Alle Kommentare von Wolfgang M. Schmitt jun.

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    1997 schlüpften zum ersten Mal Will Smith und Tommy Lee Jones in die schwarzen Anzüge. 2002 kam dann der zweite Teil der „Men In Black“-Reihe in die Kinos und war doch nur ein langweiliger Aufguß des ersten. Nun, zehn Jahre später, wird mit „MIB 3“ die Reihe fortgesetzt. Dieses Mal ist die Welt von dem Bösewicht Boris die Bestie bedroht. Boris wurde von K vor vierzig Jahren in ein Gefängnis gesperrt. Nun bricht er aus und will sich an K rächen. Er reist mit einer Zeitmaschine in das Jahr 1969 zurück, um K umzubringen. Als ihm das gelingt, verschwindet K aus der Gegenwart. MIB also ab jetzt nur noch mit Will Smith als J und ohne Tommy Lee Jones? Natürlich springt auch J zurück durch die Zeit, was die visuell eindrucksvollste Szene ist. Eine Änderung in der Vergangenheit kann die Zukunft retten.
    1969 begegnet J dem jungen K, der von Josh Brolin gespielt wird. Rassismus ist noch immer an der Tagesordnung, auch wenn bereits die Hippies in Florida das Straßenbild prägen. Gleich wird die Apollo 11 starten. Auch ein Besuch in Andy Warhols „Factory“ steht an. Der Künstler ist in Wahrheit keiner. Er ist auch ein MIB und spielt seinem verrückten Publikum nur den Exzentriker vor. Fake und Reproduktion waren die Themen von Warhol, warum sollte dann aber der Künstler echt sein? „Men In Black 3“ ist mehr als eine eigentlich unnötige Fortsetzung mit ein paar komischen Einfällen. Es gibt einen interessanten Turn zu beobachten: Alle Filme der Reihe verhandeln die Frage, ob man den Menschen den Wahrheit sagen oder ob man sie belügen soll? Die Lebenslüge – schon Henrik Ibsen schrieb mit „Die Wildente“ 1884 ein Drama über diese Fragestellung. Teil 1 und 2 entschieden sich eindeutig für die Lüge. Mit dem Blitz-Dings löschte man schnell das Gedächtnis und erfand eine neue und harmlose Geschichte. Doch im dritten Teil ist das etwas anders. Zu viel ist in den letzten zehn Jahren in der amerikanischen Politik geschehen. Es ist Zeit für die Wahrheit. Mehr dazu im Video!

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      Sacha Baron Cohens neuer Film „Der Diktator“, den wie schon bei „Borat“ und „Brüno“ der Regisseur Larry Charles in Szene gesetzt hat, soll eine beißende Satire auf die Weltpolitik, das Demokratieverständnis des Westens und eine Parodie auf Diktatoren wie Gaddafi, Mubarak oder Kim Jong-il sein. Doch leider bleibt der Film zahnlos. Bei „Brüno“ konnten wir bereits erleben, wie der Guerilla-Komiker so langsam im Mainstream vor Anker geht. Nun ist „Der Diktator“ ein klassischer Hollywood-Film mit Handlung geworden, der bis auf ein paar Geschmacklosigkeiten für die breite Masse taugt. Wie konnte das passieren? Die Themen, die Cohen in seinem neuen Film anfaßt, sind im Grunde hochpolitisch und werden doch nur als bunte Revue präsentiert. Es zeigt sich, daß gerade die Ironie und das Karnevaleske für eine Polit-Satire leerlaufen können. Florian Illies schreibt in seinem ironischen Buch „Generation Golf“ selbstkritisch: „Und bevor die Empörung kommen könnte, haben wir immer noch die weiten Arme der Ironie. Wenn man alles in Gänsefüßchen denkt, ist alles akzeptabel.“ Das ist die Krux an diesem Film, es stellt sich beim Zuschauer keine Empörung mehr ein und damit auch keine Komik. Abgesehen von den paar Gags aus dem Trailer langweilt dieser gerade mal 80minütige, nur mit Mühe zusammengeschusterte Streifen fürchterlich. Daß Stars wie Sir Ben Kingsley, Megan Fox und Anna Faris hier mitspielen, zeigt auch, wie sehr Hollywood das Enfant terrible Sacha Baron Cohen schon vereinnahmt hat. Mehr dazu im Video

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      • Liebe moviepilot-Nutzer,

        ich freue mich sehr über die Möglichkeit, hier unsere Filmanalysen zeigen zu können. Nach 50 youtube-Videos habe ich mich an negative Kommentare (leider oft auf einem bescheidenen Niveau) gewöhnt. Mir geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit Unterhaltungsfilmen, die immer auch mehr tun, als nur zu unterhalten. Moviepilot ist eine demokratische Plattform für Filmkenner und -liebhaber und mich fasziniert die Vielfalt der Meinungen. Manche tiefgehenden Analysen sind hier zu finden, User die ihre Lieblingsfilme und Lieblingsschauspieler würdigen, Kritiken über den Unterhaltungswert eines Films, Lobeshymnen und Haßtiraden - all das macht diese Seite aus und so lesenswert. Zu dieser Vielstimmigkeit will ich meine Stimme hinzufügen, die vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig ist. Aber nur durch Vielstimmigkeit kann wirklich ein spannender Diskurs entstehen, vereint uns doch alle die Liebe zum Film. Ja, ich sitze vor einer Bücherwand (ich lese gerne) und ja, ich trage einen Anzug (weil ich gerne Anzüge trage) und ja, unsere Videos sind nicht spektakulär (wir haben kein Budget); aber uns geht es um Inhalte und einen angeregenden Streit über diese. Laßt uns Kino anders denken!

        Herzliche Grüße.

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          Der Regisseur Joe Carnahan hat mit dem Abenteuerdrama "The Grey - Unter Wölfen" den vielleicht peinlichsten Film des Jahres gedreht, eine Wirkung, die der Hauptdarsteller Liam Neeson mit seinem einfältigen Spiel noch unterstützt. Koproduziert haben dieses Machwerk Ridley und Tony Scott. Oberflächlich betrachtet, wird uns eine klassische Abenteuergeschichte erzählt: Eine Gruppe von Männern, die in Alaska nach Öl bohrt, soll von ihrem unwirtlichen Stützpunkt nachhause geflogen werden. Liam Neeson ist kein gewöhnlicher Arbeiter, sondern hat als Jäger die Aufgabe, die Männer vor angreifenden Wölfen zu schützen. Doch auf dem Heimflug gibt es Komplikationen, die Maschine stürzt ab. Etwa ein Dutzend Männer überlebt. Aber wo sie nur hinschauen, sehen sie keine Zivilisation, nur Schnee, Eis und finstere Wälder. Bald werden die Wölfe angreifen – die Sentenz von Plautus „homo homini lupus“ winkt einem. Dem Zuschauer soll direkt klar werden: Dies ist ein Drama über die menschliche Existenz. Was ist der Mensch? Was darf er hoffen? Gibt es einen Gott? Die Drehbuchautoren hatten sich wohl ursprünglich einmal vorgenommen, diese fragen zu beantworten. Leider bleibt dies jedoch auf dem Niveau eines spirituellen Trips für Abenteuerlustige - wer hier Existentialismus vermutet, wird enttäuscht. Von Sartre oder Camus keine Spur, obwohl sich auch in "The Grey" schnell die Anderen als die Hölle erweisen. Doch was bedeutet das alles? Finden wir nicht ähnliches in der Realität wieder, wenn wir an beliebte Extremsportarten oder an pauschal buchbare Abenteuerreisen denken, bei denen sich Menschen mit allen Zusatzversicherungen in Gefahr begeben dürfen, um ihre „Grenzen auszutesten". Zeigt uns „The Grey" letztlich nicht die bedenklichen Auswüchse einer New Age Religion/Philosophie? Es ist ein schlechter Film, der vor nichts, gar nichts zurückscheut: nicht vor triefend sentimentalen Rückblicken in die Kindheit der Helden; nicht vor Liam Neesons Imagination seiner verstorbene Frau, die, in weiße Laken gehüllt, auf ihn wartet und nicht davor, dass die Herrschaften in den Sterbeszenen auf einer transzendenten Ebene mit ihren Angehörigen kommunizieren. Es ist zum fremdschämen. Mehr dazu im Video!

