SoulReaver - Kommentare

Alle Kommentare von SoulReaver

  • 8

    [...] Das Begehren, welches Ronit und Esti füreinander empfinden, ist über die Jahre nicht verflogen, es wurde nur verschüttet. In einer Minute der unbeobachteten Zweisamkeit folgen auf Blicken die ersten Berührungen, die in Küsse übergehen. Ungehorsam beschreibt hier das seelische Leid zweier Individuen, die sich ihrer persönlichen Vorstellung von Freiheit nicht hingeben können, weil sie patriarchalen Strukturen unterliegen, die im Wandel der Zeit niemals hinterfragt wurden: Das Wort der jüdischen Urväter ist Gesetz. Die gesellschaftlichen Erwartungen müssen eingehalten werden. Wenn sich Ronit und Esti nahe sein wollen, müssen sie ausbrechen: Also steigen sie kurzerhand in die Bahn, mieten sich ein Hotelzimmer in einem anderen Stadtteil von London und lieben sich. Eine Szene, die so befreiend und aphrodisierend ist, dass sogar die sicherlich gewöhnungsbedürftige Geste, seinen Speichel langsam in den Mund des Partners fließen zu lassen, etwas ungemein Sinnliches mit sich bringt.

    Ungehorsam aber ist kein Film der Fluchtgebärden, sondern ein Film des Aufbegehrens, auf Auflehnens. Sebastián Lelio lotet die emotionalen Tiefenschichten seiner Dreckeckbeziehung dahingehend aus, den religiösen Traditionalismus gegen die (zwischen-)menschliche Selbstermächtigung antreten zu lassen und kann sich im grenzenlosen Taumel der Emotionen, die hier mehr und mehr aufkochen, auf ein formidabel agierendes Schauspieltrio verlassen. Vor allem Rachel Weisz und Rachel McAdams brillieren in den komplizierten Figuren von Frauen, die sich den Reglementierungen einer Männerdomäne untergeben sollen, ihren Bedürfnissen jedoch keinen Riegel vorschieben können. Ungehorsam ist letzten Endes ein Film darüber, wie zwei Menschen aus der Verheimlichung ihrer Selbst ausbrechen und sich den Anspruch auf Eigenverantwortung über ihre Existenz zurückholen. Und das ist so feinfühlig, intim, exakt beobachtet und wirklichkeitsgetreu – man möchte diesem Film stehende Ovationen spendieren. [...]

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    • 3

      [...] Die Reise, die Marleen antritt, ist natürlich nur im ersten Moment dafür da, damit sie ihrem Bruder die Ehre erweist, stattdessen geht es Vielmachglas vielmehr darum, das Mädchen von ihrem Verlustschmerz zu lösen, weil man daraus kein unterhaltsames Filmprogramm fabrizieren kann. Unterlegt mit dem momentan angesagtesten Indie-Soundtrack lässt sich Marleen sodann von Bekanntschaft zu Bekanntschaft treiben, von Episode zu Episode, von Station zu Station, nicht, um sich dem Wesen der Trauer auf ihrer Art und Weise zu widmen, sondern, um endlich etwas erzählen zu können. Die tollen, mit ganz vielen Glückskeksweisheiten und überstrapaziertem Zuckerguss ausgestopften Abenteuer, die Marleen erlebt, sind erst möglich, weil Erik gestorben ist. Darüber aber macht sich Florian Ross keine Gedanken. Warum auch? Die Glühwürmchen schweben doch gerade wieder so schön über das dichte Gras.

      Vor der Folie berühmter Coming-of-Age-Filme, die sich auch immer als Initiation ihrer Protagonisten begriffen, schafft es Vielmachglas zwar, mit Jella Haase eine nicht unbedingt uninteressante Besetzung für die durch den Alltag strauchelnde Marleen zu finden. Wenn diese aber immer wieder dazu genötigt wird, unter nachdenklich-schwermütigen Piano-Klängen ihren Blick gen Boden zu richten, dann wünscht man der talentierten Haase einen besseren Regisseur (und ein besseres Drehbuch). Was sich hier als authentischer Versuch einer jungen Frau abmühen möchte, Meilensteine zu sammeln, ist letzten Endes nur die verklebt-formelhafte Vorstellung weltfremder Alltagspoesie, die sich in Köpfen 13-Jähriger Mädchen zusammenbraut, die immer mit dem Zufall rechnen dürfen und tatsächlich der Annahme erlegen sind, dass Abenteuer auf einen Schnipsel Papier passen. [...]

      9
      • 6

        [...] Natürlich ist Hannibal kein Meisterwerk, aber auf abseitige, entartete und nicht zuletzt faszinierende Art und Weise lebt der Film genau die maliziöse Dekadenz auf handwerklicher Ebene aus, für die Hannibal Lecter bekannt und auch gefürchtet ist. Wenn man so möchte, dann ist Hannibal ein grenzdebiler, Millionen von Dollar verschlingender Schundroman, eingebunden in das feinste Antilopenleder. Fast schon ins Satirische ausschlagend, gibt sich Hannibal den Gewaltexzessen seiner Vorlage hin, verweigert sich jeder erzählerischer Komplexität und zelebriert sich selbst als Kolportage, in der Wildschweine im Blutrausch über Menschen herfallen dürfen und Ray Liotta (GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia) als widerlicher Schmierlappen Paul Krendler verzichtbare Teile seines eigenen Gehirns verspeist. Natürlich, so viel Kultur und Gusto muss sein, deliziös und aromatisch angereicht mit Trüffel. Köstlich!

