Dergestalt - Kommentare

Alle Kommentare von Dergestalt

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    Dergestalt 04.04.2020, 17:07 Geändert 30.04.2020, 11:53

    Unbeschwertes Epigonentum. "Donnie Darko" fängt vieles von dem auf, was manche Filme von David Lynch so herausfordernd wie liebenswert macht: Ein bunter Kleinstadtrummel mitsamt skurriler Gestalten, merkwürdige Mysterien und provokante Abgründigkeiten, die beides miteinander verbinden. Mit deutlichem Fokus auf dem High-School-Leben treibt es Richard Kelly in seinem Debüt aber doch deutlich von der America-Noir-Atmosphäre Lynchs ab, eigensinnige wie eindrückliche Bild-Ton-Montagen fehlen ebenfalls. Viel lieber konzentriert sich "Donnie Darko" auf die beliebte Geschichte vom außergewöhnlichen Teen, dem die Konventionen einer Kleinstadtwelt zunehmend zur Enge geraten, der durch eine besondere Bewusstseinshaltung Kontakt zum Ungewohnten aufnimmt, einen befreienden wie verhängnisvollen Wirbel aus Leid und Leidenschaften beschwört. Einige einprägsame Bilder wie die von einem Menschen im Gruselhasenkostüm, von Schlabbervektoren, die in die Zukunft weisen, ein launischer Humor und flottes Pacing bringen einen bunten Stimmungscocktail auf den Weg, den man sich geben kann. Dass das Ganze gegen Ende etwas planlos montiert und gezwungen auf eine Auflösung hingesteuert wirkt, fällt dann auch nicht schwer ins Gewicht.

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      Dergestalt 25.03.2020, 12:51 Geändert 26.03.2020, 19:24

      "The Wicker Man", der ikonische Film des Folk-Horror, mit einem obskuren Remake gestraft und durch den vielgefeierten "Midsommar" wieder ins Cineastenbewusstsein gerückt. Ein Film über eine sektierische Gemeinschaft, der so wohl nur Anfang der 70er-Jahre entstehen konnte, mit all seinen Stimmungsbrüchen, der horroruntypischen Folk-Musik und einem Christopher Lee, den ich noch nie gewitzter sah. Obwohl sich Robin Hardys Filmgebräu allen Genrezuweisungen zu widersetzen scheint, sich einzelner Genrevorlagen nur bedient, um zu ganz eigenen Schlüssen zu kommen, bleibt er doch zu jeder Minute in seinem Weltentwurf stimmig und beweist: Horror muss eben nicht unbedingt im Dunkel, mit Geistern und Schockmomenten arbeiten, er kann auch schlicht auf purer Irritation beruhen. Etwa, wenn ins Fleisch geschriebene Glaubensannahmen plötzlich in die Leere gehen, Verhaltensmuster unstimmig bleiben und der Traum vom okkulten Hippie-Paradies kein utopisches Gegenbild bringt, sondern einen laienhaft-verzerrten Freak-Zirkus jenseits des Acid-Peaks. Und genau hier, in dieser minimalistischen Anlage, den getäuschten Erwartungen und müden Fratzen findet "The Wicker Man" zu echtem Schwung, montiert detektivische Ermittlungsarbeiten an surreale Mysterien, spielt autonome Musicaleinlagen, zeigt Sexuelles spontan und angegeilt, schafft einen holpernden, völlig eigenen Rhythmus. Und kaum, dass man dem verfällt, mittanzen will, setzt einem der Film seine tiefe Unentschiedenheit, den tiefen Zweifel ins Fleisch. Das bleibt Horror - der Verlust aller Sicherheiten, der Sicherheit in jedem Glauben. Wer dann noch tanzt, wird zur Horror-Avantgarde, die der fröhlich-nihilistische "The Wicker Man" bis heute bedeutet.

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        Dergestalt 14.03.2020, 15:02 Geändert 14.03.2020, 15:07

        Weit noch bevor Peter Weir gedankenschwer in Hollywood ("Dead Poet's Society", "The Truman Show") landete, gab er mit "The Cars That Ate Paris" sein endzeitlich-skurriles Lo-fi-Debüt. Backwood-Horror-Anleihen treffen auf pythonesken Anarcho-Humor. In der öden australischen Kleinstadt Paris (!) sind gestylte Punkergangs für einige Unfälle verantwortlich, werden jedoch von einigen Mächtigen verschwörerisch gedeckt. Um die gefährliche Stadt sammeln sich Autowracks. Als plötzlich einer der Opfer einen Unfall überlebt und in der Stadt unterkommt, geraten bald alle Parteien aneinander, was in einem skurrilen Endkampf mündet. Der ist neben dem fantasievollen, an "Mad Max" erinnenden Design der Punkerkarren auch das einzig wirklich Augenöffnende an Weirs Debüt. Ansonsten bleibt es ein ruckliger Film, dessen weiterer Verlauf nicht immer absehbar ist, daraus seinen eigenen Reiz gewinnt, in langen, richtungslosen Szenen vor karger Kulisse aber auch anstrengt. Eine Art kleines Versuchslabor, in dem der Regisseur seine vielen Gedanken zu Gesellschaft und Realität humorvoll zusammenwirft. Das führt zu einem vielsagend verdrehten Ende, bleibt insgesamt aber eher eine kurzweilige Obskurität als einer der vielen erschütternd grotesken Filme der 70er.

