Jenny von T - Kommentare
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Alle Kommentare von Jenny von T
Kennste das Poster, kennste den Film. Hier stimmt es leider. Chris Kyle war nicht der, der in einem der sinnlosesten Kriege der Geschichte weit über 100 Leben ausgelöscht hat. Er war auch nicht derjenige, der sich mit seinen Taten öffentlich rühmte. Er war ein zwar etwas schlichter, aber aufrechter Kerl, der seinem Land einfach nur helfen wollte – geradezu versessen darauf, immer wieder an die Front zurückzukehren, um den Tod gefallener Kameraden zu begleichen ("rächen" wäre ein Wort, das dieser Film in Bezug auf seine Hauptfigur wohl niemals in den Mund nähme...) und weitere zu retten.
Als er noch klein ist, wird Kyle von seinem Vater aufgeklärt über die Einteilung in Schafe, Wölfe und – kein Scherz – Schäferhunde. Wölfe sind animalische Killer, Schäferhunde achtsame Beschützer. Nur ein Dasein als Schäferhund ist erstrebens- und ehrenwert. Also wird Kyle ein Schäferhund. Wer das in Frage stellt, hat den "erfolgreichsten" US-Scharfschützen wahrscheinlich bloß missverstanden. Diese Allegorie, welche sich der Film zu Eigen macht, unterscheidet deutungshoch, haarscharf und haarsträubend (da unerträglich verklärend) zwischen guter und böser Härte, der weitere Verlauf zeigt ganz im Stile schlimmster Pro-Kriegsfilme die gefährliche Beliebigkeit jener Sinngebung. Allein: Eastwood ist vollkommen überzeugt von ihr - es gibt Helden und vernichtenswerte Feinde, böse Gewalt kann nur mit guter Gewalt besiegt werden. Himmel hilf!
In der Umsetzung seines schwarz-weißen Mittelalter-Weltbildes geht der Film immerhin konsequent zu Werke, aber ich weiß beim besten Willen nicht, ob das als Auszeichnung zu verstehen sein soll. So wird Kyle auf irakischer Seite einem Terroristen gegenüber gestellt. Dieser verstümmelt Frauen und massakriert grausam Kinder, deren Väter mit den Amerikanern kooperieren. Kyle dagegen macht es für seine Objekte kurz und schmerzlos und betet, ein kleiner Junge möge seine Waffe niederlegen, damit er nicht auf diesen zielen brauche. Ein wahrer Gentleman am Abzug. Zivile Opfer? Grautöne? Fehlanzeige. Wer durch sein Gewehr stirbt, der hat es auch verdient.
Aber AMERICAN SNIPER ist auch ansonsten richtig schlecht – von der klischeehaften Erstbegegnung zwischen Kyle und seiner Frau in einer Kneipe bis zum desillusionierten, für seine Familie nicht mehr erreichbaren Kriegsrückkehrer, der plötzlich wieder in die Spur findet, nachdem er mit dem eigenen Sprössling ein bisschen Schießen geübt hat und sich um verwundete Veteranen kümmert. Seine Tötung durch - ausgerechnet - einen von ihnen bebildert Eastwood dann nicht mehr, denn das könnte ja die Deutung zulassen, Krieg wäre schlecht und zwecklos.
Einen einzigen ambivalenten Moment habe ich wahrgenommen: Den, als Kyle mit (mutmaßlich geladener) Waffe ausgelassen durchs Haus tobt und diese wie bei einem Spiel auf seine Frau richtet, weil er vielleicht lediglich auf diese Weise Liebe ausdrücken kann. Doch das reicht mir nicht und täuscht kaum darüber hinweg, dass Eastwood so gut jede Tretmine umschifft, die dreckigen Staub – und eben nicht nur andächtige Nebelkerzen – aufgewirbelt hätte: AMERICAN SNIPER ist ein gruseliges Stück jüngerer amerikanischer Vergangenheitsbewältigung.
Willkommen im 4. Buch Zvyagintsev. Erkenntnisse biblischer Geschichten (namentlich derer Hiobs und Nabots) lässt der russische Meisterregisseur, vermengt mit staatstheoretischen Ideen, auf eine moderne, kaum tröstliche Wirklichkeit prallen, und sie zerschellen urgewaltig wie Wellen an der Küste.
∙ Thomas Hobbes: Ein sehr offensichtlicher Bezug – bereits, aber natürlich nicht nur aufgrund des Titels. Hobbes sah den allgemein gültigen und von allen akzeptierten Gesellschaftsvertrag als einzige Option auf ein geordnetes menschliches Miteinander. Dieser garantiert zum Preis der Abtretung individueller Freiheit an einen wachenden, schützenden Souverän echte Gleichberechtigung, sodass niemand mehr befürchten muss, gegenüber seinem Nächsten benachteiligt zu sein und Neid und Misstrauen, welche Hobbes als bestimmende Triebfedern menschlichen Handels herausarbeitete, sich schlechterdings erübrigen. So die Theorie. Dieses Modell nämlich kann nur funktionieren, soweit ein Souverän denkbar wäre, der ausschließlich im Sinne seiner Untergebenen handelt. Doch welchen Anlass hätte jemand hierzu, der alle Macht auf sich vereinigt? Wäre die Verlockung, jene Stellung früher oder später für egoistische, staatsferne Zwecke zu instrumentalisieren, nicht viel zu groß... zumindest für ein menschliches Wesen? Vielmehr ist eine geschlossene Regierung (ob als Einzelperson oder überschaubare Gruppe, innerhalb derer man sich die Karten zuspielt) eigentlich der einzig Verbliebene, der sich nach wie vor – rechtlich legitimiert! - in dem befindet, was Hobbes als "Naturzustand" beschreibt... und gerade nicht in einer allem übergeordneten Kategorie. Eine enorme Gefahr, die, wenn und je nachdem, wie stark sie sich verwirklicht, eigentlich nur durch eine Revolution oder ein Eingreifen Dritter beseitigt werden kann. Jedoch genau in dieser verheerenden Lage befinden sich heute sogar diejenigen Staaten, deren organisatorisches Selbstverständnis jenem einer Demokratie entspricht - darum wäre es krass verfehlt, LEVIATHANs Beobachtungen auf Russland zu beschränken. Die Anziehung von Macht und Korruption auf den Menschen tritt als unlösbares Problem auf: Ohne verbindliche Regeln und Gesetze, die verlässlich von einer Instanz durchgesetzt werden, gilt schlicht das Recht des Stärkeren. Wird hingegen eine regulierende Autorität einberufen, können wir auch ihr nur schwerlich vertrauen, bzw. sind ihrer möglichen Willkür letztlich hilflos unterworfen; siehe: Dieser Film.
∙ Die Erzählung von Nabot: Die biblische Begebenheit behandelt den argumentativen Missbrauch von Religion und Gottesloyalität zur Durchsetzung individuellen, weltlichen Willens. Selbiges geschieht in LEVIATHAN: Der Bürgermeister Vadim geht zwar nicht einmal zur Beichte, ist allerdings nicht verlegen, seine unmoralischen Taten mit Hilfe eines befreundeten Priesters vor sich selbst zu rechtfertigen, dessen Ratschläge er nach Gutdünken – und eben ganz und gar nicht im Sinne christlicher Gebote - interpretiert und umsetzt.
∙ Das Buch Hiob: Kurz zusammengefasst dreht sich die Bibel in diesem Abschnitt um die Kernfrage, ob irdisches Leiden einen Sinn, einen Grund oder einen Zweck erfüllt. Werden wir durch Schmerzen und Verluste, die wir erfahren, geprüft, für vergangene Sünden bestraft, etwas ganz anderes oder nichts von alledem? Letzteres offenbart sich als die vermutlich trostloseste Variante, denn es ist nur verständlich, wenn wir zugrunde legen möchten, dass alles, was passiert, sich irgendwann ausgleichen wird – wer Gutes tut, den belohnt das Schicksal, und wer andere ungerecht behandelt, den ereilt das Karma in entgegen gesetzter Richtung. Keine dieser Rechnungen jedoch will in LEVIATHAN aufgehen. Das Unheil von Protagonist Kolya nimmt - im Gegenteil - seinen Lauf ab dem Moment, als er Vergebung lernt, und zwar in vertikaler wie horizontaler Ausbreitung: Einmal ist es der einflussreiche Vadim, der ihn "von oben" ins Messer laufen lässt und zweitens sind es Kolyas Freunde, die vor der Polizei zwar nicht lügen, aber auch keinerlei Anstrengungen unternehmen, die vermeintlichen Fakten zu hinterfragen.
Der Zuschauer im Tal der Verzweiflung: Wann wird eine höhere Gerechtigkeit sich ihren Weg bahnen?
∙ Der Leviathan: Salopp ausgedrückt erschuf Gott sich den Leviathan – ein Ungeheuer mit Zügen eines Drachen, eines Krokodils, einer Schlange und eines Wals – als sozusagen persönliches Haustier, welches nur er zu bändigen imstande sein sollte. Gemeinhin gilt der Leviathan somit als Symbol der Allmacht und Unbezwingbarkeit. Zvyagintsev betont dabei nachdrücklich das vernichtende Potenzial des mythischen Geschöpfs – das politische ist seit spätestens Hobbes ja bereits angelegt. Da der Leviathan die Meere bewohnt, sehen wir ihn nicht, wir spüren seine bedrohliche Anwesenheit lediglich. Er quält uns, obwohl wir als Beweis für seinen Tod sein riesiges Skelett erhalten, neben welchem in einer Szene des Films Kolyas Sohn Roma auf einem Stein Platz nimmt. Erleichterung verschafft es irgendwie nicht. Was sollen wir aus diesem Bild der Strandung herausziehen? Dass unser Schöpfer sich – wenn er denn schon sein Haustier sterben lässt - von uns abgewendet hat, unsere Welt also eine buchstäblich gottlose ist? LEVIATHAN zeigt: Wir haben mit oder ohne ihn jeden Anlass zur Angst. Und als Kolyas Frau Lilya in ihrer letzten Szene ein großes, nicht identifizierbares Etwas im Wasser erblickt, müssen wir anerkennen, dass Zvyagintsev hier seine eigene Sage über Untergang und (wahrscheinlich auch) Auferstehung erschaffen hat, die uns eine Verantwortung aufbürdet, welche nach unserer Natur unheimlich sein muss.