        Und Hannibal Lecter? Der gockelt als Dandy durch das geschichtsträchtige Florenz, während Anthony Hopkins gelegentlich noch einmal unter Beweis stellen darf, wieso er diesem Charakter auf der Leinwand eine so ikonische Strahlkraft abringen konnte. Hannibal jedoch dabei zuzusehen, mit welcher wohlüberlegten Kaltblütigkeit er Menschenleben auslöscht, raubt der Figur einiges von seiner mystischen und mythischen Tiefe, lebte doch gerade Das Schweigen der Lämmer von seiner klaustrophobischen Stimmung, die sich auch auf das Wesen von Hannibal Lecter übertrug, der in begrenzter Räumlichkeit den Höchstwert an Dynamik freilegen könnte. Aber seine Gebaren passt natürlich zu diesem Film; diesem süffisanten, von der Exzentrik des Regisseurs geschwängerte Edeltrash-Operette, der Clarice Starling vollkommen egal ist; die sich selbst eben vollkommen genug ist. Es sei ihr erlaubt, als antiklimatisches Blockbuster-Kuriosum genießt Hannibal fast schon eine Sonderstellung. [...]

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        • 7

          [...] Glaubt man Wolfsnächte – und damit ist man sicherlich nicht schlecht beraten - dann trennen sich der Mensch und das Tier nur darin, dass der Mensch länger benötigt, um sich seiner wahren Natur bewusst zu werden. Russell Core beispielsweise ist das Paradebeispiel eines Einzelgängers, eines einsamen Wolfes, der sich mit seiner Situation nicht abfinden möchte. Als er von jungen Mutter Medora (Riley Keough, Under the Silver Lake) ein Schreiben erhält, in dem steht, dass ihr Sohn von einem Wolf gerissen wurde, bricht er in das nordalaskische Hinterland auf, um wenigstens Knochen aufzuspüren – ob diese nun von dem Kind oder dem Wolf sind, tut nichts zur Sache. Hauptsache Meodra hält etwas Zählbares in den Händen, was ihren Mann Vernon (Alexander Skarsgard, Big Little Lies) besänftigen wird, wenn dieser in Kürze aus dem Irakkrieg heimkehrt.

          Soldat Vernon, den Wolfsnächte während seines Einsatzes in Falludscha etabliert und auf direktem Wege in brutaler Gnadenlosigkeit unter Beweis stellt, dass dieser Mann längst schon zu seinem animalischen Ich durchdringen ist, stellt quasi den Gegenentwurf zum sich stetig nach Zugehörigkeit sehnenden Core dar. Obgleich sich diese beiden Charaktere bereits darin einen, der selben Quelle des Seins entsprungen zu sein, sind sie ebenso Verlorene einer Welt, die sich nicht mehr entscheiden kann, ob sie noch an den Himmel glauben oder sich endgültig der Hölle verschreiben soll. Die alles verdeckende, alles zerfressende Finsternis, in die Jeremy Saulnier den Zuschauer und seine Akteure entlässt, beschrieb William Giraldi in seiner Romanvorlage bereits in adäquater Vollendung: Die Dunkelheit ist hier mehr als nur Nacht, es ist die bewusste Negation des Tages.

          Man würde sich selbst keinen Gefallen tun, mit Wolfsnächte einen klassischen Survival-Thriller zu erwarten. Sicherlich spielen diese stilistischen Anwandlungen auch unter der Regie von Jeremy Saulnier eine Rolle, der hier nicht zuletzt seine Faszination für das Genre-Kino unterstreicht und knapp nach der Hälfte der Laufzeit einen sagenhaft dynamischen, sich über mehrere blutverschmierte Minuten erstreckenden Schusswechsel über den Bildschirm bersten lässt. Das Hauptaugenmerk dieses gleichermaßen kryptischen wie mythisch überhöhten Filmes allerdings liegt auf der unter die Haut der Zuschauer kriechenden Wechselwirkung zwischen den Kräften der Natur und den Menschen, die sich diesen Mächten früher oder später geschlagen geben (müssen). Mag Wolfsnächte auch die bis dato unzugänglichste Arbeit von Saulnier bedeuten, seine existenzialistische, von Erlösung, Instinkten und Depressionen berichtende Reise in das Herz der (menschlichen) Finsternis ist zweifelsohne ein suggestives Seherlebnis. [...]

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          • 6

            [...] Der Dummschwätzer gehört ganz und gar dem damaligen Box-Office-Garanten Jim Carrey, der hier noch einmal alle Register seiner Ganzkörperkomik zieht und dabei sogar einer exaltierten Performance wie der in Die Maske von 1994 Konkurrenz macht. Wenn Shadyac seinem Protagonisten den Raum zur entfesselten Improvisation verleiht und ihn, beispielsweise in der ausladenden Gerichtssequenz, in der Fletcher mit seinem neu erlangten Ehrlichkeitszwang ringt, ein Stück weit von den konservativen Werten distanziert, die Der Dummschwätzer letzten Endes in harmonieheischender Ausführung propagiert, dann entfaltet der Film seine ganze Lust am Freidrehen, am Herumwüten und an hysterischen Albernheiten. Wie bieder diese Familienzusammenführung ohne einen begnadeten Komödianten wie Jim Carrey ausgefallen wäre, möchte man sich nicht vorstellen, er jedoch macht den Film als grimassierender Nukleus der Unterhaltung zum durchaus sehenswerten Spaß. [...]

