Vitellone - Kommentare
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Alle Kommentare von Vitellone
Eine Geschichte über die Liebe, eine Geschichte über Außenseiter - verpackt im Gewand eines düsteren Märchens. Guillermo meldet sich mit einem Paukenschlag zurück, einem mit Oscarnominierungen überhäuften Publikums – und Kritikerliebling. Inhaltliche Unzulänglichkeiten und logische Patzer lassen sich deshalb beflissentlich ignorieren, weil del Toro einmal mehr sein eigens entrücktes Metier mit traumwandlerischer Sicherheit beschreitet und sich jegliche Überlegungen dieser Art dadurch ohnehin erübrigen. The Shape of Water maßt sich an, in die Fußstapfen von Pans Labyrinth zu treten und zumindest optisch hat er auch jedes Recht dazu. Was der Film an Kulissen und Kostümen, Effekten und Bildgestaltung auf die Leinwand zaubert, rechtfertigt mühelos den Kauf eines Kinotickets, um del Toros Einfallsreichtum in seiner bestmöglichen Form zu bewundern. Besonders erstaunlich ist dabei, wie jede Figur ihre spezielle Note bekommt, die sich konsequent in der musikalischen Untermalung, ihrer Wohnungseinrichtung, ja sogar ihrer Bekleidung niederschlägt. Vor allem die Vielfalt an Details, bis in jede Kleinigkeit durchdacht, verdient Applaus. Abseits davon ist The Shape of Water leider ein furchtbar ernüchterndes Erlebnis. Von Beginn an ist er anbiedernd nostalgisch, wirkt in seiner Schrulligkeit viel zu ausgestellt. Vor allem aber macht er es sich zu einfach im Umgang mit seinen Figuren. Abseits seiner eigentlich erstrebenswerten Botschaft schwingt ein unnötig politischer Subtext mit, der schlichtweg gekünstelt und fehl am Platze wirkt. Vieles an The Shape of Water wirkt erdacht, aber nicht gefühlt. Pflichtschuldig nach gängigen Regeln der Filmkunst zusammengeschustert, aber eben nicht wirklich gelebt. Eine glänzende Fassade, unter der sich weitaus weniger versteckt, als erhofft.
The Square stellt die Frage nach Kunst. Was ist Kunst? Oder treffender: Ist das Kunst? Eine vorgeschobene Frage, denn für die Kunst interessiert sich Regisseur Ruben Östlund nämlich gar nicht - zumindest nicht darum, wie Kunst unser Leben bestimmt. Stattdessen dient sie als Milieu. Ein Milieu, welches dem Regisseur erlaubt eine unterhaltsame Vielfalt an abstrusen, provokanten und für sich genommen interessanten Ideen abzufeuern – und es ihm zudem ermöglicht, abermals über den Zustand der Gesellschaft zu sinnieren. Fragen darüber reißt Östlund jedoch nur an, wie so vieles schweben sie unvollendet im Raum. Ein überladener Film, unfertig und unausgegoren. Teils, weil er kurz vor Veröffentlichung massiv gekürzt wurde und teils, weil er schlichtweg so ausgelegt ist. Er ist von schwankender Qualität, glänzt bisweilen mit wunderbar bissigen Momenten, nur um darauf wieder in einen unangenehm belehrenden Trott zu verfallen. Problematisch ist dabei auch, dass Östlund seine eigene Hauptfigur verachtet. Christian, der gar kein Individuum sein soll, sondern vielmehr exemplarisch für einen Typus Mann steht. Obere Mittelschicht, verkopft und egozentrisch. Sicherlich ist es löblich, dass Östlund ebenjene Gesellschaftsschicht kritisiert, die wohl einen Großteil seiner Zuschauer ausmacht – zu der er wohl auch selbst gehört. Trotzdem hätte das eine Spur ehrlicher, eine Spur schärfer ausfallen können – ohne dabei so instruktiv, böswillig und abwertend zu sein.
[...] Dabei ist Downsizing zunächst vor allem eins, nämlich sympathisch. Alexander Payne, seines Zeichen Fachmann für die gekonnte Synergie von Drama und Komödie, nimmt sich die Zeit seine Grundidee gebührend in Szene zu setzen und zudem ein sicheres Fundament für das satirische Potential der Ausgangslage zu festigen. Seinen Höhepunkt findet Downsizing in einer Szene, die den komplexen Prozess des Schrumpfens mit liebevollen Details anreichert, auf interessante Weiße mit den Gedanken des Zuschauers spielt und zudem für präzise Lacher sorgt. Danach kommt es zu einem heftigen Bruch und Payne verlagert das Geschehen vom Gesellschaftlichen ins Private. Anstatt tiefer im satirischen Potential seiner Idee zu graben, erzählt er fortan die Leidensgeschichte von Paul, der langsam aber stetig zum liebenswerten Trottel mutiert. Ab diesem Zeitpunkt geht es weniger um größere Zusammenhänge, wenige um die vielversprechende Welt. Stattdessen tritt ein banales Einzelschicksal in den Mittelpunkt, anhand dessen natürlich alsbald die Schattenseiten des kleinen Daseins aufgezeigt werden – ebenso erwartungskonform wie zahm. Die Prämisse rückt dabei nach und nach in den Hintergrund, verkommt selbstzweckhaft zum Inhalt einiger billigen Sprüche und schwebt ansonsten seltsam unbeteiligt über dem Geschehen. Die ungenutzten Möglichkeiten nehmen zusehends frustrierende Dimensionen an, während die gesellschaftskritischen Anleihen im Nichts verpuffen. Über weite Strecken agiert Downsizing furchtbar mutlos. Eine Satire also, die sich nicht traut, dorthin zu gehen, wo es wehtun und ihre Zuschauer durchgehend in deren Komfortzone verweilen lässt. Das wäre zu verschmerzen, würde Payne wenigsten den tragisch-komischen Aspekt seiner Geschichte geltend machen – doch auch der verflüchtigt sich zusehends in der Belanglosigkeit seiner uninteressanten Figuren. Was bleibt ist eine sehenswerte erste Hälfte, die den Film trotz aller Bemühung nicht aus dem unteren Durchschnitt hinaushieven kann. [...]
