mattxl - Kommentare

Alle Kommentare von mattxl

  • 8

    In der TAZ von heute wird über den Mitangeklagten im NSU-Prozess, Carsten S., den einzigen, der sich glaubhaft aus dem rechten Sumpf befreit hat, berichtet: " (...) Dann sieht er auf 3sat den Film „Beautiful thing – die erste Liebe“. Es ist die Geschichte eines komplizierten Coming-outs. Es ist auch seine Geschichte. Die Rechtsextremen wollen ihn eigentlich zum Thüringer Landeschef der NPD-Jugendorganisation JN machen – doch Carsten S. beschließt: Ich steige aus."

    Ich fand Beautiful Thing immer schon großartig - aber nun muss ich ihn noch ein bisschen großartiger finden. Wer hätte gedacht, dass man damit sogar Neonazis bekehren kann?

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    • 7

      Hab den lange vor mir hergeschoben, auch, weil ich mir nicht vorstellen können wollte, dass Inarritu einen mittelmäßigen Film machen könnte.

      Inarritu kehrt sein Erzählprinzip hier um: Machte er bisher aus v i e l e n Geschichten e i n e, so ist es hier der e i n e, der in v i e l e Geschichten verstrickt ist. Das ist zunächst einmal traditioneller - und auch ein bischen langeweiliger. Vor allem aber sind es zu viele zerfleddernde Geschichten, die nicht sehr sorgfältig erzählt werden, die hier zusammengeflickt werden.

      Das Probematischste am Film finde ich seine Depressions-Routine. Das Aufeinanderhäufen von Gefühlen, Gesichtern, Blicken, Geschichten, Farben und Dingen, die alle nur zu schreien scheinen, dass alles in der Welt ach so furchtbar und grausam ist, ruft irgendwann beim Betrachter das Gegenteil dessen hervor, was es hervorrufen will. Das fängt bei dieser popelgrünen Adidas-Traniningsjacke an und hört beim unbeabsichtigten Massenmord auf. Selbst den Kindern, die sonst üblicherweise in Depri-Filmen als Frohsinn schaffende Zeichen der Hoffnung herhalten müssen, bleibt hier nichts anderes übrig, als mit oder ohne Alki-Mutti in schlickgrauer Tristesse zu verharren.

      Gleichwohl: Das ist wahrlich kein schlechter Film. Er hat seine eigene Poesie, teilweise großartige Bilder. Vielleicht sollte man einfach vergessen, dass er von Inarritu ist?

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      • 7 .5

        Jodie Foster hat einmal sinngemäß gesagt, zu einer Familie zu gehören, das sei wie wenn man mit Menschen in einem Fahrstuhl eingesperrt sei, mit denen einen sonst nichts verbindet.

        So ist es auch bei "Tage, die bleiben": Da ist die Mutter (Lena Stolze), die sich gedanklich bereits aus der Familie gelöst hat - aber das Schicksal (ein Verkehrsunfall) verhindert den letzten Schritt. Da ist der Vater (Götz Schubert), der, was alle wissen, seit langem eine Geliebte hat. Da ist der Sohn (Max Riemelt), früh geflüchtet nach Berlin, um sich dort als Schauspieler zu versuchen (und der immerhin bei "Richterin Barbara Salesch reüssiert). Und da ist die pubertierende Tochter (Mathilde Bundschuh), noch am meisten in die Familie "verstrickt", aber irgendwie auch die einsamste. Der Tod der Mutter führt die drei zusammen. Schon die Frage, ob die Mutter in einer Art rotem UFO beerdigt werden soll, lässt das Hinterbliebenen-Trio fast auseinanderbrechen. Einfach zu trauern ist hier keinem gegeben. Lieber streitet man, führt sexualwissenschaftliche Studien durch, säuft oder kloppt sich.

        Das filmisch zwar nicht sonderlich innovativ, aber sehr schön - anrührend und komisch zugleich - erzählt. Die Darsteller sind ausnahmslos top, insbesondere Götz Schubert fasziniert als kantiger Vierschrot, der sich die Trauer über den Tod seiner Frau auf das Mühsamste erarbeiten muss.

