_Garfield - Kommentare

Alle Kommentare von _Garfield

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    über Love

    Ich liebe Gillian Jacobs ja ein bisschen (dolle). Kaum ein anderes hippes Großstadt-Mädel schwankt so gekonnt zwischen crazy eyes und Unschuldslamm. Und bei niemand anderem muss ich mir derart hart die Bauchmuskeln halten, und bin gleichzeitig verzückt ob ihrer Fähigkeit makellose, rosige Porzellanhaut zu einer saublöden Visage zu verziehen. In ihr vereinen sich Sexyness und gescheiterter Idealismus, ohne dass das eine etwas mit dem anderen zu tun hätte. In jedem Fall aber liegt in ihrer Stimme das Versprechen begraben, dass Verlierer nicht zu Verlieren werden, solange sie nur ihren Humor nicht verlieren. Ihre Figuren, allesamt vergnügungssüchtig und Fettnäpfchen-erprobt, sind das beste Beispiel dafür. Wo „Community“ mit Britta jedoch einst verstand den hohen moralischen Ansprüchen einer idealistischen Mittdreißiger-Generation „hintersinnig“ zu verhandeln (und dabei Doppelmoral, Geltungsdrang und Integritätsfragen zu thematisieren), verbleibt „Love“ ausnahmslos bei Figuren, die sich und ihren aufgeplusterten, selbstgeschaffenen Problemen für keine Sekunde zu entgehen versuchen.

    Menschen in „Love“ kreisen zunächst einmal nur um sich selbst und einen Lebensentwurf, in dem Partner lediglich dem Zwecke dienen die eigene Leere zu füllen. Apatow-üblich ist hier jeder unheimlich mitteilsam und gleichzeitig unheimlich nichtssagend. Denn obwohl hier viel geredet wird, wird schlussendlich doch nichts gesagt. Versuche Erwartungen an die typischen Figurentypen (des schrägen Psychologen oder des verwöhnten Kinderstars) zu unterwandern, werden zwar unternommen, in der zweiten Staffelhälfte jedoch nicht weiter verfolgt. Gleichzeitig schleppen sich Gus und Mickey durch die menschenfeindliche Wüste des L.A.-Showbiz und während die eine damit beschäftigt ist auch die letzte Brücke abzureißen, schleimt sich Gus (Paul Rust) durch den Berufsalltag an einem TV-Set für eine Hexen-Soap.

    Appropros Paul Rust: Hier wird „Love“ High Fantasy (no pun intented). Nerd-Nase vögelt sich in den 10 Episoden nämlich von einer Zehn zur nächsten, wobei ihm zu allem Überfluss auch noch Jacobs gewähren lässt. Dass Rust an unzähligen Folgen mitgeschrieben hat, wird damit sicherlich in keinerlei Zusammenhang stehen. Es wäre sogar halbwegs zu verkraften, wenn Gus ein einnehmender, in irgendeiner Weise sympathischer Charakter wäre. Rust aber spielt einen Eier-amputierten, ständig herumdrucksenden, ekligen On-Set-Tutor, dessen Betrug von der Serie zu keinem Zeitpunkt thematisiert wird. Stattdessen ist es Jacob, ebenfalls einigermaßen unsympathisch, die am Ende zur kleinen, großen Entschuldigungs-Geste ansetzen muss - Liebe ist eben scheiße, wenn man am Ende nur bezahlt.

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    • 3

      Was sagt es schon über einen Film aus, wenn er das R-Rating als Errungenschaft feiern muss? Standesgemäßes Computer-Gekröse ist das und Deadpool als Verkörperung des Im-Kino-Kommentators natürlich auch eine ganz schlimme Figur. Sie bedient den Nerd-Konsens ebenso, wie sie ihn bestätigt. Entsprechend vorhersehbar sind die Referenzen auf den CGI-Anzug der grünen Laterne (den Reynolds seinerzeit ausfüllte), die hohen Gebühren der restlichen Marvel-Helden (leere Xavier-Villa) oder eben auf den katastrophalen, ersten Versuch Deadpool im Wolverine-Origins-Beitrag einer breiten Zuschauerschaft bekannt zu machen. In diesem so viel gescholtenen ersten Auftritt hatte man Deadpool seinerzeit den Mund in bester „Matrix“-Manier zugeschweist – rückblickend gar keine so schlechte Idee. „Deadpool“ ist nur innerhalb der Begrenzungen seines winzigen, beschränkten Pop-Kultur-Universums ein Rebell, außerhalb dessen gliedert er sich nahtlos in das Marvel-Portfolio ein, das lediglich um eine Geschmacksrichtung erweitert wurde. Jetzt darf auch CGI-Blut fließen - zu Motherfucker-Musik und coolen One-Linern - aber der Film ist ebenso leer und risikolos wie seine Gefährten. „Deadpool“ will in erster Linie gefällig sein, also nimmt er den Meinungs-Konsens auf und schaltet ihn in Schleife. Der Film funktioniert dementsprechend vor allem über stetige Entschuldigungs- und Wiedergutmachungs-Gesten für die vermeintlichen Verfehlungen der Vergangenheit. Und es wird dabei die Tatsache verschleiert, dass „Deadpool“ zu jeder Sekunde eine sichere Bank war, würde man nur all das adressieren, was in den Augen des Mainstreams im Umgang mit Deadpool als Comic-Figur (und Reynold's Karriere insbesondere) falsch gelaufen war. Der Film begab sich damit schon im Vorfeld in totale Abhängigkeit zur angepeilten Klientel. Das Resultat besteht aus Schulterklopfern und gegenseitigem Abnicken bekannter Thesen. Konsens eben. Und damit Null Überraschung.

