Dergestalt - Kommentare
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Alle Kommentare von Dergestalt
Eiichi Yamamoto kennt man hierzulande, aber dann auch nur in Indie-Kreisen für seinen furiosen, psychedelischen Proto-Anime "Belladonna Of Sadness" (1973). Yamamoto war jedoch schon zuvor mit seiner originellen Pop-Art-Mischung diverser Zeichenstile am Start. Mit der gutgelaunten Adaption des Geschichtszyklus "Tausendundeine Nacht" von 1969 erzählt er eine archetypische wie eigensinnige Heldengeschichte auf ganz eigene Weise. Das bedeutet viel 60s-Exploitation, also Machogesten, Frauenbrüste, lässig psychedelische Rockmusik und natürlich lauter skurrile Einfälle, die unmöglich alle aus dem Originaltext stammen können (etwa ein motorisiert-fliegendes Holzpferd). Das Ganze ist in erster Linie gute Unterhaltung, die von ihrem wilden Wechsel diverser Zeichenstile lebt. Skizzenhaftes, Ornamentales, Abstraktes, simpler Zeichentrick und sogar real gefilmte Kulissen ergeben eine störrische Mischung, die ideal zu den mal lustigen, mal spannenden, mal lüsternen Abenteuern des Protagonisten Aldin passt. Da vergehen auch die 130 Minuten Spielzeit recht flott, selbst wenn die großen Überraschungen ausbleiben. Schließlich sind viele der hier aufgekochten Märchentropes rund um schöne, passive Frauen und tollkühne, aktive Helden längst toterzählt. Neues Leben schenkt ihnen Yamamoto aber in jedem Fall und zeigt, dass schon sein Proto-Anime alles bereithält, was man sich nur denken kann. Tolle Zeit, diese 60er.
Was nach schierer Exploitation klingt, Geilheit und Sex durch Autounfälle, wird bei David Cronenberg zum subversiven Psychokino. Es wundert dabei nicht, dass nach William S. Burroughs ("Naked Lunch") J.G. Ballard als Vorlagengeber folgt. Beschäftigen sich doch beide Autoren mit der Transformierbarkeit des Menschen in dystopischen Gesellschaften, die schon heute beginnen zu sein. Das New Flesh von "Crash" entsteht aus dem Zusammenstoß und der Verformung von Blech, Plastik und Gummi zu lustvoll geöffneten Leibern. Autos, zunächst bloße Vehikel, Extensionen des Menschen, werden zum Teil des Menschen und dessen tiefster Triebnatur. Die unendlichen, kreativen Spielmöglichkeiten einer solchen modernen Erotik fasst Cronenberg in "Crash" auf erstaunlich ruhige, fast essayhafte Weise. Hier gibt es keine wirklichen Konflikte, Antagonisten, bloß eine Idee, die alle besessen macht. In kühler Milleniumsästhetik voll pointierter Erotik öffnet sich der menschliche Körper an allen Punkten. Narben, Verwundungen, Verschrottungen, Substanzen markieren einen Spalt, der zur neuen Vereinigung nur penetriert werden muss. Die Geschlossenheit einer modernen, polierten Welt wird in Frage gestellt, wenn sich auch die glänzenden Oberflächen in Dampf und Feuchtigkeit öffnen. Ein visionäres Paradies, das längst keine Fetische mehr schafft, da es schon zuvor belebt ist, nur mehr entdeckt werden muss. Eine tragische Verfallsgeschichte einiger Perverser ist "Crash" also nicht, vielmehr ein zitterndes Stimmungsbild im Augenblick vieler neuer Möglichkeiten, naiv und brutal gleichermaßen, einzigartig sowieso.
"The Forbidden Room" ist eindrückliches wie trügerisches Kunstkino. Zunächst scheint Guy Maddins Reise durch die verschiedensten Genres des Stumm- und frühen Tonfilms klares Zitatekino, für Cineast*innen eine sichere Sache und großer Genuss. Tatsächlich aber spielt Maddin vor allem, gefällt sich in seiner surrealistischen Schaustellerei mehr denn als wohlweißlicher Filmkenner. Entsprechend grotesk und plötzlich funktioniert "The Forbidden Room" auch. Meist sind es nur wenige Minuten Handlungssequenz, die in einem verwirrenden Labyrinth aus Haupt- und Seitenhandlungen neben-, unter- oder übereinander angeordnet sind, oft scheinen Figuren mehrere Identitäten zu besitzen und auf das ständig überbelichtete, psychedelisch flackernde, kunstvoll zerfasernde Bild ist überhaupt nur wenig Verlass. Und die Texttafeln: Die bringen vor allem Effekte, suggerieren Bedeutung, die der Film nie wirklich einzuholen scheint.