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        • 6 .5

          Ja, Romy Schneider ist wirklich sensationell. Ja, Klaus Kinski ist wie immer Klaus Kinski (anders als es das DVD-Cover nahelegt, hat er allerdings eine relativ bescheidene, für die Story unwesentliche Nebenrolle - die füllt er aber, wie immer, bestens aus) . Ja, die Liebesgeschichte von Nadine und Servais ist fein schattiert und berührt. ABER: Ist der Erzählzug mit der senilen Porno-Mafia, der der junge Photograph zu Diensten stehen muss, nicht ein bisschen SEHR albern????

          Schwer zu kauen habe ich auch an dem Frauen- und Männer-Bild des Regisseurs: Da manifestiert sich ein Nihilismus, den ich in seiner Exaltiertheit ziemlich aufgesetzt und kreischig finde. Das wirkt manchal so, als hätte Pasolini sich an einem Remake von "Ein Käfig voller Narren" versucht. Unausgegoren, zerfasert. Aber vielleicht ist es nicht zuletzt dieses Unausgegorene, was den zweifelsohne vorhandenen Charme von "Nachtblende" ausmacht.

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          • 8
            über Lautlos

            "Gehör ich zu deinem alten oder zu deinem neuen Leben?" (Uhl zu Krol).

            Joachim Krol als Profikiller - das ist schon ein mutige Entscheidung, wie man hier auch an einigen Kommentaren sieht. Geht das: Der Mann mit den Rehaugen und dem etwas stoppeligen Bübchen-Gesicht als eiskalter Profikiller? Ein "Leon" ist er gewiss nicht.

            Es geht. Und es geht m.E. sogar sehr gut. Denn Krol spielt sehr überzeugend einen Killer ("Victor"), der mit 9 Jahren aufgrund eines Traumas sehr schnell erwachsen wird, der dann aber als Erwachsener kaum mehr nachgereift ist. Fast präpubertär mutet es daher an, wie er sich mit Anfang 40 seiner Geliebten ("Nina"/ Naja Uhl) nähert, ungelenk tastend, merkwürdig asexuell, zumeist wortlos, aber doch (und wohl zum ersten Mal) irgendwie erotisch gepackt von seinem Gegenüber.

            Auch Nadja Uhl macht ihre Sache sehr gut: Nina ist offensichtlich beziehungserfahrener als Victor, aber auch deutlich beziehungsgeschädigter. Auch sie ist eine Figur an der Grenze. Sie hatte mit dem Leben bereits abgeschlossen, erst der "Schutzengel" Victor ermöglicht ihr den Neuanfang. Naiv verguckt sie sich in jemanden, von dem sie (zunächst) buchstäblich nichts weiß.

            Wie Victors Morde in Szene gesetzt wurden, fand ich wirklich spannend - und originell. Dass da manches unwahrscheinlich bzw. nicht recht plausibel erscheint, finde ich bei einem Thriller in der Regel völlig verzeihlich. Insbesondere bei diesem hier, denn "Lautlos" hat den Touch eines brutalen Märchens, bei dem man nicht jede Szene für bare Münze nehmen sollte.

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            • 4 .5

              Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz bei MP zu sein, dass man am Anfang einer Star Trek-Kritik bekennen muss, ob man Fan ist oder nicht. Nun: Ich bin es nicht, oder nur insoweit, als dass ich mich als Kind an den Abenteuern der "Raumschiff Enterprise" ebenso gefreut habe wie an "Daktari" oder der "Shiloh Ranch". Zu kultischer Verehrung habe ich mich da nie aufgeschwungen und werde mich wohl auch weiterhin diesem Kult fernhalten müssen.

              Ganz amüsant war es für mich, nach 40jähriger Enterprise-Abstinenz ein paar Ingredenzien wiederzuerkennen, die schon damals der Serie den Stempel aufdrückten. Leider ging dieser Anflug von Nostalgie in einem Dauer-Krach-Wum unter, der irgendwann nur noch nervte. Ich hab gar nichts gegen Popcorn-Kino - aber dieses Drehbuch ist derart konfus, dass es einem den Atem verschlägt - wobei ich überhaupt nichts gegen Logiklöcher habe! Ich bin vielmehr ein Vertreter der Philosophie: "Die Welt ist voller Logiklöcher - und da werde ich sie wohl auch in einem Film ertragen können." Aber das hier.... (Am Rande: Wer die Handlung bei WIKIPEDIA nachliest, könnte angesichts der Länge des Artikels denken, hier sei mal wieder "Krieg und Frieden" verfilmt worden - mitnichten. Die Handlung lässt sich in 3-4 Sätzen zusammenfassen:)

