Mattscheibenvorfall - Kommentare
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Alle Kommentare von Mattscheibenvorfall
Wieso musste eigentlich Mitte der 90er jeder aus Hong Kong stammende Actionfilm-Regisseur bei seinem Hollywood-Debüt mit Jean-Claude Van Damme arbeiten? John Woo bei Hard Target, Ringo Lam bei Maximum Risk und Tsui Hark bei Double Team?
Da muss also erst ein kleiner Superheldenfilm aus Italien kommen und frischen Wind in schrecklich festgefahrene Strukturen bringen, um den Genre-Größen aus Übersee mal kurz zu zeigen, dass man solche Geschichten auch anders erzählen kann. Ich gebe zu, dass mich Jeeg Robot ausgesprochen positiv überraschen konnte, allerdings war meine Erwartungshaltung verhältnismäßig gering, klang der Plot zumindest auf dem Papier für mich doch verdächtig trashig. Aber weit gefehlt: der erste Langfilm vom italienischen Regisseur Gabriele Mainetti funktioniert ganz hervorragend, weil er seinen erzählerischen Fokus geschickt verschiebt und bestimmte Motive und Mechanismen des Genres aushebelt oder gar gleich ganz unterwandert.
Zwar erzählt Jeeg Robot einerseits eine ganz gewöhnliche Origin-Story, misst aber andererseits den unfreiwillig erworbenen Kräften des Protagonisten in Gestalt des Kleinkriminellen Enzo erfrischend wenig Bedeutung bei und befasst sich stattdessen viel lieber mit dem emotionalen Innenleben seiner Figuren. So kann also von einem effektgeladenen Spektakel kaum die Rede sein, wenn vielmehr nicht nur die persönliche Entwicklung von Enzo im Mittelpunkt steht, sondern eben auch jene von Alessia, welche ohnehin eine der Stärken des Filmes ist: wie Ilenia Pastorelli diese fragile Figur verkörpert, das ist schon recht beeindruckend. Schnell wird sie zum emotionalen Herzstück des Filmes und nicht nur wegweisend für Enzo, der anhand der Beziehung zu ihr auch seine eigenen Gefühle auf den Prüfstein stellen muss, sondern auch für den Zuschauer, welcher fortan versucht, irgendwie aus dieser kindlich anmutenden Frau und ihrem seltsam wirren Innenleben schlau zu werden.
Natürlich sieht man Jeeg Robot sein eher schmales Budget auch immer mal wieder an, aber insgesamt macht Regisseur Mainetti das schon sehr geschickt in seiner Inszenierung, indem oftmals die Action eben gerade nicht im Mittelpunkt steht und wenn doch, dann wird das gekonnt umschifft, so dass sich sein Film wirklich selten arg schwachen Effekten ergeben muss. Überhaupt hat Jeeg Robot insgesamt einen stark italienischen Einschlag und orientiert sich visuell herzlich wenig an etwaigen großen Genre-Brüdern, wenn vor allem Rom selbst eine nicht zu verachtende Rolle im Film spielt und viel Lokalkolorit einbringt: enge, verwinkelte Gassen abseits der üblichen Touristen-Attraktionen, schmutzige Randbezirke, ja, sogar das Derby Lazio–Roma finden ihren Platz im Geschehen und all das setzt so der Ewigen Stadt ein modernes Denkmal.
Zudem hat Mainetti immer wieder wirklich hübsche Ideen und findet schöne Bilder wie zum Beispiel in der Szene mit Enzo und Alessia in seiner Wohnung, wenn sie dort via Beamer die Serie Kōtetsu Jīgu schauen und plötzlich beide Welten miteinander verschmelzen. Oder wenn Enzo erstmals seine Superkräfte für sich entdeckt und dabei die ganze Zeit ein Porno im Hintergrund läuft. Das sind kleine Widerhaken, die all das doch sehr menschlich wirken lassen und den Film merklich erden. Die Welt rund um Enzo ist überhaupt insgesamt voller wunderbarer, teils winziger Details, wirkt dadurch greifbarer und man spürt deutlich, dass man sich hier doch sehr viele Gedanken gemacht hat und viel Herzblut und Leidenschaft hat einfließen lassen. Das ist es dann letztlich auch, was Jeeg Robot für mich so reizvoll macht, denn der Film hat eindeutig etwas, was ich oft innerhalb seines Genre schmerzlich vermisse: Herz, Seele und eine Vision. Jeeg Robot lässt mich etwas fühlen. Und das kann ich nicht von sonderlich vielen Filmen über Superhelden behaupten.
Könnte Spoiler beinhalten!
Regisseur Ric Roman Waugh schein irgendwie abonniert zu sein auf Filme mit Knasthintergrund (Felon, Snitch). Shot Caller ist dann auch ein solides Gemisch aus Knastdrama und Thriller, welches seinem Genre allerdings auch nichts neues hinzufügen kann. Hat man ja alles irgendwie schon mal gesehen. Das ist alles gut gespielt, das sieht alles gut aus. Aber eben auch nur gut. Die rasche Entwicklung vom liebenden Familienvater mit langweiligem Bürojob geht mir deutlich zu schnell und ist herzlich wenig glaubwürdig ausgebaut. Das stört mich durchaus. Zudem ist mir das Finale und der Weg dorthin zu konstruiert: dass Jacob/Money am Ende als der große Drahtzieher da steht, der all das genau so geplant hat und genau dort hin wollte, das kaufe ich dem Film einfach nicht ab.
Schon der Trailer machte mich skeptisch und lediglich das 99 Cent-Angebot bei Amazon lockte mich hinterm Ofen hervor. Mein Gefühl sollte mich nicht trügen, denn letztlich fand ich den Film eher recht belanglos und stellenweise nervig. Ja, Samuel L. Jacksons Figur des Auftragkillers Darius Kincaid entwertet das Wort Motherfucker tatsächlich durch inflationären Gebrauch und dann darüber noch Witze zu reißen, das macht es letztlich auch nicht besser. Gestern gesehen, heute beinahe schon wieder vergessen. Mehr will mir zu dem Film jetzt gerade auch nicht einfallen. Das spricht dann auch irgendwie für sich.
Mit dieser beinahe schon zwanghaften ironisch-distanzierten Haltung Filmen gegenüber kann ich nun wirklich nichts anfangen...
OHA! Solche Filme werden heutzutage noch gemacht? Ein hochbudgetiertes wie Star gespicktes B-Movie, eine zumindest auf dem Papier DTV-Produktion im Gewand eines Blockbusters? Ich bin ganz entzückt darüber, wie geradezu subversiv der Schwede Daniel Espinosa seinen neuen Film dem durchschnittlichen Kinogänger einfach untergejubelt hat. Wunderbar. Solche Filme würde ich liebend gern öfter im Kino sehen. Life erinnert mich an ein Phänomen, welches seit Mitte der 90er immer seltener geworden ist, als Filme wie Octalus, Mimic, Anaconda, Deep Blue Sea oder Das Relikt noch groß im Kino liefen. Der Genrefilm auf der großen Leinwand, das gibt es heute kaum noch bis gar nicht mehr und umso größer ist nun meine Freude über Life, ein Film, der schlicht und ergreifend nicht mehr sein will als sein Plot hergibt und vollkommen zu seiner B-Movie-Existenz steht.
Dreckiger Science Fiction-Horror, der seine Wurzeln nicht verleugnet und keinerlei Kompromisse oder gar Zugeständnisse an einen wie auch immer gearteten Intellekt macht, sondern einfach nur die helle Freude am puren Genre. Ohne allzu große Exposition bringt Daniel Espinosa nach wenigen Minuten eine gut geölte Genre-Maschine ans Laufen, die mit zunehmender Dauer immer mehr Fahrt aufnimmt und frei von größeren Umwegen sehr geradlinig und schnörkellos ihren Plot unaufhaltsam voran treibt wie Calvin zielstrebig die Crew der ISS dezimiert. Natürlich bedient sich Espinosa ganz offensichtlich am Genre-Primus Alien, aber er kupfert dabei keineswegs einfach nur ab. Ja, der Plot von Life ist vollkommen unverhohlen von Ridley Scotts Meilenstein inspiriert und variiert dessen Prämisse höchstens marginal. Na und? Immerhin bietet der Film immer noch genug eigene Ideen und Ansätze, um nicht als lustloses Plagiat durchzugehen und versteht es hervorragend, den Mangel an erzählerischer Innovation durch eine überraschend straffe Inszenierung und konstante Anspannung wieder wett zu machen.
Nach dem ersten atmosphärisch dicht inszenierten Auftritt von Calvin ist vollkommen klar, wohin die Reise geht und Espinosa entlässt sein Publikum fortan nicht mehr aus dem Griff der Spannung, ganz so wie die außerirdische Lebensform die Crew. Überhaupt ist Calvin der heimliche Star des Filmes. Das Creature Design dieses fremden und zugleich doch irgendwie vertrauten Geschöpfes weiß zu begeistern, angesiedelt irgendwo zwischen Qualle und Oktopus, sich ständig seiner Umgebung anpassend, und doch völlig anders. Sein Einfallsreichtum und Überlebenswille werden nur noch von seiner Feindseligkeit übertroffen. Die Kreatur fasziniert gleichermaßen wie sie Abscheu hervor ruft und einige Szenen fallen ganz schön fies aus, tendieren in Richtung Body Horror, ohne jedoch allzu explizit sein zu müssen, und dennoch verfehlen sie nicht ihre Wirkung.
Atmosphärisch ist Life sehr dicht und mitreißend geraten und gerade das räumlich streng begrenzte Setting an Bord der ISS trägt enorm zur Spannung bei. Schnell entwickelt man ein Gefühl für die Orientierungslosigkeit der Schwerelosigkeit wie auch für die labyrinthisch verwinkelte Konstruktion der Raumstation, in welcher sich Calvin buchstäblich überall verstecken könnte. Das Setting ist sehr reduziert, entkernt auf das aller Nötigste, aber auch enorm effektiv, und auch visuell ist Life eher minimalistisch gehalten, deswegen aber noch lange nicht weniger beeindruckend aussehend. Die Darstellerriege ist gespickt mit prominenten Namen wie Jake Gyllenhaal oder Ryan Reynolds, schauspielerische Höhenflüge sollte man aber nicht unbedingt erwarten, die Glaubwürdigkeit der Figuren jedoch bleibt gewahrt.
