Vitellone - Kommentare
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Alle Kommentare von Vitellone
[...] Obwohl sich Can You Ever Forgive Me? stark an erzählerische Konventionen klammert, bleiben bestimmte Aspekte nur bedingt nachvollziehbar. Erst im obligatorischen Erklärtext am Ende des Films wird deutlich, welches Ausmaß ihr Betrug tatsächlich eingenommen hat. Formal ist das unaufgeregt und weitestgehend bieder, wenngleich die historische Stadtkulisse durchaus stimmig in Szene gesetzt und mit einem charmanten Score untermalt wird. Eigentlich deutlich interessantere Aspekte ebnet Heller gnadenlos in die Biopic-Struktur ein. Woher stammt die Faszination für die Besitztümer verstorbener Stars? Ist Lees Talent, wie sie gegen Ende in einem Gerichtssaal selbst sagt, auch eine Form von Kunst und vielleicht wertvoller als ihre eigentliche Arbeit? Alles bloße Randnotiz, denn in der geerdeten Erzählstruktur haben Einschübe, Exkurse und Themen abseits der bloßen Nachstellung einer Lebensgeschichte nichts zu suchen. Hier und da blitzt das Potential durch, doch der fertige Film gleicht eher einem per Checklist entworfenem Massenprodukt und ist schon während des Abspanns weitestgehend vergessen. [...]
Man könnte David Robert Mitchells neuestes Werk als eine Art Gegenentwurf zu dessen Vorgänger It Follows betrachten. War dieser ein äußerst kompakter, geradliniger und durch seine ebenso simple wie geniale Grundprämisse hochinteressanter Genrefilm, stellt Unter the Silver Lake nun ein chaotisch ausuferndes Konglomerat unterschiedlichster Einflüsse und Versatzstücke dar. Inspiriert von Hitchcock, vom Film Noir und so ziemlich allem, was mit Hollywood zu tun hat, vermengt Mitchell Pop- und Hochkultur zu einem ebenso nachdenklich wie schreiend komischen Film, der über weite Strecken nahezu jedwede Freiheit genießt, genüsslich vor sich hin zu treiben. Den darstellerisch limitierten Andrew Garfield steckt Mitchell gekonnt in die Hauptrolle des kiffenden Versagers und schafft es so die großen Probleme seines Schauspiels in Stärken umzukehren. Fragmentarisch, nahezu zufällig, treibt ihn seine Schnitzeljagd durch die Stadt der Engel. Wohin in seine Anhaltspunkte führen, weiß keiner so genau. Da scheint es auch nur konsequent, dass viele Handlungsstränge ins Leere laufen. Intelligent kommentiert Under the Silver Lake dabei das Zeitgeschehen, sei es die Überhöhung absurder Verschwörungstheorien oder die liebevolle Verklärung der Bedeutung von Popkultur. Das Schöne daran ist, wie frei sich der Film stets bewegen darf. Wo andere Werke in geregelten Bahnen verlaufen, scheint es bei Under the Silver Lake keine Grenzen und keine Struktur zu geben. Vielmehr folgt Mitchell dem Zufall, setzt auf absurde Begegnungen und überrascht so wieder und wieder. Under the Silver Lake ist wie die Reise durch ein verrücktes Labyrinth, ein Irrweg, ja, aber ein fantastischer.
Vielleicht ist das größte Problem von Climax, dass er seinen ekstatischen Höhepunkt bereits findet, bevor der eigentliche Film beginnt. Wenn Noes Kamera schwerelos durch die Turnhalle gleitet und die tanzenden Körper einfängt, die allein durch ihre Bewegungen alles verraten, was wir über sie wissen müssen, dann erreicht Climax jene virtuose Qualität, welche schon in Gaspar Noes vorrangegangenen Werken dessen Verständnis der filmischen Materie bezeugt hat. Was darauf folgt ist der zu erwartende Irrsinn. Die mit LSD versetzte Sangria zeigt ihre Wirkung und entfesselt die volle Palette an Noeschen Tabubrüchen, die jedoch eher langweilen als wirklich zu schockieren. In der Hysterie des Rausches lösen sich die Figuren mehr und mehr auf, werden zu leeren Hüllen, tobend und tänzelnd. Auch Noe verzichtet nach und nach auf jedwede Konvention, verdichtet Form und Farbe in einer unaufhörlichen Bewegungssucht und treibt sein eigenes Kino dadurch abermals an seine Grenzen. Gewalt und Sexualität gehen dabei Hand in Hand, untermalt von einer pumpenden Technokulisse, die nur eine Richtung kennt. Vorwärts! Eine fordernde Seherfahrung, die auch immer wieder mit einer gewissen Müdigkeit zu kämpfen hat. Denn bei aller Liebe, an die transzendente Qualität eines Enter the Voids oder die radikale Subversion Irreversibels reicht Climax nie heran.
