Jenny von T - Kommentare
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Alle Kommentare von Jenny von T
Guter Mann! ♥ Seine Aussage, Filme seien so schlecht wie noch nie, ist zwar hart, zumindest bezogen auf den aktuellen Mainstream aber wohl nicht ganz von der Hand zu weisen... wenn man sich einmal ansieht, was heute das meiste Geld einspielt: Transformers, Superhelden, Fast & The Furious, usw..
Damit sage ich nicht, dass es grundsätzlich kein eskapistisch ausgerichtetes Kino geben darf (im Übrigen müssen Anspruch und Spaß einander nicht ausschließen, im Gegenteil...), aber das Verhältnis zwischen Erfolg und Qualität scheint momentan im Großen und Ganzen doch mehr als verzerrt. Echte Persönlichkeiten (wie auch Hoffman eine ist) werden in der Branche immer seltener, die meisten "Stars" sind nur noch Sternschnuppen.
Ich hoffe sehr, dass das Publikum irgendwann wieder stärker auf sein Recht auf Kunst pochen wird - denn erst durch entsprechende Signale kann auch "oben", also bei den Produzenten und Geldgebern ein Umdenken stattfinden. Sonst wird die nächste oder spätestens übernächste Generation Filme wie THE GRADUATE oder ALL THE PRESIDENT'S MEN gar nicht mehr kennen...
BARRY LYNDON ist die Herbstallee unter den Filmen. Und damit meine ich nicht irgendeine, sondern die schönste, betörendste, erhabenste, die die Phantasie hergibt. Ein Meer aus Gelb und Rot, unter den Füßen raschelt es. Die abkühlende, reinige Luft riecht niemals so gut wie zu dieser Jahreszeit. Doch es wird nicht so bleiben. Schmerzlicher noch: Diese unübertreffliche Pracht ist bereits Zeugnis des Verfalls. Eigentlich möchte man über Kubrick gar keine Filmkritik schreiben. Eher schon Gedichte, Opern, Symphonien.
Was er hier in ewiger Grazie gebannt hat, ist eine Abhandlung der biblischen Weisheit, welche besagt, dass Sturm ernten wird, wer Wind sät. Zu Beginn verliert Barry seine große Liebe an einen renommierten, britischen Offizier und wird dazu durch einen fiesen Trick aus der irischen Heimat vertrieben. Daraus glaubt er zu lernen, dass Rücksichtslosigkeit und Lügen zum Erfolg führen und so wird ihn die frühe Erfahrung für immer formen. Auf seinen Pfaden trifft er oft die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt, verhält sich zu den meisten von ihnen jedoch nur so lange loyal, wie sie ihm von Nutzen sind. Ein Freund stirbt in seinen Armen. Den Platz an der Sonne besteigt er im Wesentlichen durch Glück und Gaunerei. Von der stellenweise ironischen Off-Stimme sollten wir uns nicht beirren lassen.
Was Barry aber nicht voraussah, war die Möglichkeit, es könne sich eines Tages alles gegen ihn wenden. Die Einsicht erfolgt, allerdings zu spät. Jene Tatsache wandelt ihn rückblickend zwar auch nicht unbedingt zu einer sympathischen Figur – aber zu einer tragischen, wie man sie sich kaum besser ausdenken könnte. Und wenn Lady Lyndon in der letzten Szene gedankenvoll den jährlichen Scheck an ihren nunmehr verarmten Ex-Gatten ausstellt, müssen wir befürchten, dieser Zirkel werde niemals enden:
Der junge Barry verliert seine Geliebte und hasst den Konkurrenten. Lord Bullingdon verliert die Mutter und verflucht seinen egozentrischen, überheblichen, manchmal gewalttätigen Stiefvater Barry. Der Moment, als der vom Pferd gefallene Bryan Lyndon am Sterbett seinen Eltern das Versprechen abringt, weiter einander zu lieben, damit man sich im Himmel wieder sehe, vollführt den vielleicht heftigsten emotionalen Bruch, der im frostigen Windschatten des Scheiterns denkbar war. Zum Letzten Mal erzählt Barry seinem kleinen Sohn die Helden-Anekdote aus dem Krieg, die natürlich nur erfunden ist. Ein Herz überschlägt sich im Auge des Sturms.
Für mich ist es ein Film über den Umgang mit Schmerz und Niederlage. Das Motiv dehnt sich über die vollen drei Stunden. Irgendwann kommt er wie ein Donnerschlag durch unsere stille Allee gepoltert, der übermächtige Stein, der uns überrollt. Danach haben wir zwei Optionen: Wir können liegen bleiben und womöglich Nahestehende mit zu Boden drücken – oder wir können zumindest versuchen, langsam wieder aufzustehen. An diesem Punkt möchte ich gar nicht altklug daher reden, denn ich weiß sehr gut um den Rucksack auf dem Rücken, der mit den Jahren gewiss nicht leichter wird. Dass für BARRY LYNDON und seinen Protagonisten kein Happy End vorbestimmt ist, wird demnach seine berechtigten Gründe haben. Selbst, wenn wir uns schließlich überwinden, die Waffen niederlegen und die zweite Wange hinhalten, müssen wir darauf gefasst sein, Prügel einzustecken. Schlimmstenfalls geht es dann wieder von vorne los. Wozu das alles?
Stanley Kubrick zeigt uns: Es gibt nur ein Akzeptieren oder Vergeben, aber niemals ein Vergessen. Manche Entscheidungen haben wir darum innerlich bereits getroffen, bevor die Frage dringlich wurde. Und die Last der prägenden Erinnerung überkommt uns wie der Nebel im November.
Die "wichtigsten" Film-Charaktere aller Zeiten sollen das hier sein? Ich finde, das kann man auch gut und gerne anders sehen. Die "kultigsten" beschreibt diese Aufzählung wohl besser. Am meisten Tiefe erreicht von den genannten Figuren meiner Meinung nach noch Ellen Ripley... die einzige Frau in der Top 10. Würde ich so eine Liste erstellen, wären auf jeden Fall dabei:
- Alex DeLarge (A CLOCKWORK ORANGE)
- Travis Bickle (TAXI DRIVER)
- Norman Bates (PSYCHO)
- Michael Corleone (DER PATE)
- Benjamin Braddock (DIE REIFEPRÜFUNG)
- Randle McMurphy (EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST)
- Harry Caul (DER DIALOG)
- Donnie Darko
- Alvy Singer (DER STADTNEUROTIKER)
- Bess McNeill (BREAKING THE WAVES)
- Judy Barton/Madeleine Elster (VERTIGO)
- Marge Gunderson (FARGO)
- Die Braut (KILL BILL)
- Jane Hudson (WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE?)
- Margo Channing (ALL ABOUT EVE)
- Maria Ceccarelli (DIE NÄCHTE DER CABIRIA)
- Lee Holloway (SECRETARY)
- Séverine Serizy (BELLE DE JOUR)
- Elisabet Vogler (PERSONA)
Ich kann mir nicht helfen, aber Filme wie dieser beginnen allmählich, mich zu frustrieren. Dabei ließe sich doch durchaus Tiefgründiges und Kontemporäres erzählen über Pärchen um die 40, die sich in wichtigen Bereichen langsam unter Zugzwang sehen. Kinder kriegen? Haus bauen? Beruflich nochmal die Zügel anziehen? Die Zeit zurückdrehen? Oder in Selbstmitleid versinken wegen jener Chancen, die bereits vorbeigezogen sind? Alles nicht so einfach, wenn das Umfeld gewisse Entscheidungen vorlebt, man selbst aber zögerlich hinterherhinkt bzw. gar nicht wirklich weiß, ob man da überhaupt mitziehen möchte. Umso frustrierender, dass gerade der vermeintliche Quell allen Übels – das Älterwerden an sich – nicht in unseren Händen liegt, sondern eine Tatsache darstellt, die uns irgendwann einholt.
Vielleicht ja aus diesem Grund entscheiden sich so viele Autoren und Regisseure, ihrem Publikum nicht noch mehr seelische Qualen aufzubürden als die Realität es ohnehin schon tut. WHILE WE'RE YOUNG bildet hier leider keine Ausnahme. Die flippig-verschlagenen Jungspunde Adam Driver und Amanda Seyfried bringen die ohnehin wankelmütige Beziehung von Ben Stiller und Naomi Watts ganz schön durcheinander und stürzen die beiden Mittvierziger in eine echte Midlife-Crisis, während Noah Baumbach daneben einen verwirrend ausschweifenden theoretischen Diskurs über Subjektivität, Authentizität und Wahrheit im Dokumentarfilm aufzieht, dessen höheren Sinn im Gesamtgefüge wohl nur er alleine kennt. Ich habe nicht recht verstanden, was er überhaupt erzählen möchte und zu welchen Ergebnissen er gelangt.
Was ich allerdings mindestens genauso vermisse wie ein kompaktes, kraftvolles, zielgerichtetes Drehbuch, ist Mut. Ich schätze, ich – weil es eben von der ersten Minute an so vorhersehbar ist - spoilere nicht großartig, wenn ich verrate, dass die Geschichte in einem wohlgefälligen Lächeln der Konventionen endet. Und es treibt mich zur Verzweiflung. Wenn zwei Menschen – zum Beispiel, weil sie sich selbst noch nicht gefunden haben – das Kinder-Thema hinten anstellen oder - oh, was ein Verbrechen! - schlicht weiterhin ihre Freiheit genießen möchten... warum gesteht ein Film ihnen dann nicht einfach zu, auch ohne Nachwuchs existieren zu können? Es ist eine, in meinen Augen, seltsame Definition von Verantwortung und Reife, die uns serviert wird. Ich habe sehr viel mehr Respekt übrig für ein Pärchen, das sich eingesteht (und auch offen damit umgeht), mit der Erziehung von Kindern wahrscheinlich überfordert zu sein als für ein solches, das sich letztlich mehr aus Verlegenheit oder der hochnaiven (wie auch egoistischen) Hoffnung heraus, ein Baby werde auf einen Schlag alle Probleme lösen und sicher neuen Schwung bringen, dem gesellschaftlichen Familien-Stigma beugt, welches wohl noch immer in vielen Köpfen zirkuliert. Also warum nicht mal den anderen Weg einschlagen und herausfinden, was es bedeutet, "Nein" zu sagen?