              J.J. Abrams kann erzählen - "Super 8" hat mir gut gefallen. Aber hier? Ich zähle genau 1 Sequenz, in der einmal soetwas wie suspense aufgebaut wird. Timing? Wenn es Timing ist, dass irgendjemand alle 5 Minuten schreit "Wir verlieren/brauchen/haben nicht genug Energie", ja, dann gibt es hier wohl soetwas wie Timing. Chris Pine - dessen Ausdrucksvielfalt fast an die von Til Schweiger heranreicht - ist, gelinde gesagt, eine Katastrophe. Ja, in manchen Szenen dachte ich wirklich: Vorbild ist hier nicht der alte Kirk, Vorbild ist hier Herbigs Käp'tn Kork. Das gilt natürlich noch mehr für Spock, der hier - oh Wunderland der Triebe - irgendwie mit Uhura verbandelt ist, gleichzeitig herumtuckt wie Michel Serrault in "Ein Käfig voller Narren".

              Pluspunkte: Teilweise atemberaubende Bilder, die ein viel zu schneller Schnitt nur leider zu einem Krach-Wum-Einheitsbrei vermantscht. Und: Benedict Cumberbatch, den ich bisher noch nie so gut gesehen habe. (Ob er durch die Rolle herausgefordert war, sei allerdings dahingestellt).

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              • 7 .5
                über Stoker

                Wie so oft: Am besten man liest möglichst wenig vorher über den Film - und vergisst die "Rache-Trilogie", damit hat Stoker nämlich wenig zu tun. Und dann sich langsam verführen lassen von diesen atemberaubenden Bildern, die einen immer tiefer in die Geschichte hineinziehen (die, das sei zugegeben, nicht der Gipfel an Erzählkunst ist, aber doch einige schönen Pointen bereithält). Schlicht betörend ist das, was die Kamera hier leistet, stetig schwankend zwischen Traum und Albtraum, Wahn und Begehren, präzise dosierter Grausamkeit. Die erste halbe Stunde bleibt dem Zuschauer tatsächlich nichts anderes als von den Bildern verführt zu rätseln: Was soll das? Wo geht das hin? Typisches Beispiel für "Style over content"? Und fast unmerklich hat Park Chan Wook den Zuschauer da bereits gefangen....

                Eine Lanze sei an dieser Stelle für Nicole Kidman bebrochen: "Stoker" gehört zwar noch in ihre Botox-Phase, so dass ihr Minenspiel recht reduziert ausfällt, doch das macht bei ihrer Rolle nichts: Sie wirkt die ganze Zeit als ob sie irgendwas (valiumartiges?) genommen hat und nicht mehr so ganz im Diesseits wurzelt. So soll sie wirken - und das macht sie gut.

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                • 7

                  Muss gestehen: Ich bin irgendwann bei dem ganzen Beziehungs- und Umzugskuddelmuddel nicht mehr mitgekommen. Das scheint aber wohl zum Konzept des Films gehören. Man muss nicht verstehen , wer gerade wen vö* oder wer gerade mal wieder vor die Tür gesetzt wird - das alles im Minutentakt wechselnd. Aber da ist ein leichtfüßig-tragischer Ton geftroffen, den ich mag. Durchaus sehenswert.

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                  • 5 .5

                    Der Widerstandskämpfer Kurt Müller (Paul Lukas) reist - oder flieht - mit seiner Frau Sara (Bette Davis) und den Kindern zu ihrer Mutter Fanny in die USA. Was die Müllers nicht wissen: Auf dem schwieger-/mütterlichen Landsitz ist auch der zwielichtige Graf de Brancovis (George Coulouris) untergekommen, der, wie sich alsbald herausstellt, in engster Weise mit den Nazis kooperiert. Diese sind dabei, von der deutschen Botschaft aus ihre Tentakeln auch in den USA ausstrecken.

