colorandi_causa - Kommentare

Alle Kommentare von colorandi_causa

  • 7 .5
    colorandi_causa 20.02.2017, 21:34 Geändert 21.02.2017, 02:07

    Animierter Steampunk aus Frankreich? „April und die außergewöhnliche Welt“ wandelt mit beschwingter Leichtigkeit auf den Wegen eines Miyazaki und verzaubert mit retrofuturistischen Elementen, charmanten Einfällen, skurrilen aber liebevollen Charakteren und eine humanistischen Botschaft im Gepäck seine Zuschauer.

    Dabei sollten die Anleihen aus dem Ghibli-Universum nicht erst beim wandelnden - und sogar schwimmenden - Haus ins Auge fallen. Im Rennen um die Zukunft der Menschheit (und Menschlichkeit) schicken Desmares & Ekinci deshalb auch eine junge aber starke Protagonistin (wunderbar burschikos: Marion Cotillard) ins Rennen und erforschen mit ihr die Welt eines Frankreichs (vor allem Paris) aus einer alternativen Vergangenheit, in der Napoleon IV mit den Preußen Frieden schloss. Aber nicht alles in der Gegenwart der 40er Jahre ist eitel Sonnenschein; Die Gefahr durch Krieg und Umweltzerstörungen hervorgerufen durch Rohstoffmangel sind ubiquitär (an dieser Stelle wird freilich ein mahnender Bogen auf unsere Zeit geschlagen). Denn in der Zwischenzeit sind allerhand kluge und führende Köpfe der Wissenschaft, von Einstein bis Fermi, von der Bildfläche verschwunden und mit ihr wichtige technische und kulturelle Errungenschaften. Für die Charaktere der Geschichte natürlich ein hartes Los, aber für das Regie-Duo die Chance sich in Sachen Erfindergeist als tüchtig zu erweisen und so erkennt man mit welcher Liebe zum Detail auch hier an technischen Geräten gewerkelt wurde und diese zu einem harmonischen Gesamtbild zusammengefügt worden sind. Sie könnten teilweise ebenso gut von Da Vincis Reißbrett stammen. Aber auch das Fantastische findet hier seinen Platz. Und so entspinnt sich eine Heistgeschichte um ein Serum, welches auch aus dem heiligen Gral stammen könnte und dementsprechend von diversen Parteien aus verschiedenen Gründen nach Verlangen dürstet. Ob die Idee dahinter wirklich so ausgereift ist, mag ich etwas bezweifeln, werde ich an dieser Stelle aber nicht weiter ausführen, da ich hier nicht spoilern möchte. Aber im Wesentlichen ist es nur Mittel zum Zweck, um dient hier mehr oder weniger "nur" als Gefäß für den humanistischen Grundton. Dass in diesem Potpourri an Ideen, Reminiszenzen und Anleihen leider etwas die Charakterentwicklung auf der Strecke bleibt und an manch einem Storyzweig etwas zu sehr als Stellschraube fungiert ist schade, aber durchaus verzeihlich. In die Sphären eines Miyazaki geraten sie damit aber (noch) nicht. Dafür fehlt einfach noch zu sehr die Ruhe und das richtige Maß für die geschichtliche Entfaltung seiner Charaktere.

    Ansonsten ein sehr runde Sache, die bildtechnisch auf eigenen Füßen steht, tonal die richtigen Entscheidungen trifft, vielleicht ein wenig zu sehr mit einem Auge auf andere Werke schielt (aber hey: besser gut kopiert als schlecht erfunden), sicherlich nicht frei von Mängeln ist, dafür aber nicht als anspruchsloses Unterhaltungskino im Einheitsbrei versinkt. (So wird z.B. das Dilemma aus Dürrematts „Die Physiker“ angeschnitten)

    Animierter Steampunk aus Frankreich!

    5
    • 4 .5
      colorandi_causa 13.02.2017, 20:24 Geändert 09.03.2017, 05:16

      Willkommen im 21. Jahrhundert! Oder doch nicht? Viel Neues hat uns Kenneth Branagh mit seiner Neuauflage sichtlich nicht zu erzählen und so bleibt es auch hier beim sterilen Mädchentraum im Blau-Pink in der jede Kante geschliffen wird und im Falle Cinderella sogar zur astreinen Parodie avanciert. Denn wenn der Hauptmakel die Hauptcharakterin höchstselbst ist, läuft auch im Märchenland einiges falsch.
      Dieses wesensgute, herzallerliebste, unschuldige Ding, dass sich fürwahr immerzu ausbeuten lässt, weil es das „Gute“ in jedem Menschen zu entdecken vermag und überhaupt sowieso nicht viel von der Welt will, außer vielleicht den einen stattlichen Knappen vom flüchtigen ersten Treffen, der rein zufällig der Prinz ihres Landes ist. Nicht umsonst ist ihre einzige nennenswerte Fähigkeit „Französisch“. Wenn man wirklich nett ist und im Zeichen unseres Kuscheljesus die Floskel „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ verinnerlicht hat, der kann ganz sakrosankt sagen: „Ja, was für eine tolle Geschichte. Die Lieeebe siegt immer. Amen.“ Für ganz einfache Gemüter mag diese Form der Kontingenzbewältigung vielleicht ziehen, für den leicht zynischen Blick eines Menschen, der die Augen vor der Wirklichkeit nicht verschließt, ohne sie gleich verteufeln zu müssen, muss dieses Ammenmärchen unglaublich hohl und hölzern erscheinen.

