Vitellone - Kommentare

Alle Kommentare von Vitellone

  • 7

    [...] Obgleich Die schrecklichen Kinder durch seine gelegentlich einsetzende Voice-Over Narration explizit vom Innenleben der Geschwister berichtet, bleibt vieles nur spärlich beleuchtet und lässt so Raum für eigene Deutungen. Melville ist es keinesfalls daran gelegen, ihr Verhalten über die Maße zu psychologisieren. Stattdessen speist er einen Großteil der eindringlichen Wirkung aus dem gleichen Gefühl von Unverständnis und Faszination, welches auch alle Figuren im direkten Umfeld von Paul und Elisabeth befällt. Angefangen bei kuriosen Spielen, heftigen Gefühlsschwankungen und verqueren Ansichten steigert sich deren Verhalten zu selbstzweckhaftem Diebstahl und sogar eine inzestuöse Beziehung wird als Option angedeutet. Zwischen stolzem Kleinbürgertum und ungerechtfertigter Dekadenz stoßen die beiden jedoch immer wieder an die Grenzen ihres selbstgewählten Lebensentwurfs. Bei zunehmender Laufzeit wird deutlich, dass die titelgebenden Kinder keinesfalls so schrecklich sind, wie es der selbige suggeriert. Ihr rebellisches Verhalten, die andauernde Provokation und jegliche Form von Böswilligkeit ist letztlich nur ein stummer Schrei nach Liebe. Bereits in jungen Jahren vernachlässigt, weitestgehend auf sich selbst gestellt und in ebenso destruktiver wie essentieller Wechselwirkung zueinander, haben Paul und Elisabeth schon in ihrer Kindheit eine krankhafte Persönlichkeit entwickelt. Die schrecklichen Kinder ist ein poetisches Abbild der psychologischen Folgen von elterliche Vernachlässigung und fehlender Hingabe. Sensibel erdacht von Cocteau und zunehmend radikaler auf die Leinwand gebannt von Melville, kulminieren zwei divergente Ansätze zu einem beinahe rauschhaften Abbild (zwischen)menschlichen Verhaltens. [...]

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    • 6

      [...] Mit voice-over Narration und ruhigen schwarz-weiß Bildern versucht er indes die Vorlage möglichst getreu einzufangen. Ein Unterfangen, welches ihm zwar gelingt, ihn im Umkehrschluss jedoch auch sklavisch an bestimmte Strukturen bindet, die nicht im Wesen des Mediums verankert sind. Gerade der zu Beginn aufkeimende Ansatz verflüchtigt sich zusehends, muss einer statischen Flut an Monologen weichen, in denen nur wenig Gebrauch von filmischen Mittel genommen wird. Es ist der Vorlage, den feinen Nuancen dieser Monologe, zu verdanken, dass Das Schweiges des Meeres trotzdem ein gelungener Film geworden ist. In stillem Rebellentum huldigt er dem französischen Widerstand, schafft es aber gleichsam das deutsche Militär als emotional greifbare Entitäten abzubilden. Das Schweigen des Meeres macht Hoffnung, wenn auch nur in Form eines leise genuschelten Adieus. [...]

      9
      • 6

        [...] Da überrascht es auch nicht sonderlich, dass die endgültige Auflösung des Falls gegen Ende in den Hintergrund rückt und in erster Linie als Katalysator im Konflikt der beiden Protagonisten fungiert. Auch wenn der Film sein bis dahin sehr zielstrebiges Narrativ dadurch verrät, ist jener Bruch doch der einzige Moment des Films, in dem Emotion und Tragik wirklich greifbar wird. Was zuvor noch sehr ruhig vonstattenging, wirkt nun beinahe überhastet. Und auch wenn die grobkörnigen schwarz-weiß Bilder einen Hauch zu klassisch eingefangen wurden, so lockert immerhin der amüsante Wortwitz die Stimmung gelegentlich auf. Gerade der Unterschied zwischen Französisch, Englisch und vereinzelt auch anderen Sprachen sorgt für amüsante Momente. Letztlich ist Zwei Männer in Manhattan wohl keinesfalls ein herausstechender Beitrag in Melvilles Vita, vereinzelt lassen Szenen jedoch auf sein Genie schließen. [...]