Ja, Filme wie Life vermisse ich heutzutage in der modernen Kinolandschaft mehr und mehr. Genre pur, ohne Kompromisse und aus reiner Lust am abseitigen Nischendasein, ausgestattet mit großem Budget. Filme, die wissen, dass viele sie vielleicht doof finden werden, unlogisch oder albern, denen das aber auch völlig egal ist. Die einfach zu ihren schlichten Wurzeln stehen und gar nicht mehr sein wollen. Life ist straff inszeniert, atmosphärisch dicht und steigert seine Spannungskurve stetig. Das ist geradlinige wie mitreißende Genre-Unterhaltung der besten Art, die darüber hinaus auch noch mit Calvin eine überaus faszinierende Kreatur zu bieten hat.
Ridley Scott selbst versprach, die Reihe wieder zurück zu ihren Ursprüngen zu führen, zu Angst und Terror, zu unbekanntem Schrecken auf engstem Raum, waren ihm doch all die Fortsetzungen nach seinem Alien (1979) schon immer ein Dorn im Auge. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass Scott das gar nicht so wirklich im Sinn hatte, fühlt sich sein neuester Film doch in seinem Tenor viel zu zerrissen an, als dass sich eine klare Vision dahinter erkennen lassen könnte. Zu sehr schwankt Alien: Covenant zwischen dem abgründigen Terror früherer Jahre, einer Verlängerung der philosophischen und religiösen Ansätze von Prometheus, groß angelegter Actionsequenzen und eingestreuten Splatter-Spitzen. Letztlich scheint Scott kaum Lust gehabt zu haben, alte Strukturen und Konzepte weiter zu verfolgen, sind doch die Aliens wie die Besatzung der Covenant nicht selten ziemlich nachlässig inszeniert und die vermeintliche Rückkehr zum Terrorkino wirkt vielmehr wie ein Vehikel, mit dessen Hilfe er viel lieber all die Ansätze und Gedanken aus Prometheus fröhlich weiter spinnen kann.
So rückt dann letztlich auch der Konflikt zwischen Schöpfer und Schöpfung in den erzählerischen Fokus – mehrfach gespiegelt zum einen durch die Beziehung von Peter Weyland zu seiner Schöpfung David und später vor allem durch die Beziehung von David zu seinem Nachfolgemodell Walter. Bereits die aller erste Szene macht deutlich, dass Scott dieses Mal die Aliens, die Crew, die Angst und das Gemetzel verhältnismäßig egal sind und nicht viel mehr als Mittel zum Zweck, als simple Erfüllungsgehilfen für sein Sinnieren über den Ursprung der Menschheit sind. Was zunächst einmal nicht sonderlich schlimm sein muss und mir sogar thematisch sehr gut im Film gefiel, dürfte jedoch die Erwartungshaltung vieler Zuschauer torpedieren.
Was mir deutlich mehr an Alien: Covenant missfiel, war die erschreckend beiläufig und geradezu im Vorbeigehen mit einer handvoll Sätzen abgehandelte Enstehungsgeschichte der Xenomorphen wie wir sie kennen. Ein Problem, welches ich schon immer mit den Fortsetzungen der Reihe hatte, ist, dass sie jedesmal, Film um Film, den Aliens Hintergrundinfo um Hintergrundinfo mit an die Hand geben und so den namenlosen wie unbegreiflichen Schrecken aus Alien immer weiter Stück für Stück entmystifizieren. Ich will all diese Informationen gar nicht haben, denn gerade das ist doch erst der Clou an Alien, dass ich als Zuschauer genauso wenig über diese rätselhafte Kreatur weiß wie die Crew der Nostromo. Mit jeder weiteren Information über den Xenomorph verliert er für mich auch immer mehr an Schrecken und damit vor allem an Faszination.
Wenn Alien: Covenant nun also final die Herkunft der Aliens lüftet, dann bekomme ich Antworten auf Fragen, welche ich gar nicht hätte stellen wollen. Ironischerweise wurde Prometheus oft vorgeworfen, dass der Film zu viele Fragen aufwirft und diese dann unbeantwortet lässt, wohingegen nun Alien: Covenant zuviel erklärt und Antworten findet, wo gar keine Fragen waren. Wenn dann der Konflikt zwischen Schöpfer und Schöpfung so deutlich in den Vordergrund gerückt wird wie Scott es hier tut und das Alien, die Crew der Covenant und deren Kampf ums Überleben nicht mehr das zentrale Element des Filmes sind, dann fühlt sich das merkwürdig an. Es steht zwar Alien drauf, aber richtig viel Alien drin ist jedenfalls nicht, obwohl der Film ein klareres Bekenntnis zum ursprünglichen Zyklus ist als 2012 noch Prometheus. Folglich ist dann auch Michael Fassbender in seiner Doppelrolle als Walter/David sehr präsent und drängt durch seine zugegeben sehr starke Darbietung den Rest des Cast deutlich in Hintergrund. Kaum jemand anderes der Crew der Covenant bekommt genug Raum, Zeit oder Tiefe um aus Fassbenders übergroßen Schatten treten zu können. Eine beeindruckende One Man Show ist das zweifellos, führt aber eben auch dazu, dass man kaum noch mitfiebern kann, wenn die Crew Mitglied für Mitglied dezimiert wird, weil die einzelnen Figuren völlig belanglos sind.
Die Rückkehr zu den Wurzeln der Reihe hat Ridley Scott versprochen, zurück zu Angst und Terror, zu engen Luftschächten und verwinkelten Gängen. Vollständig einlösen jedoch kann er dieses Versprechen nicht. Zugegeben, das erste Drittel von Alien: Covenant funktioniert diesbezüglich durchaus, doch wenn man denkt, jetzt legt das Alien richtig los und knüpft sich nach dem klassischen zehn kleine Negerlein-Prinzip die Crew der Covenant Stück für Stück vor, dann kippt der Film plötzlich tonal und rückt fortan für lange Zeit Walter/David und deren Konflikt sowie den scheinbar unvermeidlichen Gottkomplex in den Fokus, nur um gegen Ende wieder einen Schritt zurück hin zu etwas zu groß ausfallender Action zu machen. So fühlt sich Alien: Covenant insgesamt zu zerrissen zwischen all seinen verschiedenen Stimmungen an und erschafft keine wirklich kohärente Erzählstruktur.
Dass dann der Mythos Xenomorph mehr oder weniger im Vorbeigehen vollkommen entzaubert und all seiner Faszination beraubt wird, dass nehme ich dem Film dann letztlich sogar persönlich ein wenig übel. Dennoch muss man festhalten, dass Ridley Scott bei weitem nicht alles an die Wand fährt und Alien: Covenant auch viel richtig macht. Der Film ist visuell wieder sehr eindrucksvoll geworden und erinnert stellenweise tatsächlich wieder mehr an den Look von Alien und auch einige Spannungssequenzen sind gelungen. Dass diese dann nicht wirklich packen, liegt eher weniger an der Inszenierung, sondern vielmehr am Drehbuch, welches versäumt, seine Figuren so zu schreiben, dass man mit ihnen mitfiebern könnte. Unterm Strich aber ist das alles zu wenig und für einen explizit als Rückkehr zum alten Alien-Feeling formulierten Film bietet Alien: Covenant letztlich einfach zu wenig Angst, Terror und Schrecken und leider auch zu wenig Alien.
Oha, da wird mein Interesse doch gleich mal geweckt....
Coen Retrospektive #11: The Ladykillers
Ich habe wirklich absolut keinen blassen Schimmer, was bei The Ladykillers nun letztendlich alles schiefgelaufen ist. Ich kann es mir einfach nicht erklären und der Film lässt mich mit einem riesigen Fragezeichen über dem Kopf zurück. Bei Intolerable Cruelty kann man wenigstens noch als Argument ins Feld führen, dass das Drehbuch nicht von den Brüdern selbst stammt und der Film nur eine Auftragsarbeit war. Sicher, als Remake von The Ladykillers (1955) mit Alec Guiness entspringt auch hier nicht alles ihren Köpfen, dennoch ist es ihr Film, was die Zerfahrenheit dieser rund 100 Minuten nur noch rätselhafter macht. Bereits die Notwendigkeit eines solchen Remakes ist fragwürdig und ich kann nicht erkennen, was die Coens dem Original hätten hinzufügen können und was sie mir überhaupt erzählen wollen. Der Schwarz/Weiß-Film von Alexander Mackendrick war eine dunkel makabre Komödie, die ihre von Gier angetriebenen Schurken an ihrer Missgunst und an einer alten Frau scheitern ließ. Die Coens verlegen nun einfach die Handlung vom düsteren London der 50er Jahre an den Mississippi der Gegenwart, in der Tom Hanks Figur des Professor Goldthwaite Higginson Dorr mit ihren Umgangsformen, ihrer Akademikersprache, ihrer Kleidung und ihrer Vorliebe für Poesie einen gnadenlosen Anachronismus abgibt.
Auch weiß The Ladykillers nie so richtig, was der Film nun eigentlich sein will. Märchen, Gegenwartsfilm, Pastiche, Period Piece, Heist-Movie: all das findet sich hier, aber nichts so richtig davon. Obwohl The Ladykillers mehr typische Coen-Elemente vorzuweisen hat als noch Intolerable Cruelty, will hier irgendwie nichts so richtig zusammen passen und beinahe alle Gags können nicht wirklich zünden. Es mangelt an vielem, vor allem aber an Timing, an Rhythmus und erzählerischem Schwung, wenn zu oft Leerlauf dominiert und sich Szenen zu oft wiederholen. Viele Figuren entspringen schlimmsten Klischee-Albträumen aus der Hölle. Prof. G.H. Dorr mit seinem Sprachduktus und seinen anstrengenden Manierismen verkommt schon bald zur nervigen Karikatur und der von Marlon Wayans gespielte Gawain McSam ist ein Stereotyp auf zwei Beinen und wenn er denn Mund aufmacht, dann wird es unangenehm. Das zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Auch der Humor ist weit entfernt von den mal subtil wie pointiert gesetzten schwarzen Spitzen und dann wieder grell platzierten wie cartoonhaften Slapstick-Einlagen sonstiger Coen-Filme: The Ladykillers ist an dieser Stelle durchgehend dominiert von schlechten Witzen über Darmleiden, weggesprengten Finger und allerhand anderen flachen Peinlichkeiten.