      Cinderella ist nicht herzensgut, sondern dumm. Sie hilft nicht überall, wo sie nur kann, sondern lässt sich aufgrund ihres infantilen Naturells ausbeuten und grinst dabei auch noch. Grenzdebil daher auch die Leistung Lily James', die es schafft, nicht aus dem Tritt zu geraten und immer schön dämlich mit ihren rehbraunen Augen in die Kamera lacht und dabei noch durchschaubarer ist als ihr pompöser Schuh. (Ob das schon in den Definitionsbreich des ICD-10 fällt, will ich mir mit meiner freudschen Küchenpsychologie nicht anmaßen.) Apropos Pomp: Hier wohl einer der Vorzüge dieser Verfilmung, denn aus bildtechnischer Sicht oder in Sachen Ausstattung kann man dem Film nicht viel vorwerfen. Es sieht so ziemlich alles wie geleckt aus, selbst die Dielen des Dachbodens oder das dreckige Kleid der Protagonistin. Ebenso geleckt ist auch der konturlose 0815 Prinz, der selbstverständlich nicht nur gut aussieht, verdammt viel Kohle hat und seine Herzdame freilich aus Charaktergründen bereits nach dem ersten Treffen ehelichen möchte, sondern auch gewieft, charmant und ein guter Mensch ist. Halleluja!

      Was bleibt, ist also der typische dramatische Unterbau eines Märchens, das nicht wirklich was zu erzählen hat, sondern eher als Wohlfühloase und Augenschmaus fungiert. Wer zwischenzeitlich noch die Hoffnung hegte, hinter der Fassade der bösen Stiefmutter (hervorragend gespielt von Cate Blanchett) könnte sich mehr verbergen und Branagh nutze das versierte Spiel seiner Grande Dame, wird am Ende nur mit einer stupiden Schwarz-Weiß-Dichotomie verärgert hängen gelassen. Es ist ja auch viel schöner, einer königlichen Hochzeit beizuwohnen.

      Und die Moral von der Geschicht'? Dieser Film, er lohnt sich nicht.

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      • 8 .5

        In „The White Diamond“ folgen wir Herzog nach Guyana zum Kaieteur-Wasserfall mit seiner unmittelbaren Flora & Faune, sehen zu wie der Aeronautiker Graham Dorrington über Flugschiffe schwärmt und versucht mit einem Ereignis aus seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen und treffen nebenbei auf Marc Anthony Yhap, einem Mann ohne Bildung aber mit viel Weisheit und der Liebe zu seinem Hahn (no pun intended).

        Was hätte als „schnöde“ Berichterstattung über Zeppeline und einem Wasserfall enden können, nimmt bei Herzog mal wieder andere Formen an und gerät zunehmends in den Hintergrund, ohne in die Bedeutungslosigkeit abzudriften. Vielmehr ist dies die große Klammer, die sich um zwischenmenschliche als auch persönliche Konflikte erstreckt und auf seinen Pfaden plötzlich einen Ausreißer nimmt, um uns ein Mann vorzustellen, der auf seinem aufgepumpten Plastiksitzkissen anfängt zu beobachten und ein Stück weit zu philosophieren.

        »That is a beautiful view. It has a sunset and there is the balloon just floating around aimlessly. Yeah, it's beautiful. It's just fantastic. I'm so fortunate enough to witness something of a gem. I'm a miner mostly, and this is like a diamond. Nice big diamond. Yeah, I love this. This is cool. This is real cool. There is this big white diamond just floating around in the sunrise. It's good.«

        Wenn unser etwas zauseliger Ganja-Philosoph könnte, dann würde er wohl mittels eines Flugschiffes seine Familie auf der anderen Seite des Ozeans besuchen. Zumindest ein kleiner Flug wird ihm gegönnt. Und zwar von niemand Anderem als dem Ingenieur und Erbauer jenem „weißen Diamanten“. Doch über diesem Ereignis der Auslotung neuer Freiheiten legt sich die bleischwere Erinnerung an den Unfall seines Freundes und Naturfilmers Dieter Plage, der einst in einem seiner Gefährte bei dem Versuch die Kamera nach einem Unfall zu retten, verunglückte und letztlich verstarb. Dorrington verfolgt diese Kalamität. Ein Mann, der so voller Begeisterung darüber referiert, was das Fliegen und seine Grundlagen anbelangt, gerät ins Stocken, wenn es darum geht, sein Gefährt in die Lüfte zu bewegen. Die selbstauferlegte Schuld lastet auf seinen Schultern und hält ihn unten. Dass einer der Propeller dem ersten Versuch einen Strich durch die Rechnung macht, erscheint schon fast schicksalhaft. Die Verarbeitung der Abläufe dieses düsteren Tages dauern an und sind nicht von der einen auf die andere Sekunde verschwunden, werden aber mit jedem erfolgreichen Flug leichter. Und der Wasserfall? Der plätschert weiterhin vor sich hin und was sich hinter ihm verbirgt, sei nicht verraten. Man will ja nicht den Mythos zerstören.

        Wenn eine Doku mit einem kurzen Abriss der Luftschiffahrt anfängt und mit einem Moonwalk auf einer Klippe endet, zwischenzeitlich allerlei menschliche Beweggründe erörtert, sowie Träume und Alpträume thematisiert, dann kann man sich sicher sein, einer großartigen Dokumentation beizuwohnen und eig. noch sicherer sein, dass kein Anderer als Werner Herzog seine Finger im Spiel hatte.

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        • Könnte interessant werden, auch wenn meine erste Assoziation Richtung "Vergiss mein Nicht" gegangen sind. Einige Bilder sprechen m.E. zumindest stark dafür.

          • Ein echter Gentleman. Alte Schule und so.

            • Wenn es für Travolta nicht mehr laufen sollte, kann er sich immer noch im Panoptikum verdingen.

