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Alle Kommentare von Geistertexter
Timothy Spall ist der große Faktor in diesem Film, der ansonsten solide und wenig einfallsreich eine altbekannte Geschichte von Liebe und Verlust erzählt.
Ewig verklärte Kultstoffe wie "Dune" haben es schwer auf der Leinwand. Das immerhin haben die Filmversionen von Lynch und Villeneuve gemeinsam. Beiden Regisseuren gelingt es selbstredend nicht, die überfrachteten Erwartungen von Teilen des Publikums und der Kritik voll und ganz zu erfüllen. Auch die Bosse von Warner Brothers müssen erst noch überzeugt werden und sie werden lange in ihren Geldschrank gucken, bevor sie einen weiteren Teil der offenbar geplanten Reihe finanzieren. Tatsächlich will diese erste Episode nicht mehr und nicht weniger sein als die umsichtige Pilotfolge eines Langzeitprojektes. Villeneuve bleibt relativ nah an der Vorlage und lebt seine erzählerischen Ambitionen gewohnt effektiv und sehens(hörens)wert in der Gestaltung (Kamera, Ton, Ausstattung) aus. Wie die meisten seiner Filme ist "Dune" eher ein nachdenklich melancholisches Kammerspiel als ein wüstes Schlachtengemälde geworden.
Im Kino sind es oft die einfachen Geschichten, die tief bewegen. Dabei ist mit einfach keineswegs simpel, sondern vielmehr eine filmische Erzählung des Alltäglichen gemeint, die mit schlichten, aber anschaulichen Mitteln eine differenzierte Deutung des Lebens vornimmt. Wenn das gelingt, entstehen ungekünstelte, universell gültige Menschenbilder, die sowohl die widersprüchlichen Gefühlslagen zwischen den Generationen als auch die sozialen Differenzen einer Gesellschaft feinsinniger und unverwechselbarer wiederzugeben vermögen als die angepassten Filme des Mainstream.
Für die eigenwilligen Arbeiten des französischen Regisseurs, Autors und Produzenten Robert Guédiguian gilt das besonders. Seit nun mehr dreißig Jahren macht er Filme und wird in Deutschland bislang kaum wahrgenommen. Vielleicht liegt es daran, dass seine Themen speziell auf den gesellschaftspolitischen Kontext Frankreichs zugeschnitten sind. Im Grunde aber haben es französische Filme seit jeher schwer auf dem deutschen Kinomarkt, von vereinzelten Kassenerfolgen wie „Willkommen bei den Sch‘tis“ oder „Ziemlich beste Freunde“ einmal abgesehen. Sein hierzulande bekanntester Film „Marius et Jeannette“ (1997) ist eines der besten Beispiele für Guédiguians Talent, das Leben der nach außen hin einfachen Menschen glaubwürdig zu dramatisieren. Der beiläufige Humor und der unverbesserliche Optimismus, der seine Figuren auszeichnet, verleiht seinen Werken bei aller inhaltlichen Schwere etwas Leichtes und Unbekümmertes.
Vor der sonnenlichtgetränkten Kulisse seiner Heimatstadt Marseille, wo Guédiguian neben „Marius et Jeannette“ viele seiner Filme drehte, spielt auch die Geschichte seines neuen, bereits siebzehnten Films „Der Schnee am Kilimandscharo“. Im Mittelpunkt stehen Michel und Marie-Claire, beide über Fünfzig. Sie fühlen sich nicht mehr ganz jung, aber auch längst noch nicht alt. Sie sind das, was man gemeinhin glücklich nennt. Sie lieben und achten einander, haben ein schmuckes, eigenes Haus, zwei erwachsene Kinder, süße Enkel und gute Freunde. Alles ist, wie es sein soll. Sogar die plötzliche Arbeitslosigkeit des Hafenarbeiters und leidenschaftlichen Gewerkschafters Michel trübt das Glück nur vorübergehend. Nach einer kurzen Phase des Selbstmitleids rappelt er sich der wieder auf und richtet sich in der Rolle des Hausmanns ein.
