Dergestalt - Kommentare
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Alle Kommentare von Dergestalt
Wer auf die Faszination des originalen "Ringu" stoßen will, muss einiges leisten. Diverse Nachfolger, Parodien, Remakes und Memes müssen verdrängt werden, der ganze Jumpscare-Grusel um dieses Mädchen mit den langen schwarzen Haaren. Dann erscheint hinter all dem ein erstaunlich minimalistisch inszeniertes Gruseldrama mit deutlich existenzieller Prägung. In dessen Mittelpunkt stehen weniger fiese Fratzen als gedemütigte Menschen und ihre unheimlich verzerrten Hilferufe. In entsättigten, subtil komponierten Bildern und dröhnenden Soundscapes erleben wir die detektivische Rekonstruktion eines merkwürdigen Geisterfluchs, der über ein Videotape übertragen wird. Faszinierend ist dabei, wie rätselhaft und bedeutungsoffen "Ringu" diesen Fluch gestaltet. Das Geistervideo wird zwar vollständig gezeigt, mitnichten aber enträtselt oder banalisiert. Die sonderbaren surrealen Symboliken und plötzlichen Schnitte wirken selbst im Post-VHS-Zeitalter merkwürdig manipulativ und unerklärlich, wie eine hybride Wirklichkeit, die zwischen menschlicher Technik und okkulter Beschwörung liegt. "Ringu" ist einem David Cronenberg und seinen menschlich-technischen Verwandlungen schließlich näher als der Spukkiste heutigen Horrors, bei der im Grunde egal ist, ob das Medium Orakel, Video oder Haunted House ist. Und in diese Offenheit entlässt uns "Ringu" schließlich auch, als Auftakt zu einer Serie, aber auch als eigenständiger Film, der dem Horror mit erstaunlichem Respekt und behutsamer Faszination näherkommt und gerade deshalb so beunruhigend in unseren Köpfen weiterarbeitet.
"Bird Box", von einigen als schlechte Netflix-Produktion geschmäht, von anderen als origineller Horror verteidigt, liegt für mich irgendwo dazwischen. Grundsätzlich kann man dem Film schwer vorwerfen, nur typische Horror-Tropes zu bedienen, ebenso ungewöhnlich, zumindest für eine Mainstream-Produktion, bleibt seine Handlungsentwicklung. Ein durchweg unsichtbares Monster, dessen Abbild nur in der Verzweiflung derer sichtbar wird, die es erleben mussten. Eine Handlung, die zwischen ausgreifendem Flashback und dramaturgisch zugespitzter Gegenwartssituation pendelt und nur selten wirklich auf Tempo setzt, meist die Erzeugung einer klaustrophoben Atmosphäre verfolgt. Das erinnert mehr an unvorhersehbar gruselige Indie-Ableger wie "It Comes At Night" als an den Turbohorror der Machart Blumhouse Horror, vor allem da "Bird Box" mehr über die Folgen der Monsterbegegnung verrät, als über das Monster selbst. Leider schafft der Film aus dieser interessanten Anlage erstaunlich wenig. Weitgehend stereotype Figuren schubsen sich in wenig überraschenden Begegnungen gegenseitig an den Abgrund, während sich ein schreiendes Plothole an das andere reiht. Über eine Gesellschaft im psychologischen Totalaus weiß der Film hingegen wenig zu erzählen, funktioniert eher als manchmal langwieriger, manchmal fieser Stresstest für die Nerven. Und auch kann es "Bird Box" nicht lassen, das Monster selbst unsichtbar als tobende Gruselmaschine mit fliegenden Blättern und Buhuuu-Sounds zu inszenieren, samt pathetischem Mutmachmonolog und verkitschter Erlöserposen. Insgesamt macht das einen interessanten Hybriden zwischen intelligentem Ansatz und unentschiedener Durchführung. Try again, I'm in.
Existenz im toten Kosmos. "Alien" gibt wie "Shining" das Beispiel eines Horrorfilms, der einerseits deutlich handlungsorientiert und spannungstreibend funktioniert, gleichzeitig aber viele unheimliche Deutungsdimensionen suggeriert. Sind die folgenden Teile des Franchise und seiner Auskopplungen darum bemüht, einen Kosmos rund um Götter und ultraaggressive Alienmonster zu erklären, ist der original "Alien" sehr sparsam mit seinen Interpretationen und damit allem geöffnet. Im vielfachen Sinne im Dunkeln gelassen, muss eine Crew von Sternreisenden erfahren, was es heißt, als hochtechnologisierte Gattung plötzlich einem immens stärkeren Feind ausgeliefert zu sein, der gegen jedwede Technologie prinzipiell immun scheint. Weitere Informationen, Hintergründe, Kontext erhalten die hilflosen Menschen nicht, bleiben im Nichts des Alls abgeschnitten und bloßes Fleisch, dem Konzepte oder Pläne nicht helfen. Noch mehr als "Shining" verzichtet "Alien" auf psychologisierende Figurenhintergründe, Rückblenden oder andere Tools, die den typischen Horrorfilm doch immer wieder aus seiner irrationalen, tödlichen Gegenwartshandlung reißen. Beinahe alle Konsequenzen des Films ergeben sich aus und in der Situation eines brutalen Überlebenskampfs. Natürlich: Als letztlich klassischer Survival-Horror hält auch "Alien" alberne Charaktermotivationen bereit und nicht alle Effekte sind so edel gealtert wie die eines "2001". Sein ungreifbarer, existenzieller Horror aber schafft eine Zeitlosigkeit, die "Alien" bis heute einen bedrohlichen Nachgeschmack gibt.