                    Filmhistorisch ist das ein nicht uninteressantes Beispiel für "Hollywood at War". Das ehrenwerte Anliegen des Films wird dem Zuschauer allerdings derartig mit dem Holzhammer eingetrichtert, dass er vor lauter Appell und Belehrung schon recht bald benusselt bzw. ermüdet ist. Dazu kommen dramaturgische Schwächen, die soetwas wie "Spannung" nur in allergrößter Ferne erahnen lassen. Schließlich, auch das will wegen nervschädigender Penetranz festhalten sein: Die drei Müller-Kinder dürften es mit großer Leichtigkeitkeit unter die Top 10 der unsäglichsten Filmgören schaffen.

                    Was erstaunt: Das Drehbuch stammt von Dashiell Hammett. Dieser zeigt sich hier leider gar nicht auf der Höhe seines Könnens.

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                    • 10

                      Nach ich weiß nicht wievielter Sichtung muss ich mit den Punkten noch mal rauf gehen, und gebe ihm endlich die Punkte, die er verdient. L.A. Confindential ist für mich DER Inbegriff von intelligenter, perfekt gemachter Unterhaltung. Es reicht, an den marginalen aber für den Gang der Geschichte so wichtigen Einfall "Rollo Tomasi" zu erinnnern, und jeder der den Film kennt, wird wissen was ich meine. 100 andere großartige Einfälle ließen sich ergänzen.

                      Man könnte L.A. Confidential übrigens wunderbar in ein philosophisches Terzett übersetzen: Da ist der Kantianer (Guy Pearce) mit festen, ehernen Grundsätzen, dem das Recht mehr ist als ein Spielball der Gezeiten; da ist der Utilitarist (Kevin Spacey), der das, was nützt, für richtig hält und dem ein ewiges Gesetz viel zu rigide ist: auch schmutzige Kompromisse können das Recht durchsetzen; und da ist der Anarchist (Russell Crowe), der meint, es bedürfe überhaupt keiner festen Regeln, solange man seinem Herz folgt und zur Not dann auch mal zulangt. Alle drei sind Polizisten und ermitteln im gleichen Fall. Wär hat recht? Wer hat mehr Erfolg?

                      Und das ist ist das tolle an L.A. Confindential: Es mündet eben nicht in reaktionären Botschaften wie "Folter kann doch sinnvoll sein", sondern es zeigt: In jedem Kantianer steckt unter bestimmten Umständen auch ein Utilitarist oder Anarchist (und umgekehrt natürlich). Und die drei sind aufeinander angewiesen - auch wenn es die Philosophie-Lehrbücher anders ersonnen haben.

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                      • 6
                        über Bananas

                        An einigen Stellen blitzt bereits das Können des späteren Allen auf (Stichworte: die Eingangssequenz, die Verfügungen des neuens Diktators, "Amtssprache Schwedisch", "Edgar J. Hoover" im Prozess etc.) - anderes fand ich verunglückt (z:B.: den "Boxkampf" im Bett, Allen als Angeklagter und Ankläger - ist mir zuviel Gehampel). Insgesamt ist Bananas eher eine Sketchparade, ein bisschen arg notdürftig durch eine Rahmenhandlung zusammengehalten, aus der man mehr hätte machen können.

                        Ach ja: Sylvester Stallone bekommt hier in einer Szene die Möglichkeit, sein ganzes schauspielerisches Können unter Beweis zu stellen. Er spielt einen U-Bahn-Schläger. Das macht er sehr gut, was möglicherweise aber auch daran liegen mag, dass er nichts zu sagen hat. Niemand sage, Allen wäre ein schlechter Talent-Scout!

                        • 8

                          Wunderbar alberne Dystopie-Blödelei, die das Gehirn nicht über- aber auch nicht unterfordert. - Besonders erwähnswert: Das Costume Design. Das stammt nämlich von Joel Schumacher und ist - möge man über seine Batmans denken, wie man will - hier unstrittig großartig.