Guédiguian nimmt sich Zeit, um seine Figuren und ihr soziales Umfeld vorzustellen und wird dabei von seinen Hauptdarstellern Jean-Pierre Darroussin und Ariane Ascaride (die Jeannette spielte) auf brillant unauffällige Art unterstützt. Bald erscheinen Michel und Marie-Claire einem so vertraut wie gute Bekannte, mit denen man auf ihrer Terrasse gern ein Glas Wein trinken würde. Angelehnt an ihr gemeinsames Lieblingslied „Les Neiges du Kilimandjaro“ bekommen sie zum dreißigsten Hochzeitstag die Flugtickets und das Geld für eine Reise nach Kenia zum Kilimandscharo geschenkt. Was von ihren Freunden und der Familie als Krönung ihres gemeinsamen Lebens gedacht ist, entpuppt sich aber bald als der Beginn einer Katastrophe. Eines Abends zu Hause, sie sitzen mit Freunden beisammen, dringen Maskierte bewaffnet in das Haus ein und lösen mit diesem Gewaltakt ein Trauma aus.
Plausibel verdichtet Guédiguian die sich nun entwickelnden Ereignisse zu einem Drama über soziale Differenzen und durchleuchtet subtil die Spannungen zwischen den gefestigten Gefühlen des Paares und dem brutalen Verbrechen. Während die stabile und unbeschwerte Marie-Claire innerhalb kurzer Zeit in den Alltag zurückfindet, tut sich der grüblerische Michel damit schwer. Die Demütigung durch die Räuber verfolgt ihn. Unvorhergesehen trifft er einen Bekannten auf der Straße und erkennt in ihm einen der Täter. Michel folgt ihm und schleicht sich ein in sein Leben. Der junge Mann lebt mit zwei jüngeren Geschwistern, um die er sich fürsorglich aufkommt. Schnell wird klar, dass das gestohlene Geld der Unterhalt für die Kinder ist. Michel zweifelt. Soll er ihn anzeigen? Was wäre die Alternative? Vergeben und vergessen? Michel kann aber nicht vergessen und vergeben erst recht nicht, also lässt er ihn verhaften. Der Kommissar bietet Michel sogar die Gelegenheit sich zu rächen und den gefesselten Täter zu schlagen. Doch Michel will ihn verbal demütigen, was nicht gelingt. Stattdessen macht der geständige Räuber ihm, dem gestandenen Sozialisten, schwere Vorwürfe wegen seiner materialistischen Lebensweise.
Guédiguian treibt hier einen politischen Diskurs auf die Spitze, der in Deutschland - man denke an den Porsche des Herrn Ernst - ebenfalls nicht unbekannt ist und hält der alternden Führung der sozialistischen Partei Frankreichs, für die er sich seit langem engagiert, den Spiegel der enttäuschten Jugend vor. Der Filmemacher verhandelt aber mehr als eine oberflächliche Debatte über lasch gewordene Sozialisten. Er hinterfragt die verschiedenen Formen der Gerechtigkeit, die ein Verbrechen und dessen Aufklärung begleiten. Zwischenzeitlich entwickelt der Film sogar den Sog eines Kriminalfilms. Wem nützt die Verurteilung des Täters? Ist der juristischen Gerechtigkeit damit Genüge getan? Der bestimmt, denn er muss seine Tat im Gefängnis sühnen. Hinter die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit aber macht Guédiguian ein dickes Fragezeichen, was ihm von konservativen Kreisen den Vorwurf einbrachte, diese Art von Delikten zu verharmlosen. Aber ist es eine Verharmlosung, das Für und Wider einer Strafe zu diskutieren, wenn sie den Kindern den Ernährer raubt? Michel und Marie-Claire jedenfalls wissen, was zu tun ist.
Am Ende verleiht Robert Guédiguian seinem klug ausbalancierten Film, der sich der den Anspielungen einer Komödie in einzelnen genau skizzierten Situationen ebenso wenig verschließt wie der Tragik des Täters, einen Zug ins Märchenhafte. Nach einem gerüttelt Maß an Kümmernissen möchte er seinen Hauptfiguren etwas Gutes zu tun. Aber ein Happy End? Nein, dafür ist selbst der ewige Schnee am Kilimandscharo, wie Marie-Claire und Michel schmerzlich erfahren müssen, zu vergänglich und im Grunde auch nicht der Rede wert. Wenn man über genügend Unerschrockenheit und Lebensmut verfügt, findet sich ein kleines Stück vom Glück auch im Unglück.
Manche Filme, die einem gut gefallen, will man nicht unbedingt ein zweites Mal anschauen. Man ist froh, sie ausgehalten zu haben. „Tyrannosaur“ ist einer von diesen Filmen. Bereits der Untertitel der deutschen Verleihfassung ist eine Zumutung für jeden, der mit dieser „Liebesgeschichte“ romantische Erwartungen verknüpft. Das Vokabular klassischer Love Stories kommt mit keiner Silbe zur Sprache. Nur vereinzelte, verschämte Blicke verweisen auf konkrete zwischenmenschliche Neigungen. Ausbrüche rücksichtsloser Härte dagegen zeigen nachhaltig Wirkung.