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          Dergestalt 11.03.2020, 09:01 Geändert 11.03.2020, 09:07

          Wie so mancher Spätfellini ist auch "La Città delle donne" weniger ein Film der Handlung als einer der prächtigen, irrealen Szenentableaus. Fellinis kreativer Alter Ego Marcello Mastroianni stolpert als dauergeiler High-Class-Macho in eine Welt, die von Frauen dominiert wird und erhält seine beispiellose Desillusionierung. Neben einer klar satirischen Auseinandersetzung mit dem Feminismus nimmt sich Fellini auch hier wieder die Dekonstruktion der italienischen High Society vor, spätwerktypisch anhand bunter Traumbilder voller Phallusobjekte, schriller Figuren und der Unmöglichkeit, hier noch als verführerischer Gentleman wirken zu können. Wessen Psyche offenbar liegt, dem hilft auch kein schicker Anzug. Protagonist Snàporaz wird vielmehr zwischen den Fronten dieser zirkushaften Parallelwelt aufgerieben, zum Gejagten oder Verspotteten. Am Ende stehen bei all dem kreativen Chaos, inmitten weiblicher Polizeikommandos, surrealer Vergnügungsparks und sonderbarer Charaktertypen, die persönlichen Verletzungen. Snàporaz erscheint nicht als Hahn im Korb, sondern als richtungslos geiler Bub, den man genau als solchen voller Häme vorführt. Dabei geht es nicht um Leben, Tod, Schuldigkeit, sondern lediglich um den Blick in den Spiegel und ob man den denn tun will. Anstrengend, inspirierend und in jedem Fall ungewöhnlich ist "La Città delle donne" und zeigt kühn, welche Freiheiten Fellini als Filmemacher letztlich hatte.

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            Dergestalt 02.03.2020, 21:39 Geändert 02.03.2020, 23:43

            Hermann Hesses wahrscheinlich sonderbarster und doch bekanntester Roman "Der Steppenwolf" erhielt 1974 seine sonderbare, kleine Verfilmung. Prominent besetzt mit Max von Sydow als Steppenwolf Harry Haller und mit so einigen filmischen Tricks gefällt sich der Film als surreales bis letzthin psychedelisches Wirklichkeitskabinett. Der entfremdet-isolierte Protagonist Haller gerät faustisch-verzweifelt in die Welt der Liebe, Prostitution, der Drogen und des Jazz. Seine fatalistische Interpretation der Wirklichkeit weicht dabei einem neuen, spielerischen Zugang. Ganz nach Hesses Idee eines freischwebenden, kombinatorischen Humors nimmt sich der Film skurrile Bühnenbilder zwischen Dalí und Pop-Art, Farbfilter, Collagen und ungewöhnliche Kameraperspektiven, um Hallers gedankenschwere Welt ordentlich durchzuschütteln. Wer will, kann sich sekündlich entscheiden, welche Realität zur eigenen wird. Dass die philosophisch ambitionierte Vorlage dabei zunehmend zur Freak-Show umgestaltet wird, mag die Hesse-Fans ärgern - aufgeschlossene Zuschauer*innen freuen sich über einen äußerst widerspenstigen Film zwischen störrischer Seinsbetrachtung und befreiender Fantasie. Überhaupt: Wenn ein Goethe zur Hinrichtung schallend lacht, ist doch schon einiges gewonnen.

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              Dergestalt 17.02.2020, 11:03 Geändert 18.02.2020, 10:28

              "Giulietta degli spiriti" zeigt Federico Fellini in einer Übergangsphase. Nach der surrealen Montage von "8 1/2" folgt hier die zweite, ungleich üppigere Reise in autonome Fantasiewelten, die sich einer rein erzählerischen Funktion entziehen und arabesk zu wuchern beginnen. Zunächst ist es nur das High Society-Leben Guiliettas, vor allem ihre ernüchternde Beziehung zum ständig abwesenden Ehemann, der noch dazu eine Affäre zu haben scheint. Wenig überraschend flüchtet sich Guiletta in andere, aufregendere Welten, besucht skurrile Freunde und Nachbarn und gerät schließlich in ein karnevaleskes Zwischenreich, in dem Realität, Vergangenheit und Geistererscheinungen munter zusammengehen. Dass dies Fellinis erster Farbfilm ist, erstaunt, schließlich explodieren die Farben hier in vollster Kontrolle, alles wirkt bis aufs Detail aufeinander abgestimmt. Nicht unwichtig bei den vielen skurrilen Gestalten, die bald und wie in späteren Werken wie "Satyricon" (1969) das Bild überfluten. Darunter Figuren in Kutte, Artisten, Kinder auf flammenden Betten, körperlose Stimmen. Schnell entwickelt der Film in seinen surrealen, theaterhaften Tableaus eine Eigendynamik, die nur durch die unwägbare Mimik Giulietta Boldrinis zusammengehalten wird. Der Trip in fremde Welten ist dabei nicht selten sexuell und versucht die Emanzipation Giuliettas vom frei herumstrolchenden Ehemann, der die brave Hausfrau schön daheim lassen will. Mit gewitzten Dialogen, dem beschwingt trippelnden bis mysteriös schwebenden Soundtrack Nino Rotas und einer gleitenden Kamera, überraschenden Schnitten ergibt sich ein überfordernd langer und doch einnehmender Film, der nie das wird, was man von ihm erwartet. Erfrischend.