Churchill raucht Zigarren. Churchill trinkt Whiskey. Churchill nuschelt. Es ist bezeichnend für die Qualität von Die dunkelste Stunde, dass diese oberflächlichen Fakten das Einzige sind, was in Erinnerung bleibt. Die Oscarnominierung von Gary Oldman ist sicherlich gerechtfertigt, denn unter Unmengen an Schminke verschwindet der Schauspieler vollends. Dennoch ist diese simple Nachbildung, diese rein authentische Wiedergabe einer historischen Figur niemals dazu im Stande einen kompletten Film zu tragen. Denn abseits der darstellerischen Komponente und einiger gelungener Grundideen, scheitert Joe Wright beinahe vollends. Es sind zwei dunkle Stunden. Allein optisch, denn die bemüht düstere Stimmung wirkt stellenweise fast lächerlich. Die langsamen Kamerabewegungen bemühen sich, Bedeutung und Würde zum Ausdruck zu bringen, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch dieser Film ein Paradebeispiel jener Biopics ist, die sich tröge an einem Geschichtsbuch respektive Wikipedia Artikel abarbeiten. Dramaturgie und Spannung kann Die dunkelste Stunde bestenfalls vortäuschen. Etwa wenn die letzten 30 Sekunden vor Beginn einer Radioaufnahme zum von Anspannung durchtränkten Höhepunkt hochstilisiert werden. Völlig uninteressante und bedeutungslose Nebenfiguren überladen den Film, sollen wohl zu greifbaren Punkten für den Zuschauer werden, wenn Churchill sich als zu sperrig erweist. Peinlich berührend ist hingegen jene Szene in der U-Bahn, in der Churchill mit dem „einfachen“ Volk in Kontakt tritt, welches ihm auch vorbildlich nach dem Mund redet. Von unangebrachtem Pathos durchtränkt ist diese Szene nicht nur sinnbildlich für ein fehlgeleitetes Verständnis von Demokratie, sondern auch für einen Film, den die Welt nicht braucht.
Sean Baker und sein Herz für (soziale) Außenseiter. Ein Weihnachtsfilm der etwas anderen Sorte, dafür sorgt allein die brodelnde Hitze auf den Straßen von Los Angeles. Der erste Kinofilm, der ausschließlich mit iPhones gedreht wurde. Eine Tatsache, die entgegen vieler Stimmen keine bloße Randnotiz sein sollte, sondern als essentielle Grundlage des Werkes fungiert. Weniger deswegen, weil das minimalistische Budget an sich beeindruckt, sondern vielmehr, weil die damit verbundene Ästhetik ausschlaggebend für die Wirkung des Films ist. Tangerine berichtet nicht bloß von seinem Milieu, er geht ganz und gar darin auf. Nichts wirkt aufgesetzt oder gar künstlich, Sean Bakers Authentizität ist seine größte Stärke. Dass die poppig grellen und von Farbe durchfluteten Bilder dabei an Instagramfilter erinnern, ist nur konsequent. Hektisch und schnell, vom Rhythmus einer Stadt getrieben, die nie schläft. Tangerine macht es seinen Zuschauern zu Beginn schwer. Eine Odyssee im transsexuellen Gewand, getrieben von Zuhältern und Drogen, Handjobs im Auto und gestohlenen Zigaretten. Die (sexuelle) Identität wird nicht verhandelt, sie ist den Figuren schlichtweg gegeben. Figuren, die man leicht verachten könnte. Figuren, die an den Nerven zerren. Figuren, denen Baker sich annimmt – und dadurch wird sein Mitgefühl schnell unser eigenes. Fulminant kulminieren die Ereignisse dort, wo sie auch angefangen haben. Im Donutladen um die Ecke, vorbei am Tresen der geplatzten Träume. Zunehmend tragischer lodert im Zentrum von Tangerine ein empathischer Kern, der entgegen jedem Rausch etwas zutiefst Emotionales, vielleicht sogar Sentimentales zum Ausdruck bringt. Letztlich vielleicht doch ein typischer Weihnachtsfilm, denn im Mittelpunkt steht die Familie. Nicht immer die natürliche, sondern gerne auch die selbstgewählte.
Ein netter Film. Boy meets Girl, das übliche also. Das Spezielle? Der Culture Clash Aspekt, welcher die Handlung zwar omnipräsent durchdringt, zu dessen Kern The Big Sick jedoch niemals durchdringt. Eine Kunst für sich, diesen Konflikt so zentral auszustellen und dennoch so gekonnt zu ignorieren, den ernsthaften Diskurs zu umschiffen. Die Chemie der beiden Protagonisten rettet den Film, denn es tut gut mal wieder zwei Menschen auf der Leinwand zu sehen, denen man ihre gemeinsamen Gefühle auch abkauft. Regisseur Michael Showalter negiert sich dabei selbst aus der Gleichung. Seine Inszenierung ist nicht nur unscheinbar, sondern schlichtweg nicht existent. Bezeichnend, dass sein Name in Reviews und Kritiken kaum erwähnt wird. Dennoch ist The Big Sick weitaus mehr als eine weitere 08/15 Rom-Com von der Stange. Denn er hat Witz und Charme, das Herz am rechten Fleck. Was fehlt ist Wagemut und Konflikt, es dominiert die bewusste Entscheidung stets den leichtesten Weg zu gehen. The Big Sick kommt ohne Wiederstand aus, selbst die einschneidende Dramatik fühlt sich wie ein laues Lüftchen an. Was bleibt sind dennoch diese kleinen Momente voller Wahrheit, oft nur einzelne Blicke, Gesten oder Wörter, die schlichtweg ehrlich erscheinen und dadurch unglaublich wirkungsvoll sind. Ein netter Film also. Eigentlich mag ich sie ja nicht, diese netten Filme. Aber dieser hier ist so nett, dass man ihn nicht nicht mögen kann.