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            Die Krimikomödie "Einmal ist keinmal" mit Katherine Heigl und Jason O`Mara von Julie Anne Robinson ist nicht die erste ihrer Art und leider auch nicht die beste. Bereits 2010 boomten diese Liebeskomödien: Auch da erlebte schon Katherine Heigl mit Ashton Kutcher als Agent und Killer in der Komödie „Kiss & Kill“ viel Love & Crime. Die Comedians Tina Fey und Steve Carell wurden in „Date Night“ zu Gangstern für eine Nacht und konnten so ihre langweilige Ehe beleben. In „Knight and Day“ verliebt sich Cameron Diaz in Tom Cruise, der im Film als Geheimagent alle Insassen eines Flugzeugs tötet. In „Der Kautions-Cop“ wird unser Film „Einmal ist keinmal“ quasi gespiegelt. Hier jagt der Mann, Gerard Butler, die Frau, Jennifer Aniston, wegen einer Ordnungswidrigkeit. Nicht zu vergessen ist auch "Mr. und Mrs. Smith" mit Angelina Jolie und Brad Pitt, der ja auch das private Liebesabenteuer der Beiden begründete. Die Urversion dieses Genres geht in das Jahr 1963 zurück: "Charade", ein intelligenter Mix aus Agententhriller, Screwball-Komödie und Liebesfilm, mit Audrey Hepburn und Cary Grant bleibt bis heute unübertroffen. „Einmal ist keinmal“ fehlt es leider an Pointen, spannenden Einfällen und an glaubhaften Figuren. An dem mißratenen Soundtrack des Films läßt sich am Besten deutlich machen, woran es hapert. Der Soundtrack besteht nämlich nur aus ein paar unmotivierten Gitarrenriffs und ist im Grunde genommen unmusikalisch, als hätte man lediglich Übungsgriffe eingespielt. Die Musikalität haben auch die Drehbuchautoren vergessen, möglicherweise haben sie auch nur die Fingerübungen aus den Handbüchern für Workshops auf die Leinwand übertragen. Doch wie ist der aktuelle Boom dieses Genres generell einzuordnen? Ist der Alltag für Liebespaare so langweilig geworden, daß sie etwas Crime benötigen, um ihre Beziehungen zu retten? Oder sind diese Filme nicht vor allem Versuche, die im Schwinden begriffene Erotik zu bewahren? Mehr dazu im Video!

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              Der Kriegsfilm "Battleship" soll, weil das Spielzeugunternehmen Hasbro seit ein paar Jahren in Hollywood mitmischt, die Verfilmung des beliebten Spiels "Schiffe versenken" sein. Sagen wir es so: es ist ein gewagte Interpretation. Regisseur Peter Berg hat auf jeden Fall mit diesem Actionfilm den Stumpfsinn von "Transformers 1-3" noch einmal deutlich übertreffen können. Es ist tragisch, daß auch gestandene Stars wie Alexander Skarsgard und Liam Neeson sich für diesen Schund hergegeben haben. Wenn man Kritik an einem solchen Blockbuster äußert, passiert es nicht selten, daß dagegen argumentiert wird: „Der will doch nur unterhalten. Man kann dabei einfach mal abschalten und ohne viel Nachzudenken den Film genießen.“ Meine These ist jedoch: Wer diesen Film überhaupt genießen will, muß schon vor sehr langer Zeit – etwa kurz nach dem Eintreten der Pubertät – sein Hirn in den Standby-Modus gefahren haben. Anders wird man die 130 minütige Materialschlacht schwer aushalten können. Mit dabei auf hoher See ist auch das Popsternchen Rihanna, die als Soldatin hilft, den außerirdischen Feind zu besiegen. Wer aber schon immer zur Navy gehen wollte und glaubt, daß George W. Bush ein guter Präsident war, der wird diesen Film lieben. Für aufgeklärtere Zeitgenossen wird dieser Hurra-Patriotismus schnell unerträglich werden. Um es mit Martin Walser zu sagen: "Es gab einmal gemütlichere Kriege." Doch interessant ist, wie "Battleship" sein Anliegen - das Rekrutieren von Jugendlichen für das Militär - in den ersten Minuten ganz offen ausspricht. Am Ende geht es um einen Mann, Alex Hopper (Taylor Kitsch), der diszipliniert werden soll, bis er sich systemkonform verhält. Anfangs trägt er noch lange Haare und erscheint im Casual-Look, doch bald wird er schneidig und akkurat als Kapitän das Kommando übernehmen. Wir können in „Battleship“ noch einmal die „gute alte“ Disziplinargesellschaft erleben, die Michel Foucault uns in seinen Werken so ausführlich beschrieben hat. Bei so viel unzeitgemäßer Propaganda – so empfindet es zumindest ein Mitteleuropäer – könnte man fast nostalgisch werden; aber nur fast, denn für diese Art der Begeisterung ist der Film einfach zu langweilig. Mehr dazu im Video!

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                Es gab sie wirklich. Das Filmdrama „King of Devil`s Island“ von Marius Holst handelt von der norwegischen Gefängnisinsel Bastøy. Noch immer ist die Insel ein Ort für Strafgefangene. Bis 1970 gab es dort eine Besserungsanstalt für Jungen. Im Film kommt 1915 der Junge Erling (Benjamin Helstad), dessen Vergangenheit im Unklaren gelassen wird, auf die Insel und soll sich den menschenverachtenden Regeln dieser Institution unterwerfen. Widerreden werden bestraft, Rebellion wird brutal unterdrückt, Mitleid existiert nicht. „King of Devil`s Island“ erzählt in einer riefenstählernen Ästhetik und in gewohnter Manier von den Grausamkeiten auf der Insel.

                Der Plot ist schlicht, wie so oft bei diesen Flucht-aus-Alcatraz-Filmen: Einer will ausbrechen; wird es ihm gelingen? Regisseur Marius Holst schont das Publikum mit Gewaltdarstellungen nicht. Wir sehen wie die Jungen ausgepeitscht, geschlagen und verbal gedemütigt werden. So gut gemeint das Ansinnen ist, dieses dunkle Kapitel der norwegischen Geschichte aufzudecken, so voraussehbar und eintönig ist die Kinogeschichtsstunde geworden. Jährlich gibt es solche Filme von Menschen, die in einem geschlossenen System leben müssen und gen Freiheit ausbrechen wollen; Frauen aus ihren Ehen, Kinder aus Internaten, Homosexuelle aus der Provinz, Priester aus der Kirche, Dissidenten aus einem Regime. Viele liberale Linke lieben diese Filme besonders, zeigen sie doch, daß sich der Kampf der letzten 40 Jahre gelohnt hat: Wir leben endlich in Freiheit ohne Autorität, manche gar autark. Dieses Zielpublikum beklatscht jährlich seine Errungenschaften neu und beschäftigt sich lieber ungern mit der aktuellen Unfreiheit in der Freiheit oder mit dem Preis der Freiheit (Outsourcing von Familienpflichten an günstiges – meist ausländisches – Personal; Schulen, die alle dort abholen, wo sie gerade stehen; promiskuitives Leben in „der Szene“ mit einem hohen ökonomischen und ästhetischen Druck; religiöse Orientierungslosigkeit, die in ans Universum gerichtete Wünsche mündet; Musealisierung der Regime-Kritiker für Feiertagsstunden, kurz: Wolf Biermann).

                So sehr allen nach einem Winter im Frühling ein Sommer im Herbst zu wünschen ist, verkennen sie gerne die aktuelle Lage und ziehen sich entspannt in die Kinosessel zurück. Michel Foucault hat sich ein Gelehrtenleben lang mit diesen Einschließungsmilieus beschäftigt, die im 19. Jahrhundert Hochkonjunktur hatten und auch heute nicht ganz der Vergangenheit angehören. Sein theoretischer Freund Gilles Deleuze hat jedoch nach Foucaults Tod einen kleinen Text mit dem Titel „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“ geschrieben, in dem er erläutert, daß sich das Zeitalter der „Disziplinargesellschaft“ dem Ende neigt (Kirche, autoritäre Eltern und Schule etc.) und wir stattdessen in einer „Kontrollgesellschaft“ leben (Unternehmen mit 360°-Beobachtung, Leben als Projekt, Weiterbildung bis zum Tode): „Man bringt uns bei, dass die Unternehmen eine Seele haben, was wirklich die größte Schreckens-Meldung der Welt ist. Marketing heißt jetzt das Instrument der sozialen Kontrolle und formt die schamlose Rasse unserer Herren.“

                Die Unfreiheit tarnt sich als kreative Freiheit. Bemerkenswert ist, in der heutigen Libertinage haben sich sogar einige alte Rituale der Disziplinargesellschaft bewahrt und werden nun in einer spielerischen Form ausgelebt, was man wiederum an „King of Devil`s Island“ herrlich studieren kann. Die Darstellungen der jungen Männer im männerbündlerischen Herrschaftsraum (Gewaltexzesse in den Naßzellen) haben ihren Weg in die Arthouse-Pornographie eines Bruce LaBruce gefunden. Die gefährliche Flucht bei Wind und Wetter auf einem Ruderboot ist heute in beliebte Extremsportarten transformiert worden. Und die Peitschenhiebe auf nackte Leiber führen uns zu Michel Foucault zurück, der sich bekanntlich in Amerika (auch wenn die akademische Linke es in einem merkwürdigen Anflug von Prüderie gerne verschweigt), dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, lustvoll in die Sado-Maso-Szene stürzte. Ein bißchen von diesem Schmerz darf auch der Kinozuschauer von „King of Devil`s Island“ genießen.

