Jenny von T - Kommentare
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Alle Kommentare von Jenny von T
Selten war ich so froh, die Zielflagge zu sehen. Was WARRIOR für den Kampfsport, ist RUSH für die Formel 1: Eine Aufeinandertürmung althergebrachter Männlichkeits- und Gewinnerklischees.
Wo soll man da bloß anfangen?
Vielleicht bei den dilettantisch gestapelten, einzig nach Klatschpresse-Standards abgewogenen Biographie-Fetzen, welche uns der Film nur so um die Ohren haut?
Dem Herabwürdigen seiner Hauptcharaktere auf Lebensmottos aus dem Poesiealbum?
Der spektakulären, beinahe werbewirksamen Inszenierung eines tragischen Unfalls?
Oder doch bei jener ärgerlichen Regie-Oberflächlichkeit, die alle Register der Manipulationskunst zieht?
Durchaus glaube ich RUSH, dass es im Formel 1-Zirkus vornehmlich um *heiße Weiber*, *mächtig Kohle*, *geile Geschwindigkeits-Adrenalinkicks* und Statussymbole geht - genau darum ist mir der Renn"sport" ja auch so unsympathisch und insoweit schlucke ich von mir aus auch noch die eine oder andere Dialogzeile auf dem Niveau eines gehobenen Pornos als entlarvenden Kommentar. Nicht aber nehme ich diesem filmischen Extrablatt ab, dass Menschen nach schlichtesten Formeln funktionieren wie man es uns hier verkaufen möchte. Die Methode nämlich ist durchschaubarer als jedes Helmvisier: Zwei Rivalen, natürlich *total* gegensätzliche Persönlichkeiten, können sich zwar nicht leiden, ziehen – frei nach dem Magnet-Prinzip – aber auch einander an zwecks gegenseitigem Anstacheln zu Höchstleistungen. Hunt, der allseits beliebte, vergnügungssüchtige Playboy und Lauda, der kühle, eigenbrötlerische Stratege – lediglich die Arroganz (Brühl trifft es - zugegeben - perfekt, Hemsworth auf der anderen Seite... sieht gut aus) ist ihnen gemein. Und sie verbindet offenbar.
Aber mal im Ernst: Hätte sich für den "unterschwelligen" Respekt zwischen den Rennfahrern kein anderes Motiv finden lassen als den wütenden Hunt, wie er nach einer missglückten Pressekonferenz mit Lauda heroisch einen ungehobelten Journalisten zusammenschlägt? Und für alle, die dann noch immer nicht der ach so doppelwertigen Verbindung auf die Schliche gekommen sind, klärt Lauda schließlich noch einmal persönlich aus dem Off die Fronten. Wenn auch das Benzin im Tank knapp wird, der Vorrat an Pathos ist unerschöpflich.
Wer hätte es gedacht? Wohl jeder, der bis hierhin nicht schon leise vor sich hin schnarcht – sofern die lauten Motorengeräusche das Einnicken nicht verhindern (der Rest tut es jedenfalls nicht). Und überhaupt: Warum gibt gerade Lauda, den es ja angeht, Howards reißerischer BILD-Biographie seinen Segen?
Einmal mehr immerhin konnte ich mich versichern (und wenn es die einzige Erkenntnis blieb): Diese Ausprägung von Männerkitsch wird sich mir wahrscheinlich nie erschließen.
Höchste Zeit für einen Boxenstop, den auch der Film dringend nötig hätte:
"Süße, Männer lieben Frauen – aber noch weit mehr lieben Männer Autos!"
Ein Leben in der Nußschale.
Manchmal habe ich den Eindruck, wir Erwachsenen neigen dazu, unser Dasein in Abschnitte einzuteilen, wie wir ja alles gerne kategorisieren, eventuell weil wir glauben, dass uns das Kontrolle und Sicherheit gibt. Nicht selten dagegen kommt es ganz anders, wo Lebensbereiche ineinander spielen.
Als Kind tickt man natürlich nicht so. Gott sei Dank. Kleinigkeiten lassen die Stimmung kippen, man stellt Fragen, und schon passiert wieder etwas Neues. Doch lebt man nicht in Zusammenhängen oder Vierecken, sondern für den Augenblick, lässt sich in abgesteckten Bahnen treiben – welche Wahl hat man auch? Mit Anfang 20 (oder auch später noch) tritt dann häufig eine Nostalgie ein, weil damals alles besser war... und in gewisser Weise stimmt es ja. Denn wird man älter, steigt das Bewusstsein darüber, fürs eigene Wohlergehen verantwortlich zu sein.
Ich erinnere mich an den Spielplatz direkt vor unserer Haustür und wie ich ganze Nachmittage dort verbrachte. Abends tat mir oft der Hintern weh vom Schaukeln und die Hände vom Klettern, dann und wann ließen mich die Jungs aus der Mittelstufe (zu denen ich ehrfürchtig aufblickte) mit Fußball spielen und ich liebte es, wenn, vor allem im Sommer, die Klamotten abends nach frischer Luft rochen. Es waren nur Nachmittage, einige Stunden, doch mein Gedächtnis erzählt mir, dass es mindestens Tage gewesen sein müssen.
Was mich am meisten geprägt hat, ist unglaublich schwer zu sagen. In jungen Jahren macht man sich über Nachwirkungen keine Gedanken, später hingegen trügt nicht mehr so sehr das Wissen, aber vielleicht der Rückblick. Dennoch bin ich heute imstande, vieles mit einem gelassenen Lächeln wiederauferstehen lassen. So auch Linklater und sein BOYHOOD – nur eben in Echtzeit.
Dieser Film ist zu bezaubernd und sein Konzept zu groß, um ihn mit weniger als einem "Sehenswert" zu belohnen. Stark finde ich, wenn Mason kaum Zeit hat, den Abschied von seinem besten Freund zu betrauern, als ein überstürzter Umzug ansteht. Rasch noch das Lieblingskuscheltier, das fast so groß ist wie man selbst (bei mir war es ein Plüsch-Alf), unter den Arm geklemmt und los geht's. Es folgen unangenehme Stiefväter und noch mehr Umzüge, begleitet von der Angst, kein zu Hause mehr zu finden – weniger örtlich, sondern vorab "seelisch" (ich bin der Ansicht, als Kind ist man, ohne es zu begreifen, in bestimmten Bahnen spirituell sensibler, dem auch die lose Dramaturgie der Arbeit entsprechen dürfte).
Persönlich bescherte mir das Mammutprojekt insbesondere während der ersten Stunde eine bittersüße Erfahrung, gleichwohl dürfte so gut wie jeder in BOYHOODs einklänglichem Flickenteppich ein Stücken Stoff entdecken, das er selbst einmal verloren hat. Diverse Längen und Banalitäten gehen hier in Ordnung, schließlich würde ich mir – könnte ich mein Leben live von außen anschauen – ebenso des Öfteren wünschen, jemand täte vor- oder zurückspulen in Zeiten, in es gerade eher mau läuft.
Was man von Linklater allerdings nicht behaupten kann, ist, er wäre ein radikaler Regisseur. Diejenigen Passagen des Films, welche mich nicht vereinnahmten (sie häuften sich leider gegen Ende) verschafften mir umso ausgeprägter ein Déjà-vu stereotyper Indie-Produktionen, was darin resultierte, dass ich Mason schleichend ein wenig aus den Augen verlor. Der Zauber des Gewöhnlichen verblasst.
12 Jahre umschließt BOYHOOD und trotzdem verwehrte mir etwas, mit seinen Figuren intim zu werden:
Ein einziges Mal während dieser 12 Jahre bemerkt man eine Person weinen, nämlich Masons Mutter, die sich dabei die Hände vors Gesicht hält, bevor die Kamera sogleich wieder zurück auf den Sohnemann schwenkt. Auch Geschlechtsverkehr erfährt – von ein paar schüchternen Anspielungen und unbeholfenen Aufklärungsgesprächen abgesehen – eine völlige Ausklammerung; wenn Mason und seine Freundin von einer Mitbewohnerin der Schwester unter der Bettdecke erwischt werden, ist dies neben einem oder zwei unschuldigen Küsschen insoweit das höchste der Gefühle. Filmischer Blümchensex und Tränen hinter zugeklappten Linsen - für mich ein Ding der Unmöglichkeit unter solch ambitionierter Prämisse.
Es mag letztlich einen Teil von Linklaters Genügsamkeit ausmachen, doch ich verspüre an diesem Punkt eine falsche Bescheidenheit und tue mir schwer, Fallhöhen zu benennen, wenn ich als Zuschauer derart außen vor bleibe. Für mich hat jener Aspekt nur bedingt mit Subtilität zu tun, denn auch ein expliziter, körperlicher Film kann Zwischentöne treffen. Ziehe ich demnach exemplarisch mit LA VIE D'ADÈLE ein weiteres überlanges Opus mit Coming of age-Schlagseite heran, stelle ich fest: Dort wimmelt es vor verheulten Gesichtern, ausgleichend wird aber auch gevögelt bis der Arzt kommt. Wie aber kann etwas absolut naturalistisch sein, wenn man existenziellste menschliche Regungen bequemlich ausspart (und, nein, diese sind gerade nicht, oder zumindest nicht permanent, "gedanklich auffüllbar"!)?
Klar, es handelt sich um eine subjektive Frage über grundlegende Vorstellungen, deren Beantwortung darüber entscheidet, ob man ein gutes, schlechtes oder banales Werk sieht. In den Sinn kommt mir da dieses Zitat über den Film als Stein im Schuh, der idealerweise - wenigstens ein bisschen - wehtun muss. Den bittersüßen Schmerz bleibt Linklater schuldig - ich bezweifle darum, entgegen aller Sympathien, dass BOYHOOD lange bei mir verweilen wird.
Ein kleiner, vergessener Klassiker aus Belgien – unverständlich, vereint das Stück hinter diesem seltsamen Titel doch viele grundlegende Qualitäten des europäischen Autorenkinos seiner Zeit auf sich. Die Erkenntnis ist hier keine gegenständliche, womöglich nicht einmal eine rationale, in jedem Fall aber eine tieftraurige. Sofort fallen mir ein Regisseur sowie zwei Filme ein, auf die ich mich anstandslos besinnen kann: Ingmar Bergman, DAS IRRLICHT und LETZTES JAHR IN MARIENBAD – Gesichter, Depression, Obsession, kontemplative Trance in dokumentarisch-eindringlichen Aufnahmen. Da ich es nicht besser weiß, drängt es mich dahin, diesem Kleinod eine feste Charaktereigenschaft zuzuschreiben; angeborene Melancholie träfe es vielleicht ganz gut.
Der Protagonist in "De man die zijn haar kort liet knippen", Miereveld, ist Lehrer und ein eher unscheinbarer Mann mittleren Alters. Trotz zwei wohl geratenen Kindern und einer treusorgenden Frau an seiner Seite aber könnte er kaum unglücklicher sein (ich kann mir nicht helfen, aber solche bürgerlichen Dilemmata üben regelmäßig die größte Anziehung auf mich aus), denn Miereveld ist seit geraumer Zeit in eine seine Schülerinnen, Fran, verliebt. Fran jedoch hat bereits die Abschlussklasse erreicht. Die Graduiertenfeier steht unmittelbar bevor und exponentiell dazu steigt Mierevelds Verzweiflung - es ist die letzte Chance, sich der jungen Frau zu offenbaren, bevor sie, eventuell für immer, aus seiner Reichweite verschwindet. Ängste und Vorbehalte aber, wohl auch moralischer Natur, halten ihn zurück – er wird es sich nie verzeihen.
Jahre gehen ins Land bis der Film erneut ansetzt, und das erste, was erklingt, ist ein entwaffnendes Geständnis: "The night that closed around me then lasted for years. In those long years I didn't taste a single crumb of [that] happiness."
– Miereveld ist mit seiner Familie umgezogen, hat seine Lehrstelle aufgegeben und arbeitet jetzt als Justizangestellter. Ein (fast) ganzes Leben wurde umgekrempelt, gleichwohl scheint nichts verändert. Als er eines Tages von einem Gerichtskollegen "eingeladen" wird, einer Leichenöffnung beizuwohnen, nimmt er an, doch kommt es durch eine überschaubare Verkettung von Umständen zu einem Wiedersehen mit... Fran, und noch mehr seinen Gefühlen, die Miereveld nun in einem Maße übermannen, welches es unmöglich macht, Wahn und Realität weiterhin auseinander zu halten. Wie gesetzmäßig verschwimmen Liebe und Vergänglichkeit zu einer Einheit. Aber macht es überhaupt noch einen Unterschied? Der Schlusspunkt kann nur niederschmetternd ausfallen.