"God sees everything, son."
Sehr, sehr lustiger und sympathischer Typ. Defizite in Sachen Wandelbarkeit macht er (auch abseits der Leinwand) locker wett mit seinem subtil-prolligen Teddybär-Charme. Zwar mochte ich nur die wenigsten Filme, in denen er bislang mitwirkte, aber trotzdem sehe ich ihn aus irgendeinem Grund weitaus lieber als viele andere Darsteller seiner Generation, die gemeinhin als talentierter gelten. Hach ja... vielleicht habe ich ja im nächsten Leben das Glück, mal ein Bier mit ihm trinken zu gehen.
• GROSSE FREIHEIT NR. 7 (1944-1945 in Deutschland): Der Film fiel aufgrund seiner Freizügigkeit der NS-Zensur zum Opfer. Ursprünglich lautete der Titel nur "GROSSE FREIHEIT", aber aus Angst, er könne - aus Sicht der Nationalsozialisten - falsch verstanden werden und sich womöglich gegen die UNfreiheit im eigenen Land richten, wurde auch hier "korrigierend" eingegriffen.
• DIE 120 TAGE VON SODOM (1975 in Italien, Finnland, Australien, Westdeutschland, Norwegen und Neuseeland): Bis heute umstritten für seine schonungslose Inszenierung von Vergewaltigungen, Folter und Mord.
• VIRIDIANA (1961-1977 in Spanien): Unter dem spanischen Franco-Regime 16 Jahre lang aus dem Verkehr gezogen, auch von der katholischen Kirche geächtet.
• PERSEPOLIS (2007, Libanon): Zunächst verboten, weil er als zu offensiv gegenüber Iran und Islam empfunden wurde. Später dann freigegeben.
• PANZERKREUZER POTEMKIN (1925-1953 in Frankreich und 1933−1945 in Deutschland): Schürte Befürchtungen, revolutionäres/marxistisches Gedankengut zu verbreiten.
• LEBEWOHL, MEINE KONKUBINE (1993 in China): Verboten aufgrund homosexueller Thematik und kritischer Betrachtung des Kommunismus.
• DER EXORZIST (1986-1999 in Großbritannien, Malaysia und Singapur): Zu verstörend und brutal.
• DIE PASSION CHRISTI (in China, Marokko und dem Iran; in Malaysia wurden Kinotickets nur an Christen verkauft): Nicht zugelassen wegen religiöser Kontroversen, auch hier wurde außerdem immer wieder die Gewaltdarstellung angeführt.
Ein mitreißender Film, der leider über die eigenen Füße stolpert und sich mächtig im Takt vertut. Ein Nachwuchs-Drummer beginnt unten, steigt auf, fällt hin (oder genauer: Lässt sich zu Boden prügeln), berappelt sich wieder, dann das Ganze von vorne. Das Privatleben hängt Andrew selbstgeißelnd an den Nagel für seinen Traum vom Unsterblichwerden, der vom Himmel bricht und langsam festfriert zum Wunsch nach offener Anerkennung eines einzelnen, nämlich seines dominanten (Tor-)Mentors, und wir feuern ihn an, weil uns sein Herzblut überzeugt und der Gegenspieler eben wirklich ein unglaublicher, sadistischer Armleuchter ist.
Was man leicht übersehen kann, weil WHIPLASH es verschleiert: Mit jedem neuen Anlauf, zu dem wir ihn ja innerlich mitpushen, gewinnt Andrew nicht etwa, wie wir es gerne sähen, ein Stück Würde zurück... er verliert sie mehr und mehr, weil dies nicht einfach - wie etwa bei einem Boxkampf – eine simple Frage über Gewinnen und Verlieren, sondern – viel ernster - über emotionalen Missbrauch, Ausbeutung und (sogar auf beiden Seiten) fatale Abhängigkeit ist. Eigentlich müsste WHIPLASH irgendwann an einen Punkt gelangen, an dem es nicht mehr auszuhalten ist und das Publikum mit den Protagonisten in die Knie gezwungen wird. Indes werden wir eingebunden in ein erregendes Machtspiel, das zu unserer Unterhaltung ewig so weitergehen könnte.
*Spoiler*
Wenn hier am Ende des Verlustgeschäfts ein stiller, triumphierender Sieger steht, stimmt irgendetwas nicht. Genau so fühlt es sich für mich allerdings an, wenn sich auf den Schlagzeug-Becken Hautfetzen mit Schweiß- und Bluttropfen mischen, panisch noch ein Autounfall vor dem großen Auftritt konstruiert werden muss (weil Fletchers boshafte Antagonisten-Power nicht mehr ausreicht) und der Zuschauer Glauben gemacht wird, Gerechtigkeit und Willensstärke werden sich nach hartem Kampf (und schlimmen Demütigungen, welche sich vielleicht doch indirekt als dem Erfolg zuträglich erwiesen haben) durchsetzen, weil es so muss. Es fällt bei aller Wucht und manipulatorischem Aufwand schwer, zu summieren, Andrew habe sich - was dem Film demgegenüber eine sehr pessimistisch-schlichte, obschon ungleich aufrüttelndere Note verliehe - in ein trauriges Schicksal ergeben.
Ich möchte gar nicht erst versuchen, zu bestreiten, dass Damien Chazelles körperliche Regie und die fabelhaften Darsteller mir trotzdem die Drumsticks nur so um die Ohren geschleudert haben. Wäre ich aber ein bisschen gemein, würde ich jetzt einfach nur sagen: "Good job".
Was für eine Aufregung um diesen Film. Ich muss ehrlich sagen, dass ich ihn mir ohne die lebhaften Diskussionen hier, die mich dann doch neugierig machten, wahrscheinlich gar nicht angesehen hätte. Tatsächlich finde ich viele Reaktionen nun reichlich überzogen, kann mir allerdings denken, wo sie ihren Ursprung nehmen – immerhin hat man sich mit dem unschönen deutschen Titel sowie dem nicht weniger martialen Trailer wahrlich keinen Gefallen getan, womit gewisse negative Verdachtsmomente wohl bereits vorab im Raum stehen und bei so manchem Zuschauer, der besagte Eindrücke sodann nur noch bestätigt haben möchte, offenbar dann gar nicht mehr vom eigentlichen Film auszumerzen sind. Ich gestehe, dass auch ich voreingenommen war. Allerdings lohnt es sich unbedingt, genauer hinzuschauen – zumindest mir blieb eine eindeutige, vernichtende Einordnung verwehrt, überbordendes (Kriegs-)Pathos, wehende Flaggen und Co. konnte ich nicht erkennen.
Natürlich bedient FURY sich großzügig einer ausgetretenen Genre-Dramaturgie (einmal Front und zurück) und die Figuren – die meisten von ihnen ebenso aus dem Baukasten entnommen - sind, freundlich formuliert, auch nicht wirklich gut geschrieben. Andererseits komme ich nicht umhin, das Werk in jenen Belangen vergleichsweise zumindest noch als annehmbar zu bezeichnen, wenn ich mit einbeziehe, dass Regisseur David Ayer in der Action-Ecke beheimatet ist und zuvor schon das eine oder andere richtig unerträglich tumbe Machwerk auf die Kinowelt losgelassen hat. Doch seine durchschlagende, gähnende Uninspiriertheit wäre unterm Strich, zu meiner Überraschung, dann auch mein gewichtigster Kritikpunkt an FURY.
*Spoiler ahead*
Am Streitbarsten ist wahrscheinlich die Figur von Brad Pitt, pendelnd zwischen verroht-sadistischer Kriegsmaschine und aufrecht-vorbildhaftem Anführer/Beschützer. Mit beiden Facetten an ihm scheint es dem Film ernst zu sein, und dennoch (oder gerade als Resultat dieser Schieflage) gerät Pitt in die verwirrende Nähe einer fratzigen Karikatur, wenn er unter Feuerbeschuss großmäulig One-Liner hinausschreit, um kurz darauf im Adrenalinrausch versehentlich den eigenen Mann auszuknocken (= Inglourious Basterd?). Sein Charakter jedenfalls stellt mich noch vor die schwierigsten Rätsel, vielleicht aber liegt der Fehler auch bei mir, die auf Grundlage bisheriger Erfahrungen grundsätzlich (und eventuell ja doch zu Unrecht?) nur unter wesentlichen Vorbehalten gewillt war, einem David Ayer überhaupt so etwas wie ambivalentes Gespür zuzugestehen. Nun denn… in dubio pro Film.