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                  "Die Tribute von Panem" von Gary Ross nach dem ersten Teil der Romantrilogie von Suzanne Collins mit Jennifer Lawrence als Katniss Everdeen und Josh Hutcherson als Peeta Mellark ist das neue Film-Franchise-Unternehmen Hollywoods. Die Lobeshymnen in den deutschen wie internationalen Medien waren groß; besonders die angebliche Medienkritik des Films an den Castingshows der Fernsehsender wurde allseits gelobt und gerühmt. Nur wenige Kritiker wie Sabine Horst von Epd-Film oder Hans-Ulrich Pönack vom DeutschlandRadio kritisierten den Film für seine abscheulichen Gewaltdarstellungen - sie haben vollkommen Recht. "The Hunger Games" führt hier nur die Erfolgsmaschinerie des Privatfernsehens bis zu einem konsequenten Ende: Das Spiel um Leben und Tod. Die Parallelen zu den Castingshows sind überdeutlich: Kandidaten treten gegeneinander an, ein denkfaules Publikum stimmt über Erfolg und Mißerfolg ab; es kann nur einen Gewinner geben, der aber doch wieder in seinen Distrikt zurück muß. Haben wir hier endlich eine notwendige Medienkritik an diesen Eliminationsspielen, wie Peter Sloterdijk sie nannte? Sollte wir darüber hinwegsehen, daß gerade die betroffenen Fernsehsender – RTL, SAT 1 und Pro 7, flankiert von der Bildzeitung – diesen Film fulminant vermarkten? Ist das Rühren der Werbetrommel für diese Medien ein reinigendes Ritual oder setzt hier die Hollywood-Fiktion nicht dort ein, wo das Reality-TV nicht mehr weiter kann – wegen Menschenwürde, Grundgesetz etc. Aus fernen Ländern liest man immer wieder in den bunten Meldungen der Zeitungen, daß es dort gerade Castingshows gäbe, in denen Kandidaten für ein lebensnotwendiges Organ kämpfen? Die westliche Empörung darüber ist garantiert. Doch was sich in der Realität verbietet, erlaubt die Fiktion nur zu gerne und wir Zuschauer schauen lustvoll zu und bekommen zusätzlich noch etwas medienkritische Moral untergejubelt, damit wir zu unserem eigenen obszönen Begehren in Distanz treten können. Es erinnert an die freiwillige Finanz-Abgabe, die man als Flugzeuggast für den Co2-Ausstoß bezahlen kann, um einen sinnlosen Flug mit gutem Gewissen anzutreten: Ich fliege für ein paar Luxus-Schuhe nach Florenz und zahle dafür einen kleinen Aufpreis für die Umwelt. Oder: Ich sitze im Kino und ergötze mich an sich abschlachtenden Jugendlichen und bekomme gleichzeitig noch den erhobenen Zeigefinger für meine niveaulose Unterhaltung mitgeliefert. Mehr dazu im Video!

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                    über Titanic

                    1997 stach der Kinoerfolg "Titanic" mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet in See und wurde mit 11 Oscars belohnt. Nun, fünfzehn Jahre später, taucht die Titanic wieder auf der Leinwand auf, um in 3D unterzugehen. Seit seinem Film „Avatar" ist Cameron von der 3D-Technik besessen und wir Zuschauer müssen es ausbaden. Es erlaubt uns aber auch, diesen Klassiker noch einmal in den Blick zu nehmen. Wann sieht man sonst schon im Kino ein so weitläufiges und gleichzeitig komprimiertes Gesellschaftspanorama? Wenn von „Titanic“ die Rede ist, dann denken viele zuerst an die atemberaubende Liebesgeschichte zwischen Jack und Rose – manche schämen sich gar ihrer Tränen nicht. Doch haben wir es hier wirklich mit der größten Liebesgeschichte aller Zeiten zu tun?Warum darf diese Liebe nicht sein? Die zwei verfeindeten Familien aus „Romeo und Julia“ finden wir hier nicht. Wäre die Titanic wohlbehalten im Hafen angekommen und nicht auf einen Eisberg zugesteuert, dann hätte diese Liebe trotz allem kein glückliches Ende genommen: Denn der eigentliche Hinderungsgrund für ein gemeinsames Leben von Jack und Rose sind die Standesunterschiede. Sehen wir nicht einen monumentalen Klassenkampf mit einem tragischen Ausgang?
                    Zunächst aber haben wir es mit einer klassischen Deflorationsgeschichte zu tun. Die blumige Rose, das Upperclass-Girl, wird von dem armen Künstler Jack entjungfert. Er macht sie zur Frau. Und der phallische Eisberg penetriert das weiblich konnotierte Schiff (DIE Titanic). Es ist beinahe peinlich, daß Celine Dion in „My heart will go on“ tatsächlich singt: „You open the door“. Aber dabei bleibt es nicht. James Cameron erzählt unfreiwillig eine interessante Crossdressing-Story. Haben wir uns nicht schon immer gewundert, daß der Mann Leonardo DiCaprio für seine Schönheit viel mehr Beachtung fand als die Frau Kate Winslet? Mehr dazu im Video!

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                    • 5 .5

                      Der Regisseur Djo Tunda wa Munga ist im Kongo geboren und aufgewachsen, hat in Europa studiert, um anschließend in seine Heimat zurückzukehren und dort die noch schwache kongolesische Filmindustrie zu bereichern. Sein Debüt „Viva Riva!“, dem Genre „Gangster-Film“ zugehörig, lief in einer Nebensektion auf der Berlinale 2011 und gewann den Preis für den besten afrikanischen Film bei den MTV Awards. Zu Beginn von „Viva Riva!“ sehen wir ein bisschen Lokalkolorit von Kinshasa. Jeder westliche Film, der in Afrika spielt, beginnt so. Man wartet also dann auf den weißen Mann, den Star mit Leinenhemd und Sonnenbrille, etwas verschwitzt, aber immer noch sexy. Doch diese Erwartung wird enttäuscht, kein Weißer kommt.
                      Stattdessen sehen wir einen rasanten Thriller voller Gewalt, Sex und Korruption mit einem kongolesischen Cast. Das Figurenpersonal des Films ist typisiert: Der Edelgangster Cesar (Hoji Fortuna) im weißen Anzug, der pornosüchtige Boss Azor (Diplome Amekindra), sein Schmuckstück Nora (Manie Malone), die allen Männern den Kopf verdreht; und der dreiste, leicht naive Desperado Riva. Riva hat eine Fässerladung Benzin gestohlen und will sie nun gewinnbringend vertickern. Der Plot erinnert nicht nur an westliche Gangsterfilme, vielmehr scheint es für den westlichen Zuschauer so, als hätte Tarantino eine afrikanische Pulp Fiction-Variation gedreht. „Viva Riva!“ hat alles, was „Scarface“, „Der Pate“ oder „American Gangster“ ausmachte, doch ist die Gewalt härter und der Sex expliziter. Auch der Gangstermythos der heiligen Familie taucht auf, wird aber radikal entmythologisiert. Ist „Viva Riva!“ also nur ein gut produzierter Genre-Film oder ist er möglicherweise intellektueller als man glaubt? Der Regisseur kennt schließlich die westlichen Vorbilder, die er nun konsequent zu Ende denkt. Wo die Inszenierung des Chauvinismus im Hollywood-Kino nie frei von Sympathien und Beschönigung ist, da ist Djo Tunda wa Munga noch einen Schritt weitergegangen. Wäre dieser Film von einem westlichen Regisseur, würde man auf der Stelle die zahllosen Klischees aufspüren und sie als kolonialistischen Blick des weißen Mannes auslegen. Das erübrigt sich hier. Was, wenn wir hier den umgekehrten – und damit viel irritierenderen – Vorgang sehen? Was, wenn „Viva Riva!“ der schwarze Blick auf den weißen Blick ist? Der Film ist die kongolesische Wiederholung des westlichen Kinos, die aber eine Verschiebung impliziert, und das ist es, was diesen Film so verstörend macht. Die Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak beschäftigt sich mit der Frage „Can the Subaltern speak?“. In ihrem Aufsatz zu der mythologischen Figur der Echo vertritt sie die These: Echo wurde bestraft und kann nun das Gesprochene nur noch wiederholen, sie hat keine eigene Sprache mehr, aber „ihre Bestrafung wird verfehlt, um auf différance zu verweisen.“ Die zeitversetzte Wiederholung, die eben nicht mimetisch ist, läßt eine Differenz (Derrida: différance) möglich werden. Damit stört Echo den herrschenden Diskurs und so ist „Viva Riva!“ das gellende Echo aus dem Kongo, das an unsere westlichen Ohren dringt. Wir bekommen die Idiotie unserer eigenen Filme vorgeführt. Speziell sei dieser Film Vertretern der Postcolonial Studies und Derrida-Anhängern empfohlen.

