_Garfield - Kommentare

Alle Kommentare von _Garfield

  • 7

    Der alte Mann und das Meer. Leck, blöder Zufall, Wasser im Kahn. Redford bleibt ruhig, besonnen, weiß was wann zu tun ist und in welcher Reihenfolge. Ungereimtheiten versalzen hier nur Segelnerds die Suppe. Aber mit Redford sind wir schon bei einem Problem: die Figur ist schwer zugänglich, Panik vermittelt Redford nicht, nur Gottvertrauen und Besonnenheit. Zudem umweht dessen Kenter-Fahrt während des ungelenken Sturm-Brimboriums eine leichte Brise wohliger Studio-Atmosphäre, die die Immersion, alleine mit diesem alten, stummen Mann den Kräften der Natur ausgesetzt zu sein, zumindest bröckeln lässt. Aber man versteht Chandor's Anliegen, Überlebenskampf auf den Grundsatz heruntergebrochen darzulegen, entschlackt von Erlösungsmythen und Selbstfindungsgeblubber in dem hereinbrechenden Chaos und dem nahenden Tod doch noch spirituelle Erfüllung zu finden. Nein, hier hat ein Mann alleine mit dem Meer Angst um sein Leben und greift wieder und wieder nach dem letzten Strohhalm. Bis er ins Leere greift und sich treiben lässt. Redford spielt bis zur Grenze, strotzt vor allem den physischen Herausforderungen seiner Rolle, bäumt sich auf, sackt zusammen, bis selbst der befreiende Schrei der Verzweiflung vor Erschöpfung erstickt. Deswegen gilt auch diesem Lob für die Errungenschaft knapp zwei Stunden lang in dessen Gesichtsfurchen nach Nuancen suchen zu wollen und den Spuren, die die Odyssee an ihm, zuvorderst aber in ihm hinterlassen hat. Und diese Suche nicht zu bereuen, weil Redford und Chandor sie mit unsentimentalen, eindringlichen Bildern belohnen. Da geht es dahin, im lodernden Feuerball, im ironischen Kampf elementaren Dualismus. Eine letzte Prüfung, ein letztes Loslassen. Und dann: träumen.

    7
    • 8
      über Louie

      Liebenswert. Liebenswert trottelig, um es mit Pamela's Worten zu sagen, die dumpf aus einer rauen Kehle dringen und im Treiben der Straße augenblicklich wieder verklingen. Kein Arsch in der Hose, schwabbel-bäuchig, rothaariger Haarkranz von grauen Strähnen durchsetzt, die Season für Season, Jahr für Jahr prominenter werden. Es geht um Louie, der Protagonist aus „Louie“, der Schreiber, der Cutter, der Dirigent, der Motor und das Herz dahinter, der, der von einer Peinlichkeit in die nächste stürzt und trotzdem nicht zur Masche verkommt. Überhaupt, „Louie“ ist keine Masche, kennt keine Maschen, so wie Louie keine Masche ist, nie war, ganz bestimmt nicht. Und er kennt keine Kunstfiguren, weil er von Menschen erzählt. Die eigenwillige Struktur von "Louie" entzieht sich dementsprechend jedweden dramaturgischen Konventionen. Und das mag zunächst irritieren, besonders jene, die ansonsten auf Kohärenz und konzeptionelle Homogenität konditioniert sind. Aber einen dreistufig gegliederten Klimax gibt es hier einfach nicht, genauso wenig wie ein Reiseziel oder spröde Themenvorgaben. Kein Gag auf Gag, kein von A nach B spurten. Stattdessen rückt Louie in den Mittelpunkt, vor roten Backsteinwänden im Scheinwerferlicht New Yorker Stand-up-Bars. Es gehört dazu, wie das fiese Fremdschäm-Kribbeln in der Magengegend. Von surreal verzerrt zu lebensklug, von peinlich zu brutalst ehrlichem Seelenstriptease, der direkt ins Herz geht. „Louie“ muss sich die Identitätsfrage nicht stellen, weil „Louie“ von Louie erzählt und niemand ist wie Louie. Darum brauchen auch keine Referenzen bemüht zu werden. Und das ist das schöne daran: Wie viel Traurigkeit und Weltschmerz sich hinter der Serie verbirgt, darf jeder für sich entdecken, weil „Louie“ keine Vorgaben macht, nichts bloß ausstellt und jede Form des künstlich heraufbeschworenen Sentiments meidet. Zudem erlaubt er eine Verknüpfung mit der eigenen Lebenswelt und vermag all den Peinlichkeiten und Komplikationen, den Konfrontationen und Missverständnissen des Alltags auch seine komischen Seiten abzugewinnen. Deswegen ist „Louie“ auch nicht eskapistisch, sondern konfrontiert mit der eigenen Lebenswirklichkeit; er entlarvt unser aller Schweinehund, der nicht den Idealen folgt, die er sich selber auferlegt hat und die erst in der Ausdauer glaubwürdig werden. „Louie“ vereint die meisterhafte Autorenschaft Louis C.K.'s mit herausragenden schauspielerischen Darbietungen und absoluter künstlerischer Integrität, die sich nicht zu verbiegen braucht. Kein bisschen. Aus dem Herz in die Flimmerkiste. Am Ende stehen echte, uneitle, seelisch blank ziehende Menschen, die in wunderschönen, arschkomischen, bitteren und ganz und gar wahrhaftigen Dialogen das Wort aneinander richten. Und eine Lieblingsserie. Mehr geht einfach nicht.