Ein Mann kommt aus der Kneipe, stark angetrunken und stinksauer verpasst er seinem Hund ein paar derbe Fußtritte in den Leib. Der Hund stirbt. Kurz darauf sitzt der Mann, er heißt Joseph, allein im Dunkeln in einem schäbigen Garten und trauert um das Tier, das seine Tage meist in einem baufälligen Schuppen verbrachte, wie um einen guten Freund, verzweifelt und noch wütender.
Wenige Szenen später sehen wir Hannah in ihrem blitzblanken Eigenheim auf dem Sofa liegen. Sie scheint zu schlafen. Ihr Ehemann kommt nach Hause, sie rührt sich nicht. Wenig später steht er neben ihr und pinkelt sie an. Hin und her wandert der Strahl auf ihrem regungslosen Körper. Sie rührt sich noch immer nicht. Dann geht er weg. Zurück bleibt vollkommene Stille. Dann plötzlich bewegt sie sich. Schnitt. Am nächsten Morgen putzt sie akribisch das Sofa. Das Leben geht weiter.
Das gilt auch für den Zuschauer, der wieder zurück finden muss in seine Rolle. Nur gut, dass ihm genügend Raum dafür gelassen wird. Anstatt die Konfliktherde weiter eskalieren zu lassen, wie es die ersten Szenen mit harten Blicken und Schnitten andeuten, geschieht das Unwahrscheinliche. Zwischen dem wütenden Joseph aus der Sozialbausiedlung und der demütigen Olivia aus der gutbürgerlichen Gegend entwickelt sich eine Art von Freundschaft, die mit den altgedienten Bedeutungen des Wortes „Liebe“ zunächst wenig gemein hat.
Dass der Schauspieler Paddy Considine in seinem Regiedebüt großes filmisches Talent beweist, sieht man in beinah jeder Einstellung. Die Bilder sind streng komponiert, kalte Farben beleuchten matt eine eisige Welt, aus der es kein Entkommen gibt. Weder Lügen noch andere Ausflüchte helfen weiter. Die stupide Nüchternheit des Alltags holt die Menschen schnell wieder ein. Allein der Alkohol ist ein treuer Freund, dem man sein Leben anvertraut. Herzhaft lachen sieht man Considines Ensemble der Desillusionierten nur bei einer Beerdigung mit Tanz und Tralala. Ansonsten herrschen Gewalt und Ohnmacht.
Der Titel des Films entstammt einer Erzählung Josephs über seine verstorbene Frau, die füllig und gutmütig sein Leben diktierte, was ihm nun zu fehlen scheint, denn zumindest so viel wird deutlich, nach diesem Verlust, überkam ihn die Wut und mit ihrem Toben in seinem Kopf gab er die Kontrolle über sein Leben auf. Wenn seine Frau, so erzählt er, schwer atmend die Treppe in den ersten Stock stieg, wo er gern seinen Tee trank, bebte das Haus und der Tee in der Tasse zitterte. Wie in „Jurassic Park“, sagt er, darum nannte er sie Tyrannosaur. In Steven Spielbergs Science-Fiction-Abenteuerfilm jagt der Tyrannosaurus den Menschen panische Angst ein, das Untier betrachtet sie mitleidlos als Nahrung.
Die Vorgeschichte der Figuren, die Rückschlüsse zulassen würde auf ihr Handeln und Fühlen verharrt in knappen Andeutungen. Offene Fragen springen einen an. Woher kommt diese Wut? Woher kommt diese Demut? Considine liefert keine fertigen Antworten, aber eine konkrete Ahnung, die alle angeht. In einer modernen Industriegesellschaft, deren ökonomische Zwänge einen wachsenden Teil ihrer Gemeinschaft ausgrenzen, gehört die Angst vor dem Gefressen werden zum Alltag. Wenn das Selbstbewusstsein auf die schiefe Bahn gerät, könnte es jedem ergehen wie Hannah und Joseph. Bleibt das Stolpern aber nicht die Ausnahme, weil niemand Anteil nimmt an ihrem Verhängnis, wird das Scheitern zum Normalfall.