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                        In dem Journalisten-Thriller „Die vierte Macht“ soll es politisch zugehen: Moskau, Tschetschenien, Geheimdienst, Korruption. In die Rolle des naiven Boulevard-Journalisten Jensen, der eine Moskauer Klatschzeitschrift modernisieren soll, schlüpft Moritz Bleibtreu. Die Naivität seiner Figur ist mit der seines Spiels deckungsgleich und so steht Bleibtreu wieder einmal zwischen zwei Stühlen und will auf keinem Platz nehmen. Von einem Til Schweiger hält er sich ebenso fern, wie er sich von einem Christian Petzold fern halten muß. So drückt sich seine Lage als deutscher Schauspieler des Dazwischens perfekt in der Rolle des Boulevard-Journalisten Jensen aus. Ein Mann, der sich zu nichts bekennt und der bis zum Ende im Ungefähren bleibt. Einst an einer renommierten Journalistenschule ausgebildet, die Karriere als Klatschreporter in Berlin auf den Höhepunkt getrieben, nun als deutscher Gossip-Retter in Moskau engagiert, wird Jensen mit einer durch und durch politischen Wirklichkeit konfrontiert. Ein Photo aus dem Partyleben in Moskau ist immer auch ein politisches Statement – „Die vierte Macht“ könnte ein spannender Film darüber sein, daß gerade die leichte Unterhaltung, das Partyleben usw. eine politische Dimension haben, daß das Politische nur mit Silikon, Make-Up und maßgeschneiderten Anzügen getarnt daherkommt. Eine Lektion die man nach den fragwürdigen posthistorischen Auswüchsen der Popjournalisten/literaten (Stuckrad-Barre, Florian Illies, Ulf Poschardt) auch in Deutschland dringend bräuchte. Doch dies beabsichtigt der Regisseur Dennis Gansel leider nicht. Der Hauptfigur fehlt bis zum Schluß jegliche Einsicht in das große Ganze und allein persönliche Umstände wollen es, daß er als politischer Journalist reüssiert. Jensen hat Sex mit einer Regime-Kritikerin (Kasia Smutniak), die ihn zu politischen Taten verleitet. Einmal schmettert sie ihm sogar das berühmte Adorno-Zitat „Es gibt kein richtiges Leben im flaschen“ (Minima Moralia) entgegen; darauf kann er freilich nur dümmlich lachen. Und Jensen will seinem verstorbenen Vater, ein linker DDR-Journalist vom alten Schlage, wieder näher zukommen und versucht eine geheime Botschaft auf einem Zeitungsausschnitt zu entziffern. Ähnlichkeiten zu Daldrys „Extrem laut & unglaublich nah“ müssen zufällig sein. „Die vierte Macht“ ist auf jeden Fall an dieser Stelle eine schnöde Variante des Hollywood-Films. Doch diese Zentrierung auf die persönlichen Umstände einer Person, anstatt das politische System und den Journalismus in ihm offenzulegen, ist nicht zum ersten Mal das Problem des Regisseurs Dennis Gansel. Bereits seinen – eigentlich ganz passablen – Film „Die Welle“ läßt er unglücklich enden. Der von dem ursprünglichen Experiment abweichende Selbstmord eines Schülers verflacht die Geschichte zu einer psychologischen Farce. Nicht länger geht es um das Verhältnis von Masse und Macht, im Fokus steht nun eine einzige labile Figur: Einer ist Täter, alle anderen „waren ja bloß“ Mitläufer. Daß in „Die vierte Macht“ am Ende ein Vater-Sohn-Konflikt gelöst wird und der Sohn gereinigt und dankbar in die gute deutsche Heimat zurückkehren kann, wiederholt den Trugschluß der „Welle“. Der Film verharrt im Reportagestil und basiert auf dem Wissen eines sporadischen Zeitungslesers. DER SPIEGEL könnte die Story – wäre sie nicht fiktiv – abdrucken. Die Zeitschrift kostet 4 Euro, eine Kinokarte für „Die vierte Macht“ ist vergleichsweise teures Infotainment.

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                        • 3 .5

                          Der Regisseur Andrew Stanton hat mit „John Carter – Zwischen zwei Welten“ seinen ersten Film mit 'echten' Menschen realisiert. Der Science-Fiction-Film in 3D beruht auf dem hundert Jahre alten, amerikanischen Fantasy-Klassiker „Die Prinzessin vom Mars“ des Kultautors Edgar Rice Burroughs. Kein anderer Autor hat so stark die Science-Fiction- und Comic-Industrie geprägt wie Burroughs. Sein Einfluß ist mal explizit, mal implizit sichtbar. Man sagt, die gesamte abendländische Philosophie bestünde nur aus den „Fußnoten zu Platon“; man könnte ebenso sagen, daß Star Wars, Superman, und was es sonst noch so gibt, sich bis heute an Edgar Rice Burroughs abarbeiten. Höchste Zeit also, daß der Urtext selbst verfilmt wird. Aus Respekt vor uns selbst, sollten wir jedoch auf eine Inhaltsangabe keinen Wert legen. Denn was da 130 Minuten lang geschieht, ist unerheblich. Der Held John Carter schlittert von einem Kampf in den nächsten, ein Abenteuer folgt dem anderen – sinnvoll ist das an keiner Stelle und spannend leider auch nicht.
                          Nur so viel sei zum Inhalt gesagt: Es gibt eine Rahmenhandlung. Edgar Rice Burroughs tritt höchstselbst als junger Mann auf und erbt die Tagebücher seines vermeintlich verstorbenen Onkels John Carter. Die Aufzeichnungen beginnen im Jahre 1868, wir sehen für ein paar Minuten einen Western. John Carter, ein Draufgänger, flüchtet vor wilden Apachen in eine Höhle. Durch eine mysteriöse Kraft verselbständigt sich seine Seele und flieht auf den Mars in eine Kopie seines Körpers. Gleichzeitig erhält er übermenschliche Energie und trifft sofort auf grüne Marsmenschen, die aussehen wie mutierte Indianer. Hollywood kann so ungeschoren seinen Imperialismus weiterführen – die primitiven Wilden – Avatar winkt einem – sind Marsindianer, die auf die Rettung des weißen Mannes warten. Der weiße Mann John Carter wird von Taylor Kitsch verkörpert. Bei ihm von einem guten Schauspieler zu sprechen wäre – mit Verlaub – unanständig. Die Stärke des gelernten Personal Trainers liegt in seiner Fitness. Die weitere Handlung verläuft nach Schema F. Man führt Kriege gegen mächtige Feinde, kämpft um ein Amulett und um eine Prinzessin. Die Rolle der Prinzessin hat Lynn Collins übernommen, die die Früchte ihrer professionellen Schauspielausbildung gut zu verbergen weiß. Doch so dämlich der ganze Film ist; wir sehen in ihm, wie Populär- und Alltagsmythen entstehen. Edgar Rice Burroughs hat das Prinzip der Mythenbildung begriffen – das legt der Film offen.

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                          • 5 .5