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                Dergestalt 15.02.2020, 13:54 Geändert 15.02.2020, 17:22

                LSD-Romantik gab es in den Endsechzigern zur Genüge, umso überraschender also, dass die wohl erste konsequente Verfilmung eines Trips durch Exploitation-Ikone Roger Corman im Summer of Love keine Hymne auf die offenen Pforten der Wahrnehmung bedeutet. Nach einem Drehbuch von Jack Nicholson und mit dem Schauspiel Peter Fondas und Dennis Hoppers fühlt man sich "Easy Rider" nahe, der nur zwei Jahre später in die Kinos kam, und tatsächlich hat "The Trip" vieles von der nervös-assoziativen Art des Biker-Films. Der Trip des Werbefilmers Paul Groves ist mitnichten ein erweckender göttlicher Taumel, sondern eine skurril-bedrohliche Freak-Show zwischen fantasyhaften Szenarien, flackernden Farben und einem fremden Großstadtdschungel. Eine richtige Handlung gibt es nicht, "The Trip" funktioniert tatsächlich ähnlich wie der Drogentrip, einigen Impulsen und Motiven folgend, die aus dem Unbewussten kommend metaphysiche Bedeutung erhalten. In dem Fall ist es Paul Groves unverarbeitete Trennung, die mal in erotischen Träumen, mal in kastratiösen Hinrichtungsfantasien mündet. Fondas holzschnittartig aufpoppende Mimik passt in ihrer erweckungsnahen Naivität dabei ebenso wunderbar hinein wie Dennis Hoppers strenge bis animalisch grinsende Maske. "The Trip" ist mit seinen unfokussierten Herzeigeposen unmöglich ernst zu nehmen, eben Drogen-Exploitation, schneidet seine Motive am Ende aber stimmig zum Kaleidoskop einer unsicheren Psyche zusammen. Und was ist schon romantischer als ein unsicherer Peter Fonda vor schriller Hippie-Kulisse?

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                  Dergestalt 08.02.2020, 12:05 Geändert 08.02.2020, 12:05

                  "Sequence Break" ist eine kleine Hommage an die Hochzeit des Bodyhorror, vor allem aber an David Cronenbergs "Videodrome". In deutlicher Anlehnung an die aktuell heißen 80er-Jahre geht es mit einem schillernden Synth-Soundtrack in die Welt abgestellter Arcade-Spielkonsolen, die zu unheimlichem Leben erwachen. Ein Programmiernerd und sein frisches Date werden dabei ordentlich auf die Probe gestellt, denn nicht nur wirkt die Daddelsoftware hypnotisch, sondern sondert auch jede Menge Computerejakulat ab, Stöhnen und morphende Oberflächen inklusive. Klar, wer da nicht sofort an "Videodrome" denkt, gerade auch weil "Sequence Break" voll liebevoll handgemachter Ekeleffekte ist, ein bisschen flackerndes Schnittgewitter noch dazu. Figuren und Handlungsentwicklung sind dabei eher zweitrangig, die Dialoge vergessenswert, von den wenigen Schauspielern immerhin mit gewisser Sympathie rübergebracht. Gegen Ende ist noch etwas Mindfuck, mit verschiedenen Realitäten, aber das dürften Hardcore-Gamer aus ihren Alltagserfahrungen sicher bereits kennen. "Sequence Break" ist ein Film, der vor allem als liebevolle Widmung an eine vergangene Zeit und ein Subgenre funktioniert, dann aber auch ganz ordentlich.

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                    Dergestalt 05.02.2020, 21:56 Geändert 28.03.2020, 11:40

                    "Requiem for a Dream" ist wie so mancher Film Darren Aronofskys überzeugend wie problematisch. Einerseits versteht sich Aronofsky darauf, die Suggestionsmöglichkeiten des Kinos voll auszureizen, seine Zuschauer*innen rückhaltslos in den abgründigen Alltag drogensüchtiger Menschen zu werfen. Aronofskys vielzitierte assoziative Schnitttechnik zeigt kongenial, wie sich Wirklichkeitsräume durch steten Drogenkonsum verändern: der Fix wird beiläufig, zur handlichen Metapher, die Wirklichkeit schneller, räumlicher, zärtlicher, kälter, verliert sich. Dazu der pathetisch anschwellende wie subtil raunende Soundtrack Clint Mansells. Ein geschlossenes Stimmungsgemälde, das in seiner rhythmischen Montage verschiedene Formen der Sucht, verschiedene Lebensschicksale problemlos und überzeugend aneinanderfügt. Andererseits ist diese Verliebtheit Aronofskys in die Suggestionsmöglichkeiten des Kinos genau das, was seinen Film so manipulativ, forciert macht. Gerade dann, wenn durch immer härtere Schnitte und Assoziationsgriffe maximale Anspannung geschaffen werden soll, nährt sich sein Film eher dem nervösen Stress eines Jump-Scare-Horrors als einem wirklich abgründigen Psychodrama. An die Stelle tiefer Wunden treten oberflächliche Schockeffekte. Üble Klischees wie der böse schwarze Zuhältergangster oder der sadistische Südstaatencop müssen reichen, um das Drama der Figuren zu vervollständigen. An diesen Punkten wirkt Aronofskys Drama so subtil wie die fiesen Schreckbilder auf Zigarettenpackungen: Drogen sind böse Dinger und machen dich platt! Das ist schade, denn letztlich versteht sich "Requiem for a Dream" in vielen Szenen und auch ohne Zeigefetisch darauf, Verlorenheit, Einsamkeit und die skurrile Existenz des Menschen in wenigen, impressiven Shots einzufangen. Eine sexuelle Begegnung durch einen Splitscreen verfremdet, ältere Frauen im kindlichen Freudentaumel vor einer manipulativen TV-Show oder schlicht ein Fernseher vor dem verlassenen Vergnügungspark von Coney Island.

