_Garfield - Kommentare

Alle Kommentare von _Garfield

  • 6

    Miller erweist sich abermals als begnadeter Erzähler im Detail: Schultz im Warteraum des Sekretariats sitzend fügt er beispielsweise auf der vorderen Bildebene sinnbildlich ein jüngeres Ich hinzu, weil er auch im Körper eines Wrestler-Olympioniken wie der hilflose Junge wirkt, der gerade zum Rektor gerufen wurde. Und auch die Aufwärmübungen mit seinem Bruder ähneln intimen, zwischenmenschlichen Berührungen, sind aber nur mechanisches Tagwerk, das auf dem Weg zur nächsten Medaille verrichtet werden muss. In Wahrheit ist seine Beziehung vielfältig zerrüttet und ambivalent, einerseits voll Dankbarkeit seinem Bruder gegenüber, andererseits bedrückt von dessen Schatten, der sich über ihn legt. Gezeichnet wird zudem das Porträt eines Mannes, der an seinem eigenen Mythos feilt, während Steve Carell leider Make-up-Schichten und ein allzu offensichtlicher Mutterkomplex aufgedrückt werden. Trotzdem bestimmt dessen Charakter den bedrückenden Ton des Filmes, der von seltsam gearteten, soziopathischen Figuren bevölkert wird. Den finalen Knall inszeniert Miller gar wie beiläufig, der Schlag sitzt dafür umso tiefer. Mit Ruffalo's Figur verlässt auch die letzte Hoffnung diesen tristen Film.

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    • 4

      Ich verstehe diese Welt nicht. Wo kommen diese grässlichen Tapeten her? Warum darf hier nur zwischen emotionalen Extremen geschwankt werden und jede Regung scheinbar nur wild gestikulierend, laut krakeelend ausgespien? Warum sind hier alle so voll von sich selbst und so falsch in Gesellschaft? Bei Streitgesprächen wackelt die Kamera und schwenkt was das Zeug hält, weil das ja die Desorientierung und innere Unruhe der Protagonisten direkt physisch spürbar macht. Zwischendurch pumpen Pop-Songs vergangener Dekaden und Leute von der Fashion-Week laufen in Zeitlupe Straßen hinunter – sowieso ein typisches Dolan-Bild. Vor lauter Gefühlen, Tränen und Schmerz in exaltierter Ausgestelltheit spüre ich in dessen dritter Regie-Arbeit aber leider gar nichts mehr. Und sein redundanter Inszenierungsstil wird in der exorbitanten Lauflänge umso deutlicher spürbar. Dolan ist nicht doof und seine Themen brisant. Es ist nicht so, dass sich hinter der verschmierten Mascara nur Leere verbirgt und hinter den Klamotten nur Plattitüden. Aber leider zieht er es vor über Penetranz, statt über Details zu erzählen. Und leider zieht er eine Welt vor, in der nur der gehört wird, der am lautesten schreit und der am buntesten gekleidet ist. Ein Ort voller extrovertierter Hedonisten, die der Welt den lackierten Mittelfinger entgegenstrecken und die Borderline zum Zuhause machen. Leider lebt dieser Dolan in einer anderen Welt und womöglich ist das auch okay und gar nicht so traurig wie ich mir einreden will. Filmliebhaber anyway.

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      • 7

        Ich hätte nicht gedacht, dass ich nochmal derart in die Serie finden würde. Showrunner Dan Harmon fällt eine ganze Reihe kluger Entscheidungen: Das fängt schon beim Verzicht an, die unersetzlichen Weggänge Glover und Chase kompensieren zu wollen. Mit ihnen sterben auch ihre Figuren und Figurentypen - das ist konsequent und macht den Abschied auf lange Sicht leichter. Zudem kehren mit dem wunderbaren Jonathan Banks (für länger) und Brie Larson (für 2 Episoden) neue, sympathische Gesichter in den breiten Figurenpool von Greendale ein und Shirley, die im Ensemble immer etwas abseits und funktionslos agierte, als gelegentlicher Gegenspielerin ein anderes Gesicht zu verleihen, erweist sich als sinnvoller Schritt, weil er neue Räume erschließt und eine Figur der ersten Stunde ein Stück weit neu erfindet. Sogar Liebling Abed darf sich wie Jeff in entscheidenden Nuancen weiterentwickeln, während die aufgestockten Auftritte von Figuren wie Duncan, dem Dean oder Chang zu Recht deren großer Beliebtheit Rechnung tragen. Der Abschied von großen, übergreifenden Subplots ermöglicht es darüber hinaus, "Community" nun vollkommen befreit als Detail-versessene Gimmick-Serie für den Feierabend genießen zu können. Nicht mehr, aber auch kein Stück weniger.

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        • 7

          Der Titel ist irreführend. Es ist Elle Fanning, und nur Elle Fanning, die hier die Last und den Schrecken des Kalten Krieges auf ihren Schultern trägt. „Ginger & Rosa“ ist ein Film über Ginger und nicht über Rosa. Bis zuletzt ist der Film von ihrem Blick bestimmt, der aus den persönlichen Unwegbarkeiten sich zwischen zwei abstoßenden Elternteilen wiederzufinden eine globale Katastrophe herleitet. Die klare zeithistorische Verortung erlaubt es hierbei natürlich auch die Gefahr ganz wirklich zu verstehen, wenngleich das Interesse von Regisseurin Sally Potter ganz deutlich bei der feuerroten Hauptfigur zu liegen scheint. Dafür vernachlässigt sie andere Parteien und nimmt der eigentlich brisanten Dreiecksgeschichte die Tiefe und verschiebt den Fokus spürbar. Großes Glück für den Film ist Elle Fanning, der die Zerrissenheit und das Aufwachsen in immerwährender Alarmbereitschaft von ihren Zügen abzulesen sind und die den Film mit Natürlichkeit und Ausdrucksstärke beschenkt. Potter weiß das und überlässt ihr konsequenterweise die Bühne. Und sie ergibt sich auch nicht den Mythen des Feminismus oder erliegt dem blinden Schrei nach „starken“ Frauenfiguren. Fanning darf, wie jede andere Figur auch, fallen, zweifeln und wachsen, während die Welt aus ihren Fugen gerät. Fast schon ein kleines Wunder.