Was aussieht wie die Geschichte eines unerfüllten, leidenschaftlichen Verlangens ist vielmehr auch die einer unerfüllten Existenz. Mierevelds manische Alltagsrituale wie beispielsweise häufige, unnötige Friseurbesuche erscheinen wie der Versuch, durch Sicherheiten eine klaffende Lücke zu schließen, die dadurch allerdings gar eine Ausweitung erfährt und zunehmend ihren Tribut fordert. Schon Mierevelds Name (wörtlich übersetzt: Ameisenfeld) reflektiert eine unstillbare, innere Rastlosigkeit, welche André Delvaux und seine Kamera mit einer derartigen Seelenruhe absorbieren, dass es masochistisch schmerzt.
Der Film ist romantisch, weil er zunächst danach fragt, ob vielleicht – was sonst? - die Liebe eine solche Person erlösen kann, seine Antwort aber könnte schwerlich betrüblicher ausfallen, wo er Sehnsüchte als Zuflucht und gläsernes Ideal enttarnt, das zerschellt, manchmal lange, bevor es Land auf Land trifft. Warum in derlei Einbahnstraßen der Spezies Mensch immer auch ein Fünkchen Schönheit zu finden sein kann, bleibt wohl auf ewig ein Geheimnis. Dabei ist es nur ein Wort von vielen für diesen Zustand, der sich auch Melancholie nennt – Gib' mir nicht, was ich begehre.
"Er ist minderbegabt darin, Menschen zu spielen, aber umso begabter, eine Illusion vom Menschsein zu kreieren."
Vielleicht nimmt ja genau darum auch in gleich mehreren seiner Rollen (EYES WIDE SHUT und der schon im Beitrag angesprochene VANILLA SKY) das Motiv der Maske eine tragende, so gesehen sehr (meta-)bezeichnende Position ein?
Mein Verhältnis zu Cruise ist ein eher duales: Einerseits erscheint er mir als Schauspieler - wohl deshalb, weil ich eben lieber *Menschen* auf der Leinwand sehe - überwiegend reizlos (genau, wie er gut aussieht, ohne dabei wirklich attraktiv zu sein), andererseits wäre ausgerechnet einer meiner absoluten Lieblingsfilme ohne ihn wahrscheinlich nicht so wertvoll für mich. Warum das so ist, entschlüsselt mir nun (sogar auf eine sehr berührende Weise) dieser Artikel.
An einer Stelle möchte ich allerdings einlenken: Es liest sich weniger wie eine Liebeserklärung, sondern eher wie eine Respektbekundung - was ja manchmal sehr viel mehr sein kann.
Dieser Denis Villeneuve macht mich fertig. Enttäuschte mich sein PRISONERS noch vor wenigen Monaten als redlich wie bieder heruntergeleierter Fincher-Abklatsch, richtet sich der kanadische Regisseur mit seinem neuesten Streich ENEMY nun tendenziell an ein Arthaus-Publikum, das gerne die Hirnwindungen kneten lässt und die Herausforderung sucht. Oder vielleicht doch nicht?
Bereits bei dem Versuch einer groben Kategorisierung dieses Films beginnen die Probleme: Ich zögere zunächst ein wenig mit dem Stempel "Arthaus", weil ENEMY mit Merkmalen eines vehement von sich selbst überzeugten, Pointe-abhängigen "Mindfucks" anbandelt, wie er seit Vorbildern der Gattung FIGHT CLUB, MEMENTO und Co. bis zum Erbrechen erübt wurde – im Jahre 2014 ist das für mich (andere Ansicht natürlich vertretbar) kaum noch kunstreich, geschweige denn tiefgründig, sondern ringt mir äußerstenfalls ein lautes Gähnen ab. Liebe Autoren: Schizophrenie, Identitätsspielchen und Co. erheben ein Werk nicht etwa automatisch zu etwas psychologisch Wertvollem, sondern lassen es schlechtestenfalls hanebüchen und unreif erscheinen, soweit sie alleinig im Dienste eines mit allen Mitteln zu erzwingenden "What the fuck?"s stehen.
Ausgerechnet in seiner Anordnung aber versteckt sich ein Clou von ENEMY, der - trotz eines Drehbuchs, welches ein wenig schwach auf der Brust ist (Villeneuve verdingt sich abermals bloß als Handlanger) und trotz ostentativer Geheimniskrämerei in vergilbter Optik – nicht zur reinen Pose verkommt, gar eine recht erwachsene Hypothese anträgt, mit der ich mich ganz unweigerlich verbünde:
Der Bruch einer Illusion führt zur Konfrontation führt zur Flucht. Ich sehe hier einen Film über das Fremdgehen als sexuellem Phänomen sowie seinen seidenfeinen (auf das dazugehörige Tier komme ich sogleich zu sprechen!) Wirkungskreis im Zwischenmenschlichen: Schuldgefühle, Verdrängung, Angst, Paranoia... wer weiß schon, was aus Vergangenheit und Gegenwart so alles unverarbeitet in uns lauert? Doch das Fleisch ist willig!
Viele wundern sich über das vorgeblich zusammenhanglose Motiv der Spinne, das den gesamten Film durchzieht und ein regelrechtes Netz webt – ich glaube, die Spinne verkörpert, als mögliches Symbol für Bedrohung, Weiblichkeit, aber auch den Orgasmus, genau diesen Zustand, als bildlich übersetzter Spiegel von Protagonist Adam/Anthony.
Dass man, um zu dieser Interpretation zu gelangen, ENEMY erst rückwärts lesen muss, ist wiederum ein leicht pubertäres Gimmick für sich, doch für Anhänger von Freud, Schnitzler und EYES WIDE SHUT könnte es die Mühe wert sein.
Wer sich nach den vorigen Zeilen genauso schlau (oder noch verwirrter) fühlt wie zuvor und endlich wissen möchte, was denn konkret an Handlung passiert, kann eigentlich nur auf einen Kinobesuch verwiesen werden; dies ist einer jener Filme, die dem Betrachter Grenzen und Möglichkeiten aufzeigen, denn Inhalte – und damit hat man sich erst einmal zurechtzufinden - stehen in übermäßig großen Anteilen zur Debatte des Publikums – ebenso wie die Wahl, diesen Umstand ENEMY als Vorzug oder Schwäche (--> "artsy-fartsy") auszulegen oder sich schulterzuckend in der goldenen Meinungs-Mitte zu positionieren und dabei immerhin fasziniert zurückzubleiben.
Ich persönlich bin leider noch zu keiner Deutung gelangt, die mich rundum zufriedenstellt. Die Vorstellung, es könne auf dieser Welt eine Person existieren, die genauso aussieht und mit derselben Stimme spricht wie ich (also einen echten Doppelgänger), weckt in mir offen gestanden einen sehr viel stärkeren Horror als der Gedanke, ich könnte lediglich verrückt sein, doch wer Adam und Anthony tatsächlich als getrennte Persönlichkeiten akzeptiert (meiner Ansicht nach spricht mehr für einen gespaltenen Charakter), bringt sich um das psychoanalytische Potenzial des Films, beziehungsweise muss sich unter vermindertem Subtext mit einer body snatcher-Story begnügen... und verpasst vor allem die pfiffige Schlusseinstellung als bürgerlich-buñuel'schen Kinnhaken.
Was für ENEMY hingegen in jedem Fall zu Buche steht: Spannung, Atmosphäre, Inszenierung. Ein sehenswerter Film – schaut selbst, was ihr draus macht!
Ich habe mir den Trailer nun dreimal hintereinander angeschaut, finde aber - bis auf sicherlich solide agierende, namhafte Darsteller - leider kaum etwas, das meine Neugier weckt. Wüsste ich nicht, dass es sich hier um einen Woody Allen-Film handelt: Der Kein Interesse-Button wäre mir näher als eine dringliche Vormerkung. Ich möchte nicht vorschnell urteilen und lasse mich nur allzu gerne eines Besseren belehren, wenn es im Dezember soweit ist, doch für mich sieht es im Moment nicht so aus, als hätte Woody sich nach zwei doch seeeeeehr mittelmäßigen Filmen wieder aufgerappelt - dreht er vielleicht nur noch aus Gewohnheit? Man kann es einem Regisseur wie ihm bestimmt nicht vorwerfen, wenn nach Jahrzehnte langer Arbeit auf prägendem Niveau irgendwann ein gewisses Sättigungsgefühl (oder vielleicht auch eine Selbstzufriedenheit) eintritt, aber als Fan schmerzt es schon ein wenig, mit ansehen zu müssen, wie es neuerdings vor allem an Biss fehlt. Weder Humor (TO ROME) noch Zynismus (BLUE JASMINE) wollen mehr so recht bei Allen zünden, seine Filme entfalten kaum noch eine Nachwirkung - so, als existiere jene künstlerisch wertvolle Wut und Aufgebrachtheit nur noch in seinem Kopf, aber nicht in seinem Bauch.
Naja... ich werde dennoch immer wieder ins Kino.
ROOOOOOOOOAAAAAAAAAAAAAAAAAAARRRRR!
Muss man die Beteiligten hier etwa beglückwünschen? Wenn GODZILLA eines erreicht, dann die Neudefinition des Desasterfilms. Allerdings in entwaffnend ambivalenter Manier.
Würde es diesem Film – naturgewaltig hinter verdunkelnden Wolken und Nebelschwaden - nicht tatsächlich in einigen Momenten gelingen, glaubhaft seine (- oh, the irony! -) Weltuntergangsstimmung an den Mann zu bringen... ich würde ihn zum Schlechtesten zählen, was ich jemals gesehen habe: Erzählerisch, inhaltlich, drehbuchtechnisch und – man mag es bei diesem Cast kaum glauben – mit Abstrichen leider auch schauspielerisch.
Die ersten Minuten gehören Bryan Cranston und Juliette Binoche, die ohne Frage zur absoluten darstellerischen A-Klasse zählen. GODZILLA gibt sich erschreckend wenig Mühe, zu vertuschen, dass er nicht ihr Talent, sondern nur ihre Namen für sich braucht. Bereits nach einem Drittel der Laufzeit (es folgen *Spoiler*) sind– irgendwie passt es ja ins Bild - beide Weg vom Fenster, was jedoch so schwer nicht wiegt, da die mutierten Bestien – drei an der Zahl - interessanter und vielschichtiger daherkommen als die menschlichen Figuren, dabei aber nur – und dort widersprechen sich die Macher – Statisten bleiben in ihrem eigenen Film. Entweder man erschafft tragfähige Charaktere oder erklärt offen Konkurs und lässt wenigstens ausgiebig die robuste Riesenechse (und deren Widersacher) zu Wort... ääh, Pranke kommen. Mehr zu sagen gehabt hätte sie in jedem Fall! Doch was soll man anderes erwarten von einem Film, der Zustände und Hintergründe erklärt, indem er seinem Publikum Zeitungsausschnitte vorsetzt?
Gareth Edwards' neueste Monster-Auflage fällt insgesamt unangenehm auf durch ihre Unentschlossenheit; für ein astreines Fabel-Action-Trashwerk möchte sie, naseweis beharrend auf Godzillas holzhammer-allegorischer Bedeutsamkeit, ein bisschen viel ("Die Arroganz der Menschen ist zu glauben, wir hätten die Natur unter Kontrolle. Und nicht anders herum."), eine Klassifizierung als etwas auch nur im Ansatz Anspruchsvolleres verbietet sich dagegen nicht minder ("Mama! Da! Dinos im Fernsehen!"). Die Folge: Lachen und Weinen (manchmal gleichzeitig) im Dauertakt aus Gründen, deren Vorliegen kaum im Sinne der Erfinder gewesen sein können.
Irgendwo, nach endlosem Vorgeplänkel, zwischen wirr fehlgehenden Nebensträngen und einem Hauch lustloser Dramatik, ist dann aber doch noch eine – in mehrerlei Hinsicht – viel zu kleine Bühne bereitet für die eigentliche Attraktion, und ich muss zugeben: Ich war für Godzilla! Zu sehr nervte mich die Schar an Einäugigen unter Blinden, welche ich nun schon über eine Stunde ertragen hatte, als gesichtslos und darum völlig irrelevant erlebte ich jeden einzelnen dieser Blutlosen. Also bitte... ZERSTÖRUNG!
Wenigstens wird es auf der Zielgeraden somit nun kurzzeitig konsequent – doch GODZILLA wäre nicht so dämlich, wie er nun einmal ist, hätte er zum Abschluss nicht noch ein ganz besonderes Schmankerl auf Lager (erneut *Spoiler*): Nachdem die schuppige Mega-Kreatur eine ganze Metropole unter sich begräbt und Tausenden das Leben kostet, wird Godzilla, der ein "natürliches Gleichgewicht" (woohooo!) wiederhergestellt hat, sodann von den Medien als (kein Witz!) Retter der Erde gepriesen – und verschwindet mit geradezu friedvollen Kulleraugen wieder im Wasser. Damit fügt sich unser verkanntes Kuscheltier also gar als Teil des Happy Ends – ein grotesker Skript-Geniestreich ohnegleichen.