Nicht Anteil zu nehmen, wird einem aber alles andere als leicht gemacht. Die gezielten Rohheiten laden regelrecht ein, Partei zu ergreifen. Aber für wen? Wer ist unschuldig, wer schuldig? Es gibt keine eindeutigen Zuweisungen. Moralische Kategorien werden nicht erörtert. Hohl klingen denn auch die Rufe nach Glaube, Liebe Hoffnung durch Olivia. Als Joseph eines Tages schwer verprügelt ihre Nähe sucht, betet sie mit ihm. Er aber weist ihren Trost als verlogenes Geschwätz zurück. Die Werte ihrer vertrauten, bürgerlichen Welt haben für ihn jeden Sinn eingebüßt. „Tyrannosaur“ handelt davon, wie steinig der Weg ist, diese erneut mit Bedeutung zu füllen.
Inhaltlich und stilistisch geprägt von der Nähe zur sozialrealistischen Tradition des britischen Kinos, dessen renommierteste Vertreter Ken Loach und Mike Leigh in unseren Kinos seit längerem keine Unbekannten sind, stellt Considine die im Mainstream-Kino oft unscharfen Ränder der Figuren in den Mittelpunkt des Geschehens und entwickelt mit seinen außerordentlichen Darstellern Peter Mullan als Joseph und Olivia Colman als Hannah ein Kammerspiel von großer Eindringlichkeit.
Selbstlos gestaltet die Kamera den Blick in das Innere des scheuen Liebespaares. Sequenz für Sequenz lernt man es besser kennen, wird zum tief bewegten Zeugen einer seelischen Annäherung. Bald zeigt sich, nur äußerlich sind beide grundverschiedene Menschen. In ihrer emotionalen Isolation spüren sie eine Verbundenheit, die unaussprechbar ist, sie aber wie ein Sog zusammen führt.
Hannah und Joseph wären einander gewiss fremd geblieben, gäbe es nicht hin und wieder wenigstens im Kino ein kleines Wunder. In einer fabelhaften Einstellung am Ende glänzt der Stacheldraht eines Gefängnisses im winterlichen Himmelblau wie ein Silberstreifen am Horizont, dennoch ist klar, geschenkt wird ihnen nichts, Hannah und Joseph werden weiter um ihr kleines Stück vom Glück kämpfen müssen.
Im Augenblick des Todes der Wahrheit offen ins Auge zu blicken, ist ein alter Traum des Menschen. Mit sich im Reinen abzutreten, schafft nur der, der sich dem Tod stellt, wie er sich dem Leben gestellt hat. Das alles ist bekannt. Was aber nicht bekannt ist, ist die Antwort auf die Frage: Kann es einen schönen Tod geben? Es gibt zumindest niemanden, der Auskunft geben kann. Jene, die zurückbleiben sind befangen und oft verklären sie das Ableben mit metaphysischem Brimborium. Wie also soll man sich einen schönen Tod vorstellen? Womöglich so wie in „La prima cosa bella“ von Paolo Virzi.
Ein Mann liegt auf einer Wiese, alle Viere von sich gestreckt. Die Kamera nähert sich aus großer Höhe und als sie sein ruhendes Gesicht in der Nahaufnahme zeigt, knallt ein Ball gegen den Schädel. Der Mann schreckt auf, schaut benommen in die Runde, dann auf die Uhr und hetzt los. Diese Benommenheit und das Abgehetzte wird er lange Zeit nicht los. „Was stimmt nicht mit dir Bruno?“, fragt seine Mutter später. Sie ist sehr krank und hat ihn viele Jahre nicht gesehen. Er weiß keine Antwort.
Bruno (Valerio Mastandrea) ist um die Vierzig, stetig auf der Suche nach einem Joint und chronisch unzufrieden mit allem und jedem, mit sich und seiner öden Arbeit als Lehrer an einer kleinen Schule in Mailand, mit seiner Verlobten, die er als Mitbewohnerin ausgibt, um ja keine Verpflichtungen einzugehen, mit seiner jüngeren Schwester Valeria, die er „blöde Kuh“ schimpft, die ihn aber trotzdem über alles liebt und mit seiner Mutter, die angeblich sein Leben „versaut“ hat und die nun, wo es ihm selbst dreckig geht, dem Tode nahe ist. Bruno passt das ganz und gar nicht in den Kram, denn er wollte noch und müsste eigentlich und überhaupt hat es der knurrige Stadtneurotiker sehr eilig.
Nur für eine Nacht, erklärt Bruno widerspenstig der besorgten Schwester, fährt er dann doch nach Livorno, um seine Mutter noch einmal zu sehen. Auf keinen Fall länger. Kaum spätabends angekommen, die Mutter schläft, versucht er einen Rückzieher, wie das so seine Art ist, und fragt die Krankenschwester nach dem Bahnhof. Doch Paolo bleibt. Erst ein, zwei, dann viele Tage. Er spürt, dass die Besorgnisse seiner Kindheit, deren sonnengelbe, sentimentalische Abbilder ihn nun heftig wie Alpdrücke überkommen, etwas mit seinem Leiden in der Gegenwart zu tun haben.
