Jenny von T - Kommentare

Alle Kommentare von Jenny von T

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    Die Welt ist nicht mehr wie zuvor als an einem 14. Oktober 140 Millionen ihrer Menschen-Bewohner urplötzlich verschwinden. Aus Autos, Kindersitzen, Büros, Betten und von Frühstückstischen. Im Verhältnis zur Gesamtpopulation bemessen bilden 140 Millionen gerade einmal 2 Prozent und doch klingt diese Zahl gewaltig – insbesondere für diejenigen, die um Angehörige trauern.
    Dies ist etwas anderes als ein Unfall oder eine Naturkatastrophe, denn für beides hält die Wissenschaft regelmäßig logische Erklärungen bereit. Wo aber steckt der Sinn dahinter, wenn Körper einfach in der Luft verpuffen? Wie soll es möglich sein, mit dem Ereignis abzuschließen, wenn niemand weiß, ob sie je zurückehren, wo sie sind, oder ob sie überhaupt noch sind? Ist jene Instanz, die sich dafür verantwortlich zeichnet, schon fertig mit uns, oder werden weitere geisterhafte Vorfälle folgen? Vertrauen wir den Religionen?
    Jede noch so grausame Antwort wäre immerhin auch eine Erleichterung, denn sie schafft Klarheit – gar nichts zu wissen und bei der (vielleicht sogar zutreffenden) Vermutung reiner Willkür stehen zu bleiben, das aber ist das Unerträglichste. Es setzt Ängste frei, die so tief in uns vergraben waren, dass wir sie nicht einmal erahnen wollten. Doch nun stehen wir hier und müssen sie bekämpfen, weil eine meterhohe Welle sie nach oben spülte.

    Auf dem Boulevard einer verschlafenen Kleinstadt begegnen wir den zentralen Charakteren:
    ● Polizeichef Kevin Garvey, der in besagter Situation seine Gemeinde sowie seine Familie zusammenhalten muss. Als beides unter seinen Füßen wegzubrechen droht – die untröstliche Ehefrau schließt sich einer Sekte an, Stiefsohn und Stieftochter nabeln sich ab -, verzweifelt er daran, möglicherweise nicht beschützen zu können, was er liebt.
    ● Reverend Matt Jamison hadert mit dem Glauben und stellt – womit er sich zahlreiche Feinde macht - die Verschwundenen in Flugblättern für ihre Sünden bloß. Gemäß seiner Auffassung sind sie verdammt, nicht erlöst. Nach dem Zusammenprall mit einem anderen Fahrzeug am 14.10. liegt seine Frau Mary im Wachkoma.
    ● Meg ist verlobt und die Planungen für ihre Hochzeit nehmen Formen an, doch ihr Leben wird innerhalb von 2 Tagen kräftig durchgerüttelt. Paralysiert und von Zweifeln zerfressen sucht sie – wie auch Laurie Garvey – Zuflucht und Beständigkeit bei den "Guilty Remnants". Die Organisation hat das Ende ausgerufen und stemmt sich gegen ein Vergessen der Vorkommnisse. Dabei bedient sie sich mitunter grauenvoller Methoden.

    Ihnen allen ist gemein, nun einen neuen Platz finden zu müssen – in so vielerlei Hinsicht. Es beginnt eine spirituelle Reise. Wer mit Genre-Kino nicht viel anzufangen weiß, sollte sich vom Aufhänger der Serie keineswegs abschrecken lassen, denn sie handelt als, ja, vollendetes Gegenwartszeugnis, ganz und gar von allzu Menschlichem. Von dem Umgang mit Verlust, der Empfindlichkeit von Bindungen, der Bedeutung von Sehnsüchten, dem Stellenwert von Liebe. Auf einem Nenner: Geborgenheit. So unscheinbar das Wort, so beträchtlich sein Gehalt.

    Die Figuren zeigen sich so fehlbar wie jeder einzelne von uns, jedoch zeigen sie eiserne Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, zu ringen (wenn nötig an den Grenzen des Bewusstseins!), Buße zu tun, von vorne anzufangen. Und geht es nach den Autoren, haben sie bereits damit gewonnen, wo auch immer sie am nächsten Tag erwachen mögen. Geschieht ein Wunder, dann haben sie es selbst herbeigeführt.
    Manchmal – öfter als uns lieb ist - passiert es, dass alte Wunden nicht verheilen, sondern nur von frischen überdeckt sind und man schon gar nicht mehr fragen möchte, wer sie uns zufügt. Wenn die Hoffnung den Tag repräsentiert, dann wäre dies die Gestalt der kalten Nacht. THE LEFTOVERS lässt alle 4 Jahreszeiten Wirklichkeit werden. Es heißt ja, ein "Ich liebe dich" verliere an Kraft, wenn man es zu häufig ausspricht. Die Serie zu schauen ist so, als bekäme man von einer vertrauten Stimme die ergreifendsten Bekenntnisse ins Ohr geflüstert und wäre plötzlich fähig, alle Sprachen dieser Erde zu verstehen. Und ehe sich der Schmerz versieht, wurde er mehrmals überrundet.

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      Jenny von T 13.12.2015, 11:49 Geändert 13.12.2015, 21:53

      Alex van Warmerdam, seit BORGMAN mehr als nur ein Geheimtipp, geht seinen Weg beharrlich weiter. Auch mit dem Nachfolger sagt der Kultregisseur in spe Konventionen den Kampf an, wo es nur geht. Wenn der Niederländer Genre-Motive aufgreift, dann lediglich, um sie aufzufüllen und schließlich auf den Kopf zu stellen. Hier setzt er zwei Auftragskiller – beide Väter - gegeneinander an, ohne dem Publikum ein "Warum", also das vermeintlich Wichtigste, für den ganzen Irrsinn an die Hand zu geben. Nicht einmal eine unbeglichene Rechnung trennt die Rivalen, und doch soll es so sein.

      SCHNEIDER VS. BAX ist Gesellschaftssatire, Familientragödie und dank seines geschickten, temporeichen Plots auch bei rein oberflächlicher Würdigung immer noch spannender als jeder konventionelle Thriller. Van Warmderdams Filme agieren selbstläuferisch innerhalb einer hermetisch abgeriegelten Blase, in der alles darf und vieles muss. Die Abgeschiedenheit und Dichte eines Waldes oder Sumpfgebiets bieten den Figuren nicht unbedingt Schutz, vielmehr versinken die Charaktere – dem Untergang geweiht - gemächlich in der Feuchte des Bodens. Bax' depressive Tochter Francisca sowie die (unfreiwillige) Komplizin von Schneider, eine Prostituierte mittleren Alters auf der Flucht vor ihrem Zuhälter, sind diejenigen, die noch am Ehesten den Überblick über das kuriose Geschehen behalten bzw. sich wenigstens aktiv gegen ihr Schicksal stemmen, wo die Herren der Schöpfung in gediegener Lakonie, um nicht zu sagen Gleichgültigkeit verharren. (Ich bin sogar geneigt, dem Film eine feministische Lesart zuzusprechen.) Die Ironie beginnt damit schon beim Titel, der im Stile eines Boxkampfs ein Männerduell suggeriert.

      Würde man dies jedoch beim Wort nehmen, wäre der drogenabhängige, etwas sorglose und "leicht" verplante Bax sich zunächst einmal selbst der größte Feind. Sein Kontrahent andererseits lässt sich am Morgen des eigenen Geburtstags nur ungern für eine lästige Pflicht (also einen Mord) einspannen und telefoniert zwischendurch mehrmals mit seiner Ehefrau. Die oberflächliche Harmonie dieser kurzen Rückversicherungs-Gespräche entlarvt van Warmderdam – nicht nur im Kontext der morbiden Handlung - als derart schauderhaft, dass das bourgeoise Blut gefriert. Allerdings ist hier keine einzige zwischenmenschliche Beziehung so, wie sie nach außen scheint. Das Verhältnis zwischen den sehr gegensätzlichen Bax und Francisca zum Beispiel wirkt auf den Zuschauer in den ersten Minuten wie unrettbar zerrüttet, nach und nach wird aber erkennbar, dass eine konkrete Vater-Tochter-Solidarität besteht. Klänge es in diesem Kontext nicht so zynisch, man könnte ihr Team als "Sieger der Herzen" bezeichnen.

      Wir schreiben ins Schilf: Auch Holland ist no country for old men.

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      • Die Grenze zwischen Leidenschaft und Nötigung verläuft auch im echten Leben oft ambivalent und fließend. Es kann zum Beispiel passieren, dass man zwar innere Vorbehalte gegen Intimität mit einer Person hat, sich aus verschiedensten und komplexesten Motivbündeln aber dennoch darauf einlässt, und dies durchaus bewusst. Eine vorausgehende explizite, ehrliche und eindeutige "Klärung" der Verhältnisse wäre dann also nicht nur nicht besonders hilfreich, sondern eventuell sogar unmöglich. Ich verstehe zwar das Bedürfnis nach Klarheit, aber nur wenige Momente, die wir erleben, sind tatsächlich absolut eindeutig.
        Deshalb finde ich es zunächst einmal richtig, wenn auch ein Film einfach nur beobachtet und die Einordnung des Gezeigten dem Zuschauer überlasst, der gehalten sein soll, sich in die Situation hineinzuversetzen.
        Ein unsensibles "Überrumpeln" muss seitens des Films ja nicht unbedingt als romantische Erfolgstaktik angepriesen sein bzw. die jeweilige Figur in einem positiven Licht dastehen lassen. Die meisten Filme, die dieser Artikel erwähnt, habe ich zwar gar nicht gesehen, will aber generell davor warnen, einzelne Szenen aus ihrem Kontext zu reißen und isoliert zu werten.
        Der Umgang zwischen Pornodarstellern untereinander ist meiner Meinung nach noch einmal ein anderes Thema. An einem solchen Set ist Körperlichkeit zwingend und strenge Regeln daher unumgänglich. Manchmal liegt dann nämlich nur eine winzige Nuance zwischen einer Berührung, die noch OK ist und einer folgenden, die womöglich zu weit geht. Im Rahmen einer "normalen" Annäherung zwischen zwei Menschen dagegen merkt man ja mit etwas Aufmerksamkeit, ob die Anziehung gegenseitig ist oder nicht... also beispielsweise daran, ob der andere bei kleinen, "zufälligen" Berührungen zurückzieht oder nicht. Und so weiter. (Natürlich setzt das, was weniger angenehm ist, ebenso die Bereitschaft voraus, subtile Anzeichen einer *Ablehnung* anzuerkennen.)
        Persönlich würde ich es nicht wollen, vor einem Kuss gefragt zu werden. Denn falls eine Chemie da ist, zerstört es den gesamten Zauber des Augenblicks.