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      • 7

        Seltsame, entrückte Gestalten bevölkern diesen impressionistischen zweiten Polizeiruf-Beitrag von Christian Petzold. Mancherorts wird gar das Prädikat „lynchesk“ bemüht, um der entschleunigten, fremdartigen Stimmung dieses Mythen-basierten, aber zuvorderst an seinen Figuren interessierten Krimis mit einer aussagekräftigen Referenz beizukommen. Sensationell großartig sind nach wie vor Auer und Brandt, die in schweigender Übereinkunft die Zeit davontreiben lassen und in ihren Gesichtern nach einer Heimat suchen. Eine so hauchzarte, leise Romanze zwischen zwei erwachsenen, mit Lastern belegten Menschen gab es im Fernsehen nur selten zu sehen. Der Fall erscheint nur wie ein Gerüst, die Leichen nur wie ein Alibi, um im Krimi-verrückten Deutschland einen solchen Sendeplatz zu okkupieren und dann immanente Dekonstruktion zu betreiben. Ein bisschen erschien es mir, als spreche mehr als sonst Petzold selbst durch den gelassenen, liebevollen Meuffels. Seine Filme ziehen sich numher immer weiter zusammen, in sich zurück, bis zum Raum, zum Tisch, zwei Personen und eine Musik-Box. Und mehr als sonst sucht er die Schönheit im Kleinen, in der Zweisamkeit, in der Liebe – im gemeinsamen Filmeschauen. Petzold dreht Liebesfilme und alle reden von den Leichen.

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        • 2

          Bauerntheater! Jovovich dreht völlig am Rad, interpretiert d'Arc als launischen, herumzickenden Maniac ohne jedes strategisches Geschick und scheint geistig immer noch auf dem „5th Element“-Set festzuhängen. Besson bürgt ihr zudem ein einfaches Revenge-Motiv auf, statt sich dem historischen, oft auch nur fragmentarisch protokollierten (Mythen-)Stoff differenziert zu nähern. Da gerinnt die Schauspielerei auch gerne mal zur Comedy-Nummer. Erträglich ist das, wenn sich Besson in seinen Bildern verliert wie der Knirps im Sandkasten. Dann eröffnet er auch die Chance die kurze Lebensgeschichte der Joan aus ihrer Perspektive visuell erfahrbar zu machen - solange niemand den Mund aufmacht. Die erste Stunde zieht sich zudem wie ein dicker, fetter Kaugummi-Klumpen und will einfach nicht abreißen. Dass alle komisches Englisch brabbeln, macht das alles auch nicht unbedingt besser. Interessant ist jedoch der queere Subtext der d'Arc-Figur und der Prozess, der ihr im Nachklang ihrer aufsehenerregenden, militärischen Erfolge gemacht wurde, nachdem sich der französische König Charles VII von ihr abwandte. Dass sie zum Opfer eines radikalisierten und immer mehr Einfluss nehmenden Klerus geworden ist, macht sie dann endgültig zur tragischen Helden-Figur, gerade aufgrund des unfairen Prozessverlaufs und der Vorwürfe, die gegen sie erhoben wurden. Besonders spannend sind die Vorwürfe, die ihr im Zusammenhang mit der von ihr getragenen Männerkleidung gemacht worden sind. Nicht etwa das Tragen der Kleidung per se scheint der Grund zur Empörung - war doch jede Frau, die dem männlichen Ideal entgegenstrebte grundsätzlich begrüßenswert - sondern das Beharren auf ihrer weiblichen Identität. Das formulierte eine Kritik am vorherrschenden Patriarchat, die sie letztlich auf den Scheiterhaufen führte. Der Rest: historischer Besson-Trash.

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            Spaßige Superhelden-Dekonstruktion, von Madhouse mit bisweilen sackstarken Animationen beschenkt und schon in der ersten Folge mit besseren Kämpfen als es alle „Dragonball“-Folgen zusammen bieten könnten. Genau solche Serien mit ihren nicht enden wollenden, kämpferischen Disputen, die von Filler-Episoden zusätzlich entstellt wurden, macht sich „One Punch Man“ zum Ziel seiner Dekonstruktion – und gleichzeitig vieles besser als jene, die er attackiert. Das funktioniert wunderbar, weil die Serie zum Teil todernst von seinen epischen Konflikten berichtet, wenn sie in die inneren Monologe anderer Superhelden schaltet und sie dann mit den staubtrockenen Kommentaren des One-Punch-Man kontrastiert. Dazu braucht es weder ironische vierte-Wand-Spielereien, noch großartige Redenschwinger, sondern nur einen Punch, der mehr sagt als tausend Worte.

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              Unerträglich. „Smallville“ ist unerträglich. Nicht gut gemacht. Nein, kein Stück gut gemacht. Nichts im Vergleich zu den Qualitätsserien, die heute aus dem Boden sprießen und die ich trotzdem nicht schaue. Einfach kein Vergleich, in jeder Hinsicht. Fingernägel-kräuselndes CGI-Gelump, kitschige Pop-Songs, Schauspieler, die durch Szenen pflügen - drei Ausdrücke: Überraschung, Angst, tranig-verliebt. Ganz besonders Lana. Oh Lana, du exotischer Windhauch. LL – da sind sie wieder, die Doppelinitialen, der signature move der Comic-Schreiber: Lex Luthor, Lana Lang, Lois Lane. Aber Lana, du bleibst immer etwas besonderes. Mit deinen großen Augen, und dem einen Ausdruck: tranig-verliebt, gleichzeitig sehnsuchtsvoll schmachtend und Lenden-verzerrt in den starken Armen eines Anti-Schauspielers, natürlich nur latent und heimlich – versteht sich. Ganz sicher, Lana wird immer etwas besonderes bleiben.

              Mein Vater meinte übrigens früher einmal, als ich mich auf dem Sessel hockend in „Smallville“ verloren hatte, dass die Dialoge „schmalzig“ seien. Und ich hatte mich gefragt, was daran denn „salzig“ sein sollte. Wie konnten Worte denn salzig sein? Sodass man das Gesicht verzog zu einer angeekelten Fratze, sobald man sie hörte? Später hatte ich verstanden – und er hatte Recht. Richtiger Schmonzens ist das, ausgestattet mit einem Arsenal seelenloser Schauspieler-Puppen mit den immer gleichen Gesichtern, auf denen sich einer der drei Ausdrücke ausbreitet. Kein Bryan Cranston, keine Plansequenzen. „Smallville“ ist wirklich unerträglich.

              Letztens habe ich mal wieder reingeschaut. Chloe kündigt zu Anfang der Episode an, dass zum Highschool-Prom die Band Lifehouse bestellt wurde und eigentlich hat sich das Finale der Folge zu diesem Zeitpunkt schon selbst geschrieben. Clark will natürlich nicht hin und stattdessen zuhause bleiben, weil ohne Lana will er nicht – kann ihn verstehen. Um die Laufzeit voll zu kriegen, nervt sich währenddessen eine gleichermaßen unerträglich eindimensional konzipierte wie gespielte Cheerleader-Tussi als Gestaltenwandlerin von einem Körper in den nächsten, weil sie zuvor mit dem Auto einen Abhang hinuntergestürzt und auf Kryptonit-Gestein gelandet war – in Smallville entstehen so Superkräfte.