Ja, vielleicht gehe ich ein bisschen weit mit meinen Vorwürfen gegenüber einem Film, der es wie hunderttausend andere seiner Zunft doch nur gut meint. Doch gerade das ist allzu häufig das Problem und mit falschen Streicheleinheiten niemandem geholfen. Speziell von Seiten Baumbachs, der mit FRANCES HA noch die Zwanglosigkeit des woman childs zelebrierte, verwundern nunmehr unterschwellig konservative Töne dieser Art. Ich mag nicht mehr.
Bei mir hat die erneute Begegnung mit JURASSIC PARK im Erwachsenenalter auch nicht funktioniert. Aber das ist hier absolute Nebensache, wenn es direkt im ersten Satz heißt, Steven Spielberg sei "kein guter Regisseur". Ich weiß nicht, warum Schmitt jnr. offenbar glaubt, Werte wie Toleranz, Solidarität oder einfach menschliche Größe seien obsolet geworden. Dass sie es nicht sind, offenbart bereits der tägliche Blick in die Zeitung.
Ja, Spielberg schielte natürlich immer aufs Einspielergebnis und viele seiner Filme kommen denkbar naiv daher - aber er ist, neben James Cameron oder Ang Lee, einer von ganz wenigen in Hollywood, die dem mittlerweile dominierenden Zynismus von Bay, Snyder, Superhelden und Co. etwas entgegensetzen... bis heute. Uns erinnert, dass Gewalt nicht die einzige Möglichkeit der Konfliktlösung ist. Familienkitsch gibt es oft übrigens auch bei Christopher Nolan, aber dort stört sich Schmitt offenbar nicht so sehr dran - möglicherweise, weil Nolan, wenn es zählt, immer Technokrat bleibt. Zartheit ist etwas, das man - leider nicht nur im Kino - erst einmal zulassen muss und (wie sich an Schmitt jnr. ja des Öfteren zeigt) vor allem auch nicht aus Büchern lernen kann. Zwar bin ich selbst kein Spielberg-Mega-Fan, aber missen möchte ich ihn, allein aus den genannten Gründen, ganz gewiss nicht.
Und falls ich irgendwann Kinder haben sollte und dann eines Tages vor der Wahl stehe, ob ich ihnen beispielsweise E.T. oder THE DARK KNIGHT RISES in den Player lege... die Entscheidung wird verdammt schnell getroffen sein.
Arbeiten, um zu leben oder leben, um zu arbeiten? Dies ist eine zentrale Frage, die THE ONLY SON von Yasujirō Ozu seinem Publikum 1936 mit auf den Weg gibt. Vor dem Hintergrund der prekären Wirtschaftslage des Japans der 20’er und 30’er Jahre thematisiert der Film die Auswirkungen eben dieser auf Zusammenhalt und Individuum.
Die Kernfiguren hierbei bilden die verwitwete O-Tsune sowie ihr Sohn Ryōsuke. Obwohl das Geld knapp ist, gelingt es der einfachen, aber ehrgeizigen Arbeiterin, ihrem einzigen Nachkommen eine College-Ausbildung zu ermöglichen. 13 Jahre später jedoch werden im Rahmen eines Wiedersehens beide damit konfrontiert, dass die Dinge nicht nach Plan verliefen. Zwar hat Ryōsuke mittlerweile eine eigene, kleine Familie gegründet, schlägt sich finanziell aber als Lehrer an einer Abendschule durch. Es ist ihm – wie vielen anderen - nicht gelungen, in der Metropole Tokio eine vorzeigbare Karriere einzuschlagen, was ihn und O-Tsune gleichermaßen bedrückt. Während Ryōsuke beschämt fürchtet, vor seiner Mutter versagt zu haben, weckt er auch in ihr die Angst, alle Mühen von damals könnten umsonst gewesen sein, denn ein Zustand finanzieller Sicherheit scheint nunmehr für alle Beteiligten in weiter Ferne. So sehr sie einerseits versucht, das Gewissen ihres Sohnes zu beruhigen – ihre Sorge und Enttäuschung, welche in vielschichtiger, komplexer Weise zu Tage tritt, bleiben dem Zuschauer nicht verborgen.
Ich glaube, THE ONLY SON muss zu Ozus traurigsten Familienalben gezählt werden. Natürlich kann man es Eltern nur schwer vorwerfen, wenn sie sich für ihr Kind aufreiben, weil sie nun einmal die besten Voraussetzungen schaffen wollen. Ebenso allerdings unterstreicht der Regisseur, dass jener Druck, der daraus wächst, die Parteien möglicherweise lähmt und irgendwann entzweit. Er würdigt die Opfer, die manche Menschen für den Erfolg und das Wohlergehen zu bringen bereit sind, bedauert/beklagt aber gleichzeitig eine Gesellschaft, die darauf baut.
"Streng dich an, damit etwas aus dir wird!" – ein Satz, der schon über viele Lippen kam. Doch warum? Sind wir nicht bereits aus uns selbst heraus "etwas"? Und ist das nicht genug? Knapp 80 Jahre nach seiner Entstehung geht der Film praktisch fließend zu uns über, und damit in eine Zeit, in der man hauptsächlich an dem gemessen wird, was man "ist" (Pardon: *Geworden* ist) und was man leistet.
Gar nicht genug loben kann man die Schlichtheit, mit der Ozu solche Probleme routiniert durchdrang und aufbereitete. Nie wird es bei ihm laut oder auch nur Dramatisches überbetont. Meistens sitzen die Protagonisten zusammen an einem Tisch, reden über Aktuelles wie Alltägliches und lächeln, während der Unterbau des Films plötzlich Unannehmlichkeiten hochspült, die eine oberflächlich empfundene Gemütlichkeit schließlich Lügen strafen. Trotzdem fühlt man sich gewärmt und mit Empathie überschüttet; so, als wolle Ozu mit gutem Beispiel vorangehen.
Dies tut er, indem er aufzeigt, dass nur die wenigsten Sachverhalte eine einfache Lösung kennen. Man stellt Erwartungen, denen wir wohl nicht ohne weiteres entsagen können. Die Kunst besteht womöglich darin, die Scheuklappen auszupacken und uns – eben, weil wir Menschen sind - nicht materialisieren zu lassen – immer empfänglich zu bleiben für jede noch so kleine Geste. Und wer weiß… vielleicht erkennen wir dann sehr wohl, was wirklich zählt im Leben.
Die heftigen Reaktion hier und auf Facebook auf diesen Artikel sprechen Bände - beinahe wie zu alten "Mr Vincent Vega eckt an"-Zeiten. Und das, weil man sich im Internet gegen Sexismus positioniert. Ich habe Melissa McCarthy bewusst erst in einem einzigen Film gesehen, aber irgendetwas muss sie ja an sich haben, das es vielen Leuten offenbar unmöglich macht, sie einfach still zu ignorieren (was - nicht zu vergessen - ja auch eine Option ist, wenn man einen Film oder eine(n) Darsteller(in) nicht mag). Vorne mit dabei ist hier auch die Ich-habe-nicht-aufgrund-ihres-Aussehens-ein-Problem-mit-Melissa McCarthy-sondern-weil-ihr-Humor-flach-ist-und-sie-nicht-schauspielern-kann-Fraktion, die sich offenbar in Rechtfertigungszwang wähnt, obwohl sie eigentlich gar nicht angesprochen wurde - denn in Vegas Text geht es ja schwerlich darum, der Frau um jeden Preis zu Füßen liegen zu müssen. Sachliche, fundierte Kritik ist IMMER in Ordnung. Nur verläuft der Grat zwischen eben jener und persönlichen, schlicht dummen Anfeindungen im Falle von Melissa McCarthy auffallend häufig denkbar schmal... abgesehen davon, dass ich einige der User, die sich angeblich so sehr an unsubtilem, niveaulosem Humor stören und dies, sobald es um McCarthy geht, nun plötzlich dauernd betonen müssen, gerne einmal fragen würde, wo sie denn waren, als beispielsweise die HANGOVER-Filme anliefen. Vielleicht im Kino? Aber gut, das ist eine andere Geschichte.
Danke, Rajko. ♥
Amour fou: Eine Liebe, die nach gewöhnlichen Maßstäben nicht vernünftig ist, da sie entweder keine Aussicht auf Bestand hat, oder nicht erkennbar ist, was die Verliebten auf Grund ihrer Gegensätzlichkeit miteinander verbindet. [Quelle: Wikipedia]
Mein Respekt an alle Verantwortlichen. Hier wurde vom Titel bis zum Abspann wirklich alles durchdacht und mit leiser Ironie gebrochen. Regisseurin Jessica Hausner wirft einen unkonventionellen Blick auf den deutschen Literaten Heinrich von Kleist und erklärt die Vorgänge seiner Zeit dabei mehr oder weniger für aktuell.
Kleist möchte Selbstmord begehen, aber fast noch wichtiger ist ihm – so will es der Film – das Finden einer Seelenverwandten, die diesen Weg mit ihm zusammen beschreitet, um der allgegenwärtigen Verlorenheit immerhin im Tode zu trotzen. Seine große Liebe Marie, die ihn gleich zweimal abweist, möchte weder von diesem Plan noch von Kleists amourösen Avancen etwas wissen, anders hingegen verhält es sich mit der jungen, etwas schlichten Henriette Vogel. Diese vermag er als Dame zweiter Wahl mit nicht allzu viel Mühe von einer gemeinsamen, inneren Bande der Traurigkeit zu überzeugen, obwohl auch er nicht richtig daran glaubt und sich (nein, sein Genie bewahrt ihn nicht davor) ähnlich wie ein verwirrter Teenager schon bald in einem Netz aus Selbstlügen wiederfindet – immer vor dem Hintergrund, dass eben keine Frau fürs Leben, sondern fürs Sterben gesucht wird.
Kaum besser ergeht es Henriette, die – umgeben von einem fürsorglichen, verständnisvollen Ehemann und einer wohlgeratenen Tochter – bis dahin nicht wesentlich an ihrem Dasein zweifelte. Erst, als Kleist sie über den "wahren Stand der Dinge" aufklärt, "erkennt" Henriette, dass niemand auf der Welt ihr etwas bedeutet und auch sie allen egal ist. Ihr wurde hier ein fataler Floh ins Ohr gesetzt, denn natürlich hängt individuelles Glück immer auch davon ab, inwieweit man bereit ist, sich realistische Ziele zu stecken oder hin und wieder das zu schätzen, was man bereits sein Eigen nennen darf. Doch erzähl’ das mal jemand einem Romantiker wie Kleist.