Sommer 1971. Mit einem Schönheitswettbewerb am Strand von Livorno nimmt das Unglück seinen Anfang. Zum Entsetzen des achtjährigen Bruno, dem das alles mehr als peinlich ist, gewinnt seine Mutter Anna den ersten Preis. Ihre Freude ist verhalten, der stolze Gatte Mario plötzlich wütend. Die anderen Männer grapschen sie an, als sei ihr Körper öffentliches Eigentum. Selbstredend sei das ihre Schuld meint Mario. Dabei ist sie eine überaus liebevolle Mutter und treusorgende Ehefrau. Der einzige Makel, der sich nicht wegleugnen lässt, ist ihre blendende Schönheit. Das blühende Antlitz und das gleißende Licht ihrer warmen Augen, wunderbar Micaela Ramazzotti, verzaubert die Männer. Daran scheitert ihre Bindung. Mario macht Anna tagtäglich heftige Vorwürfe, bis „Mamma“ eines Nachts, mit Kindern und Koffer Reißaus nimmt und eigene Wege geht, im erzkatholischen Süden Italiens an sich ein Ding der Unmöglichkeit. Danach gibt es für Bruno und Valeria kein Zuhause mehr, das diesen Namen verdient. Mit jeder neuen Männerbekanntschaft ihrer Mutter wechseln sie das Quartier und zwar weitaus öfter als ihnen lieb ist, da die Männer nicht bekommen, was sie sich erträumen. Annas Liebe und ihr Körper gehören Mario, daran hat sich nichts geändert.
Das Lied „La prima cosa bella“, ein populärer Schlager von 1970, ist die emotionale Brücke zwischen der kämpferischen Anna und den nicht selten auf sich allein gestellten Kindern. Immer wenn die Luft brennt, die Lage aussichtslos scheint, singt sie mit ihnen dieses Lied und alle beginnen zu lächeln. Am Tag ihres Todes ist das nicht anders. Die sterbende Anna, großartig Stefania Sandrelli - seit den Sechzigern ein Star des italienischen Kinos - weiß, dass ihr Augenblick der Wahrheit gekommen ist und ruft Bruno und Valeria (Claudia Pandolfi) zu sich, um ein letztes Mal ihr Lied zu singen.
Paolo Virzi inszeniert den finalen Höhepunkt gefühlsbetont, aber ohne Pathos. Selbst jetzt ist es Bruno peinlich, sich seiner Mutter hinzugeben. Erst im letzten Moment gelingt ihm die Aussöhnung mit ihr und mit sich. Die Regie beweist Geschmack und schneidet kurz vor dem befreienden Moment. Der Akt des Sterbens wird ausgespart. Einen schönen Tod zeigt also auch diese Komödie nicht, denn selbstredend ist ein schöner Tod im Kino ein Unding. Die misslungenen Versuche, dem Ableben eines Menschen filmisch Größe zu verleihen, sind ungezählt. Virzi versucht es gar nicht erst und das ist gut so. Er schafft aber eine Vorstellung von der einzigartigen Intimität dieses Augenblicks und davon, wie viel innere Kraft notwendig ist, um das Ende des Lebens selbstbewusst zu gestalten und mit etwas zu verbinden, das einen neuen Anfang ermöglicht.
Doch so feinfühlig einzelne Situationen eingefangen wurden, die tiefe innere Erschütterung Brunos, der in den meisten Episoden seltsam düster über den Dingen zu schweben scheint und wie ein allgegenwärtiger Schatten der Vergangenheit eine Gestalt gibt, wird nicht gänzlich plausibel. Woher kommt seine Menschenfeindlichkeit? Als junger Mann schrieb er Gedichte, warum hat er sie nie veröffentlicht, warum ist aus ihm kein Künstler geworden? Sind das unbedarfte Wesen seiner Mutter und ihr mitunter vulgäres Gebaren mitschuldig an seinem Versagen vor sich selbst? Meinte er, sich sein ganzes Leben für sie schämen zu müssen? Es bleibt dem Zuschauer überlassen, die Vielzahl der nur angerissenen, kleinen Geschichten in der großen Erzählung miteinander zu verknüpfen. Das klappt nicht immer.
