Fenri - Kommentare

Alle Kommentare von Fenri

  • Holaaaa. Da muss ich lang nachdenken. Aber alle mag ich da gar nicht nennen. Am häufigsten weine ich bei Horrorfilmen, wenn die Leute ein bisschen Hoffnung gewinnen oder so. Irgendwie resoniert wenig mehr mit mir. Aber schau ma mal:

    Filme
    The Green Mile (1999)
    Quills (2000)
    Oasis (2002)
    Breathless (2009)
    Han Gon-ju (2013)
    The Wailing (2016)
    Only the Brave (2017)
    Wind River (2017)
    Okja (2018)

    Serien
    Scrubs (2001)
    Supernatural (2005)
    Clannad (2007)
    Steins;Gate (2011)
    The Leftovers (2014)
    Mr. Robot (2015)
    13 Reasons Why (2017)

    Spiele
    The Legend of Zelda: Twilight Princess (2006)
    Mass Effect 3 (2012)
    Halo 4 (2012)
    BioShock Infinite (2013)

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    • 8
      über Okja

      2017 war ich noch auf meinem massiven Korea-Hochgefühl und war dann doch irgendwie ein wenig hin- und hergerissen bei diesem Film. Es wollte sich einfach nicht stimmig anfühlen. Ob nun meine Begeisterungsfähigkeit gestiegen ist, meine gesellschaftliche Wehmut oder beides sei mal so dahingestellt, aber WIE KANN MAN DA NICHT EMOTIONAL WERDEN SO EIN SCHLIMMSCHÖNER FILM!

      Irgendwie meine Lieblingsrolle von Paul Dano. Aber der große Star vom Film ist definitiv das Mädchen und ihre Harmonie mit Okja. Uff. <3

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      • 8
        Fenri 31.08.2022, 04:01 Geändert 31.08.2022, 04:15

        J'ACCUSE.

        "Das Jahrzehnt ist bald vorbei. Mann, das erste so richtig fette Kinojahrzehnt! Und... der Große Krieg ist in vollem Gange. Was für eine Zeit, am Leben zu sein. Möge der Krieg bald enden. Erinnert ihr euch an Georges Méliès? Ich frage mich, was aus ihm geworden ist. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, dass wir uns an so schönen Filmen erfreuen konnten. Mein Freund aus den Staaten erwähnte zwar etwas von Charlie Chaplin und Buster Keaton, aber... so was brauche ich jetzt nicht. Weißt du? ... Abel? Bist du da?"

        Abel: "Dieser Griffith... ist schon ein Schuft. Er macht große Filme, und technisch sind sie sicher beeindruckend. Aber was für eine Selbstverliebtheit!"

        "Ja. Rassistisch - amerikanisch eben. Die haben doch ein Überlegenheitsgefühl. Von wahrem Patriotismus verstehen die nix. Geschweige denn - diese Plakativität! Mon dieu!"

        Abel: "Ach... Ist unsere Welt gerade nicht selbst sehr plakativ?"

        "Du solltest nicht in extremes Denken verfallen."

        Abel: "Krieg schafft extremes Denken - es gilt Vorsicht zu walten. Aber umso mehr erinnert er uns brutal daran, was richtig ist, und vor allem daran, was falsch ist."

        "Abel... ist alles in Ordnung?"

        Abel: "Die Alten sprachen ständig von Rache gegen die Deutschen. Wir haben das nie verstanden. Jetzt sind sie in unser Land eingefallen. Europa brennt. Frankreich brennt. Nun, Griffith hat einen Film zum Großen Krieg veröffentlicht."

        "Die Amerikaner? Taugt er was?"

        Abel: "Nein. Griffith hat die Menschen zu dem Bösen gemacht. Der böse Deutsche. Nicht Menschen sind das Böse. Krieg ist das Böse, und was er aus den Menschen macht."

        "Das ist aber doch etwas zu einfach."

        "Nein. Menschen als böse abzustempeln ist einfach. Das ist eine Rechtfertigung. Viele davon sind gute Menschen, die Böses tun. Das ist das wahre Gräuel."

        "Ich meine... das geht Griffith doch zehn Schritte zu weit."

        Abel: "Findest du nicht auch, dass dieses Jahrzehnt einen gebührenden Abschied verdient?"

        "Ich will nur, dass der Krieg endet, Abel. Das ist alles, das ich will. So viele tote Söhne."

        Abel: "Tant de mères mourantes."

        "Abel..."

        Abel: "Wieso wollen die Menschen Kriegsfilme sehen, wo der Krieg doch vor der Tür ist. Was denkst du?"

        "Kannst du dich wirklich für etwas Anderes interessieren? Nachbarschaften brennen, Freunde sterben. Was will ich da mit irgendwelchen schönen Romanzen? Feuillade gibt uns schon mehr als genug Zerstreuung."

        Abel: "Ein Kriegsfilm also. Ein richtiger. Einer, der die Gefühle ausdrückt, die wir zu verstecken suchen."

        "Ein Melodram also."

        Abel: "Eine Anklage."

        Es ist spät, okay? Ich habe den Film zum Abschluss mit meiner Freundesgruppe gesehen, mit der ich seit einem halben Jahr Stummfilme in mehr oder minder chronologischer Reihenfolge sehe. Grund dafür? Die zwei kannten eigentlich keinen einzigen Stummfilm. Ich wollte ihnen aber doch Kurosawa zeigen, und Kobayashi! Die Grandiosität des Kinos der 1950er und 1960er. Wie die Leidenschaft mehr entfachen, wenn nicht dadurch, sie Zeuge werden zu lassen von der Weiterentwicklung des Films, von der dadurch zwangsläufig heranwachsenden historischen Betrachtungsweise, dem Verständnis der Künstler, dem Annähern an Zeiten, an die viele Menschen, auch Filmfreunde, vielleicht gar keine Gedanken mehr verschwenden? Aber 1910er, ein halbes Jahr, mit Menschen, die keine Schwarzweißfilme, schon gar nicht Stummfilme kennen?

        Et les pleurs mêlés
        Des mille douleurs
        Vont au même fleuve.

        and the mingled sobs
        of a thousand sorrows
        all flow into
        the same river.

        THE BARRACKS, Jules Romains

        Ja. Es war ein voller Erfolg, der mit viel Liebe geprägt ist. Auch die skeptische Teilnehmerin hat es sich nicht nehmen lassen, durch Birth of a Nation, Intolerance und J'accuse zu sitzen. Und was haben wir sonst noch gesehen? The Avenging Conscience, Broken Blossoms, Lois Webers Shoes, Feuillades gesamten Fantômas, Sjöströms Terje Vigen, Anders als die Anderen, unzählige Kurzfilme. Ich habe mir selbst noch ein paar Filme zu Gemüte geführt. Aber von all diesen Filmen ist, die Größe von Intolerance in allen Ehren, J'accuse ohne Zweifel der einprägsamste, und vielleicht - nur vielleicht - auch der herausragendste. Eine Tour de Force, die umso intensiver wurde, nachdem die Zeit so sehr ins Bewusstsein gerückt ist. Ein gewaltiges Monument Frankreichs, der Ritterschlag eines der größten Filmemachers aller Zeiten - nicht auf 1001 Movies zu finden, aber daran bin ich inzwischen gewöhnt.

        J'ACCUSE.

        Der Film ist sicherlich etwas ambivalent. Allzu viel Sympathien für den Deutschen hegt er gar nicht, und verübeln kann man das dem Film wohl kaum - gefilmt wurde er 1918. Aber anders als in HEARTS OF THE WORLD wird nicht Deutscher um Deutscher eingeführt, der neue abgrundtief böse Dinge tut - nein, die Geschichte konzentriert sich einfach auf die französischen Protagonisten, auf ihr Leid und ihre Abgründe - auch auf ihre Hoffnungen. Die Charakterzeichnung ist dabei erstaunlich ambivalent und wirft oft große Fragen auf. Klar ist nur, dass Gance den französischen Soldaten hoch wertschätzt und da sicherlich viel Stolz mitschwingt.

        Es gibt die Liebe, die Sehnsucht. Es gibt den Schmerz und die Trauer. Und es gibt diese herzzerreißende Wut, die auch nur zu erahnen bereits so viel Energie entzieht. Der Zorn der Ohnmacht, ein Schrei gen Himmel. Und es will nicht aufhören. J'accuse. J'accuse. J'accuse. J'accuse.

        Calm fell. From Heaven distilled a clemency;
        There was peace on earth, and silence in the sky;
        Some could, some could not, shake off misery:
        The Sinister Spirit sneered: 'It had to be!'
        And again the Spirit of Pity whispered, 'Why?'
        AND THERE WAS A GREAT CALM, Thomas Hardy, Nov 1918

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        • Fenri 26.08.2022, 09:37 Geändert 26.08.2022, 09:39

          BioShock ist wirklich die ungeeignetste Videospielvorlage überhaupt. Die braucht keine Verfilmung und, schlimmer noch, eine Verfilmung wird der Welt und Geschichte in 99% aller Fällen enorm schaden. BioShocks ganzer Zauber liegt doch darin, in eine fremde Welt geworfen zu werden und die ganze Geschichte in erster Linie passiv durch die fremde, aber zunehmend vertraute Umwelt zu erfahren. Dass die Story dann aber doch auch s e h r aktiv erzählt wird, auf einem dichten Plotniveau, bei dem Jonathan Nolan das Wasser im Mund zusammenläuft....

          Videospielverfilmungen wie Hollywood sie angeht sind völlig schwachsinnig. Genau wie all diese deutschen ideelosen Buchverfilmungen. So etwas hat nur einen Sinn, wenn ein Künstler seine eigene Version erzählen will, die filmische Herangehensweise - so wie Villeneuve es mit Dune gemacht hat, Scott mit Blade Runner, Jackson mit The Lord of the Rings, Kubrick mit Shining. Gibt schon einen Grund, warum Hamaguchi gefühlt der erste ist, der Murakami erfolgreich verfilmt hat. Weil es keinen Sinn ergibt, dessen Bücher einfach so umzusetzen. Die Halo-Serie hätte so viel Potential gehabt, hätte man eine eigene Geschichte erzählt, so wie Forward Unto Dawn oder Legends es versucht haben (und mehr oder weniger geschafft), statt Chief und Cortana neu aufzulegen. Weniger Grund, wütend zu sehen, und mehr Freiheiten. Als BioWare ein Star Wars-Spiel entwickeln sollten, haben sie sich entschieden, es tausende Jahre in der Vergangenheit anzusiedeln - wegen der Freiheiten. Heraus kam die für viele beste Version und Geschichte von Star Wars.

          Wann Studios verstehen, dass Filme nicht einfach die überlegene Version sind... das ist so ein Blödsinn. Gerade wenn dann derartig cinematische Erfahrungen wie The Last of Us verfilmt werden, entzieht sich das jedwedem Verständnis und wirkt nur wie konservatives "Filme sind doch eh besser". Nein, sind sie ganz bestimmt nicht. Sie können auch grandios sein, wenn viele tolle und leidenschaftliche Leute zusammenkommen. Aber Studios haben ein Talent dafür, sich in ihre "wichtigen" IPs zu sehr einzumischen. Wenn man dann wenigstens eine andere Geschichte in der Welt angesiedelt erzählt, wieso nicht. Aber wozu Troy Baker mit Pedro Pascal austauschen? What the fuck? Wer soll das ernstnehmen? Die Spieler wollen eine Rechtfertigung sehen, eine grandiose Geschichte verfilmt zu sehen. Und Nichtspieler kennen die Vorlage nicht, sind oft eh noch etwas hinten dran, was die Realisation betrifft, wie tiefgründig und hochwertig Videospiele im Geschichtenerzählen sein können. Deshalb wollen sie einfach eine gute Verfilmung sehen und gehen da unvoreingenommen ran. Aber auch die xte 5/10- oder 6/10-Verfilmung ist einfach nur noch mehr Müll.

          Bioshock verfilmt zu sehen macht mich jedenfalls wütend. Ich bete, dass das niemals das Tageslicht der Welt erblickt. BioShock ist ein erzählerisches Meisterwerk, das bereits in die Geschichte eingegangen ist. Das braucht kein Remake, keine Verfilmung. Nichts. Es sei denn, da setzt sich wirklich jemand hin und denkt: Okay, die Spiele decken die gesamte Vorgeschichte ab, und das Ende. Ich könnte ja eine kleine politische Geschichte erzählen, die in dieser Unterwasserstadt angesiedelt ist, nicht versuchen, einem der wichtigsten Videospiele der Geschichte in einem anderen Medium das Wasser zu reichen. Aber wer's glaubt.