Direkt zu Beginn verortet Xavier Dolan seinen Film in ein nicht allzu fernes Kanada, in dem ein neues Gesetz Eltern die Möglichkeit bietet, auffällige Kinder und Jugendliche ohne juristische Konsequenz in einer Anstalt unterzubringen. Was zunächst seltsam unpassend erscheint, schwebt fortan wie ein Damoklesschwert über dem Film. Doch zuvor stürzt sich Mommy ins Leben, atmet und schwitzt. Xavier Dolan inszeniert zum Rhythmus eines Herzschlags, nie kommt dabei ein Lächeln ohne Träne zustande. Die Grenze adoleszenter Sehnsüchte überschreitet er ebenso spielerisch, wie er gängige Erwartungen unterläuft. Mommy ist zu keinem Zeitpunkt ein einfacher Film, schlichtweg deshalb, weil er so unglaublich nah am Leben ist, dass es wehtut. Jeder Schrei, jeder Schluchzer und jeder Schlag schmerzt, während gleichzeitig die ungestüme Freude überwiegt, zu solch kraftvollen Emotionen fähig zu sein. Ebenso lohnend wie fordernd macht Dolan deutlich, dass das Leben ein Kampf ist. Drei Seelen, miteinander verbunden und dennoch einsam, wiedersetzen sich den Normen der Gesellschaft und verschwören sich gegen ein vorgefertigtes Rollensystem, in welches sie sich nicht einfügen wollen, nicht einfügen können. Leben, Lieben, Leiden. Ein komplexes Gebilde, in dem stets die Gleichzeitigkeit von Gefühlen dominiert. Und jener Moment, in dem Mommy sein beengtes Format sprengt, um seinen emotionalen Höhepunkt metaphorisch auf den Zuschauer zu übertragen, gehört ohnehin zu den eindringlichsten Augenblicken der jüngeren Filmgeschichte. So kraftvoll kann Kino sein.
Zwei Menschen werden durch Zufall (oder Schicksal) verbunden. Zwei Kollegen, die sich jede Nacht im Traum begegnen und dadurch ein zweites Leben miteinander teilen. Eine Routineuntersuchung bringt diese Erkenntnis ans Tageslicht, überführt das Fiktive in die Wirklichkeit. Beide arbeiten in einem ungarischen Schlachtbetrieb, er – physisch verletzt – und sie – psychisch verletzt – wollen jedoch so gar nicht zu diesem Umfeld passen. Es liegt ein Widerspruch in der Natürlichkeit, in der Zärtlichkeit ihres Traums und der sterilen Kälte ihres betrieblichen Umfelds – und es ist dieser Wiederspruch, der Körper und Seele über weite Strecken so reizvoll und ansprechend gestaltet. In ihrem Kopf sind sie verbunden, gehören zusammen, doch die Realität unterbindet diese Beziehung durch all ihre Konventionen und Hindernisse. Ungewöhnliche Menschen, die eine ungewöhnliche Liebesgeschichte verdient haben. Leider verliert Körper und Seele das Transzendente, das Traumwandlerische zusehends aus den Augen. Die wohltuend andersartige Prämisse entpuppt sich als bloßer Mechanismus, um zwei versehrte Menschen einander anzunähern. Im letzten Drittel wird die Seele gestrichen und zurück bleibt lediglich der Körper. Fleischliche Gelüste treten in den Vordergrund und immer stärker ergeht sich das Werk in plumpem Humor und vereinfachenden Klischees. Ein rein physisches Verlangen nimmt jenen Platz in Anspruch, welchen Ildikó Enyedi zuvor mit ihrem eigenen Stil gefüllt hat. Zurück bleibt etwas fast schon Spottendes, wenn die beiden einsamen Körper Erfüllung finden. Frei von Anziehung, frei von Lust – denn ihre Seelen gehen auf dem Weg dorthin verloren.
Das in majestätischem Rot erstrahlende Restaurant Le Hollandais wird für Peter Greenaway zur prunkvoll ausgestatteten Theaterbühne. Aufgetischt wird eine schwarze Komödie in sieben Akten, bei der die Speisen im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken bleiben. Zynisch, provokant und makaber. Dabei operiert Greenaway vor allem inszenatorisch mit einer bunten Palette an Stilmittel, allen voran die pompöse musikalische Untermalung und die gelungene Farbdramaturgie, die weit über die Grenze des Gewöhnlichen hinausreicht. Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber gleicht einem pervertierten Gemälde, einem Stillleben, welches nichtsdestotrotz vor Erregung pulsiert. Jeder kocht sein eigenes Süppchen, während nach und nach alle Töpfe brodelnd überlaufen. Als politische Abrechnung erdacht, funktioniert der Film dabei auch prächtig, ohne den Bezug zu realpolitischen Ereignissen zu suchen. Viel Interessanter ist es nämlich, Greenaways Werk allgemeiner zu deuten, als Kritik an einer zusehends entmenschlichten Gesellschaft. Auf dieser Ebene wird der Kampf zwischen Kunst und Konsum, zwischen Kultur und Kommerz ausgefochten. Mit einem erschreckenden Ausgang, denn auch wenn die Intellektuellen letztlich ihre Rache bekommen, so geschieht dies zum Preis ihrer eigenen Integrität und Menschlichkeit. Sie bedienen sich beim Handwerkszeug des Teufels, übertreffen sogar dessen Boshaftigkeit und erringen dadurch einen zynischen Sieg, den man nur bedingt als solchen verstehen darf.
Roy Anderson malt Gemälde aus Matsch. Seine Farbpalette als entsättigt zu bezeichnen, wäre reine Untertreibung. Die Tristesse beginnt bei der Gestaltung der Bilder und macht nicht eher halt, bis sie alle Elemente des Films vereinnahmt hat. Mit unnachgiebigem Eifer verschluckt sie Atmosphäre und Figuren, negiert Bewegung und taucht alle Szenen in einen diffusen Zustand, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Nichtsdestotrotz ist Das Jüngste Gewitter ein unglaublich komischer Film. Der absurde Humor gleicht mehr und mehr dem Grotesken und hat trotz seiner Skurrilität nur wenig mit dem typischen schwarzen Humor skandinavischer Filmemacher zu tun. In unzähligen, bisweilen unzusammenhängenden Totalen erzählt, gleicht der Film strukturell beinahe einer Sketchshow. Nach und nach werden Situationen aus dem alltäglichen Leben porträtiert und herrlich abstrus persifliert. So stehen die teils keine Minute dauernden Episoden oftmals in Wechselwirkung zueinander und offenbaren dadurch eine zweite oder dritte Ebene. Darauf muss man sich einlassen, denn auch wenn bestimmte Muster und Charaktere als eine Form von Running Gag wiederkehren, bleibt dem Zuschauer jedwede andere Art von Hilfestellung verweigert (allen voran eine klassische Erzählung, sprich Dramaturgie). Wirklich erstaunlich dabei ist, wie Roy Anderson seinen Figuren trotz aller Entfremdung etwas unglaublich Menschliches abgewinnen kann. Als wären die Statik und der Verfall, die Entschleunigung und Entsättigung notwendig, um wirklich zum tragikomischen Kern vorzudringen. So eigensinnig kombiniert auf jeden Fall kein zweiter Regisseur Tristesse und Komik.