Andererseits sprießt aus ihrem plötzlichen, trostlosen Erwachen auch ein Fünkchen Wahrheit (oder mehr als nur das), denn möglicherweise hat Henriette durch die gramerfüllten Augen ihres hochbegabten Dichterfreunds etwas realisiert, das ich einmal als universelle Einsamkeit eines jeden Menschen beschreiben möchte. Zwar ist es möglich, sie einstweilen zu mildern, aber besiegt hat sie, davon ist auszugehen, noch niemand. Mit ihr verhält es sich wie mit so vielen betrüblichen Wahrheiten des Herzens: Lässt man sie nicht bis ins Gehirn vordringen, ist man zwar etwas dümmer, lebt aber auch fraglos unbeschwerter. Eine Lektion von AMOUR FOU lautet also: Melancholie kann ansteckend sein.
Bei Henriette führt sie sogar zu psychosomatisch bedingten, körperlichen Leiden. Als ein Arzt diagnostiziert, dass der jungen Frau nicht mehr viel Zeit bleibt, kommt sie auf Kleists Angebot zurück... allerdings nicht, wie er es gerne hätte, aus Zuneigung zu ihm, sondern wohl vorrangig, um das eigene Gebrechen zu verkürzen. Somit startet Jessica Hausner einen Diskurs über Egoismus (Henriette) und Sehnsüchte (Kleist), wie sie als wahre Liebe ausgegeben werden – und wenn dieses Thema mittlerweile seine Relevanz verwirkt haben sollte, dann weiß ich auch nicht weiter.
Jene Leere reflektiert AMOUR FOU zudem auf formaler Ebene. Die Geschichte ist gepresst in strenge Tableaus, die an Roy Andersson erinnern, wenngleich nicht so episch ausfallen wie bei dem kultigen Schweden. Die exaltierte Sprache (und Sprechweise) der Figuren wird einigen Zuschauern Toleranz abverlangen, erfüllt aber natürlich ihren Zweck im recht kuriosen Gesamtgefüge. Was entschieden verblüfft, ist die Nähe des Werks zum Schaffen des echten Heinrich von Kleist, der sich an die Strömung der Romantik anlehnte, jedoch auf doppelten Böden wandelnd stets einer Verklärung abschwor und oft auch subversiv war; Daher ist es am Ende vielleicht gar nicht so wichtig, ob man hier nun Zeuge einer Tragödie oder Komödie geworden ist – einen interessanten, zum Nachdenken anregenden Film gesehen hat man, hoffentlich, allemal.
• Die EFFI BRIEST könnte einen Neuanstrich vertragen. An dem Roman hat man sich bereits versucht, aber für meine Begriffe - Meister Fassbinder leider mit eingeschlossen - immer recht enttäuschend. Vorschlagen würde ich unbedingt Baz Luhrmann, weil er
a) mit Sicherheit auf seine ganze eigene, unverschämte Weise eine Menge postmodernen Pep in die Geschichte bringen, ein sinnlich-opulentes Kostümdrama auf die Leinwand zaubern würde und die Vorlage
b) ohnehin einige "seiner" Themen beinhaltet.
• Vielleicht mal wieder Hesses STEPPENWOLF, obgleich ein riskantes Unterfangen. Wie wäre es mit Aleksandr Sokurov, für das Groteske und den Weltschmerz? Spontan fällt mir auch noch Harmony Korine ein, aber ich glaube, das meine ich nicht wirklich ernst. ;-)
Für die Hauptrolle schwebt mir Harvey Keitel vor.
• FIFTY SHADES OF GREY, interpretiert von Adrian Lyne oder Paul Verhoeven.
• Bei Kafka wünscht man sich einerseits so sehr, dass es mal eine richtig gelungene Verfilmung gäbe. DIE VERWANDLUNG spielte schon hunderte Male in meinem Kopf. Aber let's face it: Das ist wohl einfach nicht auf die Leinwand zu bringen... wenn man einmal bedenkt, wer sich an diesem Jahrhundert-Autor schon alles die Zähne ausgebissen hat.
"Schwester Marguerite,
ich denke oft an dich.
Den ganzen Tag denke ich an dich.
Wenn ich am Morgen aufwache, denke ich an dich.
Wenn ich am Abend einschlafe, denke ich an dich.
Wenn ich Neues lerne, denke ich an dich.
Bis jetzt habe ich so viel gelernt.
Wenn du mich vom Himmel aus siehst, bist du hoffentlich stolz auf mich."
Ein Kind ohne soziale oder kommunikative Prägung wird durch einen passionierten Mentor auf den Weg gebracht. Nein, diese Erzählung ist nicht neu. Verschieden im Detail und mit – auch in der Stimmungssetzung - variierenden Schwerpunkten nahmen sich bereits einige Regisseure ihrer an, darunter François Truffaut in DER WOLFSJUNGE. Was könnte man dagegen einwenden? Diese Begebenheiten haben sich tatsächlich zugetragen und sollten unbedingt erhalten bleiben, damit auch wir staunen und lernen.
DIE STIMME DES HERZENS schildert – ausgehend von einer berührenden humanistischen Einsicht - die Entwicklung seiner jungen Protagonistin im Gleichschritt als natürlichen Impuls und Wunder. Marie Heurtin kann von Geburt an weder hören noch sehen. Für uns ist praktisch unvorstellbar, was alles ihr verschlossen bleiben muss. Da die verängstigte, bis dahin nur ihre Eltern gewöhnte Marie sich kaum bändigen lässt (sofort flüchtet sie auf einen Baum), wird sie zunächst von den Ordensschwestern im Kloster abgelehnt. Eine der Nonnen jedoch, Marguerite, erfährt bei dem ersten Kontakt wohl etwas, das man als Eingebung bezeichnen darf ("Heute bin ich einer Seele begegnet."). Sie verschreibt sich, obwohl gesundheitlich angeschlagen, dem Mädchen fortan mit allem, was sie hat - bis hin zur Selbstaufgabe.
Dass zwischen den beiden nach vielen und noch kommenden Hindernissen schließlich eine Bindung entstehen und Marie individuelle Fortschritte machen wird, um sodann im Kreis des Miteinanders anzukommen, steht bei Jean-Pierre Améris – es sei nicht geleugnet – auf dramaturgisch dünnem, zeilenweise melodramatischem, in jedem Fall aber bekanntem Papier geschrieben. Er verkürzt, vereinfacht, opfert komplexe Prozesse des Prägens, Erlebens und Begreifens, wogegen der eingangs erwähnte Truffaut geneigt ist, jeden Stein umzudrehen.
Was dieses Werk aus Frankreich allerdings zu einem schillernden Rubin färbt und formt, ist seine menschliche Größe. Das sanft-intensive, nahezu mystisch zusammenwirkende Spiel der Hauptdarstellerinnen (Ariana Rivoire ist im Übrigen wirklich taub) hebt ihn in ungeahnte Sphären. Der Zuschauer rätselt, was es ist, das zwischen ihnen existieren mag, wenn Marie Marguerites Gesicht ertastet und dort Vertrautheit findet: Mütterlichkeit? Schwesternschaft? Liebe? Oder eine Empfindung jenseits davon? Mein Kopf verwehrt mir, dafür ein Wort zu benennen, doch bin ich – was mich mit Glück erfüllt - daran erinnert, dass es Elemente zwischen Himmel und Erde geben muss, deren unbändige Herrlichkeit sich einer rationalen Fassungsgabe (,die uns möglicherweise weniger zuträgt, als wir gemeinhin glauben,) entzieht. Jene sind hier in Anmut, Echtheit und Einfachheit auf Film gebannt. Welche Spezies auch immer auf unsere folgen mag: Hoffentlich birgt sie ihn sicher. Und bestimmt wird man überrascht sein von seiner Nachwirkung, die lange gar nicht lesbar war. Oder zumindest - ein Verweis auf den deutschen Verleihtitel drängt sich nun auf – nicht in einer weltlichen Sprache.
Schauen wir also einmal in den Spiegel des Himmels. Worüber besteht Gewissheit? Über unsichtbare Bänder? Über die Einheit der Dinge? Den Kreislauf des Lebens?
Mal versucht, einen Sonnenstrahl zu greifen? Heute wäre ein schöner Tag dafür.
Wenn WHO AM I als neues Aushängeschild des deutschen Films gefeiert wird, kann es um selbigen eigentlich nur rabenschwarz bestellt sein – das wiederum aber möchte ich einfach nicht glauben. Als Rattenfänger macht dieser falsche Fünfziger, so viel sei ihm zugestanden, eine Menge her. Die Beteiligten haben offenbar im Schlaf verinnerlicht, was überwiegende Teile der heutigen Zuschauerschaft sehen wollen: Aufgemotzte Plagiate statt Wagemut und neuen Ideen, ausgetretene Pfade statt unerkundeten Gebieten und dichtem Gestrüpp, durch das man erst einmal den Weg bahnen und so manchen Kratzer auf der Haut in Kauf nehmen muss... wenn sich denn jemand bereit dazu erklärte, voran zu gehen – Baran bo Odar jedenfalls schweigt sich aus. Hauptsache, niemand bleibt zurück oder verlässt womöglich – Himmel nein! – verunsichert das Kino.
CLAY (für "Clowns laughing at you") nunmehr lautet der Name seiner zentralen Hackerbande – ich lache über diesen Film.
Vom genialen Außenseiter (Tom Schilling) bis zum "charismatischen" (in Anführungszeichen, weil verkörpert von Elyas M'Barek) Großmaul (keine Anführungszeichen) nimmt jede der Figuren ihren festen Platz ein und hat sich, allen Kaninchentricks zum Trotz, am Ende keinen Millimeter voran bewegt oder gar eine zweite Facette gezeigt - es sei denn, man lässt die neue Haarfarbe des Protagonisten als solche gelten. Lieber füttert man uns mit hanebüchenen Konstruktionen, Albernheiten und ungemein wichtigen Details. Beispielsweise dem Tyler Durden-Poster in Benjamins Wohnung, damit auch die letzte Schildkröte erfasst, welchem Leitstern wohl Tribut gezollt wird. Ein richtig mieser Abklatsch wird Odars Hymne für die Halbstarken allerdings erst dadurch, dass sie ihr Vorbild missversteht… denn wo FIGHT CLUB irgendwann zur Ruhe kommt und harte Männerträume ins Reich der Illusionen schickt, da setzt der deutsche Genre-Beitrag noch einen tollkühnen Twist drauf und schlägt die Rolle rückwärts auf dem Schiffsdampfer. Schon echt coole, starke und pfiffige Typen, diese CLAY-Jungs.