              • 7 .5

                „Wovon träumt das Internet?“ Dies und anderen Fragen widmet sich Werner Herzog in seinem neusten Streich und unterteilt seine Doku kurzerhand in 9 unterschiedliche Segmente, die mal mehr und mal weniger vom eigentlichen Thema abweichen, die Peripherie ebenso in den Fokus rücken wie den Menschen und seine Geschichte. Denn genau dort sind die Stärken am deutlichsten sichtbar. Er schafft es sowohl den Enthusiasmus seiner beredten Interviewpartner einzufangen, als auch Sekunden der Stille und des Nachdenkens. Denn wichtiger als das Internet selbst sind hier nur seine Teilnehmer. Der „Strahlenflüchtling“ bekommt hier genau so seinen Raum wie der Visionär oder einer seiner Pioniere. Dabei sollte man sich aber weder Hoffnungen machen noch Angst und Bange haben, dass es hier zu sehr ins Technische und Fachchinesisch abgleitet. Ob Protokolle, physikalische Grundprinzipien oder gar die Unterteilungen von Darknet, Deep Web oder stark frequentierte Seiten des Visible Web bzw. seine Globalplayer; darüber wird sich hier größtenteils ausgespart.

                Viel spannender ist dort die subtile Manipulation des Mannes hinter der Kamera. Nein, Herzog ist bei weitem kein Michael Moore, der die Brechstange herausholt, um seinen Zuschauern auch die letzten kleinen Zweifel über seine Intention auszutreiben, aber man erkennt durch bewusstes Lenken und Eingreifen stets seinen Standpunkt. Sei es durch einen schelmischen Einwurf, seine markante Stimme aus dem Off oder bewusst eingestreute Zwischenfragen und Bemerkungen. Er nutzt eingefangene Denkpausen genauso aus wie den auflockernden Witz, kurze Konfusion wie zielgerichtete Plädoyers. Das Einmaleins seines Filmschaffens durchdringt sein Werk von Sekunde Eins. Er hat was zu erzählen, der gute Werner. Und was er erzählt, ist vor allem das, was ihn interessiert und was einige von uns auch interessieren könnte.

                Wovon das Internet träumt? Keine Ahnung.

                7
                • 6 .5

                  Aufgepasst Cineasten, 35mm-Fetischisten und „Weirdo“-Fans! „Too Late“, der erste Feature-Film von Dennis Hauck könnte euer Herz gewinnen, sofern ihr für dieses 100 minütige Erlebnis über den ein oder anderen Makel hinwegsehen könnt oder mich gar Lügen strafen wollt. Denn nicht alles glänzt hier so wie die Kameraarbeit von Bill Fernandez (von einigen kleinen Rucklern mal abgesehen). Fünf anachronistische One-Shots entführen uns in das Neo-noir gedämpfte L.A. etwas abseits vom Schuss. Eine Szene stärker als die andere oder - um kein Bal­ly­hoo draus zu machen - schwächer als andere zuvor oder folgende. Der Film lebt ein wenig von seinem Gimmick, hat dafür aber ein paar schön atmosphärische und lebendige Sequenzen, die zumindest das Auge befriedigen sollten. Darüber hinaus finden sich hier dutzende Anleihen wie den Hard-boiled Detective und andere Tropen aus der Filmkiste, aber auch ein (kleines) Drama unter diesem kinematografischen Parforceritt. Dass Hauck ein Fan von Quentin Tarrantino ist, kann er aber zu keiner Sekunde verleugnen; sofern er das überhaupt möchte, was man eig. verneinen müsste, wenn man den Film gesehen hat. Als ebenso großer Fan kann man sich an dem ein oder anderen Sprachwitzcocktail sichtlich erfreuen, muss aber auch eingestehen, dass da aber auch die ein oder andere faule Banane eingemixt wurde und es zum Teil sogar recht bitter wird. Ist es noch Hommage oder ab einem Punkt nur noch rotzfreche Pastiche? Sollter ihr euch oben angesprochen fühlen, dann findet's heraus. Gibt's auf Netflix.

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                  • Das ist tatsächlich eine außerordentlich weite Verwandtschaftsbeziehung und eig. gar keine News wert. Wenn man bedenkt, dass sich in jeder Generation die direkten Vorfahren verdoppeln und man sich vor Augen hält, wie viele Menschen damals nur lebten und auch gerne mal innerfamiliäre Liebschaften pflegten (vornehmlich Cousins), braucht man nur noch suchen und finden. Sie sind ja nicht einmal in direkter Linie miteinander verwandt und somit ist da überhaupt gar nix erstaunlich. Eig. ist es sogar eine Täuschung und schlechte Promo, die für Unwissende aufgehübscht wird. Ganz klar Fake-News! Als rechtschaffener Bürger habe ich natürlich sofort Heiko Maas und sein Bundesministerium für Wahrheit unterrichtet und ihr sollte alsbald mit einer Abmahnung per Twitter rechnen.

                    • 8

                      Amélie auf Speed und Psilocybin. Ein komischer Mischkonsum macht sich breit und saugt seinen Zuschauer in eine Welt des Makaberen, des bis zur Groteske überzeichneten, das nicht nur unterhaltsam inszeniert, sondern unter diesem affektierten Deckmantel eine einnehmende Tragik um das Mysterium Matsuko entwickelt, welches in seinen Kernelementen gar nicht mehr so abgedreht und alienesk daherkommt, als einem der visuelle und stilistische Poplook weismachen könnte. In diesem Bruch entpuppt sich eine Geschichte um die Obsession nach Liebe, einhergehende Abhängigkeiten und mutilierende Endlosschleifen. Dort, wo die Sehnsucht nach Liebe am größten ist, steigert sie sich in pathologische Höhen und verliert sich im eigenen Glauben, während die Widrigkeiten der Realität ausgeblendet und zum Schutz des innigen Wunsches ertragen werden. Matsukos Geschichte ist ohne Frage ein Tragödie, die sich hinter einer bildgewaltigen und verspielten Leinwand voller Ideen und Gimmicks hervortut und so schnell keinen kalt lässt, sollte man nicht bereits zu Anfang von seiner experimentellen Gangart verprellt worden sein.

