Mattscheibenvorfall - Kommentare

Alle Kommentare von Mattscheibenvorfall

  • 7

    Dualität ist das erzählerische Leitmotiv, welches weite Teile dieses Filmes dominiert, wenn sich George A. Romero erstaunlich nah an der Romanvorlage von Stephen King hält und sich immer wieder die verschiedensten Doppelungen von Realität und Fiktion finden lassen. Ebenso wie King selbst es war ist sein Thad Beaumont Lehrer und nur nebenbei Schriftsteller und ebenso wie Beaumont sein Pseudonym George Stark schließlich sterben lässt, so verfuhr King mit seinem Pseudonym Richard Bachmann.

    Kings Werke sind nicht selten autobiografisch angehaucht, doch The Dark Half verwebt die Geschichte eines Schriftstellers im Kampf mit seiner eigenen Identität besonders dicht mit dem Leben des Bestseller-Autors und Romero nimmt all diese Bezüge dankend an und erschafft im Grunde einen Meta-Film über einen Meta-Roman, der seine eigenen Mechanismen zwischen ernsthaftem Anspruch und reißerischer Exploitation reflektiert. George Stark ist Beaumonts dunkle Seite, sein düsteres Alter Ego, die unterdrückten Abgründe seines eigenen Ichs – er braucht Stark, um seine dunkle Seite zu kanalisieren und fiktiv ausleben zu können, fürchtet ihn aber auch zugleich. Timothy Hutton meistert diesen durchaus schwierigen Drahtseilakt Doppelrolle mit Bravour und pendelt unterstützt durch etwas Make-Up unermüdlich zwischen dem etwas biederen Leben des Thad Beaumont und dem geradezu urgewaltigen Wahnsinn eines George Stark, welcher ihm sichtlich Spaß bereitet.

    Romero entwickelt hier ein starkes Auge für visuelle Details, welche King lang und breit beschreibt: mal ist es ein kurzer Blick auf ein bestimmtes T-Shirt, dann wieder ebenso kurz, aber prominent ins Bild gerückte Bleistifte, welche als eine Art Medium zwischen Beaumont und Stark dienen. Seine Regie mag in The Dark Half zwar etwas konventioneller und eher dem Mainstream angepasst anmuten, offenbart im Detail jedoch immer wieder seine ganz eigene, unverkennbare Handschrift. Zwar ist die Spannungskurve nicht immer die stärkste, fällt gerade im Mittelteil immer mal wieder eher flach aus und The Dark Half könnte auch etwas kürzer sein, aber dennoch weiß der Film zu gefallen und ist zumindest für mich nicht nur eine der besseren Stephen King-Verfilmungen, sondern eine der besten, denn King funktioniert für mich immer in seinen pulpigen Auswüchsen am besten.

    Sicherlich sind Shining, The Shawshank Redemption oder The Green Mile die besseren Filme, aber solch kleine Exploiter wie Silver Bullet, Pet Sematary, Cujo oder eben The Dark Half sind mir da deutlich sympathischer. Bei King finde ich mein Glück dann eben doch meist eher im Pulp.

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    • 7

      Zwischen all den aufgeblasenen Spektakel-Filmen ohne Ecken und Kanten wie Armageddon, Deep Impact oder Godzilla konnte Soldier seiner Zeit im Grunde nur untergehen. Augenzwinkernde Ironie als Absicherung gegenüber jeglicher Kritik sucht man hier vergeblich und so wird Soldier natürlich angreifbar, macht aber gleichzeitig auch nie einen Hehl aus seiner geradezu banalen Einfachheit und setzt so ziemlich alles, was er aufzubieten hat in die Verpackung seiner gerade noch hauchdünnen Story. Der Konflikt ist denkbar simpel und vollkommen klar umrissen, aber gerade diese ausgeprägte Simplizität in der Erzählstruktur ist wunderbar.

      Obwohl 1998 in die Kinos gekommen, ist Andersons Film tief im Geiste des 80er-Actionfilms verortet und bedient sich zugleich der Erzählstruktur eines Western, wenn er Themen aufgreift, welche bereits George Stevens großer Klassiker Shane (1953) verhandelte. Der mysteriöse Held, der hilflosen Siedlern im Kampf gegen erbarmungslose Angreifer beisteht und dabei das Menschsein lernt und eine Andeutung von Liebe und Hoffnung erfährt. Drehbuchautor David Webb Peoples (12 Monkeys, The Unforgiven) siedelt Soldier durch kleine Bezüge im selben Universum an wie Blade Runner (1982), an dessen Script er ebenfalls beteiligt war.

      Dazu passt auch, dass die Idee bereits kurz nach Blade Runner entstanden ist, allerdings erst Ende der 90er in Produktion ging und sich folglich als eine Art geistiger Bruder versteht, wenn Soldier uns einen Blick in die Off-World-Kolonien gewährt, welche Blade Runner seiner Zeit nur andeutete. Thematisch übergreifende Ideen dahinter lassen sich kaum leugnen, auch wenn natürlich vollkommen klar ist, dass Andersons vierter Film zu keiner Sekunde die narrativen wie philosophischen Tiefen eines Blade Runner zu erreichen vermag. Aber das will er auch gar nicht, liegt sein Fokus doch viel eher auf den pulpigen Nebenschauplätzen abseits moralischer Grundsatzdiskussionen.

      Rückblickend lässt sich Soldier mit seinem eindeutigen Gut/Böse-Schema und seiner sicherlich fragwürdigen Moral als Hommage an das klar und einfach strukturierte Actionkino der 80er Jahre verstehen. Vielleicht besinnt sich Paul W.S. Anderson ja irgendwann wieder auf seine Stärken und haut nochmal einen solch herrlich aus der Zeit gefallenen Streifen raus. Zu wünschen wäre es.

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      • 10

        Eternal Sunshine of the Spotless Mind erzählt eine wunderschöne und zutiefst berührende Geschichte über das Lieben und das Entlieben, über Vergessen und Erinnern, darüber, was uns als Menschen ausmacht und was uns zu den Menschen gemacht hat, die wir sind. Drehbuchautor Charlie Kaufmann und Regisseur Michel Gondry sind ein traumhaftes Team, wie sie Joel´s Innenleben zum Ausdruck bringen, seine Gedanken, Gefühle, Träume, Hoffnungen, Wünsche, Ängste und Erinnerungen, so plastisch, so nachvollziehbar und so surreal zugleich, das ist ohne jeden Zweifel meisterhaft.

        Charlie Kaufman ist sowas wie der Drehbuchgott für Independent-Regisseure und nicht gerade bekannt dafür, Geschichten zu schreiben, welche die breite Masse der Kinogänger begeistern, dafür sind die von ihm verarbeiteten Ideen einfach zu verrückt. Drehbücher zu Filmen wie Being John Malkovich oder Adaption und eben auch Eternal Sunshine of the Spotless Mind sind skurril, abgedreht und verschachtelt, aber eben auch immer sehr präzise und mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet.

        Mittelwege oder Kompromisse gibt es bei Kaufman nicht, er biedert sich keinem Publikum an, das seine Ideen ohnehin nicht nachvollziehen könnte, dem ist er sich durchaus bewusst, auch dem, dass er aneckt, aber es ist ihm vollkommen gleichgültig. Geschichten für den Mainstream überlässt er bereitwillig anderen. In dem Franzosen Michel Gondry hat er für Eternal Sunshine of the Spotless Mind einen Regisseur an der Seite, der es ganz wunderbar versteht, wo Kaufman mit seinen Geschichten hin will und das dann auch noch in wunderschön berauschende Bilder zu übersetzen weiß. Die Zusammenarbeit der beiden war zwar nach einer Reihe von Musikvideos sein erster Spielfilm, aber bereits hier zeigt sich diese enorme Verspieltheit in der Inszenierung, die spätere Filme wie Science of Sleep, Be Kind Rewind oder Der Schaum der Tage auszeichnen.

        Eternal Sunshine of the Spotless Mind ist dann auch schlicht und ergreifend großartig inszeniert, mit wahnsinnig viel Gespür für Details und vor allem auch für Stimmungen. Obwohl die Story nicht chronologisch erzählt wird, hat man zu jeder Zeit in den einzelnen Szenen das Gefühl, nur anhand der jeweiligen Stimmung genau zu wissen, in welchem Stadium sich die Beziehung von Joel und Clementine gerade befindet. Ein großer Teil des Films spielt in Joel´s Kopf, in seiner Gedankenwelt, seinen Erinnerungen, aber eben nicht alles, ein kleiner Subplot wird parallel dazu in der Realität erzählt, aber immer wieder vermischen sich diese verschiedenen Erzählstränge.