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                          • 8

                            Vor dem Hintergrund der Urheberrechts- bzw. Plagiats-Debatten in den letzten Jahren müsste man diesen Film sofort bei "hitch-" oder "almaplag" anmelden. Man muss kein Hitchcock-Kenner sein, um schon bei der Erstsichtung zu erkennen, wieviel hier "geklaut" ist - bis hin zur Musik. Dressed to kill ist eigentlich eine Art patchwork aus diversen Hitchcock-Filmen (v.a. Psycho und Vertigo). Doch wer nun hypermoralisch den geistigen Diebstahl de Palmas beklagt und sich von dem Film abwendet, der verpasst viel. Denn "Dressed to Kill" ist ein eigenständiger 1A-Thriller, bei dem deutlich wird, was das Plagiat im Grunde seines Herzens ist: Eine liebevolle Hommage an den Urheber.

                            Ein bisschen unfreiwillige Komik gibt es dazu: Die furchtbar seifigen Sex-Szenchen, die auf das wunderbarste an den Geist der Zeit, aber auch an das Risiko von Geschlechtskrankheiten erinnern (ja, tatsächlich, und das in der Vor-HIV-Zeit!), würde man heute sicher nicht mehr so machen (interessantes Phänomen, fällt mir gerade so ein: An Sex-Szenen erkennt man meist am deutlichsten das Alter eines Films). Der Rest hat all das, was einen klassischen Suspense-Thriller auszeichnet.

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                            • 7

                              Nein, die "Jungfrauenquelle" hat mich nicht gerade umgehauen. Man nehme eine nordische Vergewaltigungs-Sage, kombiniere sie mit eisiger skandinavischer Frömmigkeit, gebe dann noch viel Neorealismus mit hinein und weide sich an zumeist dunklen Bilder, die schemenhaft und perfekt ausgeleuchtet, über weite Strecken des Films nur Gesichter/Profile erkennen lassen. Das ist ästhetisch sicher imposant - allerdings auch hart an der Grenze zur Selbstverliebtheit. Dass das Mittelalter eine "dunkle Zeit" war, nun ja, dieses immer wieder gern bemühte Klischee, sei an dieser Stelle nachgesehen...

                              Schon die Hauptprotagonisten erwecken bei mir einigen Argwohn: Da ist das blonde unschuldige Kind Karin (unschuldig, aber mit ihrer naiven Freundlichkeit auch hart an der Grenze zur Nervensäge!) dem die dunkle, unzüchtige Wilde "Heidin" Ingeri gegenübergestellt wird. Vorsichtig formuliert: Ich könnte verstehen, wenn hier jemand "Rassismus" riefe.

                              Mein größtes Problem ist aber: Was will die Jungfrauenquelle eigentlich sein? Ein Märchen über das wundersame Wirken Gottes? Religionskritik? Eine Fabel über die Seelennöte eines frommen Menschen angesichts eines abwesenden Gott? All das hat Bergman an anderer Stelle deutlich imposanter umgesetzt - und ich verstehe, dass er selber den Schluss des Films später als "geistige Pfuscherei" bezeichnet hat.

                              7 Punkte gibt es aus geistiger Verbundenheit, für eine vielleicht notwendige Zwischenetappe auf dem Weg hin zu wichtigeren Arbeiten Bergmans.

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                              • 6

                                Mutig war es wohl schon, was Tennessee Williams und Gore Vidal hier 1959 als Thema im Hollywood zu platzieren versuchten: den Tod eines Homosexuellen, Verleugnungsstrategien der Familie/Gesellschaft, Allmachtsphantasien von Ärzten und Patienten, es könne gelingen, die "Angst aus dem Gehirn zu schneiden". Die Umsetzung durch Mankiewicz finde ich allerdings wenig geglückt, weil: viel zu sehr gefilmtes Theater, die Möglichkeiten des Films kaum nutzend. Zudem: Wer eine Sekunde lang nicht aufpasst - und das passiert bei den lang(atmigen) Theater-Mono- und Dialogen schon mal - bekommt überhaupt nicht mit, wer hier warum gestorben ist, so sehr hat der Hays-Code hier das Bühnenstück von Williams zerstört.

                                Wohl aber bekommt er eine delirische Kannibalismus-Szene präsentiert. Das finde ich dann schon bemerkenswert: Hollywood kann 1959 Kannibalismus (zumndest im Ansatz) zeigen, Homosexualität jedoch - obwohl für für das Stück von zentraler Bedeutung - darf nur von-hinten-durch die-Brust-ins-Auge hauchzart angedeutet werden. Gleichwohl: Williams und Vidal sind hier erste Schritte gegangen, denen ja noch weitere - deutlichere, explizitere - Folgen sollten. Filmhistorisch durchaus sehenswert.