Ich verstehe diesen Film nicht. Ich kann mir keinen Reim auf ihn machen und es ist mir vollkommen schleierhaft, was die Coen-Brüder hier angetrieben hat. Zwar sehe ich einige der für sie typischen Elemente immer wieder aufblitzen, aber sie fügen sich nicht wie sonst zu einem stimmigen Bild zusammen. Allerdings weiß ich einfach nicht, wieso das so ist. Nun gut, zwei Flecken auf einer bisher ansonsten makellosen weißen Weste und wenn die Coen-Brüder The Ladykillers brauchten, um dann danach mit No Country For Old Men ein solch absolut überwältigendes Glanzstück abzuliefern, dann kann ich sehr gut damit leben.
Coen-Retrospektive #10: Intolerable Cruelty
"I saw an ad in the paper. „No-fault divorce. Two week divorce without a lawyer“. Made me sick to my stomach. No-fault divorce."
Der Coens nun mehr zehnter Streich erweist sich als romantische Komödie mit deutlichen Screwball-Anleihen. Man kann durchaus die Handschrift der beiden Brüder erkennen und vor allem in den rasanten Dialogschlachten zwischen George Clooney und Catherine Zeta-Jones zeigen sich einige ihrer Trademarks, aber der Funke will bei mir nie so recht überspringen. Intolerable Cruelty sieht aus wie ein Coen-Film und klingt wie ein Coen-Film, fühlt sich aber nie als solcher an. Vielleicht liegt es tatsächlich daran, dass sie das Drehbuch nur zu Ende brachten, es ursprünglich aber nicht ihren Köpfen entsprungen ist. Das würde auch erklären, warum gerade die letzten 15 Minuten des Filmes wieder sehr ihrem bisherigen Schaffen entsprechen, der Rest größtenteils jedoch meist eine Nummer flacher und platter ausfällt als man es bisher gewohnt ist.
Dabei ist die Idee, einen zynischen wie selbstverliebten Scheidungsanwalt die große Liebe finden und eine notorische Heiratsschwindlerin ehelichen zu lassen, eigentlich ganz hübsch und bietet zumindest auf dem Papier reichlich Konfliktpotential, doch es gelingt irgendwie nicht so recht, die bissigen Impulse der Coens mit der romantischen Botschaft des Filmes zu vermählen. Und dann gibt es immer mal wieder schrecklich klischeebehaftete wie kitschige Szenen: etwa, wenn Miles Massey auf einem Kongress von Scheidungsanwälten ein flammendes Plädoyer auf die Kraft der Liebe hält und letztlich der ganze Saal in stehenden Ovationen ausbricht. In diesen Momenten kann ich mir nur schwerlich vorstellen, dass diese aus der Vorstellungskraft der Coen-Brüder stammen. Auch die Auftritte von Geoffrey Rush und Cedric The Entertainer wollen da nicht so recht passen, einige Szenen mit Edward Herrmann ebenso. Allerdings erweist sich George Clooney als die perfekte Wahl für den arroganten, eitlen und zynischen Scheidungsanwalt, Catherine Zeta-Jones als kalt berechnende und voraus planende Heiratsschwindlerin kann da nicht wirklich mithalten.
Machen wir es kurz: Intolerable Cruelty ist in meinen Augen zweifellos der bisher schwächste Film im Werk der Coen-Brüder und kann mit vielen ihrer vorherigen Streifen kaum mithalten. Zu gefällig und für ihre Verhältnisse zu harmlos erscheint mir die Inszenierung ihres wohl „mainstreamigsten“ Filmes. Dennoch muss man an der Stelle festhalten, dass selbst eine mäßige romantische Komödie von ihnen immer noch besser ist als 95% aller RomComs da draußen und allein die abermals fantastische Fotografie von Roger Deakins hebt den Film über den Durchschnitt, aber leider treten auch angesichts ihrer bisherigen Filmografie bei Intolerable Cruelty die Mängel ganz besonders hervor. Das ist ein wenig schade, denn da wäre sicher mehr drin gewesen und so bleibt der Film letztlich kaum mehr als eine mäßige Auftragsarbeit.
Ich habe mich im Vorfeld wirklich sehr auf diesen Film gefreut und ihm entgegen gefiebert. Nicht wegen seiner gewonnen Oscars und all der anderen Preise, welche mich nämlich nicht interessieren, sondern einfach weil ich sehr großer Fan von Guillermo del Toro und seinen Filmen bin. Und nun, nach The Shape of Water, da muss ich offen eingestehen, dass ich schon irgendwie unterwältigt bin. Zweifellos ist seine nun mehr zehnte Regiearbeit ein schöner Film geworden, mehr aber auch nicht in meinen Augen. Die Ausstattung ist über jeden Zweifel erhaben, sieht wundervoll aus und glänzt mit vielen tollen visuellen Ideen und Einfällen. Das Schauspiel rund um den Cast mit Sally Hawkins, Richard Jenkins und Michael Shannon ist hervorragend.
Und del Toro ist hier wieder voll in seinem Element, wenn er zu seinen Lieblingsthemen zurückkehrt und das Misstrauen in autoritäre Institutionen, unterdrückte Außenseiter und märchenhaften Eskapismus in seinen Fokus rückt. Seine Gespaltenheit zwischen blühender Fantasie und brutaler Realität wird in The Shape of Water wieder überdeutlich. Schon in der aller ersten Szene unterstreicht er mit einem Off-Kommentar gleich zu Beginn die märchenhaften Züge seines Filmes und macht sofort deutlich, wohin die Reise gehen wird. Er öffnet eine Tür in eine andersartige Fantasiewelt, zeigt uns aber auch zugleich auf, warum es diese Tür geben muss, wenn er jenen Eskapismus als Überlebensstrategie für die Unangepassten und Außenseiter etabliert.
Del Toro lässt ebenfalls keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass sein mysteriöser Amphibien-Mann humaner ist als die menschlichen Widersacher, wenn gerade Michael Shannons Figur Richard Strickland mit dicken Pinselstrichen als kontrollbesessener, rassistischer und reaktionärer MANN inklusive phallischem Arbeitsgerät und ausgeprägter Angst vor allem Fremden gezeichnet und uns mit dem Holzhammer eingeprügelt wird. Shannon setzt dem auch nichts entgegen und akzentuiert diese Figur lieber noch mehr, wenn er sich zwar wuchtig in diese Rolle wirft, aber auch ohne jegliche Subtilität als eine Art Galionsfigur einer stark von Homophobie, Rassismus und einer streng normierten, zutiefst paranoiden und von Minderwertigkeitskomplexen geplagten Gesellschaft agiert. Auch ist die Figurenzeichnung insgesamt zwar gelungen, aber man kann schon festhalten, dass sie ebenso als schlichte Schwarz/Weiß-Malerei ausgelegt werden kann, wenn das Figurenensemble recht deutlich in zwei offensichtliche Kategorien eingeteilt ist und The Shape of Water lediglich zwischen Gut und Böse, Außenseiter und Angepasste differenziert und kaum Zwischentöne zulässt.
Das allerdings könnte ich angesichts del Toros gewohnt toller Inszenierung und seines umfassenden Ideenreichtums durchaus verschmerzen, aber mein eigentliches Problem mit dem Film liegt an anderer Stelle: mir fehlt einfach der emotionale Ankerpunkt, um vollends in diese märchenhafte Liebesgeschichte eintauchen zu können. Ich sehe, was del Toro mir sagen möchte, ich fühle es jedoch nicht. Ich vermisse diesen einen Moment, in dem es bei mir Klick macht, die eine Erkenntnis, welche mir sagt, warum genau sich Elisa und die Kreatur ineinander verlieben. Ihr jeweiliges Außenseiterdasein allein reicht mir da nicht aus, um eine Verbindung herzustellen. Darüber hinaus ging mir die sich anbahnende Romanze zwischen den beiden viel zu schnell, als dass mich das emotional vollends hätte abholen können. Dennoch gefällt mir die zauberhafte Sally Hawkins in ihrer Rolle wirklich sehr, wirkt sie doch immer irgendwie schwebend, ein wenig losgelöst und entrückt von der brutalen Realität. Man fragt sich, warum sie so wenig Teil dieser Welt ist und am Ende löst sich das auf, wenn deutlich wird, dass sie sich eben nie richtig entfalten konnte, weil unsere Welt nicht die ihre ist. Das empfand ich zum Schluss nochmals als sehr schönes Bild, wenn hier eine erzählerische Klammer auf wunderbare Art und Weise geschlossen wird.
Letztlich ist The Shape of Water ein schöner wie märchenhafter Film über die Liebe und Außenseiter auf der Suche nach ihrer Bestimmung, dessen ansehen sich auch zweifellos lohnt, der mich aber aus genannten Punkten nicht vollends zu berühren vermochte. Auch lässt es sich del Toro immer mal wieder nicht nehmen, auf seine Liebe zum Kino und dessen Kraft als Eskapismus zu verweisen und auch das fügt sich wunderbar in seinen Film ein. The Shape of Water ist ein guter, vielleicht sogar sehr guter Film, opulent ausgestattet und bebildert, voller angenehm nuanciertem Humor und überwiegend toll gespielt, aber diesen einen bestimmten Fleck in meinem Herzen hat er nicht getroffen.
Arnold Schwarzenegger trifft auf Zombies… wer jetzt einen spektakulären Endzeitactioner mit brutalen Schauwerten erwartet, der könnte kaum mehr daneben liegen. Das Regiedebüt von Henry Hobson ist vielmehr intensives Drama als Horror oder Action, es ist ein ruhiger, ein intimer Film, der sich ganz im Stillen abspielt. Der Fokus liegt auch gar nicht auf dem großen Ganzen, auf dem Drumherum, der Außenwelt, sondern ganz eindeutig auf der infizierten Maggie und ihrem Vater Wade, auf deren ganz persönlichen Welt, auf all den Dingen, die nur zwischen ihnen beiden stattfinden. Das ist auch der Grund, warum der Film so gut funktioniert, weil er große Teile dieser seltsamen Welt ausblendet und sich mehr oder weniger nur auf Maggie und ihren Vater konzentriert.