Die zugrundeliegende Idee darf man guten Gewissens als schwachsinnig, zumindest aber als über die Maße konstruiert bezeichnen. Abstammend von einer alten, vormals wie Götter lebenden Rasse, werden die titelgebenden Katzenmenschen immer dann auf ihre tierische Gestalt als Raubkatze zurückgeworfen, wenn sie sich sexuell mit einem anderen Menschen vereinigen und erst dann wieder aus ihr befreit, wenn sie in ihrer bestialischen Form töten. Aus diesem Grund handelt es sich bei ihnen auch um eine inzestuöse Rasse, denn lediglich der Geschlechtsverkehr untereinander befreit sie von diesem qualvollen und gefährlichen Zyklus. Das mag billig klingen, wirkt im Kontext des Films aber überraschend stimmig und öffnet zudem einige interessante Blickwinkel und Möglichkeit. Paul Schrader lädt seinen Film daher von Beginn an nicht nur mit sexuellen, sondern auch mit mystischen Spannungen auf und so pendelt sich Katzenmenschen alsbald zwischen Erotikthriller, Bodyhorror und Charakterdrama ein. Dem Vorwurf der Frauenfeindlichkeit kann sich der Film dabei nie komplett entziehen. Zwar gestaltet sich diese nie als dominierendes Element, gerade eine Szene zu Beginn ist jedoch exemplarisch für schleichende Omnipräsenz. Wenn der BH einer Prostituierten wie von Geisterhand aufspringt und den Anblick auf ein Paar wohlgeformter Brüste freigibt, wirkt das abseits jener zentralen erotischen Spannung schlichtweg unnötig und billig. Gerade für einen Film, der es sich selbst auf die Nase schreibt, weibliche Sexualität erforschen zu wollen. Regisseur Schrader sollte daher wohl lieber bei seinen Leisten bleiben, denn diesem überaus komplexen Themenfeld wird er nie wirklich gerecht. Abseits davon gelingt es ihm nämlich durchaus die einzelnen Versatzstücke in Einklang zueinander zu bringen. Die dramatischen Höhen und Tiefen bleiben glaubhaft, die Figuren vor allem in ihrer Dynamik überzeugend und die einzelnen Szenen sinnvoll strukturiert. Dadurch ist Katzenmenschen vielleicht etwas zahmer als es sein Name suggeriert, sehenswert ist er aber allemal.
[...] Bei Ein Hauch von Zen bleibt jene Gewaltigkeit und Epik, welche allein von der immensen Laufzeit suggeriert wird, keine bloße Behauptung, sondern erfüllt jede Minute des Klassikers mit Gewicht. Ehre, Verrat und Liebe sind zentrale Pfeiler der gewaltig angelegten Erzählung und obwohl es merklich um die bedeutenden Aspekte des menschlichen Daseins geht, ist King Hus Werk erfüllt von einer Poesie und Leichtigkeit, die es in diesem Ausmaß nur selten zu bestaunen gibt. Mühelos fügen sich auch die beeindruckenden Kampfsequenzen in das fließende Gesamtbild ein und fühlen sich entgegen jedweder Bedächtigkeit des Films immer überaus natürlich an. Erstaunlich ist dabei auch, wie trotz der ausufernden Struktur alle essentielle Themen gekonnt verdichtet werden und zwischen formvollendeten Bildern ein Diskurs über die Schönheit des Lebens angestoßen wird. So findet letztlich alles sein Gegenstück. Wo zunächst noch Schatten war, herrscht nun das Licht. Seinen übergeordneten Kontext findet der aufwendig ausgestattete Historienfilm in seiner Verankerung im Zen-Buddhismus. Für sich genommen teils trivial erscheinende Handlungselemente formen sich dadurch nach und nach zu einer Meditation über den Ursprung und die Sinnhaftigkeit von Gewalt. [...]
Der einzige Film, den es in gelb und blau gibt, ertönt es zu Beginn von Ich bin neugierig (blau). Auch wenn diese Aussage faktisch kaum korrekt ist, so steckt darin doch ein Quäntchen Wahrheit. Zwar sind die beiden Werke des Doppelfilmprojekts Ich bin neugierig weder wirklich gelb oder blau (sondern grobkörnig schwarz-weiß), noch handelt es sich dabei um den gleichen Film, wie es die Aussage durchaus suggeriert. Nichtsdestotrotz könnte jede Szene aus einem der beiden Werke auch problemlos im jeweils anderen vorkommen. Ob das Projekt nun von Anfang an als zwei Filme geplant oder ob es sich bei diesem zweiten Teil lediglich um Bildmaterial handelt, dass es nicht in den ersten Film geschafft hat, sei dahingestellt. Auf jeden Fall zeigt Regisseur Sjöman mehr von dem, was wir bereits kennen. Ob das zeitlich nun zuvor, währenddessen oder danach spielt, wird nie wirklich klar, weil auch Ich bin neugierig (blau) keine Struktur, kein Narrativ hat, an das man sich klammern könnte. So gesehen könnte man beide Werke auch als einen knapp vierstündigen Film betrachten, der sich ununterbrochen in Tabubrüchen, leidenschaftlichen Sexszenen und liberalem Gedankengut entgegen jedweder Ordnung ergeht. Welche Szene nun welchem Einzelfilm zuzuschreiben ist, lässt sich im Nachhinein kaum mehr bestimmten. Es besteht also durchaus ein Kunststück darin, zwei dermaßen ähnliche Filme zu inszenieren, die dennoch aus komplett unterschiedlichen Szenen bestehen. Das wäre jedoch großzügiger, als es dieser Film verdient, denn im Grunde liefert er nur mehr von dem, was sein Vorgänger bereits in ermüdender Redundanz für die Nachwelt konserviert hat.