Überhaupt ist Maddin viel interessierter daran, in die verbotenen, zensierten Traumräume des Kinos vorzustoßen, diffuse Horror- und Sexmotiviken anzudeuten, um aus ihnen wahnwitzige Fieberträume zu gestalten. Denn vor allem sind seine Figuren obsessiv, randständig, verzweifelt, geil. Held*innen gibt es nur wenige, das ordnende Gehirn wird gleich weggebombt. Entsprechend ist auch der letztlich erreichte "Forbidden Room" kein prächtiges Wunschzimmer, sondern das Ende der Logik. Guy Maddin entgrenzt lieber, als dass er eingrenzt. Referenzen, die ins Leere weisen und damit zeigen, wie sehr uns Bilder, und seien es die klassischsten, doch immer manipulieren. Sie öffnen Raum für eigene Vorstellungen, mit denen uns da Kino dann aber alleine lässt. Insofern darf man sich nach Maddins Film mit vollem Recht ein bisschen verarscht fühlen - oder einfach lachen, am besten über sich selbst. Was wissen Cineast*innen auch über die Träume der Menschen?
"Videodrome" ist ein herrlicher Zwitter aus Damals und Heute. In ikonisch-skurrilen Wandlungsprozessen zeigt Bodyman David Cronenberg, wie die Technik als verlängerter Arm des Menschen immer mehr zu genau dessen Arm wird. Damals noch mit Videokassetten vermutlich äußerst überraschend, heute dank all der embedded technology sehr gut vorstellbar. Für das, was damals weit weniger greifbar schien, fand Cronenberg als Visionär, der er war, konsequente Bilder, Metaphoriken. Verwachsene Pistolen in der Hand, knutschende Displays oder extensives Gedärm. Zwar ist "Videodrome" kein "Tetsuo", bleibt also bei einem treibenden Plot und einigen schmissigen Dialogen, gibt sich zu jeder Minute aber die Freiheit, alles Mögliche zu werden. Auch wenn "Videodrome" aus seiner gruseligen Snuff-Prämisse längst nicht alles herausholt und auch seine Oldschool-Trickkiste eher pointiert verwendet, bleibt der Film bedrohlich, doppelbödig. Gerade, weil Cronenberg an den Oberflächen der Menschen nicht stehenbleibt, sondern auch deren Wahrnehmung und damit den Geist mit in die Transformationsrechnung nimmt, können wir nie wissen, welche Realität nun die endgültige ist und wo ein Erklärungsansatz wirklich greift. Nicht zuletzt weil Cronenberg seinen Freud fleißig gelesen hat und damit einiges an unberechenbarer sexueller Lust im Spiel hält. Die Identitätstwists, die in einschlägigen "Mindfuck"-Filmen eher schablonenhaft auf Filmfiguren treffen, werden den Figuren bei Cronenberg förmlich ins zuckende Fleisch und damit in ihre urgründige Existenz geschrieben. David Cronenberg ist eben kein Filmemacher des Skurrilen, Abseitigen, sondern des Existentiellen. Spannend, dass er genau dieses im Fleisch des modernen, optimierten Menschen findet. New flesh, new tragedy.
"Lost Highway" ist David Lynch in archetypischer Form und Kino in seiner suggestivsten Art. Vor dem Hintergrund einer dysfunktionalen sexuellen Beziehung geht ein Riss durch die Dinge, durch die Personen, deren Handlungen und deren Identität. Mit all dem wird auch die Dramaturgie ungreifbar, das Handlungszentrum unstet und beweglich. Die Kamera ist es schon zuvor, der Sound sowieso. Verschwommene oder verrückte Perspektiven, dunkle Klangflächen mit verhuschten Instrumenten. In sorgfältig ausgestalteten Räumen in schummriger Noir-Atmosphäre, mit eingefrorenen Mimiken, stockenden Äußerungen und isolierten Genre-Tropes geht Lynch in die Urgründe des Hollywoodkinos, ruft alles ab, was der gelernte Kinozuschauer kennt, fragmentiert es aber und ordnet es zu einem quasi schizophrenen Bewusstseinscocktail an. Dabei gelingt ihm nicht nur eine höchst subversive Auseinandersetzung mit dem urbekannten Kino selbst, sondern auch ein durchweg unterhaltsamer Film. "Lost Highway" ist kein engagiertes Kunstkino, kein Versuch, die Welt zu durchdenken, "Lost Highway" ist suggestives Stimmungskino, das uns über unsere Wahrnehmungsfähigkeit unsicher werden lässt, das uns mit Krimi lockt, mit Horror fesselt, uns mit Bild und Klang überwältigt. Man kann Lynch also leicht vorwerfen, dass er kein durchdachtes, sondern vor allem versumpftes, diffuses Kino macht. Aber wollen wir da nicht hin? Die Voraussetzungen vergessen, den Maßstab unserer Realität und dann ab in einen abgeschlossenen Raum, der uns seine neue Weltsicht nicht präsentiert, sondern uns dazu zwingt, sie anzunehmen? Und dann ist man im besten Sinne des Wortes gepackt und muss mit Lynch durch diesen dunklen Flur. Dort begegnet man sich selbst. Was sonst sollte man suchen?