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        • Jenny von T 30.11.2015, 11:47 Geändert 30.11.2015, 12:00

          Natürlich inszeniert Spielberg routiniert, von mir aus auch konventionell. Ich sehe bei ihm allerdings keinen Widerspruch zwischen Form und Inhalt, sondern vielmehr einen Gleichklang, denn viele seiner Werke transportieren Überzeugungen, die man heute wohl leider als altmodisch bezeichnen muss - egal, ob man ins Kino geht oder auch nur die Zeitung aufschlägt. Und noch mehr: Tom Hanks redet im Film nicht etwa nur, er handelt auch. Ich denke, Spielberg möchte darauf hinaus, dass wir ihn als Vorbild nehmen (damit dies leichter fällt, ist die Hauptfigur eine Person aus der Mitte der Gesellschaft und eben nicht Superman), uns aber gerade nicht ohne Weiteres mit ihm gleichsetzen sollen. Ich schätze, die wenigsten von uns haben einmal ein Menschenleben gerettet oder sich sonstwie aktiv für fundamentale Grundrechte anderer eingesetzt.
          Sebastian Koch meinte ja in einem Interview, Spielberg vermittle eine geradezu "buddhistische Ausstrahlung". Als ich das las, musste ich schmunzeln, denn genau so stelle ich mir ihn irgendwie auch vor. Und hier höre ich nun, Spielbergs Filme seien "unmoralisch".
          Es ist, wie es ist. Man kann hunderte Bücher über Staatstheorie und Ethik verschlingen und am Ende dennoch blind sein für jene innere Schönheit und Bedeutung von Kunst, zu deren Verständnis es keine Anleitung gibt.

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            über Love

            Viel Rotlicht und leider noch viel mehr Schatten. LOVE ist eine schamlose Nabelschau von Gaspar Noé, dem man vieles vorwerfen kann, aber beileibe kein mangelndes Selbstvertrauen: Der Film sprüht vor Andeutungen und Verweisen auf Werk und Person – manchmal, überraschenderweise, sogar auf Filme, die nicht Noé gedreht hat. Aber ob seine erklärten Vorbilder wie Kubrick oder Pasolini hier wirklich vor Ehrfurcht auf die Knie fallen würden? Noch verhält es sich anders herum und vieles spricht dafür, dass es auch so bleibt.

            Eigentlich nichts an seinem 3D-Porno sprengt moralische, emotionale oder auch "nur" erzählerische Grenzen, müdes Ideen-Recycling (Penetration aus der Innenperspektive und einiges mehr) steht auf der Nachtordnung der französischen Skandalnudel, die ihrem Ruf saft- und kraftlos hinterher hechelt.

            Jeder hat bekanntlich seine ganz persönlichen Vorstellungen, was Liebe – eine der mannigfaltigsten Regungen überhaupt - bedeutet oder bedeuten kann und daher wäre es vielleicht vermessen, zu behaupten, Noé wisse davon nichts. Mein Eindruck ist allerdings der, dass er - als verkappter Romantiker - Sex, Sinnlichkeit und Liebe untrennbar sinnverwandt gebraucht, was für mich wiederum zu kurz greift bzw. den Begriffen nicht gerecht wird. Die ausgiebigen und wirklich erotischen Lustmomente würden den Film in einem idealen Vakuum veredeln, machen mir aber noch nicht glaubhaft, dass tatsächlich Liebe im Spiel sein soll. Was Giganten wie Antonioni oder Bergman auszeichnete, waren ihre Bereit- und Meisterschaft, hinter eine jede Geste mitsamt Verfallsdatum zu blicken – so zärtlich auch ihr äußeres Gewand. Doch wann immer Noé hier gefragt ist, pennt er entweder völlig oder bewundert eitel sein Spiegelbild.
            Ich als Zuschauer rätsele, was Murphy und Electra aneinander bindet – abgesehen von Körperflüssigkeiten. Warum er ihr Jahre später hinterher trauert, obwohl er eine andere Frau geschwängert und der Kontakt sich seit geraumer Zeit sowieso verflüchtigt hat. Soweit es darum geht, die Tiefenebene der Beziehung mit Drall und Effet auszufüttern, versagt der Film auf ganzer Linie. Wahrscheinlich wäre SEX die ehrlichere Titelwahl gewesen.

            Ein Teilproblem dabei ist, dass er die Beziehung der Protagonisten zum einen hoffnungslos verklärt und dadurch Glaubwürdigkeit einbüßt – dies selbst in den halbherzigen, etwas dumpfen Streitszenen (Hauptsache stilecht auf der Rückbank eines Taxis). Erst im letzten Viertel erfährt man dann, wie das tragische Paar überhaupt Bekanntschaft schloss; natürlich erfolgt der erste Kuss noch bevor man sich mit Namen einander vorgestellt hat. Beinahe ist es wie bei Disney. Nur eben in einer FSK 18-Variante.
            Auch die Darsteller leisten keine Hilfe. Fast scheint es so, als hätte Noé sich entscheiden müssen zwischen Schauspielern, die bereit sind, ihm vor der Kamera echten Sex zu liefern – und eben solchen, die rundum ihr Handwerk verstehen. Die Prioritäten waren offenbar klar gesetzt. Vermutlich wurde oft improvisiert, und das ist ohnehin eine Kunst für sich. Dem Cast steht die Ratlosigkeit geradezu in die Gesichter geschrieben.

            Grob vergleichbar wäre LOVE mit einem Swingerclub-Besuch. Zu Beginn des Abends Freude, Ekstase und Erwartungen, doch nach 5 Stunden reger Aktivität sorgt bereits das bloße Zuschauen für Erschöpfung und man möchte irgendwann nur noch ins Bett zum Schäfchen zählen. Bei dem Film tritt besagter Zustand sogar schon sehr viel früher ein.
            Was ich Noé trotzdem attestieren kann: Einen vorzüglichen Musik- und Filmgeschmack. Ob mich das befriedigt? Leider nein. Eigenen Angaben zufolge war sein Ziel, dem Geheimnis "sentimentaler Sexualität" aufzuspüren. Nun muss er sich bis auf weiteres den Vorwurf gefallen lassen, in letzter Konsequenz einem Hirngespinst aufgesessen zu sein. Eine mögliche Antwort Lars von Triers erwarte ich mit Spannung.

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            • Den Film mit Ashton Kutcher habe ich nicht gesehen, weshalb ich mir in dieser Frage eigentlich noch kein Urteil erlauben kann. Eines weiß ich aber sicher: Die Darbietung von Fassbender markiert für mich die elektrisierendste Leinwand-Perfomance dieses Jahres.
              Dass er zum echten Steve Jobs eigentlich keinerlei Ähnlichkeit aufweist, störte mich nicht im Geringsten, aber warum sollte es das auch? Wenn der Hauptdarsteller eines Biopics der jeweiligen realen Person ähnlich sieht, mag das zwar bestimmt nicht von Nachteil sein, ersetzt aber in keinem Fall seine Obliegenheit, den Charakter auch entsprechend mit Leben zu füllen. Das sollte man nicht verwechseln.
              Und was Fassbender hier leistet, ist einfach ganz große Schauspielkunst. Er ist wie ein Magnet. Sich von seiner Figur abzuwenden, war mir unmöglich - selbst dann, als er zum hundertsten Mal unter Zuhilfenahme der waghalsigsten mathematischen Wahrscheinlichkeitskalkulationen die Vaterschaft seiner Tochter abstreitet. So ist der Steve Jobs von Danny Boyle summa summarum weder ein unmenschliches Ekel noch ein Heiliger geworden - sondern eben irgendwo dazwischen angesiedelt. Seine Besessenheit und Egozentrik verlangen nicht nur von ihm selbst, sondern auch seinen Mitmenschen und nächsten Angehörigen größte Opfer ab. Auf der anderen Seite stehen sein Erfolg mit Apple sowie seine Anziehungskraft zu Buche, die sich nun einmal nicht leugnen lassen. Fassbender ruft zu jeder Sekunde die richtige Nuance ab und überstrahlt für mich sogar ein wenig die Schwächen des Films, die zum Beispiel darin liegen, dass er sich durch seine 3-Akte-Struktur natürlich automatisch zu groben Verdichtungen zwingt, die für meine Begriffe manchmal nicht überzeugen. Aber wie stark fällt das am Ende schon ins Gewicht, wenn ich seit dem Kinobesuch gedanklich bereits mehrmals den Oscar für Fassbender gefordert habe?

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              • 7

                BRIDGE OF SPIES ist ein klassischer Spielberg und nach der staubtrockenen Geschichtsstunde LINCOLN, der das dem Regisseur eigene, sanfte Pathos widerspenstig unter Verschluss hielt, eine behutsame Rückkehr zum Sentiment. Über die Bewertung dieser Tatsache wird beim Publikum vermutlich keine Einigkeit erzielt sein.

                Wer Spielberg kennt, der weiß, dass an historischen Fakten und Genauigkeiten nur ein bedingtes Interesse aufflackert, der Zweck für ihn aber oft die (manipulativen) Mittel heiligt. Er ist derjenige, der selbst zwischen Trümmern und Schutt auf glimmende Überreste humanistischer Tugend drängt. Die letzte gute Seele wird er aufspüren und keine Sekunde eher ruhen. Und wenn wirklich nichts mehr da ist, findet er – wie uns WAR HORSE lehrte – immer noch ein Pferd, über dessen Schicksal er uns berichten mag. Dem kann man mit Unverständnis begegnen, auch mit Entrüstung oder Spott. Doch Spielberg ist sich treu. In Zeiten, in denen das Blockbuster-Klima auf der Leinwand immer kälter und die Geräuschkulisse immer lauter wird, wirkt er verloren wie ein zartes Reh mitten auf der Autobahn. Bloß sind es nicht die Fahrzeuge, die Lichtkegel werfen, sondern er.

                Angesiedelt in den 60’er Jahren schreitet BRIDGE OF SPIES angenehm aufgeklärt zu Werke. Ob bzw. wie viel Schuld der sowjetische Spion Rudolf Abel eigentlich auf sich geladen hat, bleibt aus Sicht des Films ungewiss, um nicht zu sagen irrelevant – in keinem Fall hat er die Todesstrafe oder Folter, sehr wohl aber einen rechtlichen Beistand verdient, der seine Aufgabe auch gewissenhaft ausfüllt. Eher am Rande, wenngleich für Spielberg im Zusammenhang trotzdem denknotwendig, werden wir zudem darauf hingewiesen, wie propagierte Feindbilder schlimmstenfalls in einer faktischen Gewaltenverschränkung gipfeln – hochaktuelle weltpolitische Risiken leider nicht ausgeschlossen.