Ist der Zweite Weltkrieg der passende Ort für eine Coming-of-age-Beschreibung? Man wird zunächst zweifeln dürfen. Wo aber jugendliche Unschuld und repressiver Nihilismus aufeinander prallen, kann es auch besonders schmerzhaft ausgehen. Logan Lerman überzeugte mich mit einer soliden Darstellung als Protagonist moralischer Unbescholtenheit, der Ängste, Bedürfnisse, Träume, natürliches Empathievermögen und eben alles, was uns Menschen im Guten ausmacht, innerhalb weniger Tage ablegen muss, wenn er in dieser Hölle überleben möchte – und schließlich, wenngleich faktisch kaum gealtert, als gebrochener Mann aus dem nicht mehr fahrtüchtigen Panzer gefischt wird. (Im Übrigen erinnerte mich die Einstellung, als er im Auto sitzt und alles vorbei ist, an ZERO DARK THIRTY... bekanntlich ebenfalls ein Film, den – meines Erachtens unbegründet – zu seinem Erscheinen harte Anschuldigungen trafen.) Zwar setzt FURY zu einem pathetischen finalen Akt an, erfüllt diesen aber nicht, weil letzte Klimmzüge heldenhafter Aufopferung sich in Sinnlosigkeit und Kapitulation (auch vor dem Krieg an sich) verkehren, an deren Ende unwiderruflich der Tod steht. Was der Kamera zu zeigen bleibt, sind Leichen. Und ein Logan Lerman, der als Held begrüßt wird, aber dessen Augen uns eine andere Geschichte erzählen. Und aus denen nichts als Leere spricht.
Es ist mal wieder typisch für Roy Andersson, dass wir die Taube erst tot sehen – nämlich ausgestopft in einem Glaskasten -, bevor wir sie singen hören. Doch angenommen, sie hätte - dann wohl wortwörtlich aus der Vogelperspektive - zu Lebzeiten einen Film über uns drehen können… eventuell wäre es ja dieser hier geworden. Nein, dem Schweden ist kein Gedanke zu abstrus. Kategorien wie diese existieren für ihn gar nicht. Wir sind an einen Regisseur geraten, der sich einer Selbstzensur verweigert. Doch nicht etwa denkt er zu weit, wir denken zu kurz.
Eine Gruppe von Soldaten peitscht farbige Sklaven in einen riesigen Ofen, aus welchem Trompeten herausragen. Die Schreie der Gefangenen ertönen als Musik. Begafft wird dieses Schauspiel von einigen älteren Herrschaften mit Sektgläsern in den Händen. Was sollen wir davon halten? Sind wir entsetzt? Können wir lachen? Wurden wir soeben angeklagt? Oder verschmäht? Eine (offenbar sehr lebhafte) Dame in der Sitzreihe vor mir zeigte sich so amüsiert über diese kreideweißen Gesichter und stets ratlosen Blicke der Protagonisten, dass sie sich jedes (!) Mal – noch bevor überhaupt etwas passiert war - lauthals beömmelte, wenn die Kamera zu einer neuen Plansequenz ansetzte. Bei dieser Szene jedoch wusste sie nicht mehr weiter. Ihr innerer Kompass hatte seine Nadel abgeworfen. Und nicht nur ihrer. Es war mucksmäuschenstill im Saal. Roy Andersson ringt uns Eingeständnisse ab: Wir sind eingezwängt und hilflos. In so vielerlei Hinsicht.
Ich kann es nicht begründen, aber alles an und in diesem Film ergibt einen höheren Sinn. Andersson konfrontiert uns mit unserem Scheitern und unseren Sehnsüchten. Überraschend überwältigend ist eine – als Tagtraum, Erinnerung oder was auch immer eines heute tauben, leicht klapprigen Stammkunden einer Bar - Rückblende in das Jahr 1943, als die Inhaberin der Kneipe sich die Schnäpse mit Küssen bezahlen lässt. In der nächsten Einstellung verliebt sich Karl XII. von Schweden, der sich offenbar ins Hier und Jetzt verirrt hat, zur selben Melodie und in einer ähnlichen Lokalität in die männliche Bedienung… ein vierblättriges Kleeblatt surrealer Romantik. Dann spielt das Lied von hinten. Menschen äußern am Telefon die Hoffnung, der Person am anderen Ende der Leitung möge es gut gehen – einer von ihnen hält, kaum auffällig, eine Pistole in der Hand, augenscheinlich bereit zum Suizid. Zwei Scherzartikelverkäufer werden ihre Ware (von der sie scheinbar doch nicht ganz so überzeugt sind, wie sie behaupten) nicht los in einer Welt, die ein wenig Aufmunterung ja schon irgendwie vertragen könnte.
In beinahe jedem Bild verfolgen wir gleich mehrere Vorgänge und es ist das reinste Fest. Sei es ein knutschendes Pärchen in der Ecke oder ein streitendes hinter den Fenstern eines Restaurants. Über Nacht habe ich darüber nachgedacht, was genau die TAUBE, diesen vermeintlich kühlen (in jedem Fall aber kühnen) Kunstfilm, so berührend macht – und ich glaube, es ist die Art und Weise, wie Andersson seine Figuren ehrt. Er liebt sie. Schlicht und ergreifend. Auch diejenigen, deren Bekanntschaft uns nur für einen kurzen Augenblick vergönnt ist. Er steht klar auf Seite der "einfachen" Leute, die zwar oft/meistens nicht weiter wissen (nicht, dass es den wohlhabenden besser erginge…), aber auch geadelt sind von einer gewissen Bescheidenheit bzw. dem Wertschätzen kleiner, obschon wesentlicher Dinge. Ein Vergleich zu den schlichten Helden Aki Kaurismäkis bietet sich an. Mit ein wenig Distanz behaupte ich sogar: Andersson VERwirrt nicht – er ENTwirrt.
So zum Beispiel erkennt Sam nach einem Streit alsbald, dass ihm die Freundschaft zum kriselnden Jonathan mehr bedeutet als geschäftlicher Erfolg mit Vampirzähnen und Gevatter Einzahn. Und dass dessen Gesellschaft ihm Trost spendet. Trost, der – wenn wir mal ehrlich sind – manchmal so wichtig ist wie die Luft zum Atmen. Womöglich ist es das einzige, was wir – wie ein Schutzschild - all den Kuriositäten um uns herum entgegen halten können, die wir nicht verstehen. Und vielleicht müssen wir es dann auch gar nicht mehr.
Man kann nicht sagen, dass die drei Hauptcharaktere dieses Films einem Mut machen. Allesamt sind sie meisterlich darin, den jeweils anderen mit spitzer Zunge deren Schwächen und Probleme zu analysieren und unter die Nase zu reiben, doch wenn es darum geht, vor der eigenen Tür zu kehren, finden sie den Besen nicht. Oder drehen um ihn herum erstmal eine Pirouette. WINTERSCHLAF behandelt zum einen die Beziehungen zwischen dem wohlhabenden Aydin, einem Hotelbesitzer, Eigentümer zahlreicher Grundstücke, Autor und ehemaligem Schauspieler in Anatolien, seiner Schwester sowie seiner wesentlich jüngeren Frau untereinander, und zum anderen das Verhältnis dieser Personen zur (überwiegend merklich ärmeren) Außenwelt. "Außenwelt" ist hier durchaus genau so zu verstehen, denn Aydin, Nihal und Necla finden Schutz in ihrer Abgeschiedenheit – irren aber auch gemeinsam und gegeneinander in der Dunkelheit, welche sie eint.
Es stellt sich heraus, dass Aydin, der gerne in Kategorien wie "Moral" spricht und stets eine höfliche Grundhaltung wahrt, in Wahrheit kaum bis gar nicht Anteil nimmt an den Schicksalen seiner Mieter, die ein Leben am Existenzminimum fristen. Bürokratische und praktische Aufgaben (zum Beispiel Pfändungen) hat er delegiert, um sich aufs Schreiben konzentrieren zu können. Er versucht, jegliche Konflikte von sich fernzuhalten – eine Eigenart, die sich schon lange gegen ihn gewendet hat. Den engagierten Bruder eines Schuldners, Hamdi, verspottet er sogar, nachdem dieser sich mehrmals um Wiedergutmachung für eine zerbrochene Autoscheibe bemüht. Im Dorf ist Aydin, der sich schließlich fragen muss, für welche Ideale er überhaupt steht, unbeliebt und auch die Belange seiner Frau treiben an ihm vorbei. Diese fühlt sich vereinsamt und eingesperrt zugleich und reagiert entsprechend gereizt, als er ihr auch noch altklug in der einzigen Angelegenheit dazwischenfunkt, die ihr etwas bedeutet: Eine Wohltätigkeitskampagne, die sie selbst initiiert hat. In Necla präsentiert sich in ein ähnlich erschöpfter Charakter: Sie kämpft mit der Trennung von ihrem alkoholabhängigen Partner und ringt um neuen Antrieb.
Während in langen Dialogen bittere Gefechte ausgetragen werden, widmet sich Regisseur Nuri Bilge Ceylan einigen ganz großen Themen. Was definiert uns: Das sichtbare Nettoergebnis unserer Handlungen oder unsere Absicht? Aydin lässt sich ein Pferd fangen, um es Tage später wieder gehen zu lassen – aus Gleichgültigkeit, einer Laune heraus oder vielleicht doch einem ehrenwerten Akt der Gnade, weil er berührt war von der Anmut dieses wilden Tieres? Dem Pferd wird es egal sein, denn es ist ja wieder frei. Uns Menschen dagegen bewegen diese Fragen dahinter, denn wir kennen Ethik. Auch Nihal verkehrt sich in diesen Kategorien. Zwar sammelt sie Spenden, doch nach und nach wird entblättert, dass sie – weil sie Armut nie erfahren hat – trotz reinsten Absichten gar nicht wissen kann, wie es denen am anderen Ende der gesellschaftlichen Skala wirklich geht. Was also zählt? Zählt überhaupt etwas, wenn noch immer jemand unglücklich ist?