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            • 5

              [...] Mag Racer and the Jailbird auch nicht ganz so stilisiert sein, wie der längst zum Kult avancierte Drive, so versucht sich auch Michaël R. Roskam darin, dem grobkörnigen französischen Kino der 1970er Jahre, in dem Charakter-Studien und Genre-Werke Hand in Hand gingen, in stimmungsvollen Bildkompositionen Tribut zu zollen. Die hiesige, sich mehr und mehr in Schicksals- und Rückschlägen wähende Geschichte zweier Menschen, die beide gewissermaßen auf der Überholspur des Lebens verkehren – nur auf verschiedenen Seiten des Gesetzes -, funktioniert vor allem denn, wenn Roskam sein inszenatorisches Gespür für Gefühlsbewegungen und Stimmungen zum Ausdruck bringen kann. Wenn Bibi sich nach der Verhaftung von Gigi zwischen die Beine fasst und anschließend ihre Hand zur Nase führt, um den Geruch ihres Geliebten noch einmal in sich aufzunehmen, dann ist das ein seltener Moment urwüchsiger Intimität. [...]

              8
              • 6 .5

                [...] Gleichermaßen nimmt Chatos Land in gewisser Weise auch Ein Mann sieht rot vorweg, ist auch Chato eigentlich ein sich nach Harmonie sehendes Individuum, welches zum Handeln (= Töten) gezwungen wird, nachdem der Indianer-hassende Mob auf seinen Fersen nicht nur seine Frau vergewaltigt, sondern auch seinen Bruder bei lebendigem Leibe verbrennen lässt. Michael Winner inszeniert diese Geschichte gewohnt kompetent und stramm, bestätigt seinen Ruf als formidabler Genre-Handwerker und hat mit Charles Bronson und vor allem dem wunderbaren Jack Palance zwei Darsteller aufzubieten, die eine unheimliche Präsenz besitzen und ihr gesamtes Charisma in ihrem stoisch-kernigen Wesen bündeln. Die inhaltliche Umkehrung altmodischer Western-Konventionen in Bezug auf die Persönlichkeit und das Verhalten der Figuren gesteht Chatos Land eine weitere, ganz und gar zeitgeschichtliche Deutungsebene zu.

                Denn offenkundig versteht sich Chatos Land auch als bittere Vietnam-Parabel, in der die glorreichen Helden, die hier letztlich versoffene, notgeile und niederträchtige Texaner darstellen, in einem „fremden Land“ auf ihre Grenzen stoßen und einem bestialischen Zerstörungskrieg zum Opfer fallen. Die Gruppe wird Mann für Mann dezimiert. Mag Chatos Land in seinen sozial- und gesellschaftskritischen Bemühungen auch nicht anspruchsvoll sein, er stellt dennoch eindrucksvoll unter Beweis, dass Gewalt, die hier augenscheinlich die einzige Kommunikationsmöglichkeit ist, um sich über die kulturellen und ethnischen Demarkationslinien hinaus zu verständigen, keine Aussicht darauf bietet, um mit sich und der Welt ins Reine zu kommen. Nicht für die Indianer, nicht für die Siedler. Für keinen Menschen. Rache gebietet niemals die Chance auf Gerechtigkeit, sondern evoziert nur einen blutbesudelten Teufelskreislauf – Gewalt entfesselt neue Gewalt. [...]

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                • 8

                  [...] First Reformed ist kein Kampf um den verlorenen Glauben, es ist die zutiefst melancholische, ungemein präzise beobachtete Passionsgeschichte eines Mannes, der sich der Annahme hingibt, durch Schmerz und Leid wieder in die Nähe von Gott zu geraten. Wie sich schnell herausstellt, ist Toller krank, was für ihn mit einer Strafe gleichzusetzen ist, die er auszuhalten und durchzustehen versucht. Zusätzlich trinkt er, immer mehr, immer unverhältnismäßiger, um sich einer Form der Selbstgeißelung zu unterziehen. Für Toller ist auch Leid eine Form der Sprache, um Gott zu erreichen. Paul Schrader sagte in einem Interview, dass die christliche Religion regelrecht von Blut durchtränkt ist und seine Anhänger verstärkt dazu neigen, sich der Zerstörung ihrer selbst hinzugeben. Als Jünger des kostbaren Blutes, welches Jesus für sie vergossen hat, ist es ihre Pflicht.

                  Und obgleich First Reformed sich durchweg einem Bezug zur Religiosität verschreibt, hat Paul Schrader hier einen Film inszeniert, der nicht ausschließlich aus religiöser Perspektive zu verstehen ist. Mit der jungen Mary (Amanda Seyfried, Les Misérables) tritt eine Frau in Tollers Leben, die ihn darum bittet, in den Dialog mit ihrem Mann zu treten. Dieser ist ein radikaler Umweltaktivist und der festen Überzeugung, man dürfe keine Kinder mehr in diese Welt setzen – dafür sind die verheerenden Folgen des Klimawandels zu absehbar. Wenn Toller das Gespräch mit Marys Gatten sucht, dann treffen sich zwei Leidensgenossen, die sich in ihrer Verzweiflung einen. Wie soll der Gläubige diesem Mann neuen Lebensmut vermitteln, wenn er doch selbst kaum in der Lage dazu ist, Hoffnung für sich selbst zu entdecken?

                  Paul Schrader spricht dabei ganz gezielt von globalen Ängsten und artikuliert First Reformed auch als psychologischen Querschnitt durch das Gespinst der Angst einer Gesellschaft, die irreversiblen Katastrophen entgegensteuert und dabei keine Mittel mehr findet, sich selbst lebendig zu erhalten. Terrorismus, Lobbyismus, Klimawandel. Sind wir die Geister, die Gottes Schöpfung rief? In seiner strengen Formalität erinnert Schraders Ägide an die große Namen des Weltkinos, Ingmar Bergman und Robert Bresson sind unzweifelhafte Vorbilder, denen First Reformed Tribut zollt, ohne sich dabei aber seiner eigenen Identität zu entledigen. Tatsächlich besitzt der Film in seiner Schwere, seiner Bedrückung auch eine poetische Schönheit, die nicht nur Ethan Hawkes brillante Performance akzentuiert, sondern First Reformed erst zu dem mehrwertigen, zutiefst moralischen Diskurs über die Unabänderlichkeit der Dinge macht, der er ist. Ein beachtliches Werk. [...]