                [Mir ist nicht entgangen, dass dies teilweise gegenteilig beurteilt und der Film sich Patriotismus-Vorwürfen ausgesetzt sieht. Wie aber ist das möglich, wenn die Bevölkerung, entgegen der verfassungsmäßigen Unschuldsvermutung, vehement Abels Kopf fordert und die amerikanische Justiz auf sein Todesurteil Hand in Hand hinarbeitet? Viel härter und direkter hätte man hier meiner Meinung nach – im wahrsten Sinne des Wortes - kaum ins Gericht gehen können.]

                Nun jedenfalls betritt Tom Hanks als James Donovan die Bühne. Als Anwalt pflegt er zwar Connections nach oben, im Wesentlichen jedoch ist er ein bodenständiger, besonnener, praktisch veranlagter Mann (danke an dieser Stelle fürs Umschiffen von gängigen Juristen-Klischees). Anders ausgedrückt: Er ist ein Spielberg-Held. Das Dickicht des Kalten Krieges zerschlägt er als Einzelgänger mit den weichen Klingen, die er an der Hand hat: Beharrlichkeit und Geschick. Dies ist – wie es ja auch während des Ost-West-Konflikts zu keiner unmittelbaren militärischen Auseinandersetzung kam - nicht etwa Kalkül oder Zufall, sondern größtes Anliegen Spielbergs. Es tut gut, zu wissen, dass jemand an die Wege der Diplomatie glaubt.

                Die grün-blaue Kühle der Bilder hält also nur bedingt, was sie verspricht. Der Film erlaubt es sich immer wieder, sie mit Wärme und Hoffnung zu brechen. Als Abel und Donovan in Abels Zelle einander gegenüber sitzen und aus ihrer Mitte Shostakovich erklingt, hält der Puls für einen Augenblick inne, und wir besinnen uns: Ein Kinomagier ist jemand, der durch die Leinwand hindurch auch ohne Titel zu uns sprechen kann.
                Umso mehr bedauert werden muss ein stockender Erzählfluss. Neben dem sowjetischen Spitzel sind zwei weitere Spione in die Handlung eingeflochten, innig ineinander greifen wollen die Stränge allerdings nicht. Hauptsächlich gelegen ist BRIDGE OF SPIES an seinen tragenden Charakteren Donovan und Abel, was das Werk letztlich kaum zu verbergen weiß. Der (für die Geschichte selbst wiederum notwendige) Rest fühlt sich an wie Ballast. Dass Tom Hanks (grob geschätzt) außerdem eine geschlagene Dreiviertelstunde damit verbringt, in Berlin schwitzig hin- und her zu verhandeln, mag dem Wesen des Kalten Krieges entsprechen, lähmt Film wie Zuschauer aber über Gebühr.

                Ja, womöglich ist BRIDGE OF SPIES wieder nur ein weiterer typischer, etwas duseliger Spielberg von vielen. Ich behaupte auch gar nicht, einen durch und durch herausragenden Film gesehen zu haben. Und dennoch sind dieser Regisseur und das, wofür er seit Dekaden einsteht, etwas Besonderes für mich. Vielleicht werde ich das erst genauer beschreiben können, wenn eines Tages eben keine Filme mehr nachkommen, die mir mit ihrer Güte in ähnlicher Weise Mut spenden. Es gibt da einen Song von einer Punk Rock-Band, den ich schon immer mal zitieren wollte:

                When the truth walks away
                Everybody stays
                Cause the truth about the world is that crime does pay
                So if you walk away
                Who is gonna stay?
                Cause I'd like to think the world is a better place

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                  Ich lege mich fest. Das ist der dümmste Film des Jahres. Seine Message lautet:

                  • Männer sind Schweine.
                  • Frauen sind Sexobjekte. Manchmal hassen sie auch Männer. Und wenn, dann nicht zu knapp. 

                  Eli Roth gelingt es tatsächlich, beide Geschlechter gegeneinander auszuspielen, bloßzustellen und lächerlich zu machen.
                  Keanu Reeves mimt hier einen Familienvater, der eines Abends von zwei jungen, scheinbar orientierungslosen Frauen Besuch erhält, die sich angeblich im strömenden Regen verlaufen haben und – als er ihnen eigentlich nur zum Telefonieren Zutritt gewährt - es schließlich so richtig drauf anlegen, ihn zu verführen. Dies jedoch nicht, wie es für einen Film dieser Sorte zur Abwechslung vielleicht einmal ganz erfrischend hätte sein können, aus Spaß oder spontan gelebter Begierde. Bald nämlich muss der Überrumpelte einsehen, dass er eine doppelte femme fatale in "feministischer" (die bitte unbedingt zu beachtenden Anführungszeichen sind in Fettschrift zu denken, denn von Dingen wie Feminismus versteht der Regisseur wahrlich nichts) Mission ins Haus gebeten hat, deren Absichten für ihn und seine gesamte bürgerliche Existenz eine horrende Bedrohung darstellen.

                  Wow, was für eine vernichtende Erkenntnis: Menschen (im Übrigen – aber das nur ergänzend am Rande - nicht bloß Männer...) bleiben in festen Beziehungen und Ehen empfänglich für äußere sexuelle Reize. Grund genug für uns alle, aus dem Fenster oder von der nächsten Brücke zu springen. (Unter uns: Diesen Film zu sehen, ist Qual genug.)
                  Mir bereitet es regelmäßig große Probleme, wenn Charaktere von den Autoren bestraft werden, weil sie es eben "verdienen" - selten aber formen grobe Verurteilungen oder Sittenstrenge so hohle Ausbeulungen wie in KNOCK KNOCK, einer Home Invasion für Dummies. Das einzige "Verbrechen" der Hauptfigur ist ein, mit Verlaub, ziemlich natürliches, dem man ja auch mit Interesse begegnen könnte. Doch geht es darum überhaupt?

                  Dass der Film sich, vom cringeworthy Drehbuch bis zum beinahe schon mutigen Schauspiel der Darsteller, aus seiner eigenen Lustfeindlichkeit einen riesigen Spaß macht, überfordert mich ehrlich gesagt. Ich gebe es offen zu. Insoweit folgt er möglicherweise einer ganz speziellen Eli Roth-Logik, die ich in etwa wie folgt übersetzen würde: Sein Handwerk nicht zu beherrschen, ist für einen Künstler keine besonders gute Voraussetzung. Ein Idiot zu sein, das ist allerdings der Todesstoß.

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                    AMADOR - ein zierliches Pflänzchen, das tiefe Wurzeln schlägt.
                    Wenn der Florist seine Rosen parfümiert, bevor er sie verkauft, da ihr natürlicher Geruch nicht ausreicht, dann sollten wir einmal inne halten und uns bewusst machen, wie oft wir uns vor der Außenwelt als etwas ausgeben, das wir eigentlich gar nicht darstellen – und die Umstände dies sogar von uns fordern, weil wir ja immer mehr, mehr, mehr sein, uns jeden Tag behaupten und lächerlichen Idealen entsprechen müssen, als wären wir normierte Maschinen. Nun aber ist Parfum ja etwas Künstliches und vielleicht stinkt es am Ende gar ziemlich, wenn zum Beispiel die Ingredienzien nicht zusammenpassen oder man es auch einfach übertrieben hat.
                    Als junge Frau und Einwanderin in Madrid durchlebt Marcela kritische Zeiten. Ohne Verschulden gerät sie in eine echte Schieflage, obwohl sie doch nur den Arbeitslohn erhalten möchte, der ihr auf Basis ihrer Tätigkeit zusteht und den sie dringend benötigt. Bedächtige Systemkritik streut Regisseur Fernando León de Aranoa mit seiner Filmosynthese in jeder zweiten Zeile, allerdings nicht in trockenen Thesen oder reinen Behauptungen. Denn geht es im kapitalistischen Gefüge um Geld und Gewinnmaximierung, so geht es hier um Menschen.
                    Da Marcela während ihrer Schwangerschaft den älteren, bettlägerigen Amador betreut, dessen Familie ihn zurück gelassen hat und aus der Ferne nur noch "verwaltet", sieht sie sich in jener turbulenten Phase zugleich mit beiden Enden des Lebensspektrums konfrontiert: Mit der Geburt und mit dem Sterben. Nichts, was uns lieb war, ist, oder vielleicht einmal werden könnte, kommt jemals daran vorbei.
                    Marcelas eigene Zukunft steht indes in den Sternen – an ihrer Ehe zweifelt sie, das Kind war nicht geplant, finanzielle Engpässe verdichten sich zur Sackgasse. Doch der symbolische Beginn des Films hat einen Schatten geworfen. Die einsame Blume auf dem Hügel wird von einer Horde Männern beinahe überrannt und gar nicht wahrgenommen, aber der Windzug setzt ihre feinen Glieder in Bewegung, ohne sie zu brechen.
                    So rechtfertigt sich die sporadische, schwarzhumorige Heiterkeit, welche wohl eher eine trotzige ist und mit ihrem Esprit die Bedeutung des Unterfangens keinesfalls in Frage stellt – womöglich unterstreicht sie sie und macht die Geschichte erst so "heartfelt", wie sie es eben einfordert. Als Sahnehäubchen obendrauf erhält der Zuschauer kantige, vielschichtige, manchmal unberechenbare Charaktere, von denen man hofft und betet, dass sie tatsächlich irgendwo existieren.
                    Ein Film über das "Hallo!" und das "Auf Wiedersehen!"? Ja, bestimmt. Beides durchlaufen wir tausende Male. Aber insbesondere über das Dazwischen, ohne das wir Anfang und Ende gar nicht definieren könnten. Über die Spuren, die wir hinterlassen, wenn wir gehen – und denjenigen, der sie einsammelt:

                    "Ich will diese Worte nicht mehr länger für mich behalten oder sie am Ende mit mir nehmen. Denn in mir haben diese Worte jetzt keinen Wert mehr. Aber in dir blühen sie vielleicht auf."

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                    • Nach ewigem Hin- und Herüberlegen will ich jetzt auch. Ich setze voraus, dass es hier nicht darum gehen soll, von welchen Schauspielern man glaubt, dass sie "objektiv" die Besten sind - sondern darum, wen man persönlich und ganz befangen gerne auf der Leinwand sieht. Darum erlaube ich mir an der Stelle einfach mal, über die De Niros und DiCaprios dieser Welt drüberzusteigen.Wurden ja sowieso schon oft genug genannt.
                      Ich weiß zwar nicht, warum bislang alle hier ihre Auswahl auf nur 3 pro Geschlecht beschränken, aber gut, dann spiele ich halt nach den Regeln. :-p

                      Schauspieler:
                      - Robert Redford (Für die meisten sicher eine totale Überraschung...)
                      - Daniel Auteuil (Ich liebe seine Unnahbarkeit und das Verletztliche unter dieser Schale)
                      - Josh Brolin (Nur, um die bisherige Auswahl mal so richtig zu sprengen. Er ist einfach 'ne Bombe.)