              Von da an habe ich viel gelacht. Dann entsteht nämlich die Art von Fernsehfolge, wie ich sie mir vorstelle, wenn ich an „Buffy“ denke: Total beknackt, silly, aber verdammt spaßig, wenn man die Serie und ihre Figuren(-konstellationen) bis dahin begleitet hat. All die bekannten Figuren zu sehen, die sich auf einmal ganz komisch aufführen, weil sie von einer aufmerksamkeitssüchtigen Prom-Queen-Anwärterin besessen sind, fühlt sich gut an. Weil in Zeiten großer Plot-Arcs in solchen Folgen mal wieder befreitem Nonsens Platz gemacht wird, den Was-wäre-wenn-Szenarien eine Chance gegeben und man sich nicht scheut seine Figuren und seine Schauspieler der Lächerlichkeit preiszugeben.

              Und plötzlich waren da auch Qualitäten, die ich in der Serie zuvor nicht erkannt haben wollte: Denn wenngleich es zunächst nicht den Anschein machen mag, erzählt auch diese Folge in ihrem Subtext in erster Linie von Außenseitertum und dem unbedingten Wunsch, wenn schon nicht verstanden, zumindest akzeptiert zu werden und – ganz seiner Monster-of-the-week-Struktur verpflichtet – schließlich der wütenden Reaktion darauf, wenn keine dieser Sehnsüchte ihre Erfüllung erfährt. Die Prämisse eines wandelnden Klischees, das in allerlei Körper schlüpft, um einfach nur gemocht zu werden, spielt buchstäblich mit den Sehnsüchten der Zuschauer, wenngleich es die Macher versäumen diesen Aspekt derartig in den Vordergrund zu inszenieren.

              Oder Chloe, eine weitere tragische Figur, die in der Serie solange dazu verdammt war unglücklich in Clark verliebt zu sein und versucht ihm gleichzeitig nicht im Wege zu stehen. Und die lieber die Freundschaft annimmt, um ihm überhaupt nahe sein zu können, wenngleich nie auf die Art, die sie sich sehnsüchtig wünscht. Die sogar reinen Herzens versucht den Weg zu Lana zu bereiten, auch wenn sie ihr eigenes Herz dafür opfern muss. Solche Figuren(typen) bevölkern „Smallville“ von der ersten Stunde an. In der Pilot-Episode in Verkörperung eines Außenseiters, der sich für die Erniedrigungen einiger Jocks mithilfe elektomagnetischer Fähigkeiten rächen will oder in Folge Zwei in Form eines Insektensammlers, der heimlich in Lana verliebt ist und in seinem Elternhaus auf Unverständnis und Ablehnung stößt. Die Serie löst diese Konfliktsituationen unterschiedlich auf und verkehrt in seinem Kern die Monster-of-the-week-Idee. Die „Monster“ in „Smallville“ sind fast ausschließlich missverständliche und missverstandene Einzelgänger, deren erlangte Kräfte sie einerseits weiter an den Rand der Gesellschaft drängen und andererseits die Möglichkeit eröffnen gehört zu werden.

              „Smallville“ vereint all diese theatralisch ausgebreiteten Beziehungsgeflechte und adoleszenten Stereotypen und verarbeitet damit gleichzeitig die Sehnsüchte und Träume seiner Klientel. Und am Ende – zuvor wird's noch albern, Clark ist besessen und verstellt die Stimme mädchenhaft – darf es dann doch passieren: Lifehouse ist da, schmettert You and Me, diesen schmachtenden, wundertoll-klebrigen Pop-Hit der frühen Nullerjahre. Clark ist schließlich doch dort, Lana ebenfalls. Er streckt die Hand aus, sie ergreift sie. Mädchen- und Jungsträume werden wahr. Zugleich sind dort auch jene, deren Herzen bluten und die sich nichts mehr wünschen, als jemand anderes sein dürfen. Wir können frei wählen zwischen diesen Identifikationsangeboten. Und ich finde das alles überhaupt nicht mehr salzig, sondern auf irritierende Weise profund.

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                Ein lauter, selbstbesoffener und gänzlich unattraktiver Interpretationsversuch des Ursprungsmaterials. Coppola findet sich in erster Linie selbst richtig geil und klotzt und kleckert mit inszenatorischen Mätzchen, statt eine der unzähligen Themenkomplexe zu vertiefen, die sich unter der symbolträchtigen, vielkodierten Sprache Stokers verbergen. Dieser evozierte noch Terror, deutete an (aus gutem Grund) und legte Fährten, Coppola überlässt dagegen nichts der Vorstellungskraft und entmystifiziert die Geschichte nicht einmal aufgrund seiner Umdeutung der titelgebenden Figur ins Tragische, sondern weil er die im Subtext schlummernden Fragen nach Sexualität, Fetisch, Trauma und Unfreiheit in einem laut krakeelenden Masken-Show-off allzu offen zutage fördert. Dem Grafen sei endlich etwas Ruhe vergönnt.