                      8
                      • 10

                        Einer der Filme, bei denen ich zu keiner Sekunde sagen konnte, dass mir etwas missfallen hat. Einer der Filme, in der ich jede Sekunde an den Lippen der Protagonisten hing. Einer der Filme, die etwas zu sagen hatten und ich nicht weghören wollte. Einer der Filme, über die ich kein schlechtes Wort verlieren könnte und doch nicht genug Superlative übrig hätte, um ihn richtig wertschätzen zu können. Deswegen versuch ich es erst gar nicht, denn dieser Film muss gesehen werden.

                        Eine Abhandlung über den Schein eines alternden Systems, dass die marode Fassade wahrt und den Ehrbegriff höher hängt als das Leben eines Menschen. Meisterlich gespielt, grandios in Szene gesetzt und einmalig erzählt. Perfekt wenn man so will.

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                        • 7 .5

                          Effektiver Minimalismus made in South Korea. Ohne großes Tamtam, dafür aber mit viel Geduld, widmet sich Lee seiner Geschichte um das Ende einer Beziehung. Kein Streit, kein Geschrei und keine aufgedrückte Gefühlsduseligkeit; wer das sucht, such hier falsch. Der Plot teilt sich zwar durch seinen „Breakup“-Ausgangspunkt einige Gemeinsamkeiten mit anderen Filmen, verfolgt diese Idee aber unter anderem Vorzeichen konsequent weiter. Was ist die beste Art eine langjährige Beziehung zu beenden und vor allem: Wie reagiert man als Betrogener am besten auf diese Hiobsbotschaft? Über die Maßen rational begegnet hier jedenfalls der Geprellte dem Geschehen. Keine Spur von Wut oder Hass, sondern mit Hilfsbereitschaft und Fürsorge händelt er die letzten gemeinsamen Stunden ihre Beisammenseins. Man könnte jetzt meinen, er sei vielleicht froh darüber, dass die Alte endlich aus dem Haus und aus dem Leben ist - zumindest legt dies die Beschreibung der Situation nahe - aber dem ist nicht so. Die kleinen Gesten und Mienenspiele verraten, wie es in seinem Inneren vonstatten geht. Trotzdem geht er konsequent diesen Weg. Das Weinen übernimmt der Regen, die innere Leere repräsentieren die kahlen Wände und das fahle Licht. Emotionale Entgleisungen bleiben fern und kleinere Ausbrüche verstecken sich hinter einem Katzenbiss oder dem Schneiden von Zwiebeln.

                          Auch wenn er mich nicht zu 100% mitgenommen hat, ist diese experimentelle Herangehensweise eine Abwechslung, die man gerne mitnimmt. Er beleuchtet eine andere Perspektive, aber am Ende wird man feststellen müssen, dass das Ende einer Liebesbeziehung nie ohne Wunden auskommt. Ganz egal wie man ihr begegnet.

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                            • 8 .5

                              +++Dies ist ein Wichtelkommentar für den 4. Advent 2016 im Rahmen der Community-Wichtelaktion, gewünscht von Big T.+++

                              Das Faszinosum „Menschsein“ aus der Warte eines Menschen zu bewerten, ist natürlich ein Stück weit paradox und in seinen Annahmen und zum Teil Anmaßungen nicht zuletzt zirkulär gedacht. Nichtsdestotrotz hadert fast ein Jeder mit sich, seinen Mitmenschen und dem Sein an sich. Kein Philosoph, der die Stärken und Schwächen dieses Seins schon mit Myriaden von Aphorismen und Philosophemen seziert, analysiert und unter verschiedenen Aspekten subsumiert hat, kann bestreiten, dass der Mensch sowohl für die größten Gräuel Verantwortung trägt, als auch immer wieder Errungenschaften vorbringt, die nicht nur das Leben eines Individuums oder Kollektivs bereichert, sondern den Erhalt der Natur anstrebt.

                              Seine bellizistischen Tendenzen konterkarieren dem Charakter sich nach Freiheit und Frieden zu sehnen. Diese Auswüchse sehen wir tagtäglich in allen Medien. Manch einer meint dadurch, die Menschheit gehe zugrunde, es stünde kurz vor Zwölf oder beschwört bereits die Apokalypse hervor. Gewiss, man braucht einen starken Willen derzeit, um das „Edle“ im Menschen zu erblicken bzw. es überhaupt erblicken zu wollen. Viel zu einfach ist es, sich diesem medialen Strudel hinzugeben und einen Abgesang anklingen zu lassen. Doch auch wenn der Film diese Seite der menschlichen Kapazitäten nicht ausblendet, setzt er sie nie in den Fokus. In ihm keimt vielmehr die Hoffnung. Wie ein Baum benötigt auch der Mensch einen Platz an dem er gedeihen kann. Selbst den widrigsten Bedingungen kann er sich widersetzen und schafft es dort, wo karge Landschaften und Trostlosigkeit das Bild zeichnen, nicht nur zu überleben, sondern das Glück zu leben. Elzeard Bouffier gibt es nicht und gab es nie. Er ist die personifizierte Sehnsucht nach diesem Drang, die irgendwo in jedem schlummert und viel zu häufig nur in kleinen eskapistischen Exzessen ausgelebt wird, um danach zu verstummen. Der Film mystifiziert dieses Streben auf ehrliche aber märchenhafte Weise. Die gewundene, bildhafte Sprache geht Ton in Ton mit seinen reduzierten, naturalistischen Zeichenstil, der von Bild zu Bild fließt, wie der Bach, der sich wieder Bahn bricht. Die dadurch erzeugte atmosphärische Dichte leitet zu kontemplativen Zäsur ein. 30 Minuten wohl investierte Zeit, um wieder ein wenig reine Luft zu atmen und Hoffnung zu schöpfen. Denn, wo Hoffnung ist, da ist auch Leben.

                              In diesem Sinne noch einen ruhigen 4. Advent und frohe Weihnachten.

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                              • Wenn ein Lied erklingt, das (fast) alle Charaktere vereint, ein seltsamer Schauer die Zäsur erbringt und ein zu früh verstorbener Darsteller weint, dann dürft ihr raten, welchen Film ich mein'.

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                                • Don't drink and write. Falschfahrer gibt es ja bekanntlich auch auf Fratzenbuch zu genüge.

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                                  • 8 .5
                                    colorandi_causa 11.12.2016, 16:45 Geändert 11.12.2016, 16:45

                                    +++Dies ist ein Wichtelkommentar für den 3. Advent 2016 im Rahmen der Community-Wichtelaktion, gewünscht von Vitellone.+++

                                    Existenzialistische Krisen sind das lodernde Feuer unseres Lebens. Zum einen weil sie uns klar machen, wofür wir leben wollen und ob unser vergangenes und gegenwärtiges Dasein, unsere innersten Wünsche und Interessen befriedigen kann. Als Fanal der Erkenntnis sich selbst neu zu justieren, etwas zu verändern, sich selbst besser kennen zu lernen oder schlicht Vergessenem wieder eine Erinnerung zu schenken. Zum anderen aber auch, weil es das Individuum zerstören kann, innerlich verbrennt und tiefe Narben hinterlässt, auf dessen Heilung es kein Patentrezept gibt und auch keine Prognose auf Besserung wirklich von Wert ist.
                                    Louis Malle lässt seinen Protagonisten Alain Leroy solch eine Krise durchleben und schickt ihn ein letztes Mal auf seine Reise nach dem Sinn des Lebens, die doch eher als Irrfahrt vorgezeichnet ist.

                                    Er sei „geheilt“, teilte man ihn mit. Leere Worte für das, was Alain innerlich verspürt. Lediglich seinen Alkoholkonsum - ein Symptom seiner Krankheit - hat er in den Griff bekommen. Das tägliche Berauschen der Sinne, das Feiern um zu vergessen; Betäuben um nicht zu fühlen. Doch mehr denn je ist er mit seiner inneren Zerissenheit konfrontiert. Die Façade beginnt in doppelter Manier zu bröckeln. Die Unbeschwertheit alter Tage, das Entdecken und die Einmaligkeit gehen ebenso zugrunde wie der Körper selbst. Der Mensch sucht infolgedessen nach einer Funktion. Welches Ziel ist erreichenswert? Eine individuelle Odyssee im Korsett des gesellschaftlichen Zwangs. Frau, Kind, ein Haus, vielleicht auch einen Hund und eine Karriere, die darin endet, dass man einen Job hat, der einen mit Geld zuscheißt. Dieses bauklotzartige und mantrahaft runtergebetete Modell lastet bleischwer auf den Schultern derjenigen, denen dieses Modell so unwirklich und fremd vorkommt. Die schon beim Versuch feststellen müssen, dass es die Mühen nicht wert ist und noch viel schwerer bei denen, die trotz dieser Erkenntnis weiterhin diesen Weg bestreiten. Der Druck dieser aufrechterhaltenden Façade, einer Façade, die so heuchlerisch biedermeierlich daher kommt, im Glauben man könne so ein Zerbrechen verhindern. Die Flucht vor dem Konflikt mit sich selbst und seinen Mitmenschen. In einer Wirklichkeit, in der Liebe per Vertrag geregelt und die Sehnsucht nach Zweisamkeit auf kurze Stelldicheins und Triebbefriedigung verknappt wird. Dort findet sich Alain vor. Seine Zwiegespräche können daher nie mehr als der Austausch von hochtrabenden Plattitüden und Hoffnungsbekundungen sein, die zwar gut gemeint, aber aufgrund ihrer Oberflächlichkeit abperlen und nie in die innere Leere vorstoßen können, um sie auch nur ansatzweise zu füllen.

                                    Wenn man das Gefühl hat, alles um einen herum sei in Bewegung, ziehe in Zeitraffer an einem vorbei, während man selbst still in der Mitte verharrt und nur beobachten kann, aber nie wirklich versteht, bekommt man einen Eindruck davon, was es heißt, depressiv zu sein. Wenn einem darüber hinaus noch verständlich wird, dass es Menschen gibt, die keinen Weg aus dieser Mitte sehen und nicht einmal mehr eine Tür erblicken, in der sie ihren Fuß setzen könnten, beginnt man nachzuvollziehen, warum es Menschen wie Alain Leroy gibt, die als Lösung ihres Leidensdrucks nur den Suizid sehen. Depressionen sind so mannigfaltig in ihrer Entstehung und Behandlung, dass es eben nicht dieses eine Patentrezept gibt. Es bleibt also auch an uns unsere Mitmenschen besser kennen zu lernen, ihnen zuzuhören und diese oktroyierte Oberflächlichkeit zu durchbrechen statt den Schein zu wahren und ihn zu zelebrieren. Was Alain zur tragischen Figur dieses Films macht, ist die Tatsache, dass er diesem Kreis nicht entkommen konnte und dort nach Heilung - dem Sinn seines Lebens - suchte, wo er krank wurde. Sich aus der Tiefe des Abgrunds zu befreien erfordert ein großes Maß an Eigenleistung und Mut. Mut die Hürden zu nehmen und seinem Verstand zu vertrauen statt dem Gefühl der Ohnmacht zu erliegen. Erst dann kann man das bietende Seil mit voller Kraft packen und Hoffnung schöpfen - selbst wenn dies nur ein Funken in einem lodernden Feuer ist.