[...] 1967 entstanden ist Ich bin neugierig (gelb) stark am damaligen Zeitgeist interessiert und versucht seine Klauen tief in das Fleisch eines gedanklich gespaltenen Europas zu schlagen. Sjöman steht dabei klar auf Seite der jungen Wilden, pocht auf (sexuelle) Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung. Sein Film ist daher auch bewusst provozierend und penibel darauf bedacht, überall anzuecken. Die Fülle an Gedanken, zum Teil nur sprunghaft und marginal aufgegriffen, ist dabei immens, verpufft jedoch zusehends aufgrund der filmischen Redundanz. Ich bin neugierig (gelb) ist dermaßen vollgestopft mit Ideen und Ansätzen, dass deren Wirkung in der Menge schlichtweg verloren geht. So kann man sich dem Strom dieser Einfälle zwar durchaus hingeben, hängenbleiben tut dabei jedoch so gut wie nichts. So bleiben viele Aspekte des Films reine Behauptung, frei im Raum stehend, ohne wirklich zur Geltung zu kommen. Gerade bei zunehmender Laufzeit wirkt die Kontroverse immer erzwungener, ein bloßes Mittel zum Zweck. Gerade dann hat der Film wenig mit dem liberalen Gedankengut zu tun, welches er vorgibt zu sein, sondern wirkt seltsam kalkulierend und gezwungen andersartig. Nichtsdestotrotz versprüht Ich bin neugierig (gelb) einen unverkennbaren Reiz, der sich zwar stellenweise mit der Trägheit des Films beißt (schließlich kommen die knapp zwei Stunden beinahe gänzlich ohne ein Narrativ aus), aber dermaßen üppig aus der Fülle aufsässigen Gedankenguts schöpft, dass man zwar keinesfalls mit einem unterhaltsamen, dafür jedoch mit einem interessanten und diskussionswürdigen Werk belohnt wird. [...]
Familienurlaub in fünf Akten. Ein luxuriöses Skiresort in den französischen Alpen, eine glückliche Familie – für einen Moment schwelgt Ruben Östlund im zarten Ferienidylle, eher eine nicht ganz so kontrollierte Lawine alles zum Einsturz bringt. Penetrante Streicher geben es voraus, denn während die echten Schneemassen unbeteiligt vorbeigleiten, ist es die Lawine im Inneren, die alle Beteiligten in einen Abgrund reißt. Einmal ins Rollen geraten, gibt es kein Halten mehr. Im entscheidenden Moment hat sich Tomas, bis dato liebender Ehemann und Vater, gegen seine Familie entschieden, sein Handy gepackt und sich selbst in Sicherheit gebracht. Eine Spontanreaktion, die getrieben von Panik und Angst dennoch am Selbstverständnis der Familie nagt. Zunächst rein innerlich, bahnen sich die Gefühle nach und nach einen Weg an die Oberfläche. Interessant ist dabei, wie sich Regisseur Östlund kaum für das Ereignis selbst interessiert, sondern unglaublich treffend deren Folgen untersucht. Da ist Tomas, der seine Reaktion am liebsten verdrängen will, innerlich jedoch von seinen eigenen Erwartungen an sich selbst, der Diskrepanz zu seiner Rolle als Alphatier, Beschützer und Familienoberhaupt, aufgefressen wird. Da sind seine beiden Kinder, die eine Scheidung befürchtend nur noch mehr Öl ins Feuer gießen. Und da ist natürlich seine Frau, Vera, deren Gefühlswelt ebenso viel Platz eingeräumt wird, wie der von Tomas. Enttäuschung paart sich mit Zweifel, alles wird in Frage gestellt. Daraus resultieren schmerzhafte Dialoge, vielmehr Streitgespräche, die so nur schwer zu ertragen sind. Höhere Gewalt macht deutlich, dass Geschlechterrollen und spezifische Beziehungsverhältnisse gedanklich fester verankert sind, als es heutzutage für viele den Anschein erweckt. Gepaart mit einem herrlich trockenen, bisweilen auch skurrilen Humor, findet Höhere Gewalt immer wieder zu erschlagenden Momenten voll von beobachtender Präzision. Entscheidend ist dabei, dass Ruben Östlund seine Hauptfigur Tomas trotz allem Zynismus nie offen verachtet, sondern immerzu mitfühlend in den Arm nimmt, nachdem er diesem abermals mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen hat. Dem männlichen Ego schenkt er deswegen auch ein Ende, welches die altbewährte Familienkonstruktion wiederherstellt – auch wenn die Szene selbst mit beißendem Spott überzogen ist.
Ein ehrlicher Blick hinter die Fassade oder doch nur narzisstische Selbstdarstellung? Jim & Andy: The Great Beyond liefert keine eindeutigen Antworten auf die Frage nach dem Geisteszustand von Jim Carrey und schafft es vor allem deshalb nicht zur uninteressanten Nabelschau zu verkommen. Aufhänger ist dabei jede Menge Archivmaterial zu den Dreharbeiten von Milos Formans Der Mondmann, an dessen Set Jim Carrey selbst zum Anarchokomiker Andy Kaufman wurde. Ein Einblick in die Untiefen des Method Actings, der dabei stets die Frage offenlässt, inwiefern die Erfahrung für Carrey wirklich existentialistisch oder doch nur ein riesiger Spaß war. Thesen stellt die Dokumentation dabei jede Menge auf und suggeriert dadurch oftmals tiefsinniger zu sein, als sie es wirklich ist. Gemessen am Film selbst, ist Chris Smiths eher klassisch eingefangener Bericht über weite Strecken durchaus unterhaltsam und gerade gegen Ende auch immer nachdenklicher. Denn wirklich großartig wird Jim & Andy: The Great Beyond immer dann, wenn der Film das Set von Der Mondmann verlässt, eingehend über den gegenwärtigen Geisteszustand von Carrey sinniert und dessen eigensinnige Darstellung als selbsttherapeutische Maßnahme begreift. Die abseits davon gelieferten Archivaufnahmen erlauben einen interessanten Einblick in die teils groteske Züge annehmende Technik des Method Actings, sind ungeachtet ihres Unterhaltungswerts aber kaum der Rede wert.