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                  • 7

                    [...] In den sonnengegerbten, von Strapazen gezeichneten Gesichtern finden die Männer auf beiden Seiten ihre Gemeinsamkeiten: Sie sind müde. Müde vom kämpfen, müde vom fliehen, müde vom töten, sicherlich auch müde vom Leben. Sweet Country erweist sich als entkräftendes, ungemein kontemplatives Kino, welches sich bildgewaltig mit der Frage auseinandersetzt, wie sich ein Land, eine Gesellschaft, ein Individuum weiterentwickeln soll, wenn niemand die Initiative ergreift, Veränderungen zu formulieren, anzugehen und zu akzeptieren. Gerechtigkeit bleibt auch am Ende des Filmes, wenn Sam Kelly sich einem fairen Gerichtsprozess unterzieht, ein vor allem abstrakter Begriff. Denn das Urteil des Richters, der extra aus einem aufgeklärten Teil Australien heranzitiert wurde, muss erst mit der geladenen Waffe untermauert werden, um sich wenige Augenblicke später genau davon wieder als nichtig erklärt zu sehen. Willkommen im Niemandsland. [...]

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                    • 7

                      [...] 7 Tage in Entebbe versteht sich in seiner nicht einmal zweistündigen Laufzeit fortan als vor Gruppendynamik schwelende Parallelerzählung, die sich aus drei expliziten Perspektiven zusammensetzt: Der Interaktion von Geiseln und Entführern, dem Krisenstab der israelischen Regierung und der Tanzgruppe, in der die Tänzerin immer wieder auf den Boden herabstürzt und sich kaum in der Lage sieht, aus eigener Kraft wieder auf die Beine zu kommen. Ihrer Person wird eine gar allegorische Bewandtnis zugesprochen, die nicht nur auf die Position Israels hinweist, diesem jungen Staat, entwachsen aus einem absonderlichen Blutbad, sondern auch in Relation mit den anderen Gruppen steht, in dem das Stürzen, das Aus-der-Reihe-Fallen gleichwohl mit Befindlichkeiten des Haderns, der allgemeinen Verunsicherung, des Zweifels und des Sträuben vor Entscheidungen zu übersetzen ist.

                      Die israelische Regierung sieht sich zum ersten Mal mit der Gegebenheit konfrontiert, ihre Grundsätze zu übergehen, scheinen sie sich nämlich bereitzuerklären, mit den Terroristen eine Verhandlungsbasis zu schaffen. Wie uns die Realität gelehrt hat, war dem nicht so, es ging letztlich nur darum, eine praktikablere Ausgangssituation für einen Militärangriff zu bemühen – was ebenfalls Tote gefordert hat. Die Terroristen, allen voran Böse (Daniel Brühl, Inglourious Basterds) und Kuhlmann (Rosamund Pike, Gone Girl – Das perfekte Opfer) befinden sich in zermürbenden Konflikten dahingehend, ihre radikalen Überzeugungen nicht über ihre Menschlichkeit hinauswachsen zu lassen. Wenn die Passagiere allerdings im Flughafenterminal von Entebbe zwischen Juden und Nicht-Juden selektiert werden, findet die deutsche Vergangenheit in all ihrer Widerwärtigkeit eine verstörende Fortschreibung. Gerade Daniel Brühl brilliert, wenn er seinen Idealismus auf den Prüfstand stellt.

                      Ungeahnte Intensitäten legt 7 Tage in Entebbe dann frei, wenn im letzten Akt alle Standpunkte und Blickwinkel miteinander verschmelzen; wenn der Militärangriff durchgeführt wird und die Tanzchoreographie ihr symbolisches Temperament als Bühnenperformance veranschaulicht: Der immer wieder auf den Boden sinkende Körper der Tänzerin ist die Versinnbildlichung von Ängsten, von Zweifel, Vertrauen und dem Verlust dieses. Der Seelenstriptease steht dem Schusswechsel gegenüber, auf beiden Seiten sind die Bewegungsabläufe gleichermaßen durchstrukturiert – und auf beiden Seiten wird es im Wettstreit um Stärke und Schwäche Opfer geben. Allein dafür hat sich 7 Tage in Entebbe einen besonderen Platz in der diesjährigen Kinolandschaft verdient, geht er doch letztlich darüber hinaus, sich als reines Geiseldrama, welches sich dem Kolorit des 1970er Jahre Politkinos bedient, zu artikulieren. José Padilha hat vielmehr die Abstraktion all dessen entworfen. [...]

                      10
                      • 5

                        [...] Vor allem aber ist Bodycheck ganz und gar Kind seiner Zeit: Die 1980er Jahre sind diesem Film, seiner Inszenierung, seinem Look, bis ins Mark gebrannt, was angesichts des modischen wie musikalischen Portfolios das ein oder andere Schmunzeln nicht verhindert. Wenn die Synthesizer auf der Tonspur bersten und sich ein blutjunger Rob Lowe in Hintern-betonenden Bluejeans vor der Kamera auf und ab bewegt, dann erstarrt Bodycheck zuweilen fast in seinem offenkundig omnipräsenten Zeitkolorit. Berücksichtigt man den Relikt-Charakter, mit dem Peter Markle hier inzwischen auffährt, dann funktioniert der Sportfilm immer noch, weil er sich mit dynamischer Inbrunst einer bis heute Bestand genießenden Formel bedient: Dem Abtasten der Hürden im Leben eines aufstrebenden Schlittschuhsportlers, kombiniert mit den Bedürfnissen, die sich aus dem Coming-of-Age-Topos ergeben.