Sion Sono auf Netflix. Klingt paradox und lässt vermuten, dass der japanische Pop-Avantgardist nun Mainstreamkost serviert. Ist aber nicht so und "The Forest of Love" vielleicht die bis dato verstörendste Netflix-Produktion. Es stimmt natürlich, dass Sono in seinem überlangen, überladenen Film um eine sadomasochistische Filmcrew nicht unbedingt überrascht, da er einige Motive seiner früheren Filme locker reproduziert, allerdings ist Sono überhaupt ein Regisseur, der an seinen Thematiken festhält. Also geht der Blick wieder auf eine patriarchale Gesellschaft, die kaputte Individuen produziert. Manipuliert und geschändet, erhalten die nur durch (Selbst-)Zerstörung so etwas wie Selbstbestimmung. Elegisch und unmittelbar schön ist bloß der selbstbestimmte Tod wie er auch am Ende des im Film vielzitierten "Romeo und Julia" steht.
Was "The Forest of Love" dabei so radikal macht, ist sein starrer Blick auf die zerstörerischen Dynamiken, die dem Tod vorausgehen. In quälend gleichförmigen Szenenfolgen werden Menschen gedemütigt und, noch schlimmer, lassen sich ohne echten Widerstand demütigen. So kann man Sono durchaus eine nihilistische Grundeinstellung unterstellen, wenn er seine Zuschauer*innen hoffen lässt, durch Mord, Tod endlich eine Entladung des Drucks zu erreichen, der sich über all den geschändeten Körpern so lange aufgebaut hat. In diesem Pop-Albtraum voller skurriler Momente wie asozialer Figuren gibt es nur den plötzlichen Weg des Schicksals oder eben des Filmskripts. Psychologie, Schlüssigkeit und Humanität gibt uns Sono nicht und bleibt damit auch auf Netflix einer der unangenehmsten Regisseure der Gegenwart.
Gehemmte Sexualität, gehemmtes Leben, die beide durch fetischhafte Gewalt frei werden können. So ziemlich das Muster aller Werke Shin'ya Tsukamotos, die ich bisher sehen konnte und auch Inhalt von "A Snake of June". Wobei, nicht ganz. Deutlich am Film-Noir angelehnt und mit vielen sorgfältig komponierten Bildern im Blaufilter geht es in eine regennasse Stadt voller unterdrückter Wünsche, Sehnsüchte und Begehrlichkeiten. Die junge Telefonseelsorgerin Rinko wird hier von einem ihrer Anrufer genötigt, ihre geheimen sexuellen Wünsche zu offenbaren. Das gelingt nicht so leicht und entsprechend zurückgenommen, fast prüde wirkt Tsukamotos Werk zunächst, scheint mehr Psychodrama der Art François Ozon als fetischhafter Fiebertraum. Aber nicht lange. Der kompakte Film steuert bald in unwirkliche Bereiche, bietet einige surreale Bildmontagen und eine Auflösung, die dann doch mehr "Tetsuo" als "Swimming Pool" ist. "A Snake of June" gehört womöglich zu den ästhetisch stimmigsten und konzentriertesten Filmen Tsukamotos und ist am ehesten Einstiegskandidat, da hier so einiges an befremdlichem Exploitationpotential wegfällt. Wer den Schluss genießen kann, darf dann mit Filmen wie "Tetsuo" oder "Tokyo Fist" weitermachen.
Der moderne Horrorfilm. "The Wailing" erzählt vom Übernatürlichen im ländlichen Südkorea und das auf eigene, vertrackte Weise. In einer Kleinstadt, in der vor allem Mythen und das Vertrauen ins Übernatürliche zählen, verlieren die Menschen in ihrem Glauben an unmittelbare Erscheinungen leicht die Orientierung. Da mag die Polizei helfen. Aber auch die bringt mit ihrer unbedarften Verkopftheit keine Rettung und so schreitet "The Wailing" mit seiner wirren Suche nach dem Ursprung eines bösen Fluchs alle möglichen Genres ab, ist mal slapstickhaft, mal nachdenklich, mal gruselig, mal brutal. Das erinnert in seiner Anlage an den glaubensskeptischen "The Exorcist", in seiner sprunghaften Durchführung aber auch an aktuelle Genresprenger wie Ben Wheatly (v.a. "Kill List") oder Sion Sono (v.a. "Cold Fish"). Dass dabei nicht alles sinnvoll ineinandergeht, dass manche Auflösung abrupt und wie aufgezwungen wirkt, mag man dem Film vorwerfen, kann jedoch auch als konsequente Umsetzung eines Phänomens gesehen werden, dass keine rationalen Zugänge erlaubt. So bedeutet "The Wailing" einen äußerst kompromisslosen, nervösen, absolut erfrischenden Zugang zum Okkulten und seiner Bedeutung für die Gesellschaft. Horror, der sich selbst reflektiert und sich darüber ins Verrückte stürzt. Sperrig und intensiv, arthouselike und effektgeil, schwierig zu fassen und damit doch genau an der richtigen Stelle.