Die Apokalypse als Gewissheit. Lars von Trier beginnt mit Zeitlupenaufnahmen eines hereinbrechenden Unglücks und bereitet so alles für seinen ganz persönlichen Weltuntergang vor. Dafür bedient er sich einer relativ eindeutigen Zweiteilung. Der erste Akt gleicht zunächst einer sozialen Versuchsanordnung und versammelt dazu allerhand Figuren zu einer opulenten Hochzeit in einem märchenhaften Schloss. Schon dort lauert die Gefahr als Stern am Himmel. Justine, von Kirsten Dunst nuanciert verkörpert, scheint zunächst überglücklich, doch ihre Schwester Claire (nicht minder präzise: Charlotte Gainsbourg) ahnt bereits, dass die Freude der Braut nicht von Dauer ist. Nach und nach gleitet die Feierlichkeit allen Beteiligten aus der Hand und immer wieder kommt es zu bitterbösen Momenten, die an Vinterbergs Meisterstück Das Fest erinnern. All das gipfelt in Justines wiederkehrender Depression, die den deutlich ruhigeren zweiten Akt wie ein schwarzes Loch zu dominieren scheint. Spätestens dort weicht der gallige Humor einem Zustand lähmenden Unwohlseins. Freilich ist Melancholia auch schon zu Beginn keine lebensbejahende Wohlfühlkomödie, verglichen mit von Triers Vorgänger Antichrist jedoch durchaus ein „schöner“ Film. Wo dort noch Chaos herrschte, findet hier alles seine Ordnung. Während Antichrist direkt aus dem Schmerz und der Depression seines Machers geformt wurde und der Film diese Emotionen in jeder Einstellung zum Ausdruck brachte, gleicht Melancholia einer distanzierteren Therapie. Nichtsdestotrotz gipfelt auch dieser immer wieder in niederschmetternden Momenten, die dank der elektrisierenden Atmosphäre eindringlich mit dem Zuschauer resonieren. Denn letztlich führt auch in Melancholia alles nur zu endgültigen Schlusspunkten. Davor gilt es jedoch ein letztes Mal in der Schönheit des Moments zu verweilen, bevor alles vorbei ist.
125 Künstler. 14 Monate Arbeitszeit. 57600 einzelne Ölgemälde. So zumindest lauten die harten Fakten, die einer Besprechung von Loving Vincent wohl fast zwangsweise zugrunde liegen müssen. An sich schier unglaubliche Werte, die dem künstlerischen Endergebnis dennoch kaum gerecht werden. Die hohle Phrase mehr als die Summe seiner Einzelteile zu sein, trifft bei diesem Werk tatsächlich zu. Denn es nicht nur der Aufwand und die Hingabe, sondern vor allem die virtuose Schönheit und Magie, welche von den faszinierenden Bildern ausgeht. Erwachen diese erst einmal zum Leben, gilt es sich in den von Vincent Van Gogh erdachten Bildwelten zu verlieren. Welche Gespräche wurden wohl im Nachtcafé geführt? Was verrät Dr. Gachets melancholischer Blick? All das sind Bilder, die für die große Leinwand gemacht sind. Bilder, die einen ganz und gar in ihren Bann schlagen. Die inhaltlich mäßig fesselnde Kriminalgeschichte fungiert als herrlicher Kniff den typischen Erzählstrukturen einer Filmbiografie aus dem Weg zu gehen und Van Gogh stattdessen aus den Erzählungen alter Weggefährten auferstehen zu lassen. Rekonstruiert anhand zahlreicher Briefe und eingebettet in die eigens von ihm erschaffenen Welten geht es dabei vor allem um die mysteriösen Umstände seines Todes. Freilich wird das Genie Van Goghs hier wenig analysiert, seine Kunst nicht diskutiert oder in genauerer Betrachtung seziert. Loving Vincent ist vielmehr ein visueller Museumsgang und leistet etwas weitaus Essentielleres, nämlich die Begeisterung für Van Gogh und vor allem dessen Kunstwerke aufrechtzuerhalten. Hätte Pixar die Oscars nicht ohnehin auf sich gepachtet, so hätten wir hier unseren diesjährigen Gewinner.
[...] Im positiven Sinne, denn wie schon seine beiden Vorgänger, ist auch Wind River handwerklich formidables Thrillerkino. Wenn eine Handvoll Waffen aus nächster Nähe abgefeuert, ihre Besitzer chaotisch durch die Menge preschen oder blutend im Schnee zusammensacken, dann sitzt dabei jede Einstellung, jeder Schnitt. Gleichförmigkeit in Perfektion, ein Gespür für Dynamik und Anspannung, welches auch schon Denis Villeneuve und David Mackenzie mit der selben Durchschlagskraft zur Vollendung brachten. Den Atem anhalten, am Sitz festkrallen, die Fingernägel malträtieren und schlussendlich doch wieder ausatmen. Immer wieder von vorn. Immer wieder das Gleiche. Dahinter nur Leere, denn was fehlt ist Charakter, Substanz hinter den auf Hochglanz polierten Spannungsmomenten. Problempunkte, die im Kino Sheridans wohl keine Neuheiten mehr sind. Während Puls und Adrenalin ansteigen, werden Charakterzeichnung und Subtext schmerzlich vernachlässigt. Egal welches Gesicht (aufstrebender) Hollywoodstars man diesen leeren Hüllen verpasst, als greifbare Charaktere versagen sie vollends. Reduziert auf ihre Wirkung sind sie reine Funktionsträger, frei von Zwischentönen, frei von Widersprüchen…genau das, was man von ihnen erwartet und wofür sie auch gebraucht werden. Das mag so durchaus funktionieren, punktuell mitreißen und als geradliniger Genrefilm überzeugen. Die Frage, die sich dabei stellt, lautet jedoch, wie lange? Und zu welchem Zweck? Wo liegt der Reiz, wenn jeder Nachhall schon beim letzten Schuss verflogen ist? Wahrscheinlich im Moment, in der reinen Seherfahrung…eben dort, wo das Werk zu seiner Stärke findet. [...]