                            Die Komödie „Das gibt Ärger“ (This Means War) des Regisseurs McG ist kein Glanzstück und trotzdem sehr erhellend. Hollywood liebt in letzter Zeit die Frauen, „die wissen, was sie wollen“; und so darf dieses Mal Reese Witherspoon die Illustrierten-Feministin spielen. Nach einer langen Durststrecke lernt sie gleich zwei attraktive Männer kennen: Chris Pine und Tom Hardy. Sie weiß nicht, daß beide die allerbesten Freunde sind; die Herren wissen hingegen von diesem brisanten Zufall und entschließen sich zu einem Gentlemen`s Agreement. Danach dürfen beide um die Eine kämpfen; bis sie sich entschieden hat, ist sexuelle Enthaltsamkeit Pflicht; möge der Bessere gewinnen. Chris Pine gibt den smarten Womanizer, der im Laufe des Films mehr emotionales Kapital akkumulieren muß und Tom Hardy erscheint etwas einfühlsamer – seine Ehe, aus der ein Sohn hervorging scheiterte – dafür aber körperlicher. Damit aus „Das Gibt Ärger“ ein Actionfilm wird, sind die zwei Freunde Kollegen beim CIA: den Gegner abhören, observieren und ausschalten, gehört zu ihrem täglich Brot – und läßt sich auch für private Zwecke nutzen. Reese Witherspoon unterzieht Pine und Hardy nun Einstellungstests für eine Festanstellung in einer Beziehung mit ihr. Sie überprüft wichtige Faktoren wie Romantik, Stärke, Beschützerinstinkt, sexuelle Potenz etc. Dabei wird sie von ihrer lüsternen Freundin (Chelsea Handler) 'beraten'. Schließlich hätten die Frauenrechtlerinnen nicht Jahrzehnte gekämpft, damit sie nun „die prüde Zicke“ spiele.
                            Der Regisseur führt uns 90 Minuten lang die Vorzüge der beiden Männer vor, doch nicht einmal wird versucht, die Vorzüge einer Reese Witherspoon herauszustellen. Man fragt sich nicht nur, was Pine und Hardy wirklich von ihr wollen, man fragt sich, ob sie überhaupt an ihr interessiert sind? Die Freundschaft hat nämlich mehr als nur homoerotische Anklänge, wenn der Eine dem Anderen sagt: „Ich liebe Dich, Du bist mein Freund“ oder „Du hast mir auch so gefehlt. Ich liebe Dich, Mann“. Weiter unterhalten sie sich über den guten Duft des Anderen, die Größe seines Geschlechtteils („Er ist nicht klein, Du hast ihn gesehen“) – Oscar Wilde hätte dieser Narzißmus gut gefallen. Auch Witherspoon beklagt an einer Stelle des Films, daß sich die zwei nur für sich selbst interessieren würden, was daran liegen mag, daß ihr Interesse an Frauen generell gering ist. Chris Pine und Tom Hardy stellen jedenfalls ein perfektes Paar dar, bei dem der Eine den Anderen ergänzt. Dennoch tasten sie sich näher und näher an Witherspoon heran, was jedoch nur die Eifersucht untereinander erhöht. Für beide ist es ein erotisches Spiel, das sie untereinander austragen – die Frau spiel eine Nebenrolle. Denn letztlich ist die Frau die Feindin, die das homosexuelle Gefüge zerstören könnte. Andererseits brauchen sie die Frau als Alibi. Nur durch sie können sie sich öffentlich ihren Spielen hingeben. Im Original heißt der Film „This Means War“, was unweigerlich an „Don`t ask, don`t tell“ denken läßt.
                            So erscheint auch der Kompromiß am Ende des Films so faul wie einleuchtend. Chris Pine bekommt Reese Witherspoon und Tom Hardy geht freiwillig zu seiner Exfrau zurück. Es erinnert an die Scheinehen aus „Brokeback Mountain“. Am Wichtigsten ist ihnen die „Freundschaft“ – hier wird der Film ein einziges Mal romantisch. Die letzte Szene gehört dann noch einmal dem wahren Liebespaar: Chris Pine und Tom Hardy springen gemeinsam mit Fallschirmen aus einem Flugzeug. Was dann geschieht, können ihre Frauen nicht sehen. Und wir Zuschauer auch nicht.

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                            • 5

                              Nach dem Abba-Film „Mamma Mia“ nimmt sich die Regisseurin Phyllida Llydd mit „Die eiserne Lady“ einer weiteren Legende des letzten Jahrhunderts an. Für ihre Rolle als Margaret Thatcher erhielt Meryl Streep endlich zum dritten Mal und völlig zu Recht einen Oscar. Sie macht dieses mediokre Werk sehenswert, denn Streep ist greise, verwirrte Margaret Thatcher überragend. Man vergißt den Weltstar hinter der Rolle. Im Film leidet die ehemalige Premierministerin von Großbritannien inzwischen an Demenz. Nur mit Mühe und fremder Hilfe kann sie die Fassade der Führerpersönlichkeit – aus knielangen Kleidern, Perlenkette, Handtasche, der Betonfrisur – bei seltenen öffentlichen Auftritten aufrechterhalten. Die Regisseurin gewährt uns einen intimen Einblick: Thatcher signiert versehentlich ihre Autobiographie mit ihrem Mädchenname, vergißt die Namen des Personals und: sie unterhält sich mit ihrem vor Jahren verstorbenen Mann Denis. Er ist der imaginierte Sidekick, der Thatcher an ihre politische Vergangenheit erinnert. In ihr steigen dann assoziativ und lose chronologisch die Bilder der letzten Jahrzehnte auf. Wie Maggie Thatcher als erste Frau das Amt des Premierministers bekleidete, wie sie gegen die Gewerkschaften kämpfte, wie sie um die Falklandinseln Krieg führte, wie sie 1990 zurücktreten mußte. Die Demenz bestimmt dabei die Dramaturgie des Drehbuchs; wir Zuschauer sehen größtenteils ihre Sicht auf die Dinge – die harsche Kritik an ihrer Politik taucht meist nur in Form von Archivbildern auf. Ähnlich wie Stephen Frears in „The Queen“ und Clint Eastwood in „J. Edgar“ verfährt Phyllida Lloydd: Wir sollen einer kontroversen Person nahekommen, doch der Blick durch das Schlüsselloch, ist enttäuschend: Denn da ist nichts anderes zu sehen. Wir schauen durch das Schlüsselloch und wir sehen die eiserne Lady. Und das ist viel unheimlicher, als wenn ein paar lächerliche Geheimnisse preisgeben würden – J. Edgar Hoover trug z. B. die Kleider seiner Mutter. Man denkt bei Thatcher unweigerlich an den Satz von Gertrude Stein: „A rose is a rose is a rose is a rose.“

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                              • 5 .5

                                Über die erfolgreiche französische Sozialkomödie „Ziemlich beste Freunde“ (Intouchables) wurde unendlich viel geschrieben, zumeist positiv. Zugegeben: Die Regisseure Olivier Nakache und Éric Toledano haben bewiesen, daß man auch eine intelligente Mainstream-Komödie mit Pointen oberhalb der Gürtellinie drehen kann, die überdies aus dem Vergnügen die soziale Wirklichkeit nicht aussperrt. Aber warum wird in diesem Film so vehement die klassische Musik verachtet? Fast scheint es, als seien Bach, Berlioz, Chopin und Carl Maria von Weber höchstpersönlich für die Zustände in den Pariser Banlieues verantwortlich. Wenn im Hause des reichen, gelähmten Philippe (Francois Cluzet) – der Gelähmte steht hier paradigmatisch für das alte Klischee des unterleiblosen, verkopften Intellektuellen – ein Kammerorchester einige klassische Meisterwerke zum Besten gibt, langweilt sich der kleinkriminelle, schwarze Driss (Omar Sy) – seine Rolle steht Pate für das Klischee des potenten, lebenslustigen Wilden. Philippe versucht nun mit einem Potpourri der beliebtesten Klassikhits, Driss zu begeistern. Doch nicht nur er, sondern ebenso die übriggebliebenen Gäste verziehen keine Miene. Als Driss dann seine Soul-Musik auflegt, feiern plötzlich alle freudig und ausgelassen das Leben. Klassik ist für Gelähmte, Musik „von der Straße“ für Lebendige – so die Aussage. Driss bespöttelt außerdem Philippes elaborierten Schreibstil und seine Liebe zur Abstrakten Kunst.

                                Entlarvend aber ist die Geringschätzung der Klassik in einer anderen Szene: Philippe nimmt Driss mit in die Oper. Der Vorhang öffnet sich und ein Mann in einem albernen Kostüm beginnt zu singen „Nein, länger trag` ich nicht die Qualen...“. Offensichtlich besuchen die Zwei eine Vorstellung von Carl Maria von Webers „Freischütz“. Der Jägerbursche Max auf der Bühne sieht aus wie ein Waldtroll; schon sein Kostüm gibt die Figur der Lächerlichkeit preis. Driss fängt laut an zu lachen und Philippe stimmt bald in das Gejohle ein, sodaß sie anschließend das Opernhaus verlassen. Hier zeigt sich die besondere Dummheit des Drehbuchs, denn gerade „Der Freischütz“ spricht zu den Ausgeschlossen, den Banlieue-Bewohnern, den Diskriminierten. Der Jägerbursche Max wünscht sich sehnlichst die Heirat mit Agathe, der Tochter des Erbförsters, da so für den einfachen Mann ein sozialer Aufstieg möglich wäre. Kurz vor der Hochzeit fürchtet er sich so sehr, daß er seine Zielsicherheit verliert. „Beim Schießen zu versagen bedeutet symbolisch in dieser Welt, auch als ein Freier zu versagen“, meint der Psychoanalytiker Eugen Drewermann. Sollte er beim traditionellen Probeschießen nicht treffen, bleibt ihm die Ehe mit Agathe verwehrt. In seiner Verzweiflung und Not singt er eben diese Arie, die in „Ziemlich beste Freunde“ veralbert wird. Max spürt den gesellschaftlichen Druck, der Driss in der Vergangenheit zu einem Kriminellen werden ließ. Beide – Max und Driss – haben nun die Chance ihrer Determiniertheit zu entkommen. Max will aber auch als Liebender trotz seiner Unzulänglichkeiten von Agathe anerkannt werden; wie im Film Phillipe trotz Behinderung um eine Frau wirbt, mit der er nur mittels einer Brieffreundschaft verkehrt. Driss und Philippe stehen gewissermaßen beide vor einem Probeschuß, sie zusammen ergeben die Opernfigur Max. Hätten Driss und Philippe nicht so dämlich gelacht, hätten sie ihr Happy End bereits auf der Bühne erleben können: Auch ohne Maxens Probeschuß wird Agathe sein. Die Liebe besiegt alles – in der Oper und im Kino.