Es geht um Maggie, die niemals erwachsen sein wird, die niemals ihre eigene Familie haben wird und die niemals ihre Kinder im Garten wird spielen sehen, um Maggie, die keine Zukunft, keine Hoffnung, keine Chance mehr hat. Maggie besticht durch ein sehr trostloses Setting eingefangen von ruhigen, aber düsteren, monochromen Bildern, und glänzt durch seine erfrischend andersartige Herangehensweise an ein überwiegend schon abgenutztes Genre, obwohl er sich hin und wieder trotzdem in typischen Klischees verliert. Dennoch werden gängige Genrekonventionen weitestgehend hinter sich gelassen. Die Bildsprache ist überraschend subtil und intelligent ausgefallen, nie plakativ oder zum reinen Selbstzweck degradiert, und stellenweise wunderschön geraten. Anders als in den üblichen Zombiefilmen liegt hier in der Welt danach eben keine eklatante Verschiebung der sozialen Werte vor, was den Film auch so interessant gestaltet, denn eine solche Menschlichkeit ist in diesem Genre selten, hier herrschen weder Anarchie noch Grausamkeit an jeder Ecke. Es gibt keine offenkundige, ständige Bedrohung von außen, beinahe so etwas wie Alltag ist wieder eingekehrt, Normalität, oder zumindest etwas, das in diese Richtung geht.
So wie früher allerdings, wie vorher, so wird es nie wieder sein, immer wieder blitzt zwischendurch in einzelnen Szenen ein Hauch von Normalität auf, Hoffnung aber gibt es keine, nur noch den Moment, keine Zukunft. Arnold Schwarzenegger stößt hier zwar arg an seine schauspielerischen Grenzen, macht seine Sache aber wirklich überraschend gut, er gibt den hilflosen, verzweifelten und liebenden Vater doch sehr glaubwürdig und einfühlsam, ganz ohne viele Worte oder große Gesten. Ihm gegenüber steht Abigail Breslin als seine Tochter, und ihre Performance ist beeindruckend, man leidet mit in den vielen ruhigen Szenen, die ihr gehören. Nicht, weil sie künstlich wirken würden, aufgeblasen oder gar triefend vor Pathos, sondern weil sie auf sehr ruhige und zurückhaltende Weise echt wirken, weil die leere in Breslins Augen geradezu greifbar ist. Ebenfalls zu Gute kommt Maggie, dass die Laufzeit mit rund 95 Minuten sehr überschaubar ist und so das tragende Thema zum Glück nicht gnadenlos ausgewalzt wird, und gerade das erste Drittel des Films ist sehr eindringlich und hat einige äußerst einprägsame Bilder und Sätze zu bieten. Die letzte Szene dagegen weiß das alles nochmal zu toppen und ist wirklich großes Gefühlskino.
Joaquin Phoenix in der Hauptrolle? Score von Jonny Greenwood? Muss ich sehen!
Eben gesehen. Mein Hirn ist erstmal Brei. Ich vergaß mein Bier zu trinken. Die letzten 30 Minuten saß ich im Dunkeln auf dem Boden, vor meinem Fernseher, kaum mehr als eine Armlänge entfernt, unfähig, den Blick abzuwenden. Vorerst keine Bewertung, der Film muss noch etwas Zeit in meinem Kopf verbringen...
Coen-Retrospektive #8: O Brother Where Art Thou?
"Well, as soon as we get ourselves cleaned up and we get a little smellum in our hair, why, we’re gonna feel 100% better about ourselves and about life in general."
Der nun mehr achte Film der Coen-Brüder setzt einen unfassbaren Lauf einfach weiter fort: seit dem Debüt Blood Simple durchgängig nur gute bis sehr gute Filme, das ist bemerkenswert. Aber kann das ewig so weiter gehen? Wir werden sehen, O Brother Where Art Thou? jedoch führt diese Erfolgsgeschichte des amerikanischen Genrekinos einfach frech weiter. Wie schon oft zuvor wird auch dieses Mal dem Setting eine nicht unbedeutende Rolle in ihrem Film eingeräumt – das Arizona aus Raising Arizona, der Mittlere Westen aus Fargo oder das Texas aus No Country For Old Men sind für die jeweiligen Erzählungen bedeutsam und mit dem Mississippi zur Zeit der Weltwirtschaftskrise verhält es sich da nicht anders. Natürlich ist O Brother eine lose Adaption der Odyssee von Homer und handelt einzelne Stationen dieses Epos, aber den Film nur darauf zu reduzieren, das wäre eindeutig zu kurz gegriffen.
Zwar funktioniert die Odyssee hier als rahmengebend, aber die Coens bedienen sich darüber hinaus noch sehr kunstvoll und ganz tief im Fundus amerikanischer Mythen und Erzählungen. O Brother erzählt die Reise von Ulysses, Pete und Delmare angelegt als ein Märchen und schlägt wieder eine Brücke zurück zum cartoonartig überdrehten Humor aus Raising Arizona und The Hudsucker Proxy, vermischt aber zugleich historisch belegte Daten mit Legenden und webt so nicht bloß einfach ein dichtes Netz aus Zitaten, Verweisen und Bezügen, sondern knüpft gleich lieber einen opulenten Wandteppich, welcher die reiche Motivwelt des kollektiven mythologischen Gedächtnisses der USA abbildet. All diese Bilder und Motive, alle Schauplätze des Films, viele Figuren und ihre Ausstattung, die Musik, die Fahrzeuge – das alles ist unverkennbar eben jenem kollektiven Gedächtnis vom Süden und den 30er Jahren Amerikas entnommen.
Vor allem der fabelhaften Musikuntermalung wird hier ausgesprochen viel Raum gegeben und T Bone Burnett entwirft zusammen mit Carter Burwell einen wirklich fantastischen Soundtrack aus Folk, Blues, Country, Gospel und zutiefst traditionellem Liedgut der Südstaaten. George Clooney singt hier zwar nicht selbst, liefert aber dennoch eine starke Performance ab in seinen Gesangspassagen und auch die Slapstick-Elemente versteht er gekonnt umzusetzen ohne das es arg zu albern wird. Überhaupt ist sein exaltiertes Schauspiel hier ein Highlight und mit seinen weit aufgerissenen Augen, dem spitzbübischem Lächeln, mit seiner Dapper Dan gestärkten Pomadenfrisur und den Haarnetzen könnte er so auch einem Cartoon entsprungen sein und drückt O Brother eindeutig seinen Stempel auf. Zwar sein erster Auftritt in einem Film der Coen-Brüder, aber keineswegs sein letzter. Dazu tauchen immer wieder alte Bekannte wie John Goodman, Holly Hunter, Charles Durning und natürlich John Turturro auf, mit denen die Coens immer wieder zusammen arbeiten.
O Brother Where Art Thou? kommt für einen Coen-Film erstaunlich leicht und locker daher, unterhält fantastisch ohne allzu grimmig und düster zu geraten und verwebt auf märchenhafte Art und Weise bestimmte Eckpunkte der Odyssee von Homer mit zahlreichen Anleihen an amerikanische Mythen und Erzählungen. Wahrlich bis hierher eine unglaubliche Leistung der beiden Brüder, deren Filme bisher alle deutlich erkennbar ihre Handschrift tragen, aber immer auch vollkommen eigenständig für sich stehen ohne repetitiv zu werden.
Coen-Retrospektive #6: Fargo
"There's more to life than a little money, ya know. Don'tcha know that? And here ya are. And it's a beautiful day. Well. I just don't understand it."
Rückblickend ist es schwer zu rekonstruieren, warum es gerade Fargo war, der den Coens erstmals nicht nur Würdigung seitens der Kritik einbrachte, sondern nun auch endlich die Gunst des Publikums. Zweifellos ist der sechste ihrer Filme der erste richtig große Wurf und darf problemlos als vorläufiger Höhepunkt ihres Schaffens angesehen werden. Hier kommt nun endlich alles pointiert zusammen, was das Kino der Coens zuvor auszeichnete, und wird nochmals weiter verdichtet. Thematisch ist Fargo eher eine Rückbesinnung auf die dunklen Motive ihrer Anfangszeit, wird allerdings mit dem bekannten schwarzen Humor und zahlreichen schrägen Figuren angereichert. Zudem scheinen die Coens ein großes Herz für das amerikanische Hinterland und dessen Bewohner zu haben, deren Stimme im Mainstream-Kino eher selten Gehör findet. Das schöne dabei ist, dass sie das keineswegs ironisch meinen und sich nie abschätzig darüber lustig machen. Diesmal kehren sie also zurück zu ihren Wurzeln: in die ländlichen Gegenden von Minnesota. Dort, wo die Zeit etwas langsamer zu vergehen scheint, wo die Menschen eher wortkarg und langweilig sind und wo raue Winter noch an der Tagesordnung stehen, spielt sich ein perfides Verbrechen ab. Die ländliche, winterliche Atmosphäre bietet dabei immer wieder einen herrlichen Kontrast zum oftmals sehr blutigen Geschehen. Schon die ersten Sekunden, wenn sich zum ausladenden wie traurigen Score aus der Feder von Carter Burwell ein Auto aus dem schneeverwehten Bild schält, sich scheinbar unendlich langsam durch das gleißende Weiß schiebt, wird deutlich, wie sehr die Landschaft hier eine ganz besondere Rolle spielen wird. Immer wieder fängt Roger Deakins sie in Aufnahmen leiser, unspektakulärer Tristesse ein und trägt dadurch maßgeblich zu einer in manchen Momenten beinahe schon entrückten Atmosphäre bei.
Besonders in den gewalttätigen Szenen ist Fargo geradezu grell brutal und blutig geraten, aber der Film kippt nie ganz in Richtung Farce, sondern ist vielmehr von einer tiefgreifenden, geradezu existenziellen Traurigkeit beseelt und zeigt uns die Absurdität des Lebens. Aber es gibt auch Hoffnung: letztlich ist es das kleine Glück der Gundersons, welches sich als Paradies entpuppt. Ein Ort der Ruhe und Entschleunigung, warm und behütet. Die Vorfreude auf das Baby, das Ei am Morgen und eine Drei-Cent-Briefmarke. Mehr braucht es nicht, man muss es nur auch erkennen. Das ist Jerry nicht gelungen, weil ihm das, was er hat, einfach nicht ausreichen will, und so zerrinnt ihm sein vermeintlich großer Coup - die Aussicht auf ein neues, ein besseres Leben - wie Sand zwischen den Fingern und seine Verzweiflung wächst und wächst. Am Ende läuft alles furchtbar aus dem Ruder und wenn Jerry letztlich festgenommen wird, in Unterwäsche bei einem mehr als nur dämlichen Fluchtversuch durch ein Toilettenfenster, dann ist das auch mehr als nur erbärmlich. Man vergisst es gern, aber zurück bleibt ein Kind ohne Mutter und Großvater und mit einem Vater im Gefängnis, verantwortlich für all dieses Leid. Vielleicht die wahre Tragödie hinter all dem. Fargo ist ein eigenwilliger, aber eben auch ein wahrhaftiger und deswegen großer Film trotz einer gewissen Intimität, wenn alles durch Schnee und Kälte seltsam gedämpft wirkt. Das ganz große Ding jedoch, das sollte erst noch kommen, aber Fargo verkündet bereits von allem, wozu die Coens fähig zu sein scheinen.