                                    „Alles hat man herausgefunden, nur nicht, wie man lebt.“ - Sartre

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                                    • Entweder ich brauche 'ne Brille oder die Bilder sehen immer schlechter aus. Da war Raimis Version fortgeschrittener.

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                                          colorandi_causa 04.12.2016, 20:29 Geändert 04.12.2016, 20:53

                                          +++Dies ist ein Wichtelkommentar für den 2. Advent 2016 im Rahmen der Community-Wichtelaktion, gewünscht von *frenzy_punk<3.+++

                                          „Das Leben ist nichts anderes, als die endlose Probe einer Vorstellung die niemals stattfindet.“

                                          Ich muss ein Geständnis ablegen: Ich bin ein heillose verlorener Romantiker, der sich nicht selten im größten Kitsch, der größten Verniedlichung der Wirklichkeit und dem immerfort währenden Glauben an die Liebe, ihren Irrungen und Wirrungen und selbstverständlich ihrem unaufhaltsamen Triumph suhlt. Und nein, ich möchte nicht gerettet werden. Versteht mich aber bitte nicht falsch. Natürlich steckt auch in mir ein alter Zyniker, der seine Sicht der Dinge doppelt und dreifach überprüft, damit er nicht feststellen muss, dass er seine Umwelt mit einer anderen Brille sieht. Aber hier geht es nicht um die Realität, die sich wenig um die eigenen Befindlichkeiten schert. Auch diesen oftmals bitteren Teil unseres Daseins bildet das Kino mit seinen bodenständigen Sozialdramen, harten Thrillern oder glasklaren Dokumentationen wunderbar ab. Das ist nicht nur wichtig, sondern auch nötig. Kunst muss auch diesen Teil unserer Geschichte über seine Kanäle transportieren und erfahrbar machen. Aber es gibt auch einen Teil unseres Lebens, eine gewisse Begierde, die sicherlich bei jedem Menschen verschieden ausgeprägt ist (sonst wäre es langweilig), welche uns in andere Welten mitnimmt, Naturgesetze aufhebt, den Determinismus für kurze Zeit aushebelt, uns zu allem befähigt und kaum Limitierungen kennt. Dieser Teil nennt sich Fantasie und den sollte sich ihn über seine Kindheit hinaus stets bewahren und behüten. Jean-Pierre Jeunet lässt uns an seine ausformulierte, wohlcolorierte Reise in seine Fantasie mitten in Montmartre teilhaben. Wir blicken in eine Welt, in der Personen nicht anhand personenbezogener Daten beschrieben werden, sondern durch ihre Spleens, Neurosen, schlichten Eigentümlichkeiten und Schwächen, die sich so wunderbar herzlich und individuell machen. „Fehler“ machen nämlich Menschen aus und sind essentieller Bestandteil des Alltags, die einen mal mehr mal weniger stark daran hindern diesen so gut es geht zu bewältigen. Amélie kann ein Lied davon singen, ist ihr Lebensweg doch nur so von kleinen und großen Fehlern gezeichnet. Der falsche Herzfehler doch nur ein Zeichen ihrer Aufgeregtheit und zerbrechlichen Sehnsucht nach Liebe, die sich hinter Audrey Tautous großen, unschuldigen Rehaugen versteckt und noch nicht so recht weiß, wohin und überhaupt: Wie? Ihre Baustelle steht also erstmal hintan. Stattdessen soll es einer dieser unwahrscheinlichen, doch schicksalhaften Zufälle sein, die sich mit unglaublich viel Witz durch diesen Film ziehen und alles neu kalibrieren, was sowieso schon einige Zentimeter entrückt erscheint. Fortan soll es ihr Ziel sein, das Leben ihrer Mitmenschen mit dem ein oder anderen Kniff, mithilfe einfacher, doch gravierender Erinnerungen bzw. simplen Methoden, die einem die Liebe zu jemand Anderem oder zu etwas Besonderem wieder entdecken lassen oder neu entfachen. Ist dies Manipulation? Durchaus! Aber, obschon jeder - zu einem gewissen Grad mag der Realist in mir anmahnen - seines Glückes Schmied ist, sieht er dieses Glück nicht oder mag die Hürden nicht überqueren, die sich auf dem Weg dorthin nun mal nicht meiden lassen. Dies geschieht hier mit so viel liebevollem Charme und kindlicher Abgedrehtheit, dass einem die „Schicksale“ in diesem Mikrokosmos ehrlich berühren und nahe gehen. Jeunets naiver aber doch so unbändiger Glaube an die Liebe, die sich lediglich versteckt, um gefunden zu werden, ist hier so wunderbar kaleidoskopisch verkleidet, dass es dem eskapistischen Verlangen nur so zuckersüß um die Ohren gehauen wird. Natürlich ist das kein Film mit Realitätsansprüchen; das will er aber auch nie sein. Es ist vielmehr ein modernes Märchen, dass die Schönheit des menschlichen Lebens und Miteinanders konserviert und eindrucksvoll in ungeahnte Höhen treibt sowie spielerisch und z.T. philosophisch exponiert. Und wie jedes gute Märchen gibt es auch hier eine Moral in der Geschicht': Mach die Augen auf, beginne diese Schönheit zu sehen, greife danach und gib dir - wie Amélie - einen Ruck um das Glück fest zu umschließen. Denn diese Probe ist einmalig. Halte dich deswegen nicht allzu lange damit auf den Zeigefinger anzustarren, sondern folge seinem Weg.