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          • 6 .5
            über Elena

            Ein präziser, gut beobachteter, vielschichtiger und komplexer Film, der viele Themenkomplexe anbietet, von denen sich jeder greifen mag, was er will. Mein „Elena“ erzählt in erster Linie von verschiedenen Formen der Gewalt – eine, die aus der Repression und Frustration erwächst und einer, die rituell die Zugehörigkeit zu einer Gruppe beschließt. Der erste Gewaltakt ist ein Resultat der Frustration um eine fast ausschließlich routinisierte Ehe, die in einer tristen Alltagswelt verortet ist. Zudem bricht sich im Mord am Ehemann auch die Frustration um unerfüllte Träume und die Machtlosigkeit im eigenen Lebensentwurf bahn. Elena verblieben begrenzte Handlungsoptionen, um aus dem Gefängnis Ehe auszubrechen und die Aussicht auf ein besseres Leben für die unterprivilegierte Familie ihres Sohnes zu erhalten. Der zweite Gewaltakt ist physischer, seinem sozialen Milieu entsprechend und im Grunde selbsterklärend. „Elena“ eint die Gesellschaft im Akt der Gewalt. Wo Gewalt in dem einen Milieu jedoch lediglich das tumbe, in gewisser Weise ehrliche Ausleben von Trieben bedeutet (ein Schlag in die Fresse provoziert eine konkrete, physische Reaktion), bedeutet es im anderen Milieu die vollständige Verrohung gesellschaftlicher Strukturen, die der Film in einem Dialog zwischen Vater und Tochter bereits nihilistisch andeutet. Elena's Mord geschieht aus Kalkül, sie infiltriert die High Society und lässt die Trainings-Anzug-tragenden, dauerschwangeren Langzeitarbeitslosen in ihre Paläste einkehren. „Elena“ entbehrt dementsprechend schon nicht eines gewissen, rabenschwarzen Humors. Auch wenn einem das Lachen bisweilen im Halse stecken bleiben möchte. Für das Leben im Elfenbeinturm!

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            • 7

              Ich wage es: Der beste Film zum Thema Amoklauf kommt aus Deutschland. Regisseur Thomas Sieben erzählt nicht in erster Instanz die Geschichte eines Amokläufers, stattdessen erzählt er von den Dingen, die zählen. Abseits biographischer Strichlisten, Kommentaren von denen und jenen, die dachten Hans Wurst sei immer so ein lieber Junge gewesen; den Nachbarn, den entsetzten, die gar nicht glauben wollten, dass so etwas auch in der bayerischen Provinz passieren könnte. Oder eben kalkulierter Tathergangs-Rekonstruktion und den damit verbundenen Diskussionen darüber, was geht oder was nicht. All das klammert „Staudamm“ klugerweise aus.

              Der Blick auf den Amoklauf eines Jungen ist zunächst einmal der eines Außenstehenden, der am Küchentisch in seiner Wohnung im Rahmen einer zeitlich befristeten Anstellung die Akten wälzt, ordnet und hörbar macht, um so das Leben eines viel beschäftigten Juristen zu erleichtern, der selbst in den Skype-Sitzungen nicht den Blick von den Akten abwenden kann. Es ist in gewisser Weise unser Blick, den wir uns über Zeitungsartikel und Fernsehberichte eröffnet haben, zuzüglich einiger Trivia-Informationen über das, was einige Augenzeugen gesehen haben wollen und was nicht. Dieser Blick ist vage und fern.

              Sieben kehrt nun in die finstersten Winkel ein, indem er die Perspektive eines Outsiders wählt und sie sukzessive zum Insider wandelt. Mit jedem Mosaikstück des Falles, das zu den Gründen für den Amoklauf führt, mit jeder Sekunde gemeinsam mit der Überlebenden Laura und der sich langsam entfaltenden Romanze zu ihr. Sieben hält das in einer besonders kraftvollen Szene fest: nach einer romantischen Nacht in einer bayerischen Dorfkneipe steigen die beiden Protagonisten in die Schule des Amoklaufs ein. Sie rasen euphorisch durch die Gänge, beseelt von dem Gedanken aneinander Halt gefunden zu haben. Während sie auf der Treppe eine Pause macht, geistert er ins nächstgelegene Stockwerk. Es kehrt Stille ein, er atmet ruhig. Seine Arme winkeln sich an, sodass ein imaginiertes Gewehr seinen Platz findet. Er nimmt den Finger an den Abzug. Er drückt ab und gibt ein leises Schussgeräusch von sich. Bähm. Schnelle Drehung, noch ein Schuss. Bähm.

              Der Amoklauf in „Staudamm“ führt zu Gründen, die jedem von uns innewohnen. Er führt zur Wut, zur Frustration, zu den Nackenschlägen, die impulsiv ausgekotzt werden. Die Rückschläge vergessen, die erdrückenden Erwartungen zerschlagen, die unendliche, überwältigende Ohnmacht für einen Augenblick der Allmacht Platz gemacht. Die Reise dorthin vollzieht der Film kaum merklich, das Einzelschicksal dient eher als Fallbeispiel. „Staudamm“ ist nicht erschreckend, weil er einen Amoklauf und die Biographie seines Verursachers reflektiert, „Staudamm“ ist erschreckend, weil wir an diesem Ort die Amokläufer sind. Und damit alleine mit unseren Problemen und den finstersten Winkeln unserer Herzen.