[...] Der unbedarfte Zuschauer könnte Glück aus dem Blickwinkel des Mannes beinahe mit einer Utopie verwechseln. Schließlich erstrahlt der Film durchgehend in hellen, fröhlichen Farben. Varda kreiert ein ums andere Mal Momente, die so auch als pastellfarbene Gemälde in einer Galerie hängen könnten. Freunde, die gemeinsam lachen. Kinder, die im Schatten eines großen Baumes dösen. Liebende, die sich zärtliche Küsse aufdrücken. Auch François (unbekümmert strahlend: Jean-Claude Drouot) und seine Ehefrau Thérèse (sentimental ergeben: Claire Drouot) leben mit ihren beiden Kindern ein einfaches, aber augenscheinlich glückliches Leben. Als er die impulsive Emilie (Marie-France Boyer) kennenlernt, kommt es zu einem Widerspruch, der für François keiner zu sein scheint. Gleichsam liebt er beide Frauen und so kommt es zu einem Liebesdreieck der etwas anderen Art. [...] Als es dann letztlich doch zum einschneidenden Ereignis kommt, bleibt die Welt nur für den Bruchteil einer Sekunde stehen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird klar, dass Vardas angedeutetes Konzept von männlichem Glück die reinste Farce ist. Eine kritische Überspitzung, eine zwanghafte Umkehr ins Positive. Dieser Ansatz resoniert vor allem deshalb so gut mit dem Zuschauer, weil Varda alle anderen Elemente der filmischen Gestaltung unterordnet. Gefühle, Eindrücke und Stimmungen vermittelt sie primär auf formaler Ebene, während beispielsweise die Dialoge stets wie naive Plaudereien anmuten. So sind es nicht nur die immer wieder eingestreuten Bildschnipsel, die einen Bruch suggerieren, sondern vor allem die farblich kontrastierten Übergänge, die in rot, blau und weiß (zufällig oder auch ganz bewusst die Nationalfarben Frankreichs) jeweils für die drei ausschlaggebenden Figuren der Ménage-à-trois stehen. Das Schöne daran ist, dass man diesen Umstand nicht bewusst wahrnehmen muss, sondern ganz direkt in der von Agnes Varda so plastisch entworfenen Welt fühlen kann. [...]
[...] Paolo Sorrentino erzählt diese Sinnsuche auf die einzig mögliche Art und Weiße. Er greift sich Momente und bläst diese zu Ewigkeiten auf. Als vagen Gedankenstrom verknüpft, wechselt er unzusammenhängend zwischen einzelnen Szenen, verwebt Traum und Wirklichkeit, Realität und Einbildung. In seinem gänzlich eigenen Tempo erzeugt La Grande Bellezza schnell einen genüsslichen Sog, der beinahe schwerelos durch die üppige Laufzeit des Films trägt. Der herrlich anachronistische Soundtrack verwebt Klassik mit Pop, Zeitloses mit Zeitgeschichte und findet in diesem Widerspruch seine ganz eigene Schönheit. Ebenso wie die kräftigen Bilder, welche den oftmals opulenten Glanz der ewigen Stadt in eindrucksvollen Farben einfangen. Die verwinkelten Gassen, romantischen Gärten, hermetischen Hinterhöfe und imposanten Bauten erscheinen dabei so plastisch als würde man selbst durch die Straßen der Metropole streifen. [...] Die traumhaften Bilder bringen indes jene Oberflächlichkeit auf den Punkt, die Sorrentino auf der Inhaltsebene kritisiert. Doch ebenso, wie sich diese Bilder nicht auf ihre polierte Fassade reduzieren lassen, wäre es auch zu einfach, die dekadente Gesellschaft leichtfertig zu verdammen. Sorrentino ist sich der zwiespältigen Natur der Angelegenheit bewusst und bewegt sich deswegen vornehmlich in einem Spannungsfeld aus gesunder Neugier, verführerischer Anziehung und begründetem Zweifel. Indem er nicht schlichtweg verurteilt, sondern auch die Verlockung und Faszination eines solchen Lebens spürbar macht, beweist er seine Klasse. Seine Botschaft ist einfach und doch bezaubernd. Wahre Schönheit gibt es überall, es liegt im Auge des Betrachters, ob man diese erkennen oder sich ihr verschließen mag. [...]
[...] Sind die Figuren erst einmal etabliert, nimmt Jumanji auch zusehends Fahrt auf und stürzt sich temporeich von Actionszene zu Actionszene. Trotz mäßiger CGI-Effekte und schleppender Inszenierung stimmt dabei vor allem die Dynamik zwischen den Figuren. Von der eigentlichen Botschaft über Zusammenhalt und familiäre Werte weicht Regisseur Johnston nie ab und nach alter Hollywoodmanier rollt der Abspann erst dann über den Bildschirm, wenn alle Wogen geglättet und alle Familien wieder glücklich vereint sind. Das mag naiv anmuten, passt innerhalb des mittlerweile wohl vornehmlich aus nostalgischen Gründen funktionierenden Narrativs aber doch herrlich in den altbackenen Stil des Films. [...]
“You don't know the real me.” – “There isn't a real you.”
Auch wenn Der Mondmann auf recht klassische Art den typischen Mechanismen filmbiografischen Erzählens nachstellt, gelingt es ihm aufgrund seiner anarchischen Hauptfigur von Beginn an für Brüche zu sorgen. Bereits im Vorspann wird das deutlich und auch wenn im weiteren Verlauf gewissenhaft prägende Erlebnisse und entscheidende Lebensabschnitte abgeklappert werden, bleibt dazwischen immer ausreichend Platz für Kaufman selbst. Milos Forman scheut sich nicht davor, wieder und wieder minutenlang dessen Auftritte zu zeigen. Denn der echte Kaufman ist eben genau das, seine Erscheinung auf der Bühne und nicht seine Gestalt abseits davon. Jim Carrey geht indes vollends in seiner Rolle auf und schafft es der vordergründig klamaukigen Figur zu wahrer Tragik zu verhelfen. Sachte entblättert er Schicht um Schicht und immer wenn man meint, den wahren Kaufman endlich vor sich zu haben, entpuppt sich dieses Abbild doch nur als Rolle, als Farce. So ist Der Mondmann vor allem die Geschichte eines Mannes, der zwischen seinen Alter Egos selbst gänzlich verschwindet. Eine Psychologisierung der Figur bleibt dabei aus, kann erst gar nicht stattfinden, weil Kaufman keine Freistellen lässt, an denen man den Hebel ansetzen könnte. Das ist gleichzeitig eine Schwäche wie auch die größte Stärke des Films.