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                  Es liegt eine unendliche Größe darin, wie "Anomalisa" im Kleinen Großes erschafft. Sei es die bloße Feststellung, dass zwischenmenschliche Kommunikation schon immer missverständlich war und immer sein wird, weil sie vieldeutig und beweglich ist in ihrer Natur. Und dass Kaufman an diesem Umstand nicht verzweifelt, auch wenn es angesichts seiner lethargischen, sinnkriselnden Hauptfigur den Anschein machen mag. Kaufman zieht aus der Interaktion seiner Figuren keine selbstzweckhaften Pointen oder zielt auf platten Akward-Humor ab. Die Figuren in „Anomalisa“ verzweifeln an der Unsicherheit alltäglicher Kommunikation ebenso wie sie die größten Wunder zwischenmenschlicher Berührungen durch sie erleben. Deswegen ist der „Girls Just Want to Have Fun“-Dialog auch ein zentraler Wendepunkt in der Geschichte. Es ist eben nicht nur der Klang (Anoma-)Lisa's Stimme, die die Hauptfigur aus der tristen Alltagswelt entlässt, sondern auch das, was sie zu sagen hat. Kaufman legt der namensgebenden Figur keine leeren Worte in den Mund, sondern verlautbart über sie eine hoffnungsvolle, Glück-suchende (und findende) Weltsicht. Die Hauptfigur verguckt sich in die Art, wie Lisa die Welt sieht. Er verguckt sich in die Anomalie in einem gleichgeschalteten System. Und er verguckt sich in die Aussicht in ihrer Art die Welt zu sehen Halt zu finden. Die Komplikationen begleiten auch die Kommunikation zwischen diesen beiden Personen. Kaufman integriert zu diesem Zweck ein vermeintlich unscheinbares Detail: Wenn Lisa Cyndi Lauper's Chartstürmer rezitiert, wird sie von der Hauptfigur kurz unterbrochen, weil diese dem Missverständnis aufsitzt, ihre Darbietung wäre beendet. Die Komplikation, das Missverständnis unterbricht für einen kurzen Moment den Kommunikationsprozess, durchschneidet ihn aber nicht – und das ist der Punkt. Alle Ängste, die an den alltäglichen Austausch gekoppelt sind, sind am Ende des Tages unbegründet. Hinter allen Zerwürfnissen liegt auch die Möglichkeit zur Aussprache und zur Klarstellung. Hinter jeder Komplikation eine Berührung, die einem sagt, dass man wertvoll ist.

                  „I want to be the one to walk in the sun.“

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                    „Das Ding“ an der Wand, das Spielfeld ausgebreitet, die Spielfiguren angeordnet. Eine Partie Referenz-Bingo, die Stifte sind gezückt, die Kinderherzen erinnern sich. Ein Ticket zurück, bitte! Einmal entstaubt und aufpoliert. Und machen Sie sich über mich keine Sorgen, notfalls lassen Sie mich einfach zurück, ich werde es mir hier schon einrichten. Wenn die Unsicherheit der Zukunft so entschieden abgeschirmt wird, ist es plötzlich wieder da: das heimelige, warme Gefühl wie in Watte eingepackt zu sein. In der Gewissheit einer abgeschlossenen Vergangenheit bewege ich mich gern, schaue nochmal genauer auf die Dinge von damals, atme nochmal bewusster die Staub-geschwängerte Luft des Dachbodens – dort, wo all der Kram von Muttern und Vatern verstaut wird und sich langsam in seine Einzelteile zersetzt. Meine Kinder bekommen neues Zeugs, das hier ist also ganz für mich allein. - Sicher, „Stranger Things“ liebt sein Sujet innig und ganz ohne Falsch, ebenso wie das Jahrzehnt, in dem die Serie sich so demonstrativ verortet. Soviel kaufe ich den Duffer-Brüdern ab, auch ohne sie näher kennengelernt zu haben. Dazu gleitet die Kamera zu lustvoll durch die erhabenen Sets und arrangiert seine Easter-Eggs viel zu gewissenhaft. Also folgen wir einer Jungs-Gang in bester King-Manier auf einer Reise durch ein Alptraum-geplagtes, verschlafenes Suburbia, gleichermaßen konfrontiert mit den Verfehlungen geheimer Regierungsexperimente wie angestaubten Highschool-Karikaturen, die nicht wissen, dass sich ihre Szenen und damit ihre Existenz auf den Charakter-Bildungen anderer gründet. Die 80er Jahre über die technischen Möglichkeiten hinaus weiterzuentwickeln passiert jedenfalls nicht. Wie so vielen Hommagen ist „Stranger Things“ nämlich die Ehrfurcht vor seinen rezitierten Vorbildern fest eingeschrieben. Sich überdrüssiger Tropen und Konventionen zu entledigen wäre also eine echte Chance gewesen, eine Chance, die die Duffer-Brüder jedoch nicht annehmen (wollen?) - oder die ihnen überhaupt nie in den Sinn kam. Das Kino der 80er fängt nicht 1980 an und hört nicht 1989 auf – seine Entwicklung setzt sich bis heute fort. Warum nicht ansetzen bei dieser Entwicklung und ihr eine Richtung geben, statt abermals die Versatzstücke dieser Zeit penibel zu rekonstruieren? Warum der Vergangenheit nicht den Weg in die Zukunft weisen?

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                      Sobald Lars entscheidet nicht weiter auf das Medium Bianca zurückzugreifen, um mit der Außenwelt in Kontakt zu treten, und ihr eine tödliche Krankheit andichtet, verbreitet sich die Nachricht ihres baldigen Todes unter den Bewohnern des utopischen Dorfes wie ein Lauffeuer. Und wenngleich jeder Einzelne von ihnen um ihren fehlenden Herzschlag weiß, scheinen sie doch allesamt ernsthaft betroffen zu sein, wenn sie von der Nachricht erfahren. Ihre Handlungen und ihre Gedanken haben Bianca zum Leben erweckt, ihre Sinnzuschreibungen machten sie zu einem Bestandteil ihres Mikrokosmos. Lars und sein Umfeld kreieren Identitäten, ebenso wie sie sie wieder verwerfen, sobald man entschieden hat von nun an auf eigenen Füßen stehen zu wollen. Mit ihrem Tod emanzipiert er sich auch von seiner Vergangenheit - und damit von seinem Trauma.

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                        Also. In jedem Fall ist „Begin Again“ ein Film fürs Herz, weil er aus jeder Notlage einen Ausweg sieht, den man gemeinsam beschreiten kann. Sicherlich bewegt er sich mit dieser Geisteshaltung in der Tradition des Feel-Good-Movies und sieht sich damit auch all den Erwartungen ausgesetzt, die man an diesen heruntergewirtschafteten Begriff mittlerweile stellt. Er ist auch, oder primär, ein Film über Wundheilung, eine Operation am offenen Herzen und schließlich Kühltasche, weil er gescheiterte Beziehungen und ihre Aufarbeitung zum Thema macht. Beide Protagonisten befinden sich in einer Phase des Übergangs und der Veränderung wenn sie aufeinandertreffen und beide lassen etwas zurück, sobald sie sich entschließen ein Stück des Weges gemeinsam zurückzulegen.