                                • 8 .5

                                  Anna Marias Welt ist wohlgeordnet. In zumeist streng symmetrisch komponierten Bildern, die sich immer mehr der Photographie annähern, führt uns Seidl vor, wie sich diese Ordnung noch in der Wohnungseinrichtung widerspiegelt. Nichts könnte Anna Maria irritieren. Hier ist alles am rechten Fleck. Auch ideologisch: Kommt es doch einmal zu Irritationen/Schicksalsschlägen, weiß sie dies immer schon als "Prüfung Gottes" zu verbuchen. Ist jemand nicht ihrer Ansicht, so liegt es halt daran, dass er in "Sünde" lebt. Gott straft, prüft und belohnt - der Mensch büßt und lobpreist. Das reicht, um sich eine komplett hermetische Weltsicht zu basteln. Freunde? Nun ja: Es gibt das diesen Herz-Jesu-Bibelkreis - lauter Anna-Maria-Klone, nicht wirklich Instrumente, die diesen Kosmos der Einsamkeit aufbrechen könnten.

                                  Bemerkenswerter Weise zieht es die Frau mit der hermetischen Weltsicht nun aber eben in diese verabscheute Welt. Sie verlässt die Wohnung und zwingt nichtsahnenden Mitmenschen Debatten über die "Muttergottes" auf. Bewaffnet ist sie mit einem Segens-Spray, das immer zum Einsatz kommt, wann immer die Worte nicht mehr reichen. Es ist fast als ob sie mit dem "Segen" Domestos versprühen würde: Keimfrei soll sie sein, die Schöpfung des Herrn.

                                  Bei aller Tragik: Diese immer wieder eingestreuten Bekehrungsdialoge z.B. über das 6. Gebot oder das Gepräch mit Herrn Rupnik sind von einer so abgründigen Komik, dass sich im Kino der letzten Jahre kaum Vergleichbares finden düfte. "Paradies: Glaube" braucht diese Szenen. Es ist, als ob Seidl dem Zuschauer nun auch einmal für ein paar Minuten die Möglichkeit gibt, seine Beklemmung herauszulachen.

                                  Dieses gelegentliche Herauslachen ist bitter notwendig: Denn Anna Marias Welt gerät aus den Fugen, und, typisch Seidl: Der Film entwickelt ein Verzweifungscrescendo, dass den Zuschauer fassungslos zurücklässt. Im normalen Leben würde wohl jeder halbwegs normale Mensch einen religiösen Zombie wie Anna Maria meiden. Seidl hat es geschafft, dass uns ihr Schicksal interessiert, ja bewegt. Das muss man erst mal hinbekommen....

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                                  • 7 .5

                                    Selma Lagerlöf kennt man ( und das "man" schließt mich ein) bei uns fast nur als Nils Holgersson-Autorin, also als Kinderbuchautorin. Ich war ziemlich überrascht, das "Jerusalem" aus eben dieser Feder stammt. Nicht wenige sagen gar: Das sei ihr wichtigste Werk. Und es bestärkt mich in meiner Vermutung, dass nur wer gute Kinder-Bücher schreiben kann, auch Erwachsenen etwas zu sagen hat. Wahrheit ist immer einfach.

                                    "Jerusalem" handelt von religiösem Fanatismus und den Verheerungen, die dieser in Sachen Liebe hervorruft. Das isr kein Meisterwerk an Regiekunst: Alles sehr traditionell inszeniert. Aber es berührt - und da nehm auch gern mal eine ganz tradiionelle Umsetzungen in kauf

                                    • 3

                                      Da stimmt leider fast nix. Für die Synchronisation können die Verantwortlichen in der Regel nix. Aber die ist hier schon besonders schrecklich. Was man der Regie allerdings wirklich vorwerfen muss: Die wunderbare Tony Collette wird furchtbar verramscht, der Drehbuchautor halt leider gar kein Gespür für Pointen. Selbst in den seltenen Momenten, wo man den Witz ahnt und sich auf ihn freut, wird er leider versemmelt. Ja, es gibt ein Szenen, die die Mundwinckel bewegen. Aber: In den Sekundenbruchteilen, in denen sie sich nach oben bewegen, sind sie auch schon wieder schlagartig hinuntergerauscht, so einfallslos oder dämlich fällt die "Auflösung" aus. - Einziger Lichtblick: Die lesbische Tochter. Die kreischt ganz fein.