                        Auf dem steinigen Pfad zum Profivertrag muss Dean Youngblood nicht nur lernen, dass Narben wie Orden getragen werden wollen, sondern auch, dass die Welt des Eishockeys eine Welt ist, die von Männlichkeitsritualen und Machtstrukturen dominiert wird. Nur der Stärkste beißt sich durch. Bodycheck aber findet in diesem brutalen Kosmos der Selbstermächtigung auch den Glauben an Ideale, Loyalität und Aufopferung und bringt diese Youngblood über seine Freundschaft zu dem hochbegabten Derek (Patrick Swayze, Dirty Dancing) und seiner Liebe zu Jessie (Cynthia Gibb, Nummer 5 gibt nicht auf) näher. Mögen diese Erkenntnis auch nicht sonderlich sinnstiftend sein, innerhalb des schlichten Horizonts, den Bodycheck mit sich bringt, aber werden sie durchaus charmant angegangen. Dass der Film im Kern alttestamentarisch, antiquiert und nicht zuletzt schematisch über das Eis fegt, steht dennoch außer Zweifel. [...]

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                        • 5

                          [...] Dadurch verebbt bereits viel von emotionalen Vehemenz, auf die sich Tequila Sunrise eigentlich stützen wollte. Die Auseinandersetzung mit Loyalität, Idealen und Begierde köchelt auf niedriger Stufe sich hin, die angesprochenen Rivalitäten verfügen über keinerlei Dringlichkeit. Wenn Tequila Sunrise etwas beherrscht, dann ist es, seine Hauptdarsteller vor der untergehenden Sonne Los Angeles' in Szene zu setzen: Kurt Russell bläst den Zigarettenqualm in die vom gleißendem Sonnenlicht erwärmte Luft, Mel Gibson senkt seinen Blick betrübt gen Sandstrand und Michelle Pfeiffer darf in erster Linie als prominenter Kleiderständer durch die Szenerie stöckeln. Abseits der Oscar-nominierten Kameraarbeit von Conrad L. Hall (Road to Perdition) bleibt das Knistern Behauptung, die Stars verschenkt und die Verdrießlichkeiten handzahm. Tequila Sunrise ist kein erregender Longdrink, sondern ein angestaubter Schlummertrunk. [...]

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                          • 4

                            [...] Man muss Into the Blue jedoch durchaus zugestehen, dass er es beherrscht, auf Hochglanz-polierte Oberflächenreize zu bedienen. Paul Walkers stahlblaue Augen durchdringen selbst das türkisfarbene Wasser der Bahamas – und allgemein wird das Setting hier derart auf Postkartenmotiv getrimmt, dass unweigerlich Fernweh dahingehend Bahn bricht, endlich mal wieder Sex wie die ganz normalen, bettelarmen und doch selbstgenügsamen Menschen zu haben: In der Hängematte vor der untergehenden Sonne. Oder so. Dass Into the Blue nicht funktioniert, liegt vielmehr an seiner dramaturgischen Ineffizienz, verhebt sich das Drehbuch im Zuge der sich dramatisch zuspitzenden Schatzsuche doch konsequent in seinen angeblich „überraschenden“ Wendungen und verebbt, wenn es darauf ankommt, in durchschaubaren Spannungssequenzen, die ähnlich primitiv arrangiert wurden wie die krampfhafte Stilisierung der definierten Traumkörper. [...]

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                            • 6
                              über EDtv

                              [...] Dass der Film allerdings dennoch funktioniert, liegt tatsächlich zu großen Teilen am wunderbar aufgelegten Ensemble, dem selbst der wenig talentierte Ron Howard keine Steine in den Weg zu legen vermag. Matthew McConaughey glänzt durch eine verkrampfte Performance als Jedermann, der die Chance ergriffen hat, um nicht nur Träume zu verwirklichen können, sondern auch, um endlich mit dem Träumen zu beginnen – und dadurch zum Inbegriff einer nationalen Obsession heranwuchs. Noch besser ist Woody Harrelson als sein treubrüchiger Bruder Ray, der sich hinter einer Mauer aus Neid versteckt hält, in Wahrheit aber auch nur eine von Einsamkeit und Unsicherheit heimgesuchte Seele ist. Gerade diese beiden Figuren sorgen dafür, dass der bisweilen weichgespülte Blick auf den Reality TV-Zeitgeist zwei überraschend solide Stunden bereitstellt. [...]

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                              • 7

                                [...] Pontecorvo zeichnet sich hier für eine von notwendigen Grausamkeiten flankierte Parabel über die Ausbeutung von Ländern, Menschen, Kulturen verantwortlich. Seine strikt anti-kolonialistische Einstellung verleiht Queimada – Insel des Schreckens eine nicht zu verleugnende Wut im Bauch, die den Film nicht nur dahingehend antreibt, die bluttriefenden Verhältnisse in Schwellen- und Entwicklungsländern anhand der Umstände in Queimada konsequent einzufangen; er versteht sich auch als Studie über Verfall und Erhalt von Idealen, über die Logik von Profit sowie den Preis der Freiheit, den man nicht selten mit dem Tode bezahlen muss. Und Walker, der wesentlicher Teil davon gewesen ist, die ausbeuterischen Zustände zu bewahren, glaubt sich in Sicherheit zu wiegen, in dem er sich selbst einredet, das Leid doch nicht erfunden zu haben. Allerdings hat er es erhalten und ausgebaut. [...]