Am Ehrlichsten aber treten sie dann in Erscheinung, wenn die Gang ihre Clowns-Masken aufsetzt und damit als Avatar zumindest symbolisch Pate steht für die gesamte Schein-oder-Sein-Farce in ihrer Gesichtslosig- und Lächerlichkeit. Nominiert als bester Spielfilm für den Deutschen Filmpreis, während Dominik Graf in die Röhre schaut - ein Fehler in der Matrix. Vielleicht (hier: hoffentlich) ist unsere Welt ja doch nicht real.
Was hat die Zeit bloß mit diesem Klassiker angestellt? "Langweilig" und "kitschig" liest man recht häufig über ihn. In der Tat verlangt OUT OF AFRICA nach 30 Jahren etwas Geduld ab und sein Verständnis von Schönheit mag ein recht altmodisches sein – aber muss man ihm das vorwerfen?
Der Film erwacht zu einem betörenden Sonnenaufgang, obwohl ein Sonnenuntergang ihm eigentlich besser zu Gesicht stünde. Dazu spielt Mozarts Klarinettenkonzert, und das wiederum passt. Erst wenige Tage zuvor war mir das Stück schon einmal zufällig (?) in der Komödie PRÉPAREZ VOS MOUCHOIRS von Bertrand Blier begegnet. Dort heißt es: "Das ist ganz bestimmt die Musik eines Typen, der nie Glück in der Liebe hatte." Man scheint sich einig zu sein – erst, wo der Mensch hadert und verzweifelt, da erblüht die Kunst. Manchmal zeigt sie sich untröstlich, wenn sie in uns hineinschaut, aber welche Wahl hätte sie hier?
In der Liaison zwischen der wohlhabenden Dänin Karen Blixen und dem Großwildjäger Denys Finch Hatton treffen in Kenia zwei Prinzipien aufeinander, welche – ein Fass ohne Boden - schließlich in die Überlegung münden, was eigentlich Liebe ist. Sie wünscht sich nach einer gescheiterten Vernunftehe eine feste Bindung ohne Ungewissheiten, die auf Nähe und Geborgenheit basiert, er jedoch besteht auf seine Unabhängigkeit, braucht keinen Ring und keine Urkunde als formelle Beglaubigung seiner Zuneigung. Sie fragt: Was bedeutet Liebe ohne ein Bekenntnis zum anderen? Er fragt: Welchen Wert hat eine Liebe, die man sich erst tagtäglich und auch durch Verzicht und Kompromisse neu beweisen muss, um von ihr überzeugt zu sein? Zweifellos wissen sowohl Denys als auch Karen gute Argumente auf ihrer Seite. OUT OF AFRICA ist gerichtet an ein Publikum, das entweder genug Lebenserfahrung oder genug Interesse an seelischen Befindlichkeiten mitbringt, um beide Standpunkte nachzuvollziehen; soweit denn überhaupt von verhandelbaren "Standpunkten" die Rede sein kann - Karen und Denys sind letztlich erfüllt von unterschiedlichen Ängsten und Sehnsüchten, die sie sich kaum ausgesucht haben, wobei vor einer strikten Zuteilung in "Leidenschaft vs. Freiheit" nur gewarnt werden kann. Die Verschmelzung wird spätestens deutlich, als Denys – erschöpft, weil nun selbst vereinnahmt von der Gefühlsachterbahn – Karen später in einer Schlüsselszene offenbart, sie habe ihm das Alleinsein ruiniert. Ein Satz, umfangreich in Bedeutung, Tragweite und Tragik. Doch die Baronin muss ebenfalls erkennen, von ihrem Begehren betrogen worden zu sein, als sie mit leeren Händen einsieht, dass weder Denys noch irgendjemand sonst ihr jemals gehört hat. Womöglich nicht einmal "ihre" Farm, denn OUT OF AFRICA überzeugt als kritisches Geschichtskolorit über das Besitzen in mehrfachem Sinne: Unter Staaten sowie in der Liebe - "We're not owners here, we're just passing through."
Eine nicht unwichtige Position nimmt dazwischen Karens erster Mann Bror von Blixen-Finecke (gespielt von Klaus Maria Brandauer) ein, der sie zunächst nach Afrika begleitet: Als geschäftsuntüchtiger Schwerenöter, der – so scheint es - sporadisch-elegant in den Film hineindrängt, wann immer ihm gerade der Sinn danach steht, präsentiert auch er sich wahrlich nicht als Patron von Verantwortung, gleichsam jedoch erweckt er unter den Stützen dieses Dreiecks den Eindruck, am Leichtesten zurechtzukommen – vielleicht ja wirklich deshalb, weil er bei allem Egoismus einfach in den Tag hinein rennt, wogegen Redford und Streep sich ihre hübschen Köpfe über die Zukunft zermatern. Davon kann man natürlich halten, was man will – Regisseur Sydney Pollack ist beinahe anmaßend ehrlich dafür, die Figur mit ihrer luftigen Philosophie nicht zu verurteilen. Im Gegenteil: Weder Karens Infizierung mit Syphilis durch den eigenen Ehemann noch das etwas dreiste Erscheinen ihres neuen Partners Finch Hatton auf der Veranda vor Baron Brors Augen hindert das adelige (Ex-)Paar daran, weiterhin taktvoll miteinander umzugehen. Dass der idealistischen Protagonistin allerdings weder mit ihrem besten Freund noch auf klassisch romantischem Wege langfristiges Glück vergönnt ist, stimmt mehr oder minder depressiv – ungewöhnlich depressiv zumindest für einen Film, der 7 Oscars gewann. Dennoch bekommt man Lust, die Koffer zu packen, die Welt zu bereisen und einen Fluss zu finden, der niemals austrocknet. Ein phantastisches Werk, das wiederentdeckt werden möchte.
Also diese Tirade geht doch mal runter wie Öl, für mich durchaus auch in ihrer Absolutheit. Mir zumindest ist kein einziger Marvel-Film bekannt, der in Sachen Originalität oder gar Tiefe Bäume ausreißt und richtet man den Blick einmal rüber zu DC, Batman und Zack Snyder, geht das künstlerische Nirwana doch nur weiter. Das Problem ist dabei gar nicht einmal, dass diese Comic-/Superhelden-Filme existieren (denn qualitativ eher minderwertige Kassenschlager gab es in praktisch jedem Jahrzehnt), sondern vielmehr, wie sehr sie über Wochen und Monate die großen Kinosäle dort verstopfen, wo auch anspruchsvoller, ambitionierter Mainstream zu finden sein könnte (aktuelles Beispiel: EX MACHINA). Sie sind sozusagen das Pendant zur Flut an französischen Wohlfühlkomödien, die dieser Tage wiederum dem Arthouse-Kino einen Bärendienst erweisen. Sowohl Produzenten als auch Zuschauer wollen einfach keine Risiken mehr eingehen.
Ich halte Atom Egoyan für einen der faszinierendsten Filmschaffenden, die wir haben. Nur selten in seiner Regie-Karriere ließ er den Zuschauer ohne eine Einladung zum Sinnieren und Nachdenken davonkommen - gerne über thematische Großkaliber wie tragischen Verlust und unseren Umgang damit, Schicksalszweige zwischen Vergangenheit und Gegenwart oder, ganz einfach, den Wunsch, irgendwo anzukommen. Wohl niemand hat das Vexierspiel des Erzählens durch Rückblenden (vielleicht wäre es angemessener, von einer Art Zeitgleiten zu sprechen) so sehr in den Dienst eben jener Suche gestellt, auf der wir uns alle befinden. Der Frage: "Was tun diese Personen?" ist eine andere, viel schwierigere vorgeschaltet, nämlich: "Wer sind sie?"
Egoyans beste Werke sind dabei ähnlich beschaffen wie menschliche Bedürfnisse und Sehnsüchte an sich: Aufgedröselt von oben betrachtet simpel, von innen hochkomplex und gedankenschwer verschleiert wie ein Wald im Herbstnebel. Sie spenden leisen Trost, so als hielte man fest den Schlüssel zu einer Tür in der Hand, die man auf langem Wege erst noch finden müsse.
Nach THE CAPTIVE allerdings kann ich von all dem leider nur noch aus meiner Erinnerung zehren, denn gemessen an Egoyans früherer Magie ist dieser Film mehr als bloß eine Enttäuschung. Wäre ich nicht zu 100% sicher, dass THE SWEET HEREAFTER, EXOTICA oder FELICIA'S JOURNEY kein Traum waren, ich müsste meinen Eingangssatz nun streichen.
Ein ungeschicktes Hin-und-Her-Changieren zwischen unübersichtlich vielen Zeitebenen, die eine Geschichte unnötig verkomplizieren statt den Blick aufs Wesentliche zu richten, kennt man von hunderten mäßigen Thrillern – nicht jedoch von diesem Regisseur und vor allem nicht in einem solch bedauerlichen Ausmaß. Am Liebsten möchte ich glauben, dass am ersten Drehtag ein gewaltiger Sturm am Set aufzog und einzelne Seiten des Drehbuchs mit sich riss, was die Beteiligten wiederum panisch dazu veranlasste, die Lücken mit improvisiertem, hohlem Plot zu füllen, ohne Rücksicht darauf, ob die Protagonisten im Film überhaupt nachvollziehbar handeln... zumindest fühlt es sich so an, wenngleich damit noch nicht die Fülle an Klischees erklärt wäre, welche die Figuren von vorne bis hinten erdrücken.