                                      • hier mal was aus 70er/80er Schulzeiten:
                                        - Diverse Anti-Raucher Abschreck-Filme (hat nix genützt)
                                        - Die Wüste siegt
                                        - Holocaust Serie
                                        - M- Eine Stadt sucht einen Mörder
                                        - Die verlorene Ehre der Katharina Blum
                                        - Winnetou 1 bis gefühlt 100

                                        1
                                        • Meine Vorschläge:
                                          - Die Unberührbare
                                          - Ödipussi
                                          - Meine liebe Rabenmutter
                                          - Fanny und Alexander

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                                          • John Waters gab vor ein paar Wochen zu Protokoll: "Fassbinder died, so God gave us Ulrich Seidl." Hübsches Apercu, dessen Gehalt sich allerdings zunehmend verflüchtigt, je mehr man darüber nachdenkt. Dazu sind die beiden dann doch zu unterschiedlich. Gleichwohl: Ein paar Gramm Wahrheit bleiben übrig...

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                                            • 6 .5

                                              "Der hat Dieter-Hallervorden-Platten im Regal."

                                              So entgeistert reagiert Andreas Rogel (Brandt), als ihm seine Frau (Auer) eröffnet, dass sie ein Verhältnis mit seinem Freund Peter (Ferch) hat. Dessen Ehe gleicht schon länger einer Trümmerlandschaft und seine Frau Christa (Riemann) genießt es nach Leibeskräften ihren Mann - gern in versammelter Runde - zu demütigen. Peter ist in einen satten Spendenskandal verwickelt. Wie verhält man sich da - als "Freund"?

                                              Das Quartett Brandt, Ferch, Auer und Riemann funktioniert bestens: Riemann ist nochmals um einiges giftiger als jüngst auf dem "Roten Sofa", Brandt schwankt herrlich zwischen Oberlehrer und verletztem Ehemann, Ferch: ein neureicher Windhund, der trotz seines Erfolgs offensichtlich von Mindertwertigkeitskomplexen (und Schulden) geplagt wird; Auer: frustrierte Ehefrau und leidenschaftliche Geliebte, die nur auf den rechten Zeitpunkt für den Absprung wartet. Die Story ist, zugegeben, ein bisschen dünn. Die vier genannten machen die Verratenen Freunde aber allemal sehenswert.

                                              • 5 .5

                                                Subjektiv gesehen ein nostalgischer Herzenswärmer, der die Teenie-Nöte 1980/81 amüsant und exakt auf den Stecknadelkopf-großen Punkt brachte und, mir durchaus noch erinnerlich, für erregte Debatten auf dem Schulhof sorgte: Hatte überhaupt ein Lebensrecht, wer DEN nicht gesehen hatte? Objektiv gesehen ist das ziemlich flache Konfektionsware, in mancherlei Hinsicht - jetzt heißt es tapfer sein - einfach furchbar schlecht Beides zu sammen ergibt weit auseinanderliegende Wertungen und im Mittel eine 5,5. Aber irgendwie stimmt die 5,5 nicht - weder nach oben noch nach unten ... ach diese Punkte immer...

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                                                • 8

                                                  Eva - wer? Muss gestehen: Eva Löbau war mir bisher kein Begriff. Und dann klicke ich auf die Filmographie und denke: Wow - das lässt sich sehen! Inglourious Basterds, Knallhart, Unknown Identity, Requiem, Reine Geschmackssache, Hotel Very Welcome - alles Filme, die ich mag/sehr mag - und bei denen sie mir - vermutlich weil's meist recht kleine Rollen waren - bisher nicht aufgefallen war.