Für mich Shion Sonos bisher formstrengster, abstraktester Film - irgendwo auch der sonderbarste. "Antiporno" wird seinem Titel jedenfalls gerecht und bedient keins der Klischees, die an einen Somehow-Sexfilm auch nur entfernt gestellt werden könnten. Stattdessen wird Sonos sprunghafte Auseinandersetzung mit einem Kindheitstrauma, ähnlich wie schon in "Strange Circus", in fantastisch-surreale Bildräume verlegt. Theaterhaft und in langen, bisweilen anstrengend paradoxen Monologen gibt der Film sicher keinen leichten Einstieg, entwickelt sich dann aber zunehmend zur reizvollen Verschränkung verschiedener Realitäten, Perspektiven, Frames, in denen Sono gekonnt die zerrüttete Psyche seiner Protagonistin spiegelt. Durchweg in künstlich abgesonderten Innenräumen gedreht, die wiederum in schrillen Farben, popart-like, zeigt sich die Fratze einer misogynen Gesellschaft, die Frauen formell Freiheit zu schenken vermag, sie darin dann aber alleine und in kapitalistischen Verwertungszirkeln lässt. Hure oder Heilige - am besten beides. Schließlich implodiert dieses System farbenfroh im Geist der Protagonistin, die sich nicht mehr einordnen kann, nur mehr ausbrechen möchte. Nach "Tag" wird hier immer deutlicher, wie sozialkritisch, auch feministisch Sonos Werk letztlich ausgerichtet ist. Natürlich nicht ohne Widersprüche und Voyeurismus, aber auch das macht "Antiporno" zum unsteten Angriff auf die Sinne und unser Bild einer stabilen gesellschaftlichen Realität der Moderne.
Ein flott montierter Genrehybrid, wie man ihn vom Freakout-Filmer Shion Sono auch erwartet. Eine Amateur-Filmcrew soll eine Abschlachterei zwischen zwei Gangsterclans zur Imagepflege beider filmen. Dass das ganze äußerst absurd nach hinten losgeht, dürfte natürlich schnell klar sein. Bis dahin wirft Sono lauter überidealistische Figuren im wilden Schnittzirkus durcheinander, immer gut gelaunt und auch mit einem Schuss Zynismus. Am Ende wird das ganze in Blut gebadet, als vollkommen überdrehte, pointensichere Splatterorgie wie man sie von Tarantino auch nicht besser bekommt. Und obwohl viel geschreddert wird, bleibt dieser Sono eine erstaunlich figurennahe, sympathische, schlechthin geradelinige Affäre und damit der ideale Einstieg ins Werk des originellen, sonst aber weitaus nihilistischeren Filmemachers.
Ein Gangster will die Vergangenheit hinter sich lassen, kann es aber nicht ("Sexy Beast"). Eine verführerisches Wesen entführt Männer ("Under the Skin"). Eine Frau trifft in einem Kind die mögliche Reinkarnation ihres toten Mannes ("Birth").
Die Plots der bloß drei Filme Jonathan Glazers lesen sich zunächst gewöhnlich, wenn nicht gar klischeehaft. Man vermutet Genrefilme zwischen routiniertem Drama, Thriller und Sci-Fi-Esoterik. Aber nie kommt es so, denn immer bleibt die Erzähldynamik unvorhersehbar, immer bleiben die Figuren ein Stück zu verschlossen, deren Motivationen ungefähr. Auch "Birth" ist ein solcher Film. Psychologisierungen fehlen meist, Hintergründe werden nicht erklärt, erwartbare Dialoge nicht geführt. Flashbacks in die Vergangenheit, Vergleiche müssen wir schon aus der angespannten, entsetzten, sehnenden Miene der trauernden Ehefrau (Nicole Kidman) herauslesen. Denn Glazers Film ist vorwiegend dunkles Kammerspiel, das nur leise Eskalationen kennt. Was hier wahr ist, was Zeitreisemärchen, wird nicht aufgedeckt, da es keine allwissende Erzählinstanz gibt, zumindest keine, die uns klare Hinweise gibt. Die Thematik von Wiedergeburt findet hier in den Dialogen, den Gesichtern der ausdrucksstarken Schauspieler*innen statt und inmitten einer Kamera, die suggestiv mit melancholischer, düsterer, schwelender Soundkulisse vor dunklen Räumen steht. Jonathan Glazer gibt uns faszinierende Vorstellungsräume, aber bleibt den Zuschauer*innen ein erlösendes Framing schuldig, einen in sich schlüssigen Fantasystreifen. Eine allumfassende Deutung sieht er in der Realität nicht bereitliegen. Und genau so findet er das Trauma eines Verlusts.