        6
        • 5

          [...] Durchweg an der Tradition des Melodrams orientiert, vermag es Und keine blieb verschont dennoch nie auch nur annähernd Wogen von Mitgefühl oder Dramatik zu erzeugen. Die oftmals überzogenen Emotionen des Genres fallen beinahe gänzlich unter den Tisch, was nicht zuletzt den flachen Figuren und ihren konstruierten Beziehungen geschuldet ist. Entgegen seiner routinierten Inszenierung, beweist Melville bei näheren Hinsehen, dass er sich weder sonderlich für die Gattung des Films interessiert, noch ihre zugrundeliegenden Dynamiken und Regeln verinnerlicht hat. Zäh und langatmig bindet kaum etwas an die Handlung, die durchaus ernsten Konsequenzen und Wendungen verlaufen sich im emotionalen Niemandsland. Final ist Und keine blieb verschont wohl kaum der Rede wert, reichlich banal und wäre wohl auch längt in den Untiefen vergessener Filme verschwunden, würde Melville nicht für ihn verantwortlich zeichnen. [...]

          6
          • 5

            [...] Im Kontext von Michael Haneke (Liebe) wird oftmals von emotionaler Vergletscherung gesprochen, ein Begriff der auch zu Andrey Zvyagintsev wunderbar passen würde. Zwangsläufig bringt Loveless durch seine unterkühlte Bildsprache ein Gefühl von Kälte, Stagnation und Hilflosigkeit zum Ausdruck, der humanistische Kern eines Hanekes geht dem Film jedoch gänzlich ab. Das pessimistische Weltbild des Regisseurs zeigt eine Gesellschaft, die jegliche Form von Liebe und Zuneigung vergessen hat – die realitätsnahe Inszenierung legt nahe, dass es sich dabei um die unsere handeln muss. Für seine Bewohner hat Andrey Zvyagintsev jedoch nur puren Menschenhass über. Jede Regung, jeder Hauch von Mitgefühl, Hoffnung und Liebe bleibt aus. Loveless ist das Werk eines Mannes, der selbst jegliches Vertrauen verloren hat. [...]

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            • 6

              [...] Bis Malastrana jedoch mit einem fulminanten Ende auftrumpfen kann, in dem angsterfüllte Paranoia und überzogener Okkult zu einem bitterbösen Abschluss kulminieren, gilt es die ein oder andere Länge zu ertragen. Obgleich Lados Werk durchweg stimmungsvoll ist, wissen die oftmals ins Leere verlaufenden Szenen nur bedingt für Dynamik und Anspannung zu sorgen. Vor den allgegenwärtig kalten Bildern eines eindrucksvollen Prags, wird der Erinnerungsprozess von Gregory zur retrospektiven Aufarbeitung eines Traumas. Dabei ist es nur konsequent, dass viele Fäden ins Leere verlaufen und auch nach dem Abspann am ehesten ein Gefühl der Verwirrung vorherrscht. Dem Narrativ und der Spannung tut das indes weitaus weniger gut und so überzeugt Malastrana zwar durchaus als Unikum innerhalb seines Genres, darf aber gleichsam auch nicht zur Speerspitze des selbigen gezählt werden. [...]

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              • Ihr traut euch aber was...wer nicht bei drei auf den Bäumen ist, wird wohl vom wütenden Mob der Nolan-Fans zertrampelt.

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                • 5

                  [...] Zweifelsohne verdient Im Kreuzfeuer auch heute noch Beachtung für seine couragierte Aufarbeitung von historisch bedingtem Rassenhass. Wie so oft existiert jedoch eine Schere zwischen Form und Inhalt, eine zweifelsohne auch durch die Jahre entstandene Divergenz zwischen Werten und der Art ihrer Vermittlung. So ist der Film von Edward Dmytryk vor allem im historischen Kontext sehenswert, schafft es aber im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen nicht, seine Wirkung auf die Gegenwart zu übertragen. Die Kraft von Im Kreuzfeuer bleibt abstrakt, erreicht niemals die greifbare Dichte, die notwendig wäre, um aus seinem Diskurs Kapital zu schlagen. Nichtsdestotrotz sticht das Werk von Dmytryk aus der Masse des Film Noirs heraus und lohnt dadurch gesehen zu werden. [...]