                      Schauspielerinnen:
                      - Julianne Moore (Muss ich das echt begründen?)
                      - Sissy Spacek (Ihre unglaublich natürliche Ausstrahlung ist für mich unerreicht)
                      - Isabelle Huppert (Ich mag sie am Liebsten in ihren eher unterkühlten Rollen wie z.B. in LA PIANISTE; das ist vielleicht nicht jedermanns Fall, aber ihre Intensität macht mir manchmal sogar ein bisschen Angst..)

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                        Wie nicht selten im Leben beginnt alles mit einem Missverständnis. Cyrus, der unumstrittene König der New Yorker Straßengangs, möchte die hunderten Banden der Metropole zu einer Armee vereinen. Auf der anlässlichen Kundgebung wird er, ausgerechnet, hinterrücks von einem Mitglied der "Rogues" erschossen, die Tat jedoch den "Warriors" in die Schuhe geschoben und das Szenario noch zerfahrener, als die Polizei eintrifft, um die Versammlung zu zerschlagen. Auch der Anführer der Warriors überlebt den Tumult nicht. Wo eben in Eintracht die Rede von einem Waffenstillstand war, ist wenige Augenblicke später nicht mehr daran zu denken. Der Film begleitet die titelgebende Gang auf ihrem beschwerlichen Heimweg durch für sie bis dato unbekannte Stadtviertel und versiffte Subway-Stationen. Beschwerlich deshalb, weil die jungen Männer in diesen Stunden eine Menge Feinde haben.

                        Was zunächst nach typischer Videospiel-Dramaturgie klingt, erschallt schon bald durch ein ganzes Stadion als wildes, hochklassiges, unzähmbares Jazz-Juwel, dessen künstlerischer Eigenwert heute möglicherweise heller denn je erstrahlt. Die Baseball-Crew im CLOCKWORK ORANGE-Look, die roten, vollen Lippen der Radio-Moderatorin ("I guess the only thing we can do is play you a song" – Recht hat sie!), die Emphase und Flüchtigkeit, das Grauen und die Zärtlichkeit jeder einzelnen Begegnung – so fremd mir diese Welt, zeitlich wie örtlich, eigentlich sein sollte, so sehr gehe ich in ihr auf. Unverkennbar wirkt diese Sorte Kino mit ihrer Auffassung von Sinnlichkeit heute zum Beispiel in den Filmen Nicolas Winding Refns fort. (I'm not complaining.)

                        THE WARRIORS ist eine moderne Adaption von Xenophons "Anabasis" und jene Hintergrundinformation scheint mir hilfreich, um den Film besser zu verstehen. Im Jahr 401 v. Chr. plante Kyros, seinen Bruder Artaxerxes zu stürzen und versammelte zu diesem Zweck ein Heer aus griechischen Söldnern um sich. Sowohl sämtliche Heerführer als auch Kyros seinerseits fielen während des Kriegszugs, doch die verbliebenen Streitkräfte erreichten unter letzter Anstrengung schließlich doch noch das Schwarze Meer, obgleich die gesamte Aktion durch Kyros' Tod ja eigentlich hinfällig geworden war.
                        Walter Hill unterstreicht nun die Möglichkeit des Bewusstwerdens um die eigene Stärke im Angesicht größter Gefahr und Not. So müssen die Warriors zwar herbe Verluste einstecken, erkennen aber auch, wozu sie fähig sind und dass das Weitermachen immer lohnt. Insbesondere berührte mich die Gegenüberstellung in der U-Bahn, als die Gang auf eine Gruppe offenkundig besser situierter Jugendlicher trifft und dort ein Kontrast aufklärt. In materieller Hinsicht mögen diese gegenüber sitzenden Kids mehr besitzen, doch wie es ist, dafür zu kämpfen, überhaupt den nächsten Sonnenaufgang zu erleben, das wissen sie vermutlich eben nicht. Die schmutzigen Füße und knappen, verdreckten Westen der Warriors erzählen eine Geschichte. Dialog enthält die Szene keinen.

                        Bin ich in einem Märchen oder einem Albtraum gelandet? Ich kann es nicht genau sagen, aber wahrscheinlich ist das akkurat. Ans Ende der Nacht kommt man wohl niemals ohne Widerstände – und die Kraft des Feuers kennt nur, wer einmal die Hölle durchquert hat. Der Film endet auch nicht etwa in den Engen eines Bahnsteigs, sondern am Strand. Ein neuer Tag, ein neuer Anfang.
                        "When we see the ocean we figure we're home."

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                        • Jenny von T 06.10.2015, 14:14 Geändert 06.10.2015, 14:22

                          Sehr schön argumentiert! :-)
                          Die Emotionen des Mädchens im Film sind natürlich auch deshalb - und zwar konsequent - vermenschlicht, um die Vörgänge in ihrem Kopf gleichermaßen greifbar und unterhaltsam für ein junges wie erwachsenes Publikum aufbereiten zu können. Wer daraus aber folgert, Rileys Verhalten sei, und zwar in einem ideologischen Sinne, "fremdbestimmt", nimmt jenen bildlichen Ansatz einerseits zu wörtlich und schaut doch nicht weit genug. Denn es verhält sich ja tatsächlich so, dass wir keine Kontrolle über unsere Gefühle haben. Wir werden jeden Tag mit hunderten Situationen konfrontiert und *reagieren* eben einfach darauf, nach innen wie nach außen. Unser Denken und Empfinden wiederum basiert auf persönlichen und zueinander in hochkomplexen Wechselwirkungen stehenden bisherigen Erfahrungswerten, was INSIDE OUT weiterhin in Gestalt von Erlebniskugeln und Erinnerungsinseln visualisiert. Diese Darstellung mag vergleichsweise schlicht sein, im Kern trifft sie aber sicherlich zu.
                          Man ist z.B. ja nicht gut oder schlecht gelaunt, weil man sich das morgens beim Aufstehen eben so ausgesucht und selbst einprogrammiert hat. Wäre dies möglich (oder gar zwingend), wären wir, wie im Text zurecht anklingt, de facto Maschinen... und somit nicht zuletzt ziemlich langweilige Kreaturen. (An dieser Stelle schneidet sich Schmitt - denkt man dessen kritischen Ansatz hier zu Ende - mit seinem Transhumanismus-Steckenpferdchen sogar ins eigene Fleisch.)
                          Auch diese Happy-happy-joy-joy-Mentalität aus der Werbung sehe ich gerade hinterfragt und nicht bestätigt. Denn der Film gelangt ja zu der Erkenntnis, dass Reife nur dann möglich ist, wenn ein Mensch auch Kummer zulässt und versucht, weniger schöne Ereignisse zu verarbeiten. Das ist nicht gefährlich, sondern ziemlich punktgenau richtig.
                          Übrigens habe ich erst neulich wieder gelesen, dass unser Hirn etliche unserer Entscheidungen bereits kennt, Sekunden bevor wir bewusst nachdenken. Der ideologiekritische Hammer ist also so oder so fehl am Platz...

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                            Jenny von T 29.09.2015, 09:39 Geändert 29.09.2015, 13:24

                            Was hat eigentlich Til Schweiger im Kopf? Honig kann es nicht sein, denn dies würde ja bedeuten, dass dort zunächst einmal irgendetwas fließt, mithin in Bewegung ist. Daran jedoch glaube ich, nachdem ich seinen aktuellen Megaerfolg HONIG IM KOPF gesehen/ertragen habe, leider nicht mehr unbedingt.

                            Der Film ist eine schiere Erniedrigung – für Alzheimer-Betroffene, natürlich, und überhaupt für jeden, der ein Mindestmaß an Einsicht, Empathie und Redlichkeit sein Eigen nennt. Schweiger inszeniert diese schlimme Krankheit, als wäre sie eine aufregende Achterbahnfahrt, die man unbedingt erleben muss. Und als Marktschreier macht ihm tatsächlich niemand etwas vor. Opa pinkelt in den Kühlschrank, baut einen Verkehrsunfall, kann nicht mehr die Kaffeemaschine bedienen, sich nicht mehr selbstständig die Zähne putzen. Und wenn Opa traurig ist, steigen wir mit ihm in den Zug und fahren nach Venedig. Was haben wir gelacht!

                            Ein Kind, das HONIG IM KOPF schaut und noch nicht über ausreichend Reflexionsvermögen verfügt, kommt möglicherweise auf die Idee, Mama und Papa auch Alzheimer zu wünschen... weil es ja nun gelernt hat, dass dann immer total lustige Dinge passieren. Jemandem, vielleicht sogar in bester Absicht, die Angst nehmen zu wollen, ist eine Sache – die Wirklichkeit komplett auf den Kopf zu stellen, eine andere. Wir reden hier auch nicht von Naivität oder Freiheit der Kunst. Menschenverachtung heißt das Wort, mit dem ich keine Sekunde länger hinterm Berg halten möchte. Fast ausnahmslos jede "Pointe" dieses widerlichen filmischen Kuhfladens basiert auf der zunehmenden Orientierungslosigkeit eines Mannes, der langsam die Kontrolle über Geist und Körper verliert. Wie sich für Patienten und Angehörige reale Ohnmacht anfühlt, das interessiert Schweiger und seine Crew offenbar nicht die Bohne – zumindest nicht, solange sich auf deren Kosten Späßchen machen und, am Wichtigsten, Kinokassen füllen lassen. 

                            Über 7 Millionen Zuschauer bundesweit. Ich wiederhole: 7 Millionen. Wie geschieht ein solcher Unfall? Ich vermag es mir nur damit zu erklären, dass all diese Leute einen Weg gefunden haben, über 2 Stunden hinweg jegliche Hirnaktivität auf Null herunterzufahren. Doch warum sollte man so etwas tun?
                            Ja, das Leben ist oft schwierig und zermürbend, keiner behauptet etwas anderes – aber das kann doch kein Grund sein, in nackten Zynismus zu verfallen und anlässlich dessen auch noch eine laute Party zu feiern. HONIG IM KOPF klatscht schallend ab mit jener Sorte Film (vergleiche: A LONG WAY DOWN, ABOUT A GIRL), die behauptet, Depressionen seien durch ein warmes Glas Milch und einen Teller Kekse aus der Welt zu schaffen. Nein, nicht jedes Problem löst sich in Luft auf, wenn man einfach die Perspektive verändert. 