Coen-Retrospektive #5: The Hudsucker Proxy
"It's fun, it's healthy, it's good exercise. The kids will just love it. and we put a little sand inside to make the experience more pleasant."
In gewisser Hinsicht sind die Coen-Brüder ein absolutes Phänomen, denn es ist ihnen im Laufe ihrer Karriere gelungen, einen ganz eigenen wie unverwechselbaren Stil zu kreieren, ohne dabei jemals auf der Stelle zu treten. Jeder ihrer Filme ist ganz unzweifelhaft durch und durch ein Coen, dennoch ist keiner wie der andere. Wiederholung scheint es in ihrem kreativen Wortschatz nicht zu geben. So erweitert nun nach dem eleganten Miller´s Crossing und dem kafkaesk-surrealen Barton Fink ihr neuestes Werk The Hudsucker Proxy den filmischen Kosmos der beiden Brüder erneut um eben jene Anleihen an Frank Capra-Filme und cartoonartige Slapstick-Einlagen, welche bereits in Raising Arizona zum Zuge kamen.
Neu allerdings ist nun auch ein deutlicher Einfluss klassischer Screwball-Komödien, welcher in späteren Filmen noch stärker zum Tragen kommen wird. Nach einem Film über Hüte und einem Film über Worte ist The Hudsucker Proxy nun ein Film über Kreise und es ist immer wieder schön zu sehen, wie sich die Dramaturgie in ihrem kreisförmigen Verlauf im wichtigsten Requisit widerspiegelt. Der fünfte Film der Coens ist von vorne bis hinten und bis ins aller kleinste Detail einem konkreten Konzept unterworfen. Allein die großartigen Settings und das Design der Stadt sagen viel über die Einflüsse der Coens bei The Hudsucker Proxy. Der Film spielt nicht in der Gegenwart, sondern in einem phantastischen New York des Jahres 1958, eine märchenhaft anmutende Metropole voller Elementen des deutschen Expressionismus sowie des Steampunk bis hin zu Verweisen auf Brazil von Terry Gilliam oder das Gotham City eines Tim Burton.
Aber bei aller Künstlichkeit verrät der Film nie sein Herz und das liegt vor allem an der wundervollen Performance von Tim Robbins als liebenswerter, verspielter Naivling voller unschuldigem Enthusiasmus vom Lande. Norville Barnes aus Muncie, Indiana. Natürlich erzählt The Hudsucker Proxy letztlich auch kaum mehr als die klassische Geschichte des Underdogs, der vom Tellerwäscher zum Millionär wird, auf dem Höhepunkt des Ruhmes seine Wurzeln vergisst und abschließend bei seinem tiefen Fall Demut lernen muss, um schließlich als gereifter Mensch aus all dem hervorzugehen. Aber die Coens wären nicht die Coens, wenn sie diese Geschichte mit blinder Naivität erzählen würden. Stattdessen erzählen sie auch über Zeit, Vergänglichkeit, die Ewigkeit und den Augenblick und demaskieren mal eben im Vorübergehen die hässlichen Auswüchse des Kapitalismus, verfallen dabei aber keineswegs in leeren Zynismus.
Tim Robbins ist ganz wunderbar als Norville Barnes, die ahnungslose Marionette finsterer Geschäftsmänner voller Profitgier. Noch viel toller ist allerdings die wundervolle Jennifer Jason Leigh als die Enthüllungsreporterin Amy Archer, die eine Story wittert, sich unter falschem Namen in Norvilles Leben schleicht und letztlich auch erkennen muss, dass es da draußen mehr gibt als nur den nächsten Pulitzer-Preis. Die beiden wandeln hier so sehr auf den Spuren der klassischen Screwball-Komödien der 30er und 40er Jahre als gäbe es nichts anderes und besonders Leigh ist hier als Katharine Hepburn-Epigone einfach zum Niederknien. Am Drehbuch war dieses Mal auch ihr langjähriger Freund und Wegbegleiter Ted Raimi beteiligt, was auch das nochmals erhöhte Maß an surrealem Slapstick erklärt. Die Dialoge und der Wortwitz sind gewohnt grandios, das Timing annähernd perfekt und das Sprachgefühl der Coens einfach nur zu bewundern. Mit The Hudsucker Proxy erschaffen sie einen märchenhaften wie witzigen Film über das kaltherzige und harte Geschäftsleben, stellen dem aber zugleich so viel Liebe und Wärme entgegen, dass man am Ende versöhnt aus dieser Geschichte entlassen wird. You know... for kids.
Als Johnny Mnemonic 1995 in die Kinos kam, da waren die Erwartungen an den Film recht hoch. Entsprechend tief war die Fallhöhe, entsprechend groß war die Enttäuschung darüber, lediglich einen doch sehr geradlinigen Actionplot mit eher typischer B-Movie-Dramaturgie serviert zu bekommen. So setzt auch Regisseur Longo lieber auf grelle Effekte und holzschnittartige wie schrille Figuren statt auf angedeutete Charakterentwicklung wie Gibson noch in seiner Kurzgeschichte, wo er mit wenigen Zeilen auf wenigen Seiten viel zu erzählen hat, wenn man denn aufmerksam hinsieht. Aber wie so oft liegt die Schönheit im Detail.
Dass Robert Longo aus der New Yorker Kunstszene kommt, spürt man deutlich an den wundervoll detailfreudig und sehr originell ausgestatteten Setdesigns und Kulissen. Allein die Kommandozentrale der LoTeks rund um den drogensüchtigen Ex-Militär Delphin Jones weiß in all ihrem Detailreichtum zu begeistern. Zudem verzichtet Longo bei seinen Setdesigns durchgängig auf digitale Effekte, denn diese beschränken sich vielmehr allein auf die Visualisierung des Cyberspace. Somit entsteht ein ganz anderes Gefühl für die räumlichen Umgebungen und die Beschaffenheit der unterschiedlichen Kulissen. Die CGI-Effekte hingegen sind nicht sonderlich gut gealtert, wie man hier versucht hat, den Cyperspace – William Gibsons Konsens-Halluzination – visuell darzustellen, das gefällt durch einen leicht naiven Charme.
Auf der darstellerischen Ebene vereint Johnny Mnemonic eine recht illustre Runde an mehr oder weniger schillernden Persönlichkeiten. Keanu Reeves als Datenkurier Johnny bietet hier sein gewohnt stoisches Mienenspiel auf, was aber ganz wunderbar in den stilistischen Kontext des Filmes passt. Schauspielerisch spannender ist da schon zum Beispiel Udo Kier in seiner Rolle als Hehler Ralfi, denn es ist immer eine Freude für mich, das exaltierte Spiel dieses Mannes zu bestaunen. Oder die beiden zu der Zeit vollkommen abseitig besetzten Henry Rollins und Ice-T – der eine zeitweise Sänger der New York Hardcore-Punk-Bands Black Flag und Rollins Band, der andere Rapper voller street credibility gemischt mit politischen Ambitionen und schauspielerischem Enthusiasmus – beide wissen auf ihre Art durchaus zu überzeugen. Abgerundet wird das Ensemble durch Namen wie Takeshi Kitano, Dolph Lundgren, Dina Meyer oder die deutsche Schauspielerin Barbara Sukowa – alles in allem ein durchaus interessant zusammengestellter Cast.
Ja, Johnny Mnemonic hat zweifellos ganz offensichtliche Schwächen, aber dennoch mag ich ihn nach wie vor sehr. Das Drehbuch zum Beispiel hat so manche Probleme und William Gibson ist zwar ein fantastischer Schriftsteller, aber seine Stärken liegen dann doch an anderer Stelle und meines Wissens nach war das auch sein erster und letzter Ausflug in diese Gefilde. Nicht jede darstellerische Leistung kann überzeugen und so manche besticht vielleicht eher durch unfreiwillige Komik und trotz toller Setdesigns voller liebevoller Details sind die digitalen Effekte nicht allzu gut gealtert. Allerdings muss man auch festhalten, dass Johnny Mnemonic bereits bestimmte Elemente des vier Jahre später erscheinenden Matrix vorweg nimmt. Letztlich ist Robert Longos Verfilmung der Kurzgeschichte von William Gibson tatsächlich kaum mehr als ein geradlinig erzählter B-Movie-Plot, macht das aber so charmant und detailverliebt, dass ich dem Film seine Schwächen nicht übel nehmen kann und ihn verteidige, wo ich nur kann.
Im Grunde macht Guy Ritchie mit King Arthur nichts anderes, was er nicht mit Sherlock Holmes oder zuletzt Codename: U.N.C.L.E. auch schon getan hätte: er nimmt eine bereits oftmals erzählte Geschichte, peppt sie durch Tempo und Action auf, inszeniert das alles sehr modern und stülpt ihr seinen ganz speziellen und immer zu erkennenden Stil über. Für seine recht freie Interpretation der ohnehin schon sehr freien Artus-Sage wählt Ritchie eine Kombination aus modernem Action-Look und Mittelalter-Historienkino, welche er dann mit reichlich Fantasy-Elementen anreichert und temporeich wie schwungvoll voran treibt.
Natürlich vermischt Ritchie hier unzählige bereits bekannte Motive und Bilder aus Filmen und Serien wie Herr der Ringe, 300, Game of Thrones und zahlreichen anderen Genre-Vertretern, doch durch seine für ihn so typische Art der Inszenierung und seinen eigenwilligen Stil erhält sein King Arthur eine gewisse moderne, manchmal etwas rotzige Eigenständigkeit. Seine Trademarks sind unverkennbar, wenn er wilde Kamerafahrten, schnelle, aber nicht zu schnelle Schnitte, Zeitlupen, Montage-Sequenzen, einen treibenden Soundtrack und visuelle Effekte (mal mehr, mal weniger gelungen) zu seiner ganz eigenen Vorstellung der Artus-Sage verquirlt.