Scott Barley – der neue Meister des Slow Cinemas oder doch nur ein prätentiöser Blender? Zumindest für seine Radikalität gebührt seinem Langfilmdebüt Respekt, wenn nicht sogar Bewunderung. Darsteller oder eine Handlung lässt Sleep Has Her House zur Gänze vermissen, ganz so als wären die festen Größen des filmischen Raums für Barley reiner Ballast. In eindringlicher Ereignislosigkeit vermisst sein iPhone den nächtlichen Wald. Minutenlange Blicke in den Sternenhimmel und schier endlose Zooms auf einen Wasserfall reihen sich aneinander. Dazwischen verschwommene Aufnahmen eines Tieres, vielleicht ein Pferd – vielleicht etwas anderes. Barley stellt die rein sensorische Erfahrung, den Einklang von Bild und Ton, in den Mittelpunkt – losgelöst von jeder Eindeutigkeit. Inspiriert von Malern wie Caspar David Friedrich greift er das Friedliche und Beruhigende des Waldes auf und verkehrt diesen Aspekt in bester Horrorfilmmanier in sein Gegenteil. Die Ruhe ist nicht länger meditativ und erholend, sondern stellt die lauernde Anspannung auf ein nicht näher definiertes Übel dar. Dabei gestaltet sich Sleep Has Her House als brüchige Erfahrung. Ein filmisches Experiment, welches vollste Hingabe fordert, um seine angestrebte Wirkung zu erzielen. Eine Erfahrung, die man besser völlig alleine machen sollte. Denn wenn im Kino alle paar Minuten der Stuhl des Nachbars quietscht oder der Vordermann einen Huster unterdrückt, dann gleicht das dem jähen Moment, wenn man kurz vor dem Einschlafen zusammenzuckt und jede Müdigkeit aus einem entweicht. Ein hypnotischer Film, der jedoch nie zur Gänze hypnotisiert und so immer wieder in sich zusammenfällt.
[...] Zusammen mit Edward Lachman (Red Hot and Blue) fängt Larry Clark die Episoden aus deren Leben mit einer rohen, ungefilterten Ästhetik ein. Dabei mag der Film voyeuristisch sein, als reines Mittel zum Zweck fungiert dieser Voyeurismus jedoch nie. Denn Ken Park ist nicht daran interessiert, sich im Elend seiner jugendlichen Hauptfiguren zu suhlen, sondern deren Schmerz greifbar zu machen. Larry Clark wirft seinen Blick auf ein abgehängtes Milieu, in dem Eltern ihre Probleme an den eigenen Kindern auslassen. Diese Kinder wiederum nutzen Sex und Gewalt als Ventil für ihr Leid, bis auch das irgendwann nicht mehr ausreicht. Coming of Age aus einem anderen Blickwinkel, abseits von tumben Klischees. Ken Park überschreitet Grenzen, zeigt uns Bilder und Begebenheiten, die wir eigentlich gar nicht sehen wollen. Einem Skalpell gleich dringt er in das marode Unterschichtsmilieu ein und fördert so soziales Elend in seiner bedrückendsten Form zutage. Eine Operation, bei der Blut und Sperma spritzt. [...]
Die Flucht vor der Gesellschaft ist für Will keine verschroben liebenswerte Form von Nonkonformismus, sondern entpuppt sich als die für ihn einzig mögliche Form zu leben. Subtil klärt uns Regisseurin Debra Granik über seine Vergangenheit auf, zeigt Will als einen gebrochenen Kriegsveteranen, der noch dazu seine Frau verloren hat. Das harmonische Leben mit seiner Tochter in einem Waldstück nahe der Stadt funktioniert, auch dank einstudierter Abläufe und Mechanismen. Zumindest so lange, bis sie zufällig von einem Jogger entdeckt werden. Danach sind sie auf der Flucht, vor der Gesellschaft, vor anderen Menschen und Will sicherlich auch vor sich selbst. Ihre Vater-Tochter Beziehung ist die zentrale Dynamik im Herzen von Leave no Trace. In langen, ruhigen Einstellung darf sie sich entfalten, schlägt sich eher in Blicken und Gesten, denn in Worten nieder. Leave no Trace verzichtet auf unnötige Dramatisierung. Entgegen der atmosphärisch geschürten Zuschauererwartung passiert das zu erwartende Übel nicht. Dabei schlägt Debra Granik immer wieder neue Wege ein, bis sie die Vater-Tochter Beziehung am Schluss dramatisch auflöst, ohne sich in altbekannten Variationen zu ergehen. Das ist bisweilen berührend, aber nie so tiefsinnig, wie es Leave no Trace gerne hätte. Durchaus ansehnlich fotografiert, atmosphärisch stimmig, aber eben auch schnell wieder vergessen.
Die Mutter der Seufzer bittet zum Tanz. Der Regen prasselt auf die düsteren Kulissen einer Stadt, die nun nicht mehr Freiburg, sondern Berlin heißt. Suspiria stellt nur nominell ein Remake dar, grob orientiert am Konstrukt von Argentos Meisterwerk schafft Luca Guadagnino eine Hommage, verdichtet seine eigene Vision zu einem gänzlich anderen Film. Die Tanzschule ist geblieben, so auch Susie Bannion, das neue Mädchen – vieles musste weichen. Zum Beispiel die männlichen Schüler, ein klares Zeichen für die feministische Grundauslegung von Guadagninos Neuinterpretation, in der Männer nur bedingt einen Platz finden. Vielmehr geht es um Mütter und Töchter, um starke und schwache Frauen, die sich von ihren Fesseln lösen und patriarchale Geschlechterkonstruktionen subversiv unterwandern. Statt kräftigen Rot und Blau dominieren hier kalte und entsättigte Grautöne. Statt der kompakten, direkten Struktur des Originals arbeitet Guadagnino mit Ellipsen, Einschüben und einem möglicherweise zu umfassenden Konzept. Das Rauschhafte ist geblieben, funktioniert hier jedoch ungleich subtiler. Anstatt des omnipräsenten Grauens des Originals, entlädt der neue Suspiria seinen stetigen Spannungsaufbau nur in ausgewählten, dafür jedoch umso wirkungsvolleren Sequenzen. Thom Yorkes süßlich-melodischer Soundtrack wirkt wie ein Gegenentwurf zum experimentell progressiven Goblinscore des Originals. Was beide eint ist ihre Funktion, wie ein dichter Klangteppich legen sie sich über den Film und drücken der Atmosphäre ihren eigenen Stempel auf. Guadagnino verdichtet Zeit- und Lokalkolorit, findet dadurch auch eine politische Ebene und erzählt nebenbei in Fernseh- und Zeitungsberichten den kompletten Baader-Meinhof-Komplex nach. Das macht Suspiria bisweilen vielleicht etwas überambitioniert, aber nichtsdestotrotz zu einem Film, den wir so zwar nicht erwartet, uns aber dennoch erhofft haben.