                            Til Schweiger darf gerne weiterhin glauben, sein nerviges Gör von Tochter besitze schauspielerisches Talent (Meinungsfreiheit usw.). Sein geliebter Sepia-Filter sowie das Indie-Gedudel auf der Tonspur sind mir ebenfalls herzlich egal. Schließlich ist er weder der erste, noch wird er der letzte Regisseur sein, dessen Werke den künstlerischen Wert einer gebrauchten Glühbirne erreichen. Allerdings besteht ein großer Unterschied zwischen "nur" uninspiriert, anmaßend und Misanthropie in Reinform. HONIG IM KOPF überschreitet besagte Grenze zu jeder einzelnen Sekunde und die Mehrheit applaudiert. Ich hoffe auf einen gigantischen Wecker, der ein ganzes Kinopublikum aus seinem Dornröschenschlaf befreit. Bis dahin bleibt mir lediglich ein Gedanke: I don't want to live on this planet anymore.

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                              Ein Kelch gefüllt mit Placebos. Die Zeit vergeht, doch Terrence Malicks Filme werden immer hipper. Wenn mir an KNIGHT OF CUPS eines in Erinnerung bleiben wird, dann, wie besessen er die Makellosigkeit und Jugend seiner Darsteller ausstellt, kaum interessiert an dem, was dahinter oder darunter verborgen steht. Für mich wirkt diese Trivialität einer Fahrstuhlmusik als pures Gift, der Film als visuelles Medium verliert seinen Reiz auf einen Schlag.
                              Niemals würde ich hiermit den 71-Jährigen Regisseur in Verbindung bringen, der einst BADLANDS gedreht hat. Meine Vermutung fiele auf einen gut situierten Kosmopolit, zwischen 25 und 35, der gerade – von mir aus mit Bestnoten – ein Studium an einer renommierten Universität abgeschlossen hat. Der zwar etwas über die Bedeutung von Tarotkarten zu erzählen weiß, nicht aber über das Leben – und einen vorzüglichen Kameramann aufgabeln konnte.

                              Christian Bale bewältigt den Film mit einem einzigen Gesichtsausdruck und nach spätestens einer Viertelstunde hat absolut jeder im Saal kapiert, dass die Figur sich wohl eine Krise durchmacht und nach Antworten auf Schicksal, Scheitern und unsichtbare Bänder sucht. Ein paar wenige inspirierende Strohfeuer zündet Malick, keines von ihnen jedoch entfacht den ersehnten Waldbrand.
                              Beispiele:
                              • Als Rick (also Bale) vor einem riesigen Aquarium steht, philosophiert die Off-Stimme über menschliche Seelen, die ihre Flügel verlieren, wenn sie einen Körper annehmen. Wenn wir uns nun verlieben, erinnert uns das ans Fliegen, obwohl wir dies ja eigentlich nicht mehr können.
                              • Generell die Vermutung, das Glück dieser Erde in den Augen eines anderen zu finden.
                              • Der Film trägt die zerbrochene Liebe zwischen Rick und seiner Ex-Frau zu "Solveigs Lied" und klagend-ratlosen Blicken gen Himmel zu Grabe (ja, mit dieser Sorte Kitsch bin ich, zugegeben, oft leicht abzuholen, weil das ist dann fast wieder ein bisschen altmodisch). Überhaupt versprüht Cate Blanchett (während ihrer ca. 10 Minuten Screentime) als einzige eine Prise Glanz, was vermutlich daran liegt, dass sie aus dem Ensemble herausragt als die diejenige, die sowieso am Wenigsten dem gähnend matten 08/15-Schönheitsideal entspricht.

                              Ansonsten gerate ich ins Grübeln darüber, warum in aller Welt derart pittoreske Bilder so aufgezehrt und kraftlos anmuten – ein Überwältigungskino, das für mich einfach nicht funktionieren mag. So, als wäre auch in Malick ein Feuer erloschen. Ob er hin und wieder Fernsehen schaut? Wahrscheinlich eher nicht. Spätestens beim Werbeblock dürften ihm unerfreuliche Erkenntnisse kommen.
                              Und nein, ich bemängele dabei gar nicht einmal die fehlende "Story" oder dergleichen – im Gegenteil wird es zumeist ausgerechnet dann richtig dürftig, wenn KNIGHT OF CUPS Fetzen einer Handlung (Einbrecher in Ricks Wohnung usw.) andeutet. Eine schmetternde Parodie hierauf zu drehen, wäre wohl nicht besonders schwierig und leider, leider bewegt sich Malick mittlerweile schon ganz von allein beängstigend nah an jener Grenze.
                              Wenn sein Spätwerk eines lehrt, dann, das vermeintliche Schönheit rein gar nichts wert ist, wenn man sie ausschließlich aus Oberflächen zu zehren versucht. Vielleicht ja deshalb tritt der Film genauso mutlos auf der Stelle wie sein verzweifelter Protagonist – wie ein Ritter, der ohne Rüstung ins Gefecht ziehen muss.

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                                Lose Gedanken zum Film:

                                In einer meiner ersten Vorlesungen damals an der Uni lernte ich, es bestünde eine "natürliche Hemmschwelle", die uns (oder zumindest die meisten) davon abhält, jemand anderes zu töten. Nie war ich mir so recht im Klaren darüber, was davon zu halten sein soll. Ja, womöglich besteht eine solche Schwelle – aber woher rührt sie? Tatsächlich aus einer uns immanenten Empathie, aus einer "sittlichen Gewohnheit", oder in einigen Konstellationen nicht vielleicht doch vielmehr schlicht aus der Angst vor einer drohenden Strafe? Leben und körperliche Unversehrtheit erkennen wir heute zwar ganz ohne Diskussion als höchste Güter an... aber wie ehrlich ist das wirklich von uns? Man bedenke nur, wie lange es - also im Verhältnis betrachtet - gedauert hat, bis mal jemand überlegte, der Mensch könnte so etwas wie eine unantastbare Würde besitzen, die unbedingt zu schützen sei. Nun ja, es gab auch ein unrühmliches Davor.
                                Was würde also passieren, radierte man zum Beispiel gleich morgen die Paragraphen 211/212 aus dem StGB? Ich möchte es nicht unbedingt drauf ankommen lassen. Und woher wissen wir eigentlich so genau, was im Einzelfall gerecht ist – und was nicht (mehr)?

                                IRRATIONAL MAN ist ein mutiges Werk, denn es betrachtet Moral als ein soziales Konstrukt, das auf verdammt tönernen Füßen steht. Der Protagonist widersetzt sich diesem, baut an dessen Stelle aber lediglich ein eigenes – denn ohne geht es nicht. Doch wohin führt es? Wir sind die einzige Spezies, die denkt, fühlt, sentimental wird, in Gut und Böse unterteilt, während der Umgebung, in der wir leben, alles egal ist. Dinge passieren eben. Wer im Universum vergießt auch nur eine Träne um uns, wenn wir irgendwann nicht mehr da sind? (Auch hier sinkt das Thermometer abrupt auf Null, so unbesehen wie das Gegeneinander von Sonne und Wind an der Küste.)
                                Gewiss scheint lediglich: Was wir auch tun findet auf die eine oder andere Weise wie ein Boomerang den Weg zurück zu uns – täten wir doch bloß draus lernen. IRRATIONAL MAN ist der kleine Bruder von MATCH POINT...

                                ... obwohl es danach zunächst gar nicht aussieht. Joaquin Phoenix mimt den anziehenden Philosophieprofessor in der Krise und Emma Stone als seine neugierige Studentin ist (wie immer) sehr adrett. Der Zuschauer zählt 1 und 1 zusammen, glaubt, er kommt damit durch und schaut dumm aus der Wäsche. Allen nämlich subtrahiert, dividiert, multipliziert und schmeißt mit unangenehmen Einsichten um sich bis einer weint (oder sauer das Kino verlässt, weil der Film nicht kuschelig genug war).
                                Unnachahmlich entlarvt er Egoismus als primäre Triebfeder menschlichen Handelns. Jede Figur des Films ist im Handumdrehen bereit, umzuplanen, wegzuschauen, abzuhauen oder gar zu vergessen (?), wenn die persönliche Lage sich so dreht - bzw. der Blickwinkel darauf, und man sich so auch nur ein winziges Bisschen besser fühlt. Im Zuge eines Wimpernschlags stehen die Charaktere mit dem Rücken zueinander und es wirkt nicht einmal gekünstelt. Erst jetzt ist der Regie-Oldie mit dem Thema Ethik durch und pfeffert es wie einen Schulranzen eiskalt in die Ecke. Was als aufkeimende Romanze begann, mündet in mondänem Horror (geniales Bild als unheilvolle Prophezeiung: Der Kuss vor einem Zerrspiegel!) und einem bitterbösen Finale, das ungemein nachwirkt, weil sich gar nicht mehr viel Mühe gemacht wurde, Harmonie oder Erleichterung über dem Publikum auszubreiten. Wir sind verloren.

                                Fazit: Mein Highlight dieses Sommers. IRRATIONAL MAN zeigt auf, dass man negative Pressestimmen überprüfen und nörgelnde Kritiker manchmal einfach reden lassen sollte. Wobei ich sie verstehen kann… Nach bald 50 Kostproben ist die Qualität eines Woody Allen-Films wohl selbstverständlich etabliert: Die Verve in seinen Dialogen, der Hintersinn, die erzählerische Klasse, der ungebrochene Unterhaltungswert – und ja, vielleicht auch sein messerscharfer Pessimismus. Denn irgendwo stimmt's ja.

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                                  Jenny von T 21.08.2015, 09:35 Geändert 21.08.2015, 10:24

                                  Was macht die Filme von Judd Apatow eigentlich zu so frustrierenden Erlebnissen? Die relevanten Themen (hier: Bindungsängste) sind zumeist vorhanden – nur leider düst der Regisseur ein ums andere Mal mit Karacho in die falsche Richtung. Auch TRAINWRECK mit Amy Schumer leitet hier nicht die wünschenswerte und dringend notwendige Kehrtwende ein. Artig trägt Apatow eine Vielzahl an denkbaren (und unschönen) Genre-Klischees vor und erwartet dafür auch noch tosenden Beifall vom Zuschauer.

                                  Es soll ja Frauen geben, die nicht nur erkannt haben, dass Monogamie keine so ganz unknifflige Angelegenheit ist, sondern daraus auch Konsequenzen für ihren persönlichen Lebenswandel ziehen. Die Protagonistin könnte ohne Weiteres auch dazu zählen, doch bereits an diesem Punkt wird das mündige Publikum mit ersten Wermutstropfen übergossen: Amy trifft die Entscheidung, sich nicht fest zu binden, nicht etwa aus Überzeugung und weil sie eine selbstbewusste Frau wäre, die weiß, was will (beziehungsweise: *Nicht* will) – nein, sie ist ein Wrack, das an der Flasche hängt, nachhaltig traumatisiert durch die Trennung der Eltern. Mit ihr muss also etwas nicht stimmen – sonst wäre sie schließlich, wie ihre Schwester, längst verheiratet. Yup, es besteht kein Zweifel: Wir befinden uns in Apatow-Land, dem Land idyllischer Vorgärten, blitzweißer Gartenzäune, kuscheliger Familienharmonie und wonnigen Baby-Lachens. Wer aus der Reihe tanzt, muss missioniert werden. Dass Amys "Erlöser" als charismabefreites Milchgesicht um die Ecke stolpert, spricht im Grunde für sich und entbehrt jeglichen Kommentars.