                        Den Schlüsselmoment der ersten Begegnung inszeniert Carney aus diesem Grund gleich zweimal und nähert sich ihm aus zwei Perspektiven, um die Lebensumstände seiner beiden Hauptfiguren so beidseitig und gleichberechtigt sinnlich erfahrbar zu machen – und weil es ihm seine kluge Erzählstruktur gewährt. Der erste Song wird für beide zur Rettung und setzt für beide einen emanzipatorischen Prozess in Gang, den Carney aus der Sicht eines lebensmüden Alkoholikers (Klischee, aber egal, weil Mark Ruffalo) als spirituelle Neufindung und musikalische Initialzündung inszeniert.

                        Und „Begin Again“ macht sich die moderne Lebenswirklichkeit, in der er sich selbstbewusst bewegt und seine unseren Alltag bestimmenden Kommunikationstechnologien auf eine Art und Weise für sich zu eigen, wie es schon lange kein Film mehr getan hat. Smartphone- und Laptop-Displays leiten nicht nur Rückblenden ein oder bieten biographisches Hintergrundwissen an, sondern machen vor allem die Gefühlswelten der Figuren erfahrbar. Das Display ist das Tor in die Vergangenheit, das man immer wieder durchschreitet, um die gleichermaßen tröstenden, wie schmerzenden Erinnerungen, die der Festplatte fest eingeschrieben sind, ein weiteres Mal durchleben zu dürfen. Carney scheint das ganz und gar nicht anbiedernd inszenieren zu wollen, sondern bindet es lediglich geschickt in seine Erzählstruktur ein, die im richtigen Moment zurück- und dann wieder voranspringt, um im nächsten Moment wieder die Seiten zu wechseln oder die Entstehung eines neuen Songs zu begleiten.

                        Leider gibt auch „Begin Again“ kaum tiefere Einblicke in eben einen solchen Entstehungsprozess, sondern treibt die Entwicklung des Albums und das Zusammenwachsen der Band über Musik-Montagen voran, um die Lieder dann in ihrer finalen Version hörbar zu machen. Damit nimmt er sich gerade als Film eines Musikers und Milieu-Insiders die Chance endlich einmal jene handwerklichen Details und mühseligen Arbeitsschritte des Musikmachens in den Vordergrund zu rücken, die in diesen Genre-Gefilden bislang allzu gerne übergangen wurden. Vor allem würde er damit die von Knightley's zarter Stimme getragenen Songs wertvoller machen und mich als Zuschauer umso demütiger vor der Leistung aller Beteiligten. Das Spiel seiner beiden Hauptdarsteller, vor allem die unverkrampfte, sinnliche Darstellung von Knightley degradieren solcherlei Einwände jedoch zu weniger gewichtigen Wermutstropfen. Beide Figuren interessieren und gehen zu Herzen, weil ihre Probleme universell sind und die Art wie sie darauf reagieren uns nicht fremd. Und sie zeigen in ihrem Umgang damit vor allem die Chancen auf, die Veränderung bringen kann.

                        „Please, see me“

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                          "I will put a thousand songs in your pocket." - Ohne Zweifel: Aaron Sorkin's Film. Dreimal. Dreimal hinter der Bühne im Visier messerscharfer Drehbuchseiten, dreimal verworren in den Wirren alltäglicher und dann doch wieder ganz außer-alltäglicher Kommunikation, dreimal Vater und Tochter im Dialog und die Suche nach einer Regung, die hoffen lässt, dass einer, der sich allem zu entziehen sucht, endlich einmal dem Risiko aussetzt gemocht zu werden. Dieser außergewöhnlich geschriebene, vom großen Danny Boyle punktgenau arrangierte Film setzt sich wiederum dem Risiko aus, seine Prämisse als Marketing-förderliches Gimmick zu enttarnen, nur um dann Theater-haftes, atemloses Schauspielerkino von der Leine zu lassen. Und Sorkin bringt mir eine intellektuelle, getriebene Figur nahe, weil er sie immer wieder auf Zuneigung stoßen lässt. Fast irrelevant ist es dabei, ob es sich bei dieser Figur nun um Steve Jobs handelt oder nicht, oder ob sie einem realen Äquivalent entsprochen hätte. "Steve Jobs" schafft die Bereitschaft sich dieser Figur und ihren Wort-Salven zwei Stunden lang auszusetzen, nur um eine Gelegenheit zu bekommen, sie einmal anders erleben zu dürfen, als sie sich ihrem Arbeitsumfeld gibt. Und Michael Fassbender spielt das Apple-Genius so nuanciert, so scharfkantig und kalt, dass man die Suche nach dem Herz in der Maschine zu keiner Sekunde bereut.

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                          • Ich finde das bittersüße Ende der Episode auch genial. Sansa versucht Ramsay sein Vermächtnis abzusprechen und im nächsten Moment wendet sie dessen Methoden an. Möglicherweise verwischen die Spuren der Boltons im Norden, aber in Sansa lebt Ramsay weiter. Damit spannt die Serie auch ganz wunderbar den Bogen vom großen, weltenverändernden Spektakel hin zum intimen Zwei-Personen-Stück.

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                            • 6

                              Die Zeichentrick-Passagen, die von Cobain selbst über Interview-Ausschnitte erzählend begleitet werden, machen etwas her und dessen früheste Lebensstationen neu erfahrbar. Und im Gegensatz zu den repetitiven Montagen von Lyrik-Fragmenten und vollgekritzelten Notizblöcken zum frühen Punk-Schnodder der Band wird's damit auch nicht übertrieben. Im Vorfeld warb HBO ja vor allem damit, nun endlich die erste gänzlich autorisierte Dokumentation zum Nirvana-Genius produziert zu haben, die zusätzlich dazu (und in Übereinstimmung mit der Cobain-Familie) erstmals gezeigtes Videomaterial aus den Privatarchiven enthalten sollte. Nach der Sichtung habe ich jedoch nicht das Gefühl etwas gesehen zu haben, das für meine Augen bestimmt war. Nicht, dass die privaten Aufnahmen von Cobain, Courtney Love und ihrem späteren Kind Frances keinen Einblick in dessen Charakter gewährten. Sicherlich mag es aufschlussreich sein, für manchen Fan gar tröstend, seinem Idol noch einmal so nahe sein zu können, gleichzeitig liegt in dem Bestreben, jedes Detail des Privatlebens einer Person aufdecken zu wollen, auch ein kleines Mosaik jener Gründe begraben, die Cobain 1994 in den Freitod trieben. Wer wirklich etwas über Nirvana und ihren Frontmann erfahren möchte, sollte vielleicht doch lieber ihre Songtexte studieren und sich ein weiteres Mal Live in New York gönnen. Da gibt es diesen intensiven Moment in Where Did You Sleep Last Night, in dem Kurt Cobain nach Atem ringt und die stahlblauen Augen für einen Augenblick aufblitzen. Das ist alles, was er preisgibt – einen einzigen Blick.