So also überführt man einen Katastrophenfilm in ein verschrobenes feel-good-movie mit (ungewollt?) misanthropischem Einschlag, und selbst der nunmehr entlastete Roland Emmerich dürfte staunen.
Satire, aber auch alles Weitere, das mehr Feingefühl erfordert als jenes des lärmenden Titelhelden, sollte vielleicht besser nicht dem Blockbuster-Kino überlassen werden.
In der Hoffnung, dass die Masse an Beschwerden zu umso schnelleren Korrekturen führt: JA, BITTE trennt die Kommentare noch einmal untereinander! Ich habe gerade eine gefühlte halbe Stunde gebraucht, um mich unter der Flut an Newsartikel-Benachrichtigungen zu den ganz "normalen" Filmkommentaren von gestern Abend durchzukämpfen - das kann es wohl nicht sein. Man traut sich so ja kaum noch (jedenfalls vermute ich diese Tendenz), einen aufwendigeren Text zu einem Film, einer Serie oder einer Persönlichkeit zu verfassen - weil dieser ja sowieso mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach untergehen wird in dem aktuellen Dashboard-Kuddelmuddel. Auf Dauer wäre das sehr schade, da diese Seite gerade von jenen User-Outputs lebt. Also bitte gebt uns möglichst schnell die Option an die Hand, Beiträge noch weitergehend individuell filtern zu können, sodass wir am Ende auch *wirklich* nur sehen, was wir sehen wollen. Bis auf Weiteres werde ich es wahrscheinlich so handhaben, dass ich regelmäßig direkt diejenigen Profile meiner "Lieblings-User" anklicke, denn darin besteht momentan aus meiner Sicht die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass ich wenigstens das Gröbste nicht verpasse. Eine willkommene Dauerlösung ist das aber natürlich nicht.
Ansonsten möchte ich mich allerdings vorerst zurückhalten mit allzu heftiger Kritik, denn die Rundum-Erneuerung hat durchaus auch begrüßenswerte Änderungen gebracht (welche hier auch schon erwähnt wurden). Das Design an sich ist gewöhnungsbedürftig, aber für mich persönlich keineswegs so schlimm, dass ich mich nicht irgendwann daran gewöhnen könnte. An der optischen Übersichtlichkeit solltet ihr nach und nach auch noch arbeiten, aber, wie gesagt: Bitte erstmal Ordnung in das Tohuwabohu bringen.
Jason Reitman, der sich bereits in einem der schwierigsten Genres – der gehobenen Komödie – behauptet und eingelebt hat, überrascht mit etwas anderem – und beweist Mut, soweit man mit der werkgetreuen Verfilmung eines "Frauenromans" wohl mehr verlieren als gewinnen kann. Doch warum nicht mal die Schubladen zu lassen?
LABOR DAY zählt mit zum Zartesten, was bislang in diesem Jahr unsere Leinwände beglückt. Es stimmt mich missmutig, wenn beachtliche Teile der Filmkritik auch die zehntausend und erste Nivea gesponserte Schablonen-RomCom noch begeistert durchwinken, auf einen – und zwar im besten Sinne! – altmodischen, sensibel erzählten Liebesfilm wie diesen dann aber mit verbissenem Zynismus (nachzulesen mitunter auch auf dieser Seite unter "Kritik") reagieren.
Reitman selbst kommentiert sein neuestes Werk wie folgt: "Strangers become friends very quickly. There is something beautiful about that." Würden sich doch nur mehr Regisseure so bescheiden und mit großen Augen den kleinen Wundern des Lebens widmen! Hier geht es um das Wunder der Begegnung und die Größe in Verletzlichkeit; Reitman und seine Darsteller verneigen sich ehrfürchtig.
Dass LABOR DAY dadurch verschlossen geglaubte Tiefen wieder öffnet, ist nicht etwa widersprüchlich, sondern folgerichtig, denn hier passiert etwas, das ich in dieser Form schon lange nicht mehr erlebt habe: Die (vermeintlich unrealistische,) kammerspiel-innige Liebe zwischen den beiden Hauptfiguren wird weder direkt noch indirekt (zum Beispiel durch das Einnehmen einer wie auch immer gearteten, auflockernden Distanz zum Geschehen oder Verrenkungen dramaturgischer Art) zur Debatte gestellt, während Konflikte zur Außenwelt für alle Beteiligten – auch für Adeles Sohn Henry, der die Ereignisse um einen Coming of age-Blickwinkel erweitert – langsam eine dramatische Zuspitzung erfahren. Dass daneben diverse Rückblenden manchmal mehr zuschütten als freilegen: Nicht der Rede wert.
Mithin greift der Film den Gestus klassischer Melodramen auf... einer Disziplin, die heute praktisch ausgestorben ist. Auch die sepia-naturalistischen Bilder befinden sich hartnäckig sanft auf der Suche nach einer verschollenen Romantik – und werden fündig!
Kaum verblüffend also, dass das von Reitman fast schon zelebrierte Backen eines Pfirsichkuchens von nicht wenigen als unfreiwillig komisch aufgenommen wird, denn der gewohnte drehbuchimmanente Bruch lässt in Szenen wie besagter vergeblich auf sich warten. Der hilflose Beobachter sieht sich ohne jedwedes Fluchttürchen mit der Annäherung zwischen zwei Individuen konfrontiert – das klingt im Grunde begrüßenswert simpel und sollte doch eigentlich wie selbstverständlich vorkommen dürfen, wenn nicht sogar sollen oder müssen, weil es eben, wie ich immer dachte, das Natürlichste der Welt darstellt... die (zumindest filmische) Realität jedoch sieht anders aus und es scheint, als bräuchte es häufiger Offenbarungen wie diese, welche es verdeutlichen.
Jene Intimität, die aus Mangel an Filtern und Beweisen hervorbricht, mag sich ungewohnt anfühlen, doch ich würde mich sehr gerne öfters von so etwas vereinnahmen lassen und feiere, als cineastische Wiederauferstehung der Liebe, mindestens so lange LABOR DAY, bis der nächste sich traut.
Müsste ich den Film beschreiben, würde mir wahrscheinlich so manch schwülstige, letztlich ihm unwürdige Metapher einfallen, die meisten davon hätten wohl mit dem Frühling oder Sommer zu tun. Doch zum Glück hat Reitman das ja bereits erledigt und ich kann wohlig die warmen Schauer über meinem Rücken zählen. Im Übrigen kann ich nur bestätigen: A romance to root for.
M für "M", M für "Mabuse". Dreht man den Buchstaben, wird aus ihm ein W; ein W, das bei Fritz Lang erst ruht, nachdem es zu "Wahnsinn" vervollständigt ist. Dieser steht den Zeilen des TESTAMENTs ins Gesicht gezeichnet, und wer bislang in Frage stellt, dass ein Stück beschriebenes Papier (als Abbild von Gedanken) wie auch ein Tonträger (als Abbild der Stimme) oder eine Silhouette (als Abbild des Körpers – alle 3 Sinnesschatten fungieren einzeln und in Kombination, echten Personen nachgeschaltet, als Werkzeug für die titelgebende, gleichwohl dieses Mal unsichtbare Hauptfigur, und spielen darum eine Rolle) ein eigenes Gesicht beanspruchen kann, der sollte sich hier auf durchschlagenden Grusel einstellen - denn Langs "gewaltigster Film der Gegenwart" (so ein verheißungsvolles, frühes Filmplakat aus den 30'ern) ist vieles: Beängstigendes Zeitkolorit, Kriminalfilm, Horrorfilm... das eine ergibt sich - auch mit Blick auf sein Entstehungsjahr - aus dem anderen.
Dr. Mabuse, eine knappe Dekade zuvor noch DER SPIELER, befindet sich jetzt, geistig umnachtet, in der Nervenheilanstalt des Dr. Baum. Hingegen nicht in den Griff zu bekommen scheint eine regelrechte Kette von Gewalteskalationen "draußen" – auch nicht nach Mabuses baldigem Tod in dessen Zelle. Offenbar wahllos, da ohne erkennbare Motive, kommt es zu Morden, Raubtaten, Übergriffen aller Art. Mit den Ermittlungen betraut ist mit Kommissar Lohmann ein alter Bekannter, dessen zwar griesgrämiger, aber unbeirrbarer Charakter dem Zuschauer Gewicht von den Schultern nimmt: Er markiert die vielleicht einzig rationale und insoweit vertrauenswürdige Konstante, während um ihn herum irgendjemand oder irgendetwas eine – Dr. Mabuses Worte lügen wahrlich nicht - Herrschaft des Verbrechens zu errichten versucht, vor dessen Ausmaßen, wie sich herausstellt, niemand verlässlich Zuflucht findet.
Auf seinem (zumindest aus heutiger Perspektive) eher konventionellen Thriller-Grundplot (wobei nicht unerwähnt bleiben darf, dass dieser Film das Rad erst mit erfunden hat) errichtet DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE einen Überbau des Übersinnlichen, maßt sich aber auch an, die Grenzen verschwimmen zu lassen: Rettungen in letzter Sekunde, Explosionen, gefluteten Zimmern und Verfolgungsjagden beschleunigen den Puls, doch erst eine Aura des Unergründlichen in Langs Regie treibt ihn ans Limit. Wenngleich Rudolf Klein-Rogge als Dr. Mabuse tatsächlich nämlich nur wenige Szenen gehören (in denen er, bis auf eine Ausnahme, nicht einmal spricht), schwebt er umso zugkräftiger wie ein Geist über jeder Einstellung. Manchmal fließen - meisterhaft expressionistisch - Klänge und Bilder dann auch wirklich hektisch ineinander über, was besagten Eindruck bloß vertieft.
Mabuses somnambule, hypnotische Präsenz legt nahe, dass, obwohl Lohmann den Fall (und damit sämtliche Verstrickungen) am Ende aufklärt, diese Geschichte noch lange nicht auserzählt sein kann... es ist, als setze bereits Mabuses stechender Blick ein vernichtendes Chaos in Gang, das jedes denkbare irdische Zerstörungswirken übersteigt.
An dieser Stelle trifft Lang einen empfindlichen Punkt raumgreifender Ängste, denn es stellt sich - neben dem tragischen Umstand, dass der Film als soziale/politische Prophezeiung im Nachhinein noch eine ganz andere Bedeutung erlangen sollte - die Frage nach nicht weniger als der Natur des Bösen an sich: Ist es menschlich? Ist es universell? Ist es schicksalhaft? Besitzt es Macht über uns?
DR. MABUSEs Stellungnahme dazu ist von einem Pessimismus getragen, der es unmöglich macht, den Film jemals wieder zu vergessen. Und doch ist er in seinem Kontext primär als Warnung zu verstehen, welcher – und dies besteht natürlich bis heute fort - nichts ferner liegt als den Menschen von einer Verantwortung für sein Tun und Handeln freizusprechen. Man könnte sagen: Mehr als ein Film.
Der Blockbuster-Limbo 2014 ist eröffnet und ich unterwältigt. Gerne würde ich TRANSCENDENCE als einfach nur von vorne bis hinten missratenes Erstlingswerk direkt wieder aus meinem Gedächtnis wegblitzdingsen, doch auf gewisse, darüber hinausgehende nolan'sche Tendenzen im zeitgenössischen Größenwahn-Kino komme ich absolut nicht klar.
Da wird – zum Beispiel durch das Thematisieren von Prozessen des Träumens oder, wie hier, der Existenz einer unsterblichen Seele - einerseits mit Pauken und Trompeten eine Annäherung an den Menschen als spirituelles Wesen beschworen, andererseits aber jenes ja gerade NICHT (Er-)Fassbare nerd-schwülstig bebildert/bequasselt/vertont – und damit im selben Atemzug peinlichst entmystifiziert.
Hilfestellung leisten dabei auffallend häufig Computer, Maschinen bzw. die Technologie im weitesten Sinne... was mir auf eine Weise, wenngleich auf eine sehr ironische, sogar stimmig erscheint, denn nicht zuletzt sind es vielleicht unsere eigenen technischen Errungenschaften (oder zumindest die Gier nach ihnen), welche – neben unbestritten vielen Vorteilen und Erleichterungen - einen zwischenmenschlichen, aber auch metaphysischen Bruch beschleunigen. Regisseur Pfister hingegen meint das, was er hier zeigt, vollkommen ernst und ich kann mich kaum dagegen wehren, diesen Film nicht bloß als zirkelschlau, sondern auch fragwürdig zu empfinden.