WINTERSCHLAF ist ein politischer Film. Dies wird noch deutlicher, wenn er sich an den Maximen Mahatma Gandhis abarbeitet und zur Debatte stellt, ob das Böse (als Oberbegriff für Mechanismen der Gewalt und Unterdrückung) besiegt werden kann, indem man es gewähren lässt, mithin auf die Konfrontation mit Verwundbarkeit und Würde vertraut. Aydin möchte das beim Frühstück am aufopferungsvoll-beharrlichen Hamdi testen, den er ironischerweise als Aggressor wähnt. Der empathische Zuschauer könnte dazu neigen, die Rollenverteilung in jener Situation ohne weiteres genau anders herum einzuschätzen. Aydin jedoch scheint sich – womöglich stellvertretend für uns alle - gar nicht über das Ausmaß seiner Verantwortung bewusst zu sein, was in letzter Konsequenz tragischerweise auch auf seine Frau zurückfallen wird. Oder sind wir bereits schuldig, wenn ein Gewissen korrigierend einschreiten muss?
In jedem Fall scheitert Gandhi am Zwischenmenschlichen, wo Missverständnisse zu Stein erstarrt sind. Nein, unsere Wunden heilen nicht, indem wir schweigen und auf Demut hoffen – die meisten nämlich kreisen in einem Zirkel der Ich-Befangenheit, den es schwer ist zu durchbrechen. Gleichwohl deutet die Szene mit dem Pferd an, dass ein Entkommen grundsätzlich möglich ist… nicht umsonst folgt sie auf einen minutenlangen Disput zwischen Aydin und Nihal, was sie zu einem Bild macht. Verbleibt sie als solches? Und doch können wir nicht einfach stehen bleiben, wenn die Sonne zurückkehrt, um den letzten Schnee mit ihren Strahlen zu vertilgen – und mit ihm die Spuren, die wir hinterlassen haben.
Ich finde, man muss bei diesem Thema aufpassen, nicht zu sehr in verklärende Nostalgie zu verfallen, die eventuell dann vollends den Blick auf auch heutige Möglichkeiten verdunkelt. Es ist normal, dass man als Kind und Jugendliche(r) die Welt mit anderen Augen gesehen hat. Nicht nur Filme, sondern alles Mögliche betreffend. Demnach verändert sich (zumindest bei den meisten^^) nunmal auch der persönliche Geschmack - aber das ist ein Zeichen von Entwicklung, dem man ja auch aufgeschlossen und mit Freude gegenüber stehen kann.
Ich bin mir nicht sicher, ob eine schwindende Euphorie im Laufe der Jahre wirklich eine unumgängliche Tatsache sein muss, oder nicht vielmehr doch etwas, das wir uns mit zunehmender Ernüchterung, die das Leben halt auch mit sich bringt, vor allem beharrlich einreden. Du schreibst, dir wurde der Bezug zum Film "genommen"? Von wem denn? Die Auswahl ist größer denn je. Oder hast du dich um besagten Bezug nicht womöglich eigenhändig gebracht?
Es ist doch eine Frage der Prioritäten. Bei mir verhält es sich so, dass ich meine Arbeit, meinen Alltag usw. nie in einem Maße über mich dominieren lassen würde, welches mir den Lichtblick raubt, abends (wenn es sein muss, auch nachts) sowie am Wochenende gemütlich einen Film anzusehen. Oder in aller Ruhe dem neuen Song von Band x/y zu lauschen. Diesen Luxus erachte ich für unbedingt wichtig, wenn nicht gar lebensnotwendig - denn die Auseinandersetzung mit Kunst ist am Ende immer eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Sie hilft und vermittelt neuen Mut. Ich gebe zu, es passiert nur ein bis zweimal pro Jahr (was das Ereignis andererseits umso wertvoller macht), aber wenn ich einem Film begegne, der in meine Seele schaut (2014 war das HER von Spike Jonze), sorgt das bei mir für ein anhaltendes Hochgefühl, das ich nur schwer mit irgendetwas in der Welt zu vergleichen weiß... nach wie vor - und ich bin in deiner Altersgruppe.
Dass Filme generell "immer schlechter" werden, ist daneben beispielsweise auch so eine Feststellung, die ich in dieser Absolutheit nicht unterschreibe. Man kann durchaus - auch hier wieder! - lernen, seine Vorlieben einzuschätzen und sich danach aus dem Gros an Offerten überall souverän Rosinen rauspicken, die einem dann mehr oder weniger ganz automatisch in die Arme purzeln. Nur, wie gesagt: Diesen kleinen, großen Reichtum muss man sich gönnen.
Kommt das jetzt wirklich überraschend? BOYHOOD ist im Kern doch letztlich eine absolute filmische Bestätigung westlicher Prüderie. Erst serviert Linklater unter Aussparung wesentlicher Coming-of-age-, und Lebensimpulse (Sex gibt's nur unter der Bettdecke, geweint wird auch nur einmal) ein bisschen hübsch inszenierte, harmlose Selbstfindung und am Ende landet eben doch jeder dort, wo Gesellschaft und Machthabende ihn gerne hätten: Mama wird sich wieder fangen, Papa Hawke trägt endlich Anzug und der Sprößling findet schon am ersten College-Tag die große Liebe. Alles, wie es sich gehört. Wenn Obama NYMPHOMANIAC als seinen Lieblingsfilm genannt hätte - DAS wäre ein Knaller gewesen. So ist's aber kaum die Meldung wert.
Ein wirklich sehr schöner Artikel, der es erfreulicherweise sogar auf die Hauptseite geschafft hat. Ich schätze, wir müssen absolut nicht darüber diskutieren, dass die Kombination WETTEN, DASS..? und Markus Lanz ein riesiges Missverständnis war. Der Mann ließ jeglichen Charme, Fingerspitzengefühl (vor allem in Bezug auf seine Gäste) sowie Souveränität vermissen, die es für die Moderation des Formats erfordert hätte. Wenn ich es korrekt in Erinnerung habe, war Lanz von vorneherein sowieso nur eine Notlösung, da u.a. Hape Kerkeling nicht übernehmen wollte - der wird wissen, warum... denn wie der Text richtig ausführt, war die Sendung schon zu Gottschalks Zeiten ein sinkendes Schiff. Lanz mag einen schlechten Job gemacht haben - die Reaktionen sind aber zu großen Teilen vollkommen unverhältnismäßig. Manchmal bekomme ich den Eindruck, viele Leute haben es sich zum Hobby gemacht, zu hassen. Und das können sie ja auch bedenkenlos und besten Gewissens, denn im Internet, unter dem schützenden Deckmantel der Anonymität, bekommt jeder seine 5 Minuten Ruhm, der nur laut genug schreit. Aber warum ist das so? Ich möchte Lanz nicht über Gebühr in Schutz nehmen, denn sachliche (!) Kritik an ihm ist selbstverständlich berechtigt; trotzdem bietet sich hier vielleicht der Hinweis an, dass man als Person des öffentlichen Lebens unter einem gewissen Druck steht.. nämlich unter dem Druck, perfekt sein zu müssen. Wünschenswerterweise 24 Stunden am Tag. Jeder Patzer kann - weil man als Prominenter eben einen Ruf zu verlieren hat - verheerende Konsequenzen nach sich ziehen, wenn das entsprechende Ereignis erst einmal die sozialen Netzwerke erreicht. Und sei es nur ein im Grunde banaler Versprecher, der sofort zu einem "Skandal" aufgeplustert wird. Lanz war dabei - obwohl er wahrscheinlich nur versucht hat, eine Rolle auszufüllen - aufgrund seiner offenkundigen Überforderung sicher ein dankbares Opfer und doch bin ich überzeugt, dass es ansonsten alsbald eben einfach jemand anderes getroffen hätte. Mag sein, dass ich jetzt wie eine alte Großmutter rüberkomme, die mahnend den Zeigefinger erhebt - aber ich frage mich schon, warum es in unserer Gesellschaft an allen Ecken und Enden an Respekt gegenüber anderen Menschen mangelt.
Die Kommentare hier zeigen es immer wieder: Die Filmanalyse ist und bleibt eine der faszinierendsten Rubriken auf MP. Es ist bemerkenswert, wie schnell Menschen sich provoziert fühlen, sobald sie mit einer anderen Meinung konfrontiert werden - und es dem Gegenüber dann verübeln, wenn die Person beispielsweise einfach nur astreines Hochdeutsch spricht. Das macht mich an dieser Stelle Woche für Woche ein Stückchen mehr zum Kulturpessimisten. Ich teile Herrn Schmitts Ansichten auch nicht immer (meine Übereinstimmungsquote zu ihm liegt grob geschätzt bei etwa 60%), finde bei ihm aber häufig Argumente und neue Blickwinkel, die mich den eigenen Standpunkt eben auch überdenken lassen. Mehr kann Filmkritik kaum leisten. Dass er GONE GIRL und TRANSFORMERS 4 auf einer Stufe sieht, weil beides hässliche (das Wort trifft es meiner Einschätzung nach wirklich sehr gut!) Filme sind, finde ich hochgradig spannend - beide nämlich fallen durch ein denkbar unschönes Menschenbild auf. Von Bay kennt man das, da erhebt niemand einen Einwand, aber wenn dann mal ein David Fincher am Pranger steht und dann auch noch ein junger, selbstbewusster Akademiker die Argumentation führt, gehen sofort die Scheuklappen hoch und man reagiert mit reflexhafter Wut (ich muss sicher nicht darauf hinweisen, dass gegen Herrn Schmitt jnr. hier regelmäßig Beleidigungen geäußert werden, die weit unter die Gürtellinie gehen - wohlgemerkt, aufgrund eines Standpunkts, der nicht dem allgemeinen Konsens entspricht). Aber wer schreibt eigentlich vor, dass man nur diese oder jene Filme miteinander vergleichen darf? Oder nicht auch mal 'ne flotte Polemik einstreuen? Die Möglichkeit (mehr ist es nicht!) gedanklicher Horizonterweiterung als potenzielle Bedrohung? Au weia.