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          • Fenri 23.08.2022, 16:54 Geändert 23.08.2022, 16:55

            Ich seh schon wieder, wie ich denke: Vielleicht kann ich ja trotzdem Spaß dran haben. Aber so viel an der Serie stört mich jetzt schön, selbst wenn ich Galadriels Schwertzkämpfertum akzeptiere. Warum zum Beispiel kommen Hobbits vor? Mann. Wieso gilt als "starke Frau" nur noch "Frau, die gut kämpfen kann und knallhart ist"? Wieso gilt als gelungenes Prequel/Sequel nur noch "a l l e s, was die Fans schon kennen und lieben, muss wieder rein, Originalität kann ja den Kostümdesignern überlassen werden" - das hat weder in Disneys Star Wars funktioniert noch in Fantastische Tierwesen. :/

            Wie hieß nochmal der liebe User hier, der kilometerlange Blogs geschrieben hat zu den Hobbit-Filmen, der größte Herr der Ringe-Fan, den ich je gesehen habe? Alte User erinnern sich vielleicht an ihn. Er war einer der Guten. Ich wüsste zu gerne, was er über die Serie denkt.

            Ich hoffe, am Ende überrascht die Serie komplett. Denn an und für sich finde ich nichts verratende Trailer gut. Aber als Anomalie hier vielleicht schon bedenklich.

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              Fenri 22.08.2022, 03:35 Geändert 22.08.2022, 04:56
              über Nope

              MASSIVE SPOILER FREUNDE. Das ist mehr analytisch und weniger mein üblich emotional-gesellschaftlicher Blickwinkel, also. Ja, "über den Film wird man keine Essays schreiben" und so. Doch. Das Ding ist vielleicht wirklich Jordan Peeles bester Film. Also ja, spoilerspoilerspoiler durch die Bank.

              "Dreamt that a baby chimp attacked some people then ran to me and hugged me all scared. I woke up with tears streaming down my face. #bruh"
              —Jordan Peele, 30. November 2014, Twitter

              Jordan Peele ist Jupe. Es muss so sein! Aber zuerst, ein paar Erinnerungen.

              Ich sah Nope nun innerhalb von drei Tagen zum zweiten Mal im Kino - das erste Mal in meinem Leben, dass ich das bei einem Film zulasse. Der Film hat so viele Ebenen, ohne untransparent zu sein, und spricht dabei so schöne Dinge an, ohne ins "Intellektualisieren" zu gehen, für das etwa Nolans (in meinen Augen im besten Sinne Ausnahmewerk) Tenet kritisiert wurde. Get Out war ein runder Film, der eingeschlagen hat - und wie. Ein Gesellschaftssatire, die das Othering, die Einsamkeit, den Rassismus, die Mikroaggressionen einfängt, und auch die berechtigte Wut, die man als schwarzer US-Amerikaner fühlen kann - und auch als Minorität in vielen anderen Ländern auf etwas andere, aber doch ähnliche Art und Weise. Us wiederum war auf inszenatorischer Ebene der vielleicht grandioseste Horrorfilm, den ich je gesehen habe - bis er es plötzlich nicht mehr war. Bis er sich zu geil gefühlt hat als Fenster in die Gesellschaft mit, kurzer großer Us-Spoiler, wirklich langweiligem Twist. Und ich mag den Film!

              Get Out habe ich nur einmal und das vor fünf Jahren gesehen. Get Out - der eingeschlagene Film. Jordan Peele macht nun also humoristische Horrorgesellschaftssatire mit viel über die black experience. Geliebt von allen. Ein Jahr später erscheint Black Panther, und der feuchte Traum der Diversität für viele schwarze (und andere) Kinofans wird wahr - und das meine ich im positivsten Sinne, auch nach der Zweitsichtung von vor ein paar Tagen. So ein schöner Film, quasi der Anti-Birth of a Nation, wenn man so will. Eine Zelebrierung Afrikas, eine Erforschung von Afrikas Potential als Industriestaat und leider, zu unrecht, arg engstirnig als "nationalistisch" kritisiert. Dabei ist die Idee doch so spannend: Wie ginge es Afrika ganz ohne Kolonisation? Nun, zuerst einmal wäre es reich as fuck. Wie dem auch sei. 2022: Nope. Nope, der überraschend ambivalent aufgenommen wird - so wie ich damals interessanterweise aus Get Out herausgegangen bin. Nope fühlt sich nicht ganz rund an. Aber dann - doch, er ist sogar völlig rund. Vielleicht sogar sein rundester Film, aber das ist nur eine Einschätzung, denn Get Out ist eine Weile her.

              Nope hat nicht mehr einen vornehmlich schwarzen Cast, wenn auch zwei schwarze Protagonisten. Nope distanziert sich merklich bewusst von der ganzen Sache, und es wird doch klar, wie sehr Peele anscheinend von dieser Richtung wegzurudern versucht, wenn nicht einmal in der hier trotz allem als sehr weiß gezeigten Filmindustrie der kleinste Kommentar über die Schwarzheit der Protagonisten abgegeben wird. Nichts, nada. Peele hat die Schnauze voll von seinem Image, von seinem, vielleicht, Trauma als Künstler, das Get Out mit sich brachte.

              Wir haben also einen Film, der sich der Ambivalent zu bedienen weiß - mehr als Get Out, und deutlich, deutlich eleganter als Us. Wem sonst kann es gelungen, auf der einen Seite einen Film mit so vielen Interpretationsraum zu kreieren, so schönem Symbolismus, plakativ bisweilen, stellenweise schön subtil; und auf der anderen Seite einen Film, der sich scheinbar völlig von diesem Image zu distanzieren versucht. Dass der Begriff "Anti-Peele-Film" in den Kopf schießt, zeigt ja schon, wie sehr er damit behaftet ist. Nope ist nicht das, womit man rechnet. Es ist schon intelligent, und VOR ALLEM leidenschaftlich. So leidenschaftlich wie Steven Spielberg in seinen Abenteuerfilmen, mit so einer Liebe für das Abenteuer, für das Überwältigen von Distanzen, für Charaktere, für das Kino, für die Fantasie, für Peeles unerreichbar lustigen Humor; für alles. Der Film schreit Liebe. Die harschen Kritiken.... ich weiß, ich bin ein Romantiker, wenn es um Kunst geht, der Schönheit in allem finden kann und aus dem Grund fast nie Filme mit weniger als 5 Punkten bewertet. So viel Mühe, so viel Leidenschaft steckt in Filmen. Nur weil ich etwas langweilig finde, hat es keine schlechte Bewertung verdient. Dazu muss es schon aufstoßen. Und so viel stoßt nicht bitter auf - das ist mir zu negativ. Dazu muss schon politisch oder so irgendeine extreme Meinung losgetreten werden.

              [Abschweifende Kritik zur nihilistischen Kritikkultur unserer Gesellschaft.]
              Die Welt hat den Zauber verloren. Nicht nur im Kino, sondern ganz allgemein. Die Wissenschaft entdeckt neue, bahnbrechende Dinge, und die Leute schreien nicht: wow! Sie lesen es, nicken ab, und gähnen. Es gibt unendliche Informationen, ein Universum, das niemand versteht, und erst in den letzten 10 Jahren zunehmend salonfähige Gespräche hinsichtlich der Existenz von Parallelwelten, und es ist "ganz cool". Wissen ist jederzeit griffbereit, wozu also lernen? Gleichzeitig geht man voreingenommen in Filme und wendet seine Erwartungen darauf AN, statt den Film auf sich EINwirken zu lassen. Dabei ist das eine doch viel reicher als das andere. Ein Film wie Tenet ist ganz cool, aber zu banal und möchtegern. Scheiß auf die noch nie dagewesenen Actionsequenzen. Makoto Shinkai wird als visionslos beschimpft, weil er banale Romanzen macht, die er süß findet, und die Star Wars-Community als toxisch, weil Fans sich darüber aufregen, dass die Werke zu einem Kalkül-Fest wurden. (Und mal ehrlich, ich hab dieses "Star Wars ist toxisch" so satt, während wir von Disney mit Füßen getreten werden.) Wieso kann man sich nicht hinsetzen und sich an einer Geschichte erfreuen, die ein Künstler erzählen will? Das hyperkritische Mindset vieler Leute heute ist für mich, und ich sage das frei heraus, vielleicht genauso schädlich fürs Kino wie irgendein geldhungriger, seelenloser Megakonzern wie Disney.

              Für meine Seminararbeit in der 13. Klasse durfte ich in Englisch eine Filmszene analysieren. Ich wählte eine Szene aus Birdman und schrieb eine These darüber, inwiefern der Film anhand seiner Filmsprache die Frage behandelt, welche Verantwortung Kunst hat. Ich trennte dies in drei Kategorien: Anspruch durch die Perspektive der Kritikerin, Stimulierung durch die Perspektive von Birdman, und in Summe ganz einfach Ausdruck durch die Perspektive des Künstlers selbst, Reagan. Mein Fazit war, Spoiler zu Birdman für einen Satz, dass der Film keine Seite davon völlig abspricht, aber doch letztlich die Narrative Reagan überlässt, der entsprechend luzid wird und die Narrative, und damit uns als Zuschauer, hinter sich lässt. SPOILER ENDE. Gott, wie ambivalent dann die Analyse eines Films ist, wie bitter es mir aufstößt, Interpretationen zu einem Werk von David Lynch zu lesen. Man liebt ihn, "und es ist Surrealismus, in dem jeder seine eigene Bedeutung findet" - es ist romantisch, aber manchmal mit fadem Beigeschmack, das alles umgehen zu wollen und ums Verrecken trotzdem die "richtige" Bedeutung zu finden, die intuitiv korrekte Bedeutung, die der Künstler darin wohl sieht. Um die dann zu bewerten? Keine Ahnung. Und es macht ja Spaß, es kann sogar hochleidenschaftlich sein. Trotzdem nachdenklich stimmend. Also lass mal machen.

              Natürlich geschieht Kunst im Wechselspiel. Das ist die Quintessenz von Kunst. Umso wichtiger ist es, vom hohen Podest herunterzukommen und Filme nicht ständig miteinander zu vergleichen. Sie nicht, in Summe, zu bewerten. Leider wachsen wir in einer Gesellschaft auf, in der wir dazu konditioniert werden, alles zu bewerten. Angefangen mit pädagogisch fragwürdigen Herangehensweisen wie ein Kind zu loben à la: "Das gemalte Bild ist fantastisch!" Die Schule gibt ihr Übriges, Vergleiche und Bewertungen in unsere Köpfe einzuhämmern. Es hat einen unangenehmen Teint, ein wenig wie: Habe ich die letzten zwei Stunden im Kino nun erfolgreich verbracht oder ist es fehlgeschlagen, war das Produkt untauglich? Es ist zu transaktionell. Roger Ebert hatte noch begriffen, wie wichtig die Liebe für Filme ist, um sie als Kritiker vernünftig anzugehen. Aber nun sehen sich alle als Kritiker, sehen sich aus irgendeinem Grund dazu qualifiziert, gewaltige Projekte nach oft verschwommenen Parametern zu bewerten und dann als "objektiv schlecht" abzustempeln. Da frage ich mich, was falsch im Leben einer Person gelaufen sein muss, um so durchs Leben zu gehen. Es mutet ein wenig an, wie Gott zu spielen - natürlich ist dies Kunst ohnehin ein wenig eigen, aber dennoch. Aber ich schweife völlig ab. Ich finde Kritik übrigens auch gut, und auch negative mitunter interessant. So ist nicht! Abschweifung vorbei.]
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              Ich möchte nun also ein paar Dinge dieses Films ein wenig interpretieren, denn irgendwo ermutigt er doch dazu. Er ist so offen in manchen Dingen: das eine Pferd Lucky, das all die Situationen gut übersteht, das Pferd Ghost, dessen Verschwinden und folgendes unheimliches (Todes-)Schreien die Nacht durchzieht, und das nur von Jupe kurz erwähnte Pferd namens Trigger, das erste Pferd, das das Alien fraß - der Auslöser für die ganze Geschichte. Aber so wie es aussieht, dem Traum von Peele nach zu urteilen, so war doch der Affe vielleicht der wahre Auslöser, der Albtraum, der ihn offenbar nie losgelassen hat. Vielleicht auch etwas in seiner Vergangenheit, das er gar nicht mit uns teilen mag, zumindest nicht auf der intellektuellen Ebene - eine Sache, die die Leute gern vergessen, obwohl sie zum schönsten an der Erfahrung von Kunst gehört. Die Gefühle, die zwischen den Zeilen stehen, jene, die sich nicht so einfach kategorisieren lassen, weil uns die richtige Perspektive fehlt. Nicht jeder Film ist ein Rätsel, das es aufzulösen gilt. Genauso wie ein Mensch nicht einfach ein bloßes Rätsel ist, das es aufzulösen gilt. Auch wenn jeder Film auf ein paar Ebenen genau dies verlangt, und Peeles Werke, auch Nope, mehr als andere.