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                                            colorandi_causa 04.12.2016, 04:39 Geändert 08.07.2019, 19:21

                                            So schön kann das schlichte Erzählkino sein. Hirokazu Koreeda entführt uns in die kleine Hafenstadt Kamakura und zeigt uns das Innenleben eines alten Hauses und seine Familienbande, die hauptsächlich aus dem Trio Sachi, Yoshino & Chika besteht, ehe der Tod ihres entfremdeten Vaters, der die Familie 15 Jahre zuvor für eine andere Frau verließ, das Zusammenleben in neue Bahnen lenkt. Denn eine weitere Schwester wird im Laufe des Films dafür sorgen, dass das, nicht ganz so idealtypische, Familienbild um eine weitere Facette erweitert wird.
                                            Aber trotz dieser Umstände müssen wir unsere Damen hier nicht wirklich bemitleiden. Koreeda zeigt hier einen starken Bund von Frauen, die sich vom Trio zum Quartett mausern, jede einzelne von ihnen mit einem individuellen Lebensweg ausgestattet, zu großen Teilen sehr unterschiedlich in ihren Persönlichkeiten, ehe sich alle wieder am Essenstisch zusammenfinden und die Ruhe des alten Hauses auf sich wirken lassen können. Das ist durchaus banal, aber in seiner Authentizität einfach ergreifend. Großes Drama wird der Geschichte - zum Glück - nicht aufgebürdet. Stattdessen verfolgt man sie bei wesentlichen Dingen des alltäglichen Lebens, das schon zur Genüge mit seinen Stolpersteinen aufwartet und mitunter harte Entscheidungen abverlangt.

                                            Was vor allem diesen Film (aber auch andere hervorragende Filme von Koreeda wie z.B. „Still Walking“) vom grauen Einheitsbrei der Dramas abhebt, ist seine handwerklich sehr genaue und bildhübsche Inszenierung dieser scheinbaren Einfachheit. Sei es der simple Spaziergang, das Einfangen von den immerzu gleichen Ritualen oder das genaue Framing, wenn es darum geht, mehrere Personen in ein Bild zu bekommen, ohne es dabei zu überfrachten. (Ozu lässt grüßen) Diese bildkompositorische Meisterleistung findet sich auch hier in fast jeder Szene, ohne unterschlagen zu wollen, dass in manch einer Sekunde das Spiel ein wenig zu aufgesetzt wird, um es anschließend in die richtigen Bahnen zu lenken. Garniert wird dieses Unterfangen mit einem herrlich unaufdringlichen Soundtrack meiner heißgeliebten Yoko Kanno, das die Schönheit dieser Geschichte und ihre Bilder so wunderbar unterstreicht.

                                            Für Liebhaber der stillen Momente, Japanophile und jedem Anderen, der sich an dieser bildgewaltigen Natürlichkeit nicht satt sehen kann, eine klare Filmempfehlung.

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                                                  +++Dies ist ein Wichtelkommentar für den 1. Advent 2016 im Rahmen der Community-Wichtelaktion, gewünscht von Sand Sharks.+++

                                                  Wenn der Regen unablässig herabprasselt, die Wohnviertel einem kargen Moloch gleichen und sich nirgends nur ein Hauch von Menschlichkeit und Lebensfrohsinn blicken lässt, dann heißt es „Willkommen in Sieben!“, David Finchers düsterem Neo-Noir Thriller, der uns in die Abgründe menschlichen Handelns entführt und dem Wahnsinn einer (nicht definierten) Großstadt ein oder sogar mehrere Gesichter verleiht.

                                                  Die Vorzeichen für das erste Treffen zwischen Mills und Somerset sind demnach denkbar schlecht gesetzt. Der junge, ehrgeizige Heißsporn, verkörpert von Brad Pitt, trifft dabei auf den stoischen Loner Morgan Freeman, dessen Figur längst aufgegeben hat, das Schöne in der Welt zu erblicken. Trotz dieser offenkundigen Unterschiede in den Profilen beider Detectives, die folgerichtig zu anfänglichen Spannungen führen, werden im Laufe des Films Gemeinsamkeiten zutage gebracht, welche sowohl Mills als auch Somerset in Erfahrung bringen werden und schließlich dazu führen, dass sich die Ausgangslage am Ende ins Gegenteil verkehrt. Dabei ist es Tracy, Mills Frau, die als Kitt und Mittelsfrau fungiert und die beiden Streithähne an einen Tisch bringt. Ihre Art, die Denkweisen und Schubladen der beiden Männer aufzubrechen, ist dabei sehr emotional, einfühlsam und direkt, während ihr Gatte versucht „Schwächen“ zu überspielen und den harten Mann zu mimen, der mit der Allem allein fertig wird und keine Hilfe benötigt. Es ist auch das erste Mal, dass Somerset seine abweisende, kühle Art ablegt und seinen Partner zu akzeptieren beginnt, sind sie doch in der Sache vereint und beide mir ihren jeweiligen Fähigkeiten schneller am Ziel ihrer Diensttätigkeit, welcher sie sich dereinst verschrieben haben.

                                                  Was sich zu Anfangs noch als bestialische Einzeltaten darstellt, entwickelt sich zum Puzzle eines Serienkillers, der danach strebt sein Werk um die „Sieben Todsünden“ voranzutreiben, in dessen Katz-und-Mausspiel sich beide bald verrennen, ehe ihnen klar wird, dass auch sie ein Stück dieses Bildes werden. Fincher gelingt es hierbei Außergewöhnliches zu vollbringen, in dem er eine stete Gefahrenlage schafft, ohne seinen Killer wirklich zur Tat schreiten zu lassen. Allein das Ergebnis seines Wahnsinns, der Terror als Ausgeburt individuellen Handelns, eines Exzesses, welchen man gemeinhin als „unmenschlich“ bezeichnen würde, reicht, um dem Zuschauer den Horror einer fiktiven Wirklichkeit in aller Drastik und mittels expliziten Bildern in ihr Hirn zu befördern, um anschließend keine Bestie zu präsentieren, sondern einen Allerweltsmenschen, dessen tiefe Abgründe, sich in Form seines Denkens oder vielmehr Glaubens und in letzter Instanz als Handeln abzeichnen. John Doe glaubt dabei eine Art göttlicher Auserwählte zu sein, der die Anwohner seiner Stadt angesichts ihres lasterhaften Lebens ein Mahnmal errichten muss. In seiner Arroganz und diesem Irrglauben aufgesessen, hält er selbst bei seiner Verhaftung die Strippen in der Hand und lässt die Polizei nach seiner Pfeife tanzen. Auch hier wird deutlich, dass Doe kein üblicher „Irrer“ ist, sondern so weit in den Strukturen seines Wahns versunken, dass auch sein Leben dem übergeordneten Plan und seinen Auswüchsen anheim fallen muss, er dabei aber nur seinen eigenem Kalkül folgt.