Zu den Kardinalmerkmalen eines herausragenden Kunstwerks zählt es, von möglichst komplexen Zusammenhängen zwischen Himmel und Erde kraftvoll, schnörkellos und verständlich erzählen zu können (umso aufregender ist es häufig, wenn wir eine tiefere Wahrheit, die uns ein Film vermittelt, nur erahnen und unser Inneres den Beweis erbringt). Denn wer dazu in der Lage ist, hat nachweislich verinnerlicht, woran er sein Publikum überhaupt teilhaben lassen möchte. Ob an einer langweiligen Vorlesung oder einer lebendigen Offenbarung. Ich denke, es kann als gesichert gelten, dass die Schmiede Ghibli sich hier einen Ehrenplatz verdient hat. Der wahrscheinlich letzte Film aus der japanischen Animations-Hochburg – Kinder ebenso wie Studenten oder Philosophen werden Gründe finden, ihn zu verehren und interpretieren - stellt da keine Ausnahme dar. Eher schon eine Sternschnuppe, deren Schweif sich wie ein Mantel um unsere Herzen legt. Für einen Takt oder eine Leerstelle.
Allerlei Schätze hat die Prinzessin in spe mitgebracht. Leidvoll muss sie lernen, was wir Erdenwesen – wohl anders als in ihrer Heimat - mit den funkelndsten Dingen anstellen: Wir nutzen sie als Währung, bauen aus ihnen Gefängnisse und meinen es nur gut. Wir – weil es eine merkwürdige Standes-Tradition gebietet - versprechen einander, ohne uns vorher zu begegnen – und glauben, Liebe zu erfahren. Wir suchen unser Glück in Besitztümern (wäre Loslassen manchmal nicht die viel größere Tugend?) und vergessen die Natur – die Natur, die in Wahrheit uns besitzt. Wie also könnte das zivilisierte, urbane Ich (in Akzeptanz und Aufbegehren) nicht irgendwann unglücklich unter der Herrschaft seiner eigenen Regeln werden?
Vor dem Verlust der Unschuld jedoch steht der Geschmack der Freiheit und des Glücks, der bis zum Schluss, vielleicht sogar über ihre Sternwerdung hinaus, an den Lippen des Mädchens kleben wird - wenn auch die Zähne im Palast schwarz geschminkt sein müssen. Es gedeiht ein Keim der Hoffnung, welchen Isao Takahata mit einem tränenden, zitternden Auge sät: Dass die uns eigene Melancholie, weil sie hier zu Hause ist, an einem anderen Ort erhört wird. Und dass dort vielleicht jemand darüber nachdenkt, sie für einen Augenblick festhalten zu wollen. Für die Dauer eines Wimpernschlags stehen wir unter dem hellen Licht des Mondes und fühlen uns so klein. Wie weit hallt unser Echo?
… und da war es auch bereits geschehen. Einmal wieder CACHÉ eingelegt und schon befinde ich mich mitten in einer kleinen Michael Haneke-Retrospektive. Hätte man mich noch vor einigen Jahren gefragt, was genau mich an seinen Arbeiten reizt, wäre ich vermutlich nur sehr grob auf jene Abgründigkeit eingegangen, die ihm einfach so zuzufliegen scheint, obwohl sich nicht einmal die Kamera bewegt. Doch es ist sehr viel mehr. DIE KLAVIERSPIELERIN habe ich dieses Mal – abseits seiner natürlich nach wie vor schockierenden Schonungslosigkeit – als vor allem eines wahrgenommen: Als tieftraurigen Film.
Wenn Erika Kohut alles um sich herum mit in die Tiefe reißt, ahne ich manchmal beinahe, es mit einer potenziellen Lars von Trier-Protagonistin zu tun zu haben. Doch für sie läuten keine Himmelsglocken, und es wäre auch niemand da, der sie und uns wissen lässt, dass diese Frau – trotz allem, was passiert ist - es verdammt nochmal verdient hätte, geliebt zu werden wie jede(r) andere auch. Doch ihre größte Tragik besteht darin, dass sie selbst nicht daran glaubt. Wie könnte sie auch? Ihr ganzes Leben lang war die bestimmende Information, die sie verinnerlichte: Du bist nichts wert und musst darum von anderen beherrscht und erniedrigt werden. Alles andere ist Unrecht. Und du wärst schuld daran.
[Erneut berackert Haneke das Feld elterlicher Prägung. In BENNY’S VIDEO und CACHÉ sind die Erziehungsberechtigten abwesend – hier sowie in DAS WEISSE BAND demgegenüber seziert der Regisseur in umgedrehter Denkrichtung, was eintreten kann, wenn Elternteile zu dominant auf ein Kind einwirken.]
Schauen wir uns einmal um, so sind die erfolgreichsten Leute nicht unweigerlich stets die intelligentesten oder begabtesten, sondern die, die einfach überzeugt sind, etwas erreichen zu können, sich auch über kleine Etappensiege freuen und den entsprechenden Willen mitbringen, Dinge in Gang zu setzen. Persönliches Glück ist zu einem gewissen Grat also eine Kopfsache. Wie könnte aber Erika dazu in der Lage sein, einen einzigen gesunden sozialen Kontakt zu pflegen, wo ein solcher bekanntlich darauf fußt, dass zwei Individuen sich auf derselben Stufe begegnen?
Mit etwa 40 Jahren befindet sie sich in einer schwierigen Phase. Theoretisch hat sie noch immer genug Zeit und vieles vor sich, jedoch wird der Zuschauer den beklemmenden Eindruck nicht los, dass es für all das zu spät ist. Vielleicht nämlich bräuchte es nochmal 40 Jahre, um ihren Selbsthass zu überwinden, der ein tiefes schwarzes Loch in ihre Seele gefressen hat – und damit lieben zu lernen. Ja, ich glaube, "lernen" ist hier ein passender Ausdruck, denn eigentlich bedarf es zur echten Erfüllung zweier Schritte: Erstens die Fähigkeit, überhaupt zu fühlen (diese besitzt, denke ich, jeder - wie man sieht, auch Erika) und zweitens die Überwindung, besagte Empfindungen auch dem betreffenden Gegenüber preiszugeben. Erst mit dem zweiten Akt offenbaren wir unsere Verletzlichkeit, vertrauen wir, und gehen damit ein Risiko ein – zum Beispiel das Risiko einer Zurückweisung oder gar einer emotionalen Ausbeutung. Was Erika jedoch gelernt hat, ist, dass ihr Gefühle und Nähe nicht zustehen (als "Strafe" für ihr erotisches Verlangen schneidet sie sich im Intimbereich mit einer Rasierklinge). Darum zeigt sie sich besonders kalt gegenüber denjenigen, die sie mit menschlichen Regungen konfrontieren – gegenüber dem Klavierschüler, der im Kiosk in Schmuddelheftchen stöbert oder dem Mädchen, das vor Nervosität wegen einer Probe fast einen Nervenzusammenbruch durchsteht. Und natürlich auch gegenüber sich selbst, die ungeplant und contra ihren Willen Zuneigung für einen attraktiven Studenten entwickelt, welcher ihr auch noch charmant den Hof macht. Als sie endlich bereit ist, sich ihm langsam zu öffnen, hat er sie aufgegeben und bringt ihr – weil er denkt, lediglich ein Spielzeug und Ventil für abartige Phantasien zu sein, mithin auch nicht mit ihr umzugehen weiß - nur noch Verachtung entgegen, was schlussendlich in einer nicht mehr zu ertragenden Vergewaltigung gipfelt. Die Abgründe haben sich potenziert.
Erika ist Täterin und Opfer zugleich. Ihre unheilbare Leere, ihre Depression, ihre Gewalt, ihre (räumliche wie geistige) Gefangenschaft - all das hält sie aufrecht und trägt irgendwie doch keinerlei Schuld daran. Mir fällt jedenfalls kein Film ein, bei dem ich es jemals so schwer fand, einen Charakter für destruktives Verhalten zu tadeln. Dabei gab es selten eine destruktivere Figur als die Klavierspielerin. Ihr Leben zieht in gerader Linie an dieser Frau vorbei und sie steht vor einer Tür aus Panzerglas, die sie mit bloßen Händen einschlagen müsste, um wieder aktiv einzugreifen. Was sie jedoch tatsächlich zerstört, ist die eigene Würde. Für den Weg nach draußen bleibt keine Kraft übrig, da sie so hart zuschlägt.
Es würde mir nie einfallen, jemandem einen Haufen Scherben in die Manteltasche zu schütten, trotzdem verstehe ich jede einzelne ihrer Regungen. Übrigens weint sie ziemlich oft - und nein, das ist kein Widerspruch zu ihrer Kälte. Vielleicht ist es das, was Haneke meint, wenn er sagt, dass wir in der Kunst nach Verbündeten suchen und unser Geschmack sich wie ein Kompass danach ausrichtet. Ich danke ihm für diesen Film.
»Ich will das Recht haben, wie alle anderen zu reden.«
Lars von Trier bricht sein Schweigen! Über 3 Jahre nach seinem Cannes-Eklat meldet sich der Regisseur in einem Interview mit dem dänischen Blatt "Politiken" erstmals wieder ausführlich öffentlich zu Wort. Darin spricht über seinen jahrelangen Alkohol- und Drogenmissbrauch. Unter anderem eine Flasche Wodka pro Tag benötigte er, um Stress zu verarbeiten, aber auch als Künstler - so entstand beispielsweise das Drehbuch zu DOGVILLE in weniger als 2 Wochen. NYMPHOMANIAC sei sein erster Film seit Langem gewesen, den er nüchtern schrieb. Nun ist von Trier, auch zum Wohle seiner Familie, vom Alkohol weg und nach eigenen Angaben privat ein angenehmerer Umgang, befürchtet jedoch, in ein kreatives Loch zu fallen und gar keine Filme mehr drehen zu können. Korrespondierend zu diesen sehr offenen Worten ließ er sich kahl rasiert und (halb-)nackt ablichten. Die üblichen Verdächtigungen in Richtung Selbstdarstellung werden sicher nicht lange auf sich warten lassen - ich dagegen bewundere ihn einfach nur. Weiterhin. Willkommen zurück, Lars.