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                              • 6

                                Es ist so einfach und doch so wirkungsvoll: Zwei der herausragenden Talente der amerikanischen Comedy-Szene schmettern "Nobody Gonna Stop Us Now" und ich schmelze dahin. Aber auch nur deshalb, weil Hader und Wiig diesen Eighties-Power-Schmalz entzückend und voll herzzerreißender Hingabe durch ihre Figuren transzendieren lassen. Denn die Szene treibt auch deswegen in solch euphorische Höhen, weil der Song an einem entscheidenden Wendepunkt der Geschichte platziert wurde und für die Protagonisten auf der erzählten Ebene eine wirkliche Relevanz hat. Starship vereinen nicht nur ein entzweites Zwillingspaar, sie strahlen auch Energien aus, die Milo und Maggie die Kraft geben weiterzumachen. Denn wie mein Physiklehrer schon mahnte: Energie vergeht nicht, sondern wird immer nur umgewandelt.

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                                  Eine todtraurige Geschichte von einer suchenden, einsamen Person nach Erlösung. Ihre Flucht ist von langer Hand geplant, um den Erwartungen, die an sie gestellt werden und der fremdgesteuerten Welt, die sie umgibt, endgültig zu entfliehen. Dafür gibt sie sich einer Illusion hin, wird zur Schatzjägerin und bleibt immer in Bewegung, damit sie das, was sie zurückgelassen hat, nicht wieder einholt. Es ist eine faszinierende Idee diese Flucht und Emanzipation an „Fargo“ entlang zu erzählen, fängt Zellner doch nicht nur die Eiseskälte, sondern zuvorderst die verschrobenen, freundlichen Figuren des Coen-Klassikers ein. Trotzdem erzählt „Kumiko, the Treasure Hunter“ mehr über das Land, aus dem Kumiko geflohen ist, statt jenes, in das sie schlussendlich flieht. Durch den Telefonhörer schwappen Vorhaltungen und Erwartungshaltungen, die ihr aufzeigen sollen, wie ein Leben zu sein hat und wie nicht, im Büro des Chefs schaut die alte Elite müde auf die Straßen unter sich, drängt bereits auf jene, die nachkommen. Für alle außerhalb des Lebensentwurfes der Mehrheit bleibt keine Zeit, schon gar nicht in der Hochleistungsgesellschaft Japans. Film fungiert einmal mehr als eskapistischer Exit aus dem Stimmengewirr besorgter Mütter und gesellschaftlicher Entsprechungen, denen man womöglich überhaupt nicht beizukommen versucht. Für Kumiko bleibt nur die Flucht, und schlussendlich die Erlösung im Tod.

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                                    Was für ein Schnarcher. Die vielzitierte und gelobte Eröffnungsszene ist nichts weiteres als ein simpler Tracking Shot, der zwei Figuren von der Straße in ein Hotel und schließlich auf ein Dach begleitet. Anschließend folgt Hubschrauber-Äktschn zum Ersten, noch okay, wenn in die Innen-Cam geschaltet, spätestens im verschneiten Österreich aber sieht das nur noch beschissen aus und langweilt so wie die breite Masse moderner Unterhaltungsfilme in solchen Momenten eben langweilt. Positiv zu erwähnen sind gerade jene Szenen, in denen Mendes den Raum komprimiert und sich abseits von logistischen Action-Set-Pieces ganz auf Bildkomposition, Schattenspiel und Gesichter konzentrieren darf. Im schnippischen Einleitungsdialog mit dem jungen, alten Q oder dem ersten Kontakt mit der Spectre-Organisation und Oberhaupt Waltz scheint der müde Auftragsarbeiter wieder ganz bei sich und seinem Handwerk. Dann kommt Stimmung auf, die Lust an der Pointe überträgt sich und Bond kann für wenige Minuten in eine ihm fremde, bedrohliche Schattenwelt entführt werden, in der nichts außer der Schritte zu hören sind, die sich auf leisen Sohlen von hinten nähern. Ebenfalls anzubieten hat "Spectre" Fleischberg Bautista, der in einem kraftvollen, straighten Faustkampf im Zug das tun darf, wofür er unterschrieben hat. Neben Lea Seydoux steht er Craig zur Seite, fordert ihn und verlangt ab. Waltz hingegen macht den Eindruck in einem anderen Film mitzuspielen. Noch eine Bösewicht-Rolle hätte ich ihm jedoch auch nicht zumuten wollen. Er ist ebenso verschenkt wie Bellucci, die Bond in den ersten zwanzig Minuten einfach wegbumsen darf und das war's dann. Leider krass unterwältigend und ganz gehörig fad. Daneben sieht sogar MI5 schnieke aus.

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                                    • 6

                                      Argh! Verdammte Ideologie-Kritik! Aber es hilft alles nichts: Wie so viele Filme seiner Dekade durchzieht "Groundhog Day" nicht nur auf der Subtext-Ebene stetig latenter Alltagsfaschismus. Dicke, Alte und Hässliche sind Weirdos, ausschließlich zu Erfüllungsgehilfen der Gags reduziert, cartoon'esk verzerrt und in einer letzten, krönenden Erniedrigung gar auf der buchstäblichen Bühne vorgeführt. Kameramann Larry (gespielt von Strange-guy-Abonnoment Chris Elliott) will keiner haben außer den ausgetrockneten, alten Damen, die ihn für günstig Geld erstanden haben. In solchen Momenten bricht sich ein ganzes Studiosystem Bahn und wie es Menschen sieht und kategorisiert - und Ramis' mangelnde Ambition aus der Prämisse über eine irritierend bieder inszenierte Klamotte irgendetwas herauszuholen. Zweimal verbaut er grässliche Autoverfolgungsjagden zur Streckung, kein einziges Mal scheint er die psychologischen Dimensionen zu erahnen, die hinter allem stehen könnten. Nichts ginge uns doch näher als die alltägliche Kommunikation und die Mechanismen, die uns beherrschen und die ein Laie Tag ein Tag aus für sich studieren könnte. Nichts wäre doch spannender als einem Egoisten dabei zu folgen, wie er nach und nach einen Blick an die Seite wagt und wie sich die Welt plötzlich Fragment für Fragment zu vergrößern beginnt - mit jedem Menschen, den er plötzlich zu sehen beginnt. "Groundhog Day" aber begnügt sich mit dem urkomischen Murray und einer Prämisse, die alle Grenzen zu sprengen vermag, es aber einfach nicht tut. "I always drink to world-peace."