Zuerst scheint "Halloween" eine Entzauberung. Zum Fest der altschauerlichen Horrormythen rennt ein gestörter Serienkiller herum. Oder eben nicht, nicht nur. Michael Myers trägt eine kahlweiße Maske, wird nicht erkennbar, erlangt Fähigkeiten, die er nicht haben kann, wechselt willkürlich zwischen Orten, wird selbst zur realweltlichen Entsprechung jenes Bogeyman, den schreckhafte Kinder an Halloween so fürchten. Und am Ende werden in "Halloween" alle zu Kindern, die vor der Welt zurückschrecken, von ihren Eigenheiten getrieben werden und für die eine Nacht absolute Dunkelheit, Nichts, Tod bedeuten kann. Mit schwebenden Kamerafahrten, einem markant-reduzierten Soundtrack und der Kulisse einer nur schwach belebten, herbstlichen Kleinstadt schafft "Halloween" rasch seinen eigenen Kosmos, der keine psychologisierenden Hintergrundgeschichten, harschen Schockeffekte oder salbungsvolle Mystik braucht. An "Halloween" erschreckt der unbedingte, kindliche, auch unbeholfene Glaube an ein Böses, das überall ist, das zum Zustand dieser Welt gehört und vor dem niemand entkommen kann. Insofern und trotz mancher B-Movie-Holprigkeiten ein wesentlicher, vielleicht zeitloser Beitrag zum Horrorgenre und Vorbild all jener Schockfilme, die ihren Zuschauer*innen nicht bloß beeindruckend entgegenkommen wollen. Nein, "Halloween" verzaubert die Welt um uns und lässt uns dann alleine.
Gehört das Böse grundsätzlich zum Menschen? Eine Frage, die dem Horrorfilm gefällt, für die der Horrorfilm gerne die buntesten Ausgeburten sucht, irgendwie in der Hoffnung, dass das Böse im Inneren eigentlich ganz gut zu fassen, zu objektivieren ist. Im Grunde aber, im tiefsten Grunde sitzt das Böse im Menschen, wird dann bloß in die Welt hinausprojiziert - und damit greifbar für verschiedene Therapieformen, die das Subjektive daran herausstellen, das Bedingte, das Perspektivische. Oder schlicht gesagt: Es gibt nichts Böses, nur Affekte, die sich ihre Form suchen. Die ist nur vermeintlich böse, vor allem aber greifbar, heilbar.
Depressionist Lars von Trier will an therapeutische Ansätze wohl nicht so recht glauben, zumindest tut es sein halluzinativ-allegorischer Horrotrip "Antichrist" nicht. Der wissenschaftliche Zugriff auf den Menschen, dessen Allerklärungsansatz kann nur versagen, wenn er der Bösartigkeit, wie sie in den Körper eingeschrieben ist, begegnet. Man muss die Fassung, den Menschen, schon zerstören, wenn man seinen Inhalt, das Böse, vernichten will. Das ist zynisch, in seiner Zuspitzung hier auch misogyn. Oder verhält es sich anders herum? Ist das Böse, der Antichrist, nicht am Ende eine suggestive, prahlerische Vorstellung, der sich Menschen bedienen, um ihre Verantwortlichkeit einfach abzustreiten? Beide Positionen sind in "Antichrist" denkbar und zeigen Trier als einen, der Friedrich Nietzsches Abkehr von allen fixen Sinnkonstruktionen, Religionen und einer Ethik, radikal verinnerlicht hat. Am Ende gilt: Kein Denkansatz hält hier die beruhigende Allmacht bereit, die das Erzählkino häufig suggeriert.
Erzählkino. "Antichrist" ist auch ein Film, der damit ästhetisch beeindruckend bricht. Der simple Plot mit simplen Figuren entwickelt sich zunehmend unstet, kennt merkwürdige Handlungseinschübe, Motive, die vor allem über Bild- und Sounddesign vermittelt werden. Trier bedient sich ganz souverän, fast intuitiv, bei den Mitteln des Horrorfilms - subfrequentes Dröhnen, dunkle Bilder, Störungen in der Perspektivik - baut sie in ihrem psychedelischen Ansatz aber hemmungslos aus. Die Folge: Bilder verabsolutieren sich, lösen sich aus dem Handlungszusammenhang, Figurenverhalten wird sprunghaft, unpsychologisch. Insofern muss man auch das vermeintlich eindeutige Ende des Films, die vermeintlich klare Auflösung, mit Vorsicht betrachten. Umso schlüssiger "Antichrist" tut, umso banaler er wirkt, umso weniger sollte man dem Regisseur hier trauen. Und Kunst, die Misstrauen und ihre eigene Relativität lehrt, ist schon einmal keine schlechte Kunst. Vor allem, wenn sie gleichermaßen so intensiv alle Affekte an sich zieht.