Lange verweilt die Geschichte von Galveston im erzählerischen Niemandsland. Weder für die Figuren noch für die Erzählung geht es vorwärts oder zurück, in angespannter Abwehrhaltung nimmt der Film seinen Lauf. Regisseurin Mélanie Laurent verbindet die rohe Körperlichkeit Ben Fosters mit der jugendlichen Kraft Elle Fannings. Zwei gebrochene Figuren, die entgegen der Bemühungen des Films nie zu einer Einheit werden. Während Fosters Auftragskiller sich über 90 Minuten wieder und wieder gegen den Tod aufbäumt und bereits mit einem Bein im Grab steht, lasten auf Fannings jungem Call-Girl die seelischen Traumata einer harten Kindheit. Galveston gibt seinen Figuren und deren Annäherung Zeit, verpasst es aber deren behauptete Dynamik fühl- und greifbar zu machen. Der Film selbst tut es ihnen gleich, denn auch die ruhige Intimität Laurents findet nie wirklich zur Neo-noirschen Grimmigkeit Nic Pizzolattos. Der Versuch die klischeehaften Strukturen und stereotypen Figuren aufzubrechen gestaltet sich gegen Ende zunächst interessant, verliert durch einen unnötigen Ausblick jedoch an Dringlichkeit. Ein Film mit ungenutztem Potential, mit interessanten Ideen, aber ohne konsequenter Umsetzung. Zum Teil auch Stückwerk, vereinzelt mitreißend, größtenteils jedoch egal.
Was bleibt vom Leben noch übrig, wenn man weder Warten noch Weglaufen kann? Christian Petzold verfrachtet Anna Seghers Exilroman in eine seltsame Zwischenwelt. Das sonnige Frankreich, ein Marseille der Gegenwart, eingeholt von den Schatten der NS-Zeit. Eine Hafenstadt, so sagt der Film, eine Stadt des Kommens und Gehens also, war schon immer voll von Geschichten. Inmitten von Erzählern ist Franz Rogowski einer der zuhört und schließlich auch versteht. Sein Georg berührt zutiefst. Wenn er ein altes Schlaflied mit rauer Stimme singt, flüsternd. Wenn das Off von seinen Tränen erzählt, die nicht zu sehen sind, von seiner Einsamkeit und wie er eine Frau küsst, die er dann doch nicht küsst. Er ist auf der Flucht und kommt trotzdem nicht weg. Vielleicht flieht er auch vor sich selbst, denn wer entkommen will, der muss ohnehin ohne Ballast reisen. Man könnte Matthias Brandts mit seiner markanten Stimme als einen unzuverlässigen Erzähler bezeichnen. Vielleicht ist er das, vielleicht weiß er schlichtweg mehr als alle anderen. Auch er erzählt, solange er noch erzählen kann. Petzold überlagert Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er nähert sich der NS-Zeit über die Flüchtlingskrise – und umgekehrt. Die Behörden werden zur kafkaesken Vorhölle, allgegenwärtiges Warten. Die Absurdität einer Welt, in der ein Menschenleben von einem Stempel im Pass oder einer flüchtig unterschriebenen Genehmigung abhängt. Auch das ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wie soll man warten, wenn man nicht mehr warten kann? Selten war ein politischer Film so poetisch. Denn Transit ist auch eine Liebesgeschichte, in vielerlei Hinsicht. Die Liebe eines kleinen Jungen, der seinen Vater wiederentdeckt. Die Liebe einer Frau zu ihrem verlassenen Mann. Die Liebe eines Mannes zu einer Frau, die nicht die seine ist. Wer leidet mehr? Derjenige, der verlassen wird – oder doch der, der verlässt? Eine von vielen Fragen, die der Film stellt – und die Petzold entgegen der Erwartung beantwortet. Das Literarische schlägt seine Wurzeln ins Kino, doch es vereinnahmt es nicht. Das Filmische ragt hervor, fast schon behutsam inszeniert Petzold die zahlreichen Begegnungen des Films. Begegnungen, oftmals so flüchtig, dass sie kaum real erscheinen. Sie kommen einem vor wie verblasste Schreie aus dem Reich der Geister. In dieser Zwischenwelt, dieser Vorhölle spielt Transit – und genau dort berührt er uns auch. Georg verweilt, auch nachdem das Bild schwarz wird. Wie die ganze Stadt ist er gefangen im Klammergriff der Einsamkeit.
Fast schon kammerspielartig operiert Quentin Dupieux in seinem neuesten Film Au Poste - nicht zuletzt deswegen, weil er ihm die Bühne des Theaters überlässt. Alles beginnt nach Maß, erwartungsgemäß unerwartet. Eine eigentlich alltägliche Situation, ein Dirigent inklusive Orchester, wird von Dupieux dadurch entfremdet, dass der Dirigent nackt ist, dieser Umstand jedoch von niemandem als seltsam wahrgenommen wird. Etwas Bekanntes auf obskure Weise verzerren und doch so tun, als wäre alles wie immer. Eine Art von Humor, die für Dupieux seit jeher charakteristisch ist. In Au Poste kommt diese Visualität jedoch nur bedingt zum Einsatz. Stattdessen fokussiert sich der Film merklich auf seine Dialoge, begibt sich erzählerisch stärker in einen konventionellen Rahmen. Immer wieder wirkt es so, als würde Dupieux sich selbst einschränken, seinen Irrsinn etwas zügeln wollen. Nach und nach verlagert er seinen Film dann doch ins Surreale, spielt mit mehreren Ebenen und schafft ein angenehm komplexes Verwirrspiel. Mit 73 Minuten Laufzeit stellt Au Poste wohl nur eine amüsante Fingerübung dar. Skurril und absurd, auf groteske Weiße witzig und dennoch mit einem bitteren Nachgeschmack versehen. Schließlich hat Quentin Dupieux schon mehr als einmal bewiesen, dass er das alles auch eine Spur abseitiger, lustiger und verrückter auf die Leinwand zaubern kann.