Ebenso schockiert die Darstellerführung (eigentlich eine Stärke von Egoyan!), die so schwach ist, dass sie sogar negativ, um nicht zu sagen verharmlosend auf das behandelte und ja doch ziemlich ernste Sujet der Kindesentführung – und Misshandlung zurückfällt: Das gekidnappte Opfer (Cassandra) verhält sich gegenüber seinem schmierigen, Mozart liebenden, beinahe cartoonmäßig überzeichneten Peiniger bockig wie ein launisches Gör. Als es beispielsweise darum geht, „unter Aufsicht“ des Pädophilenrings einmalig ihren Vater wieder sehen zu dürfen (welcher Kriminelle würde das erlauben bzw. sich einem solchen Risiko aussetzen, wenn es nicht unbedingt sein muss?!?), trägt sie ihr Anliegen vor wie ein kleines Mädchen, das nicht die gewünschte Barbiepuppe zu Weihnachten bekommen hat ("Aber du hast es versprochen!"). Kommt es nach 8 Jahren Gefangenschaft endlich zu besagtem Treffen, verwirrt Cassandra mit kryptischem Mumpitz. Das Anwerben "neuer" Kinder (sie wird als Lockvogel im Internet eingesetzt) bewältigt sie demgegenüber wie eine Schulaufgabe. Kurz überlegte ich, ob der Film womöglich ein Stockholm-Syndrom andeuten möchte, doch derlei Erwägungen täuschen wohl nur darüber hinweg, dass hier praktisch alles daneben gegangen ist.
Nicht minder holzschnittartig lässt das Skript die Eltern dastehen. Vater und Mutter schaffen es beide nicht, den Vorfall zu verarbeiten (wie auch, wenn der Verbleib der Tochter nie aufgeklärt wurde?) und trennen sich, da ihre Beziehung das Schweigen, die quälende Ungewissheit sowie latente Schuldgefühle – und Zuweisungen nicht verkraftet. Dem Film gelingt es zu keiner Sekunde, in sie hineinzusehen, obwohl Egoyan dies nach Erfahrungswerten mit verbundenen Augen kann und sich doch auf heimischem Terrain befindet. Warum in schlechtester Genre-Manier auch noch Rosario Dawson als Ermittlerin in das sich „zuspitzende“ Drama mit hineingezogen werden muss, entbehrt dann endgültig jeglichem Erklärungsansatz des Erwachsenenkinos, zumal THE CAPTIVE schon das Figuren-Grundkonstrukt um die zerbrochene Kleinfamilie nicht überzeugend zu händeln weiß. Allein die schneebedeckten Landschaften gemahnen an die melancholische Symbolkraft, wie sie einst wie Morgentau über THE SWEET HEREAFTER lag... doch die Spuren in Weiß, sie verwischen immer mehr.
Gaspar Noés Lieblingsfilm. Fachkundige werden bei der Meldung erahnen, was hier an Abgrund auf einen zubraust. Doch das genügt noch lange nicht. Die Konfrontation mit ANGST übersteigt zu Teilen das menschliche Vorstellungsvermögen, sodass ich selbst nicht weiß, warum ich überhaupt versuche, diesen Text zu schreiben... ich schätze, weil der Film mich so fertig gemacht hat, dass ich mich jemandem mitteilen muss.
Handlungsumriss: Soeben aus dem Gefängnis entlassener Mann bricht in ein abgelegenes Haus ein und tötet auf grausame Weise dessen drei Bewohner – eine schon etwas betagte, gesundheitlich angeschlagene Witwe, ihren behinderten Sohn im Rollstuhl sowie eine jüngere Frau, die eine Tochter oder das Hausmädchen sein könnte.
Meine Vorüberlegung betrifft ein altes Dilemma: Gibt es einen Weg für die Kunst, Gewalt moralisch "adäquat" darzustellen, also dergestalt, dass sie geschlossen abschreckt und jedweder Faszination entbehrt? Wir kennen die Möglichkeit der Überzeichnung oder Stilisierung, womit man sie aus ihrem realen Kontext reißt und riskiert, sich Vorwürfen der Verharmlosung auszusetzen. Beispiele existieren wie Wasser im Ozean. Bemüht sich ein Regisseur jedoch um eine lebensgetreue Darstellung, wird er in den allermeisten Fällen immer auch einem – wir können es leider nicht leugnen - natürlichen Voyeurismus in die Karten spielen – obwohl und gerade weil er nichts verzerrt oder ästhetisiert, sondern seinem Publikum den Eindrücken vermeintlich ungefiltert aussetzt. Michael Haneke löste das Problem, indem er starr beobachtete und dann einfach wegblendete, um damit den Zuschauer in dessen morbider Sensationsgier zu entlarven (ob er damit den Stein der Weisen ausgrub und für alle Zeiten einen Deckel auf das Thema schraubte, darf jeder für sich selbst entscheiden – wie hoch ich persönlich ihn schätze, ist ja kein Geheimnis).
Aber wie nun ist ANGST dort einzuordnen? Meiner Meinung nach beurteilt sich der Film höchst ambivalent. Er macht keine Gefangenen, bläst allerdings auch zum Katz-und-Maus-Spiel. Bestärkt durch einen wilden Schnitt dreht eine hysterisch-seekranke Kamera komplett frei, kippt und wirbelt durch die Gegend... Hauptsache, das Geschehen wird irgendwie eingefangen. Ob von oben, unten oder einer seitlichen Position. Von einer KameraFÜHRUNG kann im Grunde nicht mehr die Rede sein und ehrlich gesagt habe ich so etwas noch nicht gesehen. Der ohnehin bereits verstörende Kurs erfährt so eine unglaubliche Intensivierung, womit Regisseur Gerald Kargl für uns vor den Bildschirmen eine (filmische) Komplizen- und eben nicht bloß Beobachterschaft begründet, zu schwankenden Anteilen fesselnd und abstoßend.
Erschwerend hinzu tritt eine Reizüberflutung. Der Gewaltakt wird aus dem Off vom Täter begleitet ("echter" Dialog findet praktisch nicht statt), welcher mal von seiner schrecklichen Kindheit (ja – irgendwo stereotyp, immer alles damit erklären zu wollen, doch das Werk basiert nun einmal auf einer wahren Begebenheit) berichtet, mal allgemeine Einblicke in seine Persönlichkeit gewährt, mal "zurück kommt" und diesen konkreten Überall auf die Familie kommentiert, dessen Zeuge wir just werden. Wenn es heißt, dass seine Mutter ihn als Säugling nass einwickelte und auf die Fensterbank legte, damit er sich verkühle, sollte das normalerweise Mitgefühl hervorrufen, doch genau dieser Mann misshandelt und ermordet nun drei Menschen. Für uns verdoppeln sich Entsetzen und Ohnmacht. Gaspar Noé würde das Prinzip von Ursache und Wirkung später mit IRREVERSIBLE umkehren – Kargl trennt gar nicht erst.
Unangenehm bleibt es auch deshalb, da dem Betrachter zwar in gleich mehrfacher Hinsicht eine Nähe zu dem Sadisten aufgezwungen wird, sein Innenleben aber dennoch nicht zu fassen ist.
Beispielsweise beschreibt er seinen Zustand oft als "aufgeregt" – dass er dabei (vielleicht sogar vordergründig) eine sexuelle Erregung einschließt, wurde zumindest mir erst später richtig bewusst. Seine Sprache ist schlicht und direkt. ANGST Plattheit anzukreiden, greift meines Erachtens zu kurz, denn wir befinden uns hier, nicht zu vergessen, in der Gedankenwelt eines fixierten Triebtäters, der im Haus auf seine Opfer wartet, obwohl er noch gar nicht weiß, wen er antrifft. Es hätte schließlich auch von 5 oder 6 Personen bewohnt gewesen sein können, von denen er, auf sich allein gestellt, weitaus mehr Widerstand hätte erwarten müssen. Doch ist er derart fest zum Töten entschlossen, dass ihm selbst eine Ergreifung durch die Polizei oder gar der eigene Tod egal/recht ist (konkret äußert sich der Film am Schluss dazu), bzw. er bar jeder Verbrechervernunft definitiv zum Angriff übergegangen wäre.
Warum Michael Haneke nicht in allzu weiter Ferne steht:
Während der Tatausführung verläuft für die Hauptfigur nicht alles nach Plan. An einer Stelle muss er umdisponieren, später kommt ihm ein neuer widerlicher "Einfall", den er weiterverfolgen möchte (dank der Off-Stimme sind wir andauernd auf dem Laufenden, die Erzählstruktur folgt mithin einem psychologischen Zweck), was ebenso wenig gelingt. Ich möchte es nun nicht unbedingt so formulieren, dass der Zuschauer eine "Enttäuschung" erfährt, weil ihm die Teilnahme hieran verwehrt wird... aber ihr wisst sicher, was ich meine. Hervorheben möchte ich weiterhin, dass das Wort das Bild überdauert. Den größten Effekt auf mich hatten eben jene besagten Vorhaben, die der Täter NICHT mehr umsetzt und die mutterseelenallein in meinem Kopf Anker warfen. Die schiere Vorstellung, dass eine Menschenseele tatsächlich unbedingt zu einer solchen Tat (ich spoilere vorsichtshalber nicht, worum genau es geht) ansetzen will, löste in mir Übelkeit aus. Seltsame Schuldgefühle gesellten sich hinzu (ja, ja... "nur" ein Film...), weil ich 80 Minuten durchgestanden hatte. Den Rest erledigte meine Phantasie.
Einmal zerkaut und wieder ausgespuckt... so saß ich da als Maus, nicht als Katze. Ein klarer Fall von: Der wahre Horror beginnt erst nach dem Abspann.
Wem ich den Film empfehle? Dem, der das ertragen kann.
Wider Erwarten stehe ich zwischen allen Stühlen. Mit am Bedauernswertesten an BLACKHAT ist wahrscheinlich, dass Michael Mann es nicht gelingt, die Gefahren des Cyber-Terrorismus sowie die Vorgänge dahinter, überhaupt seine Unsichtbarkeit in Netzen und Verkabelungen für den Zuschauer erfahrbar zu machen. Der Protagonist sitzt vor einem Bildschirm, manipuliert ein Handy, Codes prasseln auf uns ein – die Auflösung bringt aber doch nur wieder der klassische Nahkampf. Schade, dass den Beteiligten nicht mehr eingefallen ist.