Weil der Aster-Hype gerade so schön am Kommen ist, gebe ich mal Anlass, auch seine Kurzfilmanfänge zu betrachten.
"The Strange Thing About The Johnsons" zeigt, dass Aster bereits zu Beginn seiner Karriere voll mit dysfunktionalen Familienverhältnissen beschäftigt war. Hier besonders sonderbar, irgendwie krass - hätte sowas eher von Sion Sono erwartet. In jedem Fall sehenswert.
https://vimeo.com/155016328
Dank geht an MrDepad, der mir den Link zukommen ließ.
Ist "Too Old Too Die Young" eigentlich eine bereits abgeschlossene Serie oder lässt Refn da zwei Serienprojekte parallel laufen?
Nicht, dass ich ihm das nicht zutraue...
Hoffe, der läuft plottechnisch nicht allzu banal, farblich und cagig sieht er ja interessant aus.
[Kürzere Fassung gesehen.]
Schon zu Beginn seines Underground-Kulthits zeigt uns Damon Packard, dass er wie schon Guy Maddin mit "Forbidden Room" kaum an klaren Narrativen interessiert ist. Bevor der Hauptfilm beginnt, setzt eine ultrakurze Mockumentary ein, die einiges zu Regisseur und Werk zu sagen hat, dazwischen immer wieder Vintage-Werbespots von denen selbst ein Tarantino nur feucht träumen kann (vermutlich sinds sogar echte). "Reflections of Evil" sucht auch weniger eine Handlung oder gar greifbare Inhalte als möglichst groteske Schnitte, optische Verzerrungen und asoziale Situationen. Im Schnittgewitter rund um einen infantil-aggressiven, vielfräßigen Mann, der einiges an John-Waters-Appeal mit sich bringt, erkennt man nur grobe Handlungssequenzen. Mal streitet er mit seiner Mutter, mal will er Hunde oder ihre Hundebesitzer ermorden, mal will er schrottige Uhren verkaufen, mal geht es in den Kampf mit Gesetzeshütern. Ab und an zerplatzt auch sein Kopf oder wird in die Breite gewarped. Parallel dazu hat seine zeitversetzte Schwester in den 70er-Jahren Begegnungen mit dem jungen Steven Spielberg, der vor allem Puppen gegeneinander wirft und explodieren lässt. Diverse reingeschnittene Filmszenen von "The Lord of the Rings" bis hin zu "E.T." (of course) ergänzen das Metapotential. Ja, "Reflections of Evil" gehört zu den wirrsten Seherfahrungen, die ich bis jetzt erleben durfte. Die ständige Montage in Lo-fi-Optik, das vollkommen ramschige Dubbing jeglicher Dialoge und die durchgängige Aggressivität auf mindestens zwei Stunden sind dabei sowohl urkomisch als auch brutal anstrengend. Experimentalität der Experimentalität willen. Und übrigens: Während des Films hatte ich leichte Halbschlafphasen und glaube, ihn so noch tiefer durchdrungen zu haben.
Ein hemmungslos visualisierter Trip, als Film getarnt. Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Radikalität Terry Gilliam seine Drogenvision umsetzt. In "Fear And Loathing In Las Vegas" drehen nicht nur Kamera und Darsteller auf, sondern auch die Handlung, die sich als solche bald verliert und der entfesselten Realität des permanenten Mischkonsums so kongenial entspricht. Nicht zuletzt bietet Gilliams Adaption des semi-autobiografischen Kultromans von Hunter S. Thompson eine irritierend akkurate Imitation von Hunter S. Thompsons Alter Ego Raoul Duke durch Johnny Depp.
Aber was noch? Nur ein Spaßfilm? Eher ein Film über hilflosen Hedonismus. Denn nach der Hippie-Ära sind Drogen hier längst zum unbewusst geballerten Spaßmittel geraten. Wirkliche (schlechte) Trips erzeugt das paranoide Amerika selbst. Immer wieder ist im Film die Flagge der USA zu sehen, mal flatternd, mal liegend, mal zusammengeknüllt, mal als schützendes Dickicht vor der Medienpropaganda, die der Nationalismus doch selbst befeuert. Die Hippie-Proteste haben daran nichts geändert. Und so fallen auch die Drogenvisionäre ihrer Zeit als bloße Konsument*innen auf sich selbst zurück und gehen in sich verloren. So lustig, wild und rasant der Film auch ist, so trocken und pessimistisch bleibt seine Diagnose: Der psychedelische 60s-Protest hatte einen Sinn, hatte ein Ziel, hat sich auf dem Weg aber verloren. Übrig bleiben nur die drogenverseuchten Spinner, die ihren Platz in der Welt längst verloren haben. "Too Weird To Live and Too Rare To Die."
[SPOILERGEFAHR]
"Zum Glück hat sie in Hårga ein Unterstützungssystem gefunden, das ihr den nötigen Rückhalt gibt und es ihr ermöglicht, einen Schlussstrich zu ziehen."
In deiner sehr positiven Formulierung zeigt sich auch schon, was "Midsommar" besonders bzw. schwierig macht. Das grausame Ritual funktioniert irritierend gut als Katalysator für den Schmerz in unserer Gesellschaft, da er ihm den Resonanzraum bietet, den man sonst kaum finden wird. Bestialisch große Gefühle können sich in Hårga einen bestialisch großen Ausdruck suchen. Auch die Bildlichkeit des Ganzen hilft, mit der toxischen Beziehung abzuschließen. Also keine abstrakte Trennung, sondern eine leibhaftige, die von Aster so sinnlich dargestellt wird wie Sex.
"Midsommar" setzt genau dort an, wo Ari Asters Horrorüberraschung "Hereditary" aufgehört hatte: Bei der Faszination für das sinnbefreite, übersteigerte Okkulte. Insofern erinnert "Midsommar" auch weit weniger an den heutigen Horrorfilm mit seinen zurechtgeschnippelten und durchnormierten Mythen und Ritualen als an 70er-Filme wie "The Holy Mountain" oder "The Wicker Man", die in voller Hingabe und ohne Blick auf Handlung und logische Folge ihren teils grausamen Okkultismus in formschöne, helle Kinobilder übersetzten.
Natürlich hat "Midsommar" auch andere Elemente, sogar Psychologie. Aster hat hier wieder jenen, aus "Hereditary" bekannten Horrorsubtext über zerrüttete Familienverhältnisse, speziell die Orientierungslosigkeit in einer anonymen Welt ohne echte Kommunikation, löst ihn aber in einem großzügigen Panorama voller bunter weißer Kleider, sonderbarer Ritualanordnungen und morbider Details auf. Eine Gegenwelt, die "Midsommar" wichtig ist. Dazu ein Soundtrack, der mehr atmosphärisch schwelt als handlungsfördernd auf einen Höhepunkt hinzuläuft. Die Horrortropes, die Aster jumpscarefrei bemüht sind wie auch in "Hereditary" nicht unbedingt neu oder innovativ, werden aber auch entsprechend beiläufig präsentiert. Schnell wird auch hier klar, dass es vor allem um ihre ästhetische Umsetzung, die Integration in ein wundervoll düster-grelles Bild geht. Asters radikaler Wille zur schönen Form geht schließlich so weit, dass der Horror ungeachtet seiner Schrecken zu einer vielleicht verstörenden, in jedem Fall aber lebendigen und sogar hoffnungsstiftenden Sache wird. Ein Schreck, der uns zeigt, dass wir am Leben sind. Und das Leben geht hier weiter, brutal und leidenschaftlich. Ein besonderer Film.
More of the same oder vom Clown, der die Drehbuchseiten gefressen hat.
"It 2" bläst seinen Gruselidentitätszirkus auf fast drei Stunden und lässt mich immer wieder fragen warum. Ein Drehbuch, das in seiner Gleichzeitigkeit von Behäbigkeitkeit, Schablonenhaftigkeit und grotesker Willkürlichkeit selbst im heutig ziellosen Mainstreamhorror ohne Vergleich ist. Figuren, die als bloße Abziehfolien ihrer Teenie-Ichs umherstolpern, keine eigene Identität entwickeln. CGI-Schauerbilder, die vor allem groß und wild sein wollen und die gar nicht feine Grenze zwischen Horror- und Kinderfantasyfilm so locker verwischen, dass letztlich vor allem Ratlosigkeit bleibt. Ein fast trashiger Film als Hybrid aus zig Ideen, die sich nicht ineinanderfügen wollen, ein Langfilm, der wie eine schlecht montierte Kurzfilmsammlung wirkt, Langeweile und müde Belustigung auf fast drei Stunden. "It 2" bedeutet maßlose Verschwendung und überrascht nur dann positiv, wenn er auf seinen Genreverirrungen auch einmal auf gute Ideen stößt. Aber Gutes bleibt nicht lange und "It 2" ist definitiv keine Besonderheit im Horrorgenre, nicht einmal im heutigen.
"Dai-Nipponjin" ist eine spaßig schrullige Superheldensatire wie sie wohl nur aus Japan stammen kann. Ein Reporterteam berichtet hier über den Großen Japaner, der in übermenschlicher Größe Nippon regelmäßig vor skurrilen Kreaturen wie dem Einaugen- oder dem Stinkmonster beschützt. Ein klarer Verweis auf die in Japan populär gewordenen Monsterfilme, hier in drollig-überdrehter Computeranimation dargestellt. Im Kontrast dazu und als klare Demontage inszeniert, berichtet das Reporterteam aber auch über den unspektakulären Alltag des vermeintlichen Superhelden. In Normalgröße vegetiert der mittelalte, einsame Mann außerhalb der Kämpfe so vor sich hin, wird nicht einmal von seinen Mitmenschen geschätzt. Denen geht es maximal um seine Verwertbarkeit im kapitalistischen Warensystem. Der Sieg ist weniger entscheidend als die richtige Kampfposition, bei der also die Sponsorenlogos auf seinem Körper gut erkennbar sind. Monsterkämpfe existieren hier längst nicht mehr als existentielle Bedrohung, sondern bloß noch als filmisches Massenphänomen, das im neuen Jahrtausend aber bereits merklich uninteressanter geworden ist. Und somit ist auch der Große Japaner verdammt, eine clowneske Randexistenz zu führen. Konsequent wirken die Kämpfe trotz kreativer Monsterdesigns in den plötzlich menschenleeren Großstadtumgebungen auch erstaunlich statisch, leblos, in ihrer Handlungsarmut teils auch absurd. "Dai-Nipponjin" funktioniert gerade in seiner Kontastierung von diesen merkwürdigen Monsterkämpfen und den pseudodokumentarischen, lakonischen Alltagsbetrachtungen. Dazu kommt einiges an Reflexion über das Genre Monsterfilm und die (pop-)kulturelle Stellung Japans in der Welt. Letztlich bleibt neben der Schrulligkeit auch etwas Tragik, nicht zuletzt deutlich im zynischen Schlussakt des Films. Für Freunde schriller Komödien, Imperialismus- und Kapitalismuskritiker gleichermaßen genießbar.
"Salò" in light?
Ruhig und nachdenklich gelagerter Horror-/Mysteryfilm aus Japan mit Experimentalfilmikone Shin'ya Tsukamoto in der Hauptrolle. "Marebito" hat sein attraktives Setting mit einem Filmer, der die Urangst des Menschen sucht, einem vampirischen Wesen in seiner Wohnung und der Frage, in welche Abgründe beides führt. In hektisch geschnittenen Lo-fi-Digitalfilmwelten fängt "Marebito" die paranoide Überwachungssucht des Protagonisten wunderbar ein, eine Folie vor der jede Wahnvorstellung Glaubwürdigkeit erhält. Wahnhaft wirkt "Marebito" bisweilen tatsächlich, mindestens konfus. So klar die Grundkonstellation, so irritierend mancher Schnitt, manche Handlungsentwicklung. Nicht immer öffnen sich die interessanten Motive des Films dabei spannenden Assoziationen, mitunter wirkt das Ganze auch wie ein Projektentwurf aus dem irgendwann ein echter Horrorfilm erwachsen könnte. Der nachdenkliche Voice-Over des Protagonisten erscheint da durchaus wie ein unbeholfener Versuch, den Skizzencharakter des Films mit Motivation zu versehen, gleichzeitig gibt er ihm aber auch eine konsequente Prägung. Und: Fragen wie jener Filmer sie stellt, dürften uns alle umtreiben, nicht nur die Masochisten, Horrorfilmfreunde sowieso.
Visitor Knife. Ki-duk Kims kammerspielartig-reduziertes Familiendrama zeigt auf ganz eigene Weise auf, was passiert, wenn im Patriarchat ein Machtvakuum entsteht. Wird der eine kastriert, am Besten auch noch von der eigenen Mutter, wird es für ihn schwer noch weiter männliche Machtperson zu bleiben. Noch dazu bleibt die Lust aus, die mit dem Machtmittel Penis eng verbunden war. Im Verlustschmerz werden neue Wege erkundet und vielleicht bleibt Masochismus die einzige Wahl.
Ohne Dialoge, in kargen Sets und mit kaum nennenswerter Inszenierung konzentriert sich "Moebius" vollkommen auf seine sperrigen Charakter- und Körperdynamiken. Hier geht es längst nicht mehr um formulierte Diskurse, sondern um schiere Körperempfindung und Körperidentität. Auch wenn der Plot dabei nach ostasiatischer Overacting-Pose schreit, wird kein Miike oder Sono draus. Ganz ohne Gewaltgeilheit aber mit Präzision sucht Kim die empfindlichsten Bereiche der Gesellschaft auf, spielt mit Geschlechterrollen und erzählt vom Preis der Macht. Die rohe Brachialität des Films, der brutal, sadomasochistisch, aber nicht voyeuristisch ist, hält die Spannung, bis zum konsequent radikalen Finale. Wer gern in den Untiefen gesellschaftlicher Ängste wühlen will, darf "Moebius" wagen. Danach geht es aber munter weiter zu Takashi Miike ("Visitor Q") und Gakuryû Ishii ("Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb"). Die lockern immerhin die Stimmung und führen den Weg der Subversion fort.
"United Trash" beweist, dass Christoph Schlingensief ein Freund der Fehlfährten ist. Weder ist sein Film bloßer Trash noch klare Politsatire. Zu selbstreflexiv ist der Film auf der einen, zu hemmungslos und unfokussiert auf der anderen Seite. Irgendwo in der Mitte treffen sich schließlich beide Ansätze, da Schlingensief so etwas wie eine Mediensatire versucht. Viele Titeleinblendungen, Voice-Over und maßloses Overacting schaffen eine enorme Künstlichkeit zu der typische Elemente des Skandalkinos bemüht werden: Fetische, Gewalt, Mutationen und natürlich politische Unkorrektheiten. Klar wird, dass Schlingensiefs Dystopie über eine freidrehende UNO-Mission in Afrika vor allem die Fetischierung afrikanischer Kulturen karikiert, ebenso bestehende imperiale Ansprüche im Machtpoker um ehemalige Kolonien. Größte Folie zur Entstehungszeit des Films bleibt aber der Völkermord in Ruanda. Den bitteren Zynismus angesichts der Untätigkeit der UN während der Morde sieht man dem Film durch alle Maskenspiele jederzeit an. Sonst bleibt vor allem Spielfreude und der Gedanke, dass deutsches Kino früher irgendwie aufregender war.
Valerie Solanas' "SCUM Manifesto", vielmehr noch ihr Angriff auf Andy Warhol hatte damals einige symbolische Kraft. Ihr radikaler Kampf für die Emanzipation der Frau, der eine Knechtung bis Auslöschung der Männer vorsah, verstand sich als (groteske!) Fortführung einiger Forderungen der Frauenbewegung der 60er-Jahre. "Die Weibchen" ist nun so ein sonderbares Filmrelikt, das sich der inspirierenden Idee der emanzipiert-mordenden Frau widmet. Mit schnellen Kamerabewegungen, Verzerrungen im Objektiv, funkiger Dauerbeschallung und poppigen Farben sucht sich die deutsch-französisch-italienische Produktion jegliches Skandalpotential der historischen Vorlage zusammen und feiert ein hemmungsloses Fest. Dass es darin mehr um Tittenschau als um Emanzipation, mehr um Uschi Glas' große Augen als um deren blasse Hauptfigur geht, versteht sich von selbst. Auch die Handlung um ein gefährliches Frauensanatorium überrascht weder in ihrer Entwicklung noch in ihren, nur zögerlich präsentierten, Gräueltaten. Hevorstechend sind vor allem die überdrehten Figurenhandlungen, ein wenig nachvollziehbares Pacing und eine wilde Kamera, die zu Spekulationen über den Substanzgebrauch am Set geradezu einlädt. Von der historischen Grundlage bleibt wenig, Kritisches erst recht nicht, nur ein bonbonfarbener Film, der spaßig, sexistisch, typisch Pop-Cinema ist. Für Freunde von "Barbarella" oder des weniger bekannten "Das zehnte Opfer".
Ein Klassiker komplett ohne Klassikermief! Die Gross-Out-Nummernrevue "Pink Flamingos" schaut sich heute immer noch unmittelbar, flott und provokant. Kaum vorstellbar, wie krass dieser Low-Budget-Film damals gewirkt haben muss: Sex mit Huhn zwischen den Beinen, Arschlochpräsentationen, Zeugungsmaschine im Keller und Hundekacke zum Desert. Ironischerweise werden Filme wie dieser heute gar nicht mehr produziert - schade, denn in seiner zweifellosen Asozialität geht John Waters einen besonderen Weg, Queerness in unserer Kultur zu verankern. Keinerlei Assimilierung, keinerlei Safe-Spaces, keinerlei gerechte Sprache - die Fremdheit queerer Lebensentwürfe wird hier bis ins Extrem getrieben und genau in diesem Extrem gefeiert, gelebt, zur neuen Lebensordnung ausgerufen. Gebündelt ist all das in der famos-übersteuerten Drag-Figur Divine. Hier zeigt sich auch, dass der Film trotz weitgehender Selbstzweckhaftigkeit klug ansetzt: Übliche, heterosexuelle Reproduktion verkommt zur technisierten Rape-Maschinerie, die Ehe zum konkurrenzgeilen Fetisch. Wirkliche Freiheit verspricht nur der anarchische, queere Lebensentwurf. Waters Zugang zur frisch gewonnenen sexuellen Freiheit der 70er-Jahre ist eigentlich schon Punk, Dada-Punk und in seiner ungestümen Art der richtige Zugriff, die Geschlechtsnormalitäten nicht nur zu hinterfragen, sondern bösartig zu attackieren. Kino bedeutet auch Kampf.