                                  Doch ich will nicht nur meckern. Zwar tropft – wie zu erwarten - die Biederkeit aus sämtlichen RomCom-Poren, der Tenor hingegen klingt dieses Mal etwas weniger freiheitsfeindlich. Keine Hochzeit, die das gemeinsame (monogame) Glück besiegelt und (gottlob!) auch kein halbnackter Seth Rogen, der zur Feier des Tages tanzend seinen Schwabbelbauch zur Schau stellt. [SPOILER] Bloß ein "Ich möchte es mit dir versuchen." - das mutet im Vergleich geradezu bescheiden an, obgleich die saure Moral natürlich im Wesentlichen dieselbe und der Aufwärtstrend somit überschaubar bleibt.

                                  Ist Judd Apatow tatsächlich so drauf, wie seine Filme es nahe legen? Ich mag das eigentlich nicht glauben. Was er als (mittlerweile) Veteran im Business allerdings sicher weiß: Nicht wenige Menschen neigen dazu, die Welt in Plus und Minus einzuteilen. Wahrscheinlich deshalb, weil dies viel bequemer ist und man damit zumeist schnell für alles eine Antwort findet. Vor allem aber mögen Menschen es, bestätigt zu werden – leider auch in Vorurteilen. Gewisse Dinge waren halt schon immer so, also sollte man sie auch nicht ändern. Nicht in den Köpfen und auch nicht praktisch. Für Männer, die mit 40 noch nie Sex hatten oder Frauen, die sich – weil sie es können - einfach nehmen, wonach ihnen eben der Sinn steht, bedeutet das: Dort drüben ist die Tür.

                                  Mit diesen Worten möchte ich die Amy-Philosophie im Übrigen bestimmt nicht zum Gesetz ausrufen. Wenn jemand eine Großfamilie gründen möchte, soll er das ebenso gerne tun. Jeder muss für selbst herausfinden, worauf er sich einlässt. Allein sein ist auf Dauer schwierig, eine verbindliche Partnerschaft aber auch. Und niemand – egal ob Mann oder Frau - ist ein Fall für den Psychiater, weil er es vorzieht, sich nicht fest zu binden. Vom zeitgenössischen Kino wünsche ich mir mehr Ausgewogenheit und weniger Moralisieren.
                                  Ein paar rasch verpuffende Späßchen unter der Gürtellinie geben dem Film zwar den äußeren Anstrich des Unverkrampften, verwischen aber nur unwesentlich die Tatsache, dass in TRAINWRECK summa summarum erneut ein beziehungskonservatives Werk entstanden ist, welches sich in keiner Weise vom Einheitsbrei abhebt. Ein Film zum Vergessen – bitte gehen Sie weiter.

                                  Wer rettet die romantische Komödie?

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                                  • Jenny von T 15.08.2015, 14:27 Geändert 15.08.2015, 14:57

                                    Ich muss mal etwas loswerden.
                                    Auch, wenn hier ansonsten wahrlich nicht immer alles rund läuft, liebe ich diese Mitmach-Aktionen, die MP Jahr für Jahr ausruft. Denn immer dann geht es um das eigentliche Herzstück dieser Filmseite: Die Community, welche nun wieder Gelegenheit erhält, in kreativer Hinsicht über sich hinauszuwachsen. Ich selbst lese kaum etwas lieber als persönliche Texte. Das Schreiben über Kunst ist nicht nur ein wunderbarer Weg, eigenständig eine Materie tiefer zu durchdringen (man hat oft mehr verstanden, als man glaubt!), sondern - wenn man es aufrichtig anstellt - auch, durch jene Auseinandersetzung viel über sich selbst zu erfahren. Denn man muss sich ja fragen: Was genau gefällt mir eigentlich so sehr an Werk X/Y - und warum?
                                    Ehrlich gesagt habe ich erst seit meiner Anmeldung auf Moviepilot "gelernt", wie man Worte finden kann für das, was beispielsweise ein Lieblingsfilm mit einem anstellt. Manchmal bin ich nämlich wirklich ziemlich baff, was für kleine Genies sich mitunter hier tummeln.
                                    Lange Rede, kurzer Sinn: Ich kann es kaum erwarten, mich erneut durch die zahlreichen Texte zu klicken und meine Favoriten mit einem Like zu unterstützen. :-)

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                                      Jenny von T 12.08.2015, 09:26 Geändert 12.08.2015, 09:28

                                      Gemeinsames Aufwachen. Frostige Stimmung im Hotelzimmer. Trennungsschwüre im Auto. Abschied am Bahnhof. Dann alles wieder von vorne. Er beleidigt und erniedrigt sie an einem Stück, sie scheint es zumeist einfach über sich ergehen zu lassen. Catherine und Jean sind seit 6 Jahren zusammen, ihre Beziehung dreht sich bloß noch im Kreis, und das ziemlich schnell. Ob dieser alsbald schallend brechen wird, ist nicht die Frage – sondern nur wann.

                                      Mit seinem autobiographischen Zweitlingswerk NOUS NE VIEILLIRONS PAS ENSEMBLE geht Maurice Pialat so richtig ans Eingemachte, bis hin zur Selbstzerstückelung. Der Autor und Regisseur sammelt die Scherben eines Liebesgewitters auf und nimmt jede Wunde in Kauf. Selbiges erwartet er vom Zuschauer. Der Film folgt keiner Dramaturgie; er malträtiert sein Publikum mit einer Zusammenstellung von Einzelszenen, deren Zentrum durchweg die beiden Hauptfiguren einnehmen. Daher wirkt es wie ein Kammerspiel, obgleich häufig die Schauplätze wechseln. Doch egal, ob bei einem Besuch am Strand, auf der Straße oder bei Catherines Eltern: Dieses Paar wird nicht mehr zusammenfinden. Einmal Hölle und zurück, bitte!
                                      Es tut weh und ist höchst unangenehm, das mit anzusehen. Aber mit jedem Funken Bereitschaft, den der Betrachter in die Waagschale wirft, wird er doppelt und dreifach entlohnt. Die auffallend rebellisch-unkonventionelle Machart vermittelt dabei den Eindruck, man würde in einem Tagebuch blättern, aus dem einige Seiten herausgerissen wurden. Aus Wut, Schmerz, oder um einfach zu vergessen - wer weiß das schon? John Cassavetes trifft auf Ingmar Bergman... oder zumindest so ähnlich.

                                      Eine gesonderte Beachtung verdienen die Geschlechterrollen. Jean ist laut, grob und aufbrausend, doch damit kaschiert bzw. übertönt er lediglich Unsicherheit und mangelndes Selbstvertrauen. Dass im Grunde Catherine die sehr viel robustere Person ist, wird kenntlich von Minute zu Minute wie eine langsam geschälte Frucht. Während sie sich zwar mit Mühe, aber letztlich erfolgreich von ihrem dominanten, mitunter cholerischen Partner abnabelt, wird dieser proportional zu ihren Abweisungen immer abhängiger von Catherine. Jean folgt ihr auf Schritt und Tritt – er kämpft um sie, sie kämpft um ihre Freiheit. Am Schluss bettelt er sie geradezu an, ihr wenigstens weiterhin Briefe schreiben zu dürfen, wogegen sie ihre Heirat plant und bald außer Reichweite sein wird – mit einem anderen.
                                      Wie so oft – auch im echten Leben – wundert man sich nach einer gescheiterten Liebe, was die Beteiligten ursprünglich zueinander hinzog. Jemand, der besonders cool und zwanglos rüber kommt, erweist sich vielleicht als konfliktscheu, unzuverlässig und/oder nicht vertrauenswürdig. Hinter dem, was man anfangs für Stärke hielt, lauern in Wahrheit womöglich Überheblichkeit und Egoismus. Und so weiter.

                                      Doch wer anderen nicht mit Respekt begegnet, wird sich nur schwer auf lange Dauer binden können. Zwischen den Zeilen erörtert Pialat hier – eben durch deren Abstinenz – somit auch den Stellenwert von Freundschaft in einer Paarbeziehung, welche natürlich an Bedeutung gewinnt, sobald der erste Sturm der Leidenschaft ins Land gezogen ist... eng verknüpft mit gewissenhaften Ermittlungen darüber, wie sie – also besagte zwei "Schaften" - überhaupt zueinander stehen.

                                      Dieser Film hat eine Wüste in mir hinterlassen, und zugleich ist er der ersehnte Regen. Die Gesamtheit des Zwischenmenschlichen wäre vermutlich eine Steppe oder ein tiefer Wald. Ich bin mir nicht mehr sicher...

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                                        Die Aussichten könnten tatsächlich sonniger sein, fragt man diesen Film von Mikio Naruse. Er folgt einem Mann und einer Frau, die – vor dem Hintergrund eines instabilen Nachkriegsjapans - versuchen, das Rauschgefühl ihrer bereits länger zurückliegenden Affäre wiederzubeleben. Yukiko hegt sogar die Hoffnung, Kengo werde nun seine Ehe für sie aufgeben, als sie eines Tages vor seiner Tür steht. Doch mit Beziehungen verhält es sich nicht so wie mit einer CD oder DVD – man kann nicht einfach "Stopp" drücken und selbst bestimmen, ob bzw. wann es weitergeht. Ab jetzt wird der Zuschauer Teil eines vergeblichen Anrennens beider Figuren gegen innere Tatsachen.

                                        Kengo, einerseits, unterhält am laufenden Band flüchtige Abenteuer mit jüngeren Damen, ohne Rücksicht darauf, dass er durch sein verantwortungsloses Verhalten manchmal großen Schaden in den Seelen anderer anrichtet. Die Wunden, die er hinterlässt, scheinen ihm gleichgültig. Wenn er Yukiko aufsucht und deutlich wird, dass er nur anklopft, um mit ausdruckslosem Gesicht Geld für die Beerdigung seiner Frau zu erbitten, spricht das Bände. In Szenen wie dieser möchte man ihn hassen. Allerdings schimmert immer wieder durch, dass Kengo nicht etwa ein "schlechter Mensch" ist – diese Erklärung wäre viel zu simpel und auch falsch -, sondern sich selbst und alles um sich herum aufgegeben hat. Möglicherweise war die erste Begegnung mit Yukiko gleichzeitig der letzte Augenblick, der ihm Freude bereitete; ihm das Gefühl gab, lebendig zu sein.