              Haben die Geschwister den Traum, groß rauszukommen - bei Oprah! Im Kino! Sie des Ruhms wegen vielleicht, er des Geldes, der Loyalität seiner Familie gegenüber? Selbst ihr Freund Angel wurde von seiner Freundin verlassen, nachdem sie eine Schauspielrolle in The CW bekommen hat. Dann ist da der große, bereits berühmte Kameramann, der zu all dem nur eines zu sagen hat: Dieser Traum, den du da hast, das ist ein Traum, von dem du nicht aufwachen kannst. Wie sehr das abseits von der allgemeinen Warnung des Lebensweges eine Anspielung auf den Affentraum ist, und auf Peeles Leben... es schwingt viel Tiefe in dem Satz mit, und ich denke gern über ihn nach. Was noch ist ein Traum, von dem man nicht aufwachen kann? Und was mit jenen seltenen intensiven Träumen, die uns noch jahrelang verfolgen, uns vielleicht sogar mehr prägen als die Realität? Kunst imitiert die Realität, Realität imitiert die Kunst. Wo sind die Träume? "We make dreams", heißt es im Kino. Ja, Peele, du ganz sicher, und ganz offen. Wie konsequent, sich am Paten der schönen Träume zu orientieren - Steven Spielberg.

              Dann ist da Jupe. Bekannt schon in seiner Kindheit für die Sitcom mit dem Affen. Dann berühmt als der Junge aus der Sitcom, in der der Affe Amok gelaufen ist. Statt dieses Trauma zu begraben, hat er einen Markt daraus gemacht, hat sogar ein Poster von Gordy in seinem Zimmer, zeigt den Geschwistern ungefragt den Raum mit all den makaberen Erinnerungsstücken an den grausamen Tag, der Jupes ganzes Leben geprägt hat. Er wirkt so unbeschwert, erzählt gern davon. Die Verzweiflung, der Eindruck, gefangen zu sein in diesem Bild - ach, Jupe. Wie unpassend du in diesem Film wirkst, auf dem ersten Blick. Jupe, JP - Jordan Peele? Ob das bei all den Namenspielchen ein Zufall ist?

              Zwei Jahrzehnte später und Jupe nährt immer noch von dem Event. Er beobachtet ein Alien, das ein Pferd frisst - es heißt Trigger. Fühlt er sich berufen, die Aliens mit Pferden zu beliefern? Dazu gezwungen? Plakativ nennt Peele sie "the viewers" - die Zuschauer, die Beobachter. Wie ironisch, dann die Zuschauertribüne ebenjenen Viewern zuzuwenden, nur um dann von diesen gefressen zu werden. Das Pferd hingegen bleibt unberührt - da unterlag der Künstler wohl einem Missverständnis. Kein Zweifel sah er sich am Ende Gordy gegenüber, dachte vielleicht, er hätte eine besondere Bindung zu der Tierwelt, hätte die Distanz überbrückt, die das Bewusstsein mit sich bringt. Und er irrt sich. Es war ein Trauma, ein ausgerastetes Tier, nicht mehr und nicht weniger. Hätte er doch sein eigenes Ding gemacht, und sich nicht verkauft, sich nicht geopfert. Vielleicht wäre Jupe dann glücklich geworden.

              OJ hingegen versteht Tiere besser, respektiert sie mehr, weiß, dass sie nicht nach seinen Regeln tanzen. Und am Ende scheint es tatsächlich so, dass er das Alien dazu bringt, sich bedroht zu fühlen - sich aufzuplustern wie so viele Tiere es versuchen in einem Versuch der Einschüchterung, der missglückt. Dabei erinnert es an biblische Engel. Letztlich gelingt es den Menschen, selbst dieses Wesen zu vernichten. Ist das gerecht? Wieso fühle ich mich dann so verdammt melancholisch dabei, zusehen zu müssen, wie dieses Wesen so würdelos sterben muss?

              Man kann die Natur nicht bändigen. Kein Mensch kann das. Keine Affen, keine Pferde, keine Aliens. Bezeichnend ist die Abwesenheit von einem Hund, der auf einer Farm keine Seltenheit ist. Kein einziger Hund ist zu sehen, nicht einmal. Das Tier, das doch so bekannt ist als das "gebändigte" Wesen. Wäre es zu plakativ gewesen, einen Hund zu sehen, der etwa beim Anblick des Aliens durchdreht und einen Menschen beißt? Wahrscheinlich wollte Peele einfach nicht von den Pferden ablenken und OJs schöner Beziehung zu diesen. Am nächsten kommt letztlich das Schweinchen auf dem Dach - aber das war ja mehr eine kleine Anspielung auf die physische Unfähigkeit von Schweinen, nach oben zu sehen. Ihre Wirbel erlauben es dem Tier schlichtweg nicht.

              Trotzdem handeln die Protagonisten mit Pferden, bringen sie ans Filmset. Statt sie zu bändigen scheint es sich mehr um eine Vereinbarung zu handeln - doch auch Jupe hat eine Vereinbarung gesucht und durch Missverständnis den Tod von sich und dutzenden anderen herbeigeführt. OJ scheint mit etwas mehr Verständnis zu arbeiten, sich der Sprache des Wesens zu bedienen, nicht irgendwelchen Korrelationen zu folgen, sondern jenen, die wirklich Sinn ergeben. Eine große Portion Glück spielt sicherlich mit ein - aber ich möchte doch auch sagen, dass die Charaktere in dem Film allesamt glaubwürdig gehandelt haben. Unglaublich mutig und bisweilen waghalsig, aber nie per se dumm. Nicht alle Hoffnung ist verloren - Menschen und Tiere scheinend doch nicht völlig fremd voneinander leben zu müssen, wie Lucky zeigt. Verarsch es einfach nicht. Es gibt hier noch ein paar Fragen, die in mir aufkommen, und das ist auch schön so. Nicht alles ist beantwortet.

              Nahum 3:6; "I will cast abominable filth upon you, make you vile, and make you a spectacle."

              Sind nun wir, die Zuschauer, das Schauspiel? Ist es Jupe, mit seinem Trauma? Sind es die Tiere, die die Industrie missbraucht? Sind es vielleicht gar die traumatischen Erlebnisse, der Affe in Raserei, der jäh sterbende Vater? Die scheißgruseligen Kinder in Verkleidung? Keine Ahnung. Ich weiß vor allem, dass der Film toll ist, mit und ohne Interpretation. Dass mir Peele eine Weile das Wundern erlaubte, das gemeinsame Wundern, das Erfreuen an Furcht, an Spannung, an Liebe und Gemeinschaftlichkeit. Aber über diese Gefühlsduselei habe ich ja schon einen Kommentar verfasst. Also belasse ich es dabei. Und jetzt gute Nacht. :)

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                Fenri 20.08.2022, 21:12 Geändert 20.08.2022, 21:28
                über Nope

                Nope ist eine vollkommene "Was wäre, wenn Aliens, aber gruselig und lustig gleichzeitig"-Umsetzung, Daniel Kaluuyas wortkarges Gemurmel ist grandios und der Film sofort einer meiner Lieblingsfilme.

                Keine großen Dreher oder sonst was, einfach ein Film, ein Rätsel, Überlebensthriller, Genremisch, supercharmant und dabei ein sehr gelungenes Porträt des Wechselspiels zwischen Mensch und Tier/Natur à la Jordan Peele mit tollem CGI. Entsprechend unbedingt in Englisch schauen, und keinen Trailer nach dem ersten sehen. Die verraten nämlich praktisch alles. Und die größte Power ist der Spaß des "Was kommt als nächstes?" Die Botschaft ist super, aber man wird keine Essays darüber verfassen.

                So viele in meinem Saal fanden den kacke, und ich kann nur den Kopf schütteln. Der Film hat einfach meine Kindheit so aufleben lassen, diese Außerirdischen-Fantasien, meine Liebe zu Tieren, sowie auch meinen großen Respekt vor der Naturwelt, meine Liebe zu Steven Yeun und Daniel Kaluuya (ok die kamen später) und meine Angst vor dem Unerklärlichen. Und die Wackelfiguren!!! Arrival und Nope. Der eine so: jo, lass mal das ganze Genre auf den Kopf stehen. Nope so: nope, just a different angle. Und wer da fragt, ob das nicht bloß Semantik ist, dem sei gesagt: Steven Yeun als Cowboy!!

                Mein liebster Peele. Vielleicht nicht sein relevantester, aber in meinen Augen sicherlich sein coolster. Und wer jetzt denkt: Ok, Fenri ist offiziell nicht mehr anspruchsvoll, dem kann ich nur sagen: Ich war noch nie so langweilig, danke. Aber der Film ist in jedem Fall charakterstark, und in dem, was er erzählen will, kickt er richtig rein. Mehr ist nicht wichtig. Vor allem nicht, wenn man Kaluuya nope sagen hören kann in völlig absehbaren Situationen, und trotzdem lachen muss. Danke und gute Nacht.

                An jene, die den Film gesehen haben / SPOILER:
                Allein das Ding selbst. Ich habe manchmal versucht, selbst wegzusehen. Es ist nicht geglückt. Ja, nicht dieselbe Gefahr, aber eben vor allem ein unbändiges Neugierde daran, wie es denn nun aussieht! So schön, mich daran zu erinnern, wie es ist, sich etwas vorzustellen. Denn wenn der Film eines anregt, dann die Fantasie. Und vielleicht ein klein wenig angebrachte Demut.

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                • Vince in allen Ehren, aber wieso hat das geniale Arschgesicht das verraten? Was soll die Scheiße? :/

                  • Wichtige Ankündigung: Einer der bestbewerteten Filme des Jahres (8.5/10 auf mubi, 8.6/10 auf letterboxd) ist eine A24-Geschichte über eine kleine sprechende süße Muschel, die mit ihrer Omamuschel verborgen in einem Haus wohnt? Leute es tut mir leid das zu sagen aber dieser Film hat gewonnen. Ich weiß nicht was, ABER WIE SÜSS IST DAS ICH STERBE

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                      1918 spielt Mary Pickford eine Doppelrolle und hat damals etwas sehr "Mutiges" getan - sie hat eine "hässliche" Frau gespielt. Dass sie in dem Film aber auch ihr wunderschönes Antlitz als andere Rolle zeigen kann und gleichzeitig zu der Zeit neben Lillian Gish und Lois Weber die wohl berühmteste Frau in der US-amerikanischen Filmindustrie war, dämpft das alles ein wenig, aber das macht alles nichts. Und im Übrigen war es auch Pickford, die Lillian Gish überhaupt erst Griffith vorgestellt hatte. Genau genommen wird noch zu 1916 gesagt, dass es damals nur eine einzige Person gab, die ihre Popularität ein klein wenig übertraf: Charlie Chaplin.

                      Mary Pickford hat eh viel getan, um Frauen in einer unbarmherzigen Industrie zu helfen. Und das nicht wegen irgendeinem Heimvorteil (abgesehen von ihrem Aussehen, muss man zugeben). Sie gründete United Artists gemeinsam mit Griffith und Chaplin, um unabhängigere Produktionen zu realisieren.

                      Die Villa von Mary Pickford und Douglas Fairbanks, Pickfair, wurde übrigens zu einem Hotspot der Größen, und hatte oft namhafte Besucher. Wikipedia beeindruckt da dolle: natürlich Charlie Chaplin, aber auch Albert Einstein, George Bernard Shaw, H. G. Wells, F. Scott Fitzgerald, Fritz Kreisler, Sir Arthur Conan Doyle. Die crème de la crème in den Staaten, kein Zweifel. Und anscheinend war Pickford auch ziemlich egozentrisch; ihre (adoptierten) Kinder erinnerten sich später, dass sie wenig mütterliche Zuneigung erfahren hatten. Aber jetzt hab ich das hier zu einem gekürzten Wikipedia-Artikel verkommen lassen, entschuldigt!!!! Ich finde das alles nur so interessant. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, nur moderne Filme zu sehen, wenn da doch auch so viel Macht und Energie in den alten ruht.