Hier der Link zum dänischen Original-Artikel:
http://politiken.dk/magasinet/interview/ECE2468804/von-trier-toerlagt-noegen-og-paa-roeven/
Ein Interpretationsversuch:
CACHÉ ist ein hundsgemeines Stück Psycho-Terror. Er war überhaupt einer der ersten wirklich anspruchsvollen Autorenfilme, mit denen ich vor Jahren in Kontakt kam, und ich erkenne heute wirklich gut, warum ich damals vor ihm stand wie eine Kuh, wenn's donnert.
Auch, wenn ich heute etwas klarer sehe (oder mir das zumindest einbilde) bleibt es ein Werk, welches als Thriller zwar entschlüsselbar sein kann (nach mehrmaliger Auseinandersetzung!), jedoch – egal, zu welchen Ergebnissen man gelangt – irritierende Lücken klaffen lässt, die das Publikum selbst auffüllen muss... unter dem Generalverdacht, einfach nicht ans Ziel zu kommen. Erwartet man einen konventionellen Genre-Film, entfaltet sich CACHÉ als Angriff. Auf alles Mögliche. Doch Michael Haneke wäre nicht Michael Haneke, würde er sich nicht einen riesen Spaß daraus machen – und in seiner ihm eigenen Arroganz verkünden, dass jeder, der nach den Credits unbedingt wissen möchte, wer die Zeichnungen und Tapes geschickt hat (man könnte ja naiverweise meinen, gerade darum gehe es...), den Film nicht verstanden habe. Boing!
Nun ist Haneke natürlich ein Provokateur, bei dem man nie sicher kann. Mit ihm verhält es sich ähnlich wie mit der Anekdote in CACHÉ über die alte Frau und ihren überfahrenen Hund: Ein subtil beunruhigender Witz oder eine tatsächliche, mysteriöse Begebenheit? Zwar lachen beim Abendessen alle drüber, aber so richtig überzeugt ist möglicherweise niemand am Tisch. Der Voyeur vorm Bildschirm auch nicht.
Doch jetzt zum Punkt: Ich vermute, dass die Identifikation des heimlichen Boten - entgegen Hanekes Einlassung - durchaus eine Rolle spielt. Bei meiner gestrigen Sichtung des Films achtete ich ganz besonders auf den Sohn der Laurents. Ich glaube, dass Pierrot der Täter ist, und die letzte Szene vor der Schule mit ihm und Majids Sohn demnach kein MacGuffin - es ist eine Auflösung, denn so erfahren wir, von wem Pierrot über die frühen Traumata seines Vaters informiert ist. Damit besitzt er die Macht, diese grausam gegen ihn zu verwenden.
Stellt sich die Frage: Welches Motiv hätte der Junge? Der Film gibt sich trügerisch, da er aus der Perspektive der Eltern (bzw. der von George) erzählt und man sich für diese Lösung quasi eigenständig sensibilisieren muss – zumal wir nicht wahrnehmen können, dass in irgendeiner direkten Form Zwang oder Ähnliches gegen den 12-Jährigen ausgeübt wird. Eher scheint er für uns wie eine Nebenfigur. Gestern allerdings fiel es mir wie Schuppen von den Augen, wie sehr George und Anne permanent mit sich selbst beschäftigt sind, entweder in ihrer Arbeit aufgehen oder die ohnehin knapp bemessene Freizeit mit Kollegen verbringen – das fällt nicht besonders auf, da Haneke diese modernen bürgerlichen Intellektuellen nicht verurteilt, sondern - wie man es von ihm kennt - ihren Alltag sachlich darstellt.
Pierrot auf der anderen Seite fühlt sich vernachlässigt. Die Videobänder sind ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Wichtig ist eine Szene, in der Daniel Auteuil seiner Mutter in einem leicht abwertenden Ton berichtet, ihr Enkel Pierrot würde sich aktuell lediglich für seine Kumpels interessieren, fürs Klavierspielen sei er daher nicht zu ermuntern. Und in der Tat ist der Gemeinte häufig außer Haus – weil er bei Freunden wahrscheinlich diejenige Geborgenheit sucht, die er daheim vermisst. So empfinden Generationen aneinander vorbei. Der erste Verdacht der Laurents fällt auf etwaige Schulkameraden von Pierrot, ihn selbst hinter den Zustellungen zu vermuten, darauf kommt das Paar hingegen überhaupt nicht.
Eines Tages verschwindet der Teenager sogar über Nacht, ohne ein Wort zu hinterlassen. Als er wieder auftaucht, setzt Juliette Binoche – dann glaubwürdig – erleichtert zu einer innigen Umarmung an, ihr Film-Sohn jedoch weist sie schroff zurück. Für mich ein eindeutiges Signal: Das oberflächlich normal-harmonische Familienverhältnis ist in seinen Tiefen zerrüttet.
Und, oh Wunder: Als für George und Anne die große Paranoia beginnt, spürt auch Pierrot, wieder anwesend und nicht mehr nur Luft zu sein. Man hat Angst um ihn. Der "Erfolg" seiner Aktionen gibt ihm also sozusagen Recht. Wie lange es wohl her ist, seit sein Vater ihn das letzte Mal von der Schule abgeholt hat, oder er die Sorge seiner Mutter – ergo: Liebe – vergewissert bekam? Der Teenager ist wütend: Warum bedarf es zu jener Besinnung erst eines alarmierenden Einflusses von (vermeintlich) außerhalb?
Wie bereits angedroht, wird nicht jeder Hintergrund ausgebreitet. Zum Beispiel: Woher kennen sich Pierrot und Majids Sohn? Wir tappen im Dunkeln. Beschriebene Interpretation ergibt aber vor allem Sinn im Hinblick auf Michael Hanekes typische Themenkomplexe (in diesem Fall: Die Spiegelung von Eltern auf ihre Kinder, siehe BENNY'S VIDEO, DAS WEISSE BAND). Es geht auch um die Dämonen der Gegenwart.
Ohnehin wird das Motiv Schuld in CACHÉ auf schwindelerregend vielen Ebenen ausgeschöpft: Inwieweit kann man George und Anne anklagen, wenn sie sich der Problematik um ihren vereinsamten Sohn nicht einmal bewusst sind? Gibt es unsichtbare häusliche Gewalt? Kann ein 6-Jähriger Verantwortung auf sich laden, und wäre er nicht wenigstens im Erwachsenenalter zu einer Auseinandersetzung und Wiedergutmachung "verpflichtet" – vorausgesetzt, Prozesse des Verdrängens wären nicht allzu menschlich?
Ferner erwähnt der Film den Tod von Majids Eltern, die während des Pariser Massakers 1961 getötet wurden, erweitert das zunächst rein innerfamiliäre Sujet "nebenbei" mithin auch politisch auf einen gesamten Staat.
Warum der Film sonst noch eine Glanzleistung ist: Hier zeigt sich meiner Meinung nach wie in keinem anderen Haneke, wie eindringlich der Regisseur Genres studiert haben muss, ohne seinerseits auch nur ein einziges Klischee zu bedienen. Man beachte nur, wie konzentriert und präzise der bekennende Realist einen Albtraum (--> Georges Traum von Majid und dem geköpften Huhn) zu inszenieren imstande ist. Dieser Einschub sowie weitere Visionen, die den Protagonisten aus der Vergangenheit einholen, sind sogar so schlüssig, dass man sich über ihre Herkunft als psychologische "Rückblende" erst anschließend im Klaren wird.
Caché, hidden, verborgen. Also eines meint Haneke definitiv ernst: Den Titel. Ein meisterliches Labyrinth.
Eine sehr, sehr traurige Meldung. Erst vor Kurzem noch THE GRADUATE gesehen und wieder verblüfft gewesen, wie sehr er mir trotz seinen 46 Jahren auf dem Buckel doch aus der Seele und dem Herzen spricht. Wobei: Im Grunde ist der Film für meine Generation womöglich aktueller als er es jemals war. Und natürlich hat uns Nichols noch weitere Meisterwerke beschert. VIRGINIA WOOLF und auch CLOSER stehen für sich selbst und bleiben unvergessen. Gute Reise, Sir.
MISTER Turner? Nanu?
Was auf den ersten Blick als nicht unbedingt originelle oder spektakuläre Wahl für den Titel eines Biopics anmutet, versetzt mich, nachdem ich in den Genuss von Mike Leighs neuestem Schaustück gekommen bin, schließlich in leises Staunen. Haben wir es bei Joseph Mallord William Turner, dem berühmten britischen Maler des 19. Jahrhunderts, etwa mit einem Gentleman zu tun?
Über zweieinhalb Stunden sehe ich fasziniert und entsetzt mit an, wie ein Grobian und offensichtlich kolossaler Frauennichtversteher auf Bilder spuckt, ein pragmatisches, vielsagendes Grunzen stets ganzen Sätzen vorzieht, seine Haushälterin sexuell ausbeutet, bis auf zwei Ausnahmen sein gesamtes Umfeld – einschließlich seiner leiblichen Töchter - lebenslang mit Ignoranz und Verachtung straft, einige (also wenn er mal nicht grunzt, versteht sich) derbe Sprüche vom Stapel lässt… und vieles mehr. Sprachlos bleibe ich im Kinosessel zurück, als der Abspann einsetzt. Mister Turner. Tztztz. Der Regisseur jener Farce ist scheinbar in ein seniles Spätwerk eingetreten und will mich wohl veräppeln.