[...] Dichte Nebelschwaden ziehen durch eine chinesische Trabantenstadt. Alles ist verwahrlost und dreckig, jeder Blick scheitert an grauen Häuserblocks. Am Anfang und am Ende steht der Tod - [...] An Elephant Sitting Still nimmt das tragische Schicksal seines Regisseurs auf schmerzliche Weiße vorweg. Kurz nach der Fertigstellung seines ersten und einzigen Films nahm sich Hu Bo das Leben. Er hinterlässt uns einen Film, der einem Lebenswerk gleichkommt. Einen vierstündigen Koloss, grau in grau. Angefüllt mit Kälte, durchtränkt von Melancholie. Vielleicht ein Hilfeschrei, der uns nicht rechtzeitig erreicht hat, vielleicht eine Form von Selbsttherapie, die letzten Endes doch gescheitert ist. Auch das kann Kunst, scheitern. [...] Beinahe scheint es so, als wäre jeder Charakter zwischen unsichtbaren Glaswänden eingesperrt, die zwar Blicke und Geräusche durchlassen, an der jedoch jede Form von Gefühl gnadenlos abprallt. Die Kamera folgt indes ihren Figuren, blickt ihnen manchmal über die Schulter, manchmal ins Gesicht. Fast immer stehen sie im Zentrum des Bilds, weil alles andere verschwimmt. Auch das ist ihr Blick auf die Welt, wie durch einen Schleier. An Elephant Sitting Still wird dabei zu einem Film, der seinen Zuschauern alles abverlangt. Ein Film, der seine seelische Tristesse bis zum Körperlichen ausreizt. Und doch erweist sich Hu Bo nicht als Menschenfeind. Er zeichnet die Menschen so, wie er sich selbst sieht – als Opfer der Umwelt. Eine Gesellschaft, die zweifelsohne von Menschenhand geschaffen wurde, an welcher der Einzelne jedoch keine Schuld trägt. Das macht An Elephant Sitting Still nicht weniger pessimistisch oder erträglich, sondern nur direkter und eindringlicher. Hu Bo ist kein Regisseur, der von außerhalb auf das System blickt, der etwas vortäuschen muss. Vielmehr ist er ebenso wie die Figuren selbst darin gefangen. Letztlich gibt es keine Flucht, weder an einen anderen Ort noch aus dem Leben selbst. Der Hoffnungsschimmer, ebenjener titelgebende Elefant, wird zum gemeinsamen Ziel. Hoffnung gibt es keine, doch die Gemeinschaft macht die Hölle auf Erden erträglich. [...]
Vergitterte Fenster und eine verschlossene Tür. Die Tage sind geprägt von einsilbigen Gesprächen und dem immergleichen Putzdienst. Bewusst fängt Regisseur Ghalambor das trostlose Jugendheim im brandenburgischen Niemandsland wie ein Gefängnis ein. Der Gefangene ist ein 13-jähriger Junge ohne Namen, einen Platz hat er sonst nirgendwo. In der stärksten Szene des Films wird er von seiner Mutter besucht. Wortlos sitzen die beiden sich gegenüber, bis sie ihre Zigarette ausgeraucht hat. Danach verlässt sie den Raum. Der Kamera, dem mit Abstand stärksten Ausdrucksmittel des Films, gelingt es dabei ihre Beziehung, die eigentlich gar keine Beziehung mehr ist, auf den Punkt zu bringen, indem nie beide Figuren gleichzeitig im Bild zu sehen sind. Der Junge sehnt sich nach Freiheit, nach Ausbruch – und ist dann eines Tages schlichtweg verschwunden. Zuflucht findet er bei einem wortlosen, alten Mann. Windspiel ist ein Film, der beinahe gänzlich ohne Dialoge auskommt. Das gelingt mal mehr, mal weniger. Kraftvolle, lange Einstellungen befinden sich im konstanten Wechselspiel mit nichtssagenden, unnötig gestreckten Szenen. Das erweckt den Anschein von Beliebigkeit, von Redundanz. Ähnlich verhält es sich mit den Emotionen. Windspiel erzählt von Resignation und Einsamkeit und behandelt beides wie einen Allgemeinposten. Kurz vor Ende traut Ghalambor seinem eigenen Konzept nicht mehr und lässt die fröhliche Kartenrunde über Selbstmord philosophieren. Ungefähr 6000€ konnte er für seinen Abschlussfilm der Filmuniversität Babelsberg auftreiben. Gemessen an dieser Summe ist Windspiel ein erstaunlich gelungenes Werk, eingeordnet in den Kontext seiner Referenzwerke jedoch nur von durchschnittlicher Qualität.