                      Stella Maris ist ehrlich gesagt etwas anstrengend. Hat ein paar schöne Einstellungen und interessiert sich weit mehr für seine Charaktere als Griffith in seinen historischen Werken, aber irgendwie habe ich das Interesse ein wenig verloren. Zum Ende hin wurde es wieder heftiger, und der Film scheucht wirklich vor keinem Thema zurück; Alkoholismus, Suizid... da hat man schon Respekt vor. Aber wirklich sehenswert macht den Film Mary Pickford.

                      Denn womit der Film vor allem heraussticht, ist ihr tolles Schauspiel. Andere bleiben hier ziemlich blass - sie nicht. Mary Pickford ist eine der ganz großen, und zugegeben, der Film hier hatte so ein geniales Make-Up-Team, dass ich mir eine Weile unsicher war, ob das wirklich dieselbe Person ist, aber es gehört dann schon noch was dazu, so sehr herauszustechen aus dem Meer der damaligen Filme.

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                      • Ach fuck mann. Das Produktionsdesign ist halt einfach phänomenal, kann man nix sagen. Das sieht aus wie LotR. Wenn es mir glückt, von der erzwungenen Diversität abzusehen (und ich bin eigentlich gut darin, Dinge positiv zu sehen).... Die Schauspieler reizen mich halt nicht krass und die wenigen Kämpfe sehen nach "fuck physics" aus. Aber es sieht gleichzeitig grandios aus. Aber mit unendlich viel Geld ist das halt auch kein Wunder.

                        Mal gucken. Mal gucken. Aber nicht zu bald, erstmal bleibt Prime unbezahlt, sind immer noch ein Horrorverein.

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                        • Du willst mir erzählen, dass in einer Serie, in der Rassismus und Genetik eine dermaßen große Rolle spielen, wenn es um die Abstammung von Joffrey geht, die anhand seiner Haarfarbe erkannt wird, oder die fahlen, inzestuösen Targaryen, dass es da plötzlich schwarze UND weiße Targaryens gibt?

                          Ich finde Diversität und Repräsentation ultrawichtig und freue mich zum Beispiel, dass Disney bei all der Scheiße, die sie abziehen, immerhin dahingehend okaye Arbeit leisten. Aber genau wie bei der Serie Herr der Ringe (wobei die ja noch schlimmer ist) ist es einfach total Banane, plötzlich so rumzuwürfeln.

                          Es gibt Diversität und faule Diversität - einen Charakter einfach schwarz zu machen and that's it, das ist faul. Das macht in vielen Settings Sinn - in einer Fantasywelt, die einen großen Schwerpunkt auf Rassismus und Kulturhintergrund in noch relativ homogenen Gesellschaften legt, weniger. Finde ich sehr enttäuschend. Das ist fast so, als würde man in The Witcher einfach Geralt zum Elfen machen, ohne dass es angesprochen wird.

                          Kann darüber hinwegsehen und trotzdem Freude haben, schätze ich. Aber es enttäuscht mich trotzdem.

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                            Fenri 18.07.2022, 10:03 Geändert 21.07.2022, 15:58

                            "Remember how small the world was before I came along? I brought it all to life: I moved the whole world onto a 20-foot screen."

                            Arroganter Griffith, ehrlicher Griffith. Ein Riese seiner Zeit, der genau wusste, wie groß er war Und wie auch nicht, wenn man den größten Film in der Geschichte der Menschheit schuf? Für diesen Film allein hat man ein Set erschaffen, eine halbe Stadt mit, ungelogen, 91 Meter hohen Mauern. Und natürlich hat man auch Eroberungstürme gebaut, die dann umgestürzt werden, oder abgefackelt, oder was auch immer. Wie man derart gigantische Sets füllt? Natürlich mit den insgesamt 3.000 angeheuerten Extras.

                            1917, Pictures and the Picturegoer: "A few years ago--which is a long while in the motion-picture business--I produced a picture for Biograph called The Reformers," he began in reply to my query as to the origin of Intolerance. "In that two-reel subject I gave vent to some of my feelings on the matter of bigotry and carelessness of the true wellbeing of one's fellow-creatures. The picture did not in any way resemble Intolerance except in basic principles, but if you want the history of my new production you must go right back there, for ever since then I have been consciously and unconsciously collecting material for a portrayal, on as comprehensive a scale as possible, of the evil of intolerance. I have spent the last three years in the actual production of the picture. Of course much of the time has been taken up with historical research, for I am a great stickler for fidelity to fact in even the smallest details. Then there is the selection of a cast, which in its way is almost as big a thing as the actual production."

                            Intoleranz ist ein Film der Wunder, in dem man sich noch so vorbereitet fühlen kann - man wird ungläubig den Bildschirm anschreien. Die Geschichte ist gigantisch erzählt mit den vier Zeitebenen um die Gegenwart 1914, die französische Renaissance 1572, die die judäische Geschichte um 27, und die babylonische Geschichte 539 BCE, zusammengehalten von einem wiederkehrenden Bild der zauberhaften Lillian Gish, dem hellsten Stern am Himmel, zusammengehalten auch von einer so leidenden Mae Marsh, einer so einsamen Miriam Cooper, einer Constance Tambridge, die sich kurzerhand als eine der größten Kriegerinnen herausstellt - ja, die Stummfilm-Epoche gehörte lange Zeit den Frauen. Sie waren die Stars, sie waren die Protagonistinnen. Die Filmgeschichte tat ihnen auch im Kino zutiefst Unrecht.

                            Da passt es ja, dass Griffith ständig alles als Innovation zugeschrieben wird. Selbst Birth of a Nation recyclet viele seiner Techniken, die man schon in seiner Edgar-Allan-Poe-Verfilmung The Avenging Conscience sehen konnte etwa, und vereinigt sie zu etwas Größerem. Aber vor, und während ihm, gab es Louis Feuillade und Lois Weber, und beide wagten sich an Techniken, die viele bei Griffith als unglaublich innovativ wähnten. Jetzt mal unter uns: Der Close-Up ist schlichtweg die logische Konsequenz des Filmschaffens, kein: Oh mein Gott, hat er das gerade wirklich gemacht? Was dachtet ihr denn, das passiert, 100 Jahre Georges Méliès' Theaterstil? Wer weiß. Ein Experte sieht mehr visionäre Technik in den Filmen als ich – und gerade die Logistik hinter einigen Shots ist mir unvorstellbar. Birth of a Nation hat die Filmsprache gegründet, doch ich finde das Sentiment schöner, das sich laut Lindsay Anderson bei den Dreharbeiten von The Whale of August (1987) abgespielt hat. Als Anderson nach einem Take sagte: „Miss Gish, you have just given me a perfect close-up“, erwiderte Co-Star Bette Davis: „She should. She invented 'em.“ Lillian Gish, Erfinderin des Close-Ups. Einfach, weil die Kamera nicht genug von ihr bekommen konnte – zurecht.

                            Na ja, aber Griffith hat natürlich Dinge neu ausprobiert, war ein Vorreiter, und vor allem ein großer Virtuose, wenn es darum ging, all diese Sachen in einem Film zu vereinigen, der aus allen Nähten platzen sollte – und es nicht tut. Wie auch immer das möglich ist, bei einem Film, der vielleicht vergleichbar wäre mit einem Projekt, in dem jemand versucht, alle drei Der Herr der Ringe innerhalb von einem Jahr fertigzustellen.

                            Anfangs muss man erst den Überblick entwickeln, wenn man nicht gerade Experte über die Hugenotten ist und Babylon, aber es ballert alles, sobald man sich in die Geschichte findet - und das habe ich dann doch problemlos. Zu phänomenal sind die Bilder, zu bedeutungsvoll (und bedeutungsschwanger) das, was man sieht. Man kann nicht umhin, zu spüren, etwas Großem beizuwohnen. Vielleicht auch einem eitlem Unterfangen`, Griffith liebt definitiv sein Pathos und das Herumhämmern auf Moral, aber nach Geburt einer Nation ist dies hier mehr als frische Abwechslung - es ist eine Offenbarung.

                            Zugegeben - manche Geschichten kamen zu kurz, und mit manche meine ich vor allem die französische Renaissance, in die man sich eigentlich gar nicht hat einfühlen können. Dem Film hätte eine längere Laufzeit gar nicht unbedingt geschadet. Aber diesen vier Geschichten zu folgen, von räumlichen Dramen bis hin zu monumentalen Armeen, über die Griffith scheinbar mühelos völlige visuelle und erzählerische Hoheit hat, das kommt dennoch nur einem wilden Ritt bei, und natürlich ist das Finale dann genau das. Ein blutiges, wildes Wettrennen im Namen der Liebe, mit einer so großen Anzahl an Juxtaposition / parallelem Storytelling, dass es einem Wunder gleicht, gerade bei einem so alten Film, dass man emotional mitgerissen wird. Aber wird man, und was auch sonst?

                            Wie magisch, die alten Tage Babylons zu schreiten, wie verängstigend, diese ach so gutmütigen Reformer der 1914-Gegenwart zu beobachten, die der „Menschheit helfen wollen“ - indem sündhafte und unproduktive Dinge wie das Tanzen der Arbeiterschaft verboten wird. In all diesen Geschichten versucht stets die Liebe durchzukommen, sich durchzukämpfen, und nachdem auch die Geschichte Jesu parallel ein wenig nacherzählt wird, entwickelt sich eine böse Vorahnung, dass das Ende zu einer fulminanten Hölle wird.

                            Natürlich wird es manchmal ein wenig viel, wenn die Frauen vor Trauer plötzlich zu Boden fallen und was weiß denn ich. Aber ich kenne nur einen vergleichbaren Film - Cloud Atlas -, und der fühlt sich in Umfang und, bei aller Liebe, die ich für CA habe, auch Bedeutung, irgendwie nach kleinerem Maßstab an. Intolerance: Love's Struggle Throughout the Ages will es wissen, und Wissen bekommt er. Es gehört schon viel Genie dazu, in so kurzer Zeit einen derart massiven Film zu drehen, ein derart kolossales Filmset zu besitzen und in keiner Sekunde damit überfordert zu sein, die Handlung darin verständlich und ästhetisch wiederzugeben - mit Close-Ups, Long-Shots, und mit wirklich allem, was das damalige Editing hergab. Und ganz nebenbei habe ich mich ein wenig in Miriam Cooper verliebt, von der beinahe das gesamte Oeuvre verloren gegangen ist. Mies. :( Das Finale war so verdammt spannend, aua aua aua!!!

                            Meine Freunde, die ehe ich ihnen eine Reihe von Stummfilmen zeigte noch nie irgendwelche Schwarzweißfilme gesehen haben, haben heute zum ersten Mal mein größtes Leiden anerkannt: sie waren hellauf begeistert von dem Film (und kennen noch nicht mal Kurosawa, Hitchcock oder Ozu) und wissen trotzdem, dass der Film, wenn man ihn einfach so ansieht, ohne sich auf die Filmsprache vorzubereiten, das zu kennen, was davor kam, wahrscheinlich deutlich weniger Effekt haben wird. Für Allein für Lillian Gish entwickelt sich Film für Film eine immer größere Liebe. Aber, ganz ehrlich: ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand diesen Film nicht als Meisterwerk anerkennt, wenn er ihn das erste Mal - in seiner ununterbrochenen Gänze - zu sehen bekommt. Wenn ihr euch also fragt, welchen dieser beiden, Kilometer-langen Stummfilmgrößen der 1910er ihr sehen sollt, dann fällt mir die Antwort ganz ganz leicht: Intolerance, Intolerance, Intolerance.

                            Intolerance ist ohne Zweifel D.W. Griffiths Meisterwerk, das Birth of a Nation nicht nur wegen seiner viel schöneren Inhalte überschatten sollte und zu unrecht nur im Vergleich als das "Entschuldigungswerk" abgetan wird, oder aus Griffiths Sicht eher als „Antwort auf die Intoleranz gegenüber seines vorigen Films“, der laut ihm keineswegs rassistisch war. Zum einem ändert dieser Film überhaupt nichts an Griffiths rassistischen Ideologien gegenüber schwarzen US-Bürgern und Native Americans, zum anderen ist Intolerance viel zu herausragend, als dass man ihn deswegen abtun sollte, denn in diesem Film ist von gutgeheißener Intoleranz wahrlich nur wenig zu sehen. Das wäre auch zu einfach; der Film war schon in Teilen lange vor der Veröffentlichung des kontroversen KKK-Films in Drehbucharbeit. Und es ist ein Film, kein Essay, auch wenn Griffith selbst das manchmal ein wenig zu vergessen scheint - nichts für ungut. Ja, Griffith, du bist ein Rassist, sonst hättest du niemals einen Film wie Birth of a Nation gemacht, oder so (verlorene) Filme, wo die Native Americans so mies dargestellt werden. Und, ja, Griffith, du bist ein verdammtes künstlerisches Genie und hast der Kinowelt ein wundervolles Testament, ein Appell an die Toleranz und Liebe gegeben. Dass man da ambivalente Gefühle hegt, ist verständlich. Dass so viele Intolerance trotzdem derart bewundern, auf eine krude Art vielleicht umso verständlicher.