Es ist durchaus spannend zu sehen, wie sich Guy Ritchie nun auch das Fantasy-Genre einverleibt und daraus etwas eigenes erschafft, das deutlich erkennbar seine Handschrift trägt. Das Setdesign und die Ausstattung sind überwiegend gelungen und meist schön anzusehen, die Dialoge wie von Ritchie gewohnt schnell, trocken, lakonisch und oft witzig und die darstellerischen Leistungen durchweg nicht sonderlich herausragend, aber passabel und angemessen. Nur Jude Law als König Vortigern kratzt immer mal wieder schwer an der Grenze zur Karikatur eines besessenen Bösewichtes.
Unterm Strich ist King Arthur: Legend of the Sword ein solider Beitrag im Fantasy-Genre, der durch die besondere Form der Inszenierung von Guy Ritchie etwas aufgewertet wird und mich wider Erwarten durchaus zu unterhalten vermochte. Kaum mehr als jedes andere gewöhnliche Popcorn-Filmchen, aber zumindest mit einer gewissen Querköpfigkeit versehen, um nicht ganz im matschigen Mittelmaß zahlreicher ähnlicher Fantasy-Spektakel unterzugehen.
Bei dem Namen Gore Verbinski schießen einem zunächst Blockbuster-Titel wie die Fluch der Karibik-Reihe, Lone Ranger oder das Remake des Japan-Horror-Klassikers Ringu durch den Kopf, doch der Regisseur hat bereits mehr als einmal bewiesen, dass er mehr kann als massentaugliche Unterhaltung. Allein sein Animationsfilm Rango dekonstruiert ungemein clever die klassischen Archetypen des Westerngenres und einen leichten Hang zu visueller Extravaganz hatte Verbinski ja auch schon immer.
Um so schöner, dass er diesen Hang nun mit A Cure for Wellness hemmungslos ausleben darf und auf der visuellen Ebene herrlich am Rad drehen kann. Sein Film ist geradezu beseelt von der schier unbändigen Lust am visuellen Experiment und Ideen hat Verbinski reichlich: allein die Art, wie er die anfängliche Zugfahrt in der Schweiz inszeniert, ist wunderschön anzusehen. Auch das alte Schloss, welches nun zum Sanatorium umfunktioniert wurde, wird wunderbar entrückt und geradezu märchenhaft von bezaubernden Bildern eingefangen. Doch mit der Ankunft von Lockhart im Volmer Institut wird relativ schnell deutlich, dass die Idylle innerhalb dieser Heilanstalt Risse hat, dass sie brüchig ist und vielleicht nicht alles so rosig ist wie es den Anschein hat. Der Zuschauer bemerkt sie schnell, all die winzigen Unstimmigkeiten, die eingestreuten Seltsamkeiten, die nuancierten Blicke und schiefen Gesichtsausdrücke, doch Lockhart selbst hingegen zunächst nicht, hängt er doch anfangs noch viel zu verbissen an seinem Auftrag fest, Pembroke zurück nach New York zu bringen. Doch kippt erst einmal im weiteren Verlauf die Oberfläche und offenbart das Sanatorium weitere Seltsamkeiten, welche dann auch Lockhart nicht mehr ignorieren kann, dann wandelt er selbst sich auch weg von seiner arroganten Wall Street-Attitüde.
Man muss es sagen: visuell ist A Cure for Wellness eine absolute Pracht und schenkt uns zum Teil unglaublich schöne Bilder. Die verschiedenen Sets sind voller faszinierender Details und abwechslungsreich gestaltet, da lässt sich sehr viel entdecken. Die Bildsprache ist ausladend und opulent, die Farbgebung entsättigt, wenn oft blau und grau dominieren. Das Setting des Sanatoriums ist ein dankbares, aber Verbinski lässt es dazu noch seltsam zeitlos und nostalgisch erscheinen und vermischt verschiedenste Elemente aus Steam Punk, Horror und Gothic Romance zu einem ganz speziellen Gemisch. All das ist unglaublich stilvoll und sorgfältig arrangiert und nichts ist dem Zufall überlassen. A Cure for Wellness beginnt so gut, dass ich lange dachte: was da alles wohl noch auf mich zu kommen mag?
Doch leider vermag die zweite Hälfte des Filmes das Niveau des wirklich starken Einstieges nicht mehr zu halten. Etwa zur Hälfte kippt A Cure for Wellness plötzlich ins Belanglose, ins Bekannte, ins wenig Schleierhafte. Das so sorgfältig aufgebaute Versprechen auf das große Rätselhafte kann letztlich nicht eingelöst werden. Der Film baut ein Mysterium auf, wo gar keines ist, denn leider Gottes ist schon viel zu früh klar, wo lang der Hase läuft und gegen Ende macht man sich dann noch nicht einmal mehr die Mühe, davon abzulenken. Die Überraschungen bleiben aus und was so herrlich mysteriös und geheimnisvoll begann, das wird im weiteren Verlauf immer konventioneller und mündet in einem erstaunlich vorhersehbaren und geradlinigen Finale, welches all der sorgfältigen Finesse des vorangegangenen Aufbaus kaum noch bis gar nicht mehr das Wasser reichen kann.
Letztlich bin ich dann auch ein wenig enttäuscht von A Cure for Wellness, wenn sich die erste Hälfte als so gelungen und fesselnd entpuppt, das Niveau aber nicht gehalten werden kann und der Film schließlich in nur allzu bekannte Genre-Gefilde abdriftet. So viel wird versprochen, so wenig eingelöst. Der Zauberberg von Thomas Mann ist ein offensichtlicher Bezugspunkt, Shutter Island von Martin Scorsese auch sowie die Ästhetik diverser britischer Horrorfilme der 60er und 70er Jahre, und visuell ist A Cure for Wellness zweifellos aller feinste Kost, aber schlussendlich kann die Geschichte selbst da nicht mithalten und ist zu simpel geraten. Zuviel lässt sich zu früh erahnen und ein richtiger Twist wird auch nicht geboten, wenn final dann doch alles eben genauso ist, wie man es sich zuvor bereits ausgemalt hat. Schade.
Nach erneuter Sichtung...
Baby got beat. Baby got rhythm. Baby? Jep, B-A-B-Y. Edgar Wright ist ein Arsch: da schüttelt der Mann nach Scott Pilgrim vs. the World nun mit Baby Driver schon den zweiten Film aus dem Handgelenk, der mein kleines Herz nicht nur zum glühen bringt, sondern lieber gleich zum bersten. Ich weiß nicht, wie er es macht, aber er macht es mit Leichtigkeit. Einen Film, der seine ersten fünf Minuten komplett mit einem Song der grandiosen Jon Spencer Blues Explosion unterlegt, den kann ich nur in mein Herz schließen. Wenn das ganze dann auch noch so perfekt und auf den Punkt genau bis in den winzigsten Schnitt hinein inszeniert ist, dann ist der Einstieg in Baby Driver zweifellos einer der besten und spannendsten des Jahres (2017 ;) ). Pure Bewegung ist das, bildgewordener Rhythmus irgendwo zwischen Streets of Fire und Drive.
Überhaupt ist der Einsatz von Musik über die gesamte Laufzeit hinweg ausgesprochen außergewöhnlich und permanent aktiver Bestandteil der Handlung statt nur im Hintergrund. Sie untermalt nicht einzelne Szenen, sie choreografiert sie, ist die treibende Kraft des Filmes, sie gibt den Rhythmus vor und bestimmt den Takt. Alles ist der Musik untergeordnet: Schauspiel, Schnitt, Tempo, Dramaturgie, sogar die Handlung. Und die Musikauswahl ist fantastisch, wenn Edgar Wright rund 70 Songs in den nicht ganz zwei Stunden unterbringt und so sein ganz eigenes Mixtape voller Lieblingsstücke erstellt. Die musikalische Bandbreite reichte dabei von Funk und Soul über Jazz und Blues so wie HipHop bis hin zu Indiepop, Garagenrock, Punk, Queen und schließlich dem titelgebenden Song Baby Driver von Simon & Garfunkel. Selbst der Turntable-Magier Kid Koala darf einen Song beisteuern. So ist letztlich der gesamte Film mehr oder weniger immer einzig dem Rhythmus des jeweiligen Songs auf Babys iPod unterworfen und auf ihn zugeschnitten. Dadurch wird die Musik nicht nur zum mal langsameren, mal schnelleren Herzschlag von Edgar Wrights Heist Movie, sondern auch zu einem weiteren erzählerischen Stilmittel, dem Beachtung geschenkt werden sollte und muss.
Auf der inhaltlichen Ebene allerdings ist Baby Driver denkbar einfach gehalten. Baby trifft sein Baby. Er ist Fluchtwagenfahrer, sie ist Kellnerin und beide träumen von einem neuen Leben, aber ein letzter Job will noch erledigt werden. That´s it. Wer an dieser Stelle mehr erwartet, der dürfte enttäuscht sein. Da ist Baby Driver tatsächlich kaum mehr als ein ganz gewöhnliches Heist Movie, wie man es schon unzählige Male zuvor hat sehen können, aber WIE dieser Plot letztlich inszeniert ist, DAS ist das aufregende und spannende wie brillante Novum. Wrights gesamte Inszenierung dieses doch eher schmalen Handlungsgerüstes sprüht geradezu vor Esprit und Verve und ist bis ins kleinste Detail derart ausgesprochen stilvoll, dass der geneigte Zuschauer in diesen rasanten wie vergnüglichen 112 Minuten kaum auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wie generisch die Story doch eigentlich ist. Und visuell gibt es an jeder Ecke viel zu entdecken, auch wenn sich Wright mit den kleinen Spielereien und Referenzen im Vergleich zu Scott Pilgrim Vs. the World deutlich zurückhält. Was wäre ein Film über einen Fluchtwagenfahrer ohne Verfolgungsjagden? Richtig. Folglich gibt es auch in Baby Driver reichlich Blech-Bambule und cool umgesetzte wie spektakuläre Auto-Szenen zu bestaunen, die dann durch den gezielten Einsatz der Musik auf Babys iPod eine weitere faszinierende Dimension hinzu gewinnen. Auf CGI wird hier überwiegend verzichtet und vielmehr auf ganz klassische Stuntarbeit gesetzt, was der Dynamik und Wucht der Verfolgungsjagden und der Unfälle deutlich mehr an Gewicht verleiht.