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                      Dergestalt 29.01.2020, 09:57 Geändert 29.01.2020, 11:42

                      Ungewöhnlicher Zugang zur Gangsterkomödie. Wobei "Contact High" eigentlich noch ein wenig weiter geht. Der wenig originelle Plot rund um eine mysteriöse Tasche, um die verschiedene Parteien ringen, ist nur zu Beginn entscheidend. Tatsächlich entwickelt sich daraus schnell ein willkürliches Wirklichkeitskabinett diverser Drogenvisionen, denn auf der wilden Hatz werden so manche Substanzen kombiniert, die aus der bekannten Realität flott ein fremdartiges Paradies machen. Michael Glawogger, der sonst im Dokumentarfilmbereich andere Kulturen erkundete, spielt hier komödiengerecht mit vielen Klischees, nutzt diese aber auch, um solche Annahmen selbstironisch zu übersteigern. Die Phrase, polnischen Polizisten seien Schweine führt auf einer Mischung aus Pilzen und Ecstasy etwa tatsächlich zu schweinsnasigen Verfolgern. Gegen Ende hält der Film noch einen besonderen Twist bereit, der das Rätselraten um den Inhalt der ominösen Tasche frech auflöst und das oft logikfreundliche Gangster- und Kriminalfilmgenre hier endgültig zum weggedrifteten Hippie-Flick werden lässt. Das ist natürlich albern, in seiner Suche nach plötzlichen originellen Ideen nicht selten forciert, gleichzeitig aber schnoddrig genug, um am Ende vor allem sympathisch zu sein.

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                      • Für mich klar einer der besten Filme der letzten Dekade. Endlich Kino, das nicht bloß guter Inhalt mit passender Form ist, sondern den Großteil seines Ausdrucks aus der Form gewinnt. So verführerisch das am Anfang auch ist (weil es geil aussieht), so überfordernd wird es, als klar wird, wie sehr der Film mit seinen Zuschauer*innen spielt, nichts so kommen lässt, wie man es erwartet.

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                          Dergestalt 24.01.2020, 17:01 Geändert 28.03.2020, 11:43
                          über Hager

                          Kevin Kopacka meint es vermutlich ernst. Wie Akiz mit seinem "Der Nachtmahr" sucht sein taumelnder "Hager" vor allem den Impuls, den Moment und distanziert sich damit von der bekannteren deutschsprachigen Filmkost, die ohne große Dramen und Handlungsbögen selten auszukommen scheint. "Hager" bedeutet vor allem filmische Physis. Das grenzständige Leben eines Ermittlers zwischen Familientrauma, Inzestwunsch und gefährlicher Höllendroge ist eher Struktur- als wirkliche Handlungsvorlage. Lose motiviert sehen die Zuschauer*innen argentohaft vielfarbig beleuchtete Sets, lauschen einem dröhnenden Soundtrack, erhalten episodisch Einblick in einen wild zusammengestellten Realitätskosmos. Das ist in seiner Montage und seiner Liebe zum Mosaik handwerklich eindrücklich, bleibt am Ende aber doch Fingerübung. Denn mit steifen Dialogen, aufgesetzten Höllenvisionen der Größenordnung "Göttliche Komödie" und einem beinahe trashigen Ernst wird "Hager" seinen Abschlussprojektcharakter nie wirklich los. Für sich genommen funktionieren einzelne Szenen ausgezeichnet, die penetrante Verschachtelung dieser bei flach psychologischer bis stereotyper Charakterzeichnung geht aber nicht auf. "Hager", der gemütliche Rückgriff muss sein, wird seinem Titel also trotz aller Bemühungen gerecht.

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                            Dergestalt 23.01.2020, 21:49 Geändert 23.01.2020, 21:53

                            David Lynchs Inszenierungen und Dialoge waren schon immer nah am Film Noir. Da macht auch sein überraschend auf Netflix erschienener Kurzfilm "What Did Jack Do?" keine Ausnahme. Für ein weiteres düster-groteskes Szenario sucht sich Lynch hier einen krieseligen S/W-Look, ein trostloses Hinterzimmer und verlorene Bahngeräusche im Hintergrund. Als Detektiv verhört er den Affen Jack, der wohl einen Mord begangen haben soll. Eine einfache Klärung der Frage, was Jack zur Zeit des Mordes getan hat, ist von Lynch in diesem dialogischen Kammerspiel natürlich nicht zu erwarten. Vor allem macht sich der Film einen Spaß daraus, typische Phrasen des Kriminalfilms sinnlos gegeneinander zu setzen, sodass am Ende ein eher absurder Dialog steht. Dazu eine groteske Gesangseinlage wie sie in einem klassischen Lynch nicht fehlen darf und fertig ist ein mäßig einnehmender, immerhin vergnüglich sinnfreier Angriff auf das sinnsuchende Genre des Kriminalfilms.

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                            • Interessante Liste. Schau dir mal "Uzumaki" an. "Hausu" passt eventuell auch in deine Liste. Japan produziert viel Avant-Horror.