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              • 6

                Christian Bale und Kate Beckinsale sind toll miteinander. Wie sie sich als Team aufmachen, in stillschweigender Übereinkunft eines geplanten, gemeinsamen Lebens, wie sie anfangen zu grübeln, zu zweifeln und zu fallen. Wie sie umherirren mit schwirrendem Kopf und offener Hose und konfrontiert sind zu finden, was das Herz verlangt und dem man sich gar nicht erwehren möchte – selbst wenn man es könnte. Es macht Spaß diesen beiden Schauspielern, deren Karrieren grundlegend verschiedene Richtungen einnahmen, dabei zuzuschauen, wie sie sich anschreien, sich abstoßen und doch wieder zusammenraufen, weil es das Drehbuch nur an ganz entscheidenden Stellen zu offenen Konfrontationen kommen lässt. Das sorgt für beibehaltende Spannungen im interessanten Figurengepflecht zwischen Mutter und Sohn und den jeweiligen Partnerschaften. Denn nicht zuletzt erzählt „Laurel Canyon“ von zerrütteten Familienverhältnissen und der Last des Schweigens, die Distanz aufbaut, statt Gedanken zu teilen. Cholodenko lässt die Konflikte auf einem komprimierten Raum offen zu Tage treten und thematisiert in der Intimität des alltäglichen Miteinanders sowohl Vergangenheitsbewältigung als auch Zukunftsangst und verlautbart diese über seine Figuren. Bale's Lebenswirklichkeit spiegelt nämlich ganz konkret die Vergangenheit wider und die absurd anmutenden sexuellen Eskapaden der Protagonisten die Ängste, die sie beherrschen. Auch die Angst, das Leben nicht richtig gelebt zu haben.

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                • 6

                  Nach einiger Zeit findet Ruby, das Mädchen, das durch die Magie einer Schreibmaschine zum Leben erwachte, Freunde fernab der Sphäre von Calvin. Calvin ist konservativ, ernst und hält in seiner Vorstellung an einem Frauenideal fest, das außerhalb seiner angestaubten Fantasien weiter vorangeschritten ist. Ruby findet einen Ausgleich zur Beziehung durch die Verwirklichung von Träumen und das Ausleben von Interessen mit Anderen. Calvin folgt diesem Lebensmodell nicht und glaubt weiter an die Magie der Schreibmaschine und daran, seine Traumfrau zusammenbauen zu können; aus Satzkonstrukten und Phrasen, die einzufangen suchen, was eine Frau in ihrem tiefsten Innern ausmacht. Das funktioniert natürlich nicht. Er glaubt weiterhin die Beziehungswelt kreist um ihn. Er ist egoistisch. "Ruby Sparks" zieht aus diesen Spannungsfeldern kluge Erkenntnisse und macht die phantastische Prämisse zum Ursprung von schrägem Witz. Ruby wird als Kurzschlussreaktion weiter eingezäunt und an die Leine genommen. Sie wird runter-rationalisiert und zu einer willenlosen Puppe gemacht. Calvin's Allmacht gipfelt schließlich in einer hochdramatischen Konklusion: wer unfähig ist zu adaptieren, einen Kompromiss herauszuarbeiten, sich zurückzunehmen und zuzuhören, wird für immer einsam bleiben. Trotzdem ist "Ruby Sparks" kein Film über Ruby Sparks: sie ist austauschbar, den Launen ihres Erschaffers unterworfen. "Ruby Sparks" ist ein Film über den Erschaffer - einen soziopathischen Diktator, der in einer weltfremden Welt lebt, und dem das größte Wunder widerfährt. Und dann gibt es da noch diesen wunderbaren Meta-Moment. Wenn die Figur von ihrem Figursein erfährt - und damit von ihrer Ohnmacht.

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                  • 6 .5

                    Die Erkenntnis von Riley am Ende ist eine extrem gewichtige: Kummer zuzulassen und offen auszuleben ist auch eine Form der Kommunikation, die Signale sendet, um gehört zu werden und sich schlussendlich geborgen zu fühlen. Dann kann in den Armen der Eltern aus einer Träne auch wieder ein Lächeln erwachsen. Hierzulande kommentiert man die Loblieder auf den Wert der Familie, die ja gerade beim Disney-Konzern in jeder Produktion inbegriffen sind, stets mit einem gewissen Zynismus. „Inside Out“ jedoch legt die Funktion der Familie als Auffangnetz und Rückzugsort in wenigen Szenen umso eindringlicher dar, weil der Film die Auswirkungen eines gesunden Familienlebens durch die Prämisse, sich im Kopf eines heranwachsenden Mädchens zu befinden, unmittelbar spürbar macht. Riley muss sich zeigen, um gehört und schließlich verstanden zu werden. Ihre kleine Welt bricht zusammen, weil sie sich in sich zurückzieht und das Gefühl hat alleine auf dieser Welt zu sein. Sie lernt, dass jede Emotion eine Facette ihrer Selbst ist und dass keine Identität, sondern Identitäten ihr Selbst ausmachen. Und dabei ist keine Emotion überflüssig – das darf sogar das traurige Pullunder-Mädchen in ihrem Kopf lernen, das sich mit Freude im Langzeitgedächtnis verlaufen hat. Alleine dieser Satz gibt einen Ausblick auf die wundersame, wahnwitzige Welt, die wir in „Inside Out“ besuchen dürfen. Sie fordert Kinder und kreiert eine Fallhöhe, die sie auf der Kante ihres Sitzes hocken lässt - selbst wenn ich dabei nicht fortwährend gefangen war.