        Das Gefüge der Bewusstseinsebenen ist chaotisch, Wirklichkeit, Träume, Erinnerungen und Rückblenden verwischen zu einem großen Ganzen. Personen werden scheinbar willkürlich hin und her teleportiert und tauchen plötzlich an Orten auf, an denen sie gar nicht sein können, Gesichter verblassen zusehends oder verschwinden gleich ganz, die Bild – und Tonspuren werden häufig voneinander abgekoppelt, man sieht das eine, hört aber etwas völlig anderes. Joel wechselt in seinem Kopf Raum und Zeit nach Belieben, er wandelt wie Alice durch das Wunderland seiner Erinnerungen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang der überwiegende Verzicht auf CGI. Angesichts der ungewöhnlichen und enorm kreativen Inszenierung ist das absolut verblüffend, aber diese Flut von Bildern wird tatsächlich ganz altmodisch und von Hand zum Leben erweckt, was den Film dann auch seinen ganz eigenen, seltsam entrückten Charme haben lässt und einfach ganz wunderbar ins Gesamtbild passt.

        Eternal Sunshine of the Spotless Mind ist ein wirklich grandioser Film, wunderschön und berührend umgesetzt, ohne dabei auch nur eine Sekunde lang kitschig zu sein. Er ist charmant, witzig, traurig, anspruchsvoll und befremdlich zugleich, sprudelt nur so über vor hemmungslos kreativen und verrückten Ideen und Einfällen und seine nicht chronologische Erzählstruktur zwingt den Zuschauer zu einem gewissen Maß an Aufmerksamkeit. Ein Plädoyer für das Erinnern, das bewusste Erinnern, und gegen das Vergessen, denn nichts ist nur gut oder nur schlecht, und all diese Dinge, all unsere Erlebnisse machen uns zu genau den Menschen, die wir heute sind. Sie sind ein Teil von uns, die guten und schlechten Erinnerungen, das werden sie immer sein und jede von ihnen hat ihre Berechtigung. Jeder halbwegs denkende und fühlende Mensch sollte Eternal Sunshine of the Spotless Mind mal gesehen haben.

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        • 7 .5

          "I want you to know what we know so your mind will be clear, you dig?"

          Man vergisst nur zu gern, dass im Hause Cannon nicht immer bloß massenhaft B-Ware für die Videothekenregale produziert worden ist, sondern dass sich in ihrem Output manchmal auch richtig kleine Perlen verstecken. Runaway Train (1985) von Andrey Konchalovskiy ist so ein Fall und 52 Pick-Up von John Frankenheimer ebenso. Basierend auf einer Vorlage aus der Feder von Elmore Leonard erschafft Frankenheimer einen packenden Selbstjustiz-Thriller, der von einem tyischen Charles Bronson-Rache-Actioner kaum weiter entfernt sein könnte. Denn 52 Pick-Up setzt viel mehr auf Köpfchen statt auf Muskeln und Waffen und auf strategisch kluge Überlegungen statt auf reaktionäre Gewalt. Der Verlust der Kontrolle durch Kräfte von außen und deren Rückgewinnung durch die Besinnung auf die eigenen Stärken.

          Wie sich Harry Mitchell nach und nach aus seiner misslichen Lage befreit, wie er immer mehr Oberwasser gewinnt, indem er seine Widersacher gezielt gegeneinander ausspielt, wie er Gedanken sät und Begehrlichkeiten weckt, und letztlich sogar die Spielregeln zu seinen Gunsten ändert, das ist überaus spannend mit anzusehen. So entsteht die Spannung oft auch aus den Dialogen heraus und ist weniger durch Action geprägt. Zwar gibt es durchaus einige drastische Spitzen, diese sind jedoch aufgrund ihrer Seltenheit dann in ihrer Wirkung umso effektiver. Dazu fangen kühle Bilder von Jost Vacano – seines Zeichens viele Jahre der Stamm-Kameramann von Paul Verhoeven – ein nicht sonderlich glamouröses Los Angeles ein und der elektronisch-metallische Score von Gary Chang muss Frankenheimer so gut gefallen haben, dass er nur drei Jahre später bei seinem Film Dead Bang ebenfalls auf ihn zurückkam.

          52 Pick-Up gehört zu den vielleicht besten Filmen, welche Cannon jemals produziert haben. Ein grimmiger, zu Weilen gar nihilistischer (Neo)-Noir-Rachethriller, der zur Abwechslung mal auf gänzlich andere Wege setzt. Ein starkes Werk aus der Spätphase des Schaffens von John Frankenheimer und sicherlich auch eine nicht selten übersehene Perle des 80er Jahre Genrekinos.

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          • 6

            Wer bei dem Namen James Glickenhaus eher an dessen geradlinige B-Movie-Actioner The Soldier oder The Exterminator denkt, den könnte Shakedown auf dem falschen Fuß erwischen, fällt er doch ein wenig aus dem Schaffen seines Regisseurs heraus. Action gibt es zweifellos, zum Teil sogar ziemlich gut in Szene gesetzt, doch letztlich ist Shakedown ein etwas merkwürdiger, erzählerisch ungelenker Mix aus Copthriller, Buddy-Movie und Justizdrama, bei dem die Thriller-Elemente qualitativ eindeutig überwiegen. In seinen Einzelteilen ist der Film zwar eigentlich ganz geil, findet aber irgendwie nie die richtige Balance, um auch als Gesamtwerk überzeugen zu können. Zu viele Fässer werden aufgemacht, zu wenig Möglichkeiten genutzt und anstatt sich ein wenig mehr auf die eher straighte Story zu fokussieren, verrennt sich Shakedown in zu vielen Ideen.

            Dabei ist die Chemie zwischen Peter Weller (Robocop) als Anwalt mit Sinn für Gerechtigkeit und Sam Elliot (Roadhouse) als Undercover-Cop wirklich gut, der eine oder andere gute Spruch darf auch ausgeteilt werden, doch leider haben die beiden recht wenig gemeinsame Szenen. Womit Shakedown wirklich glänzen kann, das ist die schicke und gelungene Inszenierung von Glickenhaus, der ein herrlich grimmiges und düsteres Bild vom New York der 80er Jahre zeichnet. Dazu bietet die zwar eher spärlich gesäte Action durchaus das eine oder andere Highlight, gelungene Stunts und vor allem ein gutes Gespür für Tempo und Dynamik, allerdings vermag im Gegenzug so manche Gerichtsszene immer wieder erzählerisch auszubremsen. Leider geht Shakedown im Finale merklich die Luft aus und bietet einen seltsam unspektakulären Showdown inklusive wirklich miesen Bluescreen-Effekten. Und doch macht der Film über weite Strecken Spaß, ist für eine Produktion seiner Größe mit Weller und vor allem Elliot wirklich gut besetzt und gehört sicherlich ins obere B-Movie-Regal.

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            • 8 .5

              It's a weird case from the start. A case with a hole in the center. A doughnut.

              Mit Knives Out beweist Rian Johnson eindrucksvoll, dass sein Ausflug in das Star Wars-Universum mit Episode VIII (2017) nach seinem hervorragendem Debüt Brick (2005), dem tollen Nachfolger Brothers Bloom (2008) und dem zumindest gelungenem Looper (2012) kaum mehr als ein Ausrutscher im Schaffen eines interessanten und spannenden Regisseurs war. Einem Befreiungsschlag gleichkommend widmet sich Johnson nun wieder einem originären Stoff aus seiner Feder und liefert zugleich die beste Antwort auf all den Unmut, der ihm einst aus der Star Wars-Fanbase entgegen schlug.

              Sicherlich sind die Vorbilder für Knives Out mehr als nur offensichtlich, und doch gelingt es ihm mit seinem Drehbuch, immer wieder eigenständige und frische Ansätze zu finden. Was sich anfangs noch als eher klassisch gehaltenes Whodunnit gestaltet, das wird schon bald mit seiner ersten Enthüllung eine erzählerische Vollbremsung hinlegen und völlig andere Richtungen einschlagen. Johnson gelingt das Kunststück, dem Zuschauer geschickt Wissen vorzugaukeln, wo eigentlich gar keines ist, und ihn so glauben zu lassen, vordergründig Erwartungshaltungen zu erfüllen, obwohl er diese im Grunde immer wieder bricht. Dazu entwirft er ein komplexes Netz aus Personen, Beziehungen, Nöten, Bedürfnissen, Motiven, Eitelkeiten und ganz viel verletztem Stolz. Jeder hier hat irgendein Geheimnis im Gepäck, irgendeine Leiche im Keller, ein mögliches Motiv, überall lauern Schein und Sein, Lug und Betrug und alle sind immer nur Versionen von Versionen von Versionen. Knives Out ist bei weitem nicht nur sein vermeintlicher Krimiplot, sondern auch das Abbild einer zutiefst dysfunktionalen Familie und zugleich eine Art Querschnitt der modernen Gesellschaft. Allein das allerletzte Bild spricht da Bände, wenn bestehende Verhältnisse kurzer Hand umgekehrt werden.

