nomaden Rache für einen Putsch zu nehmen.

                                                Die mehr oder weniger nahtlose Fortsetzung des Inhalts findet ihre Entsprechung auch im Stil. Erneut wird ein äußerst erlesener Cast aufgeboten, dem unter anderem Namen wie Timothée Chamalet, Zendaya, Rebecca Ferguson, Javier Bardem, Stellan Skarsgard, Austin Butler, Dave Bautista, Josh Brolin, Christopher Walken, Florence Pugh, Charlotte Rampling, Léa Seydoux und Anya Taylor-Joy angehören. Auch und gerade mit dem Gewicht, das sie durch ihre prominenten Namen in die Waagschale werfen können (und der damit verbundenen Leinwandpräsenz), entsteht trotz landschaftlicher Weiten und teils überdimensionierter Innenräume zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass Charaktere in den weitläufigen Kulissen verloren oder bedeutungslos wirken könnten.

                                                Wie schon im ersten Teil der Reihe wirkt auch das Szenenbild der Fortsetzung kompromisslos aufgeräumt, ja geradezu steril. Einer der damit verbundenen Vorteile liegt auf der Hand: Wenn in karg ausgestatteten Räumen nur die notwendigsten Requisiten zu sehen sind, wird der Blick auf das Wesentliche nicht verstellt. So fällt beispielsweise auf, dass sich in den Kulissen verschiedene Motive finden lassen, die mit realen totalitären Regimen aus dem 20. oder 21. Jahrhundert assoziiert werden könnten oder zumindest stark an die jeweilige Stilistik erinnern.

                                                Eingefangen werden diese Welten erneut von einer vergleichsweise ruhig geführten Kamera, die stets darauf bedacht zu sein scheint, Räume zu eröffnen und zu erweitern – und interessierte Zuschauer schließlich auch zum Verweilen einzuladen. Positiv formuliert findet die Kargheit des Inhalts also ihre Entsprechung im Stil.

                                                KURZFAZIT

                                                Nahtlose Fortsetzung ohne größere Brüche in Inhalt und Stil.

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                                                  Framolf 28.02.2025, 07:06 Geändert 04.03.2025, 06:31
                                                  über Anuja

                                                  Oscar Madness (1 Nominierung)

                                                  ++ Leichte SPOILER ++

                                                  Zwei Schwestern, die elternlos in einem äußerst prekären Viertel aufwachsen, verdienen sich ihren Lebensunterhalt in einer Art Schneiderei. Der zwielichtige Inhaber des Betriebes zahlt offenbar zwar zuverlässig, aber die Löhne sind nur mickrig. Eines Tages bietet ein sozial engagierter Lehrer dem jüngeren Mädchen eine Art Stipendium für ein Internat an. Sie gilt als mathematisch begabt, was regelrecht nach einer gezielten Förderung schreit. Der Chef der Schneiderei wiederum ködert sie mit einem vergifteten Angebot. Ihre Schwester rät ihr zum Wechsel an die Schule. Wie wird sie sich entscheiden?

                                                  Filmemacher Adam J. Graves verleiht mittel seines Kurzfilmes 'Anuja' Kindern eine Stimme, die ansonsten kaum gehört werden. Eine der beiden Hauptrollen ist mit einem Mädchen besetzt, das auch im realen Leben von einem Internatsstipendium profitiert. Einziger „Makel“ des hier gewählten Konstrukts (wobei die Bezeichnung „Makel“ eigentlich schon viel zu hart erscheint): Eine Organisation, die Stipendien an Schulkinder aus prekären Verhältnissen vergibt, ist selbst an der Produktion beteiligt, wodurch 'Anuja' ein Stück weit die Funktion eines Imagefilmes zukommt. Päpstlicher als der Papst sollte man wahrscheinlich dennoch nicht sein, denn schließlich gilt es auch als weitgehend unproblematisch, wenn Filme von Banken oder anderweitigen Firmen produziert werden.

                                                  Aufhorchen lassen besonders der Erzählton sowie die Ausgestaltung der beiden Hauptcharaktere. Statt in eine deprimierte Stimmlage zu verfallen, werden die Gegebenheiten angenommen und als Auftrag zu einer Verbesserung der Lage verstanden. Die beiden Kinder nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Nicht nur durch ihre Arbeit in der Textilfabrik, sondern auch durch die gewitzte Persiflage eines Heists.