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                    • 7

                      Es gibt sie also noch. Ich hätte es ja nicht geglaubt, wenn ich es nicht mit eigenen (Kinder-)Augen gesehen hätte. „Hugo Cabret“ - gestatten: ein Kinderfilm, Herzensfilm, Familienfilm, was heißt, dass hier die gesamte Familie auf ihre Kosten kommt. Und ein Ensemblefilm, wenngleich eine ganze Reihe bekannter Gesichter hier nur Weihnachtsdekoration ist, die die Bahnhofhalle etwas farbenprächtiger strahlen lässt. Manchmal registriert man sie überhaupt nicht, aber man ist doch froh, dass sie trotz allem da ist. Die Magie liegt ohnehin in den funkelnden Kinderaugen, im Stellvertreter-Staunen, den Zwischenmenschlichkeiten, weil Scorsese nicht das Risiko scheut seine Geschichte auf zwei jungen Schultern zu verteilen. Die Jungen werfen einen Blick zurück und die Alten dürfen sich daran erinnern, wie es war die Wunder dieser Welt das erste Mal erfahren zu dürfen; daran wie unendlich sie schienen, unendlich wertvoll, überwältigend ganz im Sinne des Wortes, sentimental, verklärt, trotzdem tröstend, Staubschicht mit zerfurchten Fingern zusammengeschoben. Daran wie einem die Worte fehlten zu beschreiben, was der Verstand noch gar nicht zu fassen mochte. Das Kino noch jungfräulich. Dennoch ist dieser Blick kein wehmütiger. Einer der letzten großen Zauberkünstler verneigt sich lediglich vor jenen, die ihm die Tricks beibrachten; inbrünstig, mit der Begeisterungsfähigkeit eines Kindes und auch durch die Augen eines solchen. In einer gerechten Welt stünde „Hugo Cabret“ irgendwann in einer Reihe mit Filmklassikern wie „E.T.“ - kein Marvel-Film. Denn das Kino ist heilig und wertvoll, weil es uns daran erinnert Kind zu sein. Und der Zauber existiert.

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                      • 7

                        Ein unheimlich kraftvoller, ganz und gar und ganz im Wortsinn schräger, aber immer liebevoller Ausflug eines Regisseurs, der keinem mehr etwas beweisen muss. "Punch-Drunk Love" beherbergt so viel und vermag noch mehr zu geben. Er weiß über das eingepfercht, das in die Ecke gedrängt und von Erwartungen erdrückt sein zu berichten, von verpassten Chancen und den Traumatas der Vergangenheit. Er begleitet eine schrullige Figur, gibt sie aber nicht der Lächerlichkeit preis, weil sie universell genug ist, um jeder von uns sein zu können. Anderson's Tempo ist in jedem Moment eigenwillig und trotz 90 Minuten Lauflänge schwierig zu adaptieren. Er inszeniert komplex und anspruchsvoll, schreibt aber Dialoge von imponierender Klar- und Direktheit. "Punch Drunk Love" weckt das Verlangen, dem, was einen kaputt macht und dem, was fremden Ansprüchen entwächst, einfach zu entfliehen. Und vielleicht ist das ein zentrales Thema des Films: der Ausbruch aus einer fremdgesteuerten Welt und damit auch ein Ausbruch aus einer konstruierten Form des Selbstbildes. Ein Ausbruch aus sich selbst.

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                          Überraschend toll. "Godzilla" ist ganz und gar nicht fehlerfrei, kommt am Anfang nicht ganz aus dem Schuh und hat am Figurenarsenal offenbar zugunsten der Effekte eingespart. Trotzdem ist das unterm Strich eine viel zu beeindruckend bebilderte Sause, um sie ernsthaft als gescheitert zu verbuchen. Edwards inszeniert das bis zum Ende äußerst sorgfältig, übersichtlich, mit ruhiger Hand und immer auf den besten Effekt bedacht. Und der liegt nunmal zumeist in der Zerstreuung der Sehenswürdigkeiten. Godzilla bleibt fortwährend eine Sensation, von der man nicht genug bekommen kann, einfach weil Edwards sie immer wieder als Sensation zu verkaufen weiß. Die feine Kameraarbeit und die kluge Integration von Displays und Fernsehbildschirmen, Nachrichtenschnipseln und POVs entrücken immer wieder die Perspektive und verstellen den Blick - das sorgt für ein Gefühl der Unmittelbarkeit und spielt auf sinnige Weise den Computereffekten zu, die auf sich alleine gestellt nur halb so eindrucksvoll gewesen wären. Die apokalyptischen Szenen in einem San Francisco vor dem Untergang gemahnen überdies an die Bilderwelten eines Lovecraft und machen die Ausmaßen des Monster-Clashs deutlich, während der atmosphärische Halo-Sprung wieder Mitten ins Geschehen versetzt. Aaron Taylor-Johnson einen ganzen Blockbuster im Alleingang schultern zu lassen, mag eine weniger kluge Entscheidung gewesen sein, tritt der unterstützende Cast doch entweder ab (Cranston), zurück (Watanabe) oder ganz einfach kaum auf (Olsen). Doch das macht in der letzten halben Stunde kaum noch einen Unterschied. Dann tritt Publikumsliebling Godzilla Ärsche, umhüllt von Nebel und verzerrt von lodernden Flammen. Edwards beschwört die Hölle herauf. Mir gefällt's.