                                Doch leider befindet sich „Ziemlich beste Freunde“ in einer langen Traditionslinie: Eine Intellektuellenfeindlichkeit, die sich im Haß auf klassische Musik ausdrückt, ist im Mainstream-Kino immer en vogue gewesen. Bereits 1956 in dem Musical „Die oberen Zehntausend“ (Hight Society) ruft Grace Kelly kurz vor ihrer Trauung als der Hochzeitsmarsch aus Wagners „Lohengrin“ erklingt: „Stellt doch mal den Krach ab!“ Als nach einem boulevardesken Hin und Her die Hochzeit dann gelingt, spielt eine Combo um Luis Armstrong eine verjazzte Wagner-Version.

                                Aber was nimmt man der klassischen Musik so übel? In einer Kulturindustrie wird die Hochkultur ausrangiert, weil sie nicht versandhausgenormt, sondern widerspenstig, hartnäckig und ein Stachel in der Welt des Schönen Scheins ist. Und doch drückt sich in dem Haß auch ein Minderwertigkeitskomplex aus. Insgeheim ahnt der Mainstream, daß ihm die Höheren Weihen für immer versagt bleiben, daß Beethoven, Brahms, Mozart und Mahler unerreicht bleiben – aus gutem Grund.

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                                • 7 .5

                                  Die Tragikomödie „Young Adult“ von Jason Reitman ist ein hochintelligentes Anti-Märchen. Die 37jährige Charlize Theron spielt eine Frau namens Mavis Gary in eben diesem Alter an dem Scheitelpunkt ihres Lebens. Ihren Job als Ghostwriterin einer Groschenromanreihe für junge Erwachsene (young adults) hat sie verloren, ihre Ehe wurde geschieden und der Aufbruch aus der Provinz in die große Stadt endete im Appartement eines anonymen Hochhauses. Sie beschließt in ihre beschauliche Heimatstadt zu reisen und ihre Highschool-Liebe Buddy Slade (Patrick Wilson) – inzwischen ist er verheiratet und Vater – zurückzuerobern. Es könnte wieder eines dieser alten neuen Hollywood-Märchen sein, doch trägt es eher Dürrenmatts Handschrift.

                                  In „Der Besuch der alten Dame“ kehrt die reiche Claire Zachanassian heim in das Dorf ihrer Kindheit, um sich an ihrer Jugendliebelei Alfred Ill zu rächen. Sie bietet dem Kaff Güllen eine Milliarde, wenn er getötet wird. Sie erkauft sich Gerechtigkeit. Gerechtigkeit fordert nach ihrem Verständnis auch Mavis Gary, sie will sich an dem kleinbürgerlichen Glück rächen, das sie verweigerte. Wie Zachanassians Körper nur noch von Prothesen zusammengehalten wird, so besteht ihre Jugendlichkeit aus einem Haarteil, Camouflage-Make-up und Silikon-Brustaufsätzen. Reitman inszeniert Mavis als Femme fatale, Femme fragile und Automatenfrau. Anders aber als bei Dürrenmatt ist Mavis am Ende Zachanassian und Ill in einer Person. Denn rächen muss sie sich an sich selbst. Sie ist der übelste Auswuchs der Konsumgesellschaft. Mit großer Lust an der Entlarvung und soziologischem Gespür zeigt uns der Regisseur eine sonst so schillernde Warenwelt aus Apple, Ben & Jerrys, Coca Cola, Hello Kitty, KFC und einer Wii Fit.

                                  Glücklicherweise erscheint Buddy Slades Familienidyll nicht als wirkliche Alternative auf. Buddy, ehemals der Held der Schule, füllt nun die abgepumpte Muttermilch um und muss die Musik der Band „Nippel Confusion“, die seine Frau mit anderen jungen Müttern gegründet hat, ertragen. Jason Reitman ist ein schöner, trauriger Film über die krampfhafte Suche nach Glück gelungen. Alle Figuren sind die Opfer jener leeren Glücksverheißungen, die uns das Kino so gerne zu begehren lehrt.

                                  „Young Adult“ ist ernster, nicht weniger komisch als „Thank you for Smoking“ und „Juno“ und verzichtet auf ein marktkonformes Ende wie in „Up in the Air“. Jason Reitman ist nun Hollywoods Ideologiekritiker Nummer Eins; ein Oscar ist damit in weite Ferne gerückt. Reitman braucht keinen.

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                                  • 5

                                    Die Komödie „Der perfekte Ex“ von Mark Mylod folgt einem bewährten Muster: Wieder eine junge Frau, die ihren Traummann sucht und die nicht alleine auf die dämliche Hochzeit ihrer Schwester gehen will. Wieder eine Frau, deren Freundinnen alle vergeben sind und wieder eine Frau, die keine Lust mehr auf Affären mit irgendwelchen Freaks hat. Eine solche Handlungsstruktur findet sich in hunderten von Machwerken, es scheint so, als müßten die Drehbuchautoren nur einen Bauplan ausführen – frei gestalten dürfen sie nur die Verzierungen. Das erinnert an uralte Theatertraditionen: Man denke an das Volks- und Bauerntheater oder sogar an die Passionsspiele: Das Leiden Christi wird immer wieder neu erzählt – entscheidend ist die Ausschmückung. Und die ist bei „Der perfekte Ex“ amüsant. Die mit komischem Talent begnadete Anna Faris spielt die blonde Hauptfigur, die durch Zufall in einer Frauenzeitschrift eine merkwürdige Statistik liest: Eine Durchschnittsfrau hat in ihrem Leben mit 10,5 Männern Sex. Anna Faris findet das wenig, ihre Freundinnen sehen das anders. Außerdem besagt die Statistik: Eine Frau, die mit mehr als 20 Männern geschlafen hat, wird nie den Richtigen finden und niemals glücklich werden. Doch Anna Faris hat bereits die Marke 20 erreicht. Um die Unglücksgrenze nicht zu überschreiten, will sie nun ihre Exfreunde und Exaffären aufsuchen – vielleicht klappt's ja doch mit einem. Ihr gut aussehender Nachbar, gespielt von Chris Evans, der sich mit seinen Frauengeschichten schon im dreistelligen Bereich befindet, hilft ihr bei der Recherche. Wenn er nicht mal Nummer 21 wird. Spannend ist, wie der Film ein Fenster für unsere Zeit der Lebenshilfen-Infaltion wird. Keine Zeitschrift kommt mit Tips zu Sex- und Liebesleben aus und die Leserschaft regiert darauf mit großer Dankbarkeit. Ausgerechnet eine Gesellschaft, die jegliche normativen Instruktionen, seien sie von kirchlicher oder moralphilosophischer Seite unterbreitet, ausschlägt, läßt sich lieber von Illustrierten für 3,50 Euro aufklären. Mehr zu dieser Dialektik der Aufklärung im neuen Video der „Filmanalyse“.

                                    • 6 .5

                                      „Für immer Liebe“ von Michael Sucsy beruht auf einer wahren Begebenheit und erzählt eine außergewöhnliche Geschichte. Ein junges Liebespaar, verkörpert von Channing Tatum und Rachel MacAdams lernt sich kennen, verliebt und verheiratet sich. Der Originaltitel heißt „The Vow“, das Gelöbnis und daran wollen sie sich halten: Ein Leben zu zweit, für immer Liebe. In unaufdringlichen Rückblenden erzählt der Regisseur dieses Glück, daß nun dem großen Vergessen zum Opfer gefallen ist. In den ersten Minuten des Films sitzen Channing Tatum und Rachel MacAdams küssend an einer Kreuzung im Auto. Die Kamera, die zwischen Innen und Außen wechselt, deutet das kommende Unheil an. Ein Laster rast von hinten auf sie zu, er kann nicht mehr bremsen. Zwar überleben beide den Unfall, doch gibt es da ein Problem: Als Channing Tatum zu Rachel MacAdams ans Krankenbett tritt und sie aus dem Koma erwacht, spricht sie ihn mit „Herr Doktor“ an. Sie hat ihr Gedächtnis verloren. Die letzten fünf Jahre ihres Lebens sind wie ausgelöscht, sie erkennt ihren eigenen Ehemann nicht – und sie weiß auch nicht mehr, warum sie ihn einst liebte. Überdies treten ihre Eltern in Erscheinung; zu ihnen brach sie aus gutem Grund damals den Kontakt ab, woran sie sich nun nicht mehr erinnern kann. Der Streit ist vergessen wie die Liebe zu ihrem Mann. Was soll Channing Tatum also jetzt tun, damit sie ihn wieder liebt? Zeigt sich nun, daß die Liebe nur ein leerer Wahn war? Und was liebt man an einem Menschen? Diese philosophischen Fragen verhandelt der Film auf dem Niveau eines Beziehungsratgebers, auch sonst bleibt Vieles an der Oberfläche, was ein Regisseur wie Pedro Almodóvar hätte zu Höchstform auflaufen lassen. Doch „Für immer Liebe“ ist mehr als eine Schnulze, er hat eine politische Dimension. Dieses Jahr wird in den USA der Präsident gewählt, der Film gibt eine Wahlhilfe. Rachel MacAdams hat nicht nur ihren Mann vergessen, sie hat auch vergessen, daß sie von einer Republikanerin zu einer Demokratin wurde.