                                        Yukikos Zustand wiederum unterscheidet sich hiervon – auf den ersten Blick - denkbar klar. Sie ist sehr fixiert auf ihren Partner, erträgt dessen Flirts unter Qualen und droht, zu zerbrechen, als Kengo hinter ihrem Rücken sogleich mit der Nächsten anbandelt. Ihr Befinden steigt und fällt mit der Zuneigung oder Abweisung einer einzigen Person. Um festzustellen, ob es sich um Liebe handelt, sollte man sich bereithalten für deren Schattenseiten – denn manchmal betrügt sie und windet sich in einem schwarzen Kleid. Vielleicht fehlt es der unsicheren Yukiko ebenso an einem Antrieb, welchen sie eigentlich in Kengo zu finden glaubt. Doch kein Zweiter vermag an unserer Stelle das Versprechen eines Lebens zu erfüllen, das dem Drohen des Alleinseins standhält. Erst müssen wir lernen, in dunkelsten Stunden uns selbst genug zu sein. Nur so weiß die kleine Flamme, wo sie hin muss, um das Eis zu schmelzen.

                                        Naruse beobachtet also gerade keines dieser Film-Paare, das weder mit- noch ohne einander kann, jedenfalls schicksalhaft und tragisch gebunden ist. Von einer solchen Energie wissen Yukiko und Kengo wahrlich nicht zu berichten; indes driften sie erschöpft, kraft, - und mutlos übereinander hinweg wie Wolken, deren Wege sich bloß deshalb permanent kreuzen, weil sie in derselben Bahn verkehren. (So zumindest meine persönliche Interpretation des Titels.)
                                        Aber obwohl seine Protagonisten fortwährend über die eigenen Füße fallen und praktisch durchweg aus allen Optionen heraus diejenige Entscheidung treffen (oder beibehalten), die sie unglücklich macht, schaut der Regisseur niemals mit Verachtung auf sie herab – sondern versteht, bedauert und tröstet. Niemand weiß, wohin ihre Wolke sie noch tragen wird... aber hier verweilt man gerne noch eine Weile.

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                                        • Jenny von T 31.07.2015, 13:27 Geändert 31.07.2015, 13:28

                                          Ja, gut, Christopher Nolan hatte gestern Geburtstag. Trotzdem sollte man die Kuh im Dorf lassen.
                                          Stanley Kubrick gelang es mehrmals (eigentlich sogar fast immer), mit seinen Filmen in die Untiefen des menschlichen Bewusstseins sowie Unterbewusstseins vorzudringen. Bei aller handwerklichen Perfektion sind sie keineswegs technizistisch. Vor allem aber bleibt der Zuschauer sich selbst überlassen, darf sich eigenständig Räume erschließen. Heute lässt sich sowas kaum mehr als "Blockbuster" bezeichnen, aber die Leute sind dafür einst in die Lichtspielhäuser geströmt. 2001 war 1968 der kommerziell erfolgreichste Film des Jahres.
                                          Auf der anderern Seite Christopher Nolan, dessen Werke um keinen Erklärbärdialog verlegen sind, zermalmt von Hans Zimmers Gedröhne und an die Wand gefahren durch teils katastrophale Schaupielerführung. Subtile, glaubwürdig gefühlvolle oder wirklich originelle Momente darf man mit der Lupe suchen, das meiste ist Schall und Rauch.
                                          Auch, wenn Nolans INTERSTELLAR eine Steigerung war: Zwischen den Regisseuren liegen Lichtjahre. Was dieser Vergleich allenfalls dokumentiert, ist der gesunkene Anspruch im Mainstream-Kino.

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                                            Jenny von T 30.07.2015, 09:30 Geändert 30.07.2015, 11:08

                                            Vor einigen Tagen erspähte ich Judd Apatow in der Jimmy Fallon Show, wo er sich als Stand-up Comedian versuchte. Das fand ich in etwa so aufregend und lustig wie Wandfarbe beim Trocknen zuzuschauen. Wenige Minuten genügten ihm, um mich dem Schlaf bedrohlich nahe zu bringen. Dass es sich mit seinen Spielfilmen ganz ähnlich verhält, überrascht mich daher eigentlich nicht – dennoch habe ich mich über THE 40 YEAR-OLD VIRGIN tierisch aufgeregt und wünsche mir jetzt, sein Regie-Debüt aus dem Jahre 2005 wäre "nur" sterbenslangweilig. Ich werde nicht gerne unfreundlich, aber etwas sagt mir, dass Apatow sich hierfür eines Tages noch einmal richtig schämen könnte.

                                            Du sammelst mit 40 Actionfiguren? Werd' doch endlich mal erwachsen!
                                            Du besitzt weder Auto noch Führerschein, sondern fährst lieber Fahrrad? Wie uncool!
                                            Du bist in der Liebe noch immer unerfahren? Fuck your life!
                                            Dir wachsen Brusthaare? Bäh!
                                            Ja, genau... Protagonist Andy ist ein Verlierer und in seinem Leben muss sich dringend etwas tun. Was man mit einem Kondom anstellt, weiß er natürlich nicht (--> der Klassiker) und zum Onanieren ist er ebenfalls zu blöd. Was eine wunderschöne Ode an die Schrulligkeit in jedem von uns hätte werden können, entpuppt sich als ein Fingerzeig spießiger Kleinkariertheit, der mich offen gesagt sorgenvoll stimmt. Das Drehbuch zeigt sich erst bereit, Andy als vollwertiges Subjekt anzuerkennen, als dieser die Frau seiner Träume trifft, sein komplettes Nerd-Merchandise verkauft, heiratet... und endlich Sex hat. Nach der Hochzeit, versteht sich.
                                            Und wenn sie nicht gestorben sind...

                                            Menschliche Unebenheiten (oder was Apatow dafür hält) werden pathologisiert, bis der Arzt kommt. Was irritiert: Der Film thematisiert sogar Andys Anpassung an die Norm, denn in einer Szene kommt es zum Streit zwischen ihm und Trish, weil er sich für seine Herzensdame nicht ändern möchte (an der Stelle schöpfte ich bereits leise Hoffnung, was sich sogleich als fatal herausstellte). Warum er es 10 Minuten später dann doch tut und mit seinem Spielzeug wie selbstverständlich auch einen Teil seiner Identität verscherbelt - I don't know. I just don't know. Gegen THE 40 YEAR-OLD VIRGIN wirkt beispielsweise TED geradezu wie ein Aufschrei freigeistiger Rebellion – dieser nämlich, immerhin, lässt seinen Hauptcharakter Kind im Manne bleiben, wie er nun einmal ist und auch gar nicht anders sein mag.
                                            Hier jedoch darf erst aufgeatmet und gefeiert werden, nachdem Andy das Korsett der Gewöhnlichkeit geschnürt hat. Es war ein harter Kampf, den Apatow über 116 Minuten (eine halbe Ewigkeit für eine Komödie und besonders für eine Komödie, die keinen Spaß macht) austrägt. Zwei Stunden, die er mit so manchem füllt, allerdings nicht mit anregendem Witz, spannender Charakterzeichnung, Eigenständigkeit oder sonst etwas, das einen guten Film im Kern ausmacht. Falls hier ein Genre neu erfunden wurde, ist es mir entgangen. Eher sehe ich eine Art TRANSFORMERS unter den Comedys vor mir: Eine gigantische Blase Infantilität bläht auf, bis sie platzt und der Zuschauer entnervt das Handtuch schmeißt. Der Autor/Regisseur nutzt das Format, um alles niederzumähen, was nicht in seinen eindimensionalen Kosmos passt und ich bin der Ansicht, er hat es verdient, für einige Stunden gefesselt zu werden und sämtliche Werke von Todd Solondz vorgespielt zu bekommen. Danach sollte er so verwirrt sein, dass er nie wieder freiwillig einen Regiestuhl aufklappt.

                                            Nun werden vielleicht einige einwenden: "Ist doch bloß ein harmloses Filmchen!" Dem halte ich entgegen: Wir definieren uns auch durch die Dinge, über die wir lachen. Somit berichtet uns THE 40 YEAR-OLD VIRGIN weit weniger über vermeintliche Weirdos und Paradiesvögel als vielmehr über seine Macher. Das mag in gewisser Hinsicht zwar auch erhellend sein... doch beim nächsten Mal doch bitte ein Fünkchen mehr Einsicht und Ehrlichkeit.

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                                              über Poetry

                                              Ein Film über eine besondere Frau, deren Herzenswunsch es ist, ein Gedicht zu schreiben. Doch um sie herum bricht eine Welt zusammen, als sie erfahren muss, dass ihr Enkel Jong-Wook, den sie allein aufzieht, den Selbstmord einer Schulkameradin (Agnes) mit zu verantworten hat. Damit ist es auch ein Film über die Kunst und das Leben – weil es das eine nicht ohne das andere gibt. Auch Regisseur Chang-dong Lee verknüpft die Dinge untrennbar miteinander. Sie bilden die Adern eines Flusses, der sich seinen Weg bahnt. Mal zart, mal rabiat.

                                              Während ihres Schreibkurses erfährt Mi-ja über das Einfühlungsvermögen als geheime Zutat eines jeden großen Poeten. Und weil sie davon – im Gegensatz zu einigen Vätern, die sich einbilden, den Verlust eines Kindes mit Geld kompensieren zu können - unglaublich viel vorweist, stehen am Ende nicht bloß Verse, sondern ein tragisches Verschmelzen mit dem Suizidopfer (und dessen Mutter).
                                              Eine ganz spezielle Dynamik entwickelt Mi-jas Beziehung zu Jong-Wook, obendrein ein ziemlich verhätschelter, undankbarer Bengel. (Klingt wie ein Klischee, aber viele Kids sind eben wirklich so.) Lange möchte man als Zuschauer kaum wahrhaben, wie fürsorglich sie ihn auch dann noch behandelt, nachdem sie von den Vergewaltigungen erfährt. Sie versucht, den Enkel gewaltlos mit dessen Tat zu konfrontieren, jedoch nicht einmal ein in der Wohnung platziertes Bild der jungen Agnes ruft eine offene, ehrliche Reaktion der Reue hiervor. Diese besiegelte Unmöglichkeit einer moralischen Erlösung - und nicht unbedingt vordergründig ein Loyalitätskonflikt - ist der wahrscheinlich schwerste Stein in Mi-jas Brust, der sie schlussendlich mit hinab zieht. (Gefühle der eigenen Schuld und unerfüllten Pflicht stoßen ebenfalls hinzu, wobei der Film stets angenehm subtil vorgeht, niemals vereinfacht und dem Publikum trotzdem auf kurzweilige Art komplexeste Seelenvorgänge zum Greifen nahe bringt. Das phantastische, nuancierte Schauspiel der Hauptdarstellerin unterstützt dies zusätzlich.)