                                                  „No man chooses evil because it is evil; he only mistakes it for happiness, the good he seeks.“ Erstaunlicherweise sind in diesem Glauben bereits unzählige Gräueltaten verrichtet worden. Auch Doe verfolgt ein für ihn hehres Ziel, ein größeres Ganzes, indem er dem Menschen eben jenen Molochs die Auswüchse ihres Seins vor Augen hält, um sie somit zu „erretten“. Somerset würde ihm in der Beschreibung dieses Zustands wohl kaum widersprechen, nimmt er eine Umwelt doch auf gleiche Weise wahr. Doch die Beiden würde nicht das Stahlgitter eines Polizeiwagens und ein orangener Overall trennen, wenn sie trotz dieses Eindrucks gleich zu der Sache stünden. Ihre Mittel zur Wahl in der Bekämpfung dieses Zustands sind der entscheidende Unterschied ihrer jeweiligen Handlungsmaxime. Selbst wenn Somerset pessimistisch und voller Argwohn seiner Tätigkeit nachgeht, tut er dies nicht vorveruteilend, sondern mit den gebotenen Mitteln, die sich aus dem gesellschaftlichen Zusammenleben entwickelt haben. Symbolisch dafür steht auch die Erwähnung, dass er bis zu diesem Zeitpunkt keinen Gebrauch seiner Dienstwaffe machen musste. Doe hingegen versteht sich als Epitom und Alleinlöser dieser Probleme, ohne die gesellschaftlichen Leistungen und Strukturen anzuerkennen. Ihm sind die Individuen egal, die Opfer lediglich Mittel zum Zweck und dem großen Ganzen verschrieben. Er war nie Teil dieses sozialen Konstrukts, weshalb er selbst zur Todsünde mutiert.

                                                  Die Tragödie indes, ist eine zutiefst menschliche. Mills, der trotz seiner Erfahrungen und Widrigkeiten sowas wie Hoffnung geäußert hat, wird zum Sinnbild einer Verfehlung. Ausgerechnet Tracy stellt hierbei den Impuls dieses Umschwungs dar. Ihr Ableben besiegelt den Scheideweg von Mills und Somerset. Die Bemühungen von Letzterem sind vergebens. Angesichts des Scherbenhaufens und der sich darbietenden Extremsituation ist Mills keiner rationalen Beurteilung der Situation mehr zugänglich. Er handelt im Affekt, vollendet damit Does Plan und wird sein Leben auf diese Weise aus den Fugen bringen. Wir nehmen an diesem Prozess quasi teil und obwohl wir die Falschheit erkennen, so fühlen wir doch insgeheim seinen Schmerz und bringen Verständnis für seine Tat mit.

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                                                  • colorandi_causa 23.11.2016, 22:29 Geändert 23.11.2016, 22:32

                                                    Ich habe leider ein paar Sachen vergessen...

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                                                    2. Ich verstehe, dass viele News zu Themen, die mich perönlich nicht vom Hocker hauen, Clicks generieren, welche die Seite letztlich auch am Laufen halten. Schade hingegen ist es, dass dann - die leider weniger werdenden - redaktionell besseren Artikel im Nirvana landen und schnell von neuen News von der Haupseite getilgt werden. Es wäre hier m.E. sinnvoll diese separat auf der Hauptseite unterzubringen. Der Beitrag zum Wichteln z.B. ist aufgrund seines frühzeitigen Erscheinungsdatums völlig weg und das obwohl der 1. Advent nicht einmal mehr ansteht. (Ich suche übrigens noch Partner für den 1. und 2. Advent, h3h3) Im Zuge dessen wäre es natürlich wünschenswert, wenn wieder stärkere Artikel/Meinungen/Glossen whatever erscheinen würden. Sie dürfen und sollten vielleicht auch dem Thema entsprechend kontrovers sein, ohne dabei einfach nur eine Partei aufwiegeln zu wollen. Nicht jeder Beitrag muss allen gefallen, aber ein wenig mehr Output aus eigener redaktioneller Sache, die nicht nur eine Übersetzung von /r/movies darstellen, wäre schon irgendwie ganz nett.

                                                    3. Den fleißigen Mithelfern an der Datenbank mehr entgegenkommen und sich ggf. mal engagierter mit den Vorschlägen der „Intensivtäter“ in dieser Sache auseinandersetzen und ihnen das Leben erleichtern. Es wäre auch irgendwie mal ganz nett, die ganzen Leuten stärker zu würdigen und das Thema - auch in eigenem Interesse - mal wieder in den Fokus zu setzen.

                                                    4. Die Priorisierung des Feedbacks, der Änderungswünsche und Features mal überdenken. Es gibt wirklich kleine Dinge (z.B. Herz für Filme < 10Pkt), die einige hier schon etwas munterer werden ließe, die aber seit anno dazumal irgendwo in der Pipeline feststecken, während dann irgendwelche größeren Features gepusht werden. Ansonsten muss man einfach ehrlich sein und sagen "Ne, das kommt nicht". Aber bei Vielem macht man den Eindruck, es stünde auf einer Liste, die kontinuierlich abarbeitet wird, aber im Endeffekt wird einfach nichts draus.

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