      6
      • 8

        Wunderbares, wohltuendes, unmittelbares Kino abseits der Narration. Kino, das für den Moment lebt und Handlungsbögen zunächst als Gerüst versteht, an dessen Ausformungen und Schnörkeln es sich kreativ entlang-zu-tänzeln gilt. Ganz besonders hervorzuheben ist die wunderbare, berühmte Singin' in the Rain-Sequenz, die an die Kraft zur Entscheidung gemahnt, die jedem von uns innewohnt und die Glück als Resultat einer bewussten Entscheidung fernab Schicksals-gläubigem Determinismus versteht. In fabelhaften Technicolor-Bildern wirft „Singin' in the Rain“ einen ironischen Blick auf den Anbruch der Tonfilm-Ära und damit auch auf jene, die auf der Strecke geblieben sind, weil sie den Ansprüchen des evolutionierten Showgeschäfts nicht gewachsen waren. Es ist aber auch ein ironischer Blick auf Hollywood per se und hinter die Kulissen in die Büroräume überforderter Studio-Bosse. Die Ausdruckskraft der Stummfilmzeit, fest verwurzelt in der Theatertradition seiner Entstehungszeit, vereint mit den Klängen Zukunfts-enthusiastischer Tanzbären, die nicht wissen ob sie Schauspieler oder Schausteller sind. Ein Film über die Gestörten des Medienzirkus, die dem, was über sie geschrieben wird, einmal zu oft auf den Leim gegangen sind und andere ihre Lebenswirklichkeit entwerfen lassen. Und ein Film über die kreativen Köpfe und funkelnden Sterne, die im Ton, in der Musik und im Tanz eine Chance sehen. Überlebensgroßes, zeitloses Kino von umwerfender Ausdruckskraft. Kino, das ganz aufrichtig an ein Happy Ending zu glauben scheint. Was kann es schöneres geben?

        8
        • 7

          Petzold läuft innerhalb der TV- und Format-Grenzen der Anstalten zu Höchstleistungen auf. „Polizeiruf 110: Kreise“ ergründet zunächst Genre-Konventionen im mäandernd-pointierten Vier-Augen-Gespräch, während es jede Dialogzeile penibel auf seine Motive überprüft, um die Motiv-Frage nett plaudernder Verdächtiger erst einmal hinten anzustellen. In der ersten Reihe sitzen ein unglücklich liebender Modellbauer (Justus von Dohnányi), ein eleganter Profi (Matthias Brandt) und seine Theken-erfahrende Partnerin (Barbara Auer), der die Vergangenheit dicht auf dem Fersen ist. Angereichert mit kostümierten Hollywood-Reminiszenzen (ich musste lachen: „Dressed to Kill“), Meta-Ebenen, Film-Anekdoten und den Gesprächen zweier lebenserfahrener Suchender, die sich wollen, aber nicht haben können. Beim Kaffee zur Klassik des Pförtners, bei der Zigarette mit überstülptem Rauchmelder oder beim Autofahren durch das Hinterland, weil Petzold es liebt seinen Figuren beim Autofahren über die Schulter zu blicken. Petzold erzählt in komischen Details über Möbel-Linien und Hexenverbrennungen (vor ihrer Zeit!) von unerfüllter Liebe und dem Schmerz der Vergangenheit. Und er folgt dem Pfad bis an sein Ende. Bis in die Lichtung, wo zutage tritt, was das Herz verschlossen hält. Und die letzte Maske fällt.

          10
          • 5 .5

            [...] Die letzten drei Episoden und die Geschehnisse an der Wall machen in Season 5 jedoch soviel Spaß wie nie. Mit Jon Snow einer idealistischen Heldenfigur zu folgen ist ungeheuer befreiend und feiert in seinen Abenteuern jenseits der Mauer jenes High Fantasy-Element, das seit den ersten Episoden wieder langsam Einzug erhielt und sich nun ganz sichtbar in Westeros manifestiert. Sowohl im hohen Norden als auch bei Targaryen in Essos, deren Geschichte durch gezielte Highlights (Sons of the Harpy) zumindest bei der Stange hielt. Auch das Abweichen von der Buchvorlage ist theoretisch eine willkommene Option, um neben den Büchern quasi eine alternative Zeitlinie zu eröffnen, sollte aber gründlicher ausgearbeitet werden. Nächstes Jahr also gerne wieder soviel Mut zum Bestreiten neuer Wege, nur dann vielleicht auch mit Autoren, die schreiben können.

            3
            • 7

              Kein Film für Strichlistenkritiker. Man merkt „Love Steaks“ seine fehlende Vorlage und seinen Improvisationsschwerpunkt an - und genau das macht ihn so unmittelbar, roh und authentisch. Er vermag es sich einer Liebesgeschichte formal aus einem frischen Ansatz heraus zu nähern. Zum Beispiel über seine entrückt-sprunghafte Bildmontage und die eigentümlichen, unvermittelt ein- und wieder ausgespielten Musikstücke. Und er gewinnt impulsiven, unperfekten, ja geradezu fremdschämigen Situationen damit ein Maß an Wahrhaftigkeit ab, wie es in einer Theater-geprägten TV- und Kino-Landschaft wie der unseren leider viel zu selten möglich ist. Dabei verzichtet er darauf seinen nuschelnden, träumenden und saufenden Alltagsfiguren mit einfachen Erklärungsmustern beizukommen. Stattdessen lässt er sie treiben; ungezwungen, antiklimaktisch, wunderbar; wirft einen Blick auf die Arschlöcher und Chefs, die Kollegen und Bekanntschaften, wird nicht blind angesichts der sich senkenden Sonne, sieht sich aber dennoch imstande von dem hinter dem Horizont zu träumen. Und es gelingt ihm tatsächlich über das freie Spiel seiner herrlich rotzigen Protagonisten den flüchtigen Alltagsmoment festzuhalten ohne trivial zu sein und seinen Anspruch an Authentizität nicht zur Farce werden zu lassen. Denn „Love Steaks“ erzählt auch viel über uns selbst und über die Kräfte in uns, derer wir uns womöglich gar nicht sicher sind.