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                                Dergestalt 22.01.2020, 00:54 Geändert 22.01.2020, 01:09

                                Mit Krötenschleim ins Universum. Die tschechische Dokumentation "Bufo Alvarius" will aufzeigen, welches spirituelle Potential in einem Stoff liegt, der chemisch ganz profan den Namen 5-MeO-DMT trägt. Überlagert von kosmischen Elektroklängen und durchsetzt mit abstrakten Formanimationen kommen Psychedelikforscher wie Stanislaf Grof, ein Bufo-Schamane, aber auch Teilnehmer*innen einer Bufo-Zeremonie im Dschungel zu Wort. Deren Meinung ist einhellig: Wer der Kröte begegnet, wird eins mit dem Universum, erlebt dessen Liebe und distanziert sich von all dem Hass in unserer Welt. Überzeugt wirken sie alle, Grof versucht sogar eine wissenschaftliche Begründung für jene "transpersonalen Erlebnisse", am Ende bleibt aber Skepsis. Nicht nur, weil der Film in seiner visuellen, klanglichen und inhaltlichen Emphase der altbekannten "Alles ist eins"-Botschaft kaum aus der begriffsarmen Hippie-Klischeekiste auszubrechen vermag, sondern auch handwerklich eher laienhaft-bemüht als wirklich immersiv wirkt. Die weichen Animationen erinnern an Designerkurse an grafischen Hochschulen, die Musik an Goa-Partys, der Schnitt kommt repetitiv und unmotiviert. Urbekannte Stock-Bilder geben den Film endgültig einen eher generischen Look. Überzeugend sind die Dokuaufnahmen der Bufo-Zeremonie, überhaupt die Hingabe, die allen Teilnehmer*innen und so auch dem Film innewohnt. Wer die glücklich zuckenden Leiber der Bufo-Sucher*innen sieht, deren Begeisterung lauscht und visionäre Einblicke in ein unendliches Bewusstsein erhält, versteht schon, was Hunter S. Thompson über die Endsechziger sagte: Es war eine Zeit, in der alles möglich schien, alles von Sinn und Richtigkeit durchdrungen war. Für 80 Minuten Teil dieser Euphorie zu werden inspiriert und macht deutlich, was den Psychedelik-Hype heutiger Zeiten vor allem auszeichnet: Optimismus und der Wille, neue Perspektiven zu gewinnen, auch in einer gottlosen, pessimistischen Zeit.

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                                  Dergestalt 18.01.2020, 02:43 Geändert 18.01.2020, 02:52

                                  Ehe David Lynch mit "Inland Empire" die konzentrierteste Auseinandersetzung mit Sein und Schein der Filmindustrie wagte, warf er seine Zuschauer*innen mit "Mulholland Drive" bereits gehörig aus allen Rezeptionsmustern. Das Psychogramm einer Schauspielerin, die es in Hollywood versucht, dort aber in die Fänge diffuser Gestalten gerät, kennt lynchtypisch viele Brüche, Handlungs- und Figurenspiegelungen. Noch exzessiver als im Vorgänger "Lost Highway" löst sich der Film von einer klaren Handlungsinstanz. Verschiedene Figuren und Handlungsstränge erscheinen episodisch, geben sich untereinander Verweise, widersprechen sich. Deutlich wird hingegen das Bild, das Lynch von der Traumfabrik zeichnet. Die ist ein kalter Apparat, der träumerisch-ungreifbar die Parameter der Realität versetzt, alle Beteiligten dem unterwirft und nicht mehr gehen lässt. Genrefiguren wie der Cowboy, der Gangster oder die laszive Noir-Dame erscheinen, ebenfalls witzige, dramatische, melodramatische Plots, scheinen Gewohnheit und Bedeutung zu geben, bleiben aber doch nur Fragmente einer verirrten Wahrnehmung. Der ist auch unsere "Heldin" unterworfen und wird zum machtlosen Gefäß aller Träume, die Hollywood diktiert, dann aber zu einer zerfaserten Realität zwischen Traum und Wirklichkeit werden lässt. Das Resultat ist ein entfremdender Realitätszustand, der für alle ruhmessüchtigen Darsteller*innen Einsamkeit, Ohnmacht und alptraumhafte Wahnbilder bedeutet. Mit düsteren Klangflächen, schwebender Kamera und diffus beleuchteten Innenräumen zeigt "Mulholland Drive" früh, dass in diesem Los Angeles nichts als Fixpunkt zu sehen ist, dass es keine klare Folie der Realität mehr gibt. In Hollywood spielt man als wäre es Realität. Von welcher Realität wollen wir also noch sprechen? Und welchen Wert haben unsere Errungenschaften dann noch? Lynch bohrt nach und schafft damit einen betörend schwarzen Film Noir, einen Horror-Loop vergeblicher Bedeutungssuche. Wer in Hollywood suche, der gehe verloren.

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                                    Dergestalt 12.01.2020, 12:22 Geändert 14.04.2020, 10:59

                                    Es überrascht, dass der eindrucksvollste Splatterfilm eben nicht aus der goldenen Ära der 70er- und 80er-Jahre stammt, nicht von einem Fulci oder Raimi kommt, sondern von einem bastelfreudigen Neuseeländer namens Peter Jackson, der die Maßstäbe in Sachen kreative Körperzerstörung urplötzlich und dazu liebenswert ins gefühlt Unendliche verschob. Jacksons schrullige Emanzipation vom "Psycho"-Mythos des mutterliebenden Söhnchens entführt ins schnucklige Wellington der 50er-Jahre, mit schratiger Synthie-Musik, skurrilen Kameraperspektiven und vielen Slapstickmomenten. Sorgfältig bereitet "Dead Alive" zunächst einen Teppich aus Andeutungen über eine kommende infektiöse Krankheit, die vom Tier auf den Menschen übertragen wird und zombiehafte Kreaturen gebiert. Mit erstaunlicher Leichtigkeit und einer Liebe zum fleischhaften Detail eskaliert die Lage dann mehr und mehr, währenddessen es Jackson nie versäumt, seine schrulligen Protagonist*innen im Blick zu behalten. Daraus entsteht in letzter Konsequenz ein ideenreiches Splatterfest voller filmgeschichtlicher Verweise, das auch deshalb funktioniert, weil es seine Eskapaden nie effektgeil anonymisiert, sondern stets in Bezug zur Figurenentwicklung setzt. Ein Muster, an dem der wesensverwandte "Shaun Of The Dead" viele Jahre später erfolgreich ansetzen wird. Spätestens wenn das legendäre Zombie-Baby durch den Raum geprügelt wird, weiß man, dass "Braindead" zwischen liebevoller Genresatire und spielfreudigem Sadismus unfassbar fest im Sattel sitzt.

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                                      Dergestalt 07.01.2020, 01:14 Geändert 14.04.2020, 11:00
                                      über Wounds

                                      "Wounds" ist ein aktueller Horrorfilm mit ungewohnten Vorbildern. Neben der üblichen Menge Okkultismustran gibt es auch Bodyhorror der Art "Videodrome" und "Rabid" zu sehen. Die Story über einen dauernotgeilen Barkeeper, der über ein Smartphone Einblick in ein höllisches Zwischenreich erhält, fängt noch dazu ungewöhnlich offen an und ändert das auch auf Spielzeit nicht. Stattdessen scheint sich "Wounds" nie entscheiden zu können, ob er tragisches Lebensportrait, zeigefreudiger Bodyhorror oder sphärischer Okkutismusgrusel sein will. Am liebsten strolcht er mit seiner Inkonsequenz herum, hält so die Neugierde, landet bisweilen aber auch im Trash. Armie Hammers dauerverzweifelte Mackermiene, Dakota Johnsons gesucht ausdrucksloses Spiel, mal atmosphärisch, mal billig erscheinende, in jedem Fall ungewöhnliche Gruselfiguren - das hat in seiner planlosen Naivität und Zusammenhanglosigkeit einen Charme, der mehr an Horrorspinner wie Lucio Fulci erinnert als an den doch arg routinierten Mainstreamhorror heutiger Tage. "Wounds" ist in seiner Schratigkeit irgendwie sympathisch, in seiner gesuchten Skizzenhaftigkeit und Überdrehtheit aber auch nur schwer ernst zu nehmen. Soll es auch mal geben, ist auch mal erfrischend.

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                                        Dergestalt 04.01.2020, 23:51 Geändert 05.01.2020, 00:07

                                        "I'm Not There", ich bin nicht da, aber Ich ist sowieso ein anderer. Todd Haynes episodisches Anti-Biopic nähert sich dem Mythos Bob Dylan mit voller Spielfreude und bleibt in Bewegung. Mit dem vollen Bewusstsein, dass es Bob Dylan weniger gibt als dessen diverse Inszenierungspraktiken, nimmt "I'm Not There" die Herausforderung an und gestaltet ein wild montiertes Spiegelkabinett der Identitäten rund um die Leerstelle, die Dylan für all seine Fans bis heute hinterlässt. Mit deutlichem Gespür für die Motive, ja, Bruchpunkte von Dylans Karriere bringt "I'm Not There" Biografisches, Fiktives, Spekulatives und frei Erfundenes nahtlos zusammen, in hoher Geschwindigkeit und vor allem ohne Respekt. Da wird "Dylan" in seiner bluesgesteuerten Frühphase flott zum afroamerikanischen Jungen, der als Karikatur im Zirkus auftreten darf und dann von einem Walfisch gefressen wird. Später darf "Dylan", gespielt von Richard Gere, voll in den Westernfantasien von "Pat Garrett & Billy the Kid" aufgehen, ehe er als aufblasbare Pop-Art-Puppe hohl über unseren Köpfen schwebt. Kein Wunder, wird uns "Dylan" von Cate Blanchett doch als sexloser, amphetamingetriebener Dadaist präsentiert. Respektlos öffnet sich "I'm Not There" alle Tore für die eigene Fantasie, aus der er dann auch ausgiebig schöpft, mit seiner wild aufspielenden Riege an Schauspielgrößen, einem bunten Soundtrack mit Dylan-Covern von Calexico über Sonic Youth bis hin zu Antony and the Johnsons, einer zackigen Montage, die kühn die unterschiedlich inszenierten Lebensphasen zusammenbringt. Das kann man anmaßend, prätentiös finden, bleibt in seiner detailverliebten wie pointierten Machart aber beeindruckend und findet immer wieder zu eigensinnigen Metaphern, einzigartigen Bildern sowieso. Überhaupt ist "I'm Not There" als Kunstwerk, das es liebestrunken mit Bob Dylan aufnimmt statt ihn zu zelebrieren, weitaus sympathischer als es jedes treue Biopic je sein könnte.

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                                          Dergestalt 02.01.2020, 11:50 Geändert 02.01.2020, 18:29