              Überhaupt ist das Drehbuch wahnsinnig gut geschrieben, enorm detailversessen, es sprüht nur so vor Charme und Witz und glänzt mit seiner elegant ausformulierten Sprache voller messerscharfer, pointierter Dialoge. Es ist oftmals eine helle Freude, den flinken Wortwechseln zu lauschen. Vor allem aber auch, weil ein exzellenter Cast mit ihnen arbeiten darf. Daniel Craig, Jamie Lee Curtis, Michael Shannon, Toni Colette, Don Johnson, Christopher Plummer, Chris Evans, Ana de Armas, LaKeith Stanfield oder Rian Johnson-Langzeitwegbegleiter Noah Segan, ja, sogar Joseph Gordon-Levitt in einer winzigen Sprechrolle und M. Emmet Walsh hat auch eine kleine Szene... ein grandioses Ensemble, das zweifellos und ohne Ausnahme aufzeigt, wozu jeder einzelne von ihnen fähig ist. Mein einziger Kritikpunkt an der Stelle wäre auch bloß, dass ich mir von so mancher tollen Figur etwas mehr Screen time gewünscht hätte. Ansonsten ein Genuss. Und erst die Inszenierung. Allein, wie Rian Johnson die ersten Verhörszenen durch Detektiv Benoit Blanc ausgestaltet, das ist wirklich toll. Wenn Schnitt und Montage virtuos verschmelzen, bloß um immer wieder den Blickwinkel zu verschieben und so quasi im Schnelldurchlauf Konflikte innerhalb der Familie aufzuzeigen. Oder das Familienanwesen selbst, mit seinen Gängen, Winkeln und Hallen, vollgestopft mit lauter kruder Memorabilia wie ein schräges Museum und ein Geheimnis für sich selbst.

              Rian Johnson vermag abermals seine Fähigkeiten als Regisseur und als Autor unter Beweis zu stellen und knüpft mit seiner krimihaften Ausrichtung nicht nur inhaltlich an sein Regiedebüt Brick an. Knives Out ist klug, durchdacht, stilsicher, witzig und vor allem gerade keine Parodie auf sein Genre, kennt er doch seine Vorbilder, ohne diese blind zu kopieren. Johnson nimmt seinen Stoff und die Figuren ernst, vergisst aber nie den Spaß dabei, das hübsche, kleine Augenzwinkern, den Spaß am Fabulieren, die ausgeschmückte Erzählung, das bewusst ausgestellte Drama.

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              • 7

                There's only one rule in the jungle: when the lion's hungry, he eats!

                Back to the roots. Mit The Gentlemen wendet sich Regisseur Guy Ritchie abermals seiner Prä-Madonna-Phase zu, in der er mit den beiden wuchtigen Werken Lock, Stock and Two Smoking Barrels (1998) und Snatch (2000) dem britischen Gangsterfilm frisches Blut verabreichte. Und seine Rückkehr in vertraute Gefilde ist zweifellos geglückt. Zwar lässt The Gentlemen ein wenig das Tempo, die Frische und die Überraschungsmomente jener Zeit vermissen, ist im Gegenzug dafür aber auch eleganter in Szene gesetzt und wirkt stilsicherer und selbstbewusster. Zudem hält sich Ritchie mit seiner sonst stark ausgeprägten inszenatorischen Verspieltheit angenehm zurück und verzichtet auf diverse seiner visuellen Mätzchen. Gerade zu Beginn jedoch macht sich der Film mit seiner etwas schleppenden Erzählweise und seiner Fülle an Figuren und Informationen selbst das Leben etwas schwer.

                Ist das Set Up allerdings erst einmal etabliert, dann wird The Gentlemen deutlich schwungvoller und macht vor allem stellenweise richtig Spaß. Pointierte Dialoge, lässig eingestreuter schwarzer Humor, ein toller Soundtrack (The Jam, Can, Roxy Music, Cymande) und ein fabelhaft aufgelegter Cast veredeln all das. Besonders Hugh Grant als herrlich schmieriger, geschwätziger, erpresserischer Privatschnüffler Fletcher und Charlie Hunnam als rechte Hand von Michael Pearson stechen aus dem tollen Ensemble rund um solch illustre Namen wie Matthew McConaughey, Colin Farrell oder Eddie Marsan heraus. Nicht weniger eindrucksvoll sind die zwar selteneren, aber dafür umso erinnerungswürdigeren Auftritte von Michelle Dockery als Pearsons Frau Rosalind, die ihre Szenen mühelos an sich reißen kann. Letztlich erreicht The Gentlemen nicht ganz die Klasse und Größe von Guy Ritchies ersten beiden Filmen, macht aber dennoch verdammt viel Spaß.

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                • 6

                  Shakespeare, Beyoncé und The Paradise Bangkok Molam International Band. Come to Daddy ist das Regiedebüt des Neuseeländers Ant Timpson, der sich bisher eher als Prodzuent für Filme wie Housebound, Deathgasm, Turbo Kid oder The Greasy Strangler einen Namen machen konnte. Ein Hang zum Genrekino scheint also gegebenen und in diese Richtung schlägt auch sein Erstling aus. Und das heftig. Ein ziemlich wilder Ritt ist das, eine schräg wie bizarr durch diverse Stimmungen und Tonalitäten springende Reise, die sich nie so recht einordnen lassen will. Come to Daddy häutet sich buchstäblich dermaßen häufig, dass er kaum auszurechnen ist und sich tatsächlich nur sehr schwer vorhersehen lässt.

                  Das alles ist auf der narrativen Ebene zwar hochgradig konstruiert, aber zumindest bis auf leichte Längen im Mittelteil durchgängig unterhaltsam. Sicher, nicht jede Idee funktioniert, und nicht jeder Gag zündet, aber Timpson hält das Tempo hoch und liefert Wendung um Wendung, während er zugleich mit offensichtlichen Motiven der entsprechenden Genre spielt. Das verleiht Come to Daddy lange eine angenehme Undurchschaubarkeit, die allerdings gegen Ende zu Gunsten deutlich konventionellerer Erzählstrukturen weichen muss und in einer vergleichsweise kraftlosen Auflösung mündet, wenn dem Drehbuch auf den letzten Metern dann doch Luft und Ideen ausgehen. Das ist schade, denn da wird so einiges an Potential liegen gelassen, den Namen Ant Timpson sollte man aber vielleicht doch im Hinterkopf behalten.

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                  • 8

                    The Blackcoat’s Daughter (manchem vielleicht auch bekannt unter derm Titel February) ist das Regiedebüt von Osgood ´Oz´ Perkins, dem Sohn von Anthony Perkins. Zwar bedient er sich für seinen Film an einigen Elementen aus dem Horrorgenre, doch letztlich verhandelt The Blackcoat’s Daughter unter seiner filmischen Oberfläche viel eher das Thema Verlust und zeichnet subtil das Bild einsamer, verletzlicher, gebrochener Menschen. Gängige Konventionen des Genre interessieren Perkins eher weniger und werden gern von ihm unterlaufen, vielmehr fokussiert er sich auf seine Figuren und deren seelischen Abgründe. Entsprechend ruhig und bedächtig ist The Blackcoat’s Daughter ezählt und nimmt sich Zeit für seine Figuren und deren Schicksale.

                    Visuell ist das alles sehr minimalistisch inszeniert, erzielt aber äußerst effektiv eine stark einnehmende, dichte, geradezu brodelnde Atmosphäre voller drohendem Unheil. In teils sehr langen Einstellungen kommt der Film manchmal gar zum Stillstand, doch Perkins versteht es gekonnt, seine Geschichte vor allem auf der visuellen Ebene zu erzählen, und nur selten durchstoßen plötzlich aufflackernde, kurze Sequenzen diese Langsamkeit. Gewalt findet nur punktuell statt, doch kommt sie zum Einsatz, dann unangenehm und heftig, ganz im Gegensatz zur sonst eher bedächtigen und zurückhaltenden Inszenierung. Zwar gibt es auf der erzählerischen Ebene schon so etwas wie einen Twist, sonderlich raffiniert erscheint dieser auf den ersten Blick jedoch nicht. Das ist aber kein Makel, denn die eigentliche Kunst liegt darin, wie Perkins geschickt zwei zunächst unterschiedlich erscheinende Handlungsstränge langsam miteinander verknüpft, so dass sich erst nach und nach alle Zusammenhänge offenbaren und am Schluss sinnvoll wie erschütternd zusammenlaufen.

                    Auf der darstellerischen Ebene vermag vor allem Kiernan Shipka (Mad Men, Chilling Adventures of Sabrina) einen starken Eindruck zu hinterlassen, die eine wahrlich eindringliche Performance abliefert. Aber auch der Rest des Cast rund um Emma Roberts (American Horror Story, Scream Queens), Lucy Boynton (Murder on the Orient Express, Bohemian Rhapsody) und James Remar (Dexter, Jericho) weiß zu überzeugen. Für ein Regiedebüt ist The Blackcoat’s Daughter erstaunlich stark geraten. Perkins versteht es hervorragend über seine Bildsprache zu erzählen und eine bedrückende, trostlose wie unheilvolle Atmosphäre zu kreieren. Seine betont minimalistische Herangehensweise an die Inszenierung verstärkt diesen Effekt nur noch mehr und unter der ständig brodelnden Horror-Oberfläche thematisiert sein Film noch ganz andere Abgründe, welche mich nachhaltig beschäftigen konnten.