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              • 6 .5

                Jede Figur hat ihre Vergangenheit. Und nichts geschieht ohne Grund oder hintergründiges Motiv. Das Gewissen und die Schuld treibt an, erdrückt, belastet. Ich wollte zunächst ja an Engel glauben, aber die Engel kamen bei Paul Thomas Anderson nun einmal später. Das Konzept eines gefangenen, getriebenen Oldtimers, dem die Gespenster der Vergangenheit nach wie vor auf Schritt und Tritt folgen, erscheint weniger innovativ. Aber die Innovation vollzieht Anderson, der hier in erster Linie ausprobiert, mit dem Gas spielt, das Bremsen übt und erstaunlich selten ins Stocken gerät, sowieso am Rande einer launigen und ebenso lakonischen Crime-Story. In den Dialogen und Figuren zum Beispiel, die schon bei diesem bemerkenswerten Debüt von einem fähigen Autoren zeugen. Und es offenbaren sich die Parallelen zu Tarantino, mit dem Anderson seit jeher eine tiefe Freundschaft verband. Das Spiel mit der Trivialität in einer Extremsituation und die Fähigkeit Geschichten mit Details und Fußnoten anzureichern eint die beiden Regisseure, deren Karrieren nahezu parallel verliefen, lässt aber auch entscheidende Unterschiede erkennen: Der Humor und die Skurrilität bleiben bei Anderson immer Beiwerk, Katalysator oder Sahnehäubchen, werden aber nie zelebriert oder geraten in den Handlungsmittelpunkt. Das macht „Hard Eight“ authentischer, subtiler und nachhaltiger und versperrt nicht den Weg für Herzensangelegenheiten. Darum bleiben Anderson's Welten über den Moment hinaus bestehen.

                6
                • 8

                  Die totale Dekonstruktion einer tot-fetischisierten Industrie und den Befindlichkeiten seiner allesschauenden Klientel: Die Erschafferin einer austauschbaren Maskottchen-Kreation erfährt Mobbing am Arbeitsplatz sowie den Druck der Vorgesetzten, die gespaltene Halbzeit-Nutte ist ein schwer gestörtes Wrack mit tiefen psychischen Problemen und kein willenloses Schulmädchen und dem heroischen Hohelied auf echtes Männertum in einem Kampfsport-Manga schneidet Kon einen erbärmlichen Fettsack entgegen, der Omas die Handtasche klaut, weil ihm die Yakuza im Nacken sitzt. "Paranoia Agent" kennt keine Helden, weil Kon keine Helden kennt. "Paranoia Agent" kennt nur Menschen, arme Seelen, verschwitzte Fettbacken, Arschlöcher, Gestörte und jene, die versuchen diese Welt zu verstehen und dabei gnadenlos zugrunde gehen. Die Erweiterung des Handlungsspielraums um mehrere Perspektiven und die damit verbundene erzählerische Breite lässt Kon die Suche nach einem Serientäter aber nicht in dem Maße atmosphärisch verdichten, wie es unter anderem noch bei seinem Frühwerk "Perfect Blue" der Fall gewesen war. Dazu ist die Erzählung zu breit angelegt und die Einführung der Figuren, die jeweils eine Episode solo spendiert bekommen, nicht so fesselnd in ihren Mustern und Marotten, ihren Macken und Makeln, wie sie eigentlich in jedem Kon-Film in kürzester Zeit zu finden ist. Dadurch passiert das, was bei Kon eigentlich nie passiert: die Figuren bleiben fern, fremd, verschwommen. Spannende Wendepunkte und abwechslungsreiche Ideen verlieren dadurch an Wirkung, wenngleich "Paranoia Agent" durch komplexe figurale Komplikationen bei Bereitschaft zur Auseinandersetzung ganz gut bei der Stange hält und seine offene Konstruktion nur lose durch Shonen Bat verbundener Episoden, die wie Kurzfilme bei Null beginnen, um dann die Verbindung zum Ganzen als kleines Mosaik zu ziehen, unfassbar kurzweiliges Serien-Vergnügen garantiert. Die schier endlose Ideenflut (gerade in der zweiten Hälfte der Serie) ist dabei ohnehin ein Wahnsinn, der lediglich erahnen lässt was für einen begnadeten Künstler nicht nur Anime-Fans, sondern die gesamte Filmwelt in Satoshi Kon verloren hat. Einen dieser raren Filmschaffenden, der niemandem etwas beweisen musste und dessen Werk auch immer Ausdruck einer anderen, vielleicht wirkungsvolleren Form von Kommunikation war; eine Verbindung nach Draußen, ein Statement, das den Eskapismus anbietet, dem es sich im nächsten Moment wieder entzieht. Die Wahrheit ist schmerzhaft: Shonen Bat steckt in jedem von uns.