Was besser gelingt, ist die Zeichnung von Annas früher Unabhängigkeit und - dagegen gesetzt – die Provinzialität der kleinen Stadt Livorno und ihrer Menschen, die Prahlerei und der Kleinmut der Männer in Annas Leben, die Rechthaberei und kalte Strenge von Annas Schwester, die sich gottesfürchtig mit ihrem Platz bescheidet und dennoch genügend gute Gründe findet, Anna den Mann und die Kinder zu neiden. Nicht zuletzt dank eines Darstellerensembles, dessen fiebrige Intensität die Sinne des Betrachters mit großer Verve für sich einnimmt, wird die Beschreibung dieser bigotten Welt zu einem berührenden Erlebnis.
Hier zu sehen auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=7HYYhQwYZEE
Wes Anderson ist ein Feinmechaniker der Ironie. Allerdings wirkt dieser neue, zweite Trickfilm von ihm auf seltsame Weise formelhaft und dadurch weniger anziehend in seiner nach wie vor süffisanten Lust der Verstellung als es dem hochtalentierten Mechaniker wohl lieb ist.
Juliette Binoche ist die Hauptdarstellerin in diesem eher ungewohnt leichten Film von Claire Denis, die einen Ausflug ins Fach der Komödie wagt. Leider wirkt dieser Ausflug aber auch etwas halbherzig durcharrangiert, spröde und akademisch im Aufbau und gerade die männlichen Darsteller, hier die Objekte der Begierde (der Banker, der Schauspieler etc.) scheinen etwas lasch und langweilig geraten vor allem im Verhältnis zur großartigen Binoche, die vor Schaffenseifer sprüht. Es mag ja sein, dass diese Männer um die 45, allesamt in festen Verhältnissen lebend, nicht viel her geben für die große Bühne der Liebe, aber was eine Enttäuschung für die Protagonistin darstellt, muss ja nicht auch eine für das Publikum sein.
George Marshall ist der Regisseur dieses Westerns, der in seinen besten Momenten an "Karawane der Frauen" von William A. Wellman erinnert. Leider gibt es davon nicht viele. Über jeden Weißen, der sein Leben verliert, selbst über die miesen Typen, gibt es ein langes Palaver. Dann werden die kriegerischen Ureinwohner im Dutzend abgeknallt, wie die Hasen. Kein Wort des Bedauerns. Selbst die Göttesfürchtigste unter den Frauen, die eigentlich jeden Kampf verabscheut, greift irgendwann freudig zur Waffe und das alles scheint gut so zu sein, denn andere Standpunkte gibt in diesem Film nicht. Marshall machte einige Jahre vorher die Klassiker "Der große Bluff " und "Die blaue Dahlie", leider ist dieser Film kein Klassiker, sondern ein reaktionäres, kaugummizähes Audie-Murphy-Produkt, das sich trotzdem einiges darauf einbildet, dass den Frauen einmal mehr erlaubt wird, als nur um Hilfe zu schreien.
Eine kleine Geschichte über die Schrecken des 1. Weltkriegs, die aber scheinbar nicht das uneingeschränkte Vertrauen des Regisseurs Sam Mendes genoss, der auf großmächtige, lichtdurchflutete Breitwandbilder setzte - womöglich um den dargestellten Wahnsinn einem breiteren Publikum leichter erträglich zu machen - und aus diesem Grund leider künstlerisch scheitert, da die überaus spannenden persönlichen Ambitionen des Autors Sam Mendes, die ja den Ausgangspunkt des Filmprojektes bildeten, nur mehr noch in Ansätzen zu erkennen sind.
Die Gruppe junger Menschen im Zentrum des Films wollen ein weithin sichtbares Zeichen setzen gegen ein Staatsgebilde, dass für sie keinen Sinn mehr macht. Sie wählen das Mittel der Gewalt, aber sie wollen niemanden töten. Paris soll brennen, aber niemand soll zu Schaden kommen. Das es anders kommt, ist keine Überraschung. Die Staatsgewalt will am Ende auch ein Zeichen setzen und tötet jeden einzelnen von dieser Gruppe. Bonello inszeniert das als schonungslose Folge von Hinrichtungen. Die Antworten auf die Frage, welche von diesen Handlungen moralisch verwerflich sind und welche nicht, überlässt der Autor und Regisseur seinen Zuschauern.
Fritz Langs Fahndung nach dem Bösen erinnert an die Geschichte im Film "Capote". Samuel Finzi spielt den Serienmörder Peter Kürten sehr überzeugend. Grauen und Mitleid ganz nah beieinander.
Allzu braver Serienkiller-Thriller, der leider in seinen (Ost-West) Klischees ertrinkt und den auch die arrivierte Schauspielerriege nicht über die Zeit retten kann. Hätte auch in Hessen spielen können.