[...] Aus den konservativen Verhältnissen ihres Elternhauses entrissen, durchläuft sie zunächst eine bekannte Coming-of-Age Geschichte, nur um die typischen Grenzen dieses Prozesses alsbald hinter sich zurückzulassen. Ihre eher einseitige Liebesbeziehung zu einer anderen Studentin nutzt Trier nicht etwa als aufdringlichen Kommentar zu gleichgeschlechtlicher Liebe, sondern begreift diesen Umstand vielmehr als Natürlichkeit, die nicht extra hervorgehoben werden muss. Thelma verliebt sich nicht etwa deswegen in eine Frau, weil sie explizit am gleichen Geschlecht interessiert ist, sondern vielmehr, weil das Objekt ihrer Begierde das erste menschliche Wesen ist, welches ihr Aufmerksamkeit und Sympathie entgegenbringt. Dem oftmals furchtbar müßigen Diskurs ist Trier dadurch mehr als einen Schritt voraus. Indem er die Differenzierung der Geschlechter als unnötig darstellt, anstatt sich in bekannten Stereotypen zu wälzen, beweist er eine liberale Perspektive auf die Situation. In audiovisueller Perfektion kommt es im Laufe von Thelma immer wieder zu großartigen Momenten, die gerade gegen Ende immer stärker ins Surreale abdriften. Mit beklemmender Atmosphäre berichtet Trier von der nagenden Ungewissheit und Verwirrtheit der titelgebenden Protagonistin. Weder von ihrem Umfeld, noch von sich selbst verstanden, sucht sie nach Normalität und Geborgenheit, doch stößt nur auf Unbehagen und Misstrauen. Selbst ihre eigene Familie versteht sie nicht, versucht ihre Natur zu unterdrücken anstatt Kontrolle und Akzeptanz zu stiften. Vieles ist hierbei symbolisch, verdeutlicht das Triebhafte und Unterbewusste. Besonders imposant ist daher auch das Ende, wenn Thelma sich von ihren Fesseln befreit und endlich den Schritt zur Selbstbestimmung wagt. In diesen Momenten ist der Film ganz bei sich, als Genrefilm verpacktes, tiefenpsychologisiertes Coming-of-Age Kino am Puls der Zeit. [...]
Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass die Macht dank J.J. Abrams abermals erwachte. Die Erwartungen waren gigantisch und dementsprechend gespalten auch die Meinungen. Während die inhaltliche Nähe zum ersten Teil der Saga von vielen als nostalgisch liebevoller Rückbezug gesehen wurde, vermissten andere dabei erzählerischen Wagemut und eigene Ideen. So oder so war jedoch klar, dass die neue Trilogie mit ihrem Mittelstück für frische Akzente wird sorgen müssen, um die langerwartete Fortsetzung nicht zum aufpolierten Best-of verkommen zu lassen. Durchaus keine geringe Bürde, die in den letzten zwei Jahren auf den Schultern von Rian Johnson gelastet hat. Befürchtungen, die sich spätestens nach der ersten Stunde des Kinobesuchs als unbegründet herausstellen. The Last Jedi ist großartig, zumindest stellenweise. Im Umkehrschluss ist er leider ebenso schrecklich, stellenweise versteht sich. Diese Unausgewogenheit ist sein größtes Problem, und damit Spoiler voraus. Das liegt keinesfalls an Rian Johnson, dem Regisseur. Zweifelsohne ist The Last Jedi der bildgewaltigste Teil der Reihe und wenn gegen Ende endlich die bis dato furchtbar ausgefransten Handlungsstränge zusammenlaufen, dann gipfelt das in einem ebenso epischen wie emotional mitreißenden Finale, das beinahe alle vorausgegangenen Fehler vergessen macht. Fehler begangen von Rian Johnson, dem Drehbuchautor. Der oftmals angesprochene Humor ist dabei kaum das Problem. Schließlich hat sich Star Wars selbst nie bierernst genommen (Han Solo beispielsweise war nie um einen Oneliner verlegen). Problem ist vielmehr das gespaltene Narrativ, denn während sich der Handlungsstrang um Rey, Luke und Kylo Ren zu ungeahnten Höhen aufschwingt, erzählerischen Wagemut beweist und durchaus mit einigen Blockbusterkonventionen bricht, verkommt der Rest leider zum reinen Füllmaterial. Gelegentliche Höhepunkte täuschen nicht darüber hinweg, dass gerade Fins Abenteuer auf einem merkwürdigen Casinoplaneten wohl direkt den Dreharbeiten von Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind entsprungen ist. In letzter Konsequenz macht das den Film leider viel zu lang, träge und unausgegoren. Dennoch sollte man ihn gesehen haben, nicht etwa um mitreden zu können, sondern schlichtweg, weil er in seinen besten Momenten genau das ist, was man sich von einem Star Wars im Jahr 2018 erwartet. Und sympathisch ist Rian Johnsons Version des Sternenkriegs allemal. Sympathisch, weil er allen Fantheoretikern einen dicken Mittelfinger ins Gesicht streckt (Reys Eltern, Wer ist Snoke, etc..). Sympathisch, weil er an manchen Stellen tatsächlich überraschende Wege einschlägt (Hand aufs Herz: Wann hat denn ein Blockbuster zuletzt noch überrascht?). Sympathisch, weil er Risiken eingeht, sich traut auch eingesessenen Fans auf die Füße zu treten. Doch leider ist sympathisch eben nicht gut genug…