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                  • 5 .5

                    Für jede Wendung gibt es einen Kommentar, jede Fügung eine Metaebene, die mit plattem Namendropping und Offensichtlichkeiten befüllt werden kann. „Scream 2“ kokettiert mit ihnen, den Regeln, den Fortsetzung-inhärenten Mechanismen, den Mustern, die ein neunmalklug daher-palavernder Filmstudent in der neuerlichen Mord-Serie erkannt haben will. Mehr Morde braucht's, und mehr Gekröse. Alles muss größer sein, cleverer, ironischer. Viel zu selten vertraut Williamson's gerade in der Einleitung grauenvoll geschwätziges Skript auf die Bilder, die ein Craven zu kreieren vermag. Viel zu sehr begnügt er sich stattdessen mit dem bloßen Nachstellen ikonischer Szenen aus dem Vorgänger, die nur weil sie ironisch gebrochen werden, nicht weniger einfallslos sind. Teil 2 hat ein Identitätsproblem und verzweifelt an der Ambition unbedingt cleverer sein zu müssen als sein meisterhaftes Vorbild. Zudem zeigt er die großen Stärken des Erstlings auf, neben der Thematisierung seines Genres und dessen Klischees, auch entkoppelt von der Referenz unmittelbare Momente des Horrors heraufzubeschwören. Ohne ein Schielen auf den doppelten Boden, den Raum hinter der Kulisse und eine Metaebene, die Williamson ohnehin nicht auszureizen gedenkt. Sogar „Nosferatu“ läuft abermals in der Flimmerkiste. Darüber hinaus verweigert „Scream 2“ seinen Figuren jedwede Weiterentwicklung. Es wird genauso doof gestorben, genauso vermeidbar mit dem Messer im Rücken dahingesiecht, wobei jedes Interesse an seinen Figuren fernab bereits etablierter Stars (Arquette, Campbell, Cox) lediglich in der spaßigen Whodunit-Prämisse begründet liegen dürfte. Das Spiel mit der Paranoia und eben die zentrale Suche nach dem Killer am Rande zur Parodie hat das „Scream“-Team aber nach wie vor ziemlich gut drauf, was vor allem an Craven's ruhiger Hand und dessen exzellenter Schauspielführung liegt. Am Ende werden die Rollen ins Gegenteil verkehrt und Sidney hat alle Hebel in der Hand. Sie kreiert den Horror, versetzt den Verfolger in die Situation vollkommener Hilflosigkeit. Kein Deut subtil, aber immer noch verdammt gute Unterhaltung.

                    2
                    • 7

                      „Ame & Yuki – Die Wolfskinder“ ist ein schöner Film geworden. Schön ganz im Sinne des Wortes. Er erzählt von einer ungewöhnlichen Liebe zwischen Wolf und Mensch, vor allem aber von der unendlichen Liebe einer Mutter zu ihren Kindern. Davon alles für sie zu tun, auch wenn das bedeutet dafür die eigenen Grenzen neu erfahrbar zu machen. Ja, „Ame & Yuki“ ist ein Film über die Liebe, und er ist kitschig, überhöht und sentimental. Und das macht ihn schön. Weil man darüber lachen könnte, wenn man nicht wüsste, dass es der Wahrheit entspricht. Oder zumindest der Wahrheit am nächsten kommt. Sentimentalitäten entfernen sich keinen Schritt von der Wirklichkeit – sie gehen auf sie zu. So wie Mamoru Hosoda auf sie zugeht. Möchte man Ideologiekritik üben, darf man sich gelegentlich an einer traditionellen Idee von Rollenbildern stoßen und sie kritisieren. Man kann die gebotene Lebenswelt aber auch so akzeptieren und ungeheuer freies, feministisches Anime-Kino erfahren. Eines, das Gleichheit lebt, statt sie bloß zu proklamieren. Denn tatsächlich spielt Feminismus hier überhaupt keine Rolle, weil Geschlechter keine Rolle spielen. „Ame & Yuki“ widmet sich stattdessen einem vielfältigen Themenspektrum. Von Mutterliebe zu Identitätsfindung, von Existenzangst zu Coming of Age. All das lässt sich hier entdecken, erarbeiten, erfahren, man kann aber auch einfach nur die Decke ein wenig höher ziehen, die Augen schließen und dem wunderschönen Score von Takagi Masakatsu lauschen - und wenn ich wunderschön schreibe, ist das maßlos untertrieben.

                      2
                      • 6

                        Nachdem schon der zweite Film immer mehr von der Vorlage abwich, dichtet Teil Drei nun ganze Handlungsverläufe zugunsten der vielfältig vorhandenen Schauwerte hinzu, die es aber auch gleichzeitig erlauben, das Universum aus einer neuen Perspektive zu erleben. Der kluge Kniff, den Protagonisten nach dem furiosen Finale aus dem Vorgänger zunächst in die Beobachter-Rolle zu zwingen (und damit zur Handlungsunfähigkeit), eröffnet zudem die Möglichkeit, abseits von NERV involvierte Parteien, neue Figuren und Schauplätze im Zuge einer flotten Exposition kennenzulernen. Zugleich feiert „Evangelion 3.33“ in diesen Momenten seine wertig bis geleckt animierten Mecha-Spielereien zu sehr ab, statt diese Zeit in die facettenreichen Figuren zu investieren.Die Entscheidung derart konsequent eine neue Geschichte in der Geschichte zu erzählen, macht diesen dritten Teil auch für Serien-Kenner spannend. Vor allem weil die Welt aus den Vorgängern plötzlich einer entrückten, rot gefärbten Ödnis gewichen ist, in der die verbliebenen Figuren nur noch in Schweigen gehüllte Marionetten sind, die angesichts eines übergeordneten Kosmos lediglich ihre angestammte Rolle spielen. Anno schert sich nicht weiter darum, dem Zuschauer in irgendeiner Form entgegenzukommen; alles bleibt vage und skizzenhaft, nichts wird ausformuliert oder erklärt. Stattdessen erreicht die Rebuild-Reihe ein neues Level der Abstraktion und erteilt humorigen Zwischentönen, sensibler Selbstkonfrontation oder Ansatzpunkten dazu, das Gesehene zu entschlüsseln, eine eindeutige Absage. Anno beraubt die Figuren ihrer Seele und ignoriert vieles, was die Fans in ihr Herz geschlossen haben – aber er geht auch neue, spannende Wege und vor Szenen von Untergang und Wiedergeburt zeichnet Anno wahrhaftige Momente tiefer gegenseitiger Verbundenheit.