Mit den meisten Figuren verhält es sich recht ähnlich wie mit dem Plot: überwiegend bekommen wir es hier mit eher eindimensionalen Schablonen zu tun. Tiefgang sucht man hier vergeblich und auch auf der darstellerischen Ebene agiert der Cast oft solide durchschnittlich. Jamie Foxx übertreibt es mit seinem Psychopathen Bats gnadenlos und grenzt schon an eine Karikatur, Kevin Spacey liefert gesundes Mittelmaß und spielt seinen Doc locker runter. Jon Hamm als Buddy blieb bei mir noch gut hängen, hat er doch ein paar starke Szenen. Ansel Elgort als Baby allerdings ist verdammt cool und kann diese Figur ganz hervorragend zum Leben erwecken. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass er einen deutlich besseren jungen Han Solo abgeben würde als Alden Ehrenreich. Diese bestimmte charmante Spitzbübigkeit jedenfalls strahlt er zweifellos aus.
Ich muss es sagen: Edgar Wright hat mich mit Baby Driver buchstäblich überfahren und nach Scott Pilgrim Vs. the World erneut mein Herz im Sturm erobert. Auch sein jüngstes Werk ist regelrecht durchströmt vom ansteckenden Enthusiasmus seines Regisseurs und den für sich genommenen eher schmalen Genre-Plot hievt er allein durch seine grandiose Fokussierung auf den fantastischen Einsatz der Musik innerhalb seiner Inszenierung auf ein völlig neues Level. Eine Liebeserklärung an Rhythmus, Tempo und Bewegung, die mich einfach nur umgeblasen hat in ihrer Wirkung. Und erneut kann ich am Ende nur wieder festhalten: Edgar Wrights Vision von Ant Man hätte ich nun wirklich unglaublich gern gesehen.
Coen-Retrospektive #4: Barton Fink
"I gotta tell you, the life of the mind… There’s no roadmap for that territory… And exploring it can be painful."
Die Angst vor einem weißen Blatt Papier und der immerzu währende Kampf gegen die ganz eigenen inneren Dämonen. Auf Schreibmaschinen eindreschende Finger und der hämmernde Klang der Anschläge. Die Schutzwälle, welcher jeder für sich um sich herum erbaut. Das Warten auf die eine Idee, welche den Einstieg erleichtern wird. Dann ist er plötzlich da, der treibende Gedanke, der platzende Knoten, die Initialzündung, ein durchdringendes und befreiendes Gefühl, doch um welchen Preis? Barton Fink ist der vermutlich am stärksten autobiografische Film der Coen-Brüder, nach eigenen Angaben in kürzester Zeit geschrieben als Antwort auf eine Schreibblockade während ihrer Arbeit an Miller´s Crossing. Wieviel von Barton Fink letztlich in ihnen steckt, das wissen nur sie allein, doch auf seinen kleinsten Kern reduziert ist ihr Film ein beinahe gleichnisartiges Bild und zeigt den ambitionierten Autor, der während der quälenden Arbeit an seinem neuesten Werk in seinem eigenen Hirn eingesperrt ist ohne Hoffnung auf baldige Flucht. Natürlich geht es auch um den Prozess des Schreibens selbst: ein geheimnisvoller Prozess, der sich im Rückblick nur schwer rekonstruieren lässt. Und die Ironie dabei ist: Barton Fink schreibt seine größte Arbeit, sein wichtigstes Werk, als er mit seinem vermeintlich unbedeutendsten Auftrag kämpft. Darüber hinaus thematisiert der Film auch das Schreiben von Drehbüchern für größere Filmstudios, den Konflikt zwischen hoher und niederer Kunst sowie der Grenze zwischen Realität und Fiktion und selbst auferlegte Isolation.
Immer, wenn ich Barton Fink schaue, dann kommt mir Naked Lunch von David Cronenberg ebenso in den Sinn wie Franz Kafka. Manchmal auch mit Abstrichen Der Mieter von Roman Polanski oder Eraserhead von David Lynch. Barton Fink vereint vieles in seinen knapp zwei Stunden Laufzeit und ist zu gleichen Teilen schwarze Komödie, Film Noir, Horror-Thriller und Künstlerdrama, aber vor allem ist der vierte Film der Coen-Brüder für ihre Verhältnisse ausgesprochen surreal in seiner Inszenierung geraten. Allein Finks Absteige – das schmuddelige Hotel Earle mit seinem Slogan „A day or a lifetime“ – bietet eine ganze Reihe herrlich merkwürdiger und schräger Szenarien: etwa gleich zu Beginn die scheinbar nicht enden wollende Klingel auf dem Hoteltresen oder der aus einer Luke im Boden unvermittelt empor steigende Hotelpage Chet. Überhaupt das Hotel mit seinen immerzu gleich aussehenden leeren Fluren und den unzähligen Paar Schuhen vor den Türen, mit den schwitzenden Wänden und den sich ablösenden Tapeten, mit der plagenden Mücke und den Nachbarn, die man nie zu Gesicht bekommt, sondern immer nur hört.
Die Isolation, die Versagensangst und die immer tiefer gehende Abkehr in sein Innerstes beginnen Finks Wahrnehmung zu trügen und das immer alptraumhafter werdende Hotel verschärft diesen Prozess nur noch mehr: schon bald lassen sich Realität und Fiktion, Wahrheit und Wahn kaum noch von einander trennen. Und Barton Fink schlurft durch all diese merkwürdigen Szenarien mit einer bizarren Mischung aus Arroganz, Naivität und Idealismus und wirkt dabei gleichsam unbeholfen wie verschroben. John Turturro geht total auf in der Figur und scheint wie für sie geschaffen. Sein Spiel wird jedoch vor allem durch die enorm einnehmende Performance von John Goodman überschattet, der dem Versicherungsvertreter und Zimmernachbarn Charlie Meadows eine geradezu infernalische Präsenz verleiht, die selbst in harmlosen Momenten furchteinflößend wirken kann. Als Randbemerkung sei noch erwähnt, dass hier erstmals nicht mehr Barry Sonnenfeld hinter der Kamera die Fäden zieht, sondern nun erstmals ein gewisser Roger Deakins, der fortan bei beinahe jedem weiteren Film der Coens mit an Bord war, diese visuell auch immer prägen konnte und zuletzt durch exzellente Arbeiten für Denis Villeneuve glänzen konnte.
Mit Barton Fink erschaffen die Coen-Brüder ein dichtes Netz aus Symbolen, Andeutungen und Metaphern, welches mit zunehmender Laufzeit immer surrealer anmutet und gegen Ende ins rätselhaft Absurde driftet. Wie sehr letztlich Realität und Fiktion verteilt sind, das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Ihr vierter Film ist düster, komisch, bizarr, manchmal verwirrend und nicht alle Fragen werden auch vollständig beantwortet. Barton Fink haftet etwas Rätselhaftes an, das ich sehr mag.
Coen-Retrospektive #2: Raising Arizona
"We figured there was too much happiness here for just the two of us, so we figured the next logical step was to have us a critter."
Blood Simple und dessen ausgeprägter Hang zu den Traditionen des Film Noir ist eine feste Konstante im filmischen Koordinatensystem der Coens, eine weitere dagegen ist abgedrehter Humor mit Tendenz zum cartoonesken Slapstick. Diesem spüren sie nun mit ihrem zweiten Film Raising Arizona nach, ringen jedoch noch arg um die ausgewogene Balance, welche spätere Filme von ihnen noch auszeichnen wird. So betrachtet haben wir es hier mit den beiden tragenden Elementen des gesamten Schaffens der beiden Brüder zu tun, aus deren Verschmelzung ihre Werke oftmals entstehen. Die Vorliebe für grelle Tex Avery-Cartoons und wilden Slapstick teilen die Coens mit ihrem Freund Sam Raimi, für dessen Film Crimewave (1985) sie Teile des Drehbuches beisteuerten. Und so generiert sich Raising Arizona wie eine Art Real-Looney-Tunes-Cartoon: das Tempo ist ungemein hoch, ständig passiert irgendetwas und alles ist immerzu in Bewegung. Auch die Dialoge werden dem Zuschauer von reichlich seltsam schrägen Figuren einem verbalen Dauerfeuer gleich um die Ohren gehauen und reichlich absurde Szenen geben sich die Klinke in die Hand. Und manchmal wird das eben auch etwas zu viel und schrammt hart an der Grenze zum Overkill vorbei, wodurch nicht jede Szene auch unbedingt immer so ganz funktioniert, wie sie es eigentlich sollte.
Für die Besetzung der Rollen in Raising Arizona beweisen die Coens erneut wie schon bei Blood Simple ein ausgesprochen glückliches Händchen und ein sehr gutes Gespür - ein weiterer Punkt, der sich beinahe durch ihr gesamtes Schaffen zieht. Nicolas Cage darf herrlich aufgehen in seinem übertriebenem Schauspiel als liebenswerter Berufsverbrecher H.I. McDunnough und ihm gegenüber steht Holly Hunter als die in ihrem neuen Mutter-Dasein aufblühende Edwina, welch auch gleich ihre autoritären Qualitäten an sich entdecken darf. Dazu gesellen sich recht bald John Goodman und William Forsythe als die aus dem Gefängnis ausgebrochenen Gale und Evelle, deren Wunsch, sich bei H.I. verstecken zu dürfen, schnell im direkten Konflikt zu Edwina steht, welche sich das Familienleben ruhiger und beschaulicher vorgestellt hat. Auch Frances McDormand ist hier erneut mit an Bord und hat zusammen mit Sam McMurray einen herrlich abgedrehten Gastauftritt als billiges Mittelklasse-Ehepaar: er reißt ständig schlechte Polenwitze und sie verfällt beim Anblick des Babys sofort in typisches Baby-Gebrabbel. Und dann ist da noch Randall "Tex" Cobb als schmieriger Kopfgeldjäger Leonard Smalls, der beinahe schon als apokalyptische Vorahnung daherkommt, als Symbol des drohenden Unheils, als Verkörperung des Endes aller schönen Träume.
Zwar gehen die Coens mit ihrem zweiten Werk gänzlich andere Wege als noch mit Blood Simple, bauen ihren ganz eigenen Stil aber souverän weiter aus. Letztlich sehe ich all die Qualitäten, welche Raising Arizona mit sich bringt, vermisse aber die Balance aus all ihren Einflüssen. An so mancher Stelle ist mir der Film tatsächlich etwas zu überdreht, als dass ich ihn vollends in mein Herz schließen könnte. Beileibe kein schlechter Film, aber einer, der nicht immer ganz meinen Nerv trifft. Großes jedoch kündigt sich bereits hier an.
Ich war wirklich gespannt auf diesen Film: Duncan Jones als Regisseur eines Cyber Punk-Thrillers im Berlin der Zukunft, der sich mit diesem Stoff eine lang gehegte Herzensangelegenheit erfüllen durfte. Herzblut allerdings kann ich hier keines entdecken. Zu unausgegoren ist die Dramaturgie, zu orientierungslos holpert der Plot durch ein Berlin der Zukunft, dem Duncan Jones leider nichts Eigenständiges mitzugeben vermag. Dafür verlässt er sich nämlich blindlings viel zu sehr auf eine seit Blade Runner bewährte Bildsprache, die er allenfalls eher schlecht einfach nur kopiert und auch technisch nur sehr mäßig umzusetzen weiß. Wo Blade Runner jedoch in manchen Szenen vor Leben gerade so vibriert, da wirkt dieses vermeintlich zukünftige Berlin in Mute seltsam leblos und dumpf. Wenn dann zu Leo noch ein zweiter Handlungsstrang rund um die beiden amerikanischen Militär-Chirurgen Cactus Bill und Duck Teddington hinzukommt, dann fasert die ohnehin schon brüchige Narrative vollends aus, verliert den Fokus und damit auch Leo aus den Augen. Plötzlich wird der vermeintliche rote Faden – Leo auf der Suche nach seiner großen Liebe – beinahe schon zu einer Nebenfigur in einem Dickicht aus im Grunde völlig egalen Nebensträngen degradiert. Das ist schade, weil in der Figur des stummen Barkeepers in seinem anachronistischen Ansatz durchaus Potential liegt, welches Mute jedoch nie wirklich zu gebrauchen weiß. Und wie der Film auf ausgesprochen seltsame Art und Weise ein Thema wie Pädophilie abhandelt, das ist schon ein wenig beschämend und ärgerlich.
Seit dem Kino nicht mehr gesehen, aber heute abend gibts eine minimale Korrektur nach oben... Because you’ve never seen a miracle...
1982 hat Ridley Scott mit Blade Runner einen Film erschaffen, von dem wohl niemand hätte ahnen können welchen Wert er in der heutigen Filmlandschaft haben würde, zumal er seiner Zeit an den Kinokassen unterging und von den Kritikern gnadenlos zerrissen wurde. Scott stellte mit Blade Runner dem Zuschauer Fragen, ohne die Antworten darauf zu liefern. Er nahm sein Publikum nicht an die Hand, er nahm es ernst. Aus heutiger Sicht ist Blade Runner ein filmischer Monolith, welchen jeder sich ernsthaft für Film Interessierende zumindest mal gesehen haben sollte – unabhängig davon, ob man einen Zugang zu ihm findet oder nicht. Und selbst wenn nicht, dann bleibt immer noch die Wertschätzung für den immensen technischen Aufwand, welchen Scott und sein Team 1982 betrieben haben.
Braucht es also überhaupt 35 Jahre später eine Fortsetzung? Das habe auch ich mich gefragt und war sehr skeptisch der Idee gegenüber und erst als Denis Villeneuve als Regisseur bestätigt wurde, da machte sich leise Hoffnung in mir breit. Wenn er es nicht würde vollbringen können, dann niemand. Es spricht für enorm großes Vertrauen seitens der Geldgeber in die Fähigkeiten und in die Sonderstellung der Arbeit des Franko-Kanadiers, der in der Vergangenheit mehrfach beweisen konnte, dass er Spannung mit Anspruch vermählen kann, wenn man ihm für dieses ehrgeizige Projekt 185 Millionen Dollar zur Verfügung stellt, wohl wissend, dass es möglicherweise kein Publikum finden wird. Und zur Frage, ob es eine Fortsetzung braucht: ich bin mir ziemlich sicher, dass das Blade Runner-Universum noch so manche erzählenswerte Geschichte zu bieten hat.
Blade Runner 2049 ist ein Wagnis, denn seine ganze Art der Inszenierung steht diametral den modernen Sehgewohnheiten gegenüber und unterläuft diese vollkommen. Es ist ein seltsam aus der Zeit gefallener Film. Das wird zweifellos nicht wenige abschrecken, damit werden manche nicht unbedingt zu Recht kommen und sich gelangweilt fühlen. Aber nur, weil nicht alle paar Minuten etwas explodiert, heißt das ja noch lange nicht, dass im Film nichts passieren würde. Im Gegenteil, in Blade Runner 2049 passiert sogar sehr viel, man muss dem Film nur auch seine volle Aufmerksamkeit widmen (was man eigentlich bei jedem Film tun sollte).
Denis Villeneuve vollbringt mit seinem Film zwar nicht die (vermutlich unmögliche) Leistung, Blade Runner in den Schatten zu stellen, doch es gelingt ihm meisterhaft, das Original in Ehren zu halten, sich diesem aber gleichzeitig nicht sklavisch zu ergeben. Sein Film unterliegt trotz der bereits formulierten Welt als Koordinatensystem niemals der Versuchung, sich vollends auf Ridley Scotts Film zurückfallen zu lassen. Vielmehr baut Villeneuve auf eben jenen Referenzen auf, erweitert das filmische Universum aber auf seine Art und Weise um weitere Facetten. Er verbeugt sich zwar vor dem einstigen Schöpfer dieser Welt, geht aber zugleich sehr stilsicher und selbstbewusst seinen ganz eigenen düsteren Weg und rechtfertigt dadurch seine eigene Existenz.
Wo Ridley Scott 1982 noch die Frage stellte, was den Menschen letztlich ausmacht, da geht Denis Villeneuve noch etwas weiter in der Thematik und rückt zusätzlich die Frage nach dem Recht auf Selbstbestimmung in den Fokus und hinterfragt zudem die Beschaffenheit unserer Erinnerungen und letztlich auch deren Wert. Wenn die Welt um einen herum nur noch aus Datensätzen und Mechanismen besteht, aus Nullen und Einsen, welchen Wert hat dann das Individuum an sich überhaupt noch? Was macht es aus? Erinnerungen nicht, dass macht der Film mehr als nur einmal deutlich, denn sie können nicht nur verfälscht werden, sie verblassen, täuschen uns, zersetzen sich, werden zu Bruchstücken verzerrter Existenzen, schiefe Abbilder vergangener Zeiten. Sie täuschen uns nur allzu gern.
KD 6-3.7 wird auch immer wieder von Erinnerungen heimgesucht, wohl wissend, dass diese nicht echt sind. Zugleich ist er ein seltsamer Fremdkörper, Teil einer Welt, welche er nicht versteht, zu der er aber dennoch gehört. Seine Figur ist gezeichnet von Schwermut und Melancholie. Er ist keineswegs frei von Emotionen, ganz im Gegenteil, in der Abgeschiedenheit seiner Wohnung suggeriert ihm das Hologramm Joi genau jene menschliche Wärme und Zuneigung, welche das Jahr 2049 schon lange nicht mehr zu bieten hat. Wenigstens ein künstlicher Hauch von Menschlichkeit als gar keine mehr. Ironischerweise erweist sich dann letztlich eben jenes künstliche Wesen als menschlicher als alle menschlichen Figuren im Film. Ein hübscher kleiner Widerhaken ist das, ein Stachel im Fleisch des Zuschauers. Auch Blade Runner 2049 stellt Fragen ohne die passenden Antworten gleich mitzuliefern. Das mag manchen Zuschauer vielleicht vor den Kopf stoßen oder gar überfordern, mir hingegen gefällt es immer sehr, wenn ein Film sich auch mal traut, Lücken zu lassen, nicht alles en Detail auszuformulieren und mich gedanklich herauszufordern. Die thematischen Implikationen der Story sind Villeneuve wichtiger als actiongetriebene Schauwerte, als großer Krawall und Explosionen im Minutentakt.
Den Anforderungen des modernen Blockbuster-Kinos verweigert sich sein Film konsequent, bietet aber dennoch absolut fantastische Bilder. Nahezu jede Kameraeinstellung (es wird nun endlich Zeit, dass Roger Deakins seinen mehr als nur verdienten Oscar bekommt) ist grandios und fängt spektakulär schöne, manchmal geradezu betörende Impressionen ein. Die radioaktiv verstrahlte Wüste von Las Vegas, deren orange farbener Sand Relikte einer einstigen, längst vergangenen Welt verschlingt. Das kalte Neon und der scheinbar niemals aufhörende Regen in Greater L.A., ein gefühlt nirgendwo endender Moloch aus Beton und Glas und Menschen. San Diego als gigantische Müllkippe voller aussortierter Bruchstücke einstiger Großstädte, verfallen und der Natur preisgegeben. Endlose künstlich angelegte Agrarplantagen soweit das Auge reicht und grau in grau. Villeneuve lässt sich unglaublich viel Zeit für seine Bilder, er lässt ihnen ausreichend Raum, um sich vollends entfalten zu können, und uns als Zuschauer, um diese Welten entdecken, erkunden, erfassen und in uns aufnehmen zu können.
Natürlich hätte man den Film, wenn man einzelne Szenen straffer und nach moderneren Anforderungen geschnitten hätte, rund um eine halbe Stunde kürzen können, ohne ihn inhaltlich zu beschneiden, doch dadurch würde vermutlich gerade diese erhabene Eleganz, dieses eigenwillige Gefühl der Zeitlosigkeit verloren gehen. Das Tempo ist meist ganz bewusst enorm entschleunigt und geprägt von einer eleganten Bedachtsamkeit, der Bilderreigen stellenweise geradezu meditativ. Sein Film interessiert sich nicht für die Bedürfnisse und Gewohnheiten des modernen Kinogängers, ihn kümmert nicht die ständige Befriedigung des Verlangens nach Spektakel. Blade Runner 2049 fordert Konzentration und den Willen, sich auf diesen sperrigen Brocken einzulassen, doch die Mühen werden entlohnt, so viel ist sicher. Villeneuve gelingt der schwierige Spagat zwischen Würdigung des Originals und sanfter Erweiterung des Universums ohne sich irgendwem anbiedern zu müssen. Und wer weiß, wie wir in zwanzig oder dreißig Jahren über seinen Film denken werden. Blade Runner war seiner Zeit ein Flop, es sind also beste Voraussetzungen.