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                  • 7

                    [...] Mit seiner letzten Arbeit, Der Chef, kehrt der französische Regisseur ein letztes Mal in diesen von ihm so geliebten Kosmos zurück. Von Beginn an erstrahlt der Film in einem eisigen Blau und fängt ein nasskaltes Paris fernab jener Urlaubsromantik ein. Die verregneten Straßen, verrauchten Bars und sterilen Räume werden zum Sinnbild einer elegischen Welt und spiegeln dabei das Innenleben aller Beteiligten wieder. Mit Anzug, Mantel, Hut und Sonnenbrille verkörpern sie jene klassische Eleganz, die bei Melville zum filmischen Paradebeispiel von Coolness herangereift ist. Für echte Emotionen ist darin nur wenig Platz, und wenn, dann gilt es diese nicht offen zu zeigen. Letztlich ist jede Beziehung eben doch nur ein Wagnis, jeder Kontakt ein Risiko. Welchen Wert hat ein anderes Menschenleben? In der Welt von Melville ist dieser nur so hoch, wie er einem selbst nützen kann. [...] Das Werk ist ein Spiel gegen die Zeit, noch dazu mit doppeltem Boden und nichtsdestotrotz schweift Melville gelegentlich etwas ab. Neben langen Einstellungen arbeitet er vor allem mit interessanten Schnittfolgen, die Perspektiven verändern und den Zuschauer explizit in die Rolle bestimmter Figuren versetzen. Die wahre Tragik der Geschichte eröffnet sich früh für den Zuschauer, doch bleibt den leidtragenden Figuren lange ein Mysterium. Am Ende kulminieren die Ereignisse, Pistolen werden gezogen, auf andere und auch auf einen selbst gerichtet. Zurück bleibt Leere und ein schmerzlicher Blick in die Kamera. Das letzte Werk von Jean-Pierre Melville hat etwas Abschließendes, einen markanten Schlusspunkt, der eben nicht nur einen Film, sondern gleich eine komplette Filmografie zum Abschluss bringt. [...]

                    7
                    • 4
                      über Detroit

                      [...] Denn obgleich Kathryn Bigelows inszenatorisches Geschick unantastbar über dem Film schwebt, verpasst sie es aus dem mitreißend und dynamisch eingefangenen Geschehen einen lohnenswerten Diskurs zu formen. Detroit ist ein wütendes Stück Film, dem es vor allem an Zwischentönen mangelt. Das Werk denkt im wahrsten Sinne des Wortes nur schwarz und weiß, teilt alles in Gut und Böse, was in letzter Konsequenz nur noch mehr Hass schürt. Die detaillierte Nachzeichnung des historischen Konflikts nutzt Bigelow nicht etwa, um einen Bezug zur Gegenwart herzustellen, gängige Rassenklischees aufzubrechen oder ethnisch bedingte Gewalt zu hinterfragen, sondern lediglich um eine immersive Filmerfahrung zu bieten. Das mag vielen Zuschauern reichen, ist letztlich aber viel zu kurzsinnig gedacht, gerade weil Detroit den reflektierenden Umgang mit seiner Thematik meidet und den Betrachter stets in dessen Komfortzone verweilen lässt. [...]

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                      • 7
                        über Western

                        [...] Western ist ein Werk der Ambivalenz. Oftmals steht die Stimmung auf der Kippe, droht am Siedepunkt überzukochen, was erneut die Nähe zu seinem Genrevorbild unterstreicht. Grisebach hantiert zunächst mit Klischees, nur um diese nach und nach aufzubrechen. Die allgegenwärtige Sprachbarriere ist sowohl Fluch und Segen, Reibepunkt und Schutzmechanismus. In seinen stärksten Momenten transzendiert Western Sprache, macht deutlich, dass Emotionen, Verständnis und Kommunikation auch ohne sie möglich sind. Immer wieder kommt es dadurch zu ergreifenden Momenten, welche die darauffolgenden Konflikte nur noch dringlicher und bedrohlicher erscheinen lassen. Mittendrin Meinhard, ein Mann ohne Vergangenheit. Später erfahren wir, dass er seinen Bruder verloren hat – davon abgesehen hat er nichts, was ihn in Deutschland hält. Western ist vor allem seine Suche nach einer neuen Heimat, nach Geborgenheit, Zusammenhalt und Familiarität. Ungarn wird für ihn deswegen zeitweilen zum Paradies, doch die ersten Brüche werden alsbald sichtbar. Schnell muss er erkennen, dass er auch dort nur ein Außenseiter ist, immerzu zwischen den Stühlen sitzt. Am Ende tanzt er einfach weiter, er will es nicht wahrhaben. Uns befreit der Abspann vor tragischeren Konsequenzen, das Bild wird schwarz und auch für Meinhard wird es dort keine Zukunft geben. [...]