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                          • Jim Carrey ist eine Naturgewalt. Geboren und aufgewachsen in Newmarket, Ontario, Kanada. Zunächst in geordneten, gewöhnlichen Verhältnissen, dann in Armut. Bestärkt von einem Vater, der seinen Sohn das zu tun antrieb, was er sich selber nicht erfüllen durfte. Als Klassenclown mal mehr oder weniger erfolgreich, dann nach der Schule 8-Stunden-Schichten. Imitationstalent, Rampensau, Atheist, Spiritualist. Schwere Zeiten auf Prozac, dann wieder Grimassen-ziehender Comedy-Gott und nach sensationell erfolgreichen Karrieredekaden als zweifacher Globe-Gewinner Ende der 90er Jahre zum neuen Millennium mit abflauendem Erfolg und gefühlter Leinwand-Abstinenz. Kaufman-Verehrer und eher unernst Emma Stone-Stalker, zumindest ist das das, was er sagt. Womöglich der meistunterschätzte Schauspieler aller Zeiten und womöglich trotzdem der beste. In einer gerechten Welt stünde Carrey irgendwann in einer Reihe mit Brando und Chaplin. Als eigentlich unspielbare Maske im gleichnamigen "The Mask" die einzig denkbare Besetzung für das Comedy-Wunder der 90er, als Dummbacke und Paradiesvogel auch weitläufig als Brachial-Komiker bekannt. Das stimmt natürlich nicht. Nichts ist härter als Comedy. Dann als Truman in der Medien-Reflektion "The Truman Show" auch im Feuilleton am Start, weil der ja bekanntlich für alles Abseitige blind ist, ein Jahr später als Kaufman auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Wieder war Carrey die einzig denkbare Besetzung. Er begreift das Kino als "the last place to tell the truth" und hat damit hoffentlich nicht recht, auszuschließen ist es aber nicht. Er war mit Gott auf der Leinwand zu sehen und durfte Cameron Diaz küssen. Er ist Redenschwinger, Verfechter der transzendentalen Meditation, empathischer Gefühlsmensch und Aufmerksamkeitssüchtig – aber wer ist das nicht? Ihm gehört die Bühne, wenn er sie betritt und er ist „the man of 150 faces“, weil die Eintausend dann doch zu viele waren. Er ist Interview-Gold und sollte unbedingt aufmerksamer geschaut werden. Zumindest der Meinung dieses Autoren nach.

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                              Die zweite Hälfte ist besser. Dann werden auch die dem Genre seit jeher inhärenten melancholischen Zwischentöne zugelassen, nicht zuletzt getragen vom tollen Score von Jo Yeong-wook. Zudem machen dann die desillusionierten, zerstörten Figuren Sinn und der entschleunigten Erzählweise wird durch knackige Wendungen der nötige Drive verliehen. Darüber hinaus weiß „New World“ seinen schönen Schlussgag vom Wolf im Schafspelz inszenatorisch auszuspielen, so wie es südkoreanisches Kino sowieso versteht, visuell alle Register zu ziehen. Trotzdem hinterlässt die erste Hälfte einen faden Beigeschmack: als Zuschauer bleibt nichts zu entdecken, keine Einzelheit selber zusammenzusetzen. Jede Figur handelt aus klaren Motiven heraus, Raum für Ambivalenzen, Mysterien und Andeutungen gibt es nicht. Die sparsam eingestreuten Eskalationen können die Koreaner aber einfach, auch wenn man sich dafür vorher durch eine lauwarme „Infernal Affairs“-Soße löffeln muss.

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                                Die Kamera suchend, rotierend. Cameo eines schweinsköpfigen Menschenfeindes, der gerne seine Tochter bumst. Rektal-Untersuchung, durch endlose Schläuche, pulsierend, ins Rektum. Ein schwarzes Loch, die Wände schwitzen, der Boden bebt unter unaufhörlich treibenden Elektrobeats. Wer hat Le Tenia gesehen? Kennst du Le Tenia? Ist Le Tenia hier? Blas' mir einen! Fiste mich! Fiste mich! Die Schwuchtel bumsen im Verborgenen, weil sie anderswo nicht geduldet werden. Das Rektum ist ihre Parallelgesellschaft. „Irreversibel“ findet hier seinen Anfang, und sein Ende. Der Akt der Rache erreicht hier seine Endgültigkeit, die fatalistische Wendung folgt später. Auf eine Interview-Frage hin, die mögliche Homophobie seines Filmes betreffend, machte Noé nur darauf aufmerksam, dass er sich ja selber masturbierend im Rektum platziert hätte. Quasi präventiv, um den zu erwartenden Vorwürfen etwas handfestes entgegensetzen zu können. Zumindest spricht diese Maßnahme für einen nicht vollkommen unreflektierten Filmemacher mit einem Bewusstsein um Außenwirkungen. Dementsprechend dürften die albernen Reaktionen unprofessioneller Erfüllungsgehilfen in Cannes für Noé nicht sonderlich überraschend gewesen sein - medienwirksam waren sie sowieso. Jede Diskussion um Homophobie ist „Irreversibel“ am Ende des Tages zuträglich. Und doch ist sie nichts wert. „Irreversibel“ ist gegen alles und jeden und damit schlussendlich gegen nichts. Homosexualität, Travestie, Immigration – sie alle sind hier negativ konnotiert. Selbst der sonst so besonnene Lehrer – gebildet, weiß, gut situiert – zermatscht die falsche Visage, sein Kumpel ist ein homophober Hitzkopf, der sich - wenn es drauf ankommt - den Arm brechen lässt und der Vergewaltiger ist einem Cartoon entsprungen. Alles in „Irreversibel“ geschieht aus egoistischen Motiven heraus. Die Nacht ist so finster, dass man glaubt, es gäbe keinen Morgen mehr. Und die einzige Möglichkeit der Nacht zu entfliehen besteht darin, die Zeit zurückzudrehen.