Es ist nicht leicht ein Vater zu sein. Das wusste schon David Lynch in seinem albtraumhaften Erstling Eraserhead und muss nun auch Reed (Christopher Abbott) lernen. Bereits in der ersten Szene von Nicolas Pesces neuem Film Piercing steht er mit einem Eispickel bewaffnet (Basic Instinct lässt grüßen) über seinem friedlich schlafenden Baby. Weil diese Aktion seine Beziehung mit Mona (Laia Costa) wohl unnötig belasten würde, plant er seine unbändige Mordlust stattdessen an der Prostituierten Jackie (Mia Wasikowska) zu stillen. In unfassbar direkten, geradlinigen und fast schon zu kurzweiligen 82 Minuten, gestaltet Pesce deren Beziehung als einen auf Hochglanz polierten Fiebertraum zwischen sexuellen Fantasien, schmerzender Gewalt und SM-Ritualen. Dabei droht Piercing durchaus in seinem ausufernden Referenzrahmen unterzugehen. Als liebevolle Hommage zum Horrorkino zitiert Pesce reihenweise ikonische Bilder, holt sich Inspiration aus dem Giallo (Goblin darf gleich zweimal über die Tonspur wabern), verzerrt den Film Noir und kommt mit de Palma-artigen Splitscreen-Sequenzen auch in New Hollywood an. Letztlich steckt in der grellen Ästhetik, den futuristischen Einrichtungen und den grotesken Bildern wenig Eigenes. Und doch lässt sich Pesce seinen unbeirrbaren Formwillen nicht nehmen, schafft mehr als bloßes Referenzkino. Mit der Rollenverteilung spielt er ebenso wie mit der Erwartung des Zuschauers. Piercing mag eine Fingerübung sein - aber eine verdammt stilsichere, experimentierfreudige und atmosphärisch dichte.
[...] Letztlich kommt es so, wie es kommen muss. Die Ereignisse eskalieren in einer ungeahnten Dringlichkeit und die davor so bodenständige Aufarbeitung scheint fast einen Tick zu sehr ins Überzogene abzudriften. Dennoch ist es gerade diese unmäßige Plötzlichkeit, welche das Finale so intensiv und unangenehm gestaltet. Als Gegenpol existiert die Geschichte der Tochter, über weite Strecken als Randnotiz abgehandelt. Was von ihr bleibt ist ein stummer Schwangerschaftstest auf der Schultoilette und ein ebenso stummer Aufbruch in eine ungewisse Zukunft. Nach dem Urteil ist immer dann am stärksten, wenn er keine Worte braucht. Am Ende schließt sich die Nachbarstür und unser Blick wird schwarz. Häusliche Gewalt verweilt nicht länger auf der Leinwand, sondern könnte längst auf der anderen Seite der heimischen vier Wände angekommen sein. [...]
[...] Montana Sacra – Der heilige Berg entzieht sich konsequent den Mitteln gängiger Filmrezeption. Lediglich durch einen losen Handlungsfaden zusammengehalten liegt der Schlüssel zu dem bildgewagten Experimentalfilm darin, sich der reinen Seherfahrung hinzugeben. Schubladendenken, vorgefertigte Schablonen oder mentale Checklisten sind bereits im Vorfeld zum Scheitern verurteilt. In seinem Wahnsinn gleicht Montana Sacra – Der heilige Berg einer spiegelglatten Oberfläche, an der sich kein Hebel ansetzen lässt und die jeden Interpretationsansatz auf das eigene Ich des Betrachters zurückwirft. Erwartungsgemäß sprengt Jodorowskys surrealer Bildersturm in ausufernder Gigantomanie den Rahmen des guten Geschmacks, wagt eine cineastische Grenzerfahrung, welche zwangsläufig dazu verdammt ist auf taube Ohren und blinde Augen zu stoßen. Ein Film, der seine Zuschauer reihenweiße vor den Kopf stößt, sei es durch die bloße Abstrusität der Geschehnisse oder einem konkreten Fall von Nacktheit, Gewalt oder Anarchie.
Dabei ist diese Wirkung essentiell, um einen Zugang zu Jodorowskys Werk zu finden. Wer sich vom filmischen Treiben unbeeindruckt zeigt, der verpasst es dadurch auch wirklich berührt, getroffen und mitgenommen zu werden. Montana Sacra – Der heilige Berg ist drogengeschwängerter Irrsinn, welcher der Einnahme psychedelischer Mittel jedoch gar nicht bedarf, weil das Werk selbst eine tranceartige Stimmung erzeugt. Da ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass sich Jodorowsky zusammen mit zwei spirituellen Gurus, erstmaligem LSD-Konsum und Schlafentzug auf die Dreharbeiten vorbereitet haben soll. Ein anarchisches Vorgehen, welches sich jedoch unmittelbar auf den fertigen Film niederschlägt. Dazu passt auch die finale Botschaft Jodorowskys, welcher in der rahmensprengenden Auflösung gen Ende des Films darauf verweist, dass man wahre Erleuchtung nur in sich selbst finden kann. Einmal mehr wirft der Film seinen ahnungslosen Zuschauer dadurch auf sich selbst zurück. [...]
Relativ schnell bricht der zu Beginn als Mystery-Horror lockende Spring mit den Erwartungen des genreaffinen Zuschauers. In der Beschaulichkeit einer wunderbar fotografierten Küstenstadt im Norden Italiens spinnen Justin Benson und Aaron Moorhead einen eigensinnig kreativen Genremischmasch zwischen der mysteriösen Louise und dem vom Schicksal gebeutelten Evan. Spring versteht es dabei gekonnt die kleinen und großen Momente des Lebens in Einklang zu bringen. Etwa dann, wenn aus einem Pappzettel mit Wlan-Code der Tip für den nächsten Joint gebaut und dadurch Evans Drang nach Isolation, Betäubung und Vergessen auf den Punkt gebracht wird. Die eingangs noch als unterschwellig bedrohliches Horrorszenario verkaufte Monsterthematik wandelt sich zur Metapher auf den wechselhaften Charakter der Liebe. Bevor die Mystik dahinter gegen Ende viel zu konkret ausformuliert wird, widmet sich Spring dem (un)möglichen Beisammensein zweier einsamer Wesen, deren Beziehung den abstrusen Rahmen zwischen Wiedergeburt und Verfall, zwischen Intimität und animalen Trieben einnimmt. Dabei schlägt das Werk in seiner kreativen Energie durchaus das ein oder andere Mal über die Stränge. Am Ende bleibt jedoch der kitschig schöne Gedanke, dass jeder Mensch, jedes Monster im Menschen, ein Recht auf Liebe hat. Da verzeiht man auch angesichts der überbordenden (Genre)Kreativität gern kleinere Fehltritte.
Schon im einleitenden Voiceover weist der 15-jährige Davey darauf hin, dass die amerikanische Vorstadt der wahre Ort des Grauens ist. In den Szenen darauf lernen wir ihn und seine Freunde kennen, der typische Losers‘ Club inklusive BMX-Räder, Taschenlampen, Walkie-Talkies und alten Pornoheftchen. Zwischen obligatorischem Synthie-Gedudel und wehmütiger Vorstadt-Suspense entwickelt Summer of 84 kaum Eigendynamik. Die halbherzigen Versuche diese Retromanie zu ironisieren fallen viel zu spärlich aus und so klappern die Regisseure fast ausschließlich altbekanntes Terrain ab, was das Werk zum lustlosen Potpourri deutlich besserer Filme macht. Über weite Strecken fühlt sich Summer of 84 wie die gestreckte Filmauskoppelung einer Folge Stranger Things an, ebenjener Serie, welche wohl erst die finanzielle Daseinsberechtigung für diesen Film geliefert hat. Gelungen ist lediglich das überraschend düstere Ende, das mit den davor so schrecklich vermissten, eigenen Ideen aufwarten kann und dadurch zumindest für einen halbwegs versöhnlichen Abschluss sorgt. Davon abgesehen fehlt jedoch das Gespür für Atmosphäre und Spannung, welche sich abseits der bloßen Rekonstruktion von Zeitkolorit entwickeln sollte. Letztlich bleibt Summer of 84 eine handwerklich souveräne Kopie, die sich im überschwänglichen Maße der Nostalgie bedient und abseits von archetypischen Figuren und altbekannten Handlungsmustern wenig zu bieten hat.
[...] Über 30 Jahre nach seinem Tod kehrt Orson Welles somit aus seinem Grab zurück und schenkt uns ein Werk, welches das Medium Film und damit verbunden auch unsere Sehgewohnheiten an ihre Grenzen treibt. Ein komplex strukturierter Experimentalfilm, der mühelos zwischen Realitäts- und Handlungsebenen, zwischen schwarz-weiß und Farbe, sogar zwischen Illusion und Wahrheit wechselt. Welles zollt damit auch formell seinem komplexen Charakter Tribut. Das wirkt selbstverliebt, aber auch gnadenlos ehrlich. Einer klaren Deutung entzieht sich ohnehin beinahe jedes Bild, dafür sind die einzelnen Szenen schlichtweg zu virtuos verzahnt und Welles‘ Anspruch zu vielschichtig. Bewusst doppeldeutig ist The Other Side of the Wind ein gewagtes, chaotisches und nur schwer greifbares Filmexperiment, welches wir in dieser ekstatischen und radikalen Form aktuell wohl nur auf Netflix bestaunen dürfen. [...]
Ein Schauermärchen in rot und blau. Gleichsam Höhepunkt, Richtungsweiser und Mittelpunkt in Dario Argentos exzentrischem Schaffen. Farben und Figuren überzeichnet, Darsteller und Szenen von überbordender Intensität. Argentos Kamera dringt in alle Windungen des verwunschenen Hexenhäuschens ein, ergründet Wände und Ecken, ausstaffierte Hallen, unterkühlte Schwimmbäder und düstere Kämmerchen. Das grelle Kunstblut tropft, der kongeniale Gobline-Score wabert über die Tonspur. Formvollendete Stilistik drängt die belanglose Handlung in den Hintergrund. Hier reagieren Farbe und Form, verdichtet zu einer bedrohlichen Atmosphäre, welcher es einzig und allein darum geht, dem Gefühl von Angst eine Kontur zu verleihen. Es sind faszinierende Albtraumlandschaften, welche Suspiria vom Okkultismus getrieben in inszenatorische Perfektion hüllt. Ein suggestiver Rausch, der unaufhaltsam von seiner fiebrigen Stimmung vorangetrieben wird. Ein formvollendeter Genuss, dem man sich wieder und wieder hingeben kann.
Die Schönheit der sonnendurchfluteten Natur Texas ist von flüchtigem Genuss. Nur wenige Augenblicke schwelgt David Lowery in Malickscher Ästhetik, bevor Rooney Mara und Casey Affleck als Outlawpärchen der Marke Bonnie und Clyde von ihrer Vergangenheit eingeholt werden. Schnell wird die freilebende Romantik von der bitteren Realität verdrängt und der angedeuteten Nähe zur Unbeschwertheit längst vergessener Westernjahre ein Riegel vorgeschoben. The Saints verpackt das Gefühl grenzenloser Sehnsucht in langsamen Bilder und speist daraus seine schwermütige Atmosphäre. Innerhalb seiner elliptischen Erzählstruktur beweist Lowery ein feines Gespür dafür, seine melancholisch mäandernden Szenen vollends auszukosten und dennoch nie zulange zu verweilen. Als wehmütige Liebesballade verzichtet The Saints fast gänzlich auf eine Dramaturgie, selbst die rar gesäten Schusswechsel kommen ohne Spannung aus. Dennoch geht dem Werk dadurch nichts verloren, weil Lowery seine eigensinnige Liebeserklärung an die Outlawfilme vergangener Tage derart stimmungsvoll in Szene setzt, dass die teils stagnierenden, seltsam zerfließenden Bilder für sich alleine sprechen. In poetischen Bildkompositionen konzentriert sich The Saints beinahe ausschließlich auf den Moment, manifestiert Sehnsucht, Akzeptanz und die Unfähigkeit Vergangenes loszulassen. Doch in Lowerys Werk ist die Vergangenheit nicht von Bedeutung, ebenso wenig wie die Zukunft, denn die ist bereits verloren.