                                                  Die besagte Organisation wiederum agiert mit dem Mitteln, die ihr zu Verfügung stehen. Auch wenn eine gerechtere Sozialpolitik fraglos der nachhaltigere Weg wäre, bleibt zivilgesellschaftlichen Akteuren (egal ob Individuen oder Organisationen) nicht viel anderes übrig, als innerhalb der vorhandenen Rahmenbedingungen zu agieren.

                                                  6,5 – 7 Punkte.

                                                  KURZFAZIT

                                                  Locker vorgetragene Geschichte mit äußerst ernstem Hintergrund.

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                                                    Framolf 27.02.2025, 05:20 Geändert 04.03.2025, 06:32

                                                    Oscar Madness (1 Nominierung)

                                                    Wie es der Titel bereits andeutet, wird in 'I'm Ready, Warden' der Fall eines Mannes in der Todeszelle skizziert, der seine in wenigen Tagen bevorstehende Hinrichtung mehr oder minder akzeptiert hat. Nachdem ihm bereits mehrere Aufschübe in letzter Minute gewährt wurden (was letztlich wohl auch als Bestandteil der Bestrafungsrituale zu verstehen sein dürfte), scheinen sich seine juristischen Möglichkeiten ebenso erschöpft zu haben wie seine mentale Disposition, rechtlichen Widerstand zu leisten. Die Täterschaft räumt er unumwunden und vollumfänglich ein. Im Gegensatz zu vielen anderen Dokumentationen mit ähnlicher Thematik geht es hier also nur sehr bedingt um die Frage, wem hier - eine wie auch immer geartete – Gerechtigkeit zuteil werden wird. Gezeigt wird stattdessen ein Häftling, der sich im Angesicht seiner bevorstehenden Exekution um angemessen letzte Worte gegenüber seinem eigenen Sohn und dem Sohn des Opfers bemüht.

                                                    Als vergleichsweise ungewöhnlich erweist sich Smriti Mundhras Kurzdoku in Bezug auf die weiteren involvierten Personen. Eine Angehörige einer nahegelegenen Kirchengemeinde kümmert sich um die Seelsorge des Todeskandidaten. Eigentlich befürwortet sie die Todesstrafe. Der direkte und langfristige Kontakt zu einem Todeskandidaten lässt sie umdenken. In der Bibel steht eben doch etwas mehr als nur „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Konkret verweist sie auf Psalm 32.

                                                    Der Staatsanwalt, der seinerzeit die Todesstrafe forderte (und sich damit durchsetzen konnte), hadert mittlerweile mit dem Urteil. In Zukunft möchte er nur noch lebenslange Haftstrafen fordern. Der Sohn des Opfers wiederum betont fast schon gebetsmühlenartig, dass nach der Ermordung seines Vaters nun eben der Täter an der Reihe sei. Nach der Vollstreckung des Urteils überkommen ihn Zweifel und er durchlebt eine regelrechte Achterbahn der Empfindungen. Die Ermordung seines Vaters wird dadurch gesühnt, dass einem Jugendlichen (der zum Zeitpunkt der Tat noch gar nicht am Leben war) ebenfalls der Vater genommen wird. Bezogen auf den Täter mag das manchen Menschen gerecht erscheinen, in Hinsicht auf den Sohn dürfte es jedoch schwer sein, religionsbezogene Argumente für die Hinrichtung seines Vaters zu finden. Der Jugendliche pflegt offenbar ein gutes Verhältnis zu seinem Vater, was jedoch keineswegs bedeuten soll, dass Smriti Mundhra diesbezüglich plumpe schwarz-weiß Malerei betreiben würde. Todeskandidat John Henry Ramirez sagt schließlich selbst, dass er in Freiheit wohl kein guter Vater gewesen wäre und erst durch die Reflexion in der Haftanstalt zu einem bewussteren Umgang mit seinen Mitmenschen gelangte.

                                                    8 – 8,5 Punkte.

                                                    KURZFAZIT

                                                    Kompakter Blick auf eine vermeintliche Problemlösung, die aber eigentlich nur weitere Probleme produziert.

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