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                                • 4

                                  [...] Natürlich aber bleiben die Zeiten nicht immer unbeschwert: Erst wollen Unternehmer D.C. das Land wegnehmen, auf dem Action Point steht, während er sich simultan dazu als guter Vater beweisen muss. Tim Kirby kann sich natürlich auf die Einsatzfreude von Hauptdarsteller Johnny Knoxville verlassen, der, wie bereits reichhaltig bestätigt wurde, selber ein großer Gegner von Tempolimits ist. Dadurch, dass Action Point allerdings auch als Familiengeschichte bestehen möchte, die die Beziehung zwischen Vater und Tochter dokumentiert, gelingt es dem Film natürlich niemals eine zügellose Dynamik zu gewinnen, die dem halsbrecherischen Ruf des Vergnügungsparks gerecht werden würde. Obgleich das ein oder andere Schmunzeln durchaus erlaubt ist, bleibt Action Point nicht mehr als harmoniesüchtiger Brachialhumor, dem der Sinn für die respektlose Hemmungslosigkeit unter seinen erzählerischen Ansprüchen abhandengekommen ist. [...]

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                                  • 7

                                    [...] Mike White gelingt es, einen liebevollen und dennoch kritischen Umgang mit den inneren Zerrüttungen dieser lebensnah entwickelten wie gespielten Figur zu ermöglichen, indem er Brad zuhört, ihn in seinen Aussagen aber auch gleichermaßen hinterfragt. Im Zweifel glücklich ist die sensible Selbstbefragung eines Mannes am Scheideweg: Entweder, er erkennt einen Sinn in seinem Lebenswerk, oder er bricht in sich zusammen. Dabei gewinnt Brad im Laufe des Filmes eine fast schon Meta-artige Beschaffenheit, ist der Versuch, eine Versöhnung mit der eigenen Mittelmäßigkeit zu finden, doch auch ein Anspruch, der sich auf die meisten Charaktere von Ben Stiller projizieren lässt: Mag es das Leben auch oftmals nicht gut mit ihnen meinen, so sind sie doch immer lebendig geblieben. Und mit dieser Erkenntnis gelingt es Brad (und Ben Stiller), sich selbst zu akzeptieren. [...]

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                                    • 7

                                      [...] In Roter Drache, diesem strukturiert und ohne einen einzigen Durchhänger arrangierten Thriller aber ist Dolarhyde nicht als Monster geboren, sondern durch seine Vergangenheit als Missbrauchsopfer zum Monster gemacht worden. Die Hasenscharte, die ihn an seinem Äußeren auszeichnet, verweist indes nicht nur auf seine innere Zerrissenheit, sie hat auch den seelischen Wahnsinn, den diese verkrüppelte, schizophrene Existenz mit sich bringt, an die körperliche Oberfläche getragen. Ralph Fiennes brilliert wieder einmal in der Aufgabe, Leid und Gefahr dieser Figur auf einen Nenner zu bringen und macht die Empathie, für die Will Graham in seiner Arbeit bekannt geworden ist, nachvollziehbar, ist das Leben der Zahnfee doch das eines todtraurigen Einzelgängers, der nur auf seine glorreiche Verwandlung wartet. Auf die Verwandlung zum großen roten Drachen. Nur deshalb tötet er. Nur so kann er sich erlösen.

                                      Das kriminalistische Topoi bedient Brett Ratner mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit, gibt sich sicherlich Konventionen innerhalb der Darstellung der forensischen Handlungsprozesse hin, agiert dabei aber mit einer atmosphärischen Dichte, die Roter Drache niemals in seine altbekannten Einzelteile zerfallen lässt, sondern in Uhrwerk-gleicher Klarheit zum Ziel bringt. Mag Roter Drache auch nicht mehr den verstörenden Faktor mit sich bringen, wie es das Meisterwerk Das Schweigen der Lämmer tat, oder den exzentrischen Stilwillen, wie ihn Ridley Scott in Hannibal entfesselte, Brett Ratner erweist sich hier dennoch als stimmungsvoller, routinierter Geschichtenerzähler, dessen Stärke nicht die psychologische Rundumeinsicht in das namhafte Ensemble sein mag, der sein Publikum aber mühelos dazu animieren kann, am Ball zu bleiben. Hinsehen zu müssen. Wie die Zahnfee, die ihren Opfern Spiegelsplitter in die Augen setzt, um sie lebendig zu erhalten. [...]

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                                      • 6 .5
                                        SoulReaver: FILMSTARTS.de 12.08.2018, 23:58 Geändert 13.08.2018, 10:30

                                        [...] Mag sich Die gnadenlosen Vier auch am klassischen Ambiente seiner Genre-Versatzstücke laben und sich auf lange Sicht auch etwas zu wenig darum bemühen, dem Edelwestern, den er zweifelsohne darstellt, mehrere informale Deutungsweisen zuzugestehen, so ist es doch Audie Murphys wunderbar zurückgenommene Performance, die den inneren Konflikt eines Mannes, der nicht strahlt, sondern zum Kämpfen genötigt wird, weil er es nie anders erfahren hat, erinnerungswürdig und nicht zuletzt glaubhaft gestaltet. Herbert Coleman, der sich seine Sporen als Regieassistent bei Alfred Hitchcock (Im Schatten des Zweifels) verdiente, unterbreitet Die gnadenlosen Vier nicht nur mit einer für damaligen Verhältnisse überraschenden Härte; es ist auch die oftmals fast wie Nebensächlichkeiten eingestreute Lebensweisheit, die den Film sehenswert macht. Da dürfen Männer, die nicht zur Waffe greifen, auch persönliche Gründe besitzen, die sie verständlich davor bewahren, als Feigling verdammt zu werden. [...]