Man könnte also bilanzieren: Ziel verfehlt. Doch der Oldie des Action-Thrillers scheitert grandios, denn sein Film ist begnadet körperlich, und irgendwie auch begnadet technisch. Chris Hemsworth mag nicht als Schauspielgott auf die Welt gekommen sein, aber er bereichert dieses Werk mit einer Physis (ob auch Charisma weiß ich nicht so richtig...), die Johnny Depp und Christian Bale mit ihrer Starpower zuletzt in PUBLIC ENEMIES kollektiv schuldig geblieben waren.
Wenn ein Flugzeug in den Abendhimmel steigt oder die Rücklichter eines Autos uns enteilen, dann ist das bei Michael Mann gewissermaßen ein Erlebnis. Wie auch immer er das anstellt: Nachts ist es bei ihm nicht einfach nur dunkel, sondern kalt und aussichtslos. Ein leises Donnergrummeln denkt man sich dazu. Die Lichter einer Großstadt blinken genauso verlassen und klein wie die Sterne am Himmel. Und wir Menschen dazwischen. Dieses digitale Bild ist nicht mehr nur glatt, sondern manchmal auch klar - abgetastet von Mann mit den Schnurrhaaren einer Katze; Räume, Gassen, Straßen öffnen sich zu allen Seiten. Ich erahne, warum eine kleine, treue Fanbase ihren Held als strahlenden Avantgardist feiert.
Gerne würde ich nach diesem Satz den Füller niederlegen und über das Drehbuch den Mantel des Schweigens hüllen, aber ein filmischer Stromausfall wie hier lässt sich leider nicht vertuschen. Wer jedenfalls Wert auf gut ausgearbeitete, komplexe Figuren und klischeefreies Erzählen legt, dem wird es nach BLACKHAT möglicherweise so vorkommen, als habe er sich Gigabytes an lästiger Malware auf die Festplatte gesaugt. Der lückenhafte Plot qualifiziert sich als bestenfalls belanglos, die Macho-Checkliste (mein persönlicher Favorit: "Jetzt können Sie mich "Chica" nennen so oft Sie wollen.") ist abgehakt, die präzise Regie verschenkt. Ein Smoking allein macht noch keinen Edelmann.
Das ganze Elend breitet sich nun wie ein Teppich aus: Hartgesottene Veteranen rauer Old School Action haben vielleicht Probleme mit diesem radikal visuellen und insoweit modernen Verständnis des Mediums, Freunde des Charakterkinos lechzen vergeblich nach Tiefgang, vernünftigen Dialogen und neuen Ideen hinter Genre-Etiketten, die schon in den 90'ern ihr Verfallsdatum erreichten und welche großzügig zu übersehen mitunter einiges an Toleranz abverlangt. Es ist das Vermächtnis eines Michael Mann, der nach Mega-Hits wie HEAT seinen Weg ging, sich als Marke ein bisschen überlebt hat, es heute nur noch Wenigen Recht macht - mich ebenso ausgeschlossen.
"Erzählt davon, aber weist darüber hinaus!"
Genau das tut LEVIATHAN, Herr Schmitt. Ja, es ist ein Film über Russland, aber nur auf Mikroebene. Wovon er übergeordnet handelt, sind - unter anderem - die Verlockungen von Macht und deren Missbrauch. Damit packt Regisseur Zvyagintsev das Problem an seinem Kern und begreift es universell dort, wo der Mensch nun einmal Egoist ist. Korruption existiert nicht nur in Russland - was LEVIATHAN erzählt, betrifft vielmehr uns alle, in Europa, in Asien, in Amerika, in Australien. Wie also könnte dieser Film NOCH politischer sein?
Wenn ich hier demgegenüber lese, das Politische liege im Ästhetischen, muss ich die Stirn runzeln und erinnere mich an die Analyse zu AMERICAN SNIPER, den Herrn Schmitt nicht etwa aufgrund seiner Kriegstreiberei verurteilt, sondern weil der Film - Achtung! - "keine Kunst" sei. Auf mich wirkt das weltfremd. Wie unser Analytiker zu Leni Riefenstahl steht, möchte ich an dieser Stelle - glaube ich - lieber nicht wissen.
Tatsächlich: Ein oberflächlicher Film über Oberflächen. Doch was ist damit gewonnen? Mein Problem mit GONE GIRL ist nicht einmal unbedingt seine kritische Stellung zu Medien und Ehe – denn wo Regisseure beispielsweise an der romantischen Liebe (ver-)zweifelten, ist im Laufe der Filmgeschichte mitunter große Kunst hervor gegangen. Nun wird man natürlich differenzieren und auf eine Schräglage hinweisen, die zwangsläufig entsteht, wenn man David Fincher, der ja bekanntlich nur fremde Stoffe verfilmt und damit kein Auteur ist, mit, sagen wir, einem Michelangelo Antonioni vergleicht. Unbestreitbar ist aber auch: In seinen Werken schnibbelt der Star-Regisseur regelmäßig Themen von hoher zeitgeistlicher Relevanz an – wer das tut, von dem erwarte ich nun mal Ergebnisse, die diesem Anspruch auch gerecht werden und mir mehr bieten als entkeimte, audiovisuelle Spielereien. Vielleicht wirkt diese Meinung auf viele verbittert und verkrampft, aber Unaufrichtigkeit verärgert mich. Ich empfinde es als Betrug am mündigen Publikum. Und als respektlos gegenüber eben jenen relevanten Gegenständen, die zu reinen Unterhaltungszwecken verscherbelt werden. David Finchers eigentliche Gabe liegt offenbar – die Durchschnittswerte + zahlreichen Kommentare bei IMDb sowie hier sprechen Bände - in seiner Überzeugungskraft auf den Zuschauer, der ihm blind aus der Hand frisst und vielerorts glaubt, weit mehr serviert bekommen als ein Tiefkühlgericht gegen den schnellen Hunger. Teilnimmt an einem cineastischen Gottesdienst. Eine solcher will sich vor mir aber leider einfach nicht ausbreiten – wieder einmal.
GONE GIRL ist dabei in einem sehr traurigen Sinne radikal: Hier nämlich stürzt uns eine flüchtige und dabei doch bemerkenswert anklagende Betrachtung (eine meiner Meinung nach fatale Mischung…) von Personen und Geschehnissen in noch ganz andere Negativregionen. Es ist nicht bloß ein Film gegen die Liebe oder gegen mediale Berichterstattung – es ist ein Film gegen Menschen.
*SPOILER*
Wenn Amy Dunne komplett am Rad dreht, ist das etwas, das wir mit einem Eimer Popcorn im Arm einfach hinzunehmen haben. Und scheinbar auch gerne tun. Was ihr wohl als nächstes einfällt? Ob sie noch jemanden umsäbelt? Kommt es noch krasser? Bitte mehr davon! Ihr – bis hin zur Lächerlichkeit - immer irrationaleres Verhalten, ihre plötzlichen "Planänderungen" und unvorhersehbaren Schwankungen erklärt Fincher mit einem einzigen Satz: Sie ist eine Psychopathin. Und erteilt sich, indem er sie einer Horde Krokodilen in bequemen Kinosesseln ausliefert, einen Freibrief für deren Anfüttern mit vermeintlichen Abgründen, welche wahrscheinlich aber überwiegend an der Realität vorbei laufen (anderer Gedanke: Möglicherweise bin ja sogar ich die Wahnsinnige dafür, einen Film wie diesen für seine Lebensferne zu kritisieren. Aber sei's drum..) Nicht nur jedenfalls genügt mir das nicht, ich finde es unhaltbar zynisch, Amys Charakter nicht das geringste Interesse zu erweisen.
Warum überhaupt verachtet sich dieses Paar so sehr? Bin ich zu gutgläubig, wenn ich mich nicht ohne weiteres davon überzeugen lasse, dass Zuneigung mal eben so in puren Hass umschlägt? Ich sehe schon: Von den eigenen Eltern eine idealtypische Kinderbuchfigur vor die Nase gesetzt zu bekommen, an der man fortan gemessen wird, hat vermutlich seine Spuren hinterlassen. Und dann geht Affleck auch noch mit einer Jüngeren fremd. Fincher nagelt trockene Fakten an eine Pinnwand. Doch was passiert dazwischen und, vor allem, IN den Figuren? Das wäre doch die Königsdisziplin gewesen. Es behauptet ja niemand, dass der Film nicht trotzdem hätte spannend ausfallen können. Im Gegenteil! Wie aber vermittelt man das einem Regisseur, der Spannung ausschließlich über Handlung und niemals über die Handelnden definiert?
Prima ins Bild fügt sich dann, wie akribisch das Drehbuch offenbar jeden einzelnen Schritt zigfach durchdenkt und hysterisch umher rennt, um – es soll ja Leute geben, die sich einen Sport draus machen - besonders findigen Beobachtern die schelmische Freude an möglichen Logiklücken abzuschneiden (… die mir persönlich grundsätzlich relativ egal sind, soweit die Sorgfalt auf die wirklich wichtigen Aspekte verteilt ist – zum Beispiel auf die Figuren); wie eine total kaputte Socke, bei der man jedes Mal ein neues Loch einreißt, wenn man ein altes stopft. Amy wischt – damit es nach ihrem Mann aussieht - bewusst fahrlässig das Blut vom Küchenboden, lässt – damit die Polizei noch etwas damit anfangen kann - ihr Tagebuch nur leicht ankokeln, manipuliert die Überwachungskameras im Landhaus ihres Stalkers, schwängert sich mit eingefrorenem Sperma… Wow. So viel Plot und so wenig Inhalt. David Fincher an der Grenze zur Parodie. Denn auch reiner Plot erweist sich schnell als etwas enorm Oberflächliches, wenn der ganze interessante „Rest“, wie hier, dahinter anzustehen hat– was mich zurück zu meiner Ausgangsfrage führt: Wie kann Oberflächlichkeit ein Qualitätsmerkmal sein? Meta-Überlegungen (wie gesagt: Ein leerer Film über Leere) helfen mir da nicht weiter, sondern verklären die Sicht doch eher. In diesem Fall: Die Sicht auf ein bedenkliches Maß Misanthropie.
MOMMY ist wie dieses Mineralwasser mit extrem viel Kohlensäure. Wenn man nicht höllisch aufpasst, sprudelt es einem hoch in die Nase und man fürchtet einen Moment lang, zu ertrinken. Der Film quellt über vor Lebenslust und einer großen salzigen Träne im Augenwinkel, die es zu spät ist aufzuhalten. Die Szenen brettern wie eine Schicksals-Symphonie durch die Adern ihres noch immer blutjungen Regisseurs, eine nach der anderen. Einige von ihnen möchte ich mir noch hunderte Male anschauen.