So lebt in TRANSCENDENCE Wissenschaftler Will Caster (bzw. sein Bewusstsein) nach dem Tod tatsächlich weiter, nachdem sein "Geist" kurz zuvor "kopiert" und digital (oder womöglich doch analog!?) transferiert wurde. Für Gattin Evelyn in Wort und Bewegung – nur eben ohne Leib - also weiterhin auf einem Bildschirm präsent, führt er sein Lebensprojekt, das Erschaffen einer unermesslichen künstlichen Intelligenz, sozusagen eigenständig aus dem Jenseits (jetzt hätte ich beinahe "offline" geschrieben) fort.
Um aufzuzeigen, dass dieser (Fort-)Schritt unüberschaubare Gefahren birgt, fällt Regisseur Wally "Wall-E" Pfister aber nichts Besseres ein, als daneben eine progressfeindliche, militante Gegenbewegung in Form einer Protestgruppe auf den Radar zu bringen – mir tut sich offen gestanden keine Option auf, wie man noch uninspirierter das alte Gut/Böse-Spielchen aufziehen könnte, zumal der Film zu allem Überfluss eine Auseinandersetzung mit seinen halbgaren Freund- und Feindbildern (namentlich durch Wills in ethische Zweifel geratenden Kollegen Max) vorgaukelt, die ich ihm schlechthin nicht abkaufe, weil sie – unter anderem – von hanebüchener Schwanenromantik konterkariert wird:
TRANSCENDENCE positioniert sich in verstörender Nähe zu Spike Jonzes HER, wenn Evelyn und Will ihre Beziehung in einer Mensch/Apparatur-Konstellation weiterführen (später schließlich bemächtigt sich Will des Körpers eines Cyber-Zombies, um seiner Frau wieder nah sein zu können); "tragischer" (*SPOILER*) Liebestod natürlich unvermeidlich... sonst wäre es ja zu subtil.
Inzwischen wird Max, nun wieder der alte, ganz sentimental und beschließt unter Krokodilstränen – während in keimfreiester Werbefilmoptik Regentropfen von einer aufblühenden Sonnenblume perlen -, dass seine beiden ehemaligen Co-Forscher es doch nur gut mit der Welt gemeint hatten. Und all das für ein bisschen Stromausfall - welcher, wenn man mich fragt, am Filmset dienlicher aufgehoben gewesen wäre.
Genau wie die Apokalypse im Film – ohne, dass uns nähere Erklärungen geliefert werden – schlicht als gegeben hinzunehmen ist, hat mich THE ROAD wie aus dem Nichts getroffen. Warum, wieso, weshalb? Ich weiß es nicht – lässt sich seine Botschaft doch eigentlich, wie bei so vielen Vertretern der Abteilung Endzeit und Survival, ohne allzu viel Mühe auf ein eher leicht verdauliches "Es gibt immer Hoffnung!" reduzieren.
Vielleicht aber greifen, wenn wir uns sehr euphorisch für ein bestimmtes Buch, einen Song oder eben einen Film begeistern, ähnliche unsichtbare Mechanismen als wenn wir uns in eine Person verlieben. Mechanismen, die wir oft nicht rational begreifen und daher nur feststellen können: Jemand oder etwas hat uns tief im Innersten berührt.
Unter allen Genre-Abkömmlingen, die ich bislang kenne, ist THE ROAD dabei, wie schon angedeutet, bestimmt nicht der originellste oder spektakulärste, und auch nicht der - nicht, dass dies an sich irgendetwas über seine Qualität aussagen würde - kommerziell erfolgreichste. Dafür aber der zärtlichste. Mit einer unnachahmlichen Innigkeit nämlich erkundet der Film aus Sicht einer Vater-Sohn-Verbundenheit, was es bedeutet, gegen eine lebensfeindliche Umwelt ums nackte Überleben zu ringen – was erlaubt dieser Erhaltungs- und Schutztrieb noch an Barmherzigkeit gegenüber anderen und wo erfordert er rücksichtslosen Egoismus?
Viggo Mortensen und sein Filmsohn verkörpern beide Seiten der Medaille, denn wo der Vater - bei aller Nähe zu seinem einzig ihm verbliebenen Angehörigen - jedem Fremden grundsätzlich misstraut, im Zweifel lieber schießt und auch nicht davor zurückschreckt, Hilflose aus Rache für einen Diebstahl verhungern/erfrieren zu lassen, reagiert der Junge emotionaler, ist aufgeschlossener und neugierig wie ein Kind seines Alters es nun einmal ist, was schließlich zu Konflikten innerhalb des Zweiergespanns führt. Sein Vater aber folgt, wenn auch für den Sprössling noch nicht umfänglich erkennbar, unbeirrt lediglich einem Ziel: Jeden Schaden von ihm abzuwenden sowie ihn vorzubereiten auf eine Zukunft, die viel auf Vorsicht, aber wenig auf Nachsicht und voreilige Kompromisse gibt, wenn man nur irgendwie durchkommen möchte.
Und in der Tat scheint THE ROAD ihn zu bestätigen. Wer sich alleine durchschlägt, meidet das Aufeinandertreffen mit anderen, es herrscht Gewaltbereitschaft und selbst Kannibalismus ist keine Seltenheit, wegen knapper Ressourcen. Hieran erinnert auch die triste Landschaft, welche unsere kleine Familie durchquert - die Vegetation hat – ebenso wie die Zivilisation - einfach aufgehört, der Himmel scheint von einer einzigen großen, grauen Wolkenwand versperrt und es bestehen erhebliche Zweifel an einer lebenswerten Folgezeit. Wenn denn überhaupt noch irgendetwas folgt.
Doch dieser Film wäre nicht das, was er ist, würde er uns nicht trotzdem, und gerade darum, die Ahnung eines umso kostbareren Sonnenstrahls schenken: Das Leuchten des Menschseins. Denn wo Licht und Schatten, wie alle Gegensätze, nicht ohne einander existieren können wie sie sich bekämpfen, gibt es vielleicht auch Dinge in uns, die – wie durch ein Wunder – keinen Grund brauchen und sogar sauren Regen auffangen, wenn wir sie uns erhalten. THE ROAD findet dafür sogar einen Namen: Das Feuer bewahren.
Ein phantastisches Line-Up. Ceylan, die Dardennes und vor allem Zvyagintsev zählen zur allerersten Riege des europäischen Autorenkinos, sind aber allesamt mehr oder weniger sträflich unbekannt. Auch von den neuen Filmen der Herren Egoyan, Dolan und Leigh verspreche ich mir einiges. Cronenberg mit seinem Biedermeier-Kino dagegen hat wohl nur durch das Echo seines großen Namens nochmal in den Wettbewerb gefunden.
Provozierte enfant terrible Buñuel – wissend um den Durst nach deutbaren Symbolen in der Kunst -, wahllos die (Über-)Interpretation und rieb sich amüsiert die Hände, wenn bei Sittenwächtern der erwünschte Pawlow-Effekt eintrat, sobald diese auf der Leinwand ein weißes, beflecktes Kleid oder eine brennende Dornenkrone vorgesetzt bekamen - oder war der Mann tatsächlich eine subversiv denkende und allegorisch sprechende Großleuchte mit Neigung zur Verneinung? Also mir könnte er ja noch so viel erzählen, von wegen, der Wunsch, alles erklären zu wollen, sei ein "bürgerliches Laster". Denn das Genie überblickt bekanntlich das Chaos – hierfür ist CET OBSCUR OBJET DU DÉSIR der letzte Beweis des Spaniers in Spielfilmlänge. Ob er dabei verwirrt, indem er entwirrt, oder umgekehrt, ist immer noch nicht abschließend geklärt, sodass die Bereitschaft, das Rätsel als Lösung zu akzeptieren, sicher nicht von Nachteil sein kann.
Wer Buñuels geheimnisvollen Schönen trotzdem auf die Schliche kommen möchte, hangelt sich am Besten leise, still und unauffällig an ihrem Namen entlang, welcher mit "obskur", "Objekt" und "Begierde" schon eine ganze Menge über ihren Charakter verrät.
BEGIERDE ist das zentrale Motiv des Films. Mathieu, ein alternder, aber gut situierter Witwer, verfällt Knall auf Fall der 18-jährigen Conchita, dem Hausmädchen eines Bekannten – und lässt fortan nicht mehr von ihr ab, wozu die Dame – mit den Waffen einer Frau - ihren Teil beiträgt, denn auch Conchita möchte etwas von Mathieu: Sein Geld und seinen Wohlstand; dies ausgehend von der Berechnung, nur so lange für ihn attraktiv zu sein, wie er sie nicht sexuell erobert, also das "Ziel" weiter vor Augen behält. Es folgt für den triebtollen und irgendwie bedauernswerten Mathieu ein kontinuierlicher Wechsel zwischen frohlockenden Versprechungen und ernüchternden Zurückweisungen mit dem Ergebnis einer Gefühlsausbeutung (oder genauer: Einer Ausbeutung von Würde) ohnegleichen. Ein verführerischer Augenaufschlag Conchitas macht jede vorausgegangene Demütigung "vergessen" und Buñuels ironische Distanz zur Geschichte drängt umso stärker die Frage ins Licht, warum ein Mann sich hinter selbiges führen lässt von einer Frau, die er nicht einmal gewissenhaft liebt ("Beweisführung" à la Buñuel: Im selben Moment, als Conchitas Mutter sich erkundigt, ob Mathieu ihre Tochter bald heiraten wird, klappt im Hintergrund eine Mausefalle zu) – es sind mutmaßlich gerade Conchitas widerstreitende Signale, die ihn immer tiefer und schließlich dem Anschein nach komplett irrational in sein Begierde-Fieber verstricken, welches er obendrein - unter dem Scheffel biederster Sehnsüchte - auch noch weinerlich romantisiert ("Wenn sie zurückkäme, würde ich nichts mehr von ihr verlangen...") - was er ja auch bedenkenlos kann, solange die Illusion mal lodert wie ein Flächenbrand, mal schwächelnd vor sich hinflackert, jedenfalls aber lebendig bleibt.
Nichtsdestoweniger wäre es verkehrt, hier bourgeoise Schubladen zu öffnen, begehren wir (andere) und belügen wir (uns selbst) als nun einmal soziale Wesen, egal ob Punkrocker oder Geschäftsmann, doch praktisch alle zigmal jeden Monat, jede Woche, jeden Tag – in der Hoffnung, ein Äquivalent zurückzuerhalten. Was sich in diesem Film als Untergangsexperiment mit Schachfiguren ohne Anleitung zuträgt, ist (obwohl es im echten Leben wahrlich nicht immer so hoch hergeht wie bei Buñuel) an sich also weder schichten- noch geschlechtsspezifisch einbetoniert. Faszinierender werden diese Abläufe nur noch dadurch, dass nicht einmal eine korrekte Analyse der eigenen misslichen Situation notwendig zu vernunftgesteuerten Kursänderungen führt.
In Anbetracht von so viel Schmerz und Leidenschaft allerdings trifft es umso härter, da Buñuel eine umfassende OBJEKTivierung der Person auf beiden Seiten verzeichnet: Mathieus Vorgehen besteht darin, Conchita mit Geschenken/finanziellen Zuwendungen zu erkaufen, doch auch Conchita ihrerseits benutzt Mathieu, indem sie ihn ausnimmt wie eine Weihnachtsgans und fortwährend erniedrigt, mithin jene Machtposition missbraucht, die sich aus Mathieus ungestilltem (und von Conchita gezielt aufrecht erhaltenem) Verlangen nach ihr(em Körper) ergibt.
Dieser regelrecht zersetzende Kreislauf kann, fortgeschritten, eigentlich nur noch von außen gestoppt werden, und genau das passiert dann auch denkbar brutal bzw. nicht minder wahl- und rücksichtslos als es der innere Zerfleischungsprozess zwischen Mathieu und Conchita wäre, die nun in eine nächste Hölle stolpern - darum halte ich CET OBSCUR OBJET DU DÉSIR für bitter konsequent, nicht aber etwa surreal, denn letztere Bezeichnung suggeriert ja das Einbringen von etwas, das der Verstand allein schlechthin nicht greifen kann - hier wäre dieser Stempel fast schon Ausrede und Inhaltsverweigerung. Weil Buñuel - auch, wenn er davon nichts wissen wollte - mit konnexen Frechheiten, die einen Intellektuellen und Menschenkenner auf dem Regiestuhl vermuten lassen, geradezu um sich wirft. OBSKUR ist dieser Film natürlich trotzdem, aber nur, weil wir es auch sind. Und vielleicht ist es gar nicht einmal so verkehrt, ihm sein schelmisches Grinsen zu belassen.