                                      • 6

                                        „The Descendants“ von Alexander Payne ist als Bester Film für den Oscar nominiert und auch gehören der Hauptdarsteller George Clooney und der Regisseur zu den Nominierten. Dabei stellt sich eine Frage: Warum nur?
                                        Würde dieser Film im ZDF laufen, z.B. mit Erol Sander, dem sogenannten deutschen George Clooney; und der Film würde auf Sylt spielen und manche Aufnahmen wären nicht allzu avantgardistisch, dann würde man einen netten Fernsehabend erleben. Vielleicht gäbe es die Goldene Kamera, nur an die Oscar-Verleihung würde wirklich niemand denken. George Clooney spielt einen reichen Mann, der auf Hawaii lebt und ein Erbe verwaltet. Seine Familie besitzt ein beträchtliches Stück Land auf Kaua`i, welches nun veräußert werden soll, da sich die Verwandtschaft in finanziellen Schwierigkeiten befindet. Clooney, der als ehrlicher, arbeitsamer Familienvater in Szene gesetzt wird, hat dabei ein ungutes Gefühl. Das Paradies soll an den Investor eines Hotelkomplexes verkauft werden und auch sonst erscheint die Idylle trübe. Denn Clooneys Frau liegt nach einem Wassersport-Unfall im Koma, sie wird bald sterben. Clooney bleiben also nur seine zwei verzogenen Töchter, die eine altklug, die andere mit Suchtproblem. Letztere offenbart Clooney dann noch, daß seine geliebte Frau eine Affäre hatte. In einem Akt der Gnade will Clooney nun dem Geliebten die Chance geben, sich von der Todgeweihten zu verabschieden. Doch bald stellt sich heraus: Der Geliebte der Ehefrau ist auch der Investor, der Clooneys Land erwerben will. In alten Weiblichkeits-Diskursen steht die Frau für die Mutter Erde, für den Mutterboden aus dem der Nachwuchs sprießt und der vom Manne bearbeitet wird. „The Descendants“ übernimmt diese Diskurse. Der Investor und Geliebte will Clooney nun in doppelter Hinsicht sein Land, seinen Boden entreißen. So nimmt das Rührstück seinen Lauf und obwohl der Regisseur das „andere“ Hawaii – diesig, von der Finanzkrise gebeutelt und etwas ordinär – zeigt, bleibt die Ästhetik unentschlossen, um nicht gewöhnlich zu sagen. Und Clooney bleibt Clooney...

                                        • 5

                                          Alle Jahre wieder kommt ein Baseball-Film. Meistens wird darin dann der Mann zu einem richtigen Mann, oder es wird für Toleranz und Weltfrieden gespielt – wie in Clint Eastwoods „Invictus“. Am Ende dieses Film-Genres steht für gewöhnlich das finale Spiel, der letzte Punkt, der alles entscheidet. Ohne zu viel zu verraten, auch in „Moneyball“ von Regisseur Bennett Miller soll es noch einmal ganz spannend werden, weshalb wir das Baseball-Spiel größtenteils in der für dieses Genre typischen Zeitlupe sehen – und das zirka eine halbe Stunde lang.
                                          Aber „Moneyball“, nach einer wahren Begebenheit, weicht auch von den Genre-Regeln ab, da eigentlich etwas ganz anderes erzählt werden soll.
                                          Die oberflächliche Botschaft des Films kommt gutgemeint daher. Der Profi-Sport mit seinen astronomischen Summen für junge Spieler ist vollkommen pervers. Newcomer werden von reichen Vereinen gepuscht, Siege erkauft und eine Moral im Sport gibt`s schon lange nicht mehr. Ist „Moneyball“ nach „Margin Call“ und „In Time“ nun der dritte Film in kürzester Zeit, der den sogenannten Raubtierkapitalismus anprangert? Auf den ersten Blick scheint es so, doch das Gegenteil ist der Fall. Kaum ist die Occupy-Bewegung in ihrem wohlverdienten Winterschlaf, da kommt es in Hollywood zu einem Rollback. Die Kritik mag stimmen: Der Profi-Sport wird vom Reichtum und nicht vom Spieltrieb bestimmt, doch „Moneyball“ führt in die Baseball-Tradition den Neoliberalismus ein. Jonah Hill gibt zwar den genialen Tollpatsch – um die Bezeichnung „Nerd“ einmal zu vermeiden –, doch nach seiner Methode ist der Mensch nur dort interessant, wo man ihn berechnen kann. Jonah Hill interessiert sich nicht, wie die früheren Scouts, für den Menschen, nicht einmal der Spieler ist wichtig, wichtig ist allein, welche Zahlen der Computer ihm ausspuckt. Die Filmhandlung beginnt im Jahr 2001, der Journalist Thomas Frank hat zur gleichen Zeit ein lesenswertes Pamphlet veröffentlicht. Es trägt den Titel: „Das falsche Versprechen der New Economy. Wider die neoliberale Schönfärberei“. Darin kritisiert er den Trend, den uns „Moneyball“ als Befreiungsschlag verkauft.

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                                          • 6 .5

                                            Die amerikanische Fassung ist mit Daniel Craig als Enthüllungsjournalist Mikael Blomqvist und Christopher Plummer in der Rolle des altehrwürdigen Unternehmers Henrik Vanger dem europäischen Erfolgsfilm ein wenig überlegen. Als Lisbeth Salander war allerdings Noomi Rapace 2009 in ihrem Spiel so eindringlich, daß in der neuen Version Rooney Mara zwar sehr gut ist, aber der Rolle nichts Neues hinzufügen kann. Es ist halt ein bißchen wie mit den verschiedenen Mozartkugeln: Es gibt original Mozartkugeln, und es gibt lediglich echte Mozartkugeln.
                                            Es ist schwer zu sagen, ob der neue Film besser oder schlechter als der alte ist. Wenn man die Urfassung kennt, erlebt man hin und wieder ein Deja Vu, was im Kino auch eine interessante Erfahrung sein kann. Doch der Thriller bleibt spannend und der Regisseur David Fincher ist für diesen Stoff prädestiniert:
                                            Die Story ist auf mehreren Ebenen interessant. Eine tragische Tagesaktualität gewinnt der Film – und vielleicht ist es deshalb gut, daß er einfach noch einmal in die Kinos kommt – zum einen durch die NSU-Mordfälle, zum anderen aber vor allem durch den norwegischen Attentäter Breivik, dessen Feindbild Juden, Moslems und Kulturmarxisten bilden. Der Nationalsozialismus lebt wie ein Untoter fort; „Verblendung“ zeigt uns seine schwedische Ausprägung.
                                            Eine andere Ebene ist mindestens ebenso komplex. Es geht um Enthüllungsjournalismus, um Öffentlichkeit, Transparenz, das Verhältnis von Politik und Wirtschaft, und es geht um die unvermeidbare Nähe zum Boulevard mit all seinen Niederungen. Alles ist ineinander verwickelt, wenn wir auf die Figurenkonstellation blicken.
                                            Blomqvist ist ein Enthüllungsjournalist, der die Gegenwart verlässt und tief in die Vergangenheit eintaucht. Er hat den Prozeß gegen den kriminellen Hellerström verloren und kümmert sich nun um ein altes Verbrechen. Von dort aus bricht er später wieder in die Gegenwart auf mit neuen Beweisen gegen Hellerström. Der Milliardär Hellerström steht für das Symptom „Wirtschaftsverbrechen“. So folgenreich und schwerwiegend seine Taten auch sind, im Film erscheinen sie mathematisch, digital und nicht gerade schmutzig. Den Gegensatz dazu bildet die Familiendynastie Vanger, hier ist – wie sich schnell zeigen wird – alles blutverschmiert, böse und niederträchtig. Und Blomqvists Arbeits- und Liebes-Partnerin Lisbeth Salander durchlebt zunächst diese Niedertracht, die männliche Gewalt im Privaten selbst; sie erkennt den Zusammenhang und kämpft anschließend gegen dieses gesamtgesellschaftliche Problem. Der Roman heißt im Original: „Männer, die Frauen hassen“. Diese quadratische Figurenkonstellation aus Hellerström, Blomqvist, Vanger und Salander umschließt uns Zuschauer. Wir stehen mittendrin.

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                                            • 4 .5

                                              Nach dem Episoden-Flickwerk „Valentinstag“ hat der Meister der leichten Muse Garry Marschall mit „Happy New Year“ erneut einen Konvent für die alten und neuen Stars organisiert. Sie alle sind gekommen, um Silvester in New York zu feiern. Damit aber der Zuschauer bei so viel schauspielerischer Größe nicht hyperventiliert, hat der Regisseur zum Ausgleich dafür die einzelnen Storys in Sachen Humor, Raffinesse und Charme klein ausfallen lassen. Fast ist es wirklich wie bei den meisten Silvester-Partys: Man wartet und hofft, daß es endlich 12 Uhr wird und es vorbei ist. Und dennoch: Wir sollten bei „Happy New Year“ über das sprechen, was auf der Hand liegt. Sprechen wir über die Stars!