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                    • Faszinierend zu sehen, was Richard Stanley hier visuell wie auch erzählerisch bereits seinem Hardware vorweg nimmt...

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                      • 8

                        "West of Arkham, the hills rise wild and there are valleys with deep woods that no ax has ever cut. There are dark, narrow glens where the trees slope fantastically, where thin brooklets trickle without ever having caught the glimpse of sunlight... Then I saw that dark westward tangle of glens and slopes for myself, end ceased to wonder at anything beside its own elder mystery."

                        Diese unheilvollen Worte gesprochen aus dem Off zu Beginn setzen annähernd perfekt die Stimmung für die folgenden knapp zwei Stunden. Filmische Adaptionen der Werke von Lovecraft sind immer etwas heikel in ihrer Umsetzung. Wie der menschliche Verstand angesichts all dieser unaussprechlichen Schrecken versagen muss, so versagt bei Lovecraft ganz bewusst die Sprache als Werkzeug des Menschen, seine Umwelt einzuordnen und zu verstehen. Wenn schon das gesprochene Wort dabei an seine Grenzen stößt, wie soll dann eine bildliche Umsetzung funktionieren? Nun versucht sich Richard Stanley 23 Jahre nach seinem Fiasko The Island of Dr. Moreau an der Kurzgeschichte The Colour Out of Space. Seine Filme Hardware (1990) und Dust Devil (1992) mag ich sehr, sind sie doch fantastische Genrefilme, die sich kreativ über ihre budgetären Limitierungen hinweg setzen.

                        Stanley ist clever genug, sich zu Beginn seines Filmes Zeit zu lassen, das drohende Grauen nur nach und nach durchsickern zu lassen, statt den Zuschauer schon früh mit allerhand grotesken Momenten zu konfrontieren. Auch die Horrorelemente sind klug dosiert und auf plakativen Ekel wird überwiegend verzichtet. Nur langsam tröpfelt der Wahnsinn in diese ohnehin schon dysfunktionale Familie und Stück für Stück steigert sich der kaleidoskopische Irrsinn. Zeit und Raum verlieren zusehends an Kontur, verschwimmen, dehnen sich, und der eigenen Wahrnehmung kann nur immer weniger getraut werden. Bei all dem bleibt Stanley überraschend nah an seinem Ausgangsmaterial und modernisiert die Kurzgeschichte von Lovecraft nur sehr vorsichtig, um den namenlosen Schrecken in die Gegenwart zu überführen. Eine Atmosphäre des buchstäblich Unbeschreiblichen, dieses schier unfassbare Entsetzen, das steht spürbar im Vordergrund und ergießt sich spätestens im letzten Drittel in Bilder von geradezu irrealer Schönheit.

                        Visuell einfallsreich erschafft Stanley zusammen mit seinem Kamermann Steve Annis so eine dichte, bedrohliche und doch seltsam schöne, schillernde und einnehmende Bildsprache, die Colin Stetson (Hereditary) mit den fremden Klängen seines Scores gekonnt unterstreicht. Und wenn dann etwa zur Hälfte des Filmes Nicolas Cage von der Kette gelassen wird und das tun darf, was er am besten kann, dann findet sich dieser schleichende Wahnsinn auch im Schauspiel wieder. Cage überdreht völlig, bietet fleischgewordenes Overacting par excellence, doch in den filmischen und erzählerischen Kontext von Color Out of Space passt das ganz hevorragend. Das Comeback von Richard Stanley hat mit viel Freude bereitet, ist es doch überaus gelungenes Genrekino mit Verstand und Seele. Ist Color Out of Space eine würdige Lovercraft-Adaption? Schwierig zu beurteilen, er kommt in jedem Fall aber in die Nähe.

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                        • 7 .5

                          Friends are the family you choose. Mag abgedroschen klingen, lässt sich aber kaum leugnen. Was die beiden Regisseure Tyler Nilson und Michael Schwartz mit ihrem Debütfilm auf die Beine stellen, das ist durchaus bemerkenswert. Sicher, The Peanut Butter Falcon ist formelhaft erzählt und zu jedem Moment vorhersehbar, bedient er sich doch klar an den gängigen Strukturen eines Road-Movies mit ungleichem Paar. In den Details allerdings vermag diese warmherzige Südstaaten-Odyssee punktuell starke Akzente zu setzen. Da wären zum Beispiel die pointiert geschriebenen Dialoge. Der tolle Score und das wundervoll eingefangene Setting. Oder der entwaffnende Charme des unbekümmert und authentisch aufspielenden Zack Gottsagen, der von Nilson und Schwartz erstaunlich gut in Szene gesetzt wird, so dass sich der Film zu keiner Sekunde vorwerfen lassen muss, ihn als bloßes Gimmick zu nutzen oder gar der Lächerlichkeit preiszugeben. Ein wirklich schmaler Grat, den die beiden Regisseure gefühlvoll meistern.

                          Dazu ist die Chemie zwischen Gottsagen und Shia Labeouf unglaublich stark. Die beiden harmonieren fantastisch miteinander, wirken vollkommen unverkrampft im Umgang und glücklicher Weise nimmt sich Labeouf angenehm zurück in seinem Spiel. The Peanut Butter Falcon ist ein Film über Freundschaft, über Familie, das Leben, aber auch über das Loslassen. Zak und Tyler haben mehr gemein als sie denken. Beide wurden ein Stück weit ihres Lebens beraubt und müssen sich nun erstmals ihrer gewählten und ungewollten Unabhängigkeit stellen. Da ist Zak, der das Abenteuer geradezu sucht und in seiner neu erworbenen Freiheit aufgeht, neue Eindrücke und Gefühle aufsaugt wie ein Schwamm und seinen Ballast abgeworfen hat. Und da ist Tyler, der mit den Dämonen seiner Vergangenheit kämpfen muss und ein gewaltiges Päckchen zu tragen hat. Mit dem fein austarierten Innenleben der beiden Männer kann die im letzten Drittel dazustoßende Eleanor leider nicht mithalten, ist ihre Figur doch spürbar eindimensionaler angelegt.

                          Im Schlussakt nimmt The Peanut Butter Falcon sogar leicht märchenhafte Züge an und vielleicht entlassen Nilson und Schwartz etwas zu einfach aus dem zuvor aufgebauten Dilemma, doch letztlich fällt das kaum ins Gewicht. Ihr Film ist eine liebevolle Ode an die Freundschaft, ist voller Wärme, aufrichtiger Empathie, und lebt durch das ungemein starke Spiel von Gottsagen und Labeouf.

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                          • 9

                            Doch noch mal etwas erhöht in der Wertung...

                            Once upon a time... Hitler, die Sklaverei und jetzt Charles Manson: History revisited by Quentin Tarantino. In seinem nun mehr neunten Film nimmt er sich gleich dem Ende zweier Ären an, wenn er das Hollywood Ende der 60er Jahre in all seiner Aufbruchstimmung auf der Leinwand aufblühen lässt. Zum einen ist da das New Hollywood auf dem Vormarsch und im Begriff, die alten Strukturen aufzubrechen: Easy Rider erobert die Leinwände und die jungen, wilden Filmemacher nehmen das Kino für sich ein. Zum anderen sind da die schrecklichen Manson-Morde, das Ende der Unschuld und des Summer of Love.

                            Doch Tarantino interessiert sich viel mehr für die erzählerische Kraft des Kinos als für historische Fakten, und so nutzt er abermals das Medium Film, um diesen furchtbaren Momenten zumindest für einen winzigen Augenblick ihre Macht zu nehmen. Nicht Charles Manson gibt er die Bühne, sondern Sharon Tate. Das ist seine Liebeserklärung nicht nur an diese Zeit und deren Filme, sondern auch an das Kino im Allgemeinen und die Möglichkeiten des Filmemachens.

                            Once Upon a Time... in Hollywood wandelt gleichermaßen ziellos wie verträumt durch die Straßen von Los Angeles und will gar nicht erst eine klar umrissene Geschichte erzählen, sondern viel lieber über Stimmung und Bildsprache als über Handlung und Dialog wirken. Lakonisch mäandernd verweigert sich der Film einem klassischen Plot nahezu vollkommen und setzt mehr auf einen beinahe schon episodenhaften Erzählfluss. Das erinnert mich an Filme wie Inherent Vice (Paul Thomas Anderson, 2014) oder Under the Silver Lake (David Robert Mitchell, 2018). Einem sanften Tagtraum gleich streifen wir zusammen mit Rick Dalton und Cliff Booth umher.