In diesem Sinne:
"Die Welt wird immer absurder. Nur ich bin weiter Katholik und Atheist. Gott sei Dank!"
Ein schizophrener Kunst-Blockbuster der unerfreulichen Sorte. Also wenn Noah eine Arche hatte, reicht es für Aronofsky höchstens noch zum Gummiboot – genug heiße Luft zum Aufblasen ist ja offensichtlich vorhanden.
Die hübschen Visuals sind obligatorisch, um nicht zu sagen überpräsent, aber – meine Güte - wie symbolüberladen, hau-ruck-bedeutsam und klobig bei diesem Regisseur immer alles zugehen muss.
Noahs Eingebung über den bevorstehenden Untergang unserer Spezies (sowie die Berufung seiner Person zum finalen Richter) erleuchtet ihn als Traum im Traum (a touch of Nolan), später sät er ein Samenkorn, dazwischen brabbelt Hopkins als Methusalem irgendwas in seinen Bart, sucht Beeren im Wald und ebnet dann den Weg für ein kurzsichtiges Kino großer Gesten, welches sich nicht anders behelfen kann (oder möchte) - schon lange, bevor die Flut hereinbricht, ist sternenklar, dass Aronofsky erzählerische Insolvenz angemeldet hat.
Folgerichtig und wenig überraschend gelingt es nicht, den Figuren glaubwürdig ambivalente Züge einzuhauchen und damit, wie beabsichtigt, die menschliche Natur zu spiegeln - am Ehesten gleicht das zentrale Geschehen auf der Arche noch einer vorabendlichen Seifenoper (Watson, Lerman und Booth könnten mit ihrem starren Schauspiel und glatten Gesichtern nicht umsonst einer eben solchen entsprungen sein), sodass ich insgeheim hoffte, der Kutter würde einfach absaufen und dem filmischen Elend vorschnell ein Ende bereiten.
Dazu passt, dass NOAH von zahlreichen Kritikern lautstark für Öko-Fundamentalismus, misogyne Tendenzen und mehr geschunden, also in seiner Aussage mit der evident überheblichen Hauptfigur gleichgesetzt wird – zu viel der Ehre, und das, obwohl Aronofskys biblischer Patriarch (trotz versöhnlichem Ausgang) ja eigentlich alles zu wecken bereit ist bis auf Publikumssympathien. Der Dialog stagniert nicht zuletzt, weil Grautöne fehlen und darüber hinaus leicht der Eindruck entstehen kann, Drehbuch und Regie nähmen die Materie nicht ernst (wer bereits im Kino war und sich selbst ein Bild von Steinrobotern und Co. gemacht hat, weiß, warum).
Dabei hätte, sensibel übersetzt, gerade dieser AT-Abschnitt durch Aufarbeitung zeitloser Ungewissheiten, Hoffnungen und Ängste betreffend unsere Rolle auf dem blauen Planeten einiges hergegeben - jedweder Anflug von Sinn und Sinnlichkeit aber wird einer popcorntauglichen, verklärten Schöpfungsromantik geopfert, welche von vorneherein niemals wirklich in Frage stand und uns durch Entlassen in traute Harmonie wahrscheinlich stärker in Sicherheit wiegt als angebracht, denn immerhin schafft es schließlich sogar Sturkopf Noah nach Konfrontation mit Unschuld und Verletzlichkeit dem zu trotzen, was man – je nach Leseart – für entweder eine Kombination aus angestauter Misanthropie und Hybris oder göttliche Bestimmung halten mag. Das ist zwar eine schöne Gewissheit für den Abreißkalender, hinterlässt im Nachklang aber einen urknallartigen Misston, wenn man die gesamten 2 Stunden zuvor nicht ordentlich verhandelt hat. Wo ist eigentlich Werner Herzog, wenn man ihn braucht?
Die bewegendsten Geschichten schreibt immer noch das Leben. Aktuell bietet sich mir Gelegenheit, einem längeren, enorm aufgeladenen Strafrechtsprozess beizuwohnen – besagtes Erlebnis beschäftigt mich seither und ich glaube, dass dabei vieles von dem für mich konkret erlebbar wird, worum auch dieser Film (der für mich im Übrigen schlagartig nochmals an Bedeutung gewonnen hat) kreist. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage bin, meinen Eindrücken mit Worten Ausdruck zu verleihen, versuchen aber möchte ich es:
Ich würde dem Klischeebild, Jura sei ein staubtrockenes, langweiliges Spießerfach, im Prinzip nicht wirklich widersprechen. Im praktischen Berufsturnus aber kann es mitunter sehr spannend werden, in jedem Fall lernt man Tag ein, Tag aus etwas über seine Mitmenschen – manchmal sogar reibt man sich verwundert die Augen; zum Beispiel, wenn Situationen auftreten, die man vielleicht aus Film und Fernsehen kennt, die bislang aber so fern anmuteten, dass man bislang nicht für möglich gehalten hatte, diese Dinge könnten sich tatsächlich einmal so nah vor der eigenen Nase zutragen.
Der Angeklagte in erwähntem Prozess hat – und hierbei formuliere ich noch vorsichtig – eine Menge auf dem Kerbholz. Innerhalb eines halben Jahres verwirklichte der bereits Vorbestrafte (gefühlt) mutmaßlich bis auf Mord und Totschlag das gesamte Strafgesetzbuch und ich lüge nicht, wenn ich erzähle, dass der Staatsanwalt geschlagene 25 Minuten benötigte, die 31 Punkte umfassende Anklageschrift zu verlesen. Freiheitsberaubung, erpresserischer Menschenraub oder gefährliche Körperverletzung sind wahrlich nicht als Kavaliersdelikte einzustufen, und obwohl niemand zu Tode kam, hatte ich mich selten zuvor vergleichbar fassungs-, aber auch hilflos und erbittert erlebt. Wie kann eine einzelne Person nur so viel Gewaltpotenzial in sich tragen – und diesem auch immer wieder rücksichtslos nachgeben?! Dabei reden wir keineswegs über einen in irgendeiner Weise Unzurechnungsfähigen, der nicht weiß, was er tut – der Beschuldigte kann einen soliden Schulabschluss vorweisen, wusste sich vor Gericht in klaren Worten auszudrücken und insgesamt gesittet aufzutreten. Dass die Anschuldigungen gegen ihn demgegenüber wohl nicht aus der Luft gegriffen sind, ergibt sich zum einen aus nunmehr anderthalb Jahren Untersuchungshaft (und somit einer offensichtlich erdrückenden Beweislage) als auch aus der unzweideutig auf Schadensbegrenzung gerichteten Strategie seines Verteidigers, der noch vor der ersten Zeugenvernehmung um Unterredung mit dem Gericht bat, zwecks Anregen eines so genannten Deals – ein Verfahrensinstrument, welches in der Regel ein Schuldeingeständnis des Angeklagten zum Gegenstand hat.
Der Grund dafür, warum ich mich nach dieser Verhandlungseinheit richtiggehend erschöpft und ausgelaugt fühlte, beinhaltet allerdings noch eine weitere Komponente – direkt neben mir nämlich saß, unscheinbar, niemand anderes als die Mutter des Beschuldigten. Ich kenne die Frau nicht, hatte sie nie zuvor gesehen, und doch verriet mir ihr Gesicht mehr als ich in diesem Augenblick ertragen konnte: Scham, Trauer, Dilemma, bestimmt unzählbar viele Nächte ohne Schlaf. Trotzdem war sie nun, am sicherlich schlimmsten aller Tage, anwesend. Aber nicht nur das: Aus der Verhandlung ging hervor, dass sie seit Inhaftierung den Unterhalt für ihre beiden Enkelkinder übernommen hat.
Ich möchte klarstellen, dass ich ebenso verstehe, wenn ein Verwandter oder nahestehender Freund den umgekehrten Weg einschlägt und sich in einer solchen Lage von dem Straffälligen distanziert – schließlich trägt man ab einem gewissen Alter in jedem Fall Verantwortung für sein Handeln und wenn man das nicht kann und insoweit dauerhaft eine Gefahr für Dritte darstellt, sollte man als mindestens durchschnittlich einsichtsfähiger Mensch gehalten sein, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen. Was hier versäumt wurde.
Diese Frau neben mir aber hatte verziehen und dies erfüllte mich, obgleich der bis jetzt nicht abgeklungenen, nach wie vor lärmenden Wut in meiner anderen Herzhälfte, mit einem ungeheuren Maß an Respekt und Demut. Meine privaten "Probleme" erschienen mir plötzlich unbedeutend. Denn ich glaube, in dieser Welt fallen nur wenige Schritte schwerer als das persönliche Gerechtigkeitsempfinden und den damit verbundenen, tief verwurzelten Wunsch nach Vergeltung/Wiederherstellung zu überwinden. Und nein, dass ihr eigener Sohn auf der Anklagebank sitzt, erleichtert der Mutter die Friedensfindung nicht unbedingt, denn zusätzlich hat sie ungefragt die Verbundenheit zu einem engen Angehörigen mit in die Waagschale zu werfen. Ich sehe sie als heimliches, weiteres Opfer, zwischen den Stühlen, das im Urteil allerdings nicht erwähnt werden wird... und so den drängenden Vergleich allein herbeiführen, ihn schlussendlich gleichwohl vor sich und anderen rechtfertigen muss. Eine schier unlösbare Aufgabe.
Zum Glück aber ist der Gedanke der Rehabilitation (und damit die Chance auf "Vergebung" nach gebüßter Tat) mittragende Säule wie Ausdruck jenes Verständnisses, welches auch unserem Rechtssystem zugrunde liegt. Das führt auf Schattenseite zwar weiterhin dazu, dass manche gerichtlich verhängte Sanktion in der öffentlichen Wahrnehmung als unbillig empfunden wird (es ist ja ohnehin gerade nicht so, dass, was gerecht ist, nach Abwägung sämtlicher Umstände objektiv und für jedermann zufriedenstellend bestimmbar wäre... doch muss ein Rechtsstaat sich von diesem Umstand zwangsläufig ad absurdum führen lassen?).
Unter anderem ebenfalls darauf fußend jedoch (und dies ist viel wichtiger) begleichen wir Gleiches nicht mit Gleichem, ist Folter verpönt, ist die Todesstrafe - hoffentlich für immer - zumindest europaweit abgeschafft.
Zurück bleibt das Individuum, fähig zum Höchsten wie zum Niedersten gleichermaßen. Es ist an uns, irgendwie damit klarzukommen.
Dietrich Brüggemann ist ein Freund klarer Worte – so zum Beispiel letztes Jahr in einem wütenden Pamphlet gegen die Berliner Schule und überhaupt so manches, was nach Meinung des Regisseurs beim deutschen Film falsch läuft. Nun aber, mit dem Kinostart von KREUZWEG, ist der Zeitpunkt gekommen, den eigenen Thesen gegenüberzutreten (leider sind es nur 12 statt 14 "Leidensstationen" geworden):
1.) »Ich will nicht, daß das Kunstkino aufhört. Ich will, daß es besser wird. Es gibt für diese Filme nur eine einzige Regel: Sie sollen bitte etwas machen, das noch kein anderer gemacht hat.«
1:0 für Brüggemann. KREUZWEG überzeugt durch ein interessantes Konzept sowie eine äußerst konsequente Umsetzung und ich muss zugeben, dass man so etwas nicht oft zu sehen bekommt- vielleicht ja mit ein Grund dafür, dass die Kritiker ziemlich aus dem Häuschen sind. Plansequenzen in einem deutschen Film – warum eigentlich nicht?
Soweit zum Positiven.
2.) »Es gibt nur den Kopf, der ist riesengroß, hat alles gesehen und nichts verstanden.«
Ja, leider hat das Regie-Team Brüggemann eine eben solche Kopfgeburt auf die Beine gestellt, denn lediglich 14 Szenen und somit 14 Settings gönnt sich KREUZWEG, um seinerseits, also formell, ins christliche Gewand zu passen – in diesem Fall eindeutig zu wenig, wenn man es ernst meint mit dem Erzählen. Es fehlen Bilder, es fehlt Subtext. Doch was, wenn ich...
3.) »... mit keiner Frage,
4.) keinem Gefühl,
5.) keiner neuen Erkenntnis,
6.) keinem Dilemma aus dem Kino komme«?