                            [EDIT AFTER THE FACT (4 Tage):
                            Nach dem Abklingen der Höhen und der Sichtung eines weiteren Griffith-Films, sein Weltkriegsdrama "Hearts of the World", muss ich ein bisschen zurückrudern:

                            Nicht alles lässt sich mit der Zeit rechtfertigen. Victor Sjöström hat zu der Zeit auch Filme gemacht. Es ist schon ein wiederkehrendes Motiv von Griffith, dass seine Charaktere extrem eindimensional sind, oder von mir aus zweidimensional. Identifikation ist in erster Linie den tollen Schauspielern zu verdanken. Wie so ein Film in einem Jahr gedreht werden kann... nun, man wundert ein wenig weniger, wenn man das Drehbuch bedenkt. Die unebenen Schwerpunkte sind schon bemerkbar. Frankreich und Judäa funktionieren nur, weil sie als Akzentsetzungen dazwischen existieren, gerade Ersteres ist aber das Verwirrendste am ganzen Film. Die Gegenwart funktioniert super, und Babylon auch - aber Letzteres wiederum lebt einzig von dem Set und den x Extras, sowie der Inszenierung von diesem. Charaktere sind nicht Griffiths Stärke, und ich bin mir sicher, dass viele auch eine bessere Story daraus hätten machen können, die nicht mit jeder Szene die simpelsten Beispiele für "sei tolerant!" darbietet.

                            Worin aber die Magie liegt, neben den atemberaubenden(!) Sets und Kostümen, ist seine Fähigkeit, diese großen Bilder und die kleinen im Wechsel vollends zu beherrschen. Diese Größe allein mitsamt des tollen Orchesters, den meine Version genoss, hat den Film zu einem riesen Spektakel gemacht. Alles in allem war Birth of a Nation wohl mit einem intelligenteren und sogar komplexeren Plot ausgestattet - nur leider ist der Film im finalen Drittel einfach nur unerträgliches, alt-right-mäßiges Geschichteneuerzählen. Intoleranz hat das Problem nicht, und noch dazu vier Zeitebenen, bei denen es am Ende richtig abgehen kann. Griffith hätte von einer Zusammenarbeit mit einem charakterorientierten Drehbuchautoren vielleicht gar nicht so geschadet - das Ergebnis wäre interessant geworden. Allerdings glaube ich, dass er für eine gemeinschaftliche Arbeit viel zu hochmütig und unsicher war.]

                            Was soll ich sagen? Griffiths Karriere verlor danach an Fahrt. Der Film war viel zu teuer, viel zu groß – und sehr kompliziert, auch damals schon. Sein langsam konservativ anmutender Hang zum Melodram war wie geschaffen für diesen Film; nur was danach? Ja, er hat noch einige große Werke hingelegt, und mit Broken Blossoms (1919) für viele ja sogar seinen besten - mit Orphans of the Storm (1921) seinen perfektesten. Das kann ich noch nicht beurteilen. Aber das alles lenkt nicht davon ab, dass er danach ein paar Probleme hatte - warum, kann ich noch nicht so gut herauslesen. Wegen schlechter finanziellen Entscheidungen vielleicht, vielleicht auch wegen seinem konservativen Charakter - denn ähnlich wie Georges Méliès, der nicht bereit war, das naive Träumen mit der Kamera als statisches Ding aufzugeben, schien Griffith unwillig, sich von dem großen Melodram zu verabschieden, als nach dem Großen Krieg die Lust groß wurde zum einen nach Komödien von Chaplin, Keaton und Lloyd, zum anderen nach Thrillern und Krimis - aber das ist nur eine noch sehr ungelehrte Spontan-Einschätzung. "Everything went downhill after Lillian [Gish] left me", sagte er eines Tages. Aber warum hat sie dich verlassen, David? 1925 - kurz vor der großen Veränderung, dem großen Knall - dem Tonfilm. Vielleicht der finale Todesstoß.

                            Is this truly to be your last picture?", fragte ein Interviewer Griffith damals.

                            "It is," sagte Griffith, "intolerance that I have met with and fought with in my other picture made it impossible to ask investment of the tremendous sums of money required for a real feature film with the result dependent on the whim or the lack of brains of a captain of police."

                            Auch: "We of the moving picture craft admit our defeat; it is impossible for us to take any big subject of interest without the fear of the autocrats above us taking away our property. [...] I now contemplate turning to the stage in making an attempt to find freedom of expression." Mehr dazu hier: https://www.reddit.com/r/1001Movies/comments/myxupy/comment/gvxs6ym/

                            Die Kinderkrippe wiegt im Rhythmus des Weltgeschehens zu einem mehr als formidablen Orchester, pathetisch ist die Erzählung, und so, so wirkungsvoll. Lillian Gish ist die Mutter der Erde, Gott, wenn man so will - eine logischere Konsequenz hat das Kino noch nie geschlossen. Dass dann ausgerechnet hier auf Close-Ups verzichtet wird, ist ein grausames Spiel. Man weiß es, man weiß doch von ihrer Ausdrucksstärke, ihrer Melancholie und ihrer Sturheit - und man sieht es nicht. Vielleicht kommt das Göttlichkeit am nächsten.

                            Wie jemand treffend sagte: wenn wir Außerirdischen nur einen Film zeigen könnten, der die menschliche Welt einfangen soll, unsere Ambitionen und Fehler, dann sollte das "Intolerance: Love's Struggle Throughout the Ages" sein. Ich kann dem nicht zustimmen, ich würde lieber Mars Attacks absenden, denn es passt viel besser zu uns, Dinge zu tun, die wir bereuen werden. Aber man kann ja nicht alles haben. Und jetzt lasst mich bereuen, dass mein Schlusswort einem mittelmäßigen Film gewidmet ist. Mist. Äh, Lillian Gish, whoopwhoop. Danke für eure Aufmerksamkeit.

                            [Ich bin sooo im Konflikt mit diesem Film! Ich wünschte, ich könnte 1916 einige Drehbuchautoren, Regisseure und normale Kinogänger nach ihrer Meinung zu Griffith befragen. Welcher Regisseur sonst sagt von sich, dass er "die Filmgeschichte verändert hat"? Er hat ja recht, aber.... bei ihm klingt es nicht nach entrückter, objektiver Aussage ohne Stolz. Er ist heftig von sich überzeugt - oder zumindest scheint er diese Bestätigung zu suchen, wo auch immer er hingeht.]

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                            • Fenri 24.06.2022, 15:08 Geändert 24.06.2022, 15:13

                              Uhhhhhhhh!

                              1. The Legend of Zelda: Ocarina of Time / Wind Waker / Majora's Mask / Twilight Princess
                              2. Assassin's Creed 1 bis Unity
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                              4. Mass Effect-Trilogie
                              5. Metro 2033-Reihe
                              6. Deus Ex: 1 / HR / MD
                              7. BioShock-Trilogie
                              8. Halo 1 bis 4
                              9. The Elder Scrolls IV / V
                              10. Hellblade: Senua's Sacrifice
                              11. Dishonored 1 / 2
                              12. Red Dead Redemption
                              13. Telltale Games: The Wolf Among Us
                              14. Telltale Games: Batman
                              15. Shadow of the Colossus
                              16. A Plague Tale: Innocence
                              17. The Last of Us
                              18. The Witcher-Trilogie
                              19. Life is Strange
                              20. Star Wars: The Old Republic

                              Shorts:
                              1. This War of Mine
                              2. Doki Doki Literature Club
                              3. What Remains of Edith Finch
                              4. Contrast

                              Früher:
                              1. RuneScape
                              LG

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                                Fenri 10.06.2022, 01:18 Geändert 10.06.2022, 11:50

                                What the fuck²? Ein völlig in Vergessenheit geratener, kompakt und so fucking spannend erzählter Thriller über den Beginn des Dritten Weltkriegs, und kennen tut ihn gefühlt keine Sau? Es ist schade, wenn solche wirklich mehr als bemerkenswerten Werke vergessen werden.

                                Allein die Prämisse: Der einsame Harry trifft endlich die Frau seiner Träume. Kurz vor ihrem ersten Date bekommt er jedoch mit, dass die USA Massenvernichtungswaffen abgeschossen haben. In einer Stunde dürften sie dann also mit dem Gegenschlag rechnen - und nur er weiß es. Das Ding schreit 1980er und macht aus dem Jahrzehnt wirklich das Beste. Wie verhext sorgt der Film alle zehn Minuten für mehr Anspannung. Mann mann mann. Atomkrieg ist schon echt unheimlich.

                                Die USA-Version von O-bi, O-ba, heh? Wo die Polen und Russen (und mit Morning Patrol auch die Griechen) in den 1980ern dem Weltuntergang mit zig tollen postapokalyptisch anmutenden Werken begegnet sind (O-bi O-ba und sowieso alles von Szulkin und Lopushansky, Der Silberne Planet, Das Opfer, Der Museumsbesucher), hat sich der weltberühmte (äh) Steve De Jarnatt mit Drehbuch und Regie an dieses tolle Werk gewagt, um den Zeitgeist "Angst vor Atomkrieg" einzufangen. Ja, man kennt's, ne? Unbedingte Empfehlung an alle, die filmischen Stress und die filmischen 1980er mögen.

                                Wikipedia:
                                Before Miracle Mile was made, its production had been legendary in Hollywood for ten years. In 1983, it had been chosen by American Film magazine as one of the ten best unmade screenplays. Steve De Jarnatt wrote it just out of the American Film Institute for Warner Brothers with the hope of directing it as well. The studio wanted to make it on a bigger scale and did not want to entrust the project with a first-time director like De Jarnatt.

                                Miracle Mile spent three years in production limbo until De Jarnatt optioned it himself, buying the script for $25,000. He rewrote it and the studio offered him $400,000 to buy it back. He turned them down. When he shopped it around to other studios, they balked at the mix of romance and nuclear war [...]. At one point, it nearly became the script for the eventual separately made Twilight Zone: The Movie. Before Anthony Edwards was cast, production nearly began with both Nicolas Cage and Kurt Russell. Of the script, Edwards said, "It scared the hell out of me. It really made me angry too ... I just couldn't believe that somebody had written this." John Daly of Hemdale Films gave De Jarnatt $3.7 million to make the film."

                                Well, damn. Trotzdem vergessen. That's life. Ein cineastisches Fossil, wenn man so will. Dafür trotz all seiner veralteten Züge trotzdem verdammt lebendig. Mögen wir es wieder ausgraben.

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                                • Angel's Egg hat vier Nennungen, schön. Und jetzt alle gucken die auf surreale und symbolträchtige Erzähltechniken stehen, der ist was ganz Besonderes!!!!

                                  Übrigens ist auch Patlabor aus den 1980ern, das ist auch von Oshii und dementsprechend wie Ghost in the Shell, nur dass statt Transhumanismus die Themen Politik und Transhumanismus sind. Ich gucke gerade die Serie und die ist cool, aber wenn man den Fans Glauben schenken kann, dann ist gerade der zweite Film on par mit GitS. :)

                                  Danke für diese schöne Übersicht. Da kann man sich gut durcharbeiten. Als fellow Statistiken- und Listennerd weiß ich das immens zu schätzen. :D

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                                    Fenri 07.06.2022, 19:10 Geändert 07.06.2022, 19:11

                                    What the fuck? Als wäre das Wort "creepy" für diesen Film erfunden worden. So langsam und ruhig, aber doch so beunruhigend. Toll gespielt und toll geschrieben. Das Ding schleicht sich erst in deinen Kopf, dann in dein Herz und irgendwann in deine Seele, um dir jede Hoffnung zu rauben auf einen Moment der Erleichterung. Ich war schon ziemlich müde bei der Sichtung und wurde immer wieder aus der unwohlen Schläfrigkeit gerissen, weil der Film erschreckt - ganz ohne laut zu sein oder dergleichen. Einfach nur ein Blick in den Abgrund der Menschen. Ja, nur die seelische Hölle. Mehr muss man sich von einer Sichtung gar nicht erwarten. :)

                                    (Help me das war so schlimm und so gut. T_T)

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                                    • Fenri 06.06.2022, 02:31 Geändert 06.06.2022, 02:44

                                      Danke für die Empfehlungen, da kenne ich ganz schön viele noch nicht. Harold and Maude finde ich aber wundervoll. :)

                                      Suizid in Filmen gehört zu meinen Heimatsthemen, deshalb kann ich da ein paar weitere empfehlen. (Mit letterboxd-Rating.)

                                      • Aoi Bungaku: No Longer Human (2009) - Morio Asaka - 7.6 | No Longer Human ist glaube ich das erfolgreichste japanische Buch aller Zeiten - und auch ein Manifest des Suizids. Ein großartiges Werk, das ich jedem empfehle, der sich der dunklen Seite der Wahrnehmung zuwenden möchte. Diese Animeverfilmung hat die Buchvorlage besser verstanden als alle anderen, von denen ich so Wind bekommen habe. Ein Mann versucht Doppelsuizid mit seiner Freundin zu begehen - aber nur sie stirbt. Heftige Story. Und mein Lieblingsbuch:
                                      • Han Gong-ju (2013) - Lee Su-jin - 7.6 | Weniger über Suizid als über Suizidalität. Herausragend darin, mit leisen Tönen die emotional völlig abgeschottete Protagonistin vorzustellen. Unbedingte Empfehlung.
                                      • The Leftovers - Damon Lindelof - 9.0 | Nachdem 3% der Menschheit verschwunden sind, sind unendlich viele Menschen auf der Suche, oder auf der Flucht. Suizid ist da natürlich eine omnipräsente Thematik.
                                      • Colorful (2010) - Keiichi Hara - 7.0 | Ruhiges, einfühlsames animiertes Drama über eine gestorbene Seele, die eine zweite Chance bekommt - im Körper eines sich jüngst umgebrachten Jungen, dessen Leben er nachvollziehen soll.
                                      • Peppermint Candy (1999) - Lee Chang-dong - 7.8 | Lee hat nicht nur Burning gemacht, sondern auch dieses sagenhafte Porträt einer der toxischen Seiten koreanischer Kultur und vor allem des inneren Seelenlebens eines Mannes. Film beginnt mit seinem Selbstmord. Dann wird seine Geschichte rückwärts erzählt, bis hin zu einem phänomenalen Ende.
                                      • Suicide Room (2011) - Jan Komasa - 5.8 | Wenig hat mich mehr getriggert als der Film, der sich der Thematik auf die brachialste Art und Weise annimmt, die man sich vorstellen kann. Allein den Film zu sehen ist pain, und nichts Anderes.
                                      • Memories of Matsuko (2006) - Tetsuya Nakashima - 8.0 | Ich kann mich kaum and den Film erinnern, aber weiß noch, dass ich sprachlos war, und dass Suizid eine omnipräsente Rolle spielt. Amélie mit Depressionen.
                                      • Paranoia Agent (2004) - Satoshi Kon - 8.4 | Kleine Anime-Serie vom Filmgott über verlorene Seelen. In einer Folge geht es um ein skurriles Trio, das sich ständig umbringen will, aber durch ziemlich lustige morbide Tricks versucht, dass das minderjährige Mädchen in der Gruppe die Selbstmordversuche überlebt. Wirklich lustig!!! ECHT!!!!
                                      • My Suicide (2009) - David Lee Miller - 6.8 | Komplett edgy, cheesy Komödie über einen Jugendlichen, der als Schulprojekt einen Film drehen soll - und sich dafür entscheidet, eine Suizid-Chronik zu erstellen. Ich fand's extrem lustig, aber ist schon echt sehr jugendlich.
                                      • Maybe Tomorrow (2013) - Alex K. Lee - 6.4 | Zwei Fremde haben sich online zum gemeinsamen Suizid in den Bergen verabredet. Der Film ist gaaaanz leise und ruhig, und zeigt die beiden beim Aufstieg. Sehr sehr schön.
                                      • Olive Kitteridge (2014) - Lisa Cholodenko - 8.4 | Die Miniserie spielt über mehrere Jahrzehnte im Leben von Olive hinweg und behandelt doch eine Reihe von troubled Menschen. Das Thema Selbstmord kommt da auch auf, und wird wirklich wirklich wirklich berührend behandelt.
                                      • Midsommar (2019) - Ari Aster - 7.6 | Ich fand doch, dass mit dem Suizid der Schwester sehr ernsthaft umgegangen wurde. Nicht besonders optimistisch halt, aber wirklich gut.
                                      • Forest of Love (2019) - Sion Sono - 6.8 | Sion Sono-Film, ne?
                                      • Brimstone (2016) - Martin Koolhoven - 6.8 | Nur am Rande.

                                      Selbst noch nicht gesehen:
                                      • Last Life in the Universe (2003) - Pen-Ek Ratanaruang - 7.6 | Die Versuche des Protagonistin, sich umzubringen, missglücken ständig. Mehr weiß ich nicht, weil ich den Film so dringend sehen mag, dass ich ihn mir lieber für einen richtigen Moment aufhebe.
                                      • After My Death (2017) - Kim Ui-seok - 7.0 | Ein Schulmädchen begeht Suizid, ein anderes Schulmädchen wird verdächtigt, sie dazu angestachelt zu haben.
                                      • An Elephant Sitting Still (2018) - Bo Hu - 8.2 | Abgesehen vom Suizid des Regisseurs kurz nach Beendigung des Films behandelt der Film zumindest zu Beginn auch ein wenig die Thematik.
                                      • Ritual (2000) - Hideaki Anno - 8.4 | Regisseur-Name dürfte auch hier wohl reichen, eh. x)
                                      • Maboroshi (1995) - Hirokazu Koreeda - 8.0 | Eine Frau verliert ihren Mann. Mehr weiß ich nicht, aber Koreeda.

                                      Und zum Abschluss noch ein heftiges Zitat von Dazai (und ihr solltet das Buch wirklich nur lesen, wenn ihr denkt, damit umgehen zu können):
                                      “I thought, “I want to die. I want to die more than ever before. There’s no chance now of a recovery. No matter what sort of thing I do, no matter what I do, it’s sure to be a failure, just a final coating applied to my shame. That dream of going on bicycles to see a waterfall framed in summer leaves—it was not for the likes of me. All that can happen now is that one foul, humiliating sin will be piled on another, and my sufferings will become only the more acute. I want to die. I must die. Living itself is the source of sin.”

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                                      • Da ich nicht so ganz bewandert in den 1980ern bin, lasse ich mal ein paar Dinge aus. :) Als kleiner Vorschlag/Bitte: Solltest du (ihr) das fortführen, würde ich mich mega über eine "Bester nicht englischsprachiger Film"-Kategorie freuen, weil's doch arg US- und dann eurozentrisch ist. Die 1980er sind aber beispielsweise gefühlt das goldene Filmjahrzent Polens. Nur hat Szulkin jetzt nicht die BESTEN Filme gemacht, nur extrem besondere, die nicht wegzudenken sind aus der Zeit. :) Aber das mal nebenbei.

                                        Bester Film
                                        • Komm und sieh (1985) - Elem Klimow
                                        • Der silberne Planet (1988) - Andrzej Zulawski
                                        • Mystery Train (1989) - Jim Jarmusch
                                        • Das Opfer (1986) - Andrei Tarkowski
                                        • The Shining (1980) - Stanley Kubrick
                                        • Nostalgia (1983) - Andrei Tarkowski
                                        • The Empire Strikes Back (1980) - Irvin Kershner
                                        • Ran (1985) - Akira Kurosawa
                                        • Amadeus (1984) - Milos Forman
                                        • Blade Runner (1982) - Ridley Scott

                                        Bester Animationsfilm
                                        • Die letzten Glühwürmchen (1988) - Isao Takahata
                                        • Akira (1988) - Katsuhiro Otomo
                                        • Nausicaä (1984) - Hayao Miyazaki
                                        • Mein Nachbar Totoro (1988) - Hayao Miyazaki
                                        • Angel's Egg (1985) - Mamoru Oshii

                                        Beste Serie
                                        • Dekalog (1988-89) - Krzysztof Kieslowski
                                        • Smiley's People (1982) - Simon Langton

                                        Bester Soundtrack
                                        • Das Schloss im Himmel (1986) - Joe Hisaiishi
                                        • Dekalog (1988-89) - Zbigniew Preisner
                                        • The Mission (1986) - Ennio Morricone
                                        • Kiki's Delivery Service (1989) - Joe Hisaishi
                                        • The Empire Strikes Back (1980) - John Williams

                                        Bester Schauspieler
                                        • Philip Baker Hall - Secret Honor (1984)
                                        • Jeremy Irons - Dead Ringers (1988)
                                        • Alec Guinness - Smiley's People (1982)
                                        • Robert De Niro - Raging Bull (1980)

                                        Beste Schauspielerin
                                        • Marleen Matlin - Children of a Lesser God (1986)
                                        • Isabelle Adjani - Camille Claudi (1988)
                                        • Jessica Lange - Frances (1982)

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                                          Fenri 26.05.2022, 22:30 Geändert 26.05.2022, 22:32

                                          Hallo Freunde, ihr erinnert euch an den Kommentar, den ich vor zwei Tagen geschrieben habe, wo ich den Film mit ADHS in Verbindung bringe und der überfordernden Schnelllebigkeit der Gesellschaft, statt dem Nihilismus-Konflikt? Jetzt habe ich erfahren, dass Dan Kwan durch den Film buchstäblich realisiert hat, dass er ADHS hat.

                                          "This movie, obviously, when you look at it now, was made by someone with ADHD. And it's just funny how many people have come up to me after screenings and said, "This feels like you're in my brain."

                                          Ich liebe diesen Film einfach. Danke für eure Aufmerksamkeit, wieder. :)

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                                            Fenri 25.05.2022, 00:00 Geändert 25.05.2022, 01:35

                                            Über so gehypte Filme etwas zu schreiben, fällt mir immer schwer. Macht eh jeder, und viele eh besser als ich. Wegen mehr Expertise, mehr Erinnerungsvermögen, mehr prosaischen Fähigkeiten, und vielleicht mehr Leidenschaft, denn jeder Film ist der Lieblingsfilm von irgendjemanden. Aber ich möchte doch ein, zwei Worte verlieren, für diesen Film, nur der Möglichkeit wegen, dass jemand wie ich hier ist, der den Hype anerkennt und sich trotzdem ein bissel ziert, weil Kino doch echt arschteuer ist.

                                            Ich schaue am liebsten schlimme Filme, sexuelle, tragische, grausame, emotional brutale, oder taube, einsame, verzweifelte. Wenig gibt mir mehr als einen Freund in meiner Einsamkeit zu finden, als eine Geschichte zu erfahren, wo die Menschen anerkennen, wie einsam die Welt doch ist, wie entfremdet, wie dystopisch, und wo diese Menschen sich doch an Licht klammern, sich an Momenten erfreuen, manchmal auch einfach nur ihrem Schmerz erliegen. Es geht so weit, dass ich die Stirn runzle, wenn meine liebe Mutter sagt: Wozu schlimme Filme, das gibt es im Leben schon genug. Viel mehr: Wozu schöne Filme, diesen Schein gibt es im Leben schon genug. Ich verliere mich lieber in meiner intimen Realität, und das ist keine heile Welt.

                                            Natürlich gibt es Ausnahmen, und es ist auch einfach nuancierter. Sei es wegen Regisseuren, filmtechnisch oder -historischem Interesse, einem schönen Treffen mit einer Gruppe, oder wegen Schauspielern, die ich bei jedem Mist gerne sehe - immerhin bin ich MCU-Fan, und das ist sogar filmwirtschaftliche Scheiße, aber eben doch mit Lichtblicken, die das elitäre, snobbische, engstirnige und vor allen Dingen so unsäglich langweilige Spucken auf sie für mich zu einer so zynischen Sache macht. Ich werde niemals Menschen verstehen, die die Energie finden, bei jedem Marvelfilm wieder auf der Matte zu stehen, zwei Stunden ihres begrenzten Lebens wieder und wieder dafür opfern, nur um etwas zu sehen, das sie verachten, oder dumm finden, nur um dann online dieselbe Scheiße zu verzapften wie schon seit inzwischen wohl zehn Jahren. Für lau. Damit ist niemandem geholfen, außer dem Diskurs, wenn man es sachlicher und filmwertschätzender angeht - leider ist Roger Ebert verstorben. Was der Filmkunst als Industrie viel mehr bringen würde, und dem Leben doch auch, wäre es, stattdessen einen Abend mit einem guten, oder okayen, aber kleinen Film zu verbringen. Diese tangierend monopolistische Megaindustrie um Disney auch noch dafür zu belohnen, das ist nur komisch.