                            Die Perspektive mag nostalgisch sein, doch keineswegs verklärt. Tarantinos Hollywood 1969 ist vielleicht idealisiert, aber weder Parodie noch Kitsch, und wirkt ein wenig wie aus den Augen eines staunenden Kindes betrachtet, ohne jedoch anzuhimmeln. Eine angenehme Ziellosigkeit gibt hier den Rhythmus vor und bestimmt das schwelgerische Tempo, und doch unterläuft Tarantino immer wieder nur zu gern Erwartungshaltungen, gibt sich unerwartet melancholisch und zum Teil geradezu wehmütig ohne jammernd längst vergangenen Zeiten nachzuhängen, nur um in einem slapstickhaft brutalem Finale zu münden.

                            Jeder Moment ist bis ins aller letzte noch so kleine Detail durchdacht und voller Hingabe inszeniert und bietet eine enorm hohe Wertigkeit in jeglicher Hinsicht. Ausstattung, Kulissen, Kostüme, alles geradezu wundervoll von einer angenehm unaufgeregten Kamera in Szene gesetzt. Auf der schauspielerischen Ebene überzeugt hier beinahe jede noch so kleine Nebenfigur, doch besonders Leonardo DiCaprio und Brad Pitt spielen nicht nur herausragend, sondern harmonieren zusammen auch ganz wunderbar. Aber vor allem Pitt wusste mich zu begeistern mit seiner unfassbar abgeklärten Coolness, so gar nicht aufgesetzt und vollkommen aus sich heraus wirkend. Und doch schwebt über all dem wunderbar unbekümmert Sharon Tate. Trotz der überraschend gering ausfallenden Leinwandzeit strahlt Margot Robbie eine wundervolle Präsenz voller Leichtigkeit aus, vielleicht etwas naiv, aber durch und durch unschuldig, liebenswert und rein.

                            Irgendwie beginnt das eigentliche Märchen dann auch erst mit der letzten Szene. Der Abspann läuft und alles wird gut, wenn auch nur für einen winzig kleinen Moment in einem dunklen Kinosaal. Sicherlich streitbare These: sein bisher bester Film. Warum? Weil es noch keines seiner Werke zuvor so sehr vermochte, Tarantinos tief verwurzelte Liebe zum Medium Film, zur Popkultur und zum Kino selbst als konzentriertes Destillat in Form zu gießen.

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                            • 5 .5

                              Wer bei Nazi-Zombies gleich an Dead Snow denkt, dem entgegne ich so gleich mit Shock Waves. Obwohl das jetzt reißerischer klingen mag, als der Film von Ken Wiederhorn letztlich ist, denn er unterläuft schon auch irgendwie gängige Klischees und Erwartungshaltungen, wenn es eben keine irrsinnigen Splatter-Szenen gibt oder blank ziehende junge Damen und Shock Waves für einen solchen Genre-Film Ende der 70er erstaunlich zahm ausfällt. Ich glaube sogar, es gibt nicht ein Tröpfchen Blut im Film zu sehen, aber da kann ich mich rückblickend auch irren.

                              Aber gerade diese Zurückhaltung in seiner Inszenierung gefällt mir an Shock Waves. Sicherlich gilt auch hier, dass es kein wirklich guter Film ist, handwerklich allenfalls ein so gerade noch solides B-Movie, aber er erschafft eine sehr merkwürdige, irgendwie surreal-träumerische, kaum zu greifende Atmosphäre, die einlullt und fesselt ohne das sonderlich viel passieren würde. Ganz ehrlich: Shock Waves ist nicht blutig, nicht spannend, nicht dramatisch, und TROTZDEM mag ich den Film irgendwie. Auf seine Art übt er eine sehr seltsame Faszination auf mich aus. Und diese kühle Distanz, mit der sich die natürlich platinblonden Nazis immer wieder aus den Fluten erheben und ihrem Mordhandwerk mit schweigsamer Präzision und geradezu enigmatischer Effizienz nachgehen, die ist ausgesprochen eigenwillig, aber eben auch faszinierend und irgendwie sehr anders. Dazu dann der verstärkende Effekt des Scores von Richard Einhorn, den man – vorsichtig formuliert – als europäisch bezeichnen könnte, wenn er sich deutlich an ähnlichen Werken des italienischen Genre-Kinos jener Zeit orientiert.

                              Wie gesagt: Shock Waves ist am Ende des Tages kein sonderlich guter Film, aber zumindest für mich ist er eigenwillig genug in seiner Machart, um mich für seine rund 85 Minuten Laufzeit nicht zu langweilen. Kein vergessenes Meisterwerk oder unbedingter Geheimtipp, dafür ist er in der Entwicklung seines Plots insgesamt dann doch zu genre-konform, aber ein hübscher kleiner Querschläger ist das schon.

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                              • 6 .5

                                "What's the scariest part of a roller coaster? Waiting in line."

                                Lange fackelt Regisseur William Eubank in seinem dritten Film nach Love (2011) und The Signal (2014) nun wirklich nicht, bis er seine Figuren und somit auch den Zuschauer mehr oder weniger gleich von Beginn an direkt ins Geschehen wirft. Eine der Stärken von Underwater ist dann auch, dass der Film das hohe Tempo zu Beginn dauerhaft halten kann und keine nennenswerten Verschnaufpausen gönnt. Sonderlich innovativ mag das alles vielleicht nicht unbedingt sein, aber wie auch schon bei Life (2017) von Daniel Espinosa immerhin kein billiger Abklatsch alter Genre-Größen.

                                Sicher kann man die narrativen wie szenischen Vorbilder jederzeit erkennen, und doch bleibt eine gewisse Eigenständigkeit, weil Eubank durchaus ein Gespür für Atmosphäre und den einen oder anderen beklemmenden Moment zu entwickeln vermag. Die Story selbst strebt nicht nach Größerem, will gar nicht erst vorgeben mehr zu sein als sie letztlich ist und steht zu ihren pulpigen B-Movie-Wurzeln. Erzählerisch schlicht und ohne unnötigen Ballast verzichtet Underwater zu Gunsten von Tempo und Action weitestgehend auf Exposition und Figurenzeichnung. Schade nur, dass der Film bereits zu Ende ist, wenn er im Finale so richtig aufdreht und dem Größenwahn anheim fällt.

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                                • 4

                                  Ich gebe zu, dass ich ein großer Fan von Filmen mit Unterwasser-Setting bin, egal, ob Thriller, Horror, oder Abenteuer, und so brachte mich meine ausgeprägte Faszination für diese eher spezielle Form des Genre-Kinos nun auch zu The Neptune Factor. Doch was Regisseur Daniel Petrie hier auf die Leinwand brachte, das ist ein ausgesprochen seltsamer Film, und viel mehr unausgegorenes Katastrophenkino der 70er als das Plakat vielleicht suggeriert. Unentschlossen irgendwo zwischen nostalgisch-naiver Jules Verne-Fantastik der 50er Jahre und eben jenem, gerade boomenden Katastrophenkino der 70er Jahre schwankend ist The Neptune Factor letztlich nichts von alldem. Die Story dümpelt zu lange vor sich hin, ist spannungsarm und viel zu langsam erzählt und bietet darüber hinaus kaum interessante Figuren zum mitfiebern.

                                  Ob nun Regisseur Petrie, Drehbuchautor Jack DeWitt oder Kameramann Harry Makin, ich weiß es nicht genau, irgendwer jedoch hatte scheinbar ein großes Faible für die, nun ja, eingehende Beobachtung von Fischen. Anders lassen sich teils minutenlange und zudem technisch nicht sonderlich anspruchsvolle Szenen voller Fischen kaum erklären, welche zur filmischen Dramaturgie nun wirklich gar nichts beitragen und stattdessen immer wieder das Tempo ausbremsen und den Spannungsbogen kollabieren lassen. Wenig maßstabsgetreu mit einem U-Boot-Modell aus Plastik und einigen Zierfischen im Aquarium zu arbeiten, das zerstört schlicht jegliche Illusion. Für Liebhaber filmischer Randnotizen und kurioser Fußnoten vielleicht noch irgendwie interessant, wirklich sehenswert oder gar gut ist The Neptune Factor ganz gewiss nicht.

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                                  • 8

                                    "To God, there is no zero. I still exist!"

                                    Dass Regisseur Jack Arnold für seine Verfilmung des Romanes The Shrinking Man dessen Autor Richard Matheson auch für das Drehbuch gewinnen konnte, das erweist sich als kleiner Glücksgriff. Denn so stehen nicht nur die ohne Frage überragenden Effekte im Vordergrund, sondern ebenso das tragische Drama der Story selbst. Tricktechnisch ist das alles von den ausgefeilten Perspektiven über die tollen Kulissen bis hin zu den spannenden Kämpfen gegen Katze und Spinne zum Teil auch heute noch unglaublich beeindruckend. Arnold und Matheson nehmen ihren Helden wider Willen und dessen Lage darüber hinaus jedoch empathisch genug ernst ohne in unfreiwillige Komik abzugleiten und ihn der Lächerlichkeit preiszugeben.