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                        • 6

                          [...] Oftmals überführt Mr. Long komödiantische Momente in ihr dramatisches Gegenteil oder löst bedrückende Szenen durch jäh aufkeimenden Humor auf. Das kann funktionieren, wirkt hier aber meistens zu plötzlich und direkt, was letztlich die angestrebte emotionale Wirkung eher hemmt als verstärkt. Problematisch ist dabei vor allem die Passivität des Protagonisten. Als typischer Killer der Marke schweigsam und cool driftet er gänzlich zufällig in sein Alltagsglück. Dass der Film diesen Umstand sogar in Dialogform ironisch kommentiert, macht den Umstand nicht erträglicher. So ganz will man ihm sein Familienidyll deshalb nie gönnen, weil er sich selbst schlichtweg von seinem neugewonnenen Umfeld in diese Rolle drängen lässt und erst spät eine emotional nachvollziehbare Reaktion auf diesen Zustand zeigt. Der als Katharsis angelegte Showdown bricht im Vergleich zur vorhergehenden Ruhe erstaunlich plötzlich herein und ist dann auch ebenso schnell wieder vorbei. Wie ein müder Abklatsch der bekannten Gangszene aus Oldboy metzelt sich Mr. Long durch eine regelrechte Horde an Gegnern und kommt dabei nicht einmal ins Schwitzen. Die zunächst angekündigte Konsequenz bleibt daraufhin aus und einmal mehr wird dem schweigsamen Killer ein allzu einfacher Ausweg aus seinem Metier geboten. In letzter Konsequenz mangelt es Mr. Long an Wagemut, denn immer wenn SABU mit vielversprechenden Ansätzen beginnt, lässt er diese doch nur in erwartungskonformen Mustern enden. Was bleibt ist eine angenehm zurückhaltende Bildsprache und damit verbunden eine überzeugende Atmosphäre. Um das beliebten Motiv eines aussteigenden Auftragsmörders wirklich aufzubrechen, fehlt es dem Werk jedoch schlichtweg an Prägnanz und Radikalität. [...]

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                          • 7

                            [...] Im Gegensatz zu vielen anderen Werken der Strömung, fallen die Kulissen überraschend nüchtern aus. Viel spielt sich in bürgerlichen Häusern und sterilen Innenräumen ab, welche zwar stimmungsvoll beleuchtet, aber nichtsdestotrotz erstaunlich bodenständig und wenig fantastisch sind. Umso plastischer ist dafür das Schauspiel von Conrad Veidt (Casablanca), der die perspektivische Verzerrung und den Selbstzweifel seiner Figur mit überzogenem Gestus zum Ausdruck bringt. So wandelt sich das stark charakterorientierte Narrativ auch immer wieder zum Drama, vernachlässigt Tempo und Schockwirkung, aber schafft dafür einen gelungenen Diskurs über den eigenen Kontrollverlust. Orlacs Hände ist damit weit weniger rund als es ein Abriss des Plots vermuten lässt, gerade in den zahlreichen Tempowechsel und dem sprunghaften Genreversatzstücken liegt jedoch ein ganz eigener Reiz, den es auch nach knapp 100 Jahren noch auf lohnende Art zu erkunden gilt. [...]