Unbefriedigt lässt mich dieser Film zurück vor allem aufgrund seiner Eindimensionalität. Die kleine Maria ist die gute, unschuldige Seele, die alles abbekommt, alle anderen (mit Ausnahme eines Schülers aus ihrer Parallelklasse und dem französischen Au-pair-Mädchen der Familie) sind das personifizierte Böse. Das funktioniert bei Lars von Trier, weil er "seine" Frauen so sehr liebt, dass alles andere am Ende total egal ist und sich höllenhohen Emotionen unterzuordnen hat, nicht jedoch in Brüggemanns sorgfältig gescheiteltem Hornbrillen-Scheuklappenkino, welches zu sehr mit Anklagen vom Reißbrett und zu wenig mit empathischem Verständnis beschäftigt ist. Apropos (Achtung, Spoiler): BREAKING THE WAVES wird ab dem drittletzten Kapitel dreist kopiert und KREUZWEG damit quasi aus Dänemark fremdgesteuert – ich habe im finalen Moment wirklich mit den Himmelsglocken gerechnet. Überrascht hätte es mich nicht. Und da wundert sich Brüggemann, dass niemand in der Lage ist,
7.) »... ein einziges echtes Gefühl auszulösen.«
So geht's jedenfalls auch nicht!
8.) »Glaubhaft von der Liebe zu erzählen...«
... ist natürlich auch so ein Ding. An dieser Stelle wird besonders deutlich, welchen Tribut formale Strenge einfordert, wo Inhalte ihr kaum Einhalt gebieten. Wird die erste, unschuldige Annäherung zwischen Maria und ihrem Mitschüler noch ansprechend beschrieben, ist Marias spätere Abweisung an den Jungen (weil sie ja nur Gott dient und ihr Glaube weltliche, außereheliche Liebe ablehnt) inklusive Schilderung ihres inneren Konflikts zwischen empfundener Zuneigung und dem Verbot eben dieser umso plakativer und gehetzt ausgefallen. Möchte der Film berühren oder verstören? Mich irritierte jene spürbare Unentschlossenheit, weder das eine noch das andere gelingt jedenfalls so richtig. Und plötzlich hat Brüggemann keine Zeit mehr für seine beiden Turteltäubchen, denn da ist ja auch noch die diabolische Mutter, welche noch immer nicht genug ihr Fett wegbekommen hat. Ich halte mal fest:
9.) »Dieses Segment, die Speerspitze unserer Kunst, hat seine Existenzberechtigung komplett verloren, wenn es reicht, mit einem Film ein paar Klischees zu bedienen, um als "Kunst" durchgereicht zu werden.«
10.)»... aber dann geht das gestelzte Elend weiter.«
Wo bitte bleibt das Wichtigste, nämlich die Auseinandersetzung? Das Problem ist gar nicht einmal, dass das Thema zu ausgelutscht oder überholt wäre – jemand wie Ulrich Seidl hat schließlich wiederholt vorgemacht, wie man christlichen Fundamentalismus im 21. Jahrhundert in Kamerastarre wunderbar gemein und doch ambivalent angehen kann. Die nackte Feststellung, dass eine zu starke Vertiefung in den Glauben unschön und womöglich irgendwann sogar eine faktische Abkehr von den Geboten Christi einschließt (mit Rücksicht und Nächstenliebe ist schließlich nicht mehr viel her, sobald man dazu übergeht, anderen Gott gewaltsam aufzuzwängen), reicht mir nicht. Weitaus ergiebiger hätte eine Art immanente zeitgeistliche Ursachenforschung ausfallen können (Warum flüchten Menschen in Parallelwelten? Wie gehen wir eigentlich abseits davon miteinander um und wieso?), ganz egal, wenn damit die Risiken für ein Scheitern steigen. Schließlich sitzt auch so schon nicht unbedingt jede Beobachtung (Stichwort: Mobbing in der Turnhalle).
Brüggemanns Beitrag zur Causa familiärer (Macht-)Missbrauch erschien mir daneben ebenfalls nicht sonderlich fruchtbar. Dabei war der Kontext doch mehr als willkommen, um im Ergebnis uns alle gemeinschaftlich am missständigen Kragen zu packen. So jedoch verbleibt der Zuschauer überwiegend in seiner Comfort Zone, darf - einigen gelungenen, kurzweiligen Momenten zum Trotz – gemütlich den Zeigefinger ausfahren und keinem ist geholfen. Wie gesagt - zu einseitig wie im Ergebnis uninspiriert ist KREUZWEG. Und bedauerlicherweise auch ein bisschen verbohrt,...
11.) »... weil in Deutschland ja alles entweder todernst und tonnenschwer sein muß.«
12.) »Berlinale-Wettbewerbs-Kino« eben, das allenfalls ein bisschen origineller geschminkt daherkommt als der Rest, unter seinem mal mehr, mal weniger drückenden Korsett hingegen nicht allzu großzügig Herz- und Gedankenfutter zum satt werden verteilt, geschweige denn im Stillen Mauern einreißt. Aber den Versuch war es wert!
Hiroshi Teshigahara, wohl am Bekanntesten durch seine FRAU IN DEN DÜNEN, exerziert – oder, nein: obduziert - mit THE FACE OF ANOTHER das Bedingen und Wirken zwischen innerer und äußerer Erscheinung sowie Suche und Bedeutung von Identität (in) einer Nachkriegsgesellschaft. 48 Jahre nach seiner Entstehung muss konstatiert werden, dass dieser Film keinesfalls fest an seinen Entstehungskontext gebunden ist, sondern – im Gegenteil – im neuen Jahrtausend offensichtlich an Sinnebenen dazu gewonnen hat - und somit wahrscheinlich heller, da aktueller denn je auf uns zurückstrahlt.
Seine dichte Atmosphäre variiert hierbei geschlossen von distanziert kunstvoll bis vorausdeutend surreal, unterstützt eine klinisch nüchterne Versuchsanordnung (kein Wunder, dass ein Labor "ohne Raum" hier den Ausgangspunkt absteckt) ebenso wie eine ganz eigene Form von Bodyhorror, der in der menschlichen Seele seinen Anfang nimmt.
Im Zentrum des Filmessays steht Okuyama, ein Mann im besten Alter, dessen Gesicht, welches er jetzt komplett mit Hilfe eines Verbands bedeckt, bei einem Arbeitsunfall durch Verbrennungen bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde. Seine Frau versichert ihm zwar, dass dies an ihrer Liebe nichts ändere, tatsächlich aber geht sie auf Abstand und Okuyama spürt, dass – allen Beteuerungen seines Umfelds zum Trotz – nichts mehr so ist wie vorher. Um wieder Anschluss zu finden, bezahlt er einem Fremden einen hohen Geldbetrag, damit dieser seinen Gesichtsabdruck für eine Maske zur Verfügung stellt, die Okuyama sodann heimlich von seinem Psychiater Dr. Hira angelegt wird. Hira weiß um Risiken und problematische Legalität des Eingriffs, führt ihn aber – nicht unegoistisch - dennoch durch, weil ihn besagtes Experiment reizt, und für Okuyama beginnt darauf ein Doppelleben, dessen Grenzen stetig miteinander verschwimmen – denn nicht nur "ohne" Gesicht, auch mit einem anderen als seinem eigenen treten mittelfristig komplizierte Auswirkungen ein, die er nicht zu kontrollieren vermag. Jetzt nämlich wird unser Protagonist wieder als "kompletter" Mensch wahrgenommen, doch dafür ist dieses Mal er es, der sich verändert – nicht nur visuell und vor allem nicht nur zum Guten; denn statt, wie erhofft, ein sozusagen neues, wieder selbstbewusstes Ich zu bekommen, hat Okuyama nunmehr auch sein altes Ich (oder das, was davon übrig war) endgültig verloren und zerschellt schließlich als zielloses Phantom ohne moralische Konturen.
Thematisch ergänzt wird diese tragische, verstörende Geschichte um einen eigenständigen Subplot über eine junge Frau, die in einem Heim für Kriegsveteranen arbeitet und deren ansonsten hübsches Gesicht einseitig vernarbt ist. Wie Okuyama leidet auch sie unter ihrer optischen Verunstaltung, allerdings bleiben der Dame lediglich ihre Haare, um die betroffene Gesichtshälfte mehr schlecht als recht zu verdecken – ein medizinischer Eingriff findet hier also nicht statt, aber auch die junge Frau wird, ebenso wie Okuyama, - ich nehme es einmal vorweg – keinen Ausweg mehr sehen, um Zuneigung und Anerkennung zu erfahren.
Erschöpfte sich der Film in jener Feststellung, dass Geist und Körper untrennbar miteinander verbunden sind, in mannigfachen Wechselbeziehungen zueinander stehen und ein Ungleichgewicht fatale Folgen herbeiführt – THE FACE OF ANOTHER wäre sehr viel leichter zu ertragen. Selten zuvor jedoch (und danach) im Weltkino haben einer erkalteten Gesellschaft zwar mit besten Absichten entgegentretende, im praktischen Alltag hingegen leider entlarvend naive Sehnsuchtsideale wie
- "Wahre Schönheit kommt von innen!",
- "Äußerlichkeiten zählen nicht!" etc. so wenig vor der bitteren Realität standgehalten. Denn nicht bloß spiegelt sich in den Augen eines Menschen dessen Wesen, zudem beeinflusst es unser Inneres, wie wir von anderen behandelt werden - eingeschlossen aufgrund äußerlicher (entweder fehlender oder als hässlich empfundener) Merkmale, für die wir unter Umständen gar nichts können. Da ist es aus Perspektive eines Leidtragenden mehr als verständlich, sich - sprichwörtlich - ein neues Gesicht zulegen zu wollen - doch für welchen Erfolg und um welchen Preis? Der der Nächstenliebe scheint schon lange ausgehandelt, kaum verhandelbar gegen den der Anonymität.
Wer an dieser Stelle noch ein bisschen heftiger mit den Zähnen klappern will... der übertrage THE FACE OF ANOTHER einfach mal gedanklich in unser heutiges, modernes Internet-Zeitalter.
Das beispiellose Star-Aufgebot, mit dem Wes Anderson regelmäßig auffährt und welches selbst manchen Blockbuster wie eine Laien-Produktion dastehen lässt, kann auch bei seinem neuesten Werk nicht darüber hinwegtrösten, dass seine Filme sich anfühlen wie die wiederholte Filmhochschul-Abschlussarbeit eines, wenn auch sehr talentierten, Pfadfinders auf einer nicht enden wollenden Kirmes. THE GRAND BUDAPEST HOTEL jedenfalls ist das mittlerweile achte Exemplar dieser Art und der Texaner lässt auch mit Mitte 40 nicht die geringste Absicht durchblicken, erwachsen zu werden.
Nun verhält es sich keineswegs so, dass ich Regie-Eigenheiten nicht schätze, und überhaupt würde ich auch um dieses Anderson-Baby direkt wieder am Liebsten eine rosa Schleife binden. Doch so begeistert ich mich jedes Mal ans Auspacken mache, so deutlich spürbar bekomme ich – also filmisch - eins auf die Zwölf, wenn sich herausstellt, dass ich lediglich ein bemaltes, süßlich parfümiertes Papierschiffchen geschenkt bekommen habe, das mir zuvor allein deshalb so groß und stabil schien, weil es fünfzigfach übereinander geschichtet verpackt war. Natürlich ist das schade um die verheißungsvoll glitzernde, liebevolle, aufwendige Ausstattung, doch schlussendlich ist sie als Geschenkpapier für sich allein nicht besonders viel wert – und landet eben dementsprechend in der Mülltonne (auch, wenn den Ästhet in mir dabei vielleicht doch für einen kurzen Moment das Wehleid packt).
Ja, ich mag Geschichten über ungleiche Freundschaften, außergewöhnliche Liebschaften, närrische Familienschaften, kantige Paradiesvögel; gerne auch mit einem hoffungsvollen/positiven Ausgang, sofern sie sorgfältig wie aufrichtig erzählt sind und, wie man so schön sagt, das Gesamtbild stimmt.
Mein Problem mit Wes Anderson: Er versteckt sich hinter großen Namen und bunten Manierismen. Mehr und mehr wirkt alles nur behauptet, die blumigen Charaktere ordnen sich dem Kameraschwenk-Wunderland-Drumherum unter und verwelken misslich, dafür aber in Rekordgeschwindigkeit unter dem Selbstzweck zelebrierter Andersartigkeit.
Superstars, sogar in Komparsenrollen, überschatten durch ihre bloße Anwesenheit die Figuren, welche sie darstellen (sollen) und werfen deren Potenzial eines Rohdiamanten gleich mit über Bord - sofern es um diese überhaupt noch geht, denn vielmehr scheint Anderson seine Drehbücher danach auszurichten, wie und wo er Leute wie Bill Murray und Owen Wilson in noch so bedeutungslosen Cameos verbraten kann. Das gleicht einer zauberhaften Arie, deren Klang man nur erahnt, weil sie vom viel zu lauten Orchester in Grund und Boden übertönt wird... eben einem reinen Schaulaufen, wie auch ein paar charmante Ideen unmöglich als tragfähige, ernst gemeinte Inhalte (die, zumindest theoretisch, auch in Andersons Kuschel-Kosmos durchaus Platz hätten - gerade das ist ja so ärgerlich!) durchgehen.
Wo aber die eigentliche Hauptattraktion zum schmückenden Beiwerk degradiert (et vice versa das ohnehin Offensichtliche überstrapaziert) wird und eine großzügige Portion Zuckerguss wiederum das gesamte Wachsfigurenkabinett unter sich begräbt, macht mir THE GRAND BUDAPEST HOTEL als, einmal mehr, überlanger MTV-Clip einfach keinen Spaß mehr - sondern führt allenfalls zu Diabetes. Ich checke dann mal wieder aus.
Tausche: Jugendliche Unschuld gegen die erste Prise Lebensreife.
Kein Deal, den man als Heranwachsender begrüßt, oft oder sogar zumeist ist es ein sehr bitterer, weil die ersten Illusionen dahin schwinden, nicht wiederkommen und man auch niemanden vorschicken kann, der all das für einen auf sich lädt oder wenigstens ein neugier-resistentes Schutzschild aufstellt.
Der 14-jährige gebürtige Naturbursche Ellis zieht in MUD diese Erfahrung in gleich mehrfacher Ausprägung auf sich, denn nicht nur steht die Scheidung seiner Eltern – und damit ein Umzug vom vertrauten Hausboot in die Stadt - bevor, eigene Gehversuche in der Liebe verlaufen gleichsam noch etwas holprig. Als er mit seinem besten Freund Neckbone eine verlassene Insel erkundet, treffen die beiden auf Outlaw Mud, der sich dort wegen und für eine(r) Frau verschanzt hat, mit der er bald gemeinsam in eine ungewisse Zukunft aufbrechen möchte – und der Ellis' Glaube an eine heile Welt, so pathetisch das klingen mag, für den Moment als vielleicht Letzter retten kann.
In der festen Überzeugung, einer Romanze zu ihrem verdienten Recht zu verhelfen, lassen sich die Jungs als heimliche Handlanger instrumentalisieren: Sie stellen an Land Kontakt zu Muds Freundin Juniper her, stehen bei der Reparatur eines Fluchtboots zur Seite und gehen für das eine wie das andere erhebliche Risiken ein. Den Umstand, dass der etwas undurchsichtige Mud sich auf der Flucht vor – unter anderem – der Polizei befindet, die ihn wegen Mordes (an einem ehemaligen Liebhaber Junipers) sucht, verklären die beiden dabei, wozu sicher auch der Reiz beiträgt, einfach Teil eines großen Abenteuers zu sein. Verurteilen lassen sie sich dafür kaum, und außerdem resignierten schon ganz andere vor dem begehrenswertesten aller unbeständigen Gefühle. Wie war das noch gleich? "Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse."
Regisseur Nichols schafft also alle Voraussetzungen für eine Win/Win-Situation, verweigert sich jedoch einer zu bequemen Auflösung, denn nach und nach müssen Neckbone und insbesondere Ellis erkennen, dass Erwachsene ziemlich dumm umher irren, im traurigsten Fall stillstehen, wenn sie ihr Herz verloren haben – und dass man Happy Ends im Leben nicht erzwingen kann, so weh es manchmal auch tut. Eine für sich wohl eher bescheidene Feststellung, allerdings nach wie vor unbestreitbar wahr. Und trotzdem eröffnet – und das erkennen letztendlich alle Charaktere des Films – jeder Abschied die Chance auf etwas Neues. Neue Träume, neue Visionen, neue Menschen, neue Höhen, neue Tiefen, alte Sehnsüchte sowie, in jedem Fall, neue Erkenntnisse. Und was bleibt einem schon anderes übrig als der Versuch, das Beste davon zu ergreifen? Denn sieht man auch nicht immer alles genau, was vor einem liegt, so doch wenigstens den Horizont, welchen - als gäbe es nichts, wovor man Angst haben bräuchte - am Tag die Sonne und nachts der Mond bewacht. Die Hausboote auf unfestem Grund, auch der Fluss an sich, Schlamm und Sonnenuntergänge, überhaupt die Natur in ihrer rohen, durchaus auch trügerischen Anmut, wie die Kamera sie mit malerischer Nostalgie einzurahmen weiß – all das kann hier eigentlich nur Sinnbild sein.
Wenn Nichols Südstaaten-Märchen etwas fehlt, dann wahrscheinlich ein echter Wiedererkennungswert. Die Oberflächen-Elemente (Coming of age, Familien-/Liebesdrama) sind bekannt und mehr oder weniger glücklich mit (Gott sei Dank) nur dezenten Anleihen eines Thrillers vermengt. Ebenso vertraut erscheint die Stimmung, in welcher MUD den Zuschauer (mich) zurücklässt; Vergleiche zu Rob Reiners STAND BY ME wurden ja bereits hinreichend angestimmt, ich dachte daneben ein paar Male an Zvyagintsevs THE RETURN. Doch eine kraftvolle, bedachtsame Regie wie starke Darsteller laden zu ein, mit den Protagonisten zu gewinnen und verlieren - und sich selbst ein bisschen treiben zu lassen.
LE FEU FOLLET setzt nach einer Liebesszene an, die wir aber nicht zu sehen bekommen, und schon dies ist rückblickend ein wenig bezeichnend. Doch auch nun, wenige Momente später: Keine Liebesbekundungen oder glückselige Erschöpftheit dieses Pärchens. Stattdessen zwei Menschen, die zwar physisch aufeinander liegen, aber irgendwie nicht beieinander sind. Die sodann sich zu Wort meldende Stimme aus dem Off vergleicht die attraktive, für den Protagonisten Alain augenscheinlich jedoch unerreichbare Frau mit einer Natter zwischen zwei Kieselsteinen, und Erik Saties kontemplative Musikuntermalung steuert ihren Teil dazu bei, einen (womöglich nur vermeintlichen) Akt der Zärtlichkeit zwischen zwei Liebenden in formvollendeter Melancholie ausklingen zu lassen, welche – wie eigentlich den ganzen Film über - kurz davor ist, in tonnenschwere Leere umzuschlagen.
Damit trifft Louis Malle "lockerleicht" den Stimmungskern dieser Geschichte, ohne im konventionellen Sinne viel zu erzählen, denn zwischen abgrundtiefer Leere und temporärer Traurigkeit besteht ein Unterschied. Wer nur irgendetwas fühlt (Schmerz, Angst, Verlust,...) besitzt einen emotionalen Auslöser, dem ein bestimmter Wert zugestanden wird. Alain Leroy aber ist depressiv und damit eine Stufe tiefer angekommen, die keine Tränen mehr kennt.
Somit leuchtet ein, warum dieser Film nicht sentimental sein kann, denn es wäre schlichtweg unangebracht, würde der Thematik nicht gerecht werden.
Dennoch übt LE FEU FOLLET eine pastellgraue Sogwirkung aus, eine Schönheit im Untergang, der man sich machtlos ausgeliefert sieht. Man kommt sich vor wie ein Baby, dessen Augen während eines Schlaflieds immer kleiner werden, bis es schließlich ganz woanders angekommen ist – nur sind es hier nicht die Augen, sondern das Herz, welches sich schwerer und schwerer anfühlt. Denn Alains Perspektivlosigkeit überträgt sich denkbar nachhaltig auf den Zuschauer. Malle zeigt einerseits, wie prächtig das Leben sein könnte, tut dies aber durch Alains subjektive Brille – unversehens ertappt man sich dabei, wie man Wissenschaft ("Es ist nur eine Frage des Willens!"), intellektuelle Gespräche, zwischenmenschliche Loyalität, ja sogar wahre Liebe durch Abgleich mit vielleicht persönlichen Enttäuschungen in Frage stellt und sich gar nicht mehr sicher sein kann, wo eigentlich Fassade endet, Wahrheit beginnt oder ob nicht einfach alles dasselbe ist. Und natürlich: Woraus die eigenen Eckpfeiler gebaut sind.
Die Sinnfrage präsentiert sich umso verzwickter, als sie unmöglich delegiert werden kann, denn das Leben erhält erst durch uns seinen Belang - und zwar genau jenen, welcher jeder einzelne ihm zugesteht. Was dies wiederum für Alain bedeutet (oder, besser gesagt: Nicht bedeutet), liegt auf der Hand – und Malle kommt zu dem traurigen, aber wohl leider wahren Ergebnis, dass man sich Unbeschwertheit, Lebensfreude, inneren Antrieb nicht ohne weiteres wieder anlernen kann, wenn sie erst einmal weg sind.
Das Datum seines geplanten Suizids, den 23. Juli, hat Alain mit Schwarzstift auf dem Spiegel in seinem Zimmer markiert, wie man sich einen Zahnarzt-Termin notiert oder eine sonstige Notiz über etwas macht, das man sonst vergessen könnte. Tatsächlich aber kommt hier ein tragischer Determinismus zum Vorschein und man wird darüber verhandeln müssen, inwieweit Alain in seinem Zustand überhaupt noch eine "Wahl" hat. Natürlich stünde es jederzeit in seiner Macht weiterzuleben, sollte man meinen (freier Wille?), doch ist es wirklich so einfach?
Wenn er dann nach Paris fährt, um alte Freunde aufzusuchen, hat dies weniger von einem letzten Aufbäumen, sondern mehr von einer erwarteten endgültigen Bestätigung. Und in der Tat stellt Alain fest, dass diese Leute zwar alle etwas "aus sich gemacht" haben, einem geregelten Tagesablauf nachgehen, usw. ... aber innerlich, trotz gesellschaftlicher Norm, gleichfalls einsam geblieben sind und allenfalls den Vorteil genießen, die Mittelmäßigkeit akzeptiert zu haben.
Ein Film, so trostlos wie erhellend.
Na endlich! Ich finde es fast schon peinlich, wie lange es nun gedauert hat, bis filmfan90, der für mich (mindestens) klar zu den 5 besten Schreibern dieser Community zählt, endlich auch in dieser Rubrik zu Wort kommt.
Der Kommentar selbst ist natürlich ein kleines Meisterwerk für sich. Brillant, da prägnant analysiert, ohne ein Gramm schwaflerisches Fett und auch mit entsprechender Eleganz geschrieben... dem Film wird alle Ehre gemacht. :-)
Es ist soweit: Die Mechanismen der Finanzwirtschaft sind in den Ghettos angekommen, die Straßen leer gefegt. Nur ein paar ganz harte Kleinkriminelle trauen sich mit ihren Kötern an der Leine vor die Tür.
Ach nein, Moment mal, diese Typen sind ja gar nicht hart; Sie überfallen Pokerrunden mit Spülhandschuhen, übertreiben es hin und wieder mit Drogen und reden sich, verpeilt wie sie sind, dann auch noch munter um Kopf und Kragen.
Auch nicht viel besser: Die große, mächtige, glorifizierungsträchtige Mafia. Nur sind es dort Nutten und Alkohol. Doch so wirklich bewegungsfähig ist hier niemand. Niemand, bis auf – ausgerechnet – "Problembereiniger" Jackie Cogan. Der abscheulichste Zyniker im Bunde versteht als einziger, wie man in dieser UNTERwelt ÜBERlebt (mehr ist ohnehin nicht drin) und zieht, dem angepasst, seine Prinzipien eiskalt pragmatisch durch. Eine seiner Devisen lautet: Lege niemanden um, mit dem du persönlich schon zu tun hattest. Das wird immer so sentimental. Und Gefühle sind nicht gut. Kill them softly, lass' es andere machen.
... Nur blöd, dass sein für diesen Fall angedachter Partner Mickey sich bereits eigenhändig außer Gefecht gesetzt hat. Alles muss man also selbst erledigen. Tzz.
Ganz nebenbei tobt, wie man durch TV und Radio erfährt, Wahlkampf zwischen Obama und McCain – "wohl" dem, der deren naive Pathosreden um grenzenlose Selbstverwirklichung oder gemeinschaftlichen Zusammenhalt in diesem Kontext überhaupt noch ernst nehmen kann (die eigentliche Macht nämlich üben - und das ist bloß ein Problem von vielen - andere aus). Wohl aber auch dem, welcher in dieser allumfassenden, geldregierten Selbstbesoffenheit vielleicht auch eine kleine Allegorie auf Hollywood auszumachen vermag. Es schlägt eben überall durch, und der - aus Sicht der Traumfabrik - zu erfolglose Andrew Dominik muss einen ganz schönen Hals gehabt haben.
Denn eines ist mal klar, und hierüber kann nicht einmal Brad Pitts stilsichere Gelfrisur hinwegtäuschen: In jenem (Meta-)Mikrokosmos stinkt nicht nur der Hundekot zum Himmel. Besitzt alles, was Geld kostet, auch tatsächlich einen Wert?