                                                  "Der Wald vor lauter Bäumen" hat das nun geändert - auch wenn ihre Figur, die Lehrerin Melanie Pröschle, so ziemlich mit zum unerträglichsten gehört, was ich in den letzten Jahren im Kino/Fernsehen gesehen habe. "Unerträglich" ist hier positiv gemeint: Der Film tut - trotz oder wegen seines Doku-Charakters - sowas von weh: Der Betrachter windet sich 80 Minuten auf der Couch (oder im Kinosessel), schlägt sich die Hände vors Gesicht und möchte am liebsten in den Bildschirm greifen, um die gute Melanie zu schütteln. Sie ist peinlich, nervig, mal entsetzlich devot, dann wieder ohne jedes Gespür keck Grenzen überschreitend. Sie macht wirklich ausnahmslos alles falsch, was man im Alltag, im Berufsleben und in Freundschaften falsch machen kann. All das wirkt kein bisschen überzeichnet. So unsäglich sie auch agiert/kommuniziert - und das ist dann für mich große Regie- und Schauspielkunst: Man versteht Melanie. Man versteht ihren Idealismus, ihre Lügen, ihre Sehnsucht nach Freundschaft. Sie ist nicht nur bemitleidenswert, sie ist auch liebenswert. Irgendwie zumindest. Ein klein bisschen.

                                                  (Aber nur, wenn es einem gelingt zu vergessen, dass ihre bloße Präsenz ansonsten einer Zahnwurzelbehandlung gleicht kommt.)

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                                                  • 7 .5
                                                    über Argo

                                                    Dann will ich mich auch mal in das verminte Feld der Argo-Kommentierung bewegen. Um mit den Harmlosigkeiten zu beginnen: Von den Oscars hat für mich einizig der für den Schnitt eine gewisse Plausibilität, die anderen beiden hätte er von mir sicher nicht bekommen - von einem Meisterwerk ist er einiges entfernt. Dazu sind die Figuren einfach zu flach. Eine regelrechte Aversion entwickel ich inzwischen bei dem tausendfach gesehehen Seitenthema "viel beschäftiger Ehemann vernachlässigt Frau und Kind, um seiner 'höheren Berufung' zu folgen". Ich kann das echt nicht mehr sehen/hören: Wenn ich noch einmal den vom Papa verpassten Kindergeburtstag ertragen muss, werd ich laut schreiend das Kino verlassen - oder hysterisch in mein Couch-Kissen weinen, angesichts von soviel Ideenlosigkeit.

                                                    Trotzdem: Ich mochte Argo, Affleck hat erneut als Regisseur ein gutes Händchen. Der Film ist spannend - und das ist hier keine Trivilialität, denn: Die Geschichte ist schlicht, jeder kennt das Ende - und trotzdem schafft es Affleck zu fesseln. Zumindest war mein Päckchen Zigaretten nach den 2 Stunden ziemlich leer.

                                                    Nun zum haarigsten, dem Propaganda- oder gar Rassismus-Vorwurf: Ich finde den recht weit hergeholt - da gibt es ganz andere Kaliber - und ich mag es gar nicht, wenn Begriffe durch inflationären Gebrauch entleert werden. Ja sicher, die iranische Revolutionäre sehen nicht freundlich aus. Aber so ist das nun mal in einer Revolution. Da brennen einem schon mal die Lampen durch, da guckt man finster oder fanatisch, da vergisst man schon mal für den Moment, dass wir alle Kinder Gottes sind, die sich mit Respekt und Achtung begegnen sollten. - Glorifizierung von CIA und USA? Kann ich ebenfalls nicht erkennen: Die Vorgeschichte der Konflikts - die Schuld der USA - wird deutlich thematisiert. Der Film zeigt mehrfach depperte US-Bürger, die am liebsten selber mit der Knarre in den Iran wollen - oder die ihre orientalisch aussehenden Nachbarn und Mitbürgern gleich vor der Haustür malträtieren. Und die CIA: Ein undurchsichtiger Bürokraten-Haufen, der die ganze Aktion fast zum scheitern bringt. Glorifizierung sieht anders aus.

                                                    Ahmadinedschad will ja nun ein Remake von Argo machen. Man darf gespannt sein, in was für leuchtenden Pastellfarben die Revolutionäre hier erscheinen werden. Schön auch, das Isabelle Coutant Peyre, die Carlos-Anwältin und Verlobte, nun einen Prozess gegen Clooney und Co in der Sache anstrengt. Man darf sehr gespannt sein auf die historische Wahrheitsfindung.... ich hoffe, es findet sich ein Gericht, das die Klageschrift annimmt!

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