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                            • 7

                              [...] Zu Beginn des Films verbringt Marlowe geschlagene zehn Minuten mit dem Versuch seine Katze zu füttern. Es bleibt dabei, denn es gelingt ihm nicht ihr eine falsche Marke unterzujubeln. Nicht einmal seine eigene Katze kann er täuschen, ein Mann, welcher selbst bei der Tierfütterung versagt und ein Auftakt, der nicht besser auf seine Figur und die folgende Kriminalgeschichte einstimmen könnte. Die Coen-Brüder dürften diesen Film oft gesehen haben, zu treffend scheinen die Überschneidungen zwischen Figuren, Grundatmosphäre und gewitzter Dialogflut. Beginnt erst einmal die Kriminalhandlung, verkommt der Film zu einer seltsamen Mischung aus Parodie und eigensinniger Detektivgeschichte. Die Handlung selbst rückt dabei merklich in den Hintergrund, Wendungen und Auflösung entgleiten immer wieder dem Fokus, während sich der Film seinen Eigenheiten und der seltsam angespannten Atmosphäre hingibt. [...]

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                              • 6

                                [...] Der wird noch mehr als bei anderen Adaptionen als leidende Gestalt porträtiert. Geschwächt und verzweifelt stürzt er sich im wahrsten Sinne des Wortes auf jeden Funken Hoffnung und muss dabei immer wieder herbe Rückschläge in Kauf nehmen. Die zu Anfangs streng aufgezogene Teilung zwischen Adel und Arbeiterklasse verwischt zusehends, indem der Film vermeintliche Riten des Anstands als überholt darstellt. Zwar scheint es auch bei Andy Warhols Dracula fast ausschließlich um Sex zu gehen, doch immerhin ist die Thematik hierbei plausibel mit dem Inhalt verwoben und führt in Wechselwirkung mit Draculas Blutdrang zu einem halbwegs runden Gesamtpaket. Als reiner Exploitationfilm versagt auch Andy Warhols Dracula, in Kombination mit seiner gesellschaftskritischen Ebene erweist er sich jedoch als interessanter Genrebeitrag. [...]

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                                • 4

                                  [...] Die starke Hervorhebung fleischlicher Gelüste ist indes auch zentrales Thema des Films. Die krankhafte Schöpferillusion Frankensteins prägt sich vor allem sexuell aus, denn entgegen des klassischen Monsters will er hier einen perfekten Mann und eine perfekte Frau schaffen, die mit gegenseitiger Begierde übereinander herfallen sollen. Der Geschlechtstrieb wird zur zentralen Motivation jeder Figur, eine Aussage dahinter lässt sich jedoch vermissen. Andy Warhols Frankenstein hätte durchaus das Potential zu verstören, etwa wenn der Doktor sich selbst an der schlitzartigen Wunde seiner Schöpfung befriedigt. Leider funktioniert der Film auf keiner Ebene, lässt Atmosphäre und Spannung beinahe gänzlich vermissen und schafft es so auch nie vereinzelt überzeugende Momente stimmig in das restliche Werk zu integrieren. [...]

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                                  • 8

                                    Yorgos Lanthimos ist unlängst selbst zu seiner eigenen Marke geworden. Der bekannteste Vertreter der Greek Weird Wave ist zwar mittlerweile im internationalen Filmgeschäft angekommen, hat dabei jedoch nichts von seiner Radikalität und Bissigkeit eingebüßt. Noch immer dreht er konsequent andere Filme, überschreitet sowohl die Grenzen des guten Geschmacks als auch die der gängigen Filmproduktion. The Killing of a Sacred Deer beginnt mit einer Operation am offenen Herzen, einem Prozess, dem auch der fertige Film gleicht. Die Prämisse selbst ist natürlich über die Maße konstruiert. Ein Chirurg soll für einen Operationsfehler büßen, eine seltsam lähmende Krankheit hat seine Frau und deren beide Kindern befallen, rafft alle drei dahin, sollte er sich nicht dazu entscheiden, einen von ihnen zu töten. Die Logik dahinter bleibt aus, ebenso wie die Sympathie zu der von Colin Farrell verkörperten Hauptfigur, dessen rauschender Vollbart wohl unweigerlich am Selbstwertgefühl seiner männlichen Zuschauer nagen dürfte. Natürlich sind Nachvollziehbarkeit, Logik und Sympathie auch keine Facetten, mit denen Lanthimos sich beschäftigt. Sein Film ähnelt einer mathematischen Gleichung, einer rein theoretischen Auseinandersetzung mit moralischen Grundprinzipien. The Killing of a Sacred Deer ist eine filmgewordene Parabel und scheut sich nicht davor seine Zuschauer ein ums andere Mal vor den Kopf zu stoßen. Einmal mehr sind Lanthimos Figuren außerstande mit ihren Emotionen umzugehen, was in bizarren Dialogen, unverständlichen Posen und radikalen Bildern gipfelt. The Killing of a Sacred Deer zeigt mehr von dem, was wir bereits kennen. Das ist noch immer großartig, weil es aktuell keinen Regisseur außer Lanthimos gibt, der moralische und gesellschaftliche Diskurse so skurril, eigensinnig, verstörend und nichtsdestotrotz präzise reflektiert wie er. Dennoch muss der griechische Regisseur aufpassen, dass er nicht zu einer Parodie seiner selbst verkommt und beweisen, dass er sich mit zukünftigen Werken auf seine ganze eigene Art und Weiß neu erfinden kann.