                                          "Black Christmas" von 1974 war eine Slasher-Blaupause, von der viele Filme, nicht zuletzt der große "Halloween" lange zehren konnten. Nach einem soliden wie unbedeutenden Remake 2006 kommt die zweite Neuauflage, die nun wieder grundlegendere Ansprüche an das Horrorgenre stellt: Das maskierte Morden in einer Studentenverbindung für Frauen erhält einen feministischen Subtext! Was dem Horrorgenre inhärent ist, die gewaltvolle Lust an exponierten Frauenkörpern wird dabei zur Disposition gestellt. Deutlich wird in jedem Fall die Jagdstimmung, der sich Frauen am Campus in den USA wohl ausgesetzt fühlen. Ein spannender Ansatz, der zu Beginn durchaus real-düstere Atmosphäre schafft, etwa wenn eine nur scheinbar laszive Christmas-Aufführung die Vergewaltigung von Frauen am Campus sarkastisch thematisiert, Traumata unter der quirligen Oberfläche der weiblichen Figuren lauern. Überhaupt lässt sich "Black Christmas" viel Zeit für seine Figuren, für aktuelle feministische Debatten, für Horror manchmal auch. Und darüber gelangt man recht schnell zum offensichtlichen Problem des Films. Bei aller Ambition scheint "Black Christmas" selten eine klare Ausrichtung zu kennen. Für eine Sozialstudie ist der Film zu fahrig, für einen Thriller sind die Spannungsszenen zu kurz und rar, für einen Horrorfilm fehlen schreckende Gestalten und die Gewalt. So eiert "Black Christmas" meist unentschieden von einer anskizzierten Tötungsszene zur nächsten, bleibt enttäuschend fahl. Erst gegen Ende kommt noch einmal ein ganz besonderer Twist, der den Film zur vollends überdrehten, unfreiwillig komischen Empowerment-Geste bringt. Auch das darf Feminismus, nur stellt sich die Frage wem damit genützt ist. In meinen Augen weder der Emanzipation noch dem Horrorgenre.

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                                            Dergestalt 01.01.2020, 12:45 Geändert 01.01.2020, 12:52

                                            Einige Male muss sich Protagonist Jim Morrison im Film anhören, dass er seine Band The Doors gar nicht benötige, selbst doch viel bedeutender sei. Und so bleibt die Frage, ob "The Doors" mit seinem deutlichen Fokus auf den charismatischen Sänger nur ästhetisch konsequent ist oder einer Fehleinschätzung und Mythisierung der Musikgeschichte aufsitzt. Denn natürlich waren The Doors weitaus mehr als das schamanische Ego eines Jim Morrison. Wer sich Oliver Stones pulsierendes Charakterportrait ansieht, wird davon jedoch nur bedingt etwas erfahren. Hier haben wir vielmehr den Versuch, Jims Vision eines dioynischen Kunst- und Lebensentwurfes ästhetisch zu simulieren. Atmosphärisch bis heute beeindruckend wirft uns der Film montagehaft in die endenden Sechziger, die Drogen-, Sex- und Soundexzesse des Leib- und Textpoeten Jim Morrison. Seine Bandkollegen stehen meist fassungslos daneben und fallen irgendwann konsequent vollkommen aus der Handlung, bleiben Staffage. Wichtiger scheint Stone die vollkommene Mythisierung eines Mannes, der seine Gebrochenheiten künstlerisch effektvoll zu spiegeln wusste. Eine bunte Wunde, die man im Musikvideostyle auf Überlänge präsentiert bekommt. Mit Val Kilmer in beeindruckender äußerlicher wie stimmlicher Annäherung an Morrison und dem richtigen Gefühl für strahlende, detailreiche Setpieces bietet "The Doors" Kino für alle Sinne. Machoposen, Storyklischees und viele nackte Brüste kriegt man obendrauf und hat einen Film, der wunderbare wie aufgeblasene 90er-Exploitation ist.

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                                              Dergestalt 26.12.2019, 00:12 Geändert 26.12.2019, 00:25

                                              "Noroi" bringt das Found-Footage-Genre, das in den 2000ern wohl auch in Japan Einfluss zeitigte, an interessante Orte. Zu sehen ist die Reportage eines Mannes, der sich mit einem okkulten Phänomen beschäftigt und daraufhin in Gefahr gerät. Hinter dieser wenig originelle Prämisse steht in "Noroi" auch keine sonderlich originelle Handlung. Die detektivhafte Aufdeckung der Hintergründe eines riskanten Beschwörungsrituals wird vielmehr durch die verschiedenen Ansatzpunkte interessant. So ergibt sich lange Zeit kein konsistentes Bild, viele Figuren treten auf, die zunächst keine Verbindung zueinander zu haben scheinen. Auch ist die Motivation des Reporters wenig greifbar, sodass die Zuschauer*innen im Wirrwarr potentieller Lösungen lange im Ungewissen bleiben. Leider schafft es "Noroi" nur bedingt, über die erzeugte Unsicherheit Ohnmachts- oder Angstgefühle zu schaffen, dafür fehlen ihm letztlich originelle Gedanken oder beunruhigende Bilder. Der grundsätzlich spannende Ansatz, auf Schockeffekte zu verzichten, irreale Erscheinungen weitgehend zu vermeiden, macht "Noroi" leider vor allem blass und ziellos. Bei all den verängstigten Gesichtern, Schreien und düsteren Soundeffekten bleibt nur eine diffuse, unheimliche Spannung, die sich kaum entladen will. Das hat seinen Reiz, ernüchtert in seiner Lo-fi-Pose auf knapp zwei Stunden aber auch. Ein bisschen Freude macht nur die effektvolle, fiese Auflösung. "Noroi" bleibt in jedem Fall ein interessanter Vertreter eines Genres, das dem Effektkirmes des üblichen Horrorkinos sonst viel zu oft verfallen ist.