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                                  Man sollte sich nicht den Kopf über „Coherence“ zerbrechen. Was nicht bedeutet, man könne sich hier nicht auch ein zweites oder gar drittes Mal auf die Suche nach Antworten machen. Dennoch gilt es ihn, ohne es sich zu einfach machen zu wollen, doch in erster Linie zu erleben, statt jedes liebevoll arrangierte Detail, jede beiläufige Andeutung und jedes vielsagende Wort entschlüsseln zu müssen, um so möglicherweise einem Gesamtkonzept intellektuell beizukommen, das bei „Coherence“ nicht am Anfang aller Überlegungen stand. Die Entstehungsnotizen schaffen dahingehend Klarheit: Ganz am Anfang stand ein Wohnzimmer, eine Kamera und eine Gruppe fähiger Schauspieler. Geld: gerade nicht flüssig. Crew: nicht ganz beisammen. Also musste eine Idee her, die fähig war diese Elemente zu bündeln und damit schlussendlich auch den ökonomischen Limitationen Hehr zu werden, die sich Debütant James Ward Byrkit mit seinem ersten Langfilm-Projekt boten. Am Anfang also stand keine Idee, sondern statische Rahmenbedingungen. Die Idee entstand schließlich im Zuge einer Lösungssuche. Sie ist zweckgebunden und notwendig und nicht Ausdruck irgendeines konkreten, künstlerischen Bedürfnisses. „Coherence“ steht zudem in der Tradition von Effektfilmen - und ein Magier verrät niemals seine Tricks. Insofern ist „Coherence“ zweckdienlich inszeniert, im ersten Drittel gar atemberaubend spannend und vergisst trotz allem seine Figuren nicht. Und selbst wenn gen Ende Auflösungserscheinungen an ihm zehren, der doppelte Boden sichtbar wird, allein für dieses wunderbar freie Gefühl sich ausbreitender Möglichkeiten und der unendlichen Kraft eines Gedankenspiels sollte „Coherence“ ganz dringend geschaut, genossen und meinetwegen auch entworren werden.

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                                    Ich bin es leid. Geben Anime-Serien in ihrer Synopsis zumindest noch Freunden phantastischen Quatsches Grund zur Vorfreude, hat sich das doch spätestens mit der Installation von Nicht-Figuren und deren Konstellationen endgültig erledigt. Im auf der Stelle treten macht den Japanern solange niemand etwas vor und angesichts der lediglich auf der Texturen-Ebene variierten Figuren-Schablonen und behaupteten Konflikte neigt man schon beinahe dazu handelsüblichen Hollywood-Filmen avantgardistischen Wagemut zu unterstellen. Auch "Parasyte", produziert im Jahre 2014, erdacht in den späten 80er Jahren, macht nichts neues. Nach wie vor muss Anime-Tussies an die Glocken gefasst werden, um auch die Jüngeren abzuholen, nach wie vor dürfen Frauenfiguren, ihrer angestammten Rolle entsprechend, den Männern das Essen kochen, schmachtend, sich im Kreis drehend einem Vollidioten ergeben oder einfach nur, so weit, so doof, vollkommen unerträglich sein. "Parasyte" greift auf bewährte Strukturen zurück, ist stockkonservativ und repräsentiert ein anti-progressives, frauenfeindliches Bild japanischen Zeichentricks, das man nach wie vor viel zu oft ertragen muss und das diesem "Genre" - leider nach wie vor von Quatsch wie diesem dominiert - in keinem Aspekt gerecht wird.

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                                      über Cube

                                      Allerhöchstens Kurzfilm-tauglich. Lahme, sichtlich über-ambitioniert gespielte Figuren, deren Vergangenheit nicht kümmert, kämpfen sich von einem quadratischen Raum zum nächsten. Die Wendungen um das Cube-Mysterium waren für mich Mathe-Niete zumindest nicht zu erahnen, die gruppendynamischen Entwicklungen riecht man dagegen zehn Meilen gegen den Wind. Und natürlich erweist sich gerade der, der 90 Minuten full retard gehen durfte, schließlich als Zahlen-Genie. Richtig schön blöd. Da kram' ich lieber den Zauberwürfel raus.

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                                        Der alte Mann und das Meer. Leck, blöder Zufall, Wasser im Kahn. Redford bleibt ruhig, besonnen, weiß was wann zu tun ist und in welcher Reihenfolge. Ungereimtheiten versalzen hier nur Segelnerds die Suppe. Aber mit Redford sind wir schon bei einem Problem: die Figur ist schwer zugänglich, Panik vermittelt Redford nicht, nur Gottvertrauen und Besonnenheit. Zudem umweht dessen Kenter-Fahrt während des ungelenken Sturm-Brimboriums eine leichte Brise wohliger Studio-Atmosphäre, die die Immersion, alleine mit diesem alten, stummen Mann den Kräften der Natur ausgesetzt zu sein, zumindest bröckeln lässt. Aber man versteht Chandor's Anliegen, Überlebenskampf auf den Grundsatz heruntergebrochen darzulegen, entschlackt von Erlösungsmythen und Selbstfindungsgeblubber in dem hereinbrechenden Chaos und dem nahenden Tod doch noch spirituelle Erfüllung zu finden. Nein, hier hat ein Mann alleine mit dem Meer Angst um sein Leben und greift wieder und wieder nach dem letzten Strohhalm. Bis er ins Leere greift und sich treiben lässt. Redford spielt bis zur Grenze, strotzt vor allem den physischen Herausforderungen seiner Rolle, bäumt sich auf, sackt zusammen, bis selbst der befreiende Schrei der Verzweiflung vor Erschöpfung erstickt. Deswegen gilt auch diesem Lob für die Errungenschaft knapp zwei Stunden lang in dessen Gesichtsfurchen nach Nuancen suchen zu wollen und den Spuren, die die Odyssee an ihm, zuvorderst aber in ihm hinterlassen hat. Und diese Suche nicht zu bereuen, weil Redford und Chandor sie mit unsentimentalen, eindringlichen Bildern belohnen. Da geht es dahin, im lodernden Feuerball, im ironischen Kampf elementaren Dualismus. Eine letzte Prüfung, ein letztes Loslassen. Und dann: träumen.