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                        • 5

                          Dieser zweite Film entwirft abstrakte Bilder einer sich langsam vollziehenden Apokalypse, deren Beteiligte - sobald die Fesseln der Menschlichkeit erst einmal abgelegt sind - sogar die weltliche Endlichkeit aus ihren Angeln heben, um in neue, ungeahnte Spähren vorzustoßen. Der Kampf ist auch immer verbunden mit der Selbstaufgabe, Entmenschlichung, Zersetzung, Aufopferung und der Wille erhebt sie alsbald in einen gottgleichen Kosmos, wo Tod nicht mehr Tod bedeutet und Freundschaft weltliche Barrieren durchbricht. Der Krieg ist martialisch und grausam und führt sogar so weit, animalische Kräfte zu entfesseln, deren Ursprung niemand zu begreifen und erst recht nicht zu kontrollieren imstande ist. Getaucht in hoffnungslos pathetische Bilder der Zerstörung und durchbrochen von einem schrillen Schrei der Hoffnung. Diese Dinge – wohlgemerkt – koexistieren neben japanischem Blödel-Humor, andauernden Anzüglichkeiten, nervenstrapazierenden Nebenfiguren, sowie inflationär verbautem 3-D-Animations-Schnickschnack.

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                          • 5

                            Mehr schickes Texturen-Upgrade, denn vollwertige Neuinterpretation der Ereignisse aus der Originalserie. Zumeist verwendet „Evangelion 1.11“ gar die selben Einstellungen in der selben Länge und Reihenfolge. Die Figuren sind aber nach wie vor erstaunlich einprägsam und von beeindruckender Ausdrucksstärke. Die wunderbar albernen WG-Anekdoten (samt badendem Pinguin), die in der Serie den sicheren Hafen entspannter Feierabend-Unterhaltung markierten, sind in kompensierter Form auch hier vorhanden. Die inneren Monologe Shinji's, die die depressive Phase seines Schöpfers widerspiegeln, durchbrechen auch hier immer wieder gewohnte Strukturen und lassen die nach wie vor nie so richtig schmerzhaften Kämpfe wie Füllmaterial erscheinen, die vom wahren Anliegen der Macher, den Fokus auf die hochsensible, traurige Hauptfigur zu zentrieren, lediglich ablenken sollen. Die Art und Weise wie sich die Rebuild-Filme, wie schon die Serie, gegenüber ihren Figuren positionieren und deren Gedankenwelt thematisieren, sowie die Gewichtung von Mecha-Genre-typischen Stilelementen und traumwandlerischer Seelenbebilderung sind jedoch immer noch höchst ungewöhnlich, spannend und berührend anzusehen.

                            2
                            • 6
                              über Lemming

                              „Lemming“ knetet die Gehirnwindungen durch. Wendungsreich schlägt er Haken, verfestigt sich, wird klarer, sichtbarer, um dann wieder Nebel-umschwungen abzutauchen. Von hier nach dort, und überhaupt. Alain (Laurent Lucas) jedenfalls lässt sich die Gehirnwindungen durchkneten. Bis nicht mehr sicher scheint, ob zu glauben, was scheint, ein kluger Ratgeber ist. „Lemming“ ist ein Kopffilm, was heißt, dass der Kopf eingeschaltet sein muss, sollte, zumindest um ein Maximum des Spaßes für sich herauszudestillieren. Der besteht darin, sich kneten zu lassen, mitzudenken, notfalls um die Ecke, um schließlich zu der Einsicht zu gelangen, dass das alles viel einfacher war, als zunächst gedacht. Aber das ist egal - der Weg ist das Ziel. Softer Mindfuck ohne Kuscheln, aber mit launigem Vorspiel. Im Vorzeigepärchen – jung, erfolgreich, die Mitte gefunden – spiegelt sich schließlich die gescheiterte Ehe des Firmenchefs und seiner Gattin wider. Bei ihm pumpt das Blut immer noch in allen Körperregionen, sie ist erstarrt, verbittert, säuerlich, spielt lustvoll das Sandkorn, das das feine Radwerk aus seiner beständigen Ordnung wirft. Was bleibt vom Aufrechten, Perfekten, wenn alles was Halt und Sicherheit versprach plötzlich genommen wird? Dementsprechend wirft „Lemming“, so abgedroschen es auch klingt, tatsächlich einen Blick in die Abgründe des Menschseins, oder dem, was man unter dem gezeigten Lebensentwurf versteht. Frostig, die Stimmung, die Menschen, die Worte, die prosaisch aneinander gerichtet werden. Entfesselt die Kraft, die in einem schlummert, die wieder alles in geordnete Bahnen zurückzuwerfen versucht. Mit aller Entschiedenheit, entschlossen, verzweifelt. Das Wiederaufgreifen von Momenten in einem anderen Kontext, die erzeugten Déjà-vu's, die Identitäten, die verschwimmen, bis nicht mehr klar ist, wer was weiß und ob er lügt und warum überhaupt – sie sind wirkungsvoll, und verwirrend. Irgendjemand ist in diesem verzwickten Figurenkabinett verrückt geworden. „Lemming“ macht recht klar wer es ist, auch wenn er einem Glauben machen möchte, dass er es ist - du da, der da blickt.

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                              • 7
                                über Paprika

                                Seltsam: die formale Tadellosigkeit von „Paprika“ - die präzisen, Detail-versessenen Animationen und damit das Zeugnis absoluter, zeichnerischer Meisterschaft - werden im Angesicht des behandelten Sujets fast schon zur Irritation. Denn Träume sind nie so klar, nie solch perfekt ausgeleuchtete Fahrstuhl- und Korridor-Architekturen, die sich zwar verbiegen und deren Schatten wandeln, die aber immer in erkennbaren Formen verbleiben. Träume verschwimmen, bleiben Skizzen, fließen ineinander über und sind nie da, sondern nur zu vermuten. Träume sind vage Trugbilder und Ausdruck des Unterbewusstseins, ungeordnete, unverarbeitete Kinofilme ohne Zensur und Laufzeitbeschränkung. Im Traum wird plötzlich alles Wirklichkeit, es gibt keinen Anfang und kein Ende und damit auch keine Credits, die entlarven könnten, wer hinter allem steckt. Kon's frühere Arbeit „Perfect Blue“ kommt der visuellen Stimme von (Alp-)Träumen sogar näher; dem Gefühl vollkommener Orientierungslosigkeit und der Ungewissheit über nachhaltige Konsequenzen. Hier scheint der Traum der Film zu sein. Der künstlich geschaffene Traum, in dem zumindest die Konsequenz eigener Handlung obsolet wird. Aber auch hier begeben wir uns in die Dunkelheit und die künstliche Isolation erschafft die Illusion eines Klartraums – mit dir in der ersten Reihe, der Voyeur ohne Einflussmöglichkeit. „Paprika“ ist ein Film über Filme. Und Filme sind Träume. Und Träume haben keine Grenzen, und keine Genre-Vorgaben, keinen Geldgeber und keine Zielgruppen. Wenn Kon einen Film über Träume macht, macht er also auch einen Film über den Wert und die Heiligkeit des Kinos, und darüber, dass Kino keine Angst und keine Grenzen kennen darf. Die Träume gehören dir und müssen über alles verteidigt werden.