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                                    • 6

                                      „You can't trust anyone but family.“

                                      Einem Kredo gleich werden diese Worte im Laufe des Films stetig wiederholt. So makaber es auch klingen mag, die Familie wird zum zentralen Motiv von Trey Edward Shults stimmungsvollem Gruselstreifen. Mühelos reiht sich It Comes at Night in die Reihe moderner Horrorproduktionen ein, die abseits von müdem Haunted House Budenzauber vor allem auf atmosphärische Wirkung, psychologische Konflikte und angenehm abwechslungsreiche Strukturen setzen. Sein Szenario, eine nicht näher definierte Zukunft, in der die Menschheit durch eine Art Zombievirus in Zeiten des puren Überlebenskampfes zurückgeworfen wird, tangiert der Film nur am Rande. So enttäuscht It Comes at Night vor allem jene Zuschauer, die sich aufgrund des Titels einen effekthascherischen Horrorstreifen der Marke Blumhouse erwartet haben. Anstatt Jumpscares setzt Shults auf eine nagende Atmosphäre, deren konstante Steigerung nur in vagen Albtraummomenten aufgebrochen wird. Momente, die prophetisch für den unvermeidlich garstigen Ausgang des Films sind. Davor gilt es jedoch das Schicksal zweier Familien zusammenzuführen, die eingepfercht in ein verschanztes Waldhaus fast zwangsweise kollidieren müssen. Etwas substanzlos arbeitet Trey Edward Shults mit Motiven wie Panik, Misstrauen und Argwohn, lässt diese Aspekte kulminieren und untermauert dadurch die These, dass der Mensch sich selbst doch noch immer der Nächste ist. Das macht den Film mitunter sehr beklemmend und mitreißend, erweckt final aber auch den Eindruck, dass It Comes at Night durch sein überzeugendes Handwerk und dem packenden Setting tiefer in die psychologischen Abgründe seiner Figuren hätte eintauchen können.

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                                      • 8

                                        [...] Der letzte Film von Sidney Lumet brilliert vor allem durch seine erzählerische Qualität. Was in den ersten Szenen noch wie ein recht gewöhnlicher, schwarzhumoriger Kriminalfilm rund um den gescheiterten Raub einiger Kleinganoven anmutet, entwickelt sich alsbald zu einem waschechten Familiendrama, bei dem jede Wendung nur noch tiefere Furchen und größere Probleme offenbart. Die bisweilen unchronologische Erzählstruktur verlagert ihren Schwerpunkt von Charakter zu Charakter und schafft es dabei neue Wendungen im perfekten Tempo freizugeben. Trotz dieser Struktur behält Lumet seinen klassischen Stil bei und übertreibt nicht etwa durch ein Dutzend verschiedener Perspektiven oder möglichst haarsträubender Twists, sondern schafft es mit den kleinstmöglichen Offenbarungen die größte Wirkung zu erzielen. Tödliche Entscheidung – Before the Devil Knows You`re Dead funktioniert auch deshalb so ausgezeichnet, weil er stets in einem nachvollziehbaren Rahmen handelt und die drastische Eskalation seiner Handlung als glaubhafte Ereignisse verkaufen kann. [...]