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                                      • 7
                                        über Raum

                                        In der zweiten Hälfte geht der Film dann das erzählerische Wagnis ein und erzählt von dem, wovon so wenige Filme vor ihm erzählt haben. Wie geht es weiter, wenn man der Gefangenschaft entflohen ist? Wie geht man mit Menschen um, die kaum noch wiederzuerkennen sind und deren Leiden man nicht einmal annähernd nachzufühlen imstande ist? Wie sehr wiegt der Schmerz der Verlassenen in der Relation zu den Entführten? - Zusätzlich zur Konfrontation einer jungen Mutter mit der Welt und der Verantwortung, die sie dort erwartet, thematisiert "Room" die erstmalige Konfrontation eines Jungen mit der Außenwelt und seinen Regeln. Das beinhaltet nicht nur das schwierige Psychogramm einer in Isolation erwachsenen Kinderseele, sondern offenbart auch einen äußeren Blick auf unsere Welt; was sie lebenswert macht, dass sie Angst bereitet, wie groß sie ist und fast endlos scheinend und dass sie Bedeutung dadurch erlangt, ineinander Halt zu finden. Jack hat keine Angst vor Monstern aus dem Kleiderschrank, denn sie existieren nur jenseits der Oberfläche des Fernsehbildschirms. In den Begrenzungen des Rooms und des Kleiderschranks findet er Ordnung und Struktur; etwas, das ihm mit seiner Flucht genommen wird und das er sich zurücksehnt. Und er steht damit nicht alleine in der Welt. Nichtsdestotrotz lag da immer etwas in ihm, das zu Größerem hinauswollte, das im Kopf Wolkenschlösser errichtete und fremde Welten besuchte - oder ganz pragmatisch einen Freund namens Lucky erfand. Abrahamson gebraucht die Palette filmsprachlicher Mittel nicht gerade subtil, aber er setzt an einem komplexen Punkt an und setzt sich gemeinsam mit Drehbuchautorin Emma Donoghue schwierigen Fragen aus, während er nicht das Risiko scheut das Gewicht ihrer Geschichte auf einer jungen Schulter lasten zu lassen. "Room" findet seinen Schlusspunkt konsequenterweise dort, wo er begonnen hat: beim Kern des Traumas, dem es sich auszusetzen gilt, wenn ein neuer Lebensabschnitt begonnen werden soll.

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                                        • 6 .5

                                          Einer dieser Streifen, bei dem man zu jedem Moment spürt, dass sich etwas bewegt, windet und sträubt. In den Figuren toben die Gefühle, die sie theatralisch die Gesichter verziehen lassen - wie bei jedem Kazan. „Fieber im Blut“ (oder der wunderbare Originaltitel „Splendor in the Grass“) ist zwar in vielerlei Hinsicht Coming-of-Age und bleibt ausnehmend adoleszenten Perspektiven verpflichtet, vermittelt jedoch gleichzeitig zwischen den Generationen. Das macht die Figuren ambivalenter und ihre Konstellationen interessanter. Zudem inszeniert er wahnsinnig präzise ins Detail: die Männer im Anzug, die wie ein ausgehungertes Wolfsrudel dem betrunkenen Blondchen auf den Parkplatz folgen, die sich schließende Tür im Büro des Psychologen, die plötzlich als Kameramaske den Blick auf Deanie komprimiert oder die tuschelnden Eltern am linken Bildrand und Deanie im Vordergrund auf der Veranda, unruhig nach hinten blickend. Kazan gibt den Blick entweder frei oder versperrt ihn, aber immer sind seine Figuren getrieben, werden erdrückt und sind von Eltern umgeben, die ihren Kindern die Luft zum atmen rauben. Und die mit Inbrunst errichteten Ideale, die Werte der alten Welt wanken im Körper eines hinkenden, ergrauten Patriarchen, der seinem Sohn die halbe Welt kaufen kann, außer das was zählt. Dieser sieht im Mädchen seines Sohnes nur die Trophäe, nur das Offensichtliche. Im sozialen Schnittpunkt Familie bricht wieder einmal alles zusammen, weil der eine nur reden kann und der andere nur zuhören darf. Die Doppelmoral kann nur unter dem Deckmantel der Verrücktheit verlautbart werden, aus dem Munde einer Ausgestoßenen. Sie nimmt die Wandlung der Deanie vorweg und reißt die Fassade etwas ein. Sie startet die Revolution, die sich in den Protagonisten schließlich vollzieht.

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                                          • 7

                                            Xander: They'll never know how tough it is, Dawnie, to be the one who isn't chosen. To live so near to the spotlight and never step in it. But I know. I see more than anybody realizes because nobody's watching me. I saw you last night. I see you working here today. You're not special. You're extraordinary.
                                            Dawn: Maybe that's your power.
                                            Xander: What?
                                            Dawn: Seeing, knowing.
                                            Xander: Maybe it is... Maybe I should get a cape.