Doch weit gefehlt. William Turner nämlich, diese animalische Erscheinung von Mensch, war führender Vertreter der Romantik in der Bildenden Kunst und zweifellos ein großer Schöpfer. Seine außergewöhnlichen Natur-Gemälde deuten auf einen Urheber mit regem Seelenleben, ausnehmender Sensibilität und großem Verlangen nach Stille, Melancholie und Schönheit in der Welt.
Kurzum: Mike Leigh stand vor einem Gros an sonderbaren Widersprüchen, die – so, wie sie sind – selbst ein wacher Geist kaum erklären, dafür herrlich zelebrieren kann. Und darin besteht auch schon die gesamte Magie seines aktuellen Streichs. Wenn Turner seine Frauen beim Liebesakt anpackt wie ein altes Möbelstück, liegt meine Stirn in tiefen Falten, davor und sicher auch danach jedoch kostet mich seine mürrische Unbeholfenheit in Sachen sozialem Miteinander – ob ich will oder nicht – mindestens ein warmes Grinsen.
[Meine persönliche Einschätzung geht dahin, dass es dem Zuschauer vor allem deshalb nicht "gelingen" mag, Turner ausgiebig zu hassen, weil Leigh uns durch ihn das Triebhafte, "Tierische" in uns selbst vor Augen führt – und gleichsam unterbewusst damit versöhnt. Weiter gedacht bedeutet dies, dass theoretisch und möglicherweise in jedem ebenso ein kreatives Genie lauert. Philanthropie pur!]
Und dabei habe ich noch nicht einmal ein Wort über Timothy Spall verloren, der wahrscheinlich die furchtloseste, virtuoseste Leinwand-Performance des Jahres abliefert – er IST William Turner und verschmilzt mit seiner Figur genau wie der gesamte Film, welcher in zahlreichen nachhallenden Augenblicken die Schranken zwischen stillem und bewegtem Bild abbaut und somit zwei Kunstformen in ein poetisches Miteinander überführt. Ich möchte nicht bestreiten, dass 150 Minuten lang sind, aber sie sind das Opfer wert; allein schon für diese Bruchteile an Transzendenz, die das Publikum in Sphären der Vollendetheit hineinstreicheln und beinahe wie unter Drogeneinfluss nach mehr gieren lassen…
… während Mr. Turner weiter köstlich durch den Film stampft – nach außen recht uneitel, innerlich indes mit verletzlichem Künstlerstolz, der irgendwie berührt.
Wenn man mich nun fragt, was genau ich von diesem Mann halte, muss ich überfordert abwinken. Ich weiß es einfach nicht. Ich bewundere und verabscheue ihn zugleich. Das ist vermutlich ein gewaltiges Kompliment für Mike Leigh, der seinen Protagonisten trotz und gerade wegen dessen Eigenarten/Fehlbarkeiten mit einem "Mister" kreditiert, und damit den Kreis zu seinem bisherigen Schaffen mühelos schließt - es ist das Werk eines ikonischen Menschenkenners.
Mein Seelenfilm.
Ich als erklärter Nicht-Fan kann zwar herzlich drüber schmunzeln, aber die Zusammensetzung der Überschrift ("Rettung des Kinos" in Verbindung mit Tarantinos Karriereende) ist ein wenig unglücklich/böse, oder? :-D
Naja, was soll ich sagen. Ich konnte mit dem Gewalt-Zynismus in seinen Filmen noch nie etwas anfangen und werde in diesem Leben wahrscheinlich auch nicht mehr dahinter kommen, was so bahnbrechend daran sein soll, wenn Gangster sich über Burger unterhalten oder einen Kofferraum öffnen. Aber wenn Herr Tarantino meint, jetzt jedes Jahr neu seinen Abschied verkünden zu müssen, soll er das nur tun. Er hat schließlich genügend Anhänger, die er damit in Atem hält.
Ein kurioses Stückchen Gigantomanie, das – auch, wenn ich es im Ergebnis nicht besonders mochte – doch so manches hergibt: Über die Relativität (und damit den (Un-)Sinn) von Zeit, die Absolutheit von Gefühlen, das Mit- und Gegeneinander von Wissenschaft und Wundern, über die Möglichkeiten sowie (leider) auch die Grenzen des modernen Unterhaltungsfilms – und damit über die zwei Seelen in der Brust des INTERSTELLAR-Regisseurs.
Da ist zum einen Christopher Nolan, der ungelenke Nerd und Klassenprimus, dem keine Definition zu lang und keine Metapher zu preiswert ist. Der uns wie ein unfehlbares Lexikon aufklärt über Gravitation, Wurmlöcher, Einstein und unser Unterbewusstsein, das ein Fahrstuhl ist. Ein Sklave mathematischer Logik, der niemals den roten Vorhang senken würde, bevor nicht – wenigstens nach den Grundsätzen filmischer Zerstreuung – jedes Mysterium für den mitdenkenden Zuschauer an der kurzen Leine wasserdicht abgesichert ist.
[Ab jetzt mögliche *Spoiler*]
Nolan 2 hält dagegen. Er glaubt an niedergeschlagene Witwer, die - um ihre Kinder wieder sehen zu dürfen – einmal hin und zurück das innere (INCEPTION) oder äußere (INTERSTELLAR) Universum durchqueren würden; an die Macht der vernunftwidrigen Liebe, welche - wie wir hier erfahren - als einzige die Menschheit retten kann, da sie allein den rechten Weg kennt. Nunmehr gleich in 5 Dimensionen.
Manchmal sogar, zum Beispiel während der ersten Hälfte dieses Films, sind sich beide Nolans einig und erreichen dann unter erfreulichen Kompromissen, mit Konzentration aufs Wesentliche und nur wenig Gedöns eine solide Basis. Diese heißt visuelles Kino und entfaltet bisweilen eine Menge Kraft und Futter für bildlich-emotionales Erfassen von Unerfassbarem:
Stell' dir vor, du kämpfst 10 Minuten gegen eine Riesenwelle und zurück in der Kapsel stehst du anhand von Videobändern machtlos der Tatsache gegenüber, dass deine Liebsten zu Hause mal eben 20 Jahre gealtert sind, beziehungsweise du in besagten "10 Minuten" das Heranwachsen deines Nachwuchses und vieles mehr verpasst hast. Oder wie du dich, bevor es weitergehen kann, auf einem anderen Planeten in einer anderen Galaxie zunächst mit Matt Damon im Schnee wälzen musst, weil deine Spezies gerne das Schicksal herausfordert oder auch einfach keine Manieren kennt – nicht auf der Erde und offensichtlich auch nicht anderswo.
Nicht unerwähnt bleiben darf überdies der sympathische Hilfsroboter an Bord, der – ausgerechnet! – einige comic reliefs beisteuert. Nolan überlässt den Humor einer Maschine... gelinde bezeichnend, jedoch angenehm ironisch und darum irgendwie putzig. Soweit alle Daumen hoch.
Doch was wird aus seiner Regie-Schizophrenie? Sie führt schon wieder in ein schwarzes, akademisches Kitschloch, aus dem der arme Matthew McConaughey nur mit allergrößten Verrenkungen wieder empor kriecht. Als er zu sich kommt und aus dem Fenster schaut, ist die Architektur draußen verbogen und gekrümmt. Kaum überraschend! – und für mich frustrierend, waren die Ansätze für einen echt guten Film doch in jedem Fall vorhanden.
Wie gerne wäre ich überzeugt von Christopher Nolan als – nicht nur auf sein geliebtes Medium bezogen - heimlichem Romantiker, der sein empfindsames Gemüt bloß hinter Übermut und langweiligem Schlaubi Schlumpf-Technik-Geschwafel versteckt, weil er es muss. (Ähnlich wie die Jungs in der Schule mit ihrem Imponiergehabe unter Freunden, indes sie sich in alleiniger Gegenwart eines begehrenswerten Mädchens plötzlich zu einer ganz anderen Person wandeln.)
Bedauerlicherweise hingegen bleibt es dabei: Ein Nolan-Film ist wie ein zitiertes Shakespeare-Gedicht, vorgetragen von einem Navigationssystem in ruppigem Stakkato – die Sinne halten es kaum aus und man entscheidet sich schon bald, die Lektüre im Stillen und für sich zu lesen. Wo ist die Poesie, der Mut zum Loslassen (= der Mut zur Kunst), der Klang, Rhythmus und die Sehnsucht in der Stimme?
Gütiger Himmel. Also das kommt nun doch ein wenig unerwartet. Glückwunsch natürlich an alle übrigen und verdienten Gewinner - mit der Auszeichnung meines Texts hingegen hat die Jury schamlos schlechten Geschmack bewiesen. Aber mal so richtig und aus voller Inbrunst. Und dafür bin ich extrem dankbar! :-D Juhuuu!
Und wieder einmal nach einem Werk dieses überragenden Regie-Gespanns aus Belgien möchte ich einfach nur laut in die Hände klatschen. Die Gebrüder Dardenne sind wohl so etwas wie ein humanistischer Leuchtturm des zeitgenössischen Kinos. Wie oft treiben wir nicht orientierungslos umher im stürmischen Ozean des Lebens, ausgelaugt, irritiert, zerfressen vom zermürbenden Alltag mit seinen spontanen Hindernissen ebenso wie (in ruhigeren Momenten) von der Masse an mittelmäßigen Filmen. Doch ganz gleich, wie scheinbar aussichtslos wir von der Küste abgekommen sind, diesen Leuchtturm sehen wir von weitem (möglicherweise, wie einen hellen Stern, von jedem Ort der Welt), und wir wissen: Dort drüben ist Licht, und dort ist auch Land, und dort wird es auch morgen noch sein und auf mich warten, wenn ich nur den Blick nicht abwende. Vermutlich, sicher sogar, werde ich lange unterwegs sein, der Witterung trotzen müssen, am Ziel – ohne Kleidung, dafür mit blauen Lippen und Sand zwischen den Zehen - neuen Herausforderungen gegenüberstehen. Doch ich werde ankommen. Ich muss hier und jetzt nicht untergehen.