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                                        • 7
                                          über Gilda

                                          [...] Besonderes Augenmerk gebührt jedoch der Beziehung der beiden Hauptfiguren, die sich passenderweise als Hassliebe beschreiben lässt. Lange Zeit ist ungewiss wer mit falschen Karten spielt und in Kombination mit dem ungewöhnlichen Für- und Gegeneinander sorgt das für eine ausgezeichnete Dynamik. Vidor tut es dabei seinem Protagonisten gleich und inszeniert direkt, gekonnt und zielstrebig. Nichts wirkt willkürlich, die Szenerie präzise geformt, die Darsteller gekonnt geführt und die Kamera immer präzise ausgerichtet. Interessant wird es immer dann, wenn Gilda die typischen Aspekte des Film Noirs minimal variiert und dadurch für etwas Abwechslung und Ungewissheit sorgt, denn in der Abwandlung von der Norm liegt immer noch die größte Faszination. [...]

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                                          • 9
                                            über Ekel

                                            [...] Ekel vereint eine Vielzahl an Einflüssen und Stilelementen. Seine intensiven schwarz-weiß Bilder sowie das kontrastreiche Spiel mit Licht und Schatten erinnern an den deutschen Expressionismus, während der exzessive Kontrollverlust und die konstante Wahnsteigerung an die gängige Dramaturgie des Horrorfilms angelehnt ist. Immer stärker verlieren sich die Bilder in einem surreal angehauchten Rausch, der den Realitätsverlust der Protagonistin eindringlich verdeutlicht. In diesem Zwischenraum aus Realität und Einbildung findet der wahre Horror statt, der Polanskis Meisterwerk zu einem dermaßen wirkungsvollen und beängstigenden Filmerlebnis macht. Die dichte Atmosphäre ist stets greifbar, verdeutlicht das Unmittelbare und verleiht dem Geschehen etwas Albtraumhaftes. Besonders eindringlich sind dabei jene Momente, in denen Hände aus den Wänden und der Decke dringen, nach der völlig verstörten Carol greifen und ihr Geisteszustand dadurch wirkungsvoll verdeutlicht wird. Die Quelle der Angst lauert bei Ekel nicht etwa in dunklen Ecken, feuchten Kellern oder auf knarrenden Dachböden, sondern ist in der Psyche der Hauptfigur selbst verankert. Es gibt kein Entkommen, keine Möglichkeit sich zu verstecken oder die Bedrohung zu besiegen, weil sie letztlich nur in den Abgründen der eigenen Person lauern. Ekel offenbart seelische Risse und zeigt, wie diese letztlich zum geistigen Verfall eines Menschen führen. Obwohl wir uns deutlich im Sujet des Horrorgenres bewegen, ist Ekel in erster Linie ein psychologisches Drama, eine Charakterstudie über einen geschundenen Geist, bei der es weniger darum geht, dem Leiden einen Hintergrund zu geben, es zu erforschen und zu verstehen, sondern vielmehr seelische Wunden offenzulegen und auf immersive Art für den Betrachter erfahrbar zu machen. [...]

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                                            • 7

                                              [...] Nach einem Leben voller phasenweise wechselnder Eifersucht und Leid bleiben zwei Frauen übrig, die auf unterschiedlichste Weiße von ihren Erfahrungen gezeichnet wurden. Während Blanche körperlich versehrt noch immer die Nettigkeit in Person ist, mutet die alkoholkranke Jane wie ein rabiater Gegenentwurf an. Dennoch können die Schwestern nicht mit und auch nicht ohne einander. Das hat verschiedene Gründe und macht die zentrale Beziehung deshalb so glaubhaft. Diese überspitzte Charakterzeichnung mag durchaus plakativ sein, erfüllt im Narrativ jedoch perfekt ihren Zweck. Lange Zeit manifestiert sich der Horror auf einer sehr zurückhaltenden Ebene und Was geschah wirklich mit Baby Jane erweckt deshalb auch den Eindruck eines intensiven Dramas. In der konsequenten Wahnsteigerung von Jane findet der Film jedoch zusehends horrorartige Elemente, bis sich das psychologische Grauen schließlich eindringlich auf der physischen Ebene des Films niederschlägt. Ist der Vorhang erst einmal gefallen, gibt es keinen Halt mehr und ohne Unterlass finden die lange Zeit nur erdachten Sehnsüchte ein reales Ebenbild. [...]