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                                            • 6

                                              Die Haare werden krause, verfilzt; kleine Spaghetti, die unter einer dicken Wollmütze begraben liegen. Und Jack geht durchs Leben, versucht's leicht zu nehmen und positiv. „Das beste am Winter ist, dass danach der Frühling kommt“ singt Nagel – und ich glaube Jack sieht das ganz ähnlich. Ein Großstadt-Held, der unerschrocken den Komplikationen des Lebens begegnet. Wirklich und ganz im Ernst liebenswert – wert, es geliebt zu werden. So wie er es verdient hat, glücklich zu sein. Wirklich glücklich, nicht für immer, aber für die längst mögliche Zeit. Indie-Klischees spart „Jack Goes Boating“ übrigens weitgehend aus und zelebriert vor allem die Seltsamkeit seiner Protagonisten nicht, um aus ihrem Zusammenspiel platte Akward-Pointen zu kondensieren. Und es ist klug, wie er die anfänglich vermittelten Perspektiven vom schönen, mehr oder weniger erfolgreichen Paar und dem Einzelgänger Jack in einer kammerspielartigen Konfrontation zwischen vier Menschen in vier bedrückenden Wänden sukzessiv einer Dekonstruktion unterzieht und all das in seine Einzelteile auflöst, was nach außen hin so gesichert schien. Dann ist der Film schmerzhaft und enthüllend, und angemessen unangenehm und anstrengend. Und dann tritt auch zutage, was solange unter bloßer Behauptung versteckt lag, und all die Ängste werden besprochen und all die Gefühle, die in der Stadt so nichtig erscheinen. Philip Seymour Hoffman darf zudem in einer weiteren seiner vielen sensiblen Rollen bestaunt werden. Uneitel spielt er einen wirklichen Menschen und lässt wirkliche Gefühle zu. Und zeigt Wege und Optionen auf, die einem bis dahin verborgen geblieben waren. Vorbildlich, selbstbewusst, die Rastas werden langsam, und der Sommer kommt - ganz bestimmt.

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                                              • 4

                                                Bei all den überwältigenden Inszenierungsstrategien geht mir "Cassandras Warnung" zu unachtsam mit seinen Figuren um. Ist schade, wenn sich tolle Darsteller wie Zehrfeld in solch doofe Visagen schmeißen müssen, wenngleich Brandt auch inmitten des Graf'schen Schnittgewitters still Haltung wahrt. Im Grunde wird alles der Montage unterworfen, immer die Formalien ins rechte Licht gerückt. Graf spielt unumwunden mit der Irritation, lenkt den Blick auf Details, die von Bedeutung sind oder eben nicht, lässt die Audiospur überlappen und auch ja keinen Zweifel daran bestehen, dass er sich anschickt den Erwartungen eines Format-konditionierten Publikums keinerlei Entsprechung zu liefern. Das wirkt oft angestrengt, viel weniger intuitiv als im folgenden "Das unsichtbare Mädchen" oder Graf's „Dreileben“-Beitrag und macht zumindest mir kaum Spaß. Vielleicht weil Graf ein deutsches Hybrid-Genre begründet hat, das zu sehr mit sich und den Zoom-Einstellungen beschäftigt ist, statt Figuren, denen ich gewillt bin über neunzig Minuten aufmerksam zu folgen. Solche gibt es im deutschen Abendprogramm nämlich nach wie vor viel zu selten.

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                                                • 5 .5

                                                  Ganz und gar nicht so übel, wie es einem der (mal wieder) himmelschreiend bekloppte Beititel der deutschen Verleiher glauben machen möchte. Denn mindestens taugt „Good Kill“ als einführender Stichwortgeber für eines der gewichtigsten und bestimmenden Themen der derzeitigen US-Außenpolitik. Ganz großer Pluspunkt ist dabei ein nachdenklicher Ethan Hawke, der dem Film Tiefe und Gewicht verleiht und seine Figur, in der sich unzählige Facetten des Themenkomplexes Drohnenkrieg schlüssigerweise bündeln - zerrissen zwischen familiären (ehelichen) Verpflichtungen, Selbsterfüllung und moralischem Dilemma. In einem Einsatz-Container in einem Militärstützpunkt in der Wüste Nevada's führt Regisseur und Drehbuchautor Niccol die moralischen Dimensionen der Drohnenpiloten umso bildhafter vor; wenn es darum geht den Wert eines Lebens über die Distanz von Kodierung und Bildrate zu bemessen - und wer es da noch immer nicht verstanden hat, darf Erklärbär Greenwood lauschen. Die 9/11-Rechtfertigung, Kollateralschäden, die Digitalisierung eines endlosen Krieges – fast alles lässt sich in den verhärteten, gequälten Zügen der Hauptfigur ablesen, in dem sich die Verzweiflung schlussendlich selbstzerstörerisch Bahnen bricht. Zudem stellt „Good Kill“ die Frage nach einem gerechten Krieg, offenbart einen kleinen Einblick in die Befehlsketten der amerikanischen Streitkräfte und macht Gespräche mit CIA-Kontakten hörbar, von denen man sich wünscht sie existierten so nur in Hollywood. Die deplatzierte, kathartische Schlussszene, die Begrenzung der Perspektive, sowie eine zwingende Konzentration der hochkomplexen Inhalte des Themas sind dabei zwar unübersehbare Schwächen, brechen dem Film aber nicht das Genick.

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                                                  • 5 .5

                                                    Am Ende zaubert "Top of the Lake" leider allzu viele, allzu abgedroschene Twists aus dem Hut. Zudem passiert der Serie im Finale das, was unter keinen Umständen passieren sollte: es ist alles ein wenig egal. Die Konsequenzen, die sich für die Beteiligten ergeben, waren für mich nicht wirklich spürbar. Schade ist auch, dass Campion und Davis es bei all inszenatorischer Eleganz und den betörenden Bildern viel zu selten verstehen, entscheidende Plot-Points auch mit Bedeutung und vor allem Spannung aufzuladen. Einbahnstraßenfiguren wie der wenig ambivalente, nichtsdestotrotz charismatisch gespielte Matt Mitcham verstärken diesen Eindruck nur. Faramir's Figur wird derweil einem blöden Twist geopfert, wenngleich diese noch am ehesten den Gratwandel zwischen arrogantem Vorgesetzten und verzweifelt Liebenden zu meistern vermochte. Elisabeth Moss dreht sich, sobald die wichtigsten biographischen Eckdaten um das, was sie treibt, abgehakt sind, ebenfalls im Kreis, ebenso ihre On-Off-Beziehung zum letztlich leider ziemlich langweiligen Johnno, der viel zu schnell auserzählt ist und als immer präsenter Helfer ständig zur Stelle. Ich hätte gerne Rachel McAdams in „True Detective“-Form in einer weniger larmoyanten und redundanten Hauptrolle gesehen. Und etwas mehr mythisch angedeutete Düsternis und facettenreichere Figuren. Natürlich hängt jeder Figur die Vergangenheit nach und jeder beherbergt seine Geheimnisse, die Abwehrreaktion alt eingesessener Rednecks auf eine weibliche Ermittlerin und eine Gruppe Hippie-Emanzen hätte meiner Meinung aber auch gerne deftiger ausfallen dürfen. Unbefriedigend.

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