                                            Es ist die andere Seite des antikapitalistische Möchtegernrevolutionärs, der sich seine regierungskritischen, apple-produzierten Serien ballert und es dann gut sein lässt. Am besten schaut er dann auch noch zwei, oder gar drei Filme am Tag, weil man lebt nur einmal, es gibt abertausende von Werken da draußen und man will doch nix verpassen, oder man will, keine Ahnung, was. Einsamkeit überwinden, Geschichten zumindest sehen, und nachfühlen, die man nicht selbst erleben kann - oder sich vielmehr nicht traut, es zu wagen. Lieber gibt man sich wieder und wieder die Erinnerung, dass andere, fiktive Charaktere über ihren Schatten springen. Wird inspiriert, und ballert sich noch einen Film, denn etwas sacken lassen, etwas Gutes langsam zu genießen, das ist unter all den "HBO veröffentlicht Serien nicht am Stück, also warte ich bis zum Ende, damit ich sie bingen kann"-Gerede untergegangen. Man könnte sagen, dass die westliche Gesellschaft auch im Kino, pardon, Streaming eine Hook-up-Culture entwickelt hat.

                                            Nun haben wir also Everything, Everywhere All at Once, und wegen diesem Kommentar werde ich morgen zu wenig Schlaf bekommen haben. Der Titel allein verheißt schon Reizüberflutung - das Kinosymptom einer Gesellschaft, die durch Dauerbeschall völlig abgestumpft ist. Wen interessiert schon, dass schon der kleinste Blick aufs Handy im Gespräch das Gehirn dazu zwingt Situationen einmal, und dann gleich noch einmal völlig neu zu analysieren, man merkt es ja nicht. Wen interessiert es schon, dass man die Träume am Morgen nicht Revue passieren lässt, weil man noch mal eben kurz aufs Smartphone schaut - "ich kann mich nicht an meine Träume erinnern" ist so, wie sagt man, telling. Du träumst. (Fast) Jeder träumt. Du erinnerst dich nicht, weil du deinen Träumen nicht den Raum zusprichst, den sie verdienen. Zumindest interessiert es doch die meisten, und es gibt dann doch auch die intensiven Träume, die, nun, selbst wie Filme sind, weniger nachgelebte Geschichten als gelebte Fantasien. Und was sind gelebte Fantasien nicht wenn Träume? Den Bogen gespannt, denn lesen ist nicht Film sehen, und ruft in den meisten selten derart intensive Gefühle auf. Es ist viel mehr wie Erinnerungen wachzurufen, die zuvor da waren. Lesen ist seltener Menschen wie im Film auf einer Reise zu begleiten. Das Lesen eines guten Buches ist häufiger wie der Traum an eine Erinnerung, die man vergessen glaubte. Oder vielmehr wie das Weben völlig neuer Erinnerungen. Erinnerungen im Jetzt. Kunst war schon immer von wunderschönen Widersprüchen geprägt. Im heftigsten Augenblick verliert man sich in der Gedankenwelt des Buches so, dass man selbst daliegt, spätnachts im Bett, wenn die Realität, wenn die Gedanken auf einen stürzen - nur dass es nicht die eigenen sind, dass man nicht im eigenen Körper ist, sondern im Geiste eines anderen Menschen. Verliert man sich noch mehr, erlaubt man sich, sich dem Moment derart hinzugeben, dann bauen sich plötzlich ganze Welten auf, ein wahr gewordener Traum. Noch ein wundervoller Widerspruch.

                                            Dein Leben ist zu schnelllebig, und deshalb liest niemand mehr, hört höchstens eine Hörbuch während irgendeiner Tätigkeit, und wahrscheinlich liest deshalb auch kaum jemand diesen Beitrag. Ich bin ein ganz okayer Pilot denke ich, inzwischen seit neun Jahren Mitglied hier, und viele kennen mich sicher. Aber ich bin auch nur ein weiterer Mensch in einer egozentrischen Welt, und nicht mal unbedingt egozentrisch - wer hat schon die Zeit, jeden Text zu lesen? Man muss selektieren. Das ist okay. Niemand hier muss mich genug mögen, das zu lesen. Überhaupt muss mich hier niemand mögen, oder wertschätzen, auch wenn das natürlich schön wäre. Aber schade ist es doch, wenn man zu der kurzen Variante greift, oder, der leicht verdaulichen Serienfolge, und dann noch einer, und noch einer, und nicht nur lange Kommentare, die ja langweilig sein könnten oder wie in diesem Fall sicher etwas chaotisch (lalala mache ich nur wegen des Themes so natürlich lalala), auch Andrei Tarkowski schiebt man auf, findet man dann wahrscheinlich auch totlangweilig, wenn man ihn sieht - nichts passiert. Filme waren früher nicht unbedingt passive Erfahrungen - im Kino luden sie zum gemeinsamen Lieben ein, um es blumig auszusprechen. Es war die Momentaufnahme von künstlerischer Polyamorie, um noch einen draufzusetzen. Jetzt sitzen wir zuhause, und erfahren sie umso passiver. Sie laden geradezu dazu ein, passiv k o n s u m i e r t zu werden. Dann doch lieber einer nach dem anderen, und wenn schon nicht das, dann schnell geschnitten, schnell gesprochen, schnell gefilmt, und schnell vergessen.

                                            Das klingt nun alles nach einer Kritik, denn immerhin ist Everything, Everywhere all At Once, und irgendwie möchte ich es einfach ausschreiben, schnell geschnitten, schnell gesprochen und schnell gefilmt. Aber im Gegenteil bietet dieser Film eine Gegenantwort zu dem, was wir kennen, auf das hin viele von uns konditioniert wurden: ein wilder Rausch, Film als Droge, nicht aber sinnesverändernd, nur betäubend. Nicht dieser Film. Dieser Film etwas zu sagen, so einfach es auch ist.

                                            Schon in der ersten Szene wird klar, dass Evelyn (welcher Name auch sonst!) so viel um die Ohren hat, so viel, dass sich jeder Moment in ihrem Leben wie eine Panikattacke anfühlt. Tausende Ausgaben, eine schreckliche Zettelwirtschaft, eine große Familie, so viele Pflichten, und dann noch die scheiß Wackelaugen, und er will was, er braucht was, sie nervt, Joy (welcher Name auch sonst) bringt neue Unsicherheiten in den Alltag, aber will was, aber will es nicht sagen, aber will es doch eigentlich, und die Steuern, und die Arbeit, und die Kundin, und es ist so eng jetzt hier, und jetzt ist die Arbeit sogar bei uns zuhause, und die Sorgen, und ist es wichtig, was davon ist am Wichtigsten, ich brauche auch mal Ruhe, das ist doch nicht normal, ich brauche eine

                                            Pause.

                                            ...würde ich jetzt schreiben, aber wir haben hier kein Wunschkonzert, und das Telefon klingelt, und du bist alt, du musst was verändern, aber erst musst du das Alte regeln, die Scherben aufsammeln, und irgendwann vielleicht wieder zusammenkleben? Keine Ahnung, erstmal eins, oder was, was ist das jetzt, was soll die Scheiße, jetzt halt doch mal die FRESSE.

                                            Eine kleine Idee der modernen, schnelllebigen Gesellschaft. Na ja, oder eine Beschreibung von AD(H)S. Eigentlich lassen sich da nicht viele Unterschiede erkennen. September 2020 hat ein Lastwagen meinen Fiat zerstört. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich einfach vor ihm links abgebogen bin, obwohl ich ihn gesehen habe. Mit dem Kopf gegen die Wand, sozusagen, nur unabsichtlich. Im Krankenhaus lag ich dann, nur mit Prellungen, und Glück. Kein Internet, kein Handy. Jede Stunde wurde ich aus meinem Schlummer geweckt, um zu checken, dass ich noch leben. Es bringt einen schon auf den Boden der Tatsachen zurück, wenn man da liegt. Nichts machen darf. Nicht einmal Süßigkeiten hat. Zwei Monate konnte ich keinen Film sehen, die Schule nicht besuchen, nicht mal schreiben. Ich ging viel spazieren, aber selbst das war schwer für mich. Entschleunigung. Es war eine Tortur, aber auch ein Augenblick in meinem Leben, in dem ich meinen nächsten Roman geradezu völlig geplant hatte. Das, was ich am meisten wollte. In dem meine Gedanken sich um Gesundwerden drehten, und Geschichten, und um Liebe. Nicht um Schule - immerhin war ich in der 13. Klasse, und verpasste die ersten zwei Monate -, nicht um Aussehen - wen interessiert's, ich hab Kopfweh, mann - nicht darum, dass es bald November war und dunkel - es ist eben jetzt, ob nun hell, warm, dunkel oder kalt. Die einzige Entschleunigung, die vielen von uns bevorzustehen scheint, ist der Tod. Nur ist der, je nach Glaube, der Beginn einer neuen Existenz oder das Ende der einzigen. Eine Pause bedeutet, dass man Dinge wieder aufnimmt. Anhalten, und fühlen.

                                            Evelyn ist es nicht vergönnt, genauso wie es uns mit diesem Film nicht vergönnt ist. Denn er ist zwar genauso aufgebaut wie die ganzen Blockbuster dieser Tage, und jongliert dabei auch noch Familie und, äh, dumme Scheiße, aber anders als bei den ganzen Blockbustern dieser Tage ist genau das das Problem. Nur fühlt es sich nicht so an, und es macht sogar Spaß, wenn man die Rhythmik lernt. Warum? Nun, weil man die Leute lieben lernt, die man da sieht. Und weil Evelyn sich nicht mehr stressen lässt. Es passiert so viel, immer noch, ihr ganzes Leben schon, so viel Reue, aber gar keine Zeit, sie zu verarbeiten, oder darum zu trauern, oder sich etwas aufzubauen. Aber hier ist das Universum, ja, Perspektive, eine Orientierung. Ordnung im Chaos, wenn man so will, und das Chaos wird nicht einmal zum Erzfeind, sondern die Sehnsucht, diese Entropie endlich in die Stille zu werfen. Nihilismus, wenn man so will, oder Selbstaufgabe. Aus Müdigkeit das Sein töten. Das ist der Feind. Das ist keine Liebeserklärung an Chaos, zumindest nicht primär. Wir leben immer noch in einer zu schnellen Welt, und das ist doof. Es kann Spaß machen, genauso wie es wehmütig machen kann, zwei Steine zu sehen. Aber man darf nicht aus den Augen verlieren, was zählt: und das ist, immer, und immer, und immer, und immer wieder: die Liebe. Und die findet sich letzten Endes doch immer in Augenblicken. Und "Augenblick" zu sagen, ist doch nur dem eigentlichen Wort aus dem Weg zu gehen: jetzt. "Je mehr man liebt, desto mehr bereut man", sagt ihr Mann, und liebt doch mehr als jeder andere. Heißt das, sich dem Fatalismus hingeben und einfach an die schönen Momente klammern? Nein, das mag ich nicht denken. Aber die Welt ist Chaos, und wird immer Chaos sein. Ob wir sie nun retten oder nicht, wir werden niemals die Herrscher von ihr sein, nur ein Teil davon, im gewaltigen, und winzigkleinen Wechselspiel zu allem. Es ist an der Zeit, anzuerkennen, dass das Leben jetzt ist. Dass der erste Schritt ist, zu lieben, oder lieb zu sein. Ist eine Welt überhaupt lebenswert, in der man jedem Menschen mit Abneigung begegnet? "Eben", sagen die Misanthropen und Selbsthasser. "Eben", sagen die Fröhlichen und die Liebenden. So einfach das Bild nun auch gezeichnet ist - gerade von mir, der die Melancholie gern hat, und die Dunkelheit - es ist trotzdem jedem selbst überlassen, in welches Lager man sich begeben mag. Man kann die Dunkelheit sehen, man kann auch in ihr leben, und man kann trotzdem eine Taschenlampe dabeihaben. Wenn man sich in der bedeutungslosen Leere befindet, und nicht allein in ihr ist, dann dauert es nicht lange, bis die Lichtstrahlen auf etwas Anderes treffen.