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                                • 3

                                  The Rock ist andauernd klitschnass. Vor allem wenn er Diesel sieht. Aber die beiden Terrier erzählen sich hier über tiefe Blicke und innigen Körperkontakt inmitten kinetischen Materialverschleißes sowieso ihre ganz eigene Geschichte, die von unterdrückter Sehnsucht und unerfüllten Fantasien berichtet. Beim ersten Zusammentreffen wird sich noch skeptisch beäugt, der Macho vorgeschoben, die Muskeln bestaunt, schließlich sind sie nicht alleine. Noch nicht. Dann kommt es zum Zusammenprall, die Körper vereinen sich in einem feucht-fröhlichen Muskel-Tango, beide wollen es, hart. Jeder von ihnen will die Oberhand erlangen, keiner steckt zurück, am Ende aber muss der Fels unten liegen, Diesel hat triumphiert. Erst als The Rock seine männlichen Kollegen verliert, und damit ein Stück weit gesellschaftliche Unabhängigkeit erlangt, traut er sich offen zu Diesel und seinem Unterhemd zu stehen. Ein stählerner Arm stützt den anderen, sie geben einander Halt, ikonographisch wird sich beim Schoko-Vanille-Shake aus „Predator“ bedient. Und schließlich gehen die beiden wieder auseinander, ihre Zeit ist noch nicht gekommen, die Welt ist noch nicht bereit für sie. Rio ist entflammt, und damit ihre Herzen. Diesel holt sein letztes Ass hervor, der Fels verzieht ironisch die Mundwinkel. Er war so gut. Sie werden sich wiedersehen.

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                                  • 5

                                    Dem Paukenschlag, zu dem dieser zehnte Kinofilm gleich zu Beginn ansetzt, weicht alsbald ein verworrenes Krimi-Puzzle, das jede, wirklich jede Figur des Conan-Mikrokosmos um einen nigelnagelneuen Freizeitpark versammelt, dessen Grenzen es nicht zu überschreiten gilt. Wieder also geht es um alles und doch nichts. Einer Vielzahl des berufenen Personals hätte man zudem auch frei geben können, wenn ihr Auftritt schon nur darin besteht als Stichwort-Geber oder müde Lachnummer zu fungieren. Immerhin, der Showdown nimmt sich angenehm zurück, während ein Handicap-geplagter Conan versucht in den Geist eines zerrissenen Narzissten vorzudringen und zwei gestandene Herren zu einer berührenden, großen Geste ansetzen. Für Kogorō bleibt im Anschluss daran leider wieder nur die Witzfigur, er bleibt als Fehler-behafteter, impulsiver Alkoholiker aber nach wie vor die spannendste Figur im Conan-Kosmos.

                                    • 5 .5

                                      Lange Zeit bleibt diese Kreuzfahrt wunderbar undurchsichtig, nimmt alsbald mehrere Handlungsstränge auf, um den Fall voranzutreiben und offenbart von Anfang an den Täter. Spannung generiert die tolle Musik und die Unklarheit über die größeren Zusammenhänge über einen Pool an Figuren, die nur die Vergangenheit eint. Die vermeintliche Auflösung, sowie die darauf eintretende Katastrophe vollzieht dann nochmal eine spannende Wendung, während man Kogorō endlich seinen wohlverdienten Auftritt gönnt ohne ihn ausschließlich zur Witzfigur zu degradieren. Da hat sogar Rotznase Conan ein gutes Wort übrig. Endlich.

                                      • 4

                                        Grandios wie abwechslungsreich sich die Conan-Reihe bislang gestaltet. Dennoch: Interessante Gedankenexperimente, wie der Begegnung Conan's mit seiner eigentlichen Form, verfolgt der achte Film leider erst gar nicht weiter. Stattdessen formiert der Film eine Gruppe von Figuren in einem Flugzeug, deren Anwesenheit zu gut der Hälfte nicht plausibel zu erklären ist. Ein Umstand, der an sich noch kein großes Problem darstellt und weder für die Serie, noch die Kino-Reihe ungewöhnlich ist. „Der Magier mit den Silberschwingen“ verliert an anderer Stelle: Der Tod einer Person und die damit einhergehenden Implikationen auf die Betroffenen (ergo, alle anwesenden Figuren) verliert hier immer wieder an Wert und Bedeutung. Der Tod einer Person wird viel zu schnell als neuer Status quo akzeptiert, Trauer, Schock oder andere Regungen wären dem unmittelbaren Beginn der Ermittlungen ja nur leidlich zuträglich. Statt wirklich einmal das Duell zwischen Conan und Keito Kid, und nur das Duell, zu zentrieren, schiebt man abermals einen Mordfall vor, als ginge der Reihe durch das Fehlen einer Leiche etwas verloren. Die anschließende Krisensituation über den Wolken scheint dann auch nie ein wirkliches Problem und die Figuren verbleiben regungslos. Das ist schade, da gerade Ran endlich einmal einen emanzipierten, erwachsenen Auftritt hinlegen darf. Ansonsten gilt leider: Schematisch war Conan immer, aber nie so herzlos wie hier.