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                                                In vielen Ländern erhielt das Kino Ende der 60er-Jahre politisch-avantgardistischen Schwung. Mühelos brachte man Sozialkritik, Pop-Art und Vulgaritäten auf eigene Weise zusammen, so auch im brasilianischen Kino. "Macunaíma" erzählt die Lebensgeschichte des gleichnamigen Helden, der dank eines Wunders von einem schwarzen, gehassten Mann in einen weißen, attraktiven Mann verwandelt wird und eine Karriere in der nächsten Großstadt versucht. Dabei bedient er sich aller noch so dreckigen Machenschaften, frönt vor allem seiner Geilheit und Habsucht und lässt all jene zurück, zu denen er ehemals gehörte. Weniger handlungsgetrieben als an sarkastischen Zustandsbeschreibungen und momenthaftem Slapstick interessiert, zieht der Film in eine bonbonbunte Pop-Art-Welt voller nackter Frauen, bunter Kleidung und schriller Inneneinrichtung. Spritzt einmal Blut oder wird es amoralisch, bleibt stets genug vom Élan vital der Swinging Sixties erhalten, um das Ganze sarkastisch aufzufangen. Dabei sind die Themen, die "Macunaíma" verhandelt, bitter und tragisch. Gewitzt sucht der Film aber keinen Klageton, sondern ergeht sich in spöttischen Gesten, die in ihren skurrilen Zuspitzungen bis in den Dadaismus reichen. Da gibt es auch einmal eine Hexenküche in einer Villa, ein Leichenbecken mit Schaukel oder vermeintlich geldkackendes Vogelvieh. Erzählerisch eher redundant, dafür oft prächtig anzusehen und auf ansteckende Weise gut gelaunt, ist "Macunaíma" ein interessantes Zeitzeugnis und neben grotesken Gesellschaftsvisionen wie Fellinis "Satyricon", "Mondo Candido" oder "Sweet Movie" genau richtig aufgehoben.

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                                                  Dergestalt 10.12.2019, 16:51 Geändert 10.12.2019, 17:11

                                                  Schon in seinem gefeierten Horror-Debüt "The Witch" wandte sich Robert Eggers einer kleinen Gesellschaft zu, die vom übernatürlichen Horror einer fremden Natur bedrängt wird. "The Lighthouse" bleibt konsequent. Statt einem Hexenwald ist es nun aber das mythisch-tosende Meer, statt einer amerikanischen Familie im 17. Jahrhundert sind es nun zwei Leuchtturmwärter auf einer Insel Ende des 19. Jahrhunderts, einer alt und launisch, einer jung und verschlossen. Im eng-quadratischen Seitenformat, schwarzweißer Färbung und mit dröhnenden Soundscapes zeigt Eggers ein wohlausgeleuchtetes Kammerspiel, das in erster Linie als unstetes Charakterdrama funktioniert. Während Willem Dafoe als Alteingesessener auf unheimlich urige Weise zwischen Selbstherrlichkeit und skurriler Verbrüderung changiert, spielt der längst arthouseversierte Robert Pattinson den jungen Tagelöhner mal stoisch, mal überspannt. Währenddessen tost das Meer und in der Abgelegenheit der Insel werden gespenstische, erotische Wünsche laut. Der Junge liegt in den Armen einer Meerjungfrau, der Alte scheint im Lichte des Leuchtturms körperliche Weisheiten zu empfangen. Schließlich prallen beide fetischkranke Männer in ihren Wünschen und Erwartungen zusammen. "The Lighthouse" wird dann zunehmend zum körperbetonten, schmutzigen Duell, das seine Analfixiertheit in Fürzen, Ausscheidungen und kurzen homoerotischen Begegnungen nicht verbirgt. Ebenso treten mythologische Referenzen in den Vordergrund, die Eggers literarischen Texten präzise entlehnt hat. Der Schrecken, den der zunehmend visionsgeplagte junge Wärter erfährt, äußert sich in herrlich altmodischen Sequenzen aufgerissener Augen oder plötzlich erscheinender Naturkatastrophen. Wirklich bedrohlich ist das trotz einnehmend düsterer Audiovisualität und mancher Gewaltspitze nicht, dafür hängt der Film zu sehr an seiner Fetischierung, also lustvollen, freudigen Darstellung der Angst. "The Lighthouse" bleibt vor allem launisch-skurriles Charakterstück, das mehr über männliche Sehnsüchte verrät als über das weite, tosende Meer.

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                                                    "It Comes at Night" geht endlich den Schritt, vor dem viele noch so subtil angelegte Horrorfilme doch immer zögern: Das Grauen uneingeschränkt ungreifbar zu machen. Trey Edward Shults' virtuoser zweiter Film spielt den Horror vor allem in der Psyche seiner Figuren aus. Ihr Schrecken entlädt sich in Gesichtsausdrücken, Posen, unterdrückten Gesten. Im minimalen Setting einer Hütte inmitten der Apokalypse treffen Figuren aufeinander, die ihre Ängste wie Sehnsüchte haben, beides aber zu unterdrücken versuchen. Das funktioniert natürlich nicht und so öffnet sich des Nachts bei glühend roter Lampe die symbolhaft rote Eingangstüre und lässt all jenes hinein, was lange verdrängt wurde. Das "It" von dem der Titel spricht, ist nicht das klassische Filmmonster, sondern vielmehr das Prinzip des Unbewussten, das genau dann zuschlägt, wenn keiner damit rechnet, im Schlaf, im Traum oder im Moment der größten Sehnsucht. Die vielen Unwägbarkeiten, die der Film geschickt in seinem langsamen Aufbau platziert (Gibt es einen Verräter im Haus? Gibt es eine feindliche Macht da draußen?), beantworten sich vor dieser Folie so einfach wie schwierig: Es gibt keine Sicherheit, solange wir unsere Imagination haben. Solange wir denken, leben und uns weiterentwickeln, öffnen wir uns und lassen das Unwägbare hinein. Ergründen lässt es sich, ergründen lassen wir uns niemals. Eine eigentlich freiheitliche Perspektive, die uns "It Comes at Night" mit aller bitteren Konsequenz präsentiert.

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