In HERBSTSONATE fällt eine Zeile, die sinngemäß lautet: "Werden wir jemals aufhören, Mutter und Tochter zu sein?" Dolan, als bekennender Bewunderer von Ingmar Bergman, wird den Film bestimmt gesehen haben. Nicht zum ersten Mal widmet er sich der komplexen Beziehung zweier Personen, deren Liebe zueinander nicht klein zu kriegen ist, konterkariert von den Baustellen individueller Freiheit sowie gesellschaftlicher Akzeptanz. Manchmal redet Diane "Die" Després mit ihrem Sohn wie mit einem 4-Jährigen, nur Minuten später versteckt sie sich aus Furcht vor ihm und seinen unvermittelt auftretenden Aggressionen, dann wieder wirken sie beinahe wie Liebende. Dennoch begegnen sie sich jederzeit auf Augenhöhe. Das Selbstverständnis der Inszenierung lässt nur schwerlich bis gar nicht auf einen erst 25-Jährigen hinter der Kamera schließen – der leidenschaftliche Esprit und das jugendliche Pathos hingegen schon. Ich kenne im modernen Kino nichts Vergleichbares.
Hat eine Mutter überhaupt die Wahl, für ihr Kind einzustehen oder nicht? Aus persönlicher Erfahrung möchte ich fast sagen: Nein. Meine eigene Mutter machte nie Hehl daraus, dass sie nach zwei Söhnen unbedingt ein Mädchen haben wollte – ein "richtiges" Mädchen. Was sie allerdings bekam, war ein halber dritter Junge. Ich mochte keine Kleider anziehen, keine hübschen Frisuren tragen, gab mein Taschengeld für CDs statt für Klamotten aus, interessierte mich für Fußball statt für irgendwelche Schminktechniken und unterhalte bis heute so gut wie ausschließlich männliche Freundschaften. In zahlreichen Situationen des Alltags komme ich mir nicht besonders souverän oder erwachsen vor und nicht selten habe ich Angst, mich kaum weiterzuentwickeln. Mist gebaut habe ich ebenfalls nicht zu knapp. Oft denke ich, dass es mir allgemein leichter fiele, Anschluss zu finden, wenn ich eine ganz "normale", selbstbewusste Frau wäre. Ich bin bislang nicht nennenswert vielen Menschen begegnet, die mich wirklich für das akzeptieren wollten, was ich bin. Eine Mutter jedoch verschwindet nicht einfach so von der Bildfläche, was man auch davon halten mag. Und man selbst auch nicht von ihrer.
Steve wäre gern ein "guter Junge". Diane malt sich aus, wie er das College abschließt, heiratet, eine Familie gründet. Schließlich nimmt sie eine Kette als Geschenk entgegen, obwohl diese gestohlen ist und es vorher reichlich Drama gab. Sie legt sie einfach an; ein besonders schöner Ausdruck für das Verhältnis der beiden Hauptfiguren. Vielleicht, nein, mit Sicherheit, zweifelt sie an sich. Hat sie Fehler gemacht? Und natürlich möchte Steve etwas zurückgeben, Erwartungen erfüllen wie jeder von uns. Dabei ist die Bewältigung der Gegenwart schwierig genug. Als wie realistisch also erweist sich die Aufgabe für den verhaltensauffälligen Teenager? Die Mutter-Sohn-Verbindung muss gegen immanente Widerstände sowie die Bürde des Andersseins bestehen und dieses aussichtslose (?) Gefecht der Geborgenheit ist – mir fällt leider kein besseres Adjektiv ein - maximal gefühlserregend. Gibt es Überlebende? Was (und gegebenenfalls wen) sollen wir danach noch überwinden, um frei zu sein?
Zu Beginn wird Diane belehrt, sie werde Steve nicht allein durch ihre Liebe retten können. Oasis' WONDERWALL (bitte einmal genau auf die Texte der Songs achten, welche sich im Reißverschlussverfahren mit dem Subtext des Films ergänzen) setzt an, zu widersprechen, der Strom schwelgt in kurzen Phasen des Glücks, gefolgt von warmen Schauern und heftigen Wolkenbrüchen. Der Regen reinigt, aber er hat auch etwas mit sich fortgeschwemmt. Der Geruch der Luft danach dringt einem praktisch durch die Leinwand in die Nüstern (also wie Kohlensäure, nur in Bildern). Ist es vorbei oder hat es gerade erst angefangen? In den Köpfen verbleiben, nicht ausradierbar, Erinnerungen und Hoffnung. Wir alle kennen das. Hoffen bedeutet auch Angst vor dem Untergang des Traums – sonst hieße es Vertrauen. Und wer kann sich das schon leisten im Leben?
Mein Aufreger der Woche ist wieder einmal der "Aufreger der Woche". Patricia Arquette tweetete nach der Verleihung Folgendes:
"Guess which women are the most negatively effected in wage inequality? Women of color. #Equalpay for ALL women. Women stand together in this"
Damit sollte der Kuchen dann auch gegessen und klar sein, dass ihre Aussagen zuvor einfach ungeschickt formuliert waren.
Nicht zum ersten Mal steigert der Autor sich in etwas hinein ohne überhaupt richtig zu recherchieren oder einem erkennbaren Interesse an einer objektiven, vernünftigen Gesamtbetrachtung der Umstände. Hauptsache, irgendein "Aufreger" wird ohne neue Argumente von irgendwo aufgewärmt und nicht selten komplett ad absurdum geführt. Das geht sogar so weit, dass er FIFTY SHADES beschuldigt, Missbrauch und Vergewaltigung zu verherrlichen (ziemlich harter Vorwurf) ohne das Buch gelesen (oder den Film gesehen) zu haben. Sicher ist er weder der erste noch der einzige, der im Internet ahnungslos, aber dafür ziemlich laut draufhaut, aber nicht alle diese Leute haben für ihre Ergüsse auch noch eine eigene Rubrik auf der größten Filmseite Deutschlands zur Verfügung. Das ist der Unterschied. Mit seriösem Journalismus hat das hier absolut nichts zu tun. Ich verstehe ja, dass ihr Mr Vincent Vega bereits aus organisatorischen Gründen nicht einfach alle Artikel schreiben lassen könnt.. aber ist es wirklich dermaßen schwer, jemanden zu finden, der so eine Kolumne mit Geist und (rhetorischem) Pfeffer zu füllen imstande ist?
Dieses Spin-Off hat es in sich. Zurück in der Wüste – dem Ort, an dem zwielichtige Gestalten traditionell ihre Geschäfte klären - nehmen sich die Autoren Zeit für eine Charakter-Etablierung, die Fan-Sehnsüchte stillen dürfte. Was haben Saul Goodman a.k.a. James McGill a.k.a. Slippin' Jimmy und Walter White gemein, worin unterscheiden sie sich? Zweimal lautet die Antwort: In mehr Dingen als man vielleicht denkt. Beide werden im Fortlauf "ihres" jeweiligen Formats "Karriere" machen (Goodman vom erfolglosen Pflichtverteidiger zum - wie wir ja spätestens in BREAKING BAD erfahren - zwar nicht immer geliebten, aber immer irgendwo gebrauchten Komplizen der Gangsterbosse), jedoch unter voneinander stark abweichenden charakterlichen Vorzeichen.
Der gefeierte Serien-Tony Montana brillierte bekanntlich durch seine unbedingte Willenskraft, aus jeder noch so bedrohlichen Situation nicht nur lebend, sondern stinkreich hervorzugehen sowie eine zu Anfang ungeahnte physische wie psychische Belastbarkeit. Winkeladvokat Goodman andererseits leibt und lebt durch die ihm eigene Intelligenz, im Handumdrehen Menschen und Situationen zu lesen, seine Verschlagenheit, Manipulationsgabe und sein Mundwerk (sogar mit Sand zwischen den Zähnen). Verwundbarkeit: Vorhanden. Moralische Integrität: Nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich. Ihn hassen: Ausgeschlossen.
Beide reflektieren sie, als Täter wie Opfer, ein Prinzip, welches sich selbst genügt, aber ultimativ seine Kinder frisst – nennt es Kapitalismus, ein Zuviel an Freiheit für die Mächtigen, ein Zuwenig für den Rest, ein Bündel an ethischem Minus, das zum System geworden ist oder einfach ein System, das nicht ohne Anwälte bestehen kann. Anwälte wie Saul Goodman/James McGill/Slippin' Jimmy.
Ob BETTER CALL SAUL seiner schillernden Hauptfigur vertrauen und sich überzeugend von seinem großen Bruder emanzipieren wird, ist zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht vollends absehbar, das Potenzial allerdings im Überfluss vorhanden. Was bis jetzt zu sehen war, macht Lust auf mehr. Der Boden scheint bereitet für Blut, Schweiß und miefige Gerichtssäle.
Oh, extra für Paul Walker. Ein Schelm, wer wirtschaftliches Kalkül dahinter vermutet. Gut und praktisch jedenfalls, dass das Poster - ganz "dezent" - in der Mitte auch nochmal auf den Kinostart am 3. April hinweist. Schon ziemlich zynisch, wie hier der Tod eines Darstellers benutzt wird, um den Film anzukurbeln - aber vermutlich sagt das bereits alles aus über die FAST & FURIOUS-Reihe.
Ein bisschen traurig stimmt mich das (nicht nur hier) doch sehr durchwachsene Meinungsbild zu diesem nach meiner Ansicht tollen Werk. Lasse ich allerdings einmal die einschlägigen Kritikpunkte auf mich wirken, gewinne ich den Eindruck, dass in vielen Fällen eine fehlgeleitete und schließlich enttäuschte Erwartungshaltung um sich greift. THE GAMBLER ist nämlich ebenso wenig rauchiger Thrill über das Glücksspiel oder dubiose Undergrounds wie zum Beispiel DRIVE ein Film über Autorennen oder schicke Karren. Die Themen, auf die es hinausläuft, sind, wie übrigens auch die Figuren, existentiell und menschlich - Bewusstwerdung, Erlösung, und Neuanfang. Mark Wahlberg und Fjodor Dostojewski (nein, die Angabe in den Credits ist kein Scherz) vereint in einem Film: There you go.