Zu beschaulich schön fotografiert und gleichzeitig zu kurzatmig in der Ausarbeitung zentraler Konflikte. Süffisanz und Understatement statt tragische Verwicklungen, letztere bleiben nur angedeutet und weisen zurück zur Lektüre des Ausganspunktes dieses Filmes, dem Roman von Eugen Ruge, von dessen erzählerischem Reichtum hier nur Häppchen wieder zu finden sind, was vielleicht auch in der Natur der Sache liegt. Dennoch, das großartige Ensemble der Darsteller (vor allem Groth und Ganz) sowie Geschonnecks virtuoses Gespür für sinnbildliche Details machen genügend Eindruck, um mit Vergnügen bis zum Ende am Ball zu bleiben.
Die Filme von Manoel de Oliveira gibt es kaum auf DVD in Deutschland, vor allem die großartigen früheren Filme, hier darum ein Beispiel aus dem Jahr 1975 https://www.youtube.com/watch?v=jZ2SbJO6zF8 im Original mit engl Untertiteln.
Ohne ein profundes Geheimnis, dass die Protagonisten verbindet und aus dem sich so etwas wie Spannung oder auch nur Interesse entwickeln könnte, wirken die an sich bestechenden Bilder einer absurden Reise mitunter aufgesetzt, ebenso wie die ausufernd zelebrierte Lakonie nicht immer in eine geglückte Pointe mündet.
Nicht nur Marlene Jobert verliert im Laufe der Ermittlungen sämtliche Ilusionen über die Polizeiarbeit, auch der Zuschauer muss sich verabschieden von den Sympathien für seinen Helden Lino Ventura, von dem nichts bleibt als der traurige Anblick einer gescheiterten Existenz.
Der sogenannte Liebling der Frauen wird nach vielen weiblichen Eroberungen selbst ein Opfer seiner zwanghhaften Begierde. Schöne Ironie.
Wenn die überlangen und wohl bewusst entsetzlich anzuschauenden Folterszenen mit den Mitteln eines Action-Thrillers aufbereitet werden, verliert der Film seine Wahrheit und damit seine erzählerische Mitte aus den Augen. In diesen Sequenzen und auch in dem überflüssig ausgedehnten Gerichtsverfahren im letzten Drittel sind viele Szenen beliebig und klischeehaft. Bigelow möchte den Opfern rassistischer Gewalt und vor allem ihren Angehörigen eine Stimme geben, die gehört zu werden, heute wieder essentiell wichtig ist für die tief gespaltene amerikanische Gesellschaft. Auf diese Stimme hätte sie vertrauen sollen, die Opfer hatten genug zu erzählen. Vom Leiden an sich selbst. Nicht von Wut, Hass und Rache.
Der Außenseiter wird zum Outlaw, weil er sich in einer für ihn vollkommenen Weltfremdheit eingenistet hat und in dieser Idylle sich nicht vorzustellen vermag, dass die kleinlichen Regeln und Gesetze der sogenannten zivilisierten, bürgerlichen Welt, die er naturgemäß verachtet, nicht nur für alle anderen, sondern auch für ihn gelten. Der Film von David Miller sollte ursprünglich schlicht "The last Cowboy" heißen, aber Kirk Douglas, der das Projekt gemeinam mit Autor Dalton Trumbo auf den Weg gebracht hatte, konnte sich mit seinem Wunsch nicht gegen Produktionsfirma und Verleih durchsetzen.
In der deutschen Synchronfassung wird Chief Crazy Horse - ein großer Krieger und ebenso ein großer "König" der Lakota-Sioux und zudem eine außerordentliche Berühmtheit in den gesamten USA - in "Schwarzer Hengst" umgetauft. Ist das blanker Rassismus oder pure Dummheit? Victor Mature spielt ihn mit großer Würde, aber er ist zwanzig Jahre zu alt für die Rolle, was die übertriebene Maske nur noch mehr betont.
Shermans Western, einer von den vielen meist wenig bemerkenswerten unter seiner Regie, mag gut gemeint sein mit seinen allerdings schon zu der Zeit klischeehaften Einlassungen zur "Indianerfrage" - die bösen Weißen stehlen den Indianern ihr Land und brechen die Verträge, wenn ein gutes Geschäft winkt, doch werden die Konflikte viel zu langatmig und schematisch ausgebreitet. In vielen Passagen ersetzen hohles Pathos und übertriebene Sentimentalität aufklärerische Dialoge. Nicht zuletzt darum wirken die vermeintlich historischen Inhalte heute - vor allem angesichts ihrer eigentlichen Wahrheiten - eher lächerlich.
Immer wieder wird von allen betont, wie viele Freunde die James-Brüder haben. Auch betont wird des Öfteren, das aus Jesse James ein krankhafter Verbrecher geworden ist, ein skrupelloser Krimineller, dem es nur um sich selbst geht. Dann zeigt man seine Läuterung, vollzogen in der wiederentdeckten Liebe zu seinem Sohn und seiner Ehefrau, die er mehrere Jahre nicht sehen konnte bzw. wollte. Schnief. Schließlich endet das Kinodrama damit, dass seine Nachbarn und Freunde ein Denkmal für diesen Verbrecher enthüllen und behaupten, alles in allem sei er doch ein guter und ehrenwerter Mensch und Freund gewesen. Zehn Jahre hat er mit der Justiz und seinen Helfershelfern Katz und Maus gespielt, seine Freunde und seine Familie mussten die ganzen Jahre darunter leiden. Trotzdem tun am Ende alle so, als sei er eine Art Messias gewesen und sie hätten alle - oh Wunder- gerne gelitten. Während Bob Ford, sein Kumpan, der selbst über viele Jahre für sich und seine Familie ebenfalls mit dem Schlimmsten rechnen musste, nur übelster Abschaum sei, weil er ihn für Geld verraten und ermordet habe.
Irgendwie erinnert mich diese Art von Hinterwäldler-Moral, die in vielen Western zu Tage tritt - inklusive der pauschalen Verdammung der Politiker in Washington - an die aktuellen Geschehnisse in den USA. Auch dort glauben viele Amerikaner, ein Mann wie Trump sei der Messias für sie, weil er sich rücksichtslos für Ihre Interessen einsetzen würde, obwohl er doch auch im Weißen Haus nichts anderes zu sein scheint, als ein skrupelloser Geschäftsmann, der sich ausschließlich für sich selbst und seinen Erfolg interessiert. Ich will nicht sagen, Trump sei wie der Jesse James in diesem Film und schon gar nicht Jesse James habe irgendetwas mit Trump gemein, sondern ich sorge mich, dass in 50 Jahren ähnlich erbauliche und gekonnt inszenierte Filme, über Trump oder andere selbsternannte Götter gedreht werden, nur weil die Geschichte so dumm und vergesslich ist, dass man spielend leicht aus einem krummen Hund einen Ehrenmann machen kann.
Regisseur Felix Feist weiß weder mit der fantastischen Landschaft der kalifornischen Baumriesen als Kulisse etwas anzufangen noch mit der ungewöhnlichen Story, die Fragen des Naturschutzes, der ökologischen Nachhaltigkeit und Kapitalismuskritik miteinander verbindet. Die Handlung findet aufgrund der zerfahrenen Regie keine erzählerische Mitte. Richtige Spannung entsteht nur selten. Kirk Douglas dagegen agiert großartig. Erst ist er der miese, egozentrische Kapitalist, clever und smart, aber auch arrogant und unbelehrbar, dann nach zahlreichen Prüfungen und Verlusten kommt der gute Christ in ihm zum Vorschein und gewinnt moralisch die Oberhand. Natürlich ist das Kitsch, aber immerhin rettet seine Darstellung den Film vor der Bedeutungslosigkeit.
Dass der Filmproduzent Arthur Brauner mit diesem Film scheinbar nichts anderes im Sinn hatte als vom Winnetou-Hype der 60er kommerziell zu profitieren, hat einen Film ohne Idee und Konzept enstehen lassen, der zudem auch inhaltlich ein ganzes Universum von den ursprünglich romantisch-pazifistischen Winnetou-Abenteuern entfernt ist.
Munteres Propaganda-Werk aus Hollywood, das am Anfang und Ende vor Patriotismus kaum laufen kann, dennoch aber in einer durchaus gelungenen Mischung aus Drama und Komödie die alte Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Narziß wiedergibt. Sehenswert vor allem die Massenschlägerei im Kino und wie es dazu kam. Spannend ist es auch mitanzusehen, wie es zwischen den beiden Hauptdarstellern Marlene Dietrich und John Wayne, der zu der Zeit noch kein Superstar war, knistert. "Citizen Kane" von Orson Welles, der hier womöglich unter anderem als Vorbild diente, lief ein Jahr vorher in den amerikanischen Kinos, blieb aber - wie auch dieser Versuch von John Wayne seinen Kriegsdienst auf der Leinwand abzustatten - geschäftlich ein Mißerfolg.