"Picnic at Hanging Rock", "Virgin Suicides", irgendwo auch "Blue Velvet", vor allem aber "Picnic at Hanging Rock". "Ham on Rye" hält sich voll an den Mysterien, die der Prozess des Erwachsenwerdens verspricht. Einige Jugendliche feiern einen Abschlussball und verschwinden kurz darauf spurlos. Eine beschauliche amerikanische Vorstadt muss sehen, wie sie mit dem Verlust klarkommt. Noch weit weniger als Peter Weirs Frühwerk schert sich Tyler Taorminas Debüt dabei um Erklärungen, Verhandlungen des Verlusts. Vielmehr geht es um Atmosphäre, Gesprächsausschnitte, Leerstellen in ewiger Reihung. Weder erfährt man vom Anlass des Abschlussballs, noch werden die spärlichen Reaktionen der umherziehenden Zurückgelassenen in Kontext gesetzt, noch scheinen die plötzlichen Erscheinungen unbekannter Figuren auch nur emotional greifbar, sinnig. Eine Dramaturgie unbewusster (Angst-)reflexe wie nach Lynch fehlt ebenso wie die Katharsis freigewordener Emotionen bei Weir. Und auch die bittersüße Ironie der "Virgin Suicides", deren strahlende Filter und Poptunes zu Beginn auch in "Ham on Rye" erscheinen, bleibt weitgehend aus. Dabei wären es genau diese trügerischen Oberflächenreize, die einen gelungenen Köder für das Abgestoßene einer Vorstadtidylle bereitet hätten. Das Abgestoßene nur bleibt aus. Stattdessen Schablonen, Redundanzen und das Gefühl, das selbst die öde Vorstadthölle ein bisschen Erzähldynamik vertragen hätte.
"Wicked City" ist Sci-Fi-Pulp in Reinform. Der eigentlich heroische Einsatz eines zärtlichen wie harten Agenten zwischen einer Welt der Normalos und einer Black World will nur oberflächlich etwas von Gesellschaftsordnungen und dem Kampf um Gerechtigkeit erzählen. Vor allem geht es "Wicked City" um surreale Körpermutationen mit massivem Fetischappeal. Entsprechend öffnen sich die Tore der Black World weit, um lauter schmierige, keifernde, verwachsene Monster hervorzubringen, die nichts lieber tun, als zu zerfleischen oder nackte Frauenkörper so lange zu pressen, bis im Rahmen strikter japanischer Zensur jegliche Bondagefantasie bedient ist. Dazu gibt es stilvolle Noir-Atmosphäre der "Blade Runner"-Art, einige sorgfältig komponierte Licht- und Schattenspiele in trostloser Großstadtromantik. Auch die Mutationen sind wirklich großartig anzuschauen und bieten viel Raum für dynamische, unvorhersehbare Actionsequenzen. Dem gegenüber stehen ein eher forcierter Plot samt verkitscht-religiösem Liebespathos und einigen abrupt gesetzten, albernen Comedy-Elementen. Saubere Exploitation also und damit für stilbewusste Actionfans und Notgeile gleichermaßen geeignet.
"Nimic" ist ein angenehm direktes und reduziertes Identitätsspielchen vom Kenner ebensolcher Spiele: Yorgos Lanthimos. Weitab der opulent-historischen Screwball-Show "The Favorite" führt sein Kurzfilm wieder zurück zur dysfunktionalen Keimzelle unserer Gesellschaft: der Familie. Schon im Frühwerk "Dogtooth" Folie kühl-skurriler Machtspielchen, geben Mann, Frau, Kinder auch hier ideal statische Figuren her, an denen erprobt werden kann, was uns eigentlich als Individuen jenseits aller Rollenmuster auszeichnet. Spoiler: Nicht viel. Indem der scheinbar besonderen Familienidylle ein fremdes Element zugesetzt wird, bricht in "Nimic" zu Tage, was in der Alltagsordnung sonst nie erkannt worden wäre. Aber ändert Erkenntnis angesichts systemfester Strukturen hier etwas? Spoiler: Nicht viel. "Nimic" zelebriert, audiovisuell kompakt und wuchtig, vielmehr, was uns in allem gewohnten Zynismus eigentlich klar sein sollte, uns angesichts guter Filmkunst auch wirklich deutlich werden kann: We're nothing special.