                                              Aber was hat das mit Poesie zu tun?
                                              Zwar kann ich natürlich nur von mir sprechen, aber die Gedichte, die mich am Stärksten ergreifen, handeln nicht von grünen Wiesen, bunten Blumen oder summenden Bienchen – nein, sie sind überwiegend ähnlich traurig und darin unauflösbar wie dieser Film. Schauen wir nach oben, erdrückt uns der Himmel. Blicken wir nach unten, endet das Bild mit unseren Füßen. Wir sollten nicht so vermessen sein, anzunehmen, dass darunter nichts mehr ist, nur, weil wir es nicht sehen können.
                                              Manchmal denke ich darüber nach, ob vielleicht Engel unter uns weilen und wir sie einfach nicht erkennen. Es würde uns so passen. Wer den Glauben an das Gute verliert, dem bleibt wahrlich nicht mehr viel – allerdings würden einige es in ihrer Ignoranz und Selbstsucht wahrscheinlich sogar schaffen, einen Engel zu bestehlen. POETRY formuliert jenen Gedanken für mich noch einmal neu... und auf einen Schlag erscheint er mir drängender als jemals zuvor.

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                                                Jenny von T 19.07.2015, 11:27 Geändert 19.07.2015, 12:22

                                                Ob es schwer ist, ein Gott zu sein, entzieht sich meiner Beurteilung. Aber die Auseinandersetzung mit Filmen kann einen manchmal vor ein richtig hartes Stück Arbeit stellen. Hierfür liefert Aleksei German, der mit seinem dreistündigen Sci-Fi-Mittelalter-Epos quasi ein Lebenswerk aus dem Boden gehievt hat, Beweis genug. Ich möchte niemandem etwas vormachen: Es sind 3 Stunden, während derer man glaubt, in einem Komposthaufen zu wühlen und dabei im Treibsand zu versinken.

                                                Formal ist dem russischen Regisseur, der leider noch während der Produktionsphase verstarb, ein Meisterstück gelungen. Die unglaublich detailgenaue und unverkennbar aufwendige Ausstattung versetzt den Zuschauer viele hundert Jahre zurück in eine Zeit, in der man schon nach wenigen Minuten nicht mehr sein möchte. Statisten drängen von der Seite in die Kamera und glotzen ungläubig drein, weil sie gar nicht wissen können, was überhaupt eine Kamera ist. Urin, Dreck, Fäkalien und Fischabfälle werden dem Publikum beharrlich ins Gesicht geschleudert – selten erblickte ein überzeugenderes Argument gegen Geruchskino das Licht der Welt. Doch das ist immer noch erträglich, wo der Tod an jeder Ecke lauert und unbescholtene Personen erhängt werden, weil sie lesen können. Der Zivilisationsprozess steckt hier noch in den Kinderschuhen, und das ist ziemlich milde formuliert. Weit weg erscheint die Vorstellung, an diesem Ort könnten einmal so etwas wie Menschenrechte Geltung beanspruchen. Entsprechend beiläufig und selbstverständlich treibt das Grauen kreuz und quer am Bildrand.
                                                Der Clou der literarischen Vorlage besteht ja darin, dass wir mittlerweile ein bisschen weiter sind, auch, wenn zahlreiche humanistische Entwicklungen selbst im 21. Jahrhundert andauern, was uns – aber das nur nebenbei - eher peinlich sein sollte. Doch würde die Geschichte unserer Spezies unter denselben Rahmenbedingungen noch einmal ebenso verlaufen? Und dürften, sollten, müssten wir - mit dem Wissen von heute – aktiv (hoffentlich zum Guten) in das Geschehen eingreifen, wäre dies möglich?
                                                Von jener Vielfalt an philosophischen und ethischen Eingaben lässt Aleksei German nicht viel übrig. Handlung und Dialoge des Romans von Arkady and Boris Strugatsky werden zerfleddert bis zur Schemenhaftigkeit, zu den Figuren (eigentlich: Geistern) ergibt sich keinerlei Durchkommen, die Szenen besitzen nicht einmal räumliche Schwerpunkte. Seine Interpretation des Stoffs ist eine ultimativ wesensartige: Auf diesem Planeten existieren nur Gewalt, Schlamm und Chaos... aber hey, auch das sind wir. Guckt zu, wie ihr damit klarkommt. Bei mir keine Kompromisse.

                                                Als ich neugierig Meinungen zu dem Film studierte, stieß ich oft auf den Vergleich mit Andrei Tarkowski, doch ich behaupte aus dem Bauch heraus: Unter Germans Landsmann wäre etwas komplett anderes entstanden – nicht etwas Frontal-Derbes, sondern, im Gegenteil, etwas Kontemplatives, Sinnliches. Aber das meine ich keineswegs wertend. Es geht – um die Sache zu veranschaulichen - so ein bisschen um die Frage, welche Komplexität dem Betrachter näher liegt: Die eines Beethoven-Stücks oder die eines Death Metal-Songs. Eventuell ja sogar beides? Ich persönlich halte es eindeutig mit Ersterem, weshalb ich HARD TO BE A GOD in seiner rotzigen Dissonanz zwar mit meinem Respekt, aber nicht mit Liebe überschütte.

                                                Aleksei German hat eine Jauchegrube geschaffen, die alles schwarz färbt. Kopfüber wirft er uns hinein. Doch womöglich bedarf es manchmal Erfahrungen wie dieser, wenn man das Medium wirklich verstehen möchte – so sehr man auch meint, am Ende überhaupt nichts verstanden zu haben. Vielleicht öffnen wir erst dort die Augen.

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                                                • Jenny von T 13.07.2015, 15:19 Geändert 13.07.2015, 15:21

                                                  Verstehe ich das richtig? Superheld 1 (Batman) ist sauer, weil Superheld 2 (Superman) bei seiner letzten Rettungsaktion so viel Kollateralschaden angerichtet hat und erklärt ihm deshalb den Krieg, wobei jener (selbstverständlich nur mit Gewalt ausgetragene und mit Pauken, Trompeten, pathetischen One-Linern und Zeitlupen inszenierte) Konflikt noch sehr viel mehr (unschuldige) Opfer fordern wird? Einerseits finde ich es ja gut und irgendwie belustigend, dass die Superhelden sich jetzt sogar schon wechselseitig den garaus machen... aber das gesamte Weltverständnis dieser Filme ist doch nur beknackt. Es könnte so einfach sein, wenn einfach jemand Zack Snyder die Kamera wegnähme. Und wenn ich höre/lese, dass diese Krawallorgie voraussichtlich auch wieder eine Laufzeit weit jenseits der 200 Minuten veranschlagen wird, dann löst das, wie bei den Fanboys, bei mir durchaus ebenfalls leichte Schwindelgefühle aus - allerdings aus den falschen Gründen. :-D
                                                  Das einzige, was mir an diesem Trailer gefällt, sind Ben Afflecks langsam ergrauende Schläfen. Sexy.

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                                                    Jenny von T 11.07.2015, 11:13 Geändert 11.07.2015, 11:14

                                                    Eigentlich haben Romanzen – und damit meine ich richtige, altmodische Liebesfilme, nicht diese heutigen Hipster-RomComs – relativ leichtes Spiel bei mir. (Fast) egal, wie simpel sie auch gestrickt sind. Zumindest dachte ich das immer. Ob es an meinem (viel zu) großen Herz liegt oder daran, dass ein Teil von mir insgeheim das kleine Mädchen geblieben ist, dem Disney und Co. einst unrealistische Vorstellungen von Liebe vermittelten – ich weiß es nicht. Ich möchte nicht missen, hin und wieder nach dem Abspann gefühlsbesoffen aus einem Tränenmeer aufzublicken und mir dann zu sagen: "My heart will go on." Mich haben schon Schmonzetten für sich eingenommen, die jeder halbwegs seriöse Kritiker längst im Giftschrank deponiert hat und nur noch mit der Kneifzange anpacken würde (nein, stolz darauf bin ich nicht unbedingt, leugnen kann ich es aber auch nur schwer.).
                                                    Dann allerdings gibt es auch Filme, die eine deutliche Schmerzgrenze ziehen und mir vor Augen führen, dass ich bei Weitem nicht auf alles hereinfalle. Es ist mir sehr wichtig, irgendwo Aufrichtigkeit sowie eine tiefe Überzeugung für die Geschichte zu spüren... dann kann ich drum herum eine Menge ertragen und lasse vieles mit mir anstellen. Aber eben auch nur dann! Verärgert reagiere ich dementsprechend, wenn ich deutlich merke, dass mir bloß etwas vorgegaukelt wird (hier überschneidet es sich wohl mit dem echten Leben) – so geschehen bei dem mancherorts hoch gelobten und sogar mit einem Song bei den Oscars vertretenen BEYOND THE LIGHTS.
                                                    Ich vermute, es sind in erster Linie gar nicht einmal die Klischees vom traurigen, verheizten Popsternchen und seinem Retter, die diesem Film das Genick brechen. Es ist auch nicht sein ziemlich formelhafter Aufbau – sondern vielmehr der Umstand, dass er genauso glatt und oberflächlich anmutet wie die Welt des Showbiz, in der er sich verortet. Somit erzählt die Regisseurin wohl ungewollt sehr wohl auch darüber etwas, obwohl es ihr im Kern weniger (oder überhaupt nicht) um einen kritischen Blick auf die flüchtigen Starkulte unserer Zeit geht. Was sie uns nahe bringen möchte, ist eine unwahrscheinliche Liebe "against all odds", die über alle Widerstände siegt. Doch wüsste man es nicht definitiv besser, man würde zweifeln, ob überhaupt Blut durch die Adern der Figuren fließt... so leblos sind sie gezeichnet, und leider ebenso gespielt.
                                                    Unspannend bleibt es zudem deshalb, weil nahezu jeder Konflikt innerhalb als auch zwischen den Charakteren verbalisiert und dem Publikum somit unsanft vor den Latz geknallt wird – das sichere Todesurteil für jeden Film. Wer gerne selbst Dinge entdeckt und auf seiner Eigenverantwortlichkeit als Zuschauer beharrt, ist woanders klar besser aufgehoben.
                                                    Und tatsächlich zurück bei Disney landet man beim Nachdenken über das schmerzlich naive und ärgerlich verklärende Weltbild, welches nebenbei zu Tage tritt. Ich hoffe inständig, keine junge Dame wird sich jetzt vom nächsten Balkon stürzen, weil sie glaubt, von ihrem Traumprinzen aufgefangen zu werden.
                                                    Was ich durch BEYOND THE LIGHTS gelernt habe: Es ist absolut kein Kinderspiel, einen guten, packenden Liebesfilm auf die Beine zu stellen. Eine BRAVO Fotolovestory verfassen kann jeder – Menschen im Innersten zu berühren, das schaffen nur wenige.

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