                                    The Incredible Shrinking Man lässt sich Zeit in seinem sorgfältigen Aufbau und nimmt auch das Innenleben seines Protagonisten angemessen unter die Lupe, so dass dessen Wut, Angst und Verzweiflung spürbar werden. Es sind eben nicht nur die äußeren Probleme und Hindernisse, mit denen sich Scott Carey zunehmend konfrontiert sieht, sondern gerade auch die inneren Konflikte, welche verhandelt werden. Sicher nimmt sein Kampf ums Überleben viel Raum ein, doch auch sein Hadern mit sich selbst wird thematisiert. Wenn auch nur oberflächlich, so werden dennoch stereotype Rollenbilder der 50er Jahre hinterfragt. Zudem ist für Matheson und Arnold ihre Hauptfigur eine Art Jedermann des Atomzeitalters: sein Abenteuer ist eine Lehrstunde über die Feindlichkeit einer vom Menschen geschaffenen Umwelt und dessen zerstörerischen Drang, sich selbst zum Maß aller Dinge zu machen.

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                                      Nochmals erhöht....

                                      Sad songs hit the spot, don´t they? A Girl Walks Home Alone at Night definiert sich über viele Dinge, aber am allerwenigsten über seine Handlung oder Erzählstruktur. Zu episodenhaft und nur lose zusammenhängend sind die Ereignisse rund um Arash, seinen drogensüchtigen Vater, dessen Dealer, dem Vampirmädchen und noch einigen anderen Figuren, die sich in Bad City herumtreiben. Das ist aber kein Nachteil, denn das Erzählen von Geschichten im klassischen Sinne spielt hier nur eine sehr untergeordnete Rolle, deutlich wichtiger sind Atmosphäre und Stimmung, wirklich von Bedeutung sind nur all die wunderschönen Bilder und die stilvolle Schwarz/Weiß-Ästhetik, die sich zusammen mit der Musik in einen geradezu hypnotischen Rausch steigern und den Zuschauer unweigerlich vereinnahmen, ihn mit sich reißen und in ihren Bann ziehen.

                                      Folglich wird auch dem gesprochenem Wort eher wenig Raum gegeben, aber durch Bilder, Gesten und Blicke wird alles erzählt, was man wissen muss. Schwelgerische Bilder, lange Kameraeinstellungen und sich langsam entfaltende Stimmungen überlagern immer wieder die Handlung und erschaffen eine düstere, melancholische Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann. In ihrer Bildsprache bedient sich Amirpour dann auch im großen Fundus der letzten 100 Jahre Film, angefangen beim klassischen Horror über Western hin zum Film Noir, sogar ein Hauch von James Dean und Elemente des deutschen Stummfilms lassen sich da ebenso entdecken wie zahlreiche andere Verweise und Bezüge zu allerlei Formen der Popkultur. Allein das Zimmer des namenlosen Vampirmädchens quillt regelrecht über vor Reminiszenzen an die Popkultur: ein Raum voller Poster, von der Decke hängt eine kleine Discokugel, an der Wand steht ein Plattenspieler und so wie der ist auch sie ein wenig aus der Zeit gefallen, das namenlose Mädchen, das in Jeans und Ringel-Shirt durchs Zimmer tanzt.

                                      Namen wie Jim Jarmusch oder David Lynch mögen einem da vielleicht in den Sinn kommen, auch die Ästhetik von Francis Ford Coppolas Rumble Fish, aber Amirpour bleibt zu jeder Sekunde selbstständig und kopiert nicht einfach nur blind, A Girl Walks Home Alone at Night trägt ganz deutlich ihre eigene Handschrift. Ein wilder Stilmix quer durch die Geschichte des Films, der aber niemals überladen wirkt, sondern vielmehr seltsam sparsam und karg. So zelebriert sie die beinahe schon morbide, manchmal geradezu endzeitlich wirkende Atmosphäre, Bad City ist mehr Geisterstadt als Ort des Lebens, ihre Bewohner scheinen alle verkommen und kaputt zu sein, niemand scheint etwas Gutes im Sinn zu haben, und das namenlose Vampirmädchen streift nachts durch die finsteren Straßen, im wehenden Tschador, auf einem Skateboard, das nicht ihr gehört.

                                      Begegnet sie erst Arash, dann entspinnt sich eine ganz feine und zarte, sacht erzählte Romanze zwischen den beiden, die zwar zusammen sein wollen, es aber nicht können, die sehr wohl wissen und spüren, dass es unmöglich eine gemeinsame Zukunft für sie geben kann, ihnen bleibt nur der Moment. Ultimativ gewiss wird dieses Dilemma in einer wunderschönen, sehr langen, zeitlupenartigen Szene, wenn die beiden bei ihr zu Hause sind, sie den Song Death der Band White Lies auflegt und sie sich ganz, ganz langsam näher kommen. Dieser Moment ist unfassbar schön, intensiv und berührend, spannend und vor allem sehr knisternd, ein Moment, in dem sich Sehnsucht und Verlangen nach einem anderen Menschen spürbar verdichten und die Welt still zu stehen scheint. Worte braucht es hier für keine, Blicke, Gesten und die Musik reichen völlig aus.

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                                      • 4

                                        Lollipop und Machoman. Filmischer Wahnsinn. Ein Zelluloid gewordener Unfall. Mehr als einmal in diesen rund 90 Minuten Laufzeit war ich fassungslos angesichts des Treibens auf dem Bildschirm. Was, zum Teufel, haben sich alle Beteiligten dabei gedacht? Shō Kosugi war gerade erst von Cannon Films zu Crown International Pictures gewechselt, die sich Cannon nicht unähnlich dem Exploitation-Kino widmeten ohne jedoch deren Budgets zu haben. Das spürt man deutlich, denn obwohl 9 Deaths of the Ninja eine amerikanische Produktion ist, wirkt das alles viel mehr wie ein billig runter gekurbelter Asia-Film.

                                        Dazu scheint Regisseur und Drehbuchautor Emmett Alston ein ziemlich großer James Bond-Fan zu sein, denn anders lässt sich kaum erklären, dass sein Film über weite Strecken wie eine kraftlose Parodie wirkt. Bereits die auf eine ebenfalls Bond-typische Auftaktszene folgende Titelsequenz lässt mich an allem zweifeln, wenn Shō Kosugi und eine handvoll Aerobic-Damen zu einem maximal drittklassigen Bond-Song-Klon eine befremdliche Performance darbieten. Und in dem Stil geht das weiter: Kosugi im Kampf gegen vier Kleinwüchsige, Namen wie Spike Shinobi oder Honey Hump, eine merkwürdige Sequenz mit einem Münchener Oktoberfest-Verschnitt samt Volksmusik im Terroristenlager, ein Affe mit Windeln.

                                        Doch mein persönliches Highlight ist zweifellos eine Verfolgungsjagd unter Wasser, in der unser Held seinen weiblichen Verfolgern nicht die Tauchmasken vom Gesicht reißt, sondern lieber die Bikini-Oberteile. Und dann noch der komplett durchgeknallte Oberbösewicht: Alby der Grausame. Ernsthaft. Als Karikatur selbst für Austin Powers viel, viel, viel zu drüber gezeichnet, im Rollstuhl sitzend und mit einem wirklich weirden Kleidungsstil und merkwürdig schrägem Akzent/Sprachfehler ausgestattet. Kleiner Fun Fact: Alby den Grausamen spielt ein gewisser Blackie Dammett, der im bürgerlichen Leben John Michael Kiedis heißt und der Vater von Anthony Kiedis ist, dem Sänger der Red Hot Chili Peppers ist.

                                        All das wirkt wie eine handfest in die Hose gegangene Parodie auf Bond, doch da schwingt auch immer wieder eine irritierende Ernsthaftigkeit mit, die ich mir einfach nicht erklären kann. So wie ich mir den ganzen Film nicht erklären kann. Objektiv ein Totalausfall, eine filmische Bankrotterklärung. Subjektiv mit der passenden Einstellung durchaus unterhaltsam. Irgendwas zwischen 2 und 6. Also 4...

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                                        • 5

                                          Ready or not, here I come, you can't hide, gonna find you and take it slowly... Ready or Not von den beiden Regisseuren Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett (Devil´s Due, V/H/S, Southbound) steht in einer sehr langen Tradition von Manhunt-Filmen, die mit The Most Dangerous Game bis in die frühen 30er Jahre zurück reicht. Die zugegeben ziemlich hirnrissige Prämisse vermag ich noch zu schlucken, wohingegen mir die tonale Zerrissenheit von Ready or Not deutlich mehr Probleme bereitet. Der Film schwankt nicht sonderlich gut ausbalanciert immerzu zwischen grimmigem Horror, schwarzer Komödie, Groteske, Slapstick, Thriller und Gesellschaftskritik, ist letztlich aber nichts von all dem so richtig. Ready or Not wäre nur zu gern der smarte und zugleich böse Genre-Hybrid, der er vorgibt zu sein, weiß aber nie so richtig, was er nun sein will und traut sich zu wenig.