                                        • 5

                                          Schwelgende, rosarote Bilder Kirschblüten-verregneter Holztempel, lokale Folklore und eine Mordserie wie zu Zeiten der alten Samurai. Strahlend grüne oder erdig-warme Hintergründe von malerischer Schönheit, fast jedes Frame ein Gemälde. Die Geräuschkulisse umfasst das Zwitschern exotischer Vogelarten und das Rauschen der Blätterdächer. Selbst hässliche, erstmals 3-D-animierte Verfolgungsjagden sind hier unterlegt mit launch-jazzigem Gedudel, das die nicht einmal mehr illusionäre Bedrohung für die etablierten Figuren Lügen straft. Das alberne Gekämpfe im Showdown ist dabei nicht einmal der Rede wert. Dezente Highlights hält „Die Kreuzung des Labyrinths“ vor allem am Rande bereit: ein (mal wieder) unwiderstehlich besoffener Kogorō und dessen eigenwillige Mordtheorien, etliche Motive japanischer (Kampfkunst-)Tradition oder eine der raren Begegnungen zwischen Shin’ichi und Ran (schön kitschig: im Mondlicht). Wirklich um die Wurst geht’s hier eigentlich nie. Ein Conan, wie ein Wochenendausflug eben. Schön und auch viel zu schnell wieder vorbei.

                                          • 6

                                            Ein überaus seltsamer Film, der seltsame Töne anschlägt und dem gerade in den vergangenen Jahren wieder überaus gängigen Haunted-House-Konzept neue Formen der Spannung abgewinnt. West setzt die Charakteristika der ausgehenden 70er und 80er Jahre dabei über die Handlungs- auf einer Metaebene fort. Die Dekade bestimmt auch die Form der Inszenierung, die eine frische Entdeckungsreise durch ein verwinkeltes, Holz-vertäfeltes Herrenhaus ermöglicht. Die Augen, die auf diese Korridore blicken sind jung geblieben, obwohl sie im Geiste eine nostalgische Erinnerung heraufbeschwören. Langsame Zooms, statische Einstellungen, die völlig entrückten Opening Credits, die auch als Herleitung zu einer Highschool-Klamotte getaugt hätten - West geht über das Interior, über die Föhnfrisuren und die Baumwollhemden hinaus. Mit diesen überaus seltsamen, staubigen Figuren, die in all zurückgenommener Freundlichkeit das große Geld versprechen, diese ganz akzentuiert auftretenden Hammerschläge und das wohlige Kribbeln, das endlich einmal wieder über den Abspann hinaus währen darf. Seinen Verlauf offenbart "The House of the Devil" im Grunde genommen schon über den Titel, und wenn nicht da, dann lässt spätestens die quälend lange Hinführung keinen Zweifel daran bestehen, worauf West zusteuert: Von der Paranoia aus "Rosemarie's Baby" zum bedingungslosen Terror eines "Texas Chainsaw Massacre". Von der Ahnung, von der Angst, zur Erlösung.

                                            10
                                            • 6

                                              Branagh macht seinen Job so gut, dass "Cinderella" bisweilen berauschend ist: wunderbare 16mm-Aufnahmen in kontrastreichen, aber nie künstlichen Farben, sympathische Liebende und ein sich selber und sein Sujet hemmungslos feiernder Score verhelfen der Neuauflage des Disney-Märchens zu unwiderstehlicher Klar- und Direktheit. Branagh bricht die Cinderella-Geschichte nicht ironisch, verkompliziert sie auch nicht über Gebühr, er stellt sie nicht mehr oder weniger aus, sondern schenkt der Geschichte die Ernsthaftigkeit und Hingabe zum Gefühlskitsch, die sie verdient und benötigt. Und er verrät damit auch seine idealistische Hauptfigur nicht, die einmal mehr zur inneren Kraft in einem jedem von uns gemahnt. Seinen Höhepunkt findet der Film dann - wie sollte es auch anders sein - in einer Tanzszene. Branagh spart die Worte aus, inszeniert auf den Punkt, ohne Scham vor großen, theatralischen Gefühlen. Und er erzählt damit von einer Zeit, die außerhalb postmodernen Ironie-Zwanges im Moment verharrt, sich weigernd weiter voranzuschreiten. Es hätte so viel schief gehen können an dieser Verfilmung eines scheinbar aus der Zeit gefallenen Moral-Stücks. Aber den Schablonen wurde Leben eingehaucht, weil einer der talentiertesten Hollywood-Regisseure der Gegenwart sich ihnen auf Augenhöhe angenommen hat. Sensationell.

                                              5
                                              • 6

                                                Jack Reacher also. Man muss ihn zu schätzen lernen. Zunächst scheinbar nicht einlösend, was ein Blick in die ehrfurchtsvoll rezitierte Akte oder ein graziler Frauenkörper und das Klicken eines BH's vor Skyline-Panorama verspricht: eine Bombe im Bett und der beste seiner Klasse. Purple Heart, Dreißig Zentimeter, Academy Award, Bundesverdienstorden. Dann kommt Tom Cruise, der - hat man erst einmal kapiert, dass Reacher nicht Reacher, sondern Cruise ist - ganz plötzlich seine Vorzüge offenbart. Mit Ruhe und Gravitas spielt Cruise nach bombastisch erfolgreichen Karrieredekaden auch gegen den Schatten dieser 1,95 Meter-Bestie an. Und dieser Reacher gefällt: ein kluger Pragmatiker, freundlich, kaum arrogant, im richtigen Moment unbarmherzig zupackend. „Jack Reacher“ ist ohne überflüssige Kalorien komponiert, straff und vor allem konzentriert erzählt, mit der Ruhe eines Jack Reacher's operierend. Jede Einstellung hat ihren Platz, jede Geste ihre Bedeutung. Auch Action darf wieder gesehen werden, selbst wenn die Verfolgungsjagd nicht hundertprozentig das einzulösen vermag, was sie verspricht und Werner Herzog komisches Zeug brabbelt. Trotzdem sollte „Jack Reacher“ gesehen werden, weil er wieder einen Helden sichtbar macht, der viel zu lange abstinent war. Kein Arschloch, nicht perfekt, kein Schürzenjäger. Ich mag Jack Reacher. Nein, ich mag Tom Cruise.

                                                10
                                                • 6

                                                  John Carpenter selbst beschrieb Jack Burton einmal als den Sidekick, der sich selber als Helden missversteht. Und tatsächlich ist in diesem Neonlicht-durchfluteten Großstadtmärchen Burton ganz sicher nicht der Held. Burton ist einfach kein Heldentyp. Er ist Trucker mit Vorliebe für Highway-Poetik in Funkdurchsagen und allerhöchstens ironischer Kommentator, Publikumsprojektion und schmeichelndes Identifikationsangebot, das uns mitnimmt, an der Hand, in eine Welt, die uns ebenso fremd ist wie ihm – und der ebenso staunt bei all den blinkenden Lichtern und zuckenden Zauberblitzen. Eine Welt, die Carpenter vom ausgehenden Mythos um das Chinesenviertel zum Bizarrsten verbiegt. Burton bleibt nur Besucher und Tourist zugleich, der mehr oder minder unfreiwillig die Reinkarnation eines Jahrtausende alten Geistes durchkreuzt. Der wiederum ist auf der Suche nach grünen Augen. Burton jedenfalls verfügt weder über besondere Fähigkeiten, noch trägt er – bis zum Ende – Entscheidendes zum Happy Ending bei. Selbst die Sprüche verkneift sich der von Kurt Russell so wunderbar uneitel und phasenweise an der Grenze zur Lustlosigkeit gespielte Burton immer wieder. Dieser Anti-Held hat nicht viel zu sagen und er betritt nie die große Bühne. Das Mädchen muss warten, der Highway ruft. Bis zum Ende bleibt Burton an seinem Truck und an den Schulden seines Freundes interessiert. Er ist Geschäftsmann ohne Sinn für Romantik. „Big Trouble in Little China“ bietet damit das, was so viele 80er Jahre Filme, die man nachträglich auf ihren Kultstatus hin überprüft, nicht einlösen können: „Big Trouble in Little China“ hat etwas anderes zu erzählen und er überrascht mit den Figuren, die er beherbergt - mit den ironisch gebrochenen Heldenmythen und anständigen Randfiguren, die allesamt ihren Teil zum Gesamtsieg beitragen. Carpenter verballhornt ein Genre ohne eine Kultur der Lächerlichkeit preiszugeben, oder die Figuren, die ihr angehören. Er macht sich nicht lustig über Chinatown, zumindest nicht mehr als er es über seinen vermeintlichen Helden macht. Ein Held, der seine Daseinsberechtigung nicht aus dem Heldsein gründet, sondern daraus ein Mann mit einem Truck zu sein - und ein paar Kröten in der Tasche.

                                                  You ready, Jack? - I was born ready.

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                                                  • 5

                                                    Vereinzelte Protestzüge zeugen von innenpolitischer Unruhe und einer Generation der Engagierten. Direkt gekoppelt an Adèle und ihre Suche nach einer sexuellen Identität, inmitten einer Phase der schulischen Weichenstellung. Das Empfangsgerät in der Küche legitimiert die harmonische Sprachlosigkeit - Adèle ist alleine mit den Problemen der Erwachsenwerdung und dem Druck, dem, was verlangt wird, irgendwie gerecht zu werden. In vielerlei Hinsicht ist "Blau ist eine warme Farbe" lebensnah und authentisch: ähnlich betreten fühlen sich erste Treffen mit den Eltern tatsächlich an; oder Gespräche mit dem besten Freund; oder gewöhnlicher Klassenunterricht. Kechiche stellt sich diesen Szenen wiederholt ohne abzublenden. Doch ausgerechnet die Liebesbeziehung, die Kechiche in seinem dreistündigen Charakterporträt so selbstbewusst in den Mittelpunkt stellt, erweist sich als bloße Behauptung. Der Sex zwischen Adèle und Emma ist ausschließlich Ausdruck einer körperlichen, und rein körperlichen Anziehungskraft zueinander, was beide gegen Ende des Filmes in einer letzten Aussprache ebenfalls erkennen. Am Ende ging's ums Bumsen, nicht um Intellektualismus, Geborgenheit oder Liebe. Adèle verwechselt Liebeskummer und Einsamkeit mit chronischen Depressionen, was Kechiche in der larmoyanten zweiten Hälfte über den halb offenen Mund und die Rotznase seiner Protagonistin auch entsprechend bebildert. Auf die Doppelmoral von Emma, die die Trennung einer Beziehung aus den selben Gründen vollzieht, die sie damals zusammengebracht hat, wird nicht weiter eingegangen. Oder warum Adèle nur weil sie sich einen Abend ausnahmsweise mal selber bespaßen musste, direkt in der Gegend herumvögelt. Kechiche fügt sich über künstliche Problemerzeugung, der jede Authentizität abgeht, einem dramaturgischen Prinzip, dem er sich mit der ersten Hälfte doch eigentlich noch versagt hat. Schließlich steht nur die Erkenntnis, dass sie in dieser Welt nichts verloren hat. Für Lustmolche gibt es derweil sehr junge attraktive Frauen in sehr expliziten Sex-Szenen, deren Unmut über die entsprechende Gewichtung eben dieser und die darüber geführte Kontroverse zwischen Regisseur und Hauptdarstellerinnen einen gehörig faden Beigeschmack hinterlässt.

                                                    10