                                            Dass ein fabelhafter Soundtrack von Son Lux (eine sehr tolle, experimentelle Band, die sich dem Seltsamen verschreibt, und dem, irgendwie, Ehrlichen) in meinem Beitrag genauso zur Randnotiz wird wie das grandiose Editing oder die Tatsache, dass hier ein asiatischer Cast fast alle Hauptrollen stemmt (und nur so vor Energie sprudelnd!), geleitet von einer über 50 Jahren alten, malaysischen Schauspielerin mit chinesischen Wurzeln, die sich hier neu erfinden darf, dass Kino so weit gekommen ist in Diversität - das soll doch nur unterschreiben, wie vollgepackt der Film ist mit so wunderbaren Dingen.

                                            Everything, Everywhere All at Once ist ein Zeugnis unserer Welt. Der Film ist wundervoll, und dabei bin ich noch kaum auf den wunderschönen Aspekt der Familie eingegangen, die aus so liebenswürdigen Figuren besteht. Ohne diese Menschen wäre der Film doch nur ein kreativ inszenierter Essay gewesen. Mit ihnen war es Hände halten, lachen und weinen. Mit Evelyn und Waymond und Co. ist es unmöglich, Momente an sich vorüberziehen zu lassen. Dafür ist es viel zu schön, mit ihnen im Hier und Jetzt zu stehen, so sinnlos und dumm es auch erscheinen mag. Und dann steht man doch auf, um für das Gute einzustehen - um Liebe möglich zu machen, und die hellen Momente. Wie schön, dass oft schon der Versuch allein zu Licht wird. So, und jetzt gute Nacht.

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                                              Fenri 22.05.2022, 11:40 Geändert 22.05.2022, 11:47

                                              Es ist wohl kein Wunder, dass 1000 MOVIES YOU MUST SEE BEFORE YOU DIE mickrige vier Filme aus den 1910ern umfasst. Und es ist ebenso enttäuschend, dass selbst Filmliebhaber ihre Abstriche ganz einfach bei den ältesten, also wohl am wenigsten unterhaltsamen Werken machen, um ihre Zahl gering zu halten, denn: Die interessieren uns doch am wenigsten, nicht wahr? Wozu dann überhaupt so eine Liste, frage ich mich? Aber egal, ich erkenne die Relevanz von Kanons an, und ich erkenne auch deren Unvollkommenheit an, deren Anflug von Willkürlichkeit.

                                              Dass jedoch drei der vier Filme von D.W. Griffith sind, ist einfach nur ein tragischer Spiegel unserer westlichen, mehr noch, US-zentrierten Gesellschaft. Wofür ist das Kino der 1910er bekannt? Zum einen dafür, dass es die Ära des dänischen Kinos war, mit August Blom, mit Asta Nielsen, mit Benjamin Christensen. Für Louis Feuillade, dem Mann der Serien, der mit "Fantômas" die Gesellschaft zum Kochen brachte. Dann natürlich für seine noch so wundersame Eigenheit, ein utopisches Kuriosum einer patriarchalischen Gesellschaft, wo Frau und Mann durch ihre erzählerischen und technischen Fähigkeiten Seite an Seite konkurrieren konnten, wo die großen Namen der Vereinigten Staaten D.W. Griffith, Lois Weber, Charlie Chaplin und Cecil B. DeMille waren, nachdem das ursprüngliche Augenmerk doch auf Frankreich lag, auf Georges Méliès und natürlich Alice Guy-Blaché, selbsterklärte Mentorin Webers.

                                              Nur ein Scherz natürlich. Die 1910er? Das ist das Jahrzehnt, in dem Charlie Chaplin groß wurde, und natürlich D.W. Griffith seine Meisterwerke produzierte. Das ist das Jahrzehnt von "Birth of a Nation" aus dem Jahr 1915, dem Urvater des Kinos, wie wir es kennen, und dabei die ambivalente Wiedergeburt des Ku-Klux-Klans. Dass Lois Weber in genau demselben Jahr ihr Meisterwerk produzierte, "Hypocrites", und dass auch dieser Film für Aufstände in New York sorgte, wegen der frontalen Nacktheit einer Frau, der sinnbildlichen Wahrheit nämlich, sogar vielerorts verboten wurde, daran erinnert sich keiner. Nur ihr Pionier-Werk "Suspense" (1913) wird noch gesehen, wenn auch übersehen von 1001 Filmen, und doch noch immer allzu vielen Menschen (Smoover und Deusfantasy enttäuschen aber nie). Ihr könnt das noch heute ein wenig korrigieren, wenn ihr zehn Minuten Zeit habt: https://www.youtube.com/watch?v=H8phOGWdENM

                                              In der Vergangenheit schafft ein Mönch namens Gabriel eine Statue, die die Wahrheit ist. Die Menschen kommen zusammen, um sie zu bewundern. Von Nonnen bis hin zur Königin, von Kindern zu Erwachsenen, sie alle stehen da, schleichen durch eine wunderwundervolle Kamera einer nach dem anderen ins sich stetig wandelnde Bild, ihre erwartungsvollen Blicke unser eigenes Gemüt widerspiegelnd. Was verbirgt sich hinter dem Schleier? Wie werden sie reagieren? Es ist eine nackte Frau. Nackt, so wie die Wahrheit, und schön, so wie die Wahrheit. Nur wenige Menschen bleiben ruhig und fasziniert, darunter eine Frau und ein Mädchen (und überhaupt scheinen hier doch oft die Frauen mehr zu verstehen, auch wenn ihnen genauso Kritik entgegengeworfen wird, meine ich - obwohl es natürlich Gabriel ist, der die Wahrheit verkündet). Die Statue wird bedeckt, denn so etwas ziemt sich nicht, umso schlimmer, ist eine Pest, die niemand sehen sollte, und die Zeit springt in die Gegenwart, wiederholt das ganze kontemporär, und etwas langatmig. Wie sollen diese unübertreffbaren ersten 15 Minuten noch erreicht werden, denkt man sich. Und dann der Aufstieg, der Weg zur Wahrheit, und wieder spielt Weber so schön mit den Menschen, lässt einen nach den anderen erscheinen, entscheiden, ob sie ihn wagen, den Wahrheit verheißenden Aufstieg. Biblisch klingt das, und sehr fromm, und so ist es auch erzählt - wenn man davon absieht, dass hier Nacktheit gezeigt wird, und Frauen, die mitunter mehr sehen als ihre Familienoberhäupter, aber doch nicht stark genug sind, um bis zum Ende zu gehen.

                                              Natürlich ist es das Wesen von Geschichte, dass das eine vergessen wird, das andere nicht. Aber wenn es schon nicht bezeichnend ist, dass ausgerechnet die Frau vergessen wurde, die Kino und Gesellschaft gleichermaßen voranspornen wollte, die 1916 ihr Plädoyer für die Frau, ihre kritische Auseinandersetzung mit Abtreibung veröffentlichte, 57 Jahre, bevor es in den Staaten legalisiert wurde, wenn das nicht bezeichnend ist, dann ist es immer noch tragisch. Wie bitter der Geschmack, dass das Fundament unbedingt ein geniales, sagenhaft rassistisches Manifest wie "Birth of a Nation" gelegt hat. Wie schade, dass das andere Meisterwerk des Jahres, Lois Webers "Hypocrites", dessen Kritik sich der Wahrheit entsprechend völlig im Titel offenlegt, kaum Erwähnung findet, zum Teil nicht einmal eine Fußnote, so wie es aussieht. Ist Hypocrites der bedeutendere Film der beiden? Im großen Bild wohl nicht, aber inwieweit das dann doch eben mit der Erinnerung zusammenhängt, sei mal dahingestellt. Ist es der bessere Film der beiden? Ich weiß es nicht, dazu fehlt mir die Expertise. Der Umfang allein, den Birth hat, lädt zum Staunen ein. Aber das Spielen mit Bildern hier, und besonders das Panoramabild zu anfangs, und das verwoben mit einer genauso moralisierenden, aber schön erzählten Message, die hier sogar nicht böse ist, nun, der Film hat sich seinen Platz im Pantheon der 1910er verdient. Und es ist an den Filmfreunden, Lois Weber den ihren wieder anzuerkennen.

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                                                Fenri 20.05.2022, 00:03 Geändert 20.05.2022, 00:06

                                                "The End of the World", oder "Verdens Undergang", ist ein Film, der den Zeitgeist, der um 1916 geherrscht haben muss, sicherlich auf den Punkt bringt. Es stimmt doch ein wenig traurig, dass dieser ausgerechnet heute wieder auferstanden ist. Der Weltuntergang wandert umher, seine tausend Fratzen in jedermanns Träumen zu sehen. Was Don't Look Up 2021 versucht hat, ist August Blom bereits 1916 gelungen: Ein Komet läuft auf die Erde zu, und ein reicher Börsenmakler kauft sich so viele Aktien wie möglich, tüftelt an irgendeinem Plan, während doch eigentlich die Welt untergeht.

                                                Die sehr klein gehaltene Handlung bietet den Rahmen für visuelle Effekte, die zum Teil geradezu atemberaubend sind: ein ganzes Dorf in Flammen, produktionskostenfreundlich, aber auch bildkompositionell hinreißend ein Übermaß an Rauch, und all das gefilmt mit Bloms charakteristischer Liebe für das Spiel mit dem Schatten, das heute noch immer wundervoll anzusehen ist. Dabei lässt sich der Film reichlich viel Zeit, das überhaupt zu zeigen, und begnügt sich derweil mit der Dekadenz und der Einsamkeit des Bürgers.

                                                Nicht umsonst gelten die 1910er als das Goldene Zeitalter des Kinos in Dänemark. Asta Nielsen, natürlich, Benjamin Christensen. Aber August Blom war ein Meister seines Faches, und wie moviepilot beweist auch unter großen Filmkundigen geradezu vergessen. Das ist eine wirkliche Schande, denn mit Atlantis hat er so wie es aussieht bereits 1913 Bilder gedreht, die in den Vereinigten Staaten erst lange später erreicht werden sollten. Megahammerbeeindruckend.

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                                                • Toll, eine weitere Staffel von "social media is bad :Y", das schon seit einer ganzen Weile nur noch "ganz cool" ist.

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                                                    Fenri 15.05.2022, 17:51 Geändert 15.05.2022, 17:57

                                                    "My writing is involuntary, like the beating of my heart. My constant erection!"

                                                    In den Hauptrollen sind Geoffrey Rush, Kate Winslet, Joaquin Phoenix und Michael Caine zu sehen, und trotzdem ist der Film außerhalb von vielleicht Theaterfilm-Liebhabern sowie de Sade-Freunden völlig unbekannt. Was Philip Kaufman hier jedoch liefert ist eine Bühne nicht nur für Schauspieler, deren Potential er bestens auszuschöpfen weiß, sondern auch für Marquis de Sade höchstselbst, dessen ambivalentes Wesen hier bestens und ohne Schönmalerei in eine fiktive Narrative gewoben wurde. Wer war der Pate vom Sadismus? Ein Frauenhasser, ein Wahnsinniger, ein Perverser? Revolutionär, ironischerweise selbst gegen die Bourgeoisie, sicherlich gegen Gehemmtheit? Er zählt zweifelsohne zu den ambivalentesten und interessantesten frühen Feministen, wie soweit ich weiß auch Simone de Beauvoir anzumerken wusste in ihren Essays von 1953, "Faut-il brûler Sade?" (müssen wir de Sade verbrennen?").

                                                    Kollegen, die meiner filmischen Laufbahn etwas aufmerksamer folgen, werden sicher wissen, dass ich ein Zuhause habe in den seelischen Abgründen, auch in sexuellen Tabus und diverser Kunst, die sich dieser annimmt. Ich huldige nicht umsonst Lars von Trier - denn, ja, ich habe Einiges von Marquis de Sade gelesen und bin der Ansicht, dass zumindest eines seiner Werke, sei es Eugénie de Franval oder Justine, von jedem gelesen werden sollte, der nicht durch Traumata davor zurückschreckt. Zu verankert ist seine Geschichte mit der französischen Revolution, und, so pervers, abstoßend und misanthropisch man seine Werke auch finden mag, sie rufen lebendige Bilder hervor, nicht nur solche, bei denen man rot wird, sondern auch Bilder einer Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts, die unserer so fern ist und doch so nah. Marquis de Sade ist für mich persönlich eine der interessanten Persönlichkeiten der menschlichen Geschichte und dieser Film hat ihn, dieses Urteil erlaube ich mir, ein absolut würdiges Tribut geliefert.

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