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                                        • 6

                                          [...] Dass Jurassic Park III letztlich auch einen entscheidenden Dienst für die Jurassic World-Reihe geliefert hat, wird vor allem im Umgang mit der sozialen Intelligenz der Velociraptoren deutlich, die in Jurassic World immer wieder zum Dreh- und Angelpunkt der Handlung werden. Jurassic Park III indes hat das Problem, unter dem Banner des Franchise zu stehen, da er Erwartungshaltungen generiert, denen er selbst nicht gerecht werden möchte. Wer sich von der Spielberg'schen Kinomagie trennen kann und mal wieder erleben möchte, was es bedeutet, vor der sich gnadenlos entfesselnden Naturgewalt der Dinosaurier zu fliehen, der ist mit Jurassic Park III an der richtigen Adresse. Eben ein dringliches, zweckdienliches Creature Feature, dem trotz aller Geschwindigkeit auch eine große, in den letzten Bildern fast intime Leidenschaft für die prähistorischen Wesen innewohnt. [...]

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                                          • 5

                                            [...] Eine Versöhnung zwischen Rachel und ihrem Vater muss her; und selbst wenn sich die beiden auch mal lauthals über die Verfehlungen der Vergangenheit austauschen, scheint die dramatische Fallhöhe von Wie der Vater... doch äußerst knapp bemessen zu sein. Geben sich Kristen Bell und Kelsey Grammer noch sichtbar Mühe, ihren Charakterprofilen Leben einzuhauchen, lässt sie das Drehbuch oftmals im Regen von Plattitüden und Allgemeinplätzen stehen. Lauren Miller, die Ehefrau von Seth Rogen (Das Ende der Welt), der in einer Nebenrolle ebenfalls zu sehen ist, artikuliert sich in Bezug auf die dysfunktionale Beziehung im Zentrum der Handlung zu konstruiert, zu durchschaubar und letztlich auch zu angepasst. Die Nerven liegen nie wirklich blank, es sind Bruchteile, in denen Rachel die Fassung verlieren darf. Der Erfolg einer zwischenmenschliche Verständigung ist in Wie ein Vater... (leider) alternativlos. [...]

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                                            • 6 .5

                                              [...] You Kill Me gehört zu den Filmen, die mit ihren Schauspielern stehen und fallen. Folgerichtig ist es zu einem großen Teil Hauptdarsteller Ben Kingsley zu verdanken, dass John Dahl sich hier eine überaus sehenswerte Regiearbeit in das Portfolio packen darf: Kingsley nämlich hat merklich Lust auf die Rolle des versoffenen Killers Frank Falenczyk, legt diesen aber nicht als blutgierigen, von Pseudo-Coolness zerfressenen Schweinehund an, sondern als greifbaren Menschen mit (erheblichen) Ecken und Kanten. Gerade seine Beziehung zum Töten verurteilt You Kill Me zu keinem Zeitpunkt. Sie bleibt eine reuelos; der einzige Grund, warum sich Frank alsbald auf die Suche nach Wiedergutmachung begibt, ist schlichtweg ein praktischer: All die schlampigen Aufträge, für die er sich im Vollsuff verantwortlich gemacht hat, sollen gesühnt werden.

                                              An charakterlicher Tiefe aber gewinnt Frank erst mit der Begegnung der ebenfalls gestrandeten Laurel (Téa Leoni, Jurassic Park III), deren amouröse Anwandlungen durch die beidseitige Einsamkeit an Kontur und Gefühl gewinnt. Ohnehin ist You Kill Me in seiner bewusst unspektakulär Art und Weise zwar befreit von diesem abstrakten gewissen Etwas, welches einen Film auch für die nächsten Generation geläufig machen könnte, aber in der Darstellung zweier von der Welt irgendwie Abgeschobener punktet John Dahl allein dadurch, dass er die Charaktere nicht zwangsläufig einer Persönlichkeitsveränderung unterzieht. Stattdessen geben sie sich gegenseitig Kraft, helfen sich durch den Treibsand des Alltags und reißen den stoischen Panzer , den sie über Jahre aufgebaut haben, langsam und gewissenhaft ein. Zu besseren Menschen werden sie nicht wirklich, aber immerhin sind sie nicht mehr so allein. [...]

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                                              • 0 .5

                                                [...] Nur konnte diese Vision aus erwähnten Bedingungen niemals ihren Weg an das Tageslicht finden. Stattdessen ist Halloween VI – Der Fluch des Michael Myers nur eine in allen Belangen wirre wie abstruse Franchise-Totgeburt, die in ihrer erzählerischen Hilf- und Ziellosigkeit so wirkt, als habe sich ein Demenzkranker entscheidend an der Veröffentlichung dieses Filmes beteiligt: Keine Szene passt zu der vorherigen, die Figur des Michael Myers (George P. Wilbur) ist hier beinahe ein unbedeutender Nebenbuhler für eine sich in inkohärenten Fragmente wähnende Geschichte um das aus den Fängen eines nicht tiefer beleuchteten Sektenkults gerettete Baby. Michael scheint innerhalb dieses Kults eine Art Heiligkeit darzustellen und hatte sogar das Vergnügen, seine Nichte Jamie (J.C. Brand, Schatten der Wahrheit) zu besteigen, um die Saat des Bösen fortzupflanzen. Es bleibt in der Familie.