                                          Dazu sind die Figuren durchweg stereotyp gezeichnet und voller leerer Klischees. Das mag von Bettinelli-Olpin und Gillett vielleicht bewusst eingesetzt worden sein, ist jedoch arg plakativ geraten, und was als satirisches Stilmittel funktionieren soll, das ist eigentlich nur Ausdruck von Einfallslosigkeit. Aufgrund des eher mäßigen Erzähltempos kommt auch nie so richtig Spannung auf, zumal die Handlung immer wieder krude abdriftet und die Story im letzten Drittel viel inhaltliche Wiederholung aufbietet. Und schließlich mündet alles in einer zwar absurden, aber dennoch langweiligen und höchst unbefriedigenden Schlusspointe. Ready or Not liefert zwar den einen oder anderen guten Moment, bietet eine starke Location, ist toll ausgestattet, handwerklich sauber umgesetzt und auch Samara Weaving als wehrhafte Braut ist ein Highlight, doch letztlich verschenkt der Film einfach viel zu viel Potential.

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                                          • 8 .5

                                            "Nothing is more foolish than a man chasin´ his hat."

                                            Miller´s Crossing ist ein Film über Hüte. Oder vielmehr: ein Film über Männer, die Hüte tragen. Es ist auch ein Film wie ein besonders rätselhafter Traum, welchen man zu deuten versucht, seltsam diffus und schwer zu greifen und dennoch ungemein handfest und zupackend. Lange lässt Miller´s Crossing den Zuschauer über die wahren Motive seiner Figuren im Unklaren und manche werden sogar gar nicht offenbart. Wer hier denn nun wirklich auf wessen Seite steht, das ist die große Fragen, die permanent mitschwingt.

                                            "Nobody knows anybody. Not that well." sagt Tom Reagan an einer Stelle und das trifft den Nagel auf den Kopf. In Blood Simple merkt der Privatdetektiv Loren Visser an, man könne nur sich selbst trauen, und das bestätigt sich so auch in Miller´s Crossing: selbst ein so gerissener und undurchschaubarer Fädenzieher wie Reagan stößt irgendwann an seine Grenzen und muss feststellen, dass sich Menschen nicht nach Belieben wie Schachfiguren bewegen lassen. Jeder kämpft hier ganz allein und nur für sich. Dinge wie Zusammenhalt, Familie, Loyalität oder gar einen Ehrenkodex, die sucht man in Miller´s Crossing vergeblich, auch wenn Johnny Caspar immerzu genau darauf pocht und es nie müde wird zu betonen: "I'm talkin' about friendship. I'm talkin' about character. I'm talkin' about ethics." Alles wohlklingende Plattitüden, gut gemeint, halbherzig befolgt. Letztlich ist sich hier jeder selbst der Nächste.

                                            Auf der erzählerischen Ebene ist Miller´s Crossing eine kleine Besonderheit: der Plot ist labyrinthartig aufgebaut und bewegt sich schneller als die linear strukturierte Narrative. Was uns erzählt wird ist oft dem, was wir sehen voraus. Dazu passt, dass nicht wenige Figuren öfter in Dialogen erwähnt werden, als dass sie tatsächlich im Film auftauchen. Das gilt beispielsweise für den Buchhalter Mink oder Rug, ein Handlanger von Leo, der bereits tot ist, als wir ihm zum ersten Mal begegnen. Doch die Umstände dieses Todes sollen noch von tragender Bedeutung sein. Das Drehbuch der Coens ist nahezu perfekt ausgeklügelt und lässt den Zuschauer sehr lange im Dunkeln stehen ohne dabei zu frustrieren. Hier kommt nun erstmals alles zusammen, was Blood Simple und Raising Arizona bereits versprachen: die Traditionen des Film Noir treffen auf eigenwillige Situationskomik und rabenschwarzen Humor und halten sich gegenseitig in nahezu perfekter Balance.

                                            Und auch hier sind abermals die schauspielerischen Leistungen die Kirsche auf der Torte. Gabriel Byrne als Tom Reagan war wohl nie besser und präsentiert eine hervorragende Maske aus Zynismus, Coolness und unterdrückter Verletzlichkeit. Unvergesslich und absolut Gold wert ist der Ausdruck grimmiger Entschlossenheit im Gesicht von Albert Finney, wenn sein Leo eigenhändig zu den Klängen von Oh Danny Boy den Mordanschlag auf sein Leben vereitelt. John Polito reißt große Teile von Miller´s Crossing mit seiner Interpretation eines lauten und vulgären Mobsters an sich, der immer auch darum bemüht ist klüger und besonnener zu wirken als er letztlich ist. Seine impulsiven Ausbrüche jedenfalls stellen so manches Highlight.

                                            Der dritte Film der Coen-Brüderist eine bitterböse und tief schwarze Reflexion über den vermeintlichen Wert von Loyalität und Freundschaft in einer Welt voller Falschspieler, Opportunisten und Lügner. Handwerklich ist das alles großartig: Inszenierung, Ausstattung, Kamera und Schauspiel wissen zu beeindrucken und das Drehbuch mit seinen messerscharfen Dialogen erledigt den Rest. Auch der wundervolle Score abermals aus der Feder von Carter Burwell ist erhaben wie unaufdringlich zugleich. Tatsächlich kann ich Miller´s Crossing nur sehr wenig bis gar nichts ankreiden und das, obwohl es ein Film über Männer ist, die Hüte tragen.

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                                            • 8

                                              Ein Remake funktioniert vor allem dann besonders gut, wenn es seine Vorlage so sehr verstanden und verinnerlicht hat, dass es ihm möglich ist, ihr im Kern neue Facetten abzuringen und hinzuzufügen statt blind zu imitieren. Genau das gelingt Regisseur Philip Kaufman mit der zweiten filmischen Adaption des gleichnamigen Romanes von Jack Finney in Bezug auf Don Siegels Invasion of the Body Snatchers (1956) und genau das stellt seinen Film in meinen Augen in eine Reihe mit solch hervorragenden Remakes wie The Thing (1982) von John Carpenter oder The Fly (1986) von David Cronenberg. Jack Finney ist 1955 mit seinem Roman etwas außergewöhnliches gelungen: er hat eine Geschichte erschaffen, welche einen allegorischen Rahmen bietet, der augenscheinlich etwa alle 15 Jahre erneut aufgegriffen wird um gesellschaftliche Zustände der Angst zu thematisieren.

                                              Don Siegel griff sofort zu, denn die Geschichte traf ganz wunderbar den Geist jener Zeit und fasste die Angst sowohl vor der kommunistischen Invasion als auch vor der von Paranoia geprägten McCarthy-Ära in passende Bilder – Red Scare, eine Idee, welche in den Science Fiction-Filmen jener Zeit oftmals behandelt wurde. In der Verfilmung von Philip Kaufman rückt die Kommunismus-Metapher dann deutlich in den Hintergrund, das Prinzip jedoch bleibt das gleiche, wenn die Angst vor einer Invasion durch fremde Mächte der Angst vor einem immer weiter voran schreitenden Wandel gesellschaftlicher Strukturen weicht. Immer jedoch ist es das Spiel mit der Angst vor dem Unbekannten im Bekannten – die Angst, die Menschen die wir lieben, könnten urplötzlich über Nacht nicht mehr dieselben sein wie zuvor. Die Angst vor dem Identitätsverlust. Ganz ehrlich? Warum nicht? So verlockend… ein Leben ohne Hass, ohne Wut, ohne Schmerz. Aber eben auch ein Leben ohne Liebe und ohne Freude.

                                              Invasion of the Body Snatchers ist wahrlich furchterregend geraten, so leise wie sich das nackte Grauen mehr und mehr Bahn bricht. Selten kann ein Film eine solch beklemmende Atmosphäre aus Angst und Paranoia erzeugen und einen grauenvollen Strudel herauf beschwören, welcher sich immer weiter steigert und den Zuschauer nicht mehr loszulassen vermag. Ein eiskalter Griff, der einem die Luft abschnürt. Eine Schlinge um den Hals, die sich stetig zuzieht angesichts der Aussicht auf den Verlust der eigenen Identität. Auf der inszenatorischen Ebene ist das ganz hervorragend gelöst, wenn Kaufman sich allerhand Kniffe bedient, sein gesamtes Repertoire abruft und immer wieder Bilder findet, die geradezu beiläufig im Vorbeigehen oder im Hintergrund von nahendem Schrecken verkünden. Überhaupt ist Invasion of the Body Snatchers toll fotografiert, denn Michael Chapman (Taxi Driver, Raging Bull) nutzt seine Kamera oft ausgesprochen kreativ, lässt sie gern schräge Perspektiven einnehmen und einen Film in der Großstadt schrecklich klaustrophobisch wirken.