Vexierspielchen zwischen François Ozon und Giorgos Lanthimos. "Tiere" macht ein Beziehungsdrama zum Taumel der Identitäten. Wer hier mit wem tatsächlich auf welche Weise zu tun hat, weiß der sorgfältig verwirrende Film schnell durcheinander zu bringen. Wenn dann auch noch eine Katze zu sprechen beginnt und Türen an ganz unerwartete Orte führen, weiß man, dass das hier mehr ist als eine groteske Satire. Unterhaltsam, launisch, etwas planlos und letztlich ein wenig zu hölzern in seinen Schauspielleistungen und der ständigen Suche nach einem neuen Storytwist bleibt "Tiere" ein interessanter Versuch, vorsichtig irreales Kino auch im deutschsprachigen Raum zu etablieren. Nicht mehr und nicht weniger, in jedem Fall ohne Höhen, Tiefen oder einprägsame Szenen. Nix verpasst - weitersuchen!
"Sol Alegria" - ein queerer Zirkus gegen jegliche Autorität. Zu Zeiten einer konservativ-patriarchalen Regierung flieht eine Künstlerfamilie aus den Verhältnissen und begibt sich auf einen wirren Roadtrip. Entsprechend assoziativ springt auch der Film herum, zeigt lüsterne Nonnen, eine Techno-Beerdigung, neonfarbenen Schwulensex oder grobkörnige Bilder einer inzestuösen Liebe. Den einzigen Zusammenhang scheint eine Haltung liebevollen Ungehorsams zu stiften - in dieser Subkultur Freiliebender wird wortwörtlich auf Autoritäten geschissen, untereinander Halt gegeben. Es liegt nahe, den Film als Kommentar der queeren Community auf ihr intolerantes Heimatland zu sehen. Ebenso sichtbar ist dessen Bezug auf das Brasilianische Cinema Novo in seiner radikalen Spätphase. "Sol Alegria" erinnerte mich in seinem karnevalesk-vulgären Treiben sehr an die Groteske "Macunaíma" von 1969. Wie auch dieser Film fühlt sich Tavinho Teixeiras sympathisch selbstermächtigende Freakshow ziellos an, nicht nur narrativ, sondern auch in seinen Konsequenzen. Im Grunde passiert nämlich nichts - eine Bewegung feiert sich selbst. Konfrontationen bleiben bei dieser Flucht ins Anarchische weitgehend aus. Legitim, aber auch etwas fad. Vor allem, da der Film ansonsten immer wieder ganz eigene Erzähldynamiken schafft und spannungsreiche Bilder findet. Doch die Spannung hält nicht lange und "Sol Alegria" bleibt ein freches Widerstandszeugnis ohne Radikalität.
Eine weitere Runde Frühwerk Tinto Brass. Wie bereits "L'urlo" (1968) ist der ein Jahr später erschienene "Nerosubianco" eine wilde Pop-Montage zwischen Surrealismus und Metakino à la Godard. Dieses Mal geht es ins Swinging London der 60er. Eine junge Frau eilt durch Hippie-Kommunen und Bilder eines längst kommerzialisierten wie automatisierten sexuellen Verlangens. Offensichtlich, dass Brass hier kapitalismuskritisch verfährt, sich spöttisch, aber auch lustvoll in der massenmedialen Überreizung ergibt. Entsprechend hagelt es Comicbilder, Farbfilter und surreale Tableus oft sexuellen Inhalts. Einen richtigen Plot gibt es dagegen nicht. Nur ein immer wieder auftauchender afroamerikanischer Beinahe-Liebhaber scheint Kontinuität zu stiften. Aber auch er, ebenso wie die oft leichtbekleidet präsentierte Protagonistin, steht nicht als eigene Figur, sondern als Symbol für die vielen politischen Kämpfe der 60er-Jahre. Feminismus, Antirassismus und auch die Proteste gegen den Krieg in Vietnam bilden eine Folie, vor der am Ende aber nur eine Frage steht: Wann werde ich endlich ordentlich befriedigt? Bereits das Frühwerk Brass' verrät dessen eigentliches Interesse. Hier nur kommt der Sex in einem unbändigen Willen zur gebrochenen Form. So faszinierend wie präsentiös wie schwungvoll wie ermüdend. "Nerosubianco" bleibt ein überdrehtes Zeugnis seiner Zeit.
Tinto Brass ist vor allem für seine Sexploitationfilme bekannt, etwa für "Salon Kitty" oder den berüchtigten "Caligula". Man übersieht aus dieser Perspektive aber leicht, dass Brass auch ein experimentelles, ambitioniertes Frühwerk geschaffen hat. "L'urlo" steht dem nicht-narrativen Metakino eines Godard und den ästhetisierten Exzessen eines Jodorowksy und Dusan Makavejev definitiv näher als den vulgären Spielereien eines Russ Meyer. Wir sehen ein verwegenes Liebespaar, das zwischen Kannibale, Sexhotels und kriegerische Auseinandersetzungen gerät, dabei immer wieder Liebe und Freizügigkeit predigt, alle Dogmen zu verachten scheint. Harsch geschnitten und äußerst konfus bekommt der narrativ nur schwach konturierte Film schnell einen ordentlichen Drall - wer über das Groteske lachen kann, kommt dabei am besten mit. Für die Endsechziger nicht unbedingt ungewöhnlich, aber eine ideenreiche Collage, deren ästhetische Räudigkeit bis heute beeindruckt.
Der Pole Walerian Borowczyk gilt als sonderbare Regiegestalt zwischen subversivem Arthousekino und übersteuerter Exploitation. Der Franzose Bertrand Mandico ("The Wild Boys") widmete ihm 2011 ein kleines wie skurriles "Biopic". Keine Nacherzählung einer Vita, sicher nicht, eher eine surreale Verquickung von Werk und Leben, die zu ganz eigenen Ergebnissen kommt. So ist die Gestalt Borowczyks von Beginn an in einer Holzkiste mit Guckloch versteckt, beobachtet die Welt vor allem, lässt aber auch Flüssigkeiten und andere Elemente in sein eigentlich trauriges Innenleben. Erst über das Anzapfen einer fleischernen Kamera gelingt es ihm, Innen- und Außenwelt miteinander zu verbinden und in einer eigenen künstlerischen Vision zu einen. Ein von Melodien wie Störgeräuschen geprägter Soundtrack, detailreiche S/W-Bilder, eine zwischen Visionen und Realität gleitende Kamera und nicht zuletzt viele rauschhaft entrückte Ereignisse machen "Boro in the Box" zur vollkommenen, märchenhaften Phantasmagorie. Leider reicht die Immersivität des Films nicht weit, schnell ist die Erzählung dort zu Ende, wo eigentlich das Meiste zu erzählen gewesen wäre. Beeindruckend dennoch und schade, dass Bertrand Mandicos surreale Kurzfilme in Deutschland weder bekannt noch erhältlich sind. In Tradition der Kunstkinoexzesse der 70er-Jahre macht er sich nämlich erstaunlich gut.
1. Jaki Liebezeit
2. Michael Karoli
3. Irmin Schmidt
4. Holger Czukay
5. Malcolm Mooney / Damo Suzuki
Ohne echte Rangfolge.
Roy Andersson as usual - oder eben nicht. Trüber, melancholischer und vielleicht noch symbolisch verschlüsselter scheint sein neuer Film. Wieder sind es kunstvoll arrangierte, theaterhafte Tableaus, besetzt mit weißgeschminkten, oft wie leblos drapierten Menschen. Wieder stehen historische, fantastische und alltagsnahe Beobachtungen nebeneinander und wieder fehlt ein übergeordneter Handlungsbogen, zumindest ein traditioneller. Noch schwieriger als sonst bei Andersson scheint es, größere Zusammenhänge auszumachen, will man nicht bloß konturlos über Existenz, Metaphysik und eben die Unendlichkeit sprechen. Aber genau dorthin weist "Om det oändliga" immer wieder, löst sich vom Individuellen oder zeigt dahinter alles Größere auf. Mir fehlte der spielerisch-surrealistische Twist, der die Filme von Anderssons vorangegangener "Du levande"-Trilogie noch auszeichnete und unterhaltsamer wie radikaler hat werden lassen. "Om det oändliga" scheint mir Teil eines, eigentlich längst erwartbaren, Alterswerks zu sein, zieht gemächlicher und diffuser durchs Alltags- und Unbewusstsein.
"La bête" ist sicher einer der großen Provokationsfilme der 70er-Jahre, ein Film, der so heute niemals gemacht werden könnte. Bereits die Eröffnungsszene zeigt zwei kopulierende Pferde, explizit und mit viel Geduld. Da wird schon deutlich, was später folgen soll: Sex, der animalisch und unverhofft über die Zuschauer*innen kommt. Ebenso wird es danach erst einmal dröge und eigentlich ist "La bête" ein weitgehend dröger Film. Wir sehen die Irrungen und Wirrungen eines korrupten Adelsgeschlechts, Manipulationen und Mord. Auch ein wenig Sex hinter den Kulissen darf sein und einen pädophilen Priester gibt es noch dazu. Das ist alles recht lakonisch, bisweilen in frechen Dialogen, aber auch ohne filmische Dynamik, eben schon vielfach und besser mit interessanteren Schauspieler*innen inszeniert worden. Gar nicht vorstellbar, was Luis Buñuel zur selben Zeit daraus gestaltet hätte...!
Altmeister Buñuel hätte trotz aller Provokationslust aber auch keine explizite Monstersexszene inszeniert. Die bricht schließlich über die Protagonistin des Films ein, als schreckend-delikater Traum mit barocker Klimpermusik. Hier führt "La bête" an unerhörte Orte, spielt sich als geiler Exploitationer minutenlang und bis zum Samenerguss auf. Mit deutlichem Verweis auf die in den 70ern virulente surrealistische Programmatik verhilft gerade der Traum, die gesellschaftlichen Maskenspiele aufzubrechen und die tatsächlichen Handlungsmotivationen explizit zu machen. Dass darin auch der unvermittelte Schrecken lauert, der Angriff auf jegliche Moral, macht "La bête" als launischer Hybrid aus handlicher Gesellschaftssatire und überdrehtem Sexfilm ebenfalls deutlich. Am Schluss bleibt viel irrationales Material, viel Fiebertraum, der jeder sachgerechten Interpretation wohl im Wege stehen wird. Auch eine Provokation.
Nach dem originellen, aber doch handlichen Stop-Motion-Drama "Anomalisa" dachte ich, dass Charlie Kaufman von nun an doch Filme macht wie jene, zu denen bereits Drehbücher geschrieben hat ("Being John Malkovich", "Eternal Sunshine of the Spotless Mind"...): Fantastische, aber pointierte Tragikomödien über das Gefühl, mit dem eigenen Bewusstsein irgendwie falsch in der Welt zu sein. "I'm Thinking Of Ending Things" fügt sich inhaltlich ebenfalls dort ein, erinnert in seiner geradezu erratischen Erzähldynamik und seinen diversen Realitätsebenen aber weitaus mehr an Kaufmans Regiedebüt "Synecdoche, New York" - übertrifft es sogar und macht den Regisseur endgültig zu einem der unberechenbarsten aktuellen Filmschaffenden.
Dabei klingt der Plot zunächst tatsächlich so handlich wie der von "Anomalisa". Ein Paar auf Vorstellungsbesuch bei den Eltern des Mannes. Nur schneit es die ganze Zeit, die Autofahrt aufs Land nimmt kein Ende, innerer Monolog der Protagonistin und Dialog geraten gegeneinander, die Stimmung erhält eine zunehmend negative, beinahe nihilistische Prägung. Dann tote Schweine auf der Farm, ein nicht zu betretender Keller, fratzenschneidende Eltern, die wie aus einem grotesken Theaterstück entnommen scheinen, und - Charlie Kaufman is back - Zeit- und Identitätssprünge, die sich bis zum unvorhersehbaren Ende des Films noch deutlich auswachsen. Dabei fasst Kaufman den Konflikt der Protagonistin, ihr titelgebendes "I'm Thinking Of Ending Things" mitnichten als psychologisch-figurenzentriertes Denken. Vielmehr setzt er es als Zustand einer Welt konstanten Verfalls und verzweifelter Versuche, durch (die immer unzuverlässige) Erinnerung Ordnung zu schaffen. Entsprechend lösen sich Werte, Worte, Gefühle von den Figuren, werden ersetzt, anderen Figuren zugewiesen, erscheinen in eingeschobenen oder nachgespielten Film- oder Theaterdarstellungen medial vermittelt, werden so wiederum rezipiert und legen sich als allgegenwärtiger wechselhafter Wesenszustand der Welt über das vollständige Szenario.
"I'm Thinking Of Ending Things" kippt atmosphärisch immer wieder in verschiedene Genres, spielt mal Beziehungskomödie, Beziehungsdrama, Thriller, Horrorfilm oder findet mit surrealen Bildschnitten zu ganz eigenen Annäherungen. Das erinnert in seiner vielfachen Spiegelrealität und seinem pessimistischen Grundton sehr an "Synecdoche, New York", geht jedoch schon früh deutlich weiter. Hat Kaufmans Debüt noch ein bestehenbleibendes Grundkonzept (Leben als Theater), scheint "I'm Thinking Of Ending Things" verschiedene Konzepte ausprobieren zu wollen und verändert damit immer wieder den Grund, auf dem die Figuren und Handlungen stehen, die Erzähldynamik sowieso. Das ist so anstrengend wie übertrieben wie faszinierend wie tiefgreifend wie real. Denn am Ende ist Charlie Kaufman wieder einer, der über die grundsätzlichen Verstrickungen grübelt, die sich ergeben, wenn ein Mensch inmitten anderer beginnt zu fühlen - und damit zu verlieren.
Als ich hörte, dass der philippinische Harmony Korine Khavn de la Cruz mit Wong Kar-Wai-Kameramann Christopher Doyle einen Noir-Gangsterfilm gedreht hat, dachte ich, dass es wohl ein verdaulicherer, genrelastigerer Film werden würde. Halbrichtig. Genrelastig ist an "Ruined Heart" nur der tatsächlich stereotype Plot über eine verbotene Liebe zwischen einem Gangster und einer Prostituierten, die Umsetzung des Ganzen ist es nicht. Wieder hat Experimentalfilmer Khavn seine Finger voll im Spiel und inszeniert sein selbstironisch als "Another Lovestory" bezeichnetes Werk als fast dialoglosen Musikfilm, der von einer unvermittelten Szene zur nächsten springt und damit wie ein gigantischer Trailer oder ein Musikvideo wirkt. Christopher Doyle liefert dafür atmosphärisch-experimentelle Noir-Bilder, wie man sie bereits aus Klassikern wie "Fallen Angels" oder "In The Mood For Love" kennt. Zeitlupe, Handkamera, Weitwinkel oder statisch gefilmte, auskomponierte Szenentableus in leuchtenden Farben. "Ruined Heart" sieht wuchtig aus und wird durch seinen poppigen wie wummernden Soundtrack, u.a. mit Stereo Total und Scott Matthews, zur audiovisuell drückenden Reise in die schmutzigen Ecken einer philippinischen Großstadt. Auffallend auch Khavns Entscheidung, seiner "Lovestory" die kernigen Gangsterszenen zu nehmen. Entscheidende Schusswechsel und Kämpfe kommen fast nicht oder nur in ihren Ergebnissen vor. Dafür wird ordentlich gevögelt, sogar ein Noé'scher Blowjob erscheint vor leuchtender Neonkulisse. Dass "Ruined Heart" trotz eigensinniger Herangehensweise oberflächlich, sogar gesucht stylisch bleibt, wird schnell deutlich. Dass der Film ungewohnt und intensives Suggestionskino ist, aber auch. Khavn ist provokant, selbst im sauber produzierten Genrekino. Oder um im Harmony Korine-Vergleich zu bleiben: Khavn de la Cruz bleibt sich in seinem Sprung von "Gummo" zu "Spring Breakers" treu.
Dušan Makavejevs "W.R. - Misterije organizma". Kult und vergessen, durchtrieben und intelligent, plakativ und obszön. Diese äußerst fantasievolle wie dadaistische Dokumontage führt nicht nur zu den Lehren des obskur-visionären Sexualforschers Wilhelm Reich, sondern auch zu deren sexualliberaler Anwendung im autoritären Sozialismus. Beginnt der Film noch recht geordnet mit einer Voice-Over-lastigen Einführung in Reichs Werk und zu dessen Nachkommen, schieben sich schon bald frech montierte Szenen aus sowjetischen Propagandastreifen ein, dazu auch ein Plot um zwei Freundinnen und ihren Versuch, den Sozialismus zu sexualisieren. Der spielerische Zug, wesensfremde Elemente und Filmgattungen zu kombinieren und damit zu unterwandern, erinnert sehr an den feministischen Dadaismus des tschechischen "Tausendschönchen". Dabei geht Makavejev noch weiter und sucht echte shock values. Schreiend orgiastische Menschen, ein wenig pornografisches Material, psychisch kranke Menschen in ungewohnten Posen, alles montiert in die großen Momente von Stalins Propagandastreifen - das sucht nicht bloß die kritische Hinterfragung, sondern will unmittelbar schockieren, beleidigen, lustvoll ausschlachten. Das macht den Film nicht nur selbst zu dem, was er thematisiert, sondern erinnert auch an die psychorevolutionäre Agenda der Surrealisten, der sich Dušan Makavejev mit dem boshaften Nachfolger "Sweet Movie" noch deutlicher annähern wird. "W.R." bleibt aber unvergleichlich und eindringlich, bis heute, was sicher auch seiner Effektgeilheit zu verdanken ist. Aus einer Zeit, in der ideelle Revolution auch ästhetische Revolte bedeutete.
Im Geburtsjahr der Partei Die Grünen kommt ein Film, der die Umweltbewegung liebevoll ironisch zu portraitieren weiß. Mit einem maximal provisorischen Plotgestell rund um einen ambitionierten Supergärtner, ein wachstumskritisches Schrebergartenkollektiv, salatblattgeile Aliens und einem besonderen (Nicht-)Schauspielensemble (darunter Hildegard Knef, Kurt Raab und Edgar Froese von Tangerine Dream) stolpert "Warum die UFOs unseren Salat klauen" von einer mehr oder weniger witzigen Szene zur anderen. Fallen in manchen Momenten skurrile bis pointierte Dialoge zu deutschen Befindlichkeiten ab, sind es in anderen langgezogene ereignislose Plappersequenzen, die der Film sogar als solche benennt und glücklicherweise auch verwirft. Gegen Ende dreht "Warum die UFOs unseren Salat klauen" dann endgültig frei, verliert sich aber auch in seiner abschließenden Materialschlacht, die sicher so manchen verwirrten Blick auf das Budget dieses Kuriosums provoziert. Insgesamt ein launischer Klamauk für Fans von Rosa von Praunheim, Wenzel Storch und Helge Schneider - wobei deren kreativ-subversiver Irrsinn nur in wenigen Momenten erreichbar scheint.
Ganz böse will man "The Cabin in the Woods" nun doch nicht sein. Das Ziel ist natürlich verfehlt: Weder ist der Film ein packender Horrorstreifen noch ein intelligenter Genrekommentar, schon gar kein Metaspektakel. Vielmehr holpert die Plotmaschine und wirft von Beginn an schematischste Gegenüberstellungen ab. Wir haben eine Gruselhütte voller austauschbarer Twens und den bösen Horrorkomplott, um den der Film ein solches Geheimnis macht, dieses aber eigentlich sofort verrät und zum Dauergag verunstaltet. Klar, das ist weder spannend noch sonderlich subtil. Dennoch: Es bleiben die Selbstironie und auch das Vergnügen an diesem Malen-nach-Zahlen. Genüsslich kostet der Film seinen Metaplot aus, spielt treffsicher auf diverse Klischees des Genres an und wirft einige kreative Einfälle ab (Warum ständig Sex? Weil Pheromone in der Luft lagern!). Den grotesken Zug, seine eigentliche Stärke, greift "The Cabin in the Woods" gegen Ende glücklicherweise vollends auf und zeigt den Horrorfilm in irrwitzigen Bildern als das, was er meist wohl ist: Eine stereotypisierte Effektmaschine. Blöd nur, dass dieser Meta-Streifen über weite Strecken nicht wirklich anders funktioniert. Dass ein bloßes Augenzwinkern zu den Zuschauer*innen keine clevere Entlarvung schafft, hat ja bereits "Deadpool" bewiesen.
Vintage-Vampire. "Only Lovers Left Alive" nimmt sich das Fantasy- und Horrorgenre, um der menschlichen Kultur seine ganz eigene Diagnose zu stellen. Fast ironisch, dass der Film dabei vollkommen auf typische Genremechanismen verzichtet und nur das Figurenrepertoire lässt. Jim Jarmuschs Hipster-Vampire plaudern lieber über ihren welt- und zeitumspannenden Lifestyle als Menschen aufzulauern oder auszusaugen. Blut wird ganz lässig beim nächsten Dealer gezogen, spielt eher die Rolle einer sinnlich-ausladenden Droge als die eines umkämpften Lebenselixiers. Und selbst wenn der Tod droht, schleicht er vielmehr melancholisch daher. Vampire schreckt das nicht. Wer also keine genretypische Plotdynamik, mehr einen elegischen Essay zu Elend und Größe der menschlichen Kultur erwartet, bekommt seinen Jarmusch, wie er ihn kennt. Elegante Montagen und ein wegdröhnender Gitarrensoundtrack geben dem noch dazu eine ganz besondere, psychedelische Note, eine Zwischenweltlichkeit, die handfeste Konflikte gar nicht braucht. Und am Ende ist es die menschliche Nähe, die den Vampir zur wirklich unsterblichen Gestalt werden und über alle Scherereien triumphieren lässt, die uns das Genrekino sonst so bedeutungsschwer in die Fresse klatscht. Ein sympathischer Ausweg.
Autorenfetische. "Ex Drummer" entführt in einen Sozialelendspfuhl, eigentlich zu eklig, um keine voyeuristische Fantasie zu sein. In dieser Welt, in der eine Band mit dem Namen The Feminists nur ironisch unterwegs sein kann, sind alle Normen aufgeweicht. Frauenhass, Homophobie, Rassismus, radikaler Narzissmus und Gewaltbereitschaft greifen ineinander und formen einen Sog, in dem keine Bedeutung wirklich final sein kein. Hier übertrifft jede Elendskarikatur konstant die andere, jeder noch so boshafte Stammtischkalauer wird bis ins Groteske, sogar Surreale verzerrt. Der wohlkompilierte Soundtrack treibendster belgischer wie internationaler Undergroundmusik und die gekonnt überstilisierten Bilder schaffen einen pointenreichen, magisch-realistischen Kosmos, der in dieser Intensität und Posenhaftigkeit gar nicht Realität sein kann. Und so geht "Ex Drummer" auch den letzten Schritt in die Metafiktion, zeigt die Welt der belgischen "Unterschicht" als manipulierbaren Mikrokosmos einer nihilistischen Autorenseele. Dem Skurrilitätenzirkus entkommt nur, wer stirbt. Und so haben ironischerweise die Toten in "Ex Drummer" das letzte Wort, jene, die sich einer Vereinnahmung endgültig entziehen. Der König von Belgien bleibt unangetastet, die sprechenden Leichen die selbstständigsten Menschen. "Ex Drummer" ist eine launische Albtraumvision, so pulsierend wie hoffnungslos, bis heute unvergleichbar.
Kurzfilmtipp (nicht auf Moviepilot): "Twilight" (1994) von Tengai Amano.
Surrealistischer Stummfilm über einen Jungen, der nach seinem Tod zwischen dieser Welt und dem Jenseits pendelt. Vergnüglich und voller unerwarteter Bildideen. Irgendwo zwischen dem Stop-Motion-Surrealismus von Hans Richter und Jan Svankmajer, den assoziativen Schnittcollagen von "Tetsuo" und der entrückten Märchenhaftigkeit von "Valerie".
Mit Untertiteln: https://www.youtube.com/watch?v=XiunwQwo0Dw