Der Ernst des Lebens als Spiel, eine Welt aus Kinderaugen und der naive Blick ungeachtet jedweder Konsequenz. Schon topografisch macht die Lage eines Motels an den Rändern von Disneyland deutlich, wie nah Elend und Glück beieinanderliegen. Der Hauptschauplatz von Florida Project wird zum Brennpunkt simpler Lebensfreude und sozialem Elend. Wie schon bei Bakers vorangegangenem Film Tangerine L.A. ist dabei die Perspektive entscheidend. Die Art und Weiße ein Milieu von innen heraus zu beleuchten, aus den Augen der Betroffenen – in diesem Fall der 6-jährigen Mooee. Da ist es nur konsequent, wie bunt die Fassaden des White Trash Motels leuchten, wie schillernd sich die einzelnen Momentaufnahmen zu einem bittersüßen Mosaik zusammensetzen. Wie kaum ein anderer Regisseur schafft es Baker dadurch eine Nähe zu seinen porträtierten Figuren aufzubauen, die gleichsam stellvertretend für eine Gesellschaftsschicht sind und doch wunderbar für sich alleine stehen. Einmal mehr beweist er ein Herz für Außenseiter, kein ausgestelltes im Sinne von Elendstourismus, sondern ein ganz und gar ehrliches. Ein Entdeckerdrang, der alle Verbote überwiegt – eine Lust am Leben, die von ihren begrenzten Mitteln nur verstärkt wird. Am Ende wird dann einfach abgeblendet. Im Kopf bleiben zwiespältige Gefühle, schwankend zwischen dem puren Glück, ausgelöst von einer geteilten Kugel Eiscreme und dem bitterbösen Schlag in die Magengrube, wenn das sorgfältig errichtete (Alb)traumland in sich zusammenfällt.
Ein Sommer für die Ewigkeit - verortet im Norden Italiens, verankert in unserer Erinnerung. Es ist der Sommer der ersten Liebe, ein Sommer, der eigentlich nie enden sollte und es trotzdem irgendwann tat. So auch für den jungen Elio und den nicht nur körperlich deutlich reiferen Oliver. Zwischen malerischen Landschaften und der süßlich säuselnden Stimme Sufjan Stevens kommen sie sich näher – die brodelnde Atmosphäre zeugt von ihren Gefühlen. In der Luft liegt eine Unbeschwertheit und Lebenslust, die nur schwer mit der Tragik ihrer Beziehung vereinbar ist. Die Tatsache, dass es sich um eine homosexuelle Liebe handelt, spielt eigentlich gar keine Rolle. Luca Gaudagninos Film ist universell, in ausschweifenden 132 Minuten schafft er es Gefühle in Bilder zu packen, für die sich nur schwerlich Worte finden lassen. Call Me By Your Name interessiert sich nur wenig für seine Figuren, völlig egal woher sie kommen und wohin sie gehen. Umso mehr jedoch für ihre Körper, eingegossen im gleißenden Sonnenlicht eines einzigen Sommers. Für Lippen, die sich zärtliche Küsse aufdrücken und gierig den Rauch einsaugen. Für nackte Oberkörper, die sich ins kühle Nasse stürzen und für Hände, die einem Gefühl nicht enden wollender Sehnsucht Ausdruck verleihen. „Reden oder Sterben?“ heißt es zu einem Zeitpunkt im Film. Gaudagnino weicht dieser Frage aus, indem er nicht Wörter, sondern Blicke und Berührungen sprechen lässt. Sterben muss die Liebe zwischen Oliver und Elio nichtsdestotrotz, weil sie eben nicht für Ewigkeit, sondern nur für diesen einen Sommer gemacht war. Was bleibt ist die Erinnerung und mit ihr auch die komplette Palette an Emotionen. Davon zeugt der tränenreiche Blick ins Feuer.