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                                              • 6

                                                [...] Gerade dieser humoristische Teil weiß über weite Strecken des Films wirklich zu überzeugen, obgleich Fikkefuchs das peinliche Unvermögen seiner Hauptakteure natürlich reichlich reißerisch ausschlachtet. Dank reichlich Zynismus bleibt die Fremdscham jedoch im erträglichen Rahmen und im Gegensatz zu vielen anderen Komödien Marke Geschlechterkampf geht der Film oftmals auch dahin, wo es wirklich wehtut. Als gesellschaftskritische Satire scheitert Fikkefuchs leider gerade deshalb. Die herrlich amüsante Überzeichnung ist dermaßen allgegenwärtig, dass der notwendige Bezug zur Wirklichkeit ausbleibt. Selbst der eingebildetste Macho kann die vom Film geäußerte Kritik mühelos weglachen, weil Stahlbergs Figuren viel zu gekünstelt wirken, um als Identifikation für den Zuschauer zu fungieren. So adressiert der Film zwar dringliche Problemfelder und arbeitet die männliche Krise interessant auf, müht sich aber vergebens daran, das Lachen darüber hinaus auch einmal im Hals des Betrachters steckenbleiben zu lassen. Letztlich lässt Fikkefuchs seine Zuschauer lediglich über gesellschaftliche Außenseiter spotten, schafft es aber nicht ihnen den Spiegel vorzuhalten und dadurch seinem Thema die nötige Dringlichkeit zu verleihen. [...]

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                                                  [...] Darüber hinaus offenbart Hexen bis aufs Blut gequält durch seine voyeuristische Inszenierung und schmuddeligen Bilder durchaus kritische Tendenzen, welche die Thematik fast zwangsläufig mit sich bringt. Totalitäre Machtverhältnisse, einseitige Entscheidungsgewalt und die Institution der Kirche werden für die gezeigten Gräueltaten verantwortlich gemacht und letztlich auf ebenso bestialische Art gerichtet. Auge um Auge also, nur konsequent für einen derart expliziten Film, der seine Handlung in erster Linie als Füllmaterial zwischen den fiesen Foltereinlagen versteht und inszenatorisch die zur damaligen Zeit geltenden Möglichkeiten der Gewaltdarstellung auslotet. Auch dank seinem prägnanten Score kann Hexen bis aufs Blut gequält immer wieder mit Momenten aufwarten, die noch einige Stunden nach der Sichtung nachhallen, seine Schockwirkung allerdings nutzt sich schon innerhalb der kompakt gehaltenen Laufzeit ab. [...]

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                                                    Texas Chainsaw Massacre startet gemächlich, lässt lange Zeit das beängstigende Lokalkolorit und die angespannte Atmosphäre sprechen, nur um dann urplötzlich den wahren Wahnsinn zu entfesseln. Brachial, kompromisslos und überraschend ist der erste Auftritt des ikonenhaften Leatherface, beinahe minimalistisch wie Hooper diesen Moment in Szene setzt. Ein Schlag auf den Kopf, eine verschlossene Tür und die Gier des Zuschauers ist entfacht. Eine zwiespältige Sensationssucht, ein fragwürdiges Verlangen, welches der Film entgegen seiner äußeren Wahrnehmung gar nicht befriedigt. Texas Chainsaw Massacre ist weit weniger explizit, als es sein Ruf verlauten lässt. Tobe Hooper setzt auf Andeutung und Suggestion, verlagert das Grauen vom Bildschirm direkt in die Köpfe seiner Zuschauer. Erstaunlich für einen Film, der sich dramaturgisch einer dermaßen reißerischen, dafür jedoch umso wirkungsvolleren Struktur verschrieben hat. Genreprägendes Terrorkino, das in der texanischen Hitze brodelt und mit seinem gesellschaftskritischen Subtext näher am Zahn der Zeit ist, als es so manchem Zuschauer lieb war. Ganz großes Genrekino.

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