Und irgendwie könnte dies in 11 Monaten sogar einer der romantischsten Filme des Jahres sein… zumindest nach meiner persönlichen Vorstellung von diesem Begriff, welcher nicht unbedingt mit Kerzenlicht oder Champagner trinken in der Badewanne zu tun haben muss (denn dann wäre es häufig gleichbedeutend mit schnell vergänglichem Kitsch). Ich sehe Romantik sehr oft dort, wo sich etwas abseits der Norm zuträgt – dort, wo Unverhofftes zusammenfindet und eine geheime Sehnsucht nach Idealen und Unwahrscheinlichkeiten gedeiht, man aber am Abgleich mit der Wirklichkeit traurig in die Röhre schauen muss, weil das "durchschnittliche", zivilisierte Leben nun einmal selten an den Wolken kratzt und diese Träume nie (auf Dauer/ohne Nebenwirkungen) erledigen kann (oder möchte). Dennoch ist es wichtig, dass wir uns sie bewahren. Auch, wie ich finde, zum hohen Preis der Illusion. Das macht uns zu tragischen Gestalten, aber auch zu dem, was wir sind.
Jim Bennett, der Hauptcharakter in THE GAMBLER, balanciert über diesem Abgrund. Seinen Literatur-Studenten predigt er, dass sie etwas einfach gar nicht erst weiter versuchen sollen, wenn sie es auf dem jeweiligen Gebiet nicht zur Perfektion bringen. Dieselben Maßstäbe legt er an sich selbst an – natürlich das Rezept schlechthin zum Unglücklichsein. Jims Hang zum Spiel ist der Versuch einer Ablenkung von innerer Leere und zerstörten Hoffnungen. Als seine Mutter ihm genug aushändigt, um innerhalb einer Wochenfrist seine Schulden bei gleich 3 Gangstern zu tilgen und damit sicher den eigenen Kopf zu retten... geht er wieder ins Casino und verzockt die Summe. Ja, das ist unglaublich und beinahe irrational, doch so verhält sich jemand, dem der Tod gleichgültig geworden ist. Mindestens gleichgültig genug, um es drauf ankommen zu lassen. Diejenigen, die sich nun verärgert darüber zeigen, dass ein gebildeter Universitäts-Professor so idiotisch handelt, verkennen womöglich, dass es genau darum geht – um das Nicht-akzeptieren-wollen der Bürgerlich- und Mittelmäßigkeit, wider der Vernunft.
Aber Regisseur Rupert Wyatt hat noch nicht das letzte Wort gesprochen. Auf eine erste Schicht schlafloser Melancholie folgt eine zweite, und der Film blüht auf zu einem sanften Großstadt-Märchen. Was machst du draus, wenn du im entscheidenden Moment einfach richtig Glück hast, obwohl niemand mehr (am Wenigsten du selbst) auf dich gewettet hätte? Stehen bleiben oder rennen? Ein Stoß des Schicksals lässt Bennett durch seine dunklen Brillengläser hindurch klar sehen und John Goodman darf sich ein "Fuck you!" abholen. Freiheit hat einen geringen Preis, aber einen hohen Wert. Zum Spieler wird Bennett eigentlich erst jetzt. Dafür ist er bereit, über sich hinaus zu wachsen – auch, wenn es "nur" bedeutet, (fast) alles hinter sich zu lassen, das er kennt. Was seine Fesseln der Erschöpfung durchtrennt, ist die vielleicht einzige Sache auf dieser Welt, die NICHT mittelmäßig ist. Nicht in dieser Nacht. Mag sein, dass THE GAMBLER mit diesem Abschluss jetzt seinerseits beginnt, ein wenig zu schwärmen, aber das darf er bis zum Tagesanbruch. So sind die Spielregeln. Bennett weiß: Er ist an diesem Morgen schon länger wach als alle anderen.
Die vielleicht beste Besprechung zum Film bislang. Sicher zählt BIRDMAN zu den ambitioniertesten Oscar-Anwärtern der vergangenen Jahre. Und ganz bestimmt ist es ein bemerkenswertes, Mensch und Medium reflektierendes Werk, das zur Analyse einlädt. Trotzdem hatte ich dieselben Probleme wie in der Filmanalyse angesprochen (danke an der Stelle für die Entknotung meiner Gedanken :-)). Es fühlt sich irgendwie so an, als würde BIRDMAN seine Themen-Ketten und Ideen nur wie eine mit bunten Strass-Steinen verzierte Handtasche locker in der Armbeuge mit sich herumtragen, um immer wieder in ausladender Pose vereinzelt etwas aus ihr auf die Straße zu streuen. Die Schauplätze wiederholen sich: Riggans Kabine, die Bühne, der Balkon, die engen Durchgänge. Aber auch der Film läuft im Kreis… zumindest werde ich – je mehr Abstand ich gewinne – den Eindruck nicht los, dass hier bei aller studentisch erquickenden Kunstfertigkeit doch bloß ein warmer Regen aus Déja-vus auf mich eingeprasselt ist. Und weder Vorhänge noch Masken gefallen sind. BIRDMAN fehlt – und da trennt ihn der entscheidende Schritt von beispielsweise (dem zurecht ja auch im Video erwähnten) John Cassavetes, der diesen Preis der Eitelkeit nie zu zahlen bereit war - etwas ganz Essentielles: Das Dringliche, das Zwingende, das Unbedingte. Darum leider ein Film, der auch für mich tatsächlich "ZU perfekt" ist, als dass er mich aus der Umlaufbahn hätte reißen können.
Brace yourselves! Ich vermute mal ins Blaue hinein, dass kaum jemand diese charmante Ensemble-Perle auf der Rechnung hat. Aber das werdet ihr noch büßen. WIE gut THE LITTLE DEATH wirklich ist, wird mir umso bewusster, sobald ich mich frage, wann ich zuletzt eine Komödie – speziell eine moderne Beziehungskomödie - gesehen habe, die mich durch und durch mit klugen Beobachtungen und perfektem Drive zu überzeugen wusste. Das meiste der 00'er/10'er-Jahren aus diesem Bereich war für meinen Geschmack weder lustig noch romantisch, dafür aber "hip", gelegentlich selbstmitleidig, verklemmt und frustrierend wenig innovativ im Fahrtwind zwischenmenschlichen Kommunikations- und damit auch Liebeswandels.
Doch nun wird alles besser. Der noch junge und offensichtlich hochbegabte australische Autor/Regisseur Josh Lawson trotzt bereits mit seinem quirligen Debut dem Genre-Limbo und erhöht die Messlatte um zahlreiche Einheiten. Anhand mehrerer Vorstadt-Paare untersucht er, ob (und wenn ja: wie) die Liebe im Alltag der Lawine individueller Eitelkeiten standhält. Die sexuellen Fetische der Protagonisten sind demnach wohl auch als konfliktträchtiges Sinnbild zu verstehen. Wie arrangiert man sich, wenn der Partner von einem für ihn wichtigen Bedürfnis vereinnahmt wird, welches man allerdings nicht erfüllen möchte oder gar nicht kann? Und hier kommt es noch dicker: Was, wenn die Befriedigung des einen nur auf Kosten und zum Unheil des anderen möglich wird? Sex ist zweifellos ein sensibler Lebensbereich, in dessen Rahmen die meisten wahrscheinlich nur ungern dauerhaft einschneidende Kompromisse eingehen. Darum ist das Thema um Geben und Nehmen im Grunde wie gemacht dafür, exemplarisch auf dieser Ebene verortet zu werden. Und irgendwie ist es auch nach wie vor ein Tabu: Sehr viel sagt es beispielsweise über die Beziehungsdünkel unserer Zeit aus, wenn eine der Figuren im Argumentationsnotstand lieber einen Seitensprung erfindet oder gleich ein ganzes Hochhaus aus Lügen erbaut als dem Ehegatten die geheimen Sehnsüchte zu beichten.
An anderer Stelle realisiert sich anders herum die Gefahr der Nicht-Trennung zwischen Liebesglück und Selbstverwirklichung. Wenn eine Bindung nicht mehr funktioniert, dann häufig, weil auch solche Wünsche und Vorstellungen unerfüllt geblieben sind (oder Ängste sich bestätigt haben), die eigentlich außerhalb von ihr bestehen, aber unweigerlich von beiden Seiten in sie hineingetragen werden. Läuft es dann nicht mehr gemeinsam, ist das nicht etwa Ursache, sondern nur Ausdruck jener Enttäuschungen, Wunden und inneren Miseren, die einem misslicherweise niemand abnimmt. Wie sodann auch das Rollenspieler-Pärchen leidvoll feststellen muss, dient das Aneignen einer fiktionalen Identität der temporären Flucht (vor allem vor sich selbst), schafft jedoch keine echte Abhilfe für tiefer (und fester) angesetzte Fesseln. Manchmal braucht es eben – denn hier sind wir unsere eigenen Schöpfer - harte Arbeit, um neue Knospen zu formen, die dann wieder prachtvolle Blüten tragen.
Doch demonstriert THE LITTLE DEATH, dass Verständigung und Offenheit nur bedingt überhaupt an Sprache im herkömmlichen Sinne gebunden sind und wir es uns so oft weitaus schwieriger machen als nötig. Für viele vergleichbare Werke scheint es somit nahe zu liegen, Cyber-Sex, Pornos und die vielen Möglichkeiten virtuell-interaktiven Austauschs – wenn wir schon klassisch unter 4 Augen nicht miteinander klarkommen - erst recht auf Verdacht in die Hölle zu schicken. Lawson entscheidet sich anders und erkennt, dass unsere neuen Kommunikationsformen auch neue Schlupflöcher einreißen, um sich näher zu kommen. Man muss sie nur finden. Auf mich wirkte es jedenfalls ungemein sympathisch, wie es den letzten beiden Turteltäubchen im Film als einzigen gelingt, jene Hürden abzubauen, über die alle anderen zuvor gestolpert sind. Vielleicht würden sie später, nach ein paar Jahren, in denselben Käfigen Platz nehmen, aber für den Moment ist das gar nicht mal so wichtig.
Es endet schließlich realitätsnah nach den eigentümlichen Gesetzmäßigkeiten des Zufalls: Manche fallen, manche stehen – gerade noch so - wieder auf, und für wiederum andere beginnt das Leben erst.