                                                Na ja, nicht ganz, denn Michael und seine verquere Anhängerschaft haben ihre Rechnung ohne Tommy Doyle (ja, der kleine Junge aus dem ersten Teil!!) gemacht, für den Paul Rudd (Ant-Man and The Wasp) erste Schauspielerfahrungen sammeln durfte. Zum Glück ist das nicht auf lange Sicht in die Hose gegangen, denn wie soll man sich in einem Film beweisen, in dem schlussendlich nichts auch nur im Ansatz einen erkennbaren Sinn ergeben könnte? Halloween VI – Der Fluch des Michael Myers nimmt in seiner – sicherlich ungewollten, aber nun mal bestehenden – Zuschauerverachtung die Ausmaße einer Grabschändung an. Und das ist nicht nur eine schallende Ohrfeige für alle Fans der Reihe, sondern auch für die Angehörigen von Donald Pleasence, auf dessen Schultern dieses lausig zusammengeschusterte Machwerk abgeladen wurde. Muss man eigentlich verlachen, wenn es nicht so schmerzhaft traurig wäre. [...]

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                                                • 7 .5

                                                  [...] Es vergehen kaum mehr als fünfzehn Minuten, bis die ersten Schüsse durch das beschauliche Wäldchen der Insel hallen. Was zu Anfang wie Feuerwerkskörper anmutet, entpuppt sich alsbald als das gezielte Feuer eines Unbekannten, der das Ferienlager der Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei von Jetzt auf Gleich in einen Ort des Schreckens verwandeln wird. Jugendliche schreien, wimmern, flehen, krepieren, scheinen in ihrer Todesangst wie gelähmt. Dass diese 72 Minuten, in denen sich Utoya 22. Juli an die Versen der 18-jährigen Kaja (aufopferungsvoll: Andrea Berntzen) heftet und den Anschlag in Echtzeit nachfühlt, in einer Plansequenz festgehalten werden, irritiert im ersten Moment natürlich ein Stück weit, ist dieses stilistisches Mittel doch auch immer mit dem Manierismus des Regisseurs verbunden, der seine technische Finesse über diese fortlaufende Einstellung zum Ausdruck bringen möchte.

                                                  In Utoya 22. Juli aber existiert diese Attitüde einer handwerklichen Machtdemonstration jedoch nicht, weil sich Poppe ganz und gar auf den erschütternden Wahrnehmungshorizont der um ihr Leben fürchtenden Jugendlichen einlässt. Die Plansequenz ist hier ein sicherlich dynamisierendes, ungemein immersives Element der filmischen Wirkung, aber sie verdeckt niemals die grundlegende Motivation, den Menschen zu gedenken, die an diesem Tag sterben respektive hautnah miterleben mussten. Dafür, so wirkt es, ist Poppe selbst viel zu verstört von der allseits umgreifenden Panik, der Hilflosigkeit, der zermürbenden Klangkulisse, die sich irgendwann nur noch aus Schreien und Schüssen ergibt. Wäre dieser Begriff nicht so ungemein reißerisch konnotiert, man könnte Utoya 22. Juli als atemloses Terrorkino bezeichnen, in dem der Zuschauer rückhaltlos auf die allgegenwärtige Verzweiflung und Beklemmung zurückgeworfen wird – vor allem aufgrund seines Vorwissens. [...]

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                                                  • 8

                                                    [...] In der Gefangenschaft, in der er tagtäglich misshandelt und gedemütigt wird, unterstreicht Werner Herzog weitergehend, dass es nicht das Lager selbst ist, welches ihn festhält, sondern der Dschungel, der hier das wahre Gefängnis darstellt und Wärter wie Insassen gleichermaßen in den Wahnsinn treibt. Was an Rescue Dawn dabei wahrlich begeistert, ist die alles durchdringende Körperlichkeit: Die ausgemergelten Leiber, die Angstzustände, die sukzessive übergreifenden Geisteskrankheiten – zusammen mit Christian Bale, Steve Zahn (Joyride – Spritztour) und Jeremy Davies (Der Soldat James Ryan) wird auch der Zuschauer Opfer der vorherrschenden Zustände. In berauschenden Bildkompositionen und einer gleichwohl unmittelbaren, teilweise dokumentarisch anmutenden Kameraarbeit geht es Rescue Dawn um die lebensumwälzende Begegnung mit dem Dschungel als alles verschlingender, alles zersetzender Organismus. Nur selten gibt er Menschen wieder frei, bevor er sie verdaut hat.

                                                    Wo Rescue Dawn anfangs noch gerne als 60 Millionen schwerer Blockbuster beschrieben wurde, eröffnet sich letztlich doch der Blick auf das gleichermaßen geliebte wie verhasste Autorenkino des Werner Herzog, der sich auch hier seinen Themen und seinem Stil bis ins Irreale treu gelieben ist. Und mag dieser Film eine in seiner spürbaren Authentizität auslaugende, brillant gespielte Seherfahrung sein (Steve Zahn liefert hier zweifelsohne die Performance seines Lebens und bietet dem sich wieder extrem ausgehungerten Christian Bale gekonnt die Stirn), am Ende, nach Rück- und Schicksalsschlägen, ist es auch de Erlösungsgeschichte eines Mannes, der sich eigentlich nur hoch in die Lüfte schwingen wollte. Nicht, weil er sich aus einem patriotischen Ansporn Amerika verpflichtet fühlt, sondern weil ihm kein anderes Land auf der Welt die Möglichkeit gab, seinen Traum zu verwirklichen. Dass Dieter Dengler noch vier weitere Flugzeugabstürze überlebte, spricht wohl ganz allein für sich. [...]

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