Wie realistisch kann ein Märchen sein? Erneut gestehen die Dardennes einer kleinen, bescheidenen und entsprechend unprätentiös vorgetragenen Geschichte aus unserer Mitte biblische Ausmaße zu. Reiche einer Person in Not die Hand und sie wird es dir mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vergessen. Trete mutig für deine essentiellen Bedürfnisse ein. Wenn du dich nur aufrichtig zeigst und den Menschen dabei in die Augen siehst, darfst du auf Solidarität hoffen. Vielleicht nicht von allen, aber von einigen. Und das genügt allemal. Denn eigentlich wissen wir ja aus eigener Erfahrung um die betrübliche Unbeständigkeit der Fundamente, die uns stützen... die einer Ehe, einer Familie, einer Freundschaft, einer warmen Bleibe, eines Lebensunterhalts.
Mag Marion Cotillard hier auch – es bereitet absolut keinerlei eskapistisches Vergnügen, diverse Rückschläge und Demütigungen mit ihr durchzustehen – exemplarisch um ihren Arbeitsplatz kämpfen, ZWEI TAGE, EINE NACHT erschöpft sich nicht in einer kalkulierten Gegenüberstellung von kapitalistischer Wirtschaftlichkeit und ideeller Nächstenliebe. Vielmehr entdecken die beiden Regisseure, wie sie es immer tun, universelle Werte in einer nun einmal unsentimentalen, niemals still stehenden Gesellschaft, und schließen auf einem ergreifenden, minimalistisch-großen Gleichklang. Neugierig, schlafwandlerisch leicht und doch – es macht sie fast schon zu Exoten – aus voller Überzeugung; und (ich hoffe, das klingt nicht zu pathetisch) im Dienste einer Gerechtigkeit, die sehr wohl existiert. Eben so beständig wie ein Fels in der Brandung - er bleibt einfach da, egal wie hart die Wellen aufschlagen. Am Liebsten möchte man es auch woanders für selbstverständlich hinnehmen. Aber wo kämen wir da hin?
Möge ihr Stern auch weiterhin alles überstrahlen.
Ich bin ja sehr froh, hier zur Abwechslung einen Artikel lesen zu dürfen, der sich eingermaßen neutral mit dem Phänomen Michael Bay beschäftigt. Bay möchte im Grunde nur das, wonach sehr viele Menschen streben: Geld. Und er hat das ultimative Rezept dazu zusammengestellt.
Zutaten, mit denen man im 21. Jahrhundert (!) die meisten Leute ins Kino bekommt:
Krawall, Sexismus, pubertärer Humor und eine geballte Ladung Oberflächlichkeit.
Natürlich kann man darauf als besonnene, aufgeklärte Person mit gewissen Ansprüchen und Wertvorstellungen reflexhaft abhaten. Man kann aber auch genauer hinschauen und sich mit der Spiegelwirkung befassen, welche sich aus dem umfassenden Erfolg dieser Filme ergibt - jeder Bestseller spiegelt nämlich einen Zeitgeist. Vielleicht wird man in ein paar hundert Jahren nochmal einen TRANSFORMERS auskramen und sich denken: "Oh, holy shit, sowas mochte man also damals. Ein Wunder, dass die Welt nicht einfach untergegangen ist!"
Bay gibt den Zuschauern lediglich das, was sie sehen wollen, nicht mehr und nicht weniger. Könnte man heute mit gehobener Filmkunst noch groß Kohle scheffeln, würde er
a) entweder andere Filme drehen oder
b) in der Werbeindustrie verschwinden.
So aber würde ich mir wünschen, man würde sich in Cineasten-Kreisen nicht immer sofort mit dem imaginären Schlagstock bewaffnen, wo der Name "Bay" fällt - sondern vielleicht auch öfter mal die Konsumenten solchen Trashs mehr in die Pflicht nehmen. Jedes Publikum bekommt, was es verdient.
Ich hatte ja keine Ahnung! Den fulminanten TRANSFORMERS 4: AGE OF EXTINCTION bewunderte und lobte ich diesen Sommer zwar über den grünen Klee, doch dämmerte mir als Frischling auf diesem Terrain zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Michael Bay bereits mit dem Vorgänger, THE DARK OF THE MOON, dazu ansetzte, die Menschheitsgeschichte neu zu schreiben – um sein Werk rund um die bunten Helden-Roboter sodann 2014 mit einem Feuerwerk zu krönen und die Franchise schließlich in die Hände eines neuen (höchstwahrscheinlich weniger visionären) Regisseurs zu legen.
Noch mit diesem Werk jedoch präsentiert sich der Master of Disaster süffisant wie eh und je. Bei einem Gefecht um seinen Heimatplaneten Cybertron wird Sentinel Prime hart getroffen und mitsamt seinem Schiff durch den Weltraum geschleudert. Landen tut er auf dem Mond – noch vor den Amerikanern, die zunächst nur staunen und – neugierig wie misstrauisch gegen unbekannte Lebensformen - einen neuen Krieg zwischen Autobots und Decepticons zumindest nicht verhindern können. Planet Erde gerät abermals zwischen die (Schrott-)Fronten und dient als Schlachtfeld. Bereits zu Anfang wird jeder, der unsere Spezies für die Überlegene hält, unsanft auf dem Boden der Tatsachen aufschlagen; Bay wandelt auf den schöpfungspessimistischen Spuren eines Werner Herzog und stellt klar: Es gibt womöglich Orte in diesem Kosmos, an denen wir schlicht nichts verloren haben.
Die Redensart "dunkle Seite des Mondes" wird nun endgültig zu einem Fanal des Bedrohlichen. Bezüge des Films zur chinesischen Philosophie (Yin und Yang) sind demnach (denn wo Schatten ist, da muss auch Licht sein) gleichfalls nicht auszuschließen – damit ließe sich beispielsweise nachträglich die Verlagerung der Geschichte nach Hongkong in AGE OF EXTINCTION erklären.
Ein Blick auf irdischen Boden offenbart allerdings: Wir haben auch so schon genug Probleme!
Hohe Wellen schlug das öffentliche Zerwürfnis zwischen Bay und seiner Hauptdarstellerin aus TRANSFORMERS 1 und 2, Megan Fox, welches darin gipfelte, dass die Dame für THE DARK OF THE MOON nicht mehr auf die Leinwand zurückkehrte. In Wahrheit allerdings muss von einem Besetzungscoup gesprochen werden, denn Fox’ Ausscheiden ermöglicht es dem Regisseur erst, die postmoderne Kurzlebigkeit von Werten und Gefühlen zu thematisieren: Durfte das Publikum nach dem Finale von REVENGE OF THE FALLEN daran glauben, in Sam Witwicky (Shia LaBeouf) und ihr ein Traumpaar für die Ewigkeit gefunden zu haben, wird jene Zuversicht jetzt jäh erschüttert, als Sam Knall auf Fall eine neue, dieses Mal blonde Partnerin zur Seite gestellt wird. Wohin nur hat sich die alte Liebe verflüchtigt? Am Ende eint gar – inmitten den Trümmern eines vollends zerstörten Chicagos - ein Heiratsantrag den jungen Protagonisten und sein frisch erkorenes Herzblatt. Hoffnungsschimmer oder bitterer Zynismus? Eine Großstadt liegt am Boden und mit ihr unser Zeitgeist. Michelangelo Antonioni würde applaudieren.
Und auch die Maschinen werden in ihren charakterlichen Grundfesten erschüttert: Optimus Prime, der bislang ohne Abstriche den besonnenen Leader der Autobots verkörperte, lässt sich von Rachegelüsten treiben und überwältigt nicht lediglich Erzfeind Megatron, sondern mit Sentinel Prime, welcher insgeheim einen Pakt mit den Decepticons eingegangen war, erstmalig gewaltsam einen Angehörigen aus den eigenen Reihen. In diesem Moment deutet das Regie-Mastermind an, was es erst später klar ausformulieren sollte: Die Transformers sind sensible Geschöpfe, ebenso fehlbar (und manchmal grausam) wie wir. Wir sind gehalten, sie als letztlich verwandte Wesen zu akzeptieren und nicht zu verdammen - so schwer es auch fällt.
Bei so viel geballter Ambition verwundert es wahrlich nicht, dass die Speerspitze Hollywoods Bay die Türen einrennt. Stars wie John Malkovich und – in einer tragenden Rolle! – Frances McDormand geben sich die Klinke in die Hand. Der Beweis: Nicht einmal - ja, liebe Cineasten! - im Hause Coen verschließt man sich diesem Genius. Und Megan Fox? Lange vergessen! Tja: Ist eine Schönheit nicht mehr da, steht schon ein nicht minder talentiertes Victoria’s Secret-Model Spalier. Wovon viele Filmemacher träumen, das ist bei Michael Bay beneidenswerte Realität. Eine eigene Sexualneurose ist es jedenfalls garantiert nicht, welche er durch Einbringen eines gigantischen Mecha-Wurms, dem so genannten Driller, in freud'scher Huldigung sinnstiftend aufarbeit.
Schade nur, dass die Action ein wenig zu kurz kommt bzw. - vermutlich durch die Umstellung auf 3D - einen Tick zu geordnet und darum klinisch anmutet. Mit REVENGE OF THE FALLEN war Bay, der mit dem vorliegenden Opus erstmals auf ein Massenpublikum schielt, insofern bereits einige Schritte weiter. Doch dies ist Meckern auf denkbar hohem Niveau. Ein Meisterwerk.