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                                          über Louie

                                          Liebenswert. Liebenswert trottelig, um es mit Pamela's Worten zu sagen, die dumpf aus einer rauen Kehle dringen und im Treiben der Straße augenblicklich wieder verklingen. Kein Arsch in der Hose, schwabbel-bäuchig, rothaariger Haarkranz von grauen Strähnen durchsetzt, die Season für Season, Jahr für Jahr prominenter werden. Es geht um Louie, der Protagonist aus „Louie“, der Schreiber, der Cutter, der Dirigent, der Motor und das Herz dahinter, der, der von einer Peinlichkeit in die nächste stürzt und trotzdem nicht zur Masche verkommt. Überhaupt, „Louie“ ist keine Masche, kennt keine Maschen, so wie Louie keine Masche ist, nie war, ganz bestimmt nicht. Und er kennt keine Kunstfiguren, weil er von Menschen erzählt. Die eigenwillige Struktur von "Louie" entzieht sich dementsprechend jedweden dramaturgischen Konventionen. Und das mag zunächst irritieren, besonders jene, die ansonsten auf Kohärenz und konzeptionelle Homogenität konditioniert sind. Aber einen dreistufig gegliederten Klimax gibt es hier einfach nicht, genauso wenig wie ein Reiseziel oder spröde Themenvorgaben. Kein Gag auf Gag, kein von A nach B spurten. Stattdessen rückt Louie in den Mittelpunkt, vor roten Backsteinwänden im Scheinwerferlicht New Yorker Stand-up-Bars. Es gehört dazu, wie das fiese Fremdschäm-Kribbeln in der Magengegend. Von surreal verzerrt zu lebensklug, von peinlich zu brutalst ehrlichem Seelenstriptease, der direkt ins Herz geht. „Louie“ muss sich die Identitätsfrage nicht stellen, weil „Louie“ von Louie erzählt und niemand ist wie Louie. Darum brauchen auch keine Referenzen bemüht zu werden. Und das ist das schöne daran: Wie viel Traurigkeit und Weltschmerz sich hinter der Serie verbirgt, darf jeder für sich entdecken, weil „Louie“ keine Vorgaben macht, nichts bloß ausstellt und jede Form des künstlich heraufbeschworenen Sentiments meidet. Zudem erlaubt er eine Verknüpfung mit der eigenen Lebenswelt und vermag all den Peinlichkeiten und Komplikationen, den Konfrontationen und Missverständnissen des Alltags auch seine komischen Seiten abzugewinnen. Deswegen ist „Louie“ auch nicht eskapistisch, sondern konfrontiert mit der eigenen Lebenswirklichkeit; er entlarvt unser aller Schweinehund, der nicht den Idealen folgt, die er sich selber auferlegt hat und die erst in der Ausdauer glaubwürdig werden. „Louie“ vereint die meisterhafte Autorenschaft Louis C.K.'s mit herausragenden schauspielerischen Darbietungen und absoluter künstlerischer Integrität, die sich nicht zu verbiegen braucht. Kein bisschen. Aus dem Herz in die Flimmerkiste. Am Ende stehen echte, uneitle, seelisch blank ziehende Menschen, die in wunderschönen, arschkomischen, bitteren und ganz und gar wahrhaftigen Dialogen das Wort aneinander richten. Und eine Lieblingsserie. Mehr geht einfach nicht.

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                                          • 8

                                            Wunderbares, wohltuendes, unmittelbares Kino abseits der Narration. Kino, das für den Moment lebt und Handlungsbögen zunächst als Gerüst versteht, an dessen Ausformungen und Schnörkeln es sich kreativ entlang-zu-tänzeln gilt. Ganz besonders hervorzuheben ist die wunderbare, berühmte Singin' in the Rain-Sequenz, die an die Kraft zur Entscheidung gemahnt, die jedem von uns innewohnt und die Glück als Resultat einer bewussten Entscheidung fernab Schicksals-gläubigem Determinismus versteht. In fabelhaften Technicolor-Bildern wirft „Singin' in the Rain“ einen ironischen Blick auf den Anbruch der Tonfilm-Ära und damit auch auf jene, die auf der Strecke geblieben sind, weil sie den Ansprüchen des evolutionierten Showgeschäfts nicht gewachsen waren. Es ist aber auch ein ironischer Blick auf Hollywood per se und hinter die Kulissen in die Büroräume überforderter Studio-Bosse. Die Ausdruckskraft der Stummfilmzeit, fest verwurzelt in der Theatertradition seiner Entstehungszeit, vereint mit den Klängen Zukunfts-enthusiastischer Tanzbären, die nicht wissen ob sie Schauspieler oder Schausteller sind. Ein Film über die Gestörten des Medienzirkus, die dem, was über sie geschrieben wird, einmal zu oft auf den Leim gegangen sind und andere ihre Lebenswirklichkeit entwerfen lassen. Und ein Film über die kreativen Köpfe und funkelnden Sterne, die im Ton, in der Musik und im Tanz eine Chance sehen. Überlebensgroßes, zeitloses Kino von umwerfender Ausdruckskraft. Kino, das ganz aufrichtig an ein Happy Ending zu glauben scheint. Was kann es schöneres geben?