[...] Dadurch wird Millennium Actress zur Biographie einer fiktiven Person. Chiyoko Fujiwara ist gleichsam emotionales Zentrum und Platzhalter. Durch sie ergründet Satoshi Kon das Faszinosum der Schauspielerei und schlägt gleichsam die Brücke zwischen gespieltem Leben und gelebter Rolle. Mühelos strömen beide Welten ineinander und verdichten sich zu einer einzigen Realität. Dabei kommen vor allem die Stärken des Animationsfilms zum Tragen, dessen Grenzen nicht im praktisch Umsetzbaren, sondern in der Imagination liegen. Mühelos erschafft Kon Welten, die innerhalb eines Wimpernschlags in sich zusammenfallen und schon in der nächsten Sekunde wiedergeboren werden. Beinahe nebensächlich erscheint dabei das zugrundeliegendes Liebesdrama, welches zwar das dramaturgische Grundgerüst vorgibt, aber innerhalb der Themenvielfalt ständig in den Hintergrund rutscht. Bezeichnend, dass Chiyokos Objekt der Begierde nur in wenigen Fixpunkten auftaucht und über weite Strecken ein herbeigesehnter Traum bleibt. Ihre Hoffnungen projiziert sie deshalb auch in ein Objekt, das einem Ausdruck von Sehnsucht gleichkommt. Bis zum Schluss bleibt Millennium Actress ambivalent und stellt die Frage, ob diese Sehnsucht nun echt oder nur selbstzweckhaft ist. Eine unbändige Faszination und gleichzeitig die größte Schwäche stellt der allumfassende Anspruch Satoshi Kons dar. Millennium Actress pendelt zwischen überbordendem Melodram und Slapstick, untersucht nicht nur die Beziehung zwischen Mensch und Kunst, sondern gleichsam den Einfluss von Zeitgeschichte sowie deren Spuren in der japanischen Kultur. Dank seines suggestiven Schnitts schafft es Kon beinahe alle Einflüsse fließend ineinander überzuführen. Die nichtsdestotrotz entstehenden Brüche schlagen sich vor allem in der Atmosphäre nieder, die zwar punktuell einnehmend ist, aber nie die von Kon gewohnte, allumfassende Dichte erreicht. Für einen Film, der dermaßen viele Elemente vereint und in seinen verschiedenen Kapiteln die unterschiedlichsten Genres anspricht, fühlt sich Millennium Actress trotzdem erstaunlich homogen an. Auch in seinem zweiten Werk sind Kons Bildwelten vor allem erträumt und somit deutlich weniger an einen logischen Zwang gebunden, als es eine klassischere Aufarbeitung des Stoffes verlangen würde. Auch deshalb ist das Nebeneinander von Leben und Kunst hier niemals ein Widerspruch, sondern vielmehr eine untrennbare Einheit. [...]
[...] Immerhin gelingt es Wenders seine beiden Hauptdarsteller von ihrer Starperson abzukoppeln und so als eigenständige Figuren zu etablieren. Als furchtbar flache Figuren, zugegebenermaßen, aber immerhin als greifbare Individuen. In gewisser Weiße lässt sich Grenzenlos als ultimativer Liebesfilm verstehen, denn abseits einiger oberflächlicher Merkmale wie ihrem Beruf zeichnen sich beide Protagonisten ausschließlich durch ihre unbändige Liebe zum jeweils anderen aus. Und obwohl Wenders ihrem Kennenlernen, dem ersten und einzigen Treffen der Beiden, knapp ein Drittel seines Filmes schenkt, bleibt diese grenzenlos Liebe stets eine Behauptung. Dem Zuschauer bleibt ihre gegenseitige Anziehung ein Rätsel, ist ihre gemeinsame Zeit doch vor allem durch holprige Dialoge gekennzeichnet und jeder Anflug von Zärtlichkeit im Angesicht ihrer fehlenden Chemie eine Farce. Tatsächlich kann man weder die Figur Vikanders, noch die von McAvoy sonderlich ernst nehmen, was sich konsequenterweise auch auf ihre Beziehung niederschlägt. Eine Verbindung, die eben nicht nur eine flüchtige Bekanntschaft, eine oberflächliche Anziehung sein will, sondern vielmehr den Anspruch einer unsterblichen Liebe und Seelenverwandtschaft erhebt. Dieser naive Gedanke wurde im Kino schon unzählige Male zelebriert, doch Wenders entgleitet er völlig. Im weiteren Verlauf verlässt sich Grenzenlos dann blind auf diesen gescheiterten Unterbau und so ist der Film dadurch bereits früh zum Scheitern verurteilt. Melodramatisch erhöht scheint nicht nur das Ende, sondern auch ihre spirituell angehauchte Verbindung. Obwohl beide immer wieder davon reden die Erde und die Menschheit zu retten, handeln sie vor allem aus der egoistischen Motivation sich wiederzusehen. Immerhin in diesem Bemühen sind die austauschbaren Bilder des Films erstaunlich ehrlich. [...]
[...] Damit bleibt er aber auch dem italienischen Neorealismus treu. Sein Ziel ist es, das Leben abseits von hübschen Fassaden und schnuckeligem Urlaubsidyll zu porträtieren. Der Mensch als Opfer seiner Umstände. Der Mensch, wie er eben ist…Opfer und Schuldiger zugleich. So verdient Accattone gleichsam unsere Verachtung und unser Mitleid, gefangen in einem Umfeld gegen das er sich nicht wehren kann und will. Die ruhigen und naturalistischen schwarz-weiß Bilder machen die Geschehnisse auf eine bohrende Art schmerzhaft. Pasolini beobachtet, doch er greift nicht ein. Die Bilder wirken dreckig und unvollständig, suhlen sich in ihrer schwermütigen Stimmung ohne sich am Leid zu ergötzen. Nichtsdestotrotz haftet ihnen etwas Kraftvolles an, eine Perfektion mit Makel. Diese Schwermütigkeit merkt man auch dem Ende an, wenn Pasolini den Tod förmlich als Erlösung begreift. Religiöse Symbolik wirkt hier wie der reinste Hohn, denn für Accattone wäre so oder so kein Platz im Himmel reserviert. So verweigert Pasolini auch seinem Zuschauer die Erlösung, der sich in den vorangegangenen Stunden an der Hauptfigur abgearbeitet und sich nach und nach mit dessen Schattenseiten identifiziert hat. Gerade dieser Aspekt macht Accattone zu einem fordernden Film, einem Werk, welches seinen Zuschauer zur Stellungnahme zwingt. Und dennoch vermag es Pasolini dem Film eine bedrückende Schönheit abzuringen, eine Poesie des Verfalls. [...]