                                              Dazu gesellt sich ein schräges, manchmal schon beinahe experimentelles Sounddesign dominiert von dumpf verzerrten Ultraschall-Herztönen und geht zusammen mit dem starken Musikeinsatz von Denny Zeitlin eine finstere Verbindung ein. Die vollkommene Stille während des Abspanns steht im starken Kontrast zur letzten Szene und wirkt gerade deswegen ohrenbetäubend laut. Das ganze wird von einem starken Cast rund um Donald Sutherland, der wundervollen Brooke Adams, einem noch recht jungen Jeff Goldblum und Veronica Cartwright abgerundet, doch die Besetzung des Dr. David Kibner mit Leonard Nimoy ist schon ein kleiner Geniestreich. In einer Phase seiner Karriere, in welcher Nimoy sehr bemüht darum war sich von seiner legendären Rolle als Mr. Spock zu lösen, übernimmt er eine Figur, die dem Vulkanier doch sehr ähnelt. Sein Dr. Kibner wirkt sehr distanziert, rational, Vernunft getrieben und deutlich weniger emotional als die anderen und auf dieser Ebene wird dann auch geschickt mit der Erwartungshaltung des Zuschauers gespielt. Dazu haben Kaufman selbst sowie Michael Chapman und Robert Duvall kleine Gastauftritte und sogar Don Siegel und Kevin McCarthy – die Hauptfigur im Film von 1956 – haben kurze Szenen.

                                              Invasion of the Body Snatchers ist einer der seltenen Fälle, wo das Remake besser ist als seine Vorlage. Auch die Verfilmungen von Abel Ferrara (1993) und Oliver Hirschbiegel/James McTeigue (2007) erreichen die Qualitäten von Philip Kaufmans Film nicht. Die Angst vor der drohenden Entfremdung unserer Selbst wird hier einfach annähernd perfekt aufgearbeitet und kongenial in Szene gesetzt. Leider erhält Invasion of the Body Snatchers heute nicht immer ganz die Würdigung, welche der Film in meinen Augen verdient hat, gehört er für mich durchaus zu den ganz großen seines Genres jener Zeit.

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                                              • 7 .5

                                                Träume. Die Welt in Time to Hunt mag vielleicht gekippt sein, ihren Horizont überschritten haben, die Träume jedoch bleiben die gleichen: raus hier, weg von hier, auf in ein neues, ein besseres Leben. Doch Regisseur Sung-hyun Yoon (Bleak Night, 2010) sieht diese Träume von einer besseren Welt viel lieber Kugel um Kugel in Stücke geschossen und elendig verbluten. Time to Hunt zeigt ein Korea im Verfall begriffen, wenn Armut, Hoffnungslosigkeit, Obdachlosigkeit, Elend und verwaiste Ladenzeilen an jeder Ecke vom Niedergang künden.

                                                In diesem dystopischen Szenario treffen wir auf drei verzweifelte Freunde mit dem Rücken zur Wand und einem gemeinsamen Traum, dessen Erfüllung vermeintlich im schnellen Geld zu liegen scheint. Ein letztes großes Ding, dann der Absprung. Das ist der Plan, die Realität jedoch sieht anders aus. Immer wieder fühlte ich mich vor allem an Bullet in the Head (1990) von John Woo oder Söldner kennen keine Gnade (1980) von Tsui Hark erinnert. Ist der Überfall erst einmal mehr glücklich als gekonnt geschafft, da gibt es eine trügerische Atempause, eine kleine Insel der Ruhe für die drei Freunde, doch spätestens, wenn der mysteriöse, in seiner Zeichnung beinahe schon mythisch überhöhte Killer Han auf den Plan tritt, dann beginnt ein genüsslich ausgedehntes und doch nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel. Die Jagd ist eröffnet und der Jäger verspürt immer mehr Freude an ihr, kostet sie aus, genießt sie regelrecht.

                                                Yoon lässt sich viel Zeit und baut behutsam auf, bevor er die Spannungsschraube anzieht, verliert dabei aber nie die Freundschaft der drei Protagonisten aus den Augen. Er arbeitet lieber mit dem Wechsel aus Anspannung und Entspannung statt bloß auf Tempo und Druck zu setzen. Überhaupt hat er verstanden, dass Hektik, Unübersichtlichkeit und Exzess nur bedingt taugen, und baut stattdessen auf Klarheit und Struktur. Time to Hunt ist enorm geradlinig, sparsam und ungemein fokussiert in seiner Inszenierung, sieht trotz seines visuellen Minimalismus verdammt gut aus und vermag immer wieder treibende Spannung aufzubauen. Das wahrlich brachiale Sounddesign ist da noch hübsche Zugabe: selten habe ich solch krachende Schüsse gehört. Sicher, kleinere inhaltliche Schwächen und Momente der erzählerischen Redundanz lassen sich nicht leugnen, und dennoch konnten mich diese atemlosen Sequenzen voller Anspannung immer wieder fesseln.

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                                                • 7

                                                  Gestern mal wieder gesehen...

                                                  Der Gott des Gemetzels. Brechende Knochen, berstende Gelenke, reißende Bänder, durchtrennte Arterien, abgehackte Körperteile, gespaltene Schädel: der neue Film des indonesischen Regisseurs Timo Tjahjanto (Headshot, Killers) bietet wirklich die ganze Palette grafischer Gewalt und garniert das ganze mit unzähligen Litern Blut. Einen solch unfassbar hohen Grad der Gewalt erlebt man wirklich nicht oft und nicht selten kippt das in derben Splatter, so dass The Raid und Headshot sich dagegen wie ein Kindergeburtstag mit Fingerfarben anfühlen.

                                                  Story? Egal, braucht man nicht, ist zu vernachlässigen, mehr als nur dünn, passt auf einen Bierdeckel und dient ohnehin nur dazu, um eine große wie komplexe Actionsequenz an die nächste zu reihen. Wer jetzt denkt, das würde sich abnutzen und vielleicht schnell langweilen, der unterschätzt die bizarre Kreativität und den garstigen Einfallsreichtum der Macher von The Night Comes for Us, wenn sie einfach jeden gegen jeden aufeinander los lassen und wirklich die Grenzen des Machbaren ausloten. Und alle sind wieder mit an Bord: Iko Uwais natürlich, hier aber nicht in der tragenden Rolle, Joe Taslim, die fantastische Julie Estelle, Sunny Pang und mein heimlicher Liebling Zack Lee.

                                                  Auf der ästhetischen Ebene erreicht das alles zwar nie die Größe der The Raid-Filme und sogar Headshot hatte virtuosere Kampfsequenzen, da setzt The Night Comes for Us lieber nur noch auf den effektiven wie brachialen Minimalismus purer körperlicher Zerstörung.

                                                  7 von 10 Billardkugeln, die Gesichter zertrümmern

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                                                  • 6 .5

                                                    "Has the sweet taste of blood found its way to your lips?"

                                                    PM Entertainment. Die Gründer, Produzenten und Viel-Dreher Richard Pepin und Joseph Merhi haben vor allem in den 90ern einen nicht unbeträchtlichen Teil dazu beigetragen, den Direct-to-Video-Markt konstant mit neuem Material zu versorgen. Solch illustre Titel wie Cyber Tracker, Dark Breed, Final Impact, Beyond Justice, Hologram Man, Maximum Force, Out for Blood oder Firepower und noch viele andere stammen aus ihrer Schmiede. Zudem finden sich vor der Kamera oft und gern Wiederholungstäter wie Don Wilson, Wings Hauser, Cynthia Rothrock, Jeff Fahey, Lorenzo Lamas, Gary Daniels, Olivier Gruner oder eben Jack Scalia ein.

                                                    Gerade dessen Debüt bei PM Entertainment in Form von T-Force ist eines ihrer vielleicht besten Werke geworden. Warum noch Die Hard, Terminator, Robocop und Universal Soldier anschauen, wenn T-Force alle in sich komprimiert auf knapp 100 Minuten Laufzeit vereint? Pepin klaut sich dreist wie wild durch das Genrekino der 80er bis frühen 90er und bedient sich an vielerlei Stellen, doch wirklich böse kann man T-Force irgendwie auch wieder nicht sein. Denn Pepin weiß, was ein guter B-Actioner Mitte der 90er braucht: massenhaft blutige Shootouts, einen immens hohen Bodycount, fette Explosionen und reichlich dumme Sprüche. Die Action lässt es ordentlich krachen und allein die ersten 20 Minuten gehen gleich in die Vollen und holzen ordentlich was weg. Dazu gibt es im Mittelteil eine mega weirde Sexszene zu bestaunen, welche ich in solcher Form weder davor noch danach jemals wieder zu sehen bekam. Wahnsinn.

                                                    Pepin weiß sehr genau, was er tut und welche Knöpfchen er zu drücken hat. T-Force ist ein hübsch gradliniger, schnörkelloser und vor allem kurzweiliger B-Movie-Actioner, der gleich voll einsteigt, keinen Leerlauf bietet und mit einem gut aufgelegten Jack Scalia Punkte sammeln kann. An allen Ecken und Enden kracht es ordentlich, ständig explodiert irgendwas und die Action ist für damalige Verhältnisse und ein solches Budget hochwertig und druckvoll. Das man sich hier sowohl inhaltlich wie auch inszenatorisch an zahlreichen Klassikern des Genre schamlos bedient: geschenkt. Dafür macht T-Force zu viel Spaß.

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