So viel zur Ausgangslage. Was folgt, ist grundsätzlich keineswegs neu, aber nicht ohne Reiz angeordnet:
Fliegende Kanonenkugeln in Zeitlupe? Die Ego-Perspektive eines zugedröhnten Junkies? Minutenlange Blödsinns-Diskussionen? Formale Taschenspielertricks, schon hundert Mal gesehen.
Das Besondere an KILLING THEM SOFTLY ist jedoch die Art und Weise, wie der Film sich gewisse Genre-Schablonen einerseits zu eigen macht, sie gleichfalls - und zwar gar nicht einmal so ungelenk, wie es auf den ersten Blick den Anschein erweckt - organisch-zielgerichtet durch den Dreck zieht und es doch unterlässt, sich für etwas Besseres zu halten. Nicht allein deshalb, weil es manchmal einfach mehr Spaß bereitet, den Leuten unvermittelt ins Gesicht zu spucken, sondern weil es zur Abwechslung ganz erfrischend sein kann, auch mal auf den Punkt zu kommen. Gerade aber nicht zu verwechseln ist Dominiks Regie-Ingrimm mit einem planlosen Holzhammer-Vorgehen - dafür sprechen schon die angenehmen Atempausen, welche er vor allem seine ausgiebigen Dialoge bewerkstelligen lässt... und welche er im Grunde gar nicht braucht, weil KILLING THEM SOFTLY irgendwie auch von Natur aus eine faszinierende, geradezu bösartige Lässigkeit abgeht.
Die Bauernschläue des durch und durch ironischen Plotverlaufs erinnert beispielsweise ebenso wie der karikaturhafte Protagonist Jackie Cogan oder die rabiat gegen den Strich gebürstete Musikuntermalung fast schon an den frühen Tarantino, und dennoch könnte Dominik sich kaum weiter entfernt von etwa einem PULP FICTION positionieren, findet sich doch rein gar nichts Sympathisches in diesem miefigen Nest elender Profitgeier. Nicht einmal ein Fuß-Fetisch.
Personell hervorragend platziert in dieser Pose sind natürlich Ray Liotta sowie James Gandolfini - beide erfahren in Gangster-Gefilden, nun beteiligt am Abgesang.
Erst der denkwürdige End-Western namens JESSE JAMES, jetzt die Beerdigung der Mafia - und noch einiger anderer Dinge, inklusive schnörkellosem Sozialkommentar. Dafür braucht es augenscheinlich keinen FIGHT CLUB und auch keinen Scorsese.
Die verbliebenen klischeebeladenen Männerdomänen müssen sich hingegen weiterhin warm anziehen, solange Andrew Dominik Filme dreht. Ich meine: Gut so!
Asghar Farhadis nächster Schlag in die berüchtigte Magengrube. Wenn man bei Einsetzen des Abspanns einfach nur noch schlotternd, betrübt und erschöpft in seinem Sitz zusammensinken möchte, ist dies ein klares Indiz dafür, dass der filmische Scheidungs-/Beziehungsspezialist aus dem Iran wieder einmal ohne Rücksicht auf Verluste in den Untiefen seiner Charaktere gewütet hat.
Dabei entstehen Personen- und Handlungskonstrukte, die zunächst vielleicht etwas gewollt oder zu hitzig zugespitzt anmuten, doch womöglich ist es Farhadis geradlinige dramaturgische (Wieder-)Zusammenführung von Film und Realismus, die genau genommen umgekehrt - also seitens des Zuschauers - eine Umgewöhnung erfordert.
Denn wenn zwei Individuen sich ineinander verlieben und zueinander finden, ist das zwar eine wunderschöne Sache... allerdings verhält es sich dabei ja tatsächlich sehr häufig so, dass weitere Menschen direkt oder indirekt von dieser (neuen) Bindung betroffen sind. Je älter bzw. lebensaktiver die primär Beteiligten, desto größer die Wahrscheinlichkeit - und schon ist eine Dominokette in Gang gesetzt, deren letzter Stein im Ernstfall noch lange nicht gefallen ist.
Ein weiterer, signifikanter Themenbestandteil von (der Titel verrät es im Grunde schon) LE PASSÉ ist der, dass jeder Mensch – zwar nicht ausschließlich, aber unter anderem – die Summe all seiner Erfahrungen und Prägungen darstellt. Eben die kann er nicht immer automatisch nach Bedarf ablegen, sobald ein neuer Lebensabschnitt mit entsprechend neuen Anforderungen beginnt. Besagtes Problem emotionaler "Altlasten" ist ein praktisch überaus bedeutsames, welches für einen Filmemacher aber nur sehr schwierig auf authentischem und präzisem Wege zu fassen ist, geschweige denn sich in 90 (oder 120) Minuten erschöpfen lässt. Allein für den Versuch verdient Farhadi gehörigen Respekt, und nicht nur das: Die Operation ist in ihrer Umsetzung nämlich durchweg gelungen – LE PASSÉ beweist den Unterschied in der Kunst zwischen fordernd-komplex und verworren-kompliziert – ohne, wie so viele Filme, das Wesentliche am Ende – alle Ambitioniertheit in Ehren - bis zur Unkenntlichkeit zu verschleiern.
Sowieso bereits oft gelobt wurde Farhadi für die explosive Wucht, welche er zu erzeugen imstande ist. Diese entsteht allerdings nicht aus einer reißerischen Aneinanderreihung von Eskalationen, sondern es wird behutsam eine Atmosphäre quälender Unruhe und Ungewissheit aufgebaut.
Das beginnt, wenn Marie ganz zu Anfang ein anderes Auto beim Ausparken rammt und führt dann weiter über verschüttete Farbe im Flur, die ungeklärte "Bettsituation" im Haus oder ein kaputtes Abflussrohr in der Küche. Selbst, wenn niemand streitet oder vermeintlich Leichtes gezeigt wird, darf man sich als Publikum niemals wirklich in dieser Umgebung wohl fühlen; zumal der Film manches gezielt unter Verschluss hält und diesen Umstand dem Zuschauer sogar fast schon sadistisch unter die Nase reibt. Die Szenen, in denen es wirklich kracht und sich Spannungen auch körperlich entladen, sind hingegen gar nicht einmal so zahlreich gesät – jedoch umso platzierter und darum wirkungsvoll.
Unterstrichen wird dieses Unbehagen durch die nur scheinbare Souveränität der erwachsenen Protagonisten, welche über Strecken den oberflächlichen Eindruck erwecken, die verzwickte, erst nach und nach in ihrem kompletten Ausmaß enthüllte Gesamtsituation einigermaßen reif und sachlich bewältigen zu können – oder zumindest, es zu wollen. Die dann aber doch in die Knie gehen und schmerzlich erkennen müssen, dass hier niemand als Sieger hervorgehen wird (und die reine Akzeptanz eines Unglücks manchmal die einzige Option bietet). Erst Recht nicht die noch viel hilfloseren Kinder, welche bei lautstarken Auseinandersetzungen mehrmals einfach rabiat aus der Tür geschoben werden, bis ihnen selbige sodann vor der Nase zuknallt – kleine, aber feine Nuancen nicht selten unbemerkt bleibender häuslicher Gewalt, die Farhadi, wie es wirkt, eher en passant beobachtet.
Kaum negativ ins Gewicht fällt da ein gewisser Schematismus, dem LE PASSÉ wohl nicht gänzlich entsagt – ebenso wie die gegenüber NADER UND SIMIN geringfügig geschmälerte Fallhöhe des Films. Doch das ist Meckern auf hohem Niveau.
Viel wichtiger: Mit Farhadi tut sich ein Regisseur auf zeitgenössisch-wackeligem Terrain als Mittler, nicht als Ankläger hervor – und kann dabei doch so mitreißen. Es mag kitschig klingen, aber ich glaube, die Welt wäre ein winziges Bisschen besser dran, gäbe es mehr Produktionen dieser Art. Zumindest die Filmwelt wäre es in jedem Fall.
Lars von Trier beendet seine Depressionstrilogie/Quadrologie standesgemäß in schwarz. Nimmt der spielerische Klamauk in VOLUME 1 noch eine bedeutend größere Rolle ein, geht es hier nun ans abgründig Eingemachte, und einmal mehr überwältigt mich die Gabe dieses Regisseurs, in das Wesen einer Frau hineinzuschauen.
Das ist nicht verwandt mit (den natürlich auch wunderbaren) Pedro Almodóvar oder François Ozon, aber auch nicht mit etwa Abdellatif Kechiche, dem bezüglich LA VIE D'ADÈLE mitunter der so genannte "männliche Blick" auf die Dinge unterstellt wurde. Von Triers Perspektive dagegen ist nicht männlich (wie auch, bewertet er sich nach eigenen Angaben doch zu 70% als Frau?), sie ist allerdings auch nicht "weiblich" – vielmehr habe ich bei ihm immer wieder das Gefühl, die Welt aus den naiven, unschuldigen Augen eines Kindes zu sehen, das alles, was es wahrnimmt, zum ersten Mal beobachtet... und dementsprechend verwirrt, hilflos, insoweit oft aber auch trotzig und radikal reagiert. Jene wütende Zerbrechlichkeit, die darüber in von Triers Filmen immer wieder Ausdruck findet, ist einmalig im Weltkino. Und sie berührt mich in einem Maße, das es mir bis heute unmöglich macht, auch nur einen Vergleichswert zu benennen.
Vielleicht ist es jedenfalls besagter spezifischer Herangehensweise geschuldet, dass – obgleich der Filmtitel Gegenteiliges suggeriert bzw. es ja auch um dieses Thema geht – es gerade nicht die eigentlichen Sexszenen sind, welche nach NYMPHOMANIAC in Erinnerung bleiben. Körperliche Momente erscheinen zwar nicht umfassend abstoßend, taugen jedoch sicherlich noch weniger als Porno. Und es bleibt vor allem die Gewissheit, dass Sex bei all seiner entfesselnden Kraft ganz schön anstrengend sein kann, denn der Weg dahin, darüber hinaus, sowie zu einem allgemein ausgeglichenen Liebesleben muss letztendlich von innen bewältigt werden – ein Prozess, der nicht jedem ein Selbstgänger ist. Da kommt es dann auch nicht ganz von ungefähr, dass die Begriffe "Lust" und "Last" durch allein einen Buchstaben unterscheidbar sind.
An dieser Stelle hat man, wenn man so beharrlich ist von Trier, also auch über Unangenehmes zu diskutieren, von triebhafter Sucht über plötzliche Frigidität bis zu unterdrückten sexuellen Neigungen, denen der Film – ohne jetzt zu viel vorwegnehmen zu wollen – überragend menschlich, aufgeschlossen und, wie ich meine, keineswegs zur reinen Provokation gegenübertritt. Dennoch werden die üblichen Anschuldigungen nach Kinostart gewiss nicht lange auf sich warten lassen. Und Lars wird sich genüsslich ins Fäustchen lachen, hat er mit NYMPHOMANIAC doch bereits vorab auf alles die richtige Antwort gegeben.
Bis dahin überlege ich, warum ich mich einmal mehr unweigerlich so stark mit einer von Trier-Protagonistin identifiziere – obwohl es mir dieses Mal der reinen Faktenlage nach doch eigentlich schwerer fallen sollte als gewöhnlich, denn ich bin keine Nymphomanin. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass auch mir eine große Wut (wobei ich Gewalt verabscheue und keiner Fliege etwas antun könnte) ebenso wie eine fast schon übertriebene Fragilität bestens vertraut ist und ich – genau wie Joe in der Selbsthilfegruppe – ins Bodenlose falle, wenn ich versuche, mir emotionale Normalität (also das, was Ausgeglichenheit meint) einfach aufzuzwängen. Bestimmt klingt das widersprüchlich, aber wir alle bestehen aus Widersprüchen, sind im Grunde andauernd hin- und her gerissen zwischen sich bekämpfenden Prinzipien. Bloß: Die Frauen in Lars von Triers Filmen unterdrücken das nicht, sondern (er)leben absolut und mit allen leidvollen Konsequenzen. Darum sind sie für mich stark, nicht schwach.
Es fühlt sich dann so an, als hätte ich einen Spiegel vor mir... und als würde dieser kleine, unscheinbare Däne darin einfach etwas sehr viel Schöneres erblicken als ich, die sich direkt angewidert abwendet. Ich kann nur jedem wünschen, ein ähnliches Pendant in der Kunst für sich anzutreffen. Joe im Film demgegenüber hat am Ende - auch, wenn es für sie ein schwacher Trost ist und sie dafür sehr hoch klettern musste - wenigstens ihren Seelenbaum gefunden. Und ich meinen Seelenregisseur.