                                              Das Klügste und Schönste, was je über das Star-Sein geschrieben wurde, stammt von Roland Barthes. In seinem Buch „Mythen des Alltags“ widmet er dem Gesicht der göttlichen Greta Garbo ein Kapitel: „Greta Garbo gehört noch zu jenem Augenblick in der Geschichte des Films, da das Erfassen des menschlichen Gesichts die Massen in die größte Verwirrung stürzte, da man sich buchstäblich in einem menschlichen Abbild verlor wie in einem Liebestrank, da das Gesicht eine Art von absolutem Zustand des Fleisches bildete, den man nicht erreichen und von dem man sich nicht lösen konnte.“ Roland Barthes beschreibt hier die Aura eines Gesichts, das in seinem Maskenhaften unnahbar ist, ohne dabei stereotyp zu sein. Maskenhaft eher in seiner archetypischen Vollkommenheit. Doch Barthes spricht bereits in den 50igern in der Vergangenheitsform. Denn ein Star der 50er wie Audrey Hepburn vermag das alles nicht mehr zu leisten. Barthes meint: „Das Gesicht der Garbo ist Idee, das der Hepburn ist Ereignis.“ Für uns heute gehört Audrey Hepburn sicher in die Kategorie „Superstar“ oder „Megastar“, aber derartige Sprachverrenkungen machen bereits deutlich, wie inflationär der Begriff verwendet wird. Doch kennen wir die Diagnose, es gäbe keine richtigen Stars mehr. Als Elisabeth Taylor starb, hieß es, nun sei wirklich der letzte Star am Himmel erloschen. Aber was ist dann mit unserem Cast aus „Happy New Year“? Sind das überhaupt noch Stars? Ein Robert De Niro, der inzwischen jede Rolle anzunehmen scheint und in jede Kamera grimassiert. Eine Michelle Pfeiffer, die in „Happy New Year“ eher trutschig daherkommt und an keine gefährlichen Liebschaften denken läßt. Oder ein Ashton Kutcher, der sein Privatleben vertwittert. Oder eben eine Sarah Jessica Parker, die nicht nur im Kino sondern auch privat im Mutterglück ist und in Interviews lieber vom Wickeln anstatt vom Dreh berichtet. Wenn das Star-Sein auf Unnahbarkeit basiert, dann sind sie alle keine Stars mehr. Oder vielleicht doch? Mehr dazu in meiner aktuellen Filmanalyse (unter Kritik im Original).

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                                                „Was also ist die Zeit? Quid est ergo tempus?“ Anders als der Kirchenvater Augustinus beantwortet unser Film „In Time“ die Frage nach dem Wesen der Zeit nicht philosophisch, sondern ganz handfest: Zeit ist Geld. Die Zeit ist die neue Währung. Und damit beginnt die Eindeutigkeit dieses Films. Denn, daß Zeit Geld ist, ist nicht neu, wird aber vollkommen wörtlich genommen. Die Schlußfolgerung daraus ist so einfach wie bestechend: Die Reichen haben viel Zeit, die Armen haben wenig; wie ja auch die Reichen meist große Mengen Geld besitzen und die Armen arm sind. Man braucht, um den Film zu verstehen, also keinen theoretischen Aufwand zu betreiben. Doch „In Time“ wird an vielen Stellen noch deutlicher, wenn die schöne Sylvia sagt: „Die Armen sterben und die Reichen leben nicht“, dann sagt jemand: „Für die Unsterblichkeit einiger, müssen viele sterben“ oder es heißt: „Das ist schlichtweg darwinistischer Kapitalismus“. Sylvia und Will Salas wollen den Umsturz, die Revolution herbeiführen. Sie wollen die Ungerechtigkeit in der Welt nicht länger ertragen und nehmen den Kampf gegen die Macht des Zeitkapitals auf. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht: Syliva sagt sich von ihrer Familie los, beide haben sie keine Skrupel vor der Anwendung von Gewalt. Sie wollen mit allen Mitteln das ungerechte System abschaffen, in dem die Armen immer mehr Zeit hergeben müssen, weil einfache Waren und Dienstleistungen immer teurer werden. Es gibt keine Solidargemeinschaft mehr, alles ist längst privatisiert. Will und Sylvia rauben professionell Zeitbanken aus und verteilen die Zeit unter den Armen. Unweigerlich denkt man da an den Satz aus Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Am Ende sieht es so aus, als wolle Hollywood nun den Kommunismus einführen oder wie ist das alles zu verstehen? Mehr dazu und ein Vergleich mit Fritz Langs „Metropolis“ gibt`s in meinem Videoblog „Die Filmanalyse“!

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                                                  Um sich hin und wieder aufzuwärmen, sollten „Occupy“-Bewegungen ins Kino gehen und sich dort „Margin Call – Der große Crash“ ansehen, er wird ihnen gefallen: Es ist beinahe unglaublich, daß Hollywood den Grund für die weltweiten Proteste so genial eingefangen hat. In diversen Kritiken zum Film, die allesamt lobend waren, wurde aber angemerkt, daß die Charaktere teilweise etwas flach und eindimensional daherkommen. In der Tat, wir sehen keine Figuren – außer vielleicht die von Kevin Spacey verkörperte – mit tiefen Psychen, die im Laufe der Handlung eine Entwicklung durchleben. Statt „round characters“ sehen wir eher „flat characters“. Doch das ist überhaupt kein Manko, das ist es, was die Genialität dieses Films ausmacht. Und die Genialität der Schauspieler-Stars, die eben keine komplexen Persönlichkeiten darstellen wollen, sondern etwas ganz anderes: Ein berühmter Dramatiker hat in seinen Stücken – noch viel deutlicher als unser Film – wenn man so will, auf „flat characters“ gesetzt. Dieser Dramatiker hatte, aus Nazi-Deutschland geflohen, in Amerika keine Erfolge feiern können. Sein Name ist Bertolt Brecht. Mit „Margin Call“ scheint Brecht endlich in Amerika angekommen zu sein. Denken wir an das Stück „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“. Brecht wollte die Probleme der Gesellschaft nicht mit „round characters“ personalisieren, er wollte das System dahinter offenlegen, und dieses System verkörpern bei ihm die „flat characters“. Wenn in unserem Film Jeremy Irons als CEO des Unternehmens auftritt, dann tritt gewissermaßen das System selbst auf, dass für diese Finanzkrise verantwortlich ist. „Margin Call“ eröffnet uns deshalb eine neue Sicht auf die Dinge und beweist, daß die Krise systemimmanent ist und keine Frage von Moral und Werten. Beeindruckend ist nicht, daß die Figuren im Film unmoralisch handeln – das tut schließlich jeder manchmal –, beeindruckend ist, daß das System von ihnen ein amoralisches Handeln verlangt. Mehr dazu im Videoblog „Die Filmanalyse“!

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                                                  • 7 .5

                                                    Jahr für Jahr und schon vier Jahrzehnte während beschert uns Woody Allen einen Film nach dem anderen. Zu sagen, daß der Altmeister sich nur selbst kopiert, keine neuen Erzählstrukturen und Figurenkonstellationen wagt und er eigentlich nur an einem großen Film zu arbeiten scheint, dem er jährlich etwas hinzufügt, ist eine Plattitüde geworden. Es stimmt: „Midnight in Paris“ ist wie alle anderen Woody-Allen-Filme. Und ich möchte hinzufügen: Zum Glück! Wir müssen bei diesem Film über Wunder sprechen und eines sei gleich benannt: Das Kino-Wunder Woody Allen ereignet sich auch im Jahr 2011. Es hat funktioniert, wieder einmal. Überdies gelangen wir in „Midnight in Paris“ an den Kern von Allens Schaffen und an die Urformel des Kinos selbst.
                                                    Michel Foucault nennt als Heterotopien der Zeit die Museen und Bibliotheken und hat dabei glatt das Kino vergessen. Doch Filme sind Orte ohne Ort. Während sich Owen Wilson in den Zwanzigern wohlfühlt, will Marion Cottilard diese Zeit verlassen und geht noch vierzig Jahre weiter zurück, in das Zeitalter der Belle Epoque. Es geht deshalb bei Woody Allen nicht allein um Nostalgie, sondern um die Verwirklichung einer Utopie. Es geht ihm in all seinen Filmen um die kinematographische Erschaffung eines Ortes als Gegenort zur Realität. Denken wir auch an seine früheren Meisterwerke „The purple rose of Cairo“ und „Mach`s noch einmal, Sam“. Woody Allen sagte einmal: "Ich hasse die Wirklichkeit, aber es ist der einzige Ort, wo man ein gutes Steak bekommt." Mehr über Allens Kino als Heterotopie in meinem Videoblog „Die Filmanalyse“.

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