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                                            • 7

                                              Petzold läuft innerhalb der TV- und Format-Grenzen der Anstalten zu Höchstleistungen auf. „Polizeiruf 110: Kreise“ ergründet zunächst Genre-Konventionen im mäandernd-pointierten Vier-Augen-Gespräch, während es jede Dialogzeile penibel auf seine Motive überprüft, um die Motiv-Frage nett plaudernder Verdächtiger erst einmal hinten anzustellen. In der ersten Reihe sitzen ein unglücklich liebender Modellbauer (Justus von Dohnányi), ein eleganter Profi (Matthias Brandt) und seine Theken-erfahrende Partnerin (Barbara Auer), der die Vergangenheit dicht auf dem Fersen ist. Angereichert mit kostümierten Hollywood-Reminiszenzen (ich musste lachen: „Dressed to Kill“), Meta-Ebenen, Film-Anekdoten und den Gesprächen zweier lebenserfahrener Suchender, die sich wollen, aber nicht haben können. Beim Kaffee zur Klassik des Pförtners, bei der Zigarette mit überstülptem Rauchmelder oder beim Autofahren durch das Hinterland, weil Petzold es liebt seinen Figuren beim Autofahren über die Schulter zu blicken. Petzold erzählt in komischen Details über Möbel-Linien und Hexenverbrennungen (vor ihrer Zeit!) von unerfüllter Liebe und dem Schmerz der Vergangenheit. Und er folgt dem Pfad bis an sein Ende. Bis in die Lichtung, wo zutage tritt, was das Herz verschlossen hält. Und die letzte Maske fällt.

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                                              • 5 .5

                                                [...] Die letzten drei Episoden und die Geschehnisse an der Wall machen in Season 5 jedoch soviel Spaß wie nie. Mit Jon Snow einer idealistischen Heldenfigur zu folgen ist ungeheuer befreiend und feiert in seinen Abenteuern jenseits der Mauer jenes High Fantasy-Element, das seit den ersten Episoden wieder langsam Einzug erhielt und sich nun ganz sichtbar in Westeros manifestiert. Sowohl im hohen Norden als auch bei Targaryen in Essos, deren Geschichte durch gezielte Highlights (Sons of the Harpy) zumindest bei der Stange hielt. Auch das Abweichen von der Buchvorlage ist theoretisch eine willkommene Option, um neben den Büchern quasi eine alternative Zeitlinie zu eröffnen, sollte aber gründlicher ausgearbeitet werden. Nächstes Jahr also gerne wieder soviel Mut zum Bestreiten neuer Wege, nur dann vielleicht auch mit Autoren, die schreiben können.

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                                                • 7

                                                  Kein Film für Strichlistenkritiker. Man merkt „Love Steaks“ seine fehlende Vorlage und seinen Improvisationsschwerpunkt an - und genau das macht ihn so unmittelbar, roh und authentisch. Er vermag es sich einer Liebesgeschichte formal aus einem frischen Ansatz heraus zu nähern. Zum Beispiel über seine entrückt-sprunghafte Bildmontage und die eigentümlichen, unvermittelt ein- und wieder ausgespielten Musikstücke. Und er gewinnt impulsiven, unperfekten, ja geradezu fremdschämigen Situationen damit ein Maß an Wahrhaftigkeit ab, wie es in einer Theater-geprägten TV- und Kino-Landschaft wie der unseren leider viel zu selten möglich ist. Dabei verzichtet er darauf seinen nuschelnden, träumenden und saufenden Alltagsfiguren mit einfachen Erklärungsmustern beizukommen. Stattdessen lässt er sie treiben; ungezwungen, antiklimaktisch, wunderbar; wirft einen Blick auf die Arschlöcher und Chefs, die Kollegen und Bekanntschaften, wird nicht blind angesichts der sich senkenden Sonne, sieht sich aber dennoch imstande von dem hinter dem Horizont zu träumen. Und es gelingt ihm tatsächlich über das freie Spiel seiner herrlich rotzigen Protagonisten den flüchtigen Alltagsmoment festzuhalten ohne trivial zu sein und seinen Anspruch an Authentizität nicht zur Farce werden zu lassen. Denn „Love Steaks“ erzählt auch viel über uns selbst und über die Kräfte in uns, derer wir uns womöglich gar nicht sicher sind.

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                                                  • 6 .5

                                                    Jede Figur hat ihre Vergangenheit. Und nichts geschieht ohne Grund oder hintergründiges Motiv. Das Gewissen und die Schuld treibt an, erdrückt, belastet. Ich wollte zunächst ja an Engel glauben, aber die Engel kamen bei Paul Thomas Anderson nun einmal später. Das Konzept eines gefangenen, getriebenen Oldtimers, dem die Gespenster der Vergangenheit nach wie vor auf Schritt und Tritt folgen, erscheint weniger innovativ. Aber die Innovation vollzieht Anderson, der hier in erster Linie ausprobiert, mit dem Gas spielt, das Bremsen übt und erstaunlich selten ins Stocken gerät, sowieso am Rande einer launigen und ebenso lakonischen Crime-Story. In den Dialogen und Figuren zum Beispiel, die schon bei diesem bemerkenswerten Debüt von einem fähigen Autoren zeugen. Und es offenbaren sich die Parallelen zu Tarantino, mit dem Anderson seit jeher eine tiefe Freundschaft verband. Das Spiel mit der Trivialität in einer Extremsituation und die Fähigkeit Geschichten mit Details und Fußnoten anzureichern eint die beiden Regisseure, deren Karrieren nahezu parallel verliefen, lässt aber auch entscheidende Unterschiede erkennen: Der Humor und die Skurrilität bleiben bei Anderson immer Beiwerk, Katalysator oder Sahnehäubchen, werden aber nie zelebriert oder geraten in den Handlungsmittelpunkt. Das macht „Hard Eight“ authentischer, subtiler und nachhaltiger und versperrt nicht den Weg für Herzensangelegenheiten. Darum bleiben Anderson's Welten über den Moment hinaus bestehen.

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