Jimi Hendrix - Kommentare

Alle Kommentare von Jimi Hendrix

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    Etwas unspannende Dokumentation über die an sich sehr interessante und einflussreiche Jugendkultur der Bōsōzoku, also der japanischen Antwort auf die rebellierenden Motorradgangs der amerikanischen Westküste.

    Manchmal gibt es filmische Werke, wo der Titel besser ist als der ganze Film, so leider auch hier. Zu sehen bekommen wir eine Art unexperimentellen, nüchternem und braven Kenneth Anger à la SCORPIO RISING.
    Mitsuo Yanagimachi beschränkt sich nämlich wirklich auf die seriöse dokumentarische Arbeit als Sachthema über diese Subkultur der japanischen Gesellschaft. Erklärt wird fast nichts, statt zeigt uns GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR den Alltag eines Mitglieds eben jener Motorradgang und seine Verstrickung mit dem Gesetz, sowie dem Umgang damit im elterlichen Haus.

    Zugutehalten kann man Yamagimachi, dass er wirklich authentisch nahe dran ist und hier und da inszenatorische Akzente setzt, wenn er beispielsweise die vorm buddhistischen Hausschrein chantende Mutter des Protagonisten zeigt und wie ihre uralte Tradition mit ihm als nebenan rauchenden, laut die Musik aufdrehenden, arbeitslosen Sohnemann kollidiert.

    Also war der Streifen nicht nur wohlklingender Namensgeber, der gleichermaßen wohlklingenden kanadischen Post-Rockband, sondern funktioniert als unverfälschte, aber ebenso unkommentierte Milieu-Impression ganz gut.

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    • 8
      Jimi Hendrix 04.12.2018, 16:39 Geändert 05.12.2018, 00:32

      Nicht der Serienmörder ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt. Von Triers brutal-groteske Göttliche Komödie ist ein zuweilen unerträglich-selbstironisches Provokations-Exekutionskommando voll stampfender Plumpheit und doch oder gerade deshalb eine so tiefenwirksame Gesellschaftskritik, welche Moral und Humanismus vom Zuschauer donnernd einzufordern vermag.

      In THE HOUSE THAT JACK BUILT dürfen wir dem dionysischen Jack auf einer göttlichen Mission begleiten. Er mordet sich umhüllt vom schützenden Schicksal durch eine apollinische Lämmer-Gesellschaft, die sich wie scheinbar willfährig und fatalistisch in sein Messer stürzt. Er ist der reißende Tiger, völlig amoralisch, seinem Willen folgend, ist er seines Triebs erster Diener und Zwang der vorbestimmten Natur. Jack ist allenfalls eine linkische Imitation eines Menschen. Er ist unser größter Kritiker, ein verzerrter spiegeltragender Dante auf dem Weg zur Hölle, um den Menschen zu überwinden, doch Nietzsches Brücke liegt schon lange in Trümmern...

      Lars von Trier lässt uns diesen Weg fast vollkommen alleine gehen, filterlos dürfen wir unserer speziellen Misogynie frönen, oder dem generellen Misanthropismus huldigen, wir können uns ungestraft am narzisstischen Übermenschentum weiden und die Kunst als Gewalt, als katharsische Kraft erleben. THE HOUSE THAT JACK BUILT spiegelt nur das böseste in uns wieder, denn eine Gesellschaft die eine autoritäre, idealisierte Moral braucht, eine staatlich verordnete Gewissenskur, weil man dem Individuum die "richtige" Einordnung desselben nicht mehr zutraut, ist eine tote Gesellschaft, eine wertlose Gesellschaft, eine Gesellschaft deren humanistische Statik beim kleinsten populistischen, egoistischen Winde umgeblasen wird, weil wir alle eben nicht mehr die Architekten der eigenen Vernunft sind, sondern denken, es reicht über die großen europäischen Denkmäler aus Moral und Vernunft zu staunen und diese zu beklatschen, doch noch der Nachhall des Klatschen verrät unsere ganze Heuchelei.
      Glücklicherweise müssen wir diesen schweren Weg nicht vollkommen alleine gehen, Vergil begleitet uns, er nimmt uns aber nicht an die Hand, vielmehr ermutigt er uns, dass wir Hände besitzen, zugreifen jedoch muss jeder selbst.

      Das sich Lars von Trier mit diesem Film selbst als Lamm den Kritikern zum Fraß vorwirft, fast selbstzerstörerisch immer wieder die absurde Komik bemüht, das Ganze aber mit seiner unnachahmlichen Bildsprache, dem künstlerischen Bezug zur europäischen Hochkultur, der Malerei, Musik, Literatur und Philosophie garniert und gleichsam wieder düpiert, macht THE HOUSE THAT JACK BUILT zu einem unglaublich komischen, eindrücklichen und sperrigen Zwitter, der dem Zuschauer den Hammer überantwortet, um aus ihm etwas zu meißeln, oder ihn zu zertrümmern.

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        Unheimlich traurig-schöner Film über zwei weit aus dem Leben hinaus getriebenen Seelen, die in schmerzhaft-introvertierter Unfähigkeit zu Lieben fast ersticken, für jedes Gefühl müssen ganze Ozeane durchschwommen werden, in welchem Abweisung, stumme Anziehung und unerwiderter Nähe, sowie ihre tief vergrabenen Gefühlen einen schrecklichen Strudel der Selbstzerstörung katalysieren, denn man in dieser erschütternden Drastik bisher wohl nur in Hanekes DIE KLAVIERSPIELERIN sah.

        Manche Filme fühlen sich nach wenigen Minuten an, als hätte man sein ganzes Leben in ihnen verbracht, als sei man immer schon Teil dessen, was dort gezeigt wird, als kenne man die wortlosen Gefühle besser, als einem lieb ist. Genau solch ein Film ist SEOM für mich. Wo Worte so unfassbar profan und sinnlos sind, um auszudrücken, was in einem, ganz tief vergraben unter viel verletztem Fleisch fast berstend schreit, der stille Schrei nach Liebe, Geborgenheit und Nähe, die Suche nach dem menschlichen Wasser, in welchem man sich spiegeln kann, als unverfälschtes Wesen.
        Wir sind zwar zum großen Teil aus Wasser gemacht, im Wasser gewachsen, im Wasser geboren und können ohne es nicht Leben und dennoch ertrinken wir allzu leicht in den kalten, trüben Pfützen unserer Existenz, haben wir einmal das Leben tief geatmet, den rauen Wind des Wirklichkeit auf der Haut gespürt.

        Kim Ki-duk setzt das Thema Wasser hier wie ich finde wunderschön-schattiert in nass-kalten Bildern als metaphorische Ebene für Liebe ein. So fließen in SEOM zwei erzählerische Ebenen: über der unbewegten Wasseroberfläche mit dem so bezaubernd-entrückten, wortlosen Inselmädchen Hee-Jin (ich bin wiedermal verliebt: Suh Jung ♥) und ihren Annäherungsversuchen zu dem lebensmüden Mörder Hyun-Shik einerseits, andererseits eine tiefsinnige undurchdringliche Ebene tief unter eben dieser. Hee-Jin ist fast animalisch mit ihrer stillen, Natur verbunden, so tiefgründig wie der See, auf welchem sie lebt und auf dessen Grund ihre Gefühle zu liegen scheinen. Die weit auseinander liegenden Anglerinseln, treiben beinahe wie verloren auf dem See, wie trostlose Flecken der menschlichen Vereinsamung in einem Meer der wortlosen Entfremdung, ja als feuchte Wüste ohne Emotionen, Gefühle oder Nähe.
        In diese Welt schleicht Hyun-Shik, nur um dort eben diese suizidal zu verlassen. Er scheint mit seiner pessimistischen Haltung der Fluss zu sein, von dessen Wasser sie sich speisen lassen kann, denn auch er lebt mehr unter der Oberfläche als darüber. Doch wie sollen zwei Lebewesen einander nah kommen, wenn ihre Gefühle tief unter dem Spiegel des Wassers versunken sind? Ki-duk zeigt eben diesen Prozess in radikal-distanzierten Bildern, Nahaufnahmen kommen so gut wie nicht vor, alles bleibt schmerzvoll weit entfernt, anonym und doch so ungemütlich nah, diese Bildersprache wirkt umso prägnanter, da SEOM so unfassbar wortkarg ist.

        Das einige Leute das Töten und quälen von Tieren im Film abstößt, ist verständlich aber nicht konsequent. Ist es moralisch verwerflicher Tiere ohne Grund zu töten oder sich einen heranzuziehen, der dies legitimiert? Macht es wirklich eine Unterschied, ob ich ein Tier für die Kunst töte, oder um es zu essen und wieder auszuscheiden? Kunst hat für mich keine internale moralische Verpflichtung, sondern nur deren Betrachter. Wer nach diesem Film meint, er müsste nun ebenfalls Tiere quälen und töten, trägt dafür die Verantwortung und kann sich meiner Meinung nach nicht hinter SEOM verstecken.

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        • 4 .5
          Jimi Hendrix 08.01.2018, 22:13 Geändert 09.01.2018, 00:18

          https://www.youtube.com/watch?v=bYPQhHF12Ds

          Moderater Baller-Zombie-Actioner der Resident Debil-Reihe, ohne esprithafte Ausstrahlung, aber mit dem nötigen Munitionslager, damit man nicht wegpennt.

          Vielleicht habt ihr auch diese Art Freund, welchen ihr seit Jahrzehnten kennt, mit dem ihr durch dick und dünn geht und euch fast wortlos versteht, nur beim Thema Film plötzlich auf zwei verschiedenen Planeten, ja Sonnensystemen gelebt wird. Genau dieser wollte mir seinen neuen 3D Beamer vorführen und wählte dazu eben diese Videospielverfilmung aus, von welcher ich bisher nur hörte, die Grundstory sei in zwei Sätzen erzählt, denn der Film würde nicht so sehr über das Narrativ kommen.

          Und in der Tat, trotzdem ich Aversionen gegen 3D Formate hege und, wie ihr alle wisst, ein Freund des Abwegigen bin, langweilte ich mich in AFTERLIFE nicht, denn alles war zumindest mittelmäßige Unterhaltung, solange das Hirn auf Autopilot stand.
          Die Inszenierung ist stabil.
          Die Story obsolet.
          Milla Jovovich solala-geil.
          Die Post-Apokalypse wenig markant.
          Der Agent-Smith für Arme war völlig daneben.
          Und der Gastauftritt von Vincent Gallo - oder war es doch Bela B.? - war auch unnötig.

          Mehr Worte möchte ich auch nicht verlieren, für zombimanische Gamer-Freaks sicher ein Muss, für Actionfans ebenso empfehlenswert, für mich aber eben nur fast durchschnittlicher Schauwert, nicht mehr und nicht weniger.

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          • 8 .5
            Jimi Hendrix 07.01.2018, 16:09 Geändert 07.01.2018, 16:43

            https://www.youtube.com/watch?v=7ubO_Ba1oAo

            Großes, unzugängliches Denkerkino aus Italien, voller elegischer Symbolkraft. Antonioni zerreibt die menschliche Psyche in ihrer selbstgeschaffenen degenerierten, lebensfeindlichen, negierten Umwelt zu pulvriger Depression, Desillusion und Missverstand, ihre Stimmen gehen unter im Lärm der Maschinen, ihr Verstand scheint erkrankt an dieser Anti-Welt. Der kapitalistische Fortschritt als Heilsbringer der Menschheit hat versagt, die industrielle Revolution frisst ihre Kinder.

            Infernalisch-feuerspeiende Schlote ragen über der aschgraue Erde drohend empor, wie Industriekathedralen, gleich einer großen Verletzung ist die Oberfläche dieser Erde schotterbedeckt, geborsten. Donnernder Industrielärm überbrüllt die Landschaft, die Natur scheint schon in diesen ersten Aufnahmen schwer verwundet , gezeichnet, getötet durch einer Apokalypse.
            Die industrielle Revolution ist da.
            Sie ist Bestien-gleich vor langer Zeit aus der Wissenschaft, des menschlichen Geistes entfesselt worden - der letzte Kreuzzug, um sich die Erde untertan zu machen, für einen hohen Preis, ist der Mensch der von ihm selbst geschaffenen Welt psychologisch nicht gewachsen und scheint darin zu zerbröseln. Er wirkt verschwindend klein, verloren zwischen den qualmenden Fabrikmonstern, den großen Atommeilern, riesigen Betonwüsten und Abwasserseen und horcht schon mit großen Antennen ins Universum, um den sterbenden Planeten den Rücken zu kehren. Durch diese postapokalyptische, düsteren Zivilisation irrt eine Frau in grün, ihr Blick ist nerven-aufgerieben, die Seele bebt vor Angst, sie ist augenscheinlich fast tierisch-scheu, gleich einem Reh in der kochenden, schreienden Umwelt. Und wie eine Fuchsin schnappt sie sich ihre Nahrung und huscht damit ins Unterholz, um dort hastig-aufmerksam zu essen, selbst ihren Nachwuchs vergessend.

            „Ich kann nichts sehen. Es ist, als ob ich Tränen in den Augen hätte. Aber was soll ich sonst mit meinen Augen anfangen, wohin soll ich schauen? - Du fragst wohin sollst du schauen, ich frage: wie soll man leben? Das sind die gleichen Fragen.“

            Schon in diesen ersten radikalen Einstellungen wird deutlich, was uns erwarten soll. DIE ROTE WÜSTE wirklich zu sehen, zu fühlen, zu schmecken, hat mich vier Sichtungen gekostet und viel mit mir selbst ringen lassen, denn Michelangelo Antonionis Werk ist zwar visuell ein betörendes extrovertiertes Progressivum der Bildsprache, verrät dafür aber aus dem narrativ heraus fast nichts seiner innersten Gedanken, alles muss gedeutet, erraten, empathisiert werden und wird so zur subjektiven Reise zu einem selbst.
            Als Identifizierung und Spiegelbild der Seele, Gefühle dient uns Giuliana (überragend-fragil: Monica Vitti ❤ ) . Sie zerbricht stellvertretend für uns an dieser Welt und selten waren die Splitter so scharfkantig und klein. Sie ist das abschreckendes Produkt, das erste Opfer des industrialisierten Fortschritts, sie kann nicht mehr in solch einer feindlichen, gefühllosen Welt existieren und desillusioniert an ihr und versucht dieser Welt des Absurden in den Freitod zu entkommen, aber scheitert kläglich. Sie sucht Halt, sie möchte am liebsten alles festhalten und ist dennoch haltlos geworden, dominiert von Angst und tiefer Lebensskepsis, nichts ist mehr stabil, selbst eins und eins will nicht mehr logisch sein und die eigene Körpertemperatur lässt einen zitternd fürchten, das man doch noch vegetiert. Wo der Roboter im Kinderzimmer patrouilliert und der eigene Mann zur fremden Person wird, als symbolische Figur des Ingenieurs, welcher die Maschinenwelt domptiert, flüchtet Giuliana rastlos in ihre Sehnsucht nach wärmender Liebe, nach der Essenz des Lebens.
            Diese glaubt sie in Corrado Zeller (Richard Harris) zu finden, er ist ein abgewandelt Gleichgesinnter, ebenso desillusioniert vom Sein, er fühlt sich fremd in dieser Welt, ohne Gefühl. Sie ziehe sich magisch an wie der sonnengewärmte Stein die kaltblütigen Reptilien und doch ist selbst dieser lebensspendende Stein in der nächsten Nacht wieder erkaltet.

            „Tja, es gibt wirkliche Wunderfische dort unten auf dem Meeresgrund, besonders da, wo es tief ist.“

            Jedes Bild hat Antonioni mit Bedeutung gefüllt, da wird der verheißungsvoll frischgrüne Rasen, welcher hinter einem grauen Betondurchgang hervor schaut, zur surrealen Illusion von Hoffnung und die Szene am nebulösen Hafendock zum offenbarungsmäßigen Shootout zwischen Giuliana und ihren sogenannten Freunden, bevor diese verschluckt werden. Oder wenn diese illustre Gesellschaft aus wohlsituierten Erwachsenen in der kleinen Blechhütte plötzlich zu Kindern werdend in eine vergangene Unschuld fliehen. In diesen Momenten ist DIE ROTE WÜSTE am stärksten, da sie wenig sagt und dennoch so ausdrucksstark zum interpretieren auffordert.

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            • 7 .5

              https://www.youtube.com/watch?v=kLZtymazf1A

              SILENTIUM ist eine gewohnt zwanglos-schrullige Krimi-Morbödie, in welcher Josef Hader sich abermals als unwiderstehlich melancholisch-brummiger Privatdetektiv Brenner durch die schmutzig-verworrenen Intrigen der österreichischen Hoch-Gesellschaft schleppt.

              Diese verdammten Österreicher, man erblasst regelmäßig im teutonisch steifen Neid auf ihren so freigeistigen, schwarzen Humor, denn wo wir uns im intellektuellen Humor ausmasturbieren oder im total platten Witz über den Nachbarn fremdschämen, haben unsere hochalpinen Brüder mit Kreisler, Hirsch, co und eben Hader eine so unbekümmerte Künstlerriege aus elegant-witzigem Danse Macabre auf Institutionen und Kleinbürgerlichkeit, die einfach Spaß macht.

              Die Figur des Brenner, ist eine Ausnahmegestalt, das zeigt sich auch in dieser Verfilmung Wolf Haas` deutlich. Er wurde zum festen Alter Ego Haders und niemand sonst quält sich so sympathisch für uns durch die Verliererstraße des schwarzen Humors und schaut dabei auch noch gut aus.
              Brenner und Berti sind diesmal einer ganz großen Skandale auf der Spur, die bis in die ehrenwerte Salzburger Klerikalengilde reicht, als obdachloser Doppelagent streift Brenner, doppelbödige Klosterschulen, schweigende Priester, und das Hohe Theaterhaus, ein einziger Klüngel, in welchem Brenner zunehmend verrieben wird, in seinen Nachforschungen.

              Inszeniert ist dieser Ösi-Krimi recht langsam, aber es geht hie auch nie wirklich darum, einen Fall zu lösen, vielmehr dient die Geschichte als frivol-süffisantes Beiwerk. Und gerade das macht SILENTIUM so gut, so frei, denn er schöpft seine Qualität nicht zwanghaft aus seinem Plot, oder dem moralischen Zeigefinger im Anus, sondern aus der Art, menschliche, gesellschaftliche Abgründe als satirische Bühne zu gebrauchen.

              Wer den makaberen Humor mag, wird hier seine dunkle Freunde haben, besser als das meiste deutsche Tatort geblödelt ist es allemal.

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              • 9
                Jimi Hendrix 04.01.2018, 14:37 Geändert 04.01.2018, 15:48

                https://www.youtube.com/watch?v=dkxyuTJSx5I

                Abarthousekino pur. Eine ultrabrutale, archaische, impressionistische Doom-Ode der Annihilation von Natur, Leben, Existenz. So bestürzend und anstrengend, wie faszinierend in seiner unbändigen Radikalität. Wo der Mensch sich von seinem natürlichen Ursprung gewalttätig und absolut emanzipiert.

                Nach null Uhr. Das Zimmer kleidet sich ins schemenhaft Dunkle, die Boxen sind auf voller Lautstärke wie schwarze Panther in der Nacht bereit zum tödlichen Sprung, ihre düsteren Krallen ins Ohr zu schlagen, der Bildschirm entblößt den Raum und den Zuschauer davor im nackten Licht, als Augenaufschlag in eine andere Sphäre. Alles ist bereit. BEGOTTEN beginnt.
                Gott ist tot.
                Wir sehen seine letzten selbstzerstörerischen Zuckungen, bevor unter dem auslaufenden Leib eine Frau - wir werden sie später als Mutter Erde im Abspann endgültig identifizieren können - hervorgekrochen kommt, ihr Blick steif nach oben gerichtet. Sie fingert im noch warmen Gewand des toten Leibes um des Gottes Glied eine letzte Ladung Ejakulat zu entwichsen, die letzte Saat einer Frucht, die schon lange faul und suizidal war.
                Sie pflanzt den göttlichen Samen in ihren Leib und gebärt eine miss-geborene, zitternde, debile menschenähnliche Kreatur. Diese scheint sofort entweder im sterben begriffen oder noch nicht wirklich lebensfähig, ein transzendentales unfertiges Zwischenwesen, irgendwo auf der wackelig-morschen Brücke vom Menschen zum Übermenschen, einem Gott-überwundenen Etwas.
                Nach dem die seildicke Nabelschnur zu Mutter Natur entfernt ist, überlässt sie scheinbar ihre hilflose, spastische Ausgeburt sich selbst, bis diese von mystischen, vermummten Gestalten aufgespürt , gefangen, geknebelt und weggeschleppt wird, sie malträtieren den wehrlos-unselbstständigen Leib immer wieder mit Schlägen und ertränken, sowie verbrennen ihn anschließend fast rituell, lassen ab und er überlebt diese Tortur wundersam.
                Anschließend findet Mutter Erde ihn wieder, sie versucht in so scheint es in Sicherheit zu bringen aber beide werden erneut von nazgulartigen Geschöpfen überfallen, geschlagen. Sie vergewaltigen, misshandeln Mutter Erde um sie anschließend auszuweiden, auch der immer noch lebende Sohn wird getötet und aus den verstümmelten zusammengetragenen Körpern entsteht neue Natur.

                So würde ich BEGOTTEN zumindest wiedergeben, nachdem ich ihn nun dreimal sichtete. Doch wirklich spannend ist, dass jeder aus diesem filmischen Gedärmebrei etwas völlig anderes lesen, interpretieren kann. Es ist eine Art nietzscheske Zarathustradeutung, eine Allegorie des Scheiterns, das Göttliche zu überwinden. genauso wie es die Tötung der Natur und dem natürlichen Menschen darin durch den aufgeklärten Menschen bedeuten kann. Oder einfach die dokumentierte Geschichte der Menschwerdung, wo alles natürliche, tierische, gottgegebene erdrosselt wird und ein nihilistisches, selbstbestimmtes Wesen übrig bleibt.
                Egal was man darin sehen will, für mich ist BEGOTTEN eines der beängstigten und schrecklichsten Werke der Filmgeschichte, da alles so real scheint und die Atmosphäre etwas von Götterdämmerung, Urknall, Anfang und Ende von allem hat, die endlos sägenden Grillen, der wummernde Puls des Seins, die qualvoll röchelnden Laute einer unfertigen Gestalt reflektieren ein Gefühl der direkten geistigen Ansprache zu einem selbst.

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                • liebe jenny,

                  ich weiß noch, wie du vor etlichen jahren hier anfingst und ich realtiv schnell wegen der von dir kommentierten filme und deines sehr eingängigen namens, der damals noch ausgeschriebenen v trier auf dich aufmerksam wurde, die sogar noch in trier wohnte^^. und all die jahre warst du immer irgendwie der pfeiler gegossen aus eloquenz, witz und wärme, selbst wenn man mal länger wieder keinen bock auf mp hatte, konnte man sicher sein, dein zerupftes rosa-breaking-bad-tierchen zuverlässig in die tasten hauen zu sehen.
                  ich freu mich einfach, dass du nun auch auf diese weise deine kreativität noch mehr entfalten kannst, es kann eigentlich nur eine bereicherung sein, die wir sicher alle gerne annehmen :)

                  alles gute
                  ein alter jimi

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                    Die erste kinematografische Verarbeitung der Göttlichen Komödie des Dante Alighieri ist gleichzeitig auch der erste epochale Filmbeitrag aus Italien. Ein technisch beeindruckender Stummfilm der 1911 gedreht zwar etwas Patina angesetzt hat, aber dennoch im Gesamtpaket unterhält, wenn man sich eine Version mit musikalischer Untermalung raussucht.

                    In dampfenden, unwirtlichen Landschaften aus Fels und Geröll begleiten wir Virgil und Dante durch die berühmten neun Höllenkreise zum Paradies. Wobei sich die drei Stummfilmregisseure Padovan, Bertolini und De Liguoro eher fast sardonisch nur mit der Durchquerung der Martyriumsebenen befassen, dabei aber umso diablolischere Effekte auffahren.
                    Vorbei an wild bettelnden nackten Leibesmeeren der Sünder, kopflosen,- gliederlosen armen Unglücklichen, die im Blutmeer schwimmen oder im Feuerregen gebraten werden kommen wir dem Erdkern immer näher bis zu den Eisseen und schließlich dem dreigesichtigen Luzifer höchstselbst.

                    Von allen Inferno-Verfilmungen sicherlich die expressionistischste und urigste, für Stummfilmerfahrene auf jede Fall ein muss, genau wie für alle, die an des Teufels Werk ihre wahre Freude haben, für alle anderen sicherlich etwas dröge Filmkost mit literaturhistorischer Pflichtbedeutsamkeit.

                    https://www.youtube.com/watch?v=BRUkyHvsvfg

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                    • 7 .5
                      Jimi Hendrix 30.12.2017, 19:12 Geändert 22.10.2019, 00:33

                      #34 der Amos-Vogel-Reihe: Film als subversive Kunst

                      In Hiroshima, wo die menschengemachte Sonne die Erde küsste und 100.000 im hellen, heißen Licht der uranen Umarmung mit Haut und Haaren dahin schmelzen, in eingeäscherten, pulverisierten Knochen gehüllt zu Boden schweben, da wo die Liebe dich für immer entstellt und du sie dennoch sehnsüchtig umarmst, ja genau da dreht Alain Resnais sein schwermütig, allegoriebeladenes Symbiotikum aus Krieg und Liebe und ihrer unwiderruflichen Halbwertszeit der Erinnerung.

                      Die Liebe ist wie ein Fluss, man kann nicht in ihn eintauchen und schwimmen ohne nass zu werden. Wie schön das Gefühl doch ist, den nassen Körper mit an Land zu nehmen, in der wallenden Sommerhitze der Verliebtheit und doch wird irgendwann jeder Tropfen auf deiner Haut verdunstet,, jede Haarsträhne getrocknet sein im ewigen Wind der Zeit. Doch mag auch jede feuchte Realität verschwunden sein, so bleibt der Geschmack der Erinnerung für immer, selbst wenn dein Leben einer Wüste gleicht.

                      Vieles bleibt in HIROSIMA MON AMOUR intellektuell für mich dennoch verschlossen, was aber nachhaltig wirkt sind die Bilder, die ungreifbaren Dialoge, die geschichtlichen Bezüge die gekonnt allegorisch Bezug zu nehmen scheinen auf Krieg, die Liebe im Krieg, die Liebe trotz Krieg und deren Erinnerungen dran. Krieg wie Liebe kann niemand greifen, der nicht dabei war, nichts hat man gesehen, ohne wirklich dabei gewesen zu sein und Krieg wie Liebe kann Menschen zerstören, manipulieren, unsagbare Dinge tun lassen, Moral wie Vaterlandsliebe vergessen lassen im Pulverdampf von Eros und Massaker.
                      Emmanuel Riva und Eiji Okada verkörpern diese Gefühle auf hypnotisch-schwelgende Weise, sie laden sich am Gegensatz ihrer Nationen auf, stoßen sich ab, ziehen sich an und schwelgen ungehastet von erzählerischen Triebfedern im neugeborenen Hiroshima in vergessenen Erinnerungen.

                      Resnais Film ist weniger Film, als ein Gefühl, ein Nebel in welchen man sich begeben muss, ohne ein Ziel vor Augen zu haben. Ich habe im ersten Anlauf vor Jahren vorschnell das Werk abgebrochen, da ich nach dem sehr grafisch-starken Auftakt gelangweilt war von den dialoglastigen Elementen. Doch alle, die das etwas tiefsinnigere Kino mögen, sollten einen zweiten Blick riskieren, es lohnt sich, auch wenn man nach Hiroshima nichts gesehen hat.

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                      • 7

                        In synthetisch-beklemmender Süffisanz präsentiert uns Yorgos Lanthimos hohe griechische Mythopsychologie in einer fast sterilisierend, kühlen Versuchsanordnung, aus Racheelementen, Moralzusätzen und dem ewig klassischen Produkt aus Schuld und Sühne.

                        Mein erster Lanthimos. Unweigerlich muss ich an Kubricks radikale Distanziertheit zu seinen Hauptcharakteren denken, der scheinbar reglosen Empathielosigkeit zu den Figuren, die komplett der Kunst preisgegeben, geopfert werden. In TKOASD wirkt alles ebenso, jeder Charakter scheint nur eine leere funktionale Hülle zu sein, zweckmäßig in seinen menschlichen Abgründen, aber ohne wirklich emotionale Authentizität, sie sind zweidimensionale Pappaufsteller, die dem ersten Blick standhalten, jedoch nach dem zweiten spätestens für mich in ihrem Schicksal völlig unerheblich wurden. Mir ist nach kurzer Zeit eigentlich völlig egal, welchem Ende sie entgegen taumeln, da ich nicht mit ihnen mitfühlen kann.
                        Dennoch funktioniert dieses karge filmische Experiment trotz einiger Längen für mich. Denn Lanthimos traut sich, den Zuschauer zu fordern, ein hohes, leider oftmals vergessenes Gut auf der Leinwand. Auch dank einem Score, welches endlich wieder mal zur eigenständigen Ebene erhoben wird und im SHINING-Stil ordentlich Gänsehaut komponiert.
                        Da ich die freie Vorlage der Iphigenia absolut nicht kenne, gab es für mich viele Interpretationsansätze, die aber nie wirklich in befriedigender Weise Schlüssigkeit zeigten. Spoiler. Bis zuletzt bin ich der Meinung, dass der Vater viel so vorschnell handelte und seinen Sohn umbrachte, diese Logik erschließt sich mir nicht, zumal er ein Mann der Wissenschaft, der Ratio ist, warum tötet man sein Kind auf Verdacht, dieser konsequente Fatalismus erschreckt und trifft bei mir aber auf unverständliche Ratlosigkeit. Spoilerende.

                        Alles in allem gibt es über TKOASD viel zu diskutieren, viel nachzudenken und das zeigt, dass der Ansatz für mich passte, dazu die gekonnt fabelhafte atmosphärische Inszenierung. Einzig die gefühllose Figurenzeichnung und überspitze Narration verhindert eine höhere Wertung.

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                        • 7 .5

                          https://www.youtube.com/watch?v=1WuWerFyDOc

                          Überraschend gute Fortsetzung der staubig-postapokalyptischen, miller`schen Vollgasparade, die nie den atmosphärischen Kolbenfresser erlitt und knochentrocken rasante Unterhaltung auf den Punkt abliefert.

                          FURY ROAD lebt, wie auch seine dieseldurchströmten Urväter von der Rohheit dreckig-sepiativer Bilder, gemalt aus Rost und Knochen, von fulminanter, schnörkelloser Geradlinigkeit, die heute oft verschüchtert nicht realisiert wird. George Miller hat die Eier zum inszenatorischen Bleifuß der Schlichtheit, die man ihm aber auch dankbar abnimmt, denn FURY ROAD wirkt wie eine plotentschlakte, unkomplizierte Narrations-Diät, eine radikale Entgiftung von sinnlosen Nebensträngen, gezwungenen Wendungsselbststrangulationen oder pseudo-philosophischen Metapha-Fata Morganen.
                          Nein, Miller macht das, was er kann, worin er immer schon gut war und besetzt mit einer glänzend auffahrenden Charlize Theron und dem soliden Tom Hardy auch die Hauptrollen ohne Störgeräusche, dazu die unvergleichliche und optisch weiter aufgepeppte Endzeit-Stimmung, nicht zu viel CGI und gewohnt coole Ideen, wie geil-übertrieben war denn bitte der Bungee-Gitarrist?!

                          Alles in allem fühlte ich mich super unterhalten, nie kommerziell verarscht, sondern holte mir gerne die obligatorische Staublunge ab, wie es eben sein muss.

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                            https://www.youtube.com/watch?v=w2rOFDmfpNg

                            Hiroshi Teshigaharas fulminante Adaption des gleichnamigen genialen Romans von Abe Kōbō ist wohl eine der beeindruckendsten Literaturverfilmungen aller Zeiten, in welcher nicht weniger als die ganz große Allegorie auf den Existenzialismus in ungreifbar-feinkörnigen, sartresken Philosophien in Sand zusammenfließt und für mich das visuelle, inhaltliche und auditive Meisterwerk der Japanese New Wave ist.

                            "Ich verstehe es nicht! Ist das nicht alles sinnlos für dich? Schaufelst du Sand um zu leben, oder lebst du um Sand zu schaufeln?"

                            Da ist auf der einen Seite der wissenschaftlich arbeitende Lehrer Niki Junpei (Eiji Okada), den es aus Leidenschaft zur Biologie aus dem lauten und hektischen Leben in Tokyo in die einsamen Dünen zieht, wo er Sandkäfer fotografiert und präpariert. Er ist der Bote der Neuzeit, die Manifestation des Ratio, mit Uhr und Fotoapparat lebt er in der zeitdominierenden industrialisierten Welt, wo der Alltag fast diktatorisch durch Verträgen, Belege, Ausweisen, Formularen und Mitgliedschaften in Verbindlichkeit gefesselt ist, ein starres, festes Konstrukt aus scheinbaren Freiheiten. Arbeit ist in seiner bildungsbürgerlichen Welt schon lange kein Selbstzweck mehr, er kann dem Existenzunabhänigem nachgehen, wie seine Hobbyforschungen eben jener sandlebenden Insekten, mit der Fotografie und Präparation hält er die Zeit bis ins das Unendliche an, denn tief im Inneren zieht ihn die Sehnsucht nach radikal-freier Natur, der Zeitlosigkeit der Existenz in diese unwirtliche Welt, wo Tiere, wie Menschen überleben, welche in ihrem selektierten Minimalismus fast antagonistisch seiner Welt aus Überfluss von konsumierbaren Nichtigkeit entgegenstehen. Hierbei bildet der Sand als fließende, alles vernichtende feinkörnige Parabel die fatalistische Trennlinie zwischen der zivilisatorischen Scheinnatur die man mit der philosophischen mauvaise foi gut symbolisieren kann einerseits, und dem existenzialistischen Naturalismus, wo Sein noch wörtlich zu nehmen ist, aber auch zur teuren Freiheit durch Anpassung wird. Sand ist lebensverneinende Urgewalt, aber auch Geburtshelfer zur fokussierten Reise in die brutale-totale Essenz des eigenen Lebens.
                            Durch diese Trennlinie wandernd, trifft der Lehrer auf seinen menschlichen Gegenpol. Wie so oft ist die Frau (Kyōko Kishida) auch hier Natur, fast animalisch vegetiert sie für ihn in diesem Loch der Unsinnigkeit, der Antilogik, der Ineffizienz. Ihr tiefster Antrieb ist kein werteorientierter, kapitalistischer, sondern die simple Existenz in ihrem Geburtsort. Für sie scheint es keine Vergangenheit und keine Zeit und Zukunft zu geben, sondern nur das Sein im Hier und Jetzt. Sie ist die fleischgewordene Natur, ohne Bildung, agiert sie instinktiv und frei im Willen. In all dem fruchtlosen Sand ist sie das gebärende Leben, der Quell neuer Existenzen. Sie bildet die Sehnsucht des Lehrers ab und aus dem menschlichen Zusammenprall und der Verschmelzung dieser konträren Welten entwickelt Teshigahara eine der kraftvollsten, bannhaftesten, tiefgründigsten und erotischsten Werke überhaupt.

                            „Das ist, als würde man ein Haus im Wasser bauen, wo es doch Schiffe gibt.“

                            Doch DIE FRAU IN DEN DÜNEN lässt auch andere politisierte Interpretationen zu, wie ich finde. So könnte der zumindest moderate Sozialist Kōbō mit dem riesigen Sandtrichter, welcher das Haus der Frau umgibt, den Konsum parabelhaft dargestellt haben. Der immer nachfließende, unendliche Konsum der vom Pazifik aus unaufhaltsam das alte Japan zu überrollen droht.
                            Jedes Sandkörnchen stellt ein sinnloses Produkt der Konsumgesellschaft dar, welches man nicht zum Leben benötigt. Es sind Nichtigkeiten, die der Gesellschaft suggerieren man benötige sie unbedingt. Doch im Grunde sind alle Produkte völlig sinnfrei und machen einen weder glücklich noch zufrieden, es entstehen Wüsten aus nutzlosen Artikeln, die unsere Kreativität verwüsten lassen und uns ablenken vom tatsächlichen Lebenssinn.
                            Die Frau steht dabei wie auch in der existenzialistischen Metapher für das naturnahe, alte Japan. Ein feudales Land, ohne allgemeine Bildung, in Traditionen und Konservatismus verharrend um Leben kämpfend. Sie hat weder fließendes Wasser, Strom oder eine Kanalisation und lebt im solidarischen Dorfverband scheinbar ohne Hierarchie, fast in anarchischer Selbstbestimmung und geistiger Freiheit.
                            Der Lehrer kommt aus der Welt des Konsums, aus einer fast diktatorisch-regulierten und reglementierten Welt. Er ist zunächst schockiert, wie die Frau in diesem Haus wohnen kann, welches in einem Zeitloch aus Sand versunken zu sein scheint. Nachts schaufelt sie die fortwährende Flut an sinnlosen Konsumgütern weg, um intuitiv nicht den Blick für die wesentlichen Dinge im Leben vom Sand begraben zu lassen. Den Sinn ihres Lebens schaufelt sie Nacht nächtlich frei, ihre Essenz und Existenz. Zunächst fühlt sich der Lehrer gefangen in diesem für ihn scheinbar trostlosen Loch, in welchem die Frau ein sinnloses Leben fristet, ganz ohne Annehmlichkeiten, außer der wöchentlichen Rationen, die das Leben in ihrem Haus überhaupt erst möglich machen. An so einem Ort kann der Lehrer nicht bleiben, er hat in Tokio sein Leben, seine Arbeit, doch die Macht der Zeit bringt in ihm durch die Liebe zu dieser Frau katalysiert, innerlich etwas ins Rutschen, seine Geisteshaltung ändert sich, sie zerrieselt und legt die Essenz aus Glück und Zufriedenheit in ihm frei.

                            Diese interpretationsgeschwängerte Narration wurde zudem nicht nur punktiert und treffend aus Abe Kōbōs Vorlage cineastisch wahnsinnig gehaltvoll transkribiert, sondern auch in surreal-kunstvoller Weise von Hiroshi Segawa bebildert, sowie mit einem genial-verstörenden Score aus der Feder keines Geringeren als Tōru Takemitsu musikalisch unterbaut. Damit verschmelzen Inhalt, Ton und Bild auf solch symbiotische Art, wie es Film nur machen kann, jedes dieser inszenatorischen Fragment untermauert die klaustrophobisch-horrorartige Atmosphäre und entwickelt somit einen unwiderstehlichen teibsandartigen Sog, der einen nicht mehr loslassen will.

                            https://www.youtube.com/watch?v=qa_xg0suuzc

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                              Jimi Hendrix 20.12.2017, 13:20 Geändert 20.12.2017, 14:08

                              #11 der Amos-Vogel-Reihe: Film als subversive Kunst

                              „Ich spreche aus der Tiefe der Nacht
                              Aus der Tiefe der Dunkelheit
                              Und aus der Tiefe der Nacht spreche ich

                              Wenn du in mein Haus kommst, mein Freund,
                              bringe eine Lampe und ein Fenster mit,
                              durch das ich auf
                              die Menge in der fröhlichen Gasse sehen kann." - Forugh Farrokhzad

                              Die iranische Dichterin Forugh Farrokhzad öffnet uns die Tore einer Lebra-Kolonie und fängt in eindringlichen, dokumentarischen Bildern das Leben im Tod ein, untermalt von lyrischen Auszügen, sowie Passagen aus dem Alten Testament, des Korans, als auch in wissenschaftlichen Erklärungen, verschwindet die Bedrücktheit der Schicksale in der noch realen Lebenswürdigkeit des Seins. Wo der Mensch zwar in einem anderen, von Krankheit regulierten Kosmos lebt, aber dennoch Mensch sein kann.

                              Das Farrokhzad nie den Blick in die Dunkelheit scheute, die der Mensch als langer Schatten wirft ist spätestens nach der Werkschau ihrer Gedichte klar, wo sie unnachgiebig und poetisch Konventionen hinterfragt sowie mit dichterischem Hammer und künstlerischem Meißel bruchhaft klopft.

                              In ihrer filmischen Arbeit DAS HAUS IST SCHWARZ begibt sich Irans ungemütliche Dichterin für einen Monat in das Lebradorf Behkadeh Raji, um den Alltag und die Lebenswirklichkeit der unheilbar Kranken auf Film zu bannen. Dabei taugen die Bilder weniger als düstere Wichsvorlagen für Ekel-Voyeuristen, sondern sind extrem nüchtern gehalten.
                              Dieses Leprosorium ist dabei als ein autark pulsierender Ort weniger des Todes, sondern vielmehr des Lebens zu erkennen, eine parallele Welt, wo Kinder lachend spielen, getanzt, gesungen, geboren und auch geheiratet wird und der eigentlich angebrachte Pessimismus weniger anzutreffen ist, als gedacht.

                              Ein wie ich finde wichtiges Dokument einer Welt, vor der man gerne die Augen verschließen möchte, gleich eines Schlachthauses, welche aber mit oder ohne unsere Heuchelei nun mal Realität ist - wegschauen gilt nicht.

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                                Der zweite erhaltene surrealistische Film der Geschichte, noch vor dem Canis andalusica, bietet Einblicke in das Seelenleben eines jungen Pfaffen, der im moralischen Zwiespalt von erotischem Verlangen und Moral geistig bebildert zermalmt wird.

                                Ein Pfarrer, ein Militär und die Frau, könnte der Film auch heißen, der wie ich finde zu unrecht den Titel des ersten surrealen Films trägt, war Teinosuke mit seinem beeindruckenden PAGE OF MADNESS nochmal zwei Jahre früher dran, aber geschenkt, ich kenne auch die genaue Definition nicht, hat mich dennoch überrascht
                                In DIE MUSCHEL UND DER KLERIKER kann man viel hineininterpretieren, auf der einen Seite Kritik an der Kirche und dem katholischen Zölibat, oder man sieht den symbolhaften Machtkampf zwischen Kirche und Staat, dargestellt durch den Kleriker und den Militär.
                                Die Geschichte wird sehr schwebend begleitet, man weiß nicht, was nur Einbildung , was Wunsch und Realität ist, diesen fast traumhaften Zustand erreicht die Regisseurin Germaine Dulac, indem sie Bilder verzerrt, überdeckt, schneidet und Unschärfe hinein bringt, sowie Slowmotion.
                                Dennoch hat das Filmchen trotz seiner 40 Minuten wirklich die ein oder andere Länge, was dem ganzen die Wucht etwas raubt, dennoch sehr bemerkenswert für diese Zeit und für Begeisterungswillige des Avantgardefilms sowieso ein muss!

                                https://www.youtube.com/watch?v=ypseXIQVaF0

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                                • Jimi Hendrix 18.12.2017, 00:35 Geändert 18.12.2017, 02:32

                                  1. Sind Sie eher schüchtern oder impulsiv?
                                  Ich lebe die impulsive Schüchternheit.

                                  2. Kennen Sie die Namen, die man Ihnen gibt?
                                  Meine Eltern wissen sie, das reichte mir bisher immer, man muss nicht alles im Leben wissen.

                                  3. Die letzte Ausstellung, die Sie sich angesehen haben?
                                  René Magritte in der Schirn.

                                  4. Welche Ausstellung würden Sie unbedingt empfehlen?
                                  Stanley Kubrick im Frankfurter Filmmuseum.

                                  5. Welches Kunstwerk möchten Sie besitzen?
                                  Brauche nichts, habe mein weibliches Kunstwerk seit Jahren bereits.

                                  6. Für wen kleiden Sie sich?
                                  Für die Jahresvollversammlung des Saunaclub Köln-Bocklemünd.

                                  7. Was würden Sie nie tragen?
                                  Analplugs aus Jelly-Material, also Weich-PVC.
                                  Und natürlich zu dick auf.

                                  8. Katzen oder Hunde?
                                  Hunde sind gefolgstreue, kadavergehorsame Tier-Faschisten, ich bevorzuge Anarcho-Katzen.

                                  9. Ihr Lieblings-Karaoke-Song?
                                  Irgendwas von Johnny Cash.

                                  10. Ihre Definition von sexy?
                                  Nur einen Spiegel weit entfernt... Ne. Spaß. Sexy ist für mich immer etwas, was erst mal unerreichbar scheint.

                                  11. Ihre Definition von Liebe?
                                  Liebe ist für mich das tiefe unterschwellige Gefühl einer inneren Wärme, wortlos, unberechnend und in allumfänglich.

                                  12. Was alles würden Sie aus Liebe tun?
                                  Meine Freundin für den BVB links liegen lassen.

                                  13. Was alles würden Sie für Liebe tun?
                                  Meinen Körper verkaufen.

                                  14. Ihre bevorzugte Modedekade?
                                  60er.

                                  15. Was sagt Ihre Garderobe über Sie aus?
                                  Das ich weder ganz Black Metaller, noch Linker, noch Darkwaver, noch Hawaiishirt-Liebhaber bin, iwo ein Mix aus allem.

                                  16. Ihre geheimste Begierde?
                                  Hat was mit Familie zu tun.

                                  17. Ihr größtes Laster?
                                  Mein fehlender Ergeiz und Antriebslosigkeit das Leben zu packen.

                                  18. Ihr erstaunlichster Spleen?
                                  Ich esse meine Matzeln oder wie man allgemein sagt Schlafsand.

                                  19. Fällt es Ihnen leicht, anderen zu vertrauen?
                                  Teile meiner Antwort könnten die Bevölkerung verunsichern.

                                  20. Was mögen Sie an sich selbst am liebsten?
                                  Das ich eher Ziege, statt Schaf bin. Und meinen ausgezeicneten Musik- und Filmgeschmack.

                                  21. Das Dümmste, das Sie je getan haben?
                                  Ein übertriebener Schulstreich der etwas mit Fäkalien und Urin u tun hatte.

                                  22. Wie halten Sie Ihr Temperament im Zaum?
                                  Beim Fussball nie, ansonsten immer besser mit dem Alter.

                                  23. Wissen Sie, wie man sich entschuldigt?
                                  Sorry, , aber ich bin DER japanische Vorzeige-Entschuldigungsmeister, wenn man das so sagen darf.

                                  24. Ihr Totemtier?
                                  Die Schlange.

                                  25. Ihr Lieblingsmusical?
                                  Rocky Horror Show.

                                  26. Welche Comicfigur wären Sie gern?
                                  Da kenn ich zu wenige.

                                  27. Welche literarische Figur?
                                  90Wörter-60Zeilen-90Seiten.

                                  28. Kochen Sie?
                                  Nein wir haben gegen Hoffenheim mit Glück gewonnen. Gegen Bremen das letzte mal...

                                  29. Sonnenuntergang oder -aufgang?
                                  Sehe ich nicht so häufig, also Sonnenaufgänge.

                                  30. Welche Begabung wünschen Sie sich?
                                  Aus meiner Kacke Gold zu machen.

                                  31. Stadtmensch oder Landei?
                                  Kultur geht bei mir vor Agrokultur.

                                  32. Wie sieht Ihr perfekter Samstag aus?
                                  Geht keinen was an.

                                  33. Mit wem würden Sie gern einmal dinieren?
                                  Mit Nerdkiller.

                                  34. Wann haben Sie zum letzten Mal geweint?
                                  Freudentränen und Tränen der Bitterkeit gegen Schalke.

                                  35. Wann haben Sie zum letzten Mal gelacht?
                                  Zu lange her, ich will unbedingt wieder lernen ehrlich zu lachen.

                                  36. Welche drei Dinge möchten Sie unbedingt noch tun, bevor Sie sterben?
                                  Diverse Lieblingsfilme auf großer Leinwand schauen. Meinen Saat ausbringen und aufgehen sehen. Dem IS ein Bekennerschreiben schicken.

                                  37. Rosen oder Lilien?
                                  Darmstadt 98 war mir immer sympathisch.

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                                    Jimi Hendrix 16.12.2017, 18:19 Geändert 16.12.2017, 18:21

                                    https://www.youtube.com/watch?v=46_ERiXGOAY

                                    Eine in betörende Bildgewalten versunkene cineastischer Mitternachtssonne aus Lappland, voll der rauschhaft-dunklen nordischen Mystik und gleißend heller Landschaftsästhetik die einen Schneeblind irgendwo zwischen ONIBABA und NOSFERATU halb verstört, halb fasziniert zurück lässt. Im schattierten Übergang aus kraftvollen s/w-Bildern, gebärt Erik Blomberg eine unheimliche dritte Dimension des naturalistischen Zwielichts, ein zwittriges Kind gezeugt aus Licht und Dunkelheit, welches weder in der einen noch der anderen Welt lange zu existieren vermag, denn jeden Morgen zerstört sie die Sonne und jeden Abend der Mond. Danke an Baltic und smoover, welche mich auf diesen Film brachten.

                                    Der Film beginnt mit einer traumartigen Ahnungssequenz, mit wunderbarem Gesang, der einem schwerlich aus dem Kopf geht. Schon nach den ersten Sekunden spürt man, dass dieses Werk einen unverbrauchten, frischen Atem der Alleinstellung umhüllt. DAS WEIßE RENTIER erzählt zunächst in volkstümlicher Art, fast in dokumentarischer Unverfälschtheit die Geschichte von Pirita, extrem ausdrucksstark von Mirjami Kuosmanen dargestellt, eine schöne Sámi-Frau, welche frisch vermählt unglücklich wird, als ihr Mann sie für die Rentierjagt eine Zeit lang verlassen muss. Was dann folgt ist ein skurril-gelungener Mix aus magischem Naturhorror, samischem Liebesdrama und einer interpretativen Allegorie auf die Verbindung des Menschen zur Natur und dessen evolutionäre Entfernung zu dieser. Denn Pirita kann in ihrer Rolle durchaus als symbolisches Zwischenwesen gelten, sie wird zur feministischen Natur selbst, zu einer gewalttätigen Natur, die innerlich mit sich ringt, mit dem menschlichen Bewusstsein einerseits und der instinktiven Kraft dessen, was einst intuitiv-triebhaftes Spüren war, ohne den sich bewusstwerdenden Funken, der uns zum denkend-reflektierten Menschen werden lässt. Sie liebt zwar ihren Mann, der auf der menschlichen Seite weilt, tötet dennoch scheinbar moralisch das Menschliche, welches der Natur aggressiv entgegen seht, als eine Art mystischer Racheengel. Die Brücke zwischen Natur und Mensch lässt Blomberg hier ins Wanken geraten und Pirita kann beispielhaft für uns weder vor noch zurück, sie wird als Mensch an der Natur ihrer selbst scheitern, an dem was sie geboren hat und ihr doch so fremd ist.
                                    Diese Symbolik findet sich auch in ähnlicher Weise bei Nosferatu oder dem Werwolf wieder und ist in DAS WEIßE RENTIER auf kreativ-verschleierte Weise überlagert, raubt ihr dennoch nie die ernsthafte Authentizität der rätselhaften Geschehnisse auf märchenhafte Weise.

                                    Das alles ist wirkungsstark geschmückt mit zungeschnalzenden Bildern aus weitläufigen Schneelandschaften, dunklen Hügeln und schimmernden Sonnenuntergängen, wie ich es in dieser traumartigen Schönheit selten gesehen habe. Auch die Filmmusik von Einar Englund umwölkt die kühle Atmosphäre mit fortschreitender Spielzeit immer dichter.

                                    Dieser Film hat mich lawinenartig überwalzt, wie schon länger nichts mehr, die Stimmung passt perfekt zur Weihnachtszeit, ich empfehle dieses kleine Kunstwerk eigentlich ausnahmslos, lasst euch einfach mitreißen, in den pulverisierenden, durch die Sonne funkelnden Schnee hinab in naturelle Ebenen, ein absoluter Geheimtipp, welcher einen entweder voll mitreißt oder gelangweilt zurücklässt..

                                    https://vzm.ag/movies/41602-the-white-reindeer-valkoinen-peura-1952.html

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                                      Jimi Hendrix 15.12.2017, 16:19 Geändert 20.12.2017, 13:18

                                      #10 der Amos-Vogel-Buchschau: Film als subversive Kunst

                                      https://www.youtube.com/watch?v=ReqhO232HU8

                                      Brutal. Antiautoritär. Bildgewaltig. Im Gesamten so hart und konsequent in der antifaschistischen Aussage und dennoch in jedem Bild mit so viel musischem Gefühl, sehen wir die gesellschaftliche Zerrissenheit des diktatorisch geführten fiktiven Francospanien parabelhaft durch die Augen eines Kindes.

                                      Mit VIVA LA MUERTE schuf Fernando Arrabal ein hoch politisches Kunstwerk, dass uns die Geschichte eines Jungen erzählt, der seinen politisch aktiven Vater, früh an ein kirchengestütztes antiliberales Militärregime verliert und nun mit seiner Mutter zurückbleibend sich immer mehr von ihr emanzipiert und hinterfragt, weshalb der Vater verhaftet und angeblich hingerichtet worden ist.

                                      Diese Geschichte ist sicher schwebend autobiographisch zu lesen, da Arrabals Vater ihm ebenfalls als Kind genommen wurde, da er vor einem Todesurteil fliehen musste.
                                      In VIVA LA MUERTE benutzt und verarbeitet Arrabal wohl diese Erlebnisse und setzt Mutter und Vater metaphorisch, so wie ich es deute, in politische Haltungen ein. Der Vater ist dabei der freie Wille. Unbeugsam lehnt er sich gegen das ungerechte System auf, er verkörpert die politischen Ideale, hier den Anarcho-Kommunismus, für die er sogar unter Umständen mit dem Leben bezahlt.
                                      Auf der anderen Seite steht die Mutter,sie glaubt an die staatlichen Institutionen, an die Kirche als spirituelle Macht, oder ist zumindest opportun, sie schweigt gegen das System und ja sie prostituiert sich letzten Endes für dieses.
                                      Diese beiden Pole ringen in Fando, so der Name des Jungen und mehr und mehr entdeckt er, dass seine Mutter ihm etwas verheimlicht, schreckliche Eingebungen und Vorwürfe werfen immer längere Schatten auf das Verhältnis zwischen Fando und seiner Mutter. Sie möchte die in ihm immer stärker wachsenden Sehnsüchte nach seinem Vater, den Idealen, der politischen Freiheit unterbinden, sie sagt den Vater Tod und immer mehr wird klar, das sie, das System, der Opportunismus ihn auf dem Gewissen haben muss.

                                      Diese große Geschichte wird in ähnlicher Weise wie Pasolinis 120 TAGE VON SODOM inszeniert, in skandalumwölkter, ungehemmter Drastik, untermalt von fabelhaft passender Musik und Soundscore schreit er die politische Mahnung heraus.
                                      Wem Jodorowsky noch zu mystisch und verspielt Kritik a Systemen und Kirche übt, bekommt mit Fernando Arrabal Kunst als reine Kritik, schnörkellos und konsequent und bekommt von mir deshalb eine allgemeine Sehempfehlung, denn für seine Wichtigkeit ist VIVA LA MUERTE viel zu unbekannt, das muss sich ändern!

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                                        Jimi Hendrix 14.12.2017, 14:18 Geändert 14.12.2017, 16:08

                                        #9 der Amos-Vogel-Buchschau: Film als subversive Kunst

                                        Stan Vanderbeeks gewohnt Dada-schmunzelnde Themenverarbeitung zeigt in wildem Schnitt Bildkollagen und -montagen einer aus den Fugen geratenen Welt der Wissenschaft, die in grafischer Max Ernst-Manier als chaotische Gestalt filmisch sichtbar wird.

                                        Voller popkultureller Verweise auf Politik, präziser des Kalten Krieges zeigt uns SCIENCE FRICTION satirisch die Reibung zwischen Mensch und Wissenschaft. Einer tiefen humanen Sucht des ständigen Strebens nach Effektivität und Produktivität, wo der Mensch sein, durch die Wissenschaft geschaffenes, materielles und vor allem technisches Umfeld selbst nicht mehr versteht.
                                        Historische Gebäude scheinen im Sog des Fortschritts davon zu fliegen, wie Wesen, die in dieser schönen Neuen Welt nicht mehr gebraucht werden..

                                        http://www.dailymotion.com/video/x22nvqn

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                                          Jimi Hendrix 14.12.2017, 14:17 Geändert 14.12.2017, 16:09

                                          #8 der Amos-Vogel-Buchschau: Film als subversive Kunst

                                          A DAY IN THE CITY oder wie der Anarchismus Stockholm fickte, könnte die Filmarbeit von Pontus Hulten und Hans Nordenström auch heißen.

                                          Es beginnt alles mit einem bildschönen Blick in das ebenso wunderschöne Stockholm, einer Kulturhauptstadt Europas, altehrwürdig und reich, in dem der Alltag regiert und alles seinen Gang geht.
                                          Bis uns ein Mann mit Hut, Anzug und Koffer ins Bild gerückt wird, ein gut bürgerlicher Terrorist, wie es scheint und im Nu verwandelt sich der neckisch-heitere Stadtausflug in eine wilde Hetzjagd, die immer mehr dem bildhaften, wie handlungsmäßigen Klimax entgegenrennt und in einem Inferno voll Bomben, Schießerei und flammenden Chaos alles in Schutt und Asche kleidet.

                                          Der Kontrast zwischen profaner Stadtidylle mit lustigen Bildmontagen und die folgende totale Zerstörung erschreckt. Es zeigt die Porösheit der alten Strukturen und kann sowohl als Kritik an staatlichen Strukturen verstanden werden, wie auch einer lockeren Mahnung, wie schnell jahrhundertelange Kultur einzureißen ist.

                                          https://www.youtube.com/watch?v=J444wNfRMts

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                                            Jimi Hendrix 13.12.2017, 16:59 Geändert 13.12.2017, 17:07

                                            ______________ J
                                            Gitarren-Defibr i llator für Don Cerebro
                                            ______________ m
                                            ______________ i
                                            ______________ s

                                            Ganz passable Doku über die wohl innovativste Gruppierung des Hip-Hop, den neun Shaolinmönchen des Rap, die mit ihren neuartigen, pessimistisch-skurrilen Texten und Fusions subkulturelle Einflüsse in den Mainstream brachten, die bis heute noch über das Genre hinaus nachhallen.

                                            Der Wu-Tang-Clan hat das geschafft, was nur wenigen Künstlern wirklich gelingt, nämlich über ihre homologen musikalischen Grenzen hinaus zu wirken. Ich habe nie wirklich viel Hip-Hop gehört, aber Outkast und der besagte Clan drangen selbst zu meinem Metalhead durch.
                                            Dies schafften sie wohl gerade wegen dem einzigartigen Kombinat aus ironisch-dunklen Texten, gepaart mit schroffem, ungeschliffenem Soundboard , der ganz verschiedenen Rap-Stile aller Member, sowie maßgeblich dem Genremix aus eingängigen Soul-Samples und Shaolin-Film-Rezeptionen.
                                            So wurde ihr Opus magnum Enter The Wu-Tang (36 Chambers)-Album ein absoluter Klassiker, welcher es auch in die Top 400-Alben der Musikgeschichte des Rolling Stone Magazine schaffte, zurecht.

                                            Gerald Barclay ist in seiner Dokumentation ganz dicht dran und schmeckt im Bildmaterial, den alten Videoclips und Live-Auftritten und Post-Concert-Interviews den Zeitgeist heraus.
                                            Daraus ergibt sich eine stringente Story über die Strukturen und Wirkungen des Shaolin-Clans ais Staten Island, der aber immer recht flach bleibt. Für wirkliche Fans dürfte deshalb nicht viel neues Backround dabei sein, aber für mich als nicht ganz Eingeweihter war das völlig ok, zum reinschnuppern.

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                                              "Japan ist wohlhabend. Aber es ist Wohlstand ohne Stolz. Es verursacht Angst, die unsere Männer zum Masochismus bringt."

                                              Etwas an Langatmigkeit leidendes Erotikdrama, über ein Callgirl im Tokioter BDSM-Mileu, zwischen Glückssuche und menschlicher Verlorenheit. Angenehm weit Weg vom feuchtigkeitsspendenden Bett-Roman für sexuell deprimierte Hausfrauen wie FIFTHY SHADES OF GRAY, wird hier ein ernüchternder, kritischer Blick auf die Sexualität in Japans Wohlstandskaste gewagt und dem Platz der Frau darin, ist wohl am ehesten noch mit GUILTY OF ROMANCE in thematische Verbindung zu bringen.

                                              Ryū Murakami, der vor allem durch seine literarischen Werke bekannt ist, lieferte neben der Vorlage zu Takashi Miikes AUDITION hier auch sein bekanntesten eigenen Filmbeitrag mit TOKYO DECADENCE ab. In diesem befasst er sich, wie auch in Teilen seiner Romane, mit der Entwicklung der japanischen Gesellschaft im Hinblick auf den Wirtschaftsboom und die damit einher gehende Entfremdung des Einzelnen.
                                              Dazu schickt er Ai, eine devote junge Edel-Prostituierte, durch das Nachtleben, wo sie diversen meist sadomasochistischen Sexpraktiken ihrer Kunden nachkommt. Doch mehr und mehr wird deutlich, wie einsam sie ist. Zwischen all dem Geld, den Drogen und den ausgefallen-perversen Wünschen der Kundschaft, gibt es kein Platz für Träume und echte menschlicher Nähe. Dies spitzt sich mit zunehmender Laufzeit zu und endet in Drogen betäubten umher irren in den reichen Vororten der Stadt.

                                              So kontrovers der Ruf des Films als Klassiker zur BDSM-Thematik ist, immerhin steht er in Australien, wie Südkorea nach wie vor auf dem Index, so angenehm unaufgeregt wird in die Hotelzimmer geschaut, ohne übertriebene Sensationslust und immer aus der Perspektive der schüchternen Ai erzählt, bekommt der Zuschauer hier und dort Seeleneinblicke ohne, dass sie sich öffnen müsste.

                                              Generell ist TOKYO DECADENCE ein Jungtimer in alter japanischer Tradition des sexuellen Films, der den Intimgeruch von IM REICH DER SINNE versprüht, dabei aber sozialkritische Themen befingert. Kein absolutes Sichtungsmuss, für Freunde des Themas, aber als Horizontfacettierung durchaus empfehlenswert.

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                                              • hallo, ich frequentiere diesen artikel über meinen PC, nicht über ein smartphone. das wollte ich nur mal loswerden, danke für die ignorante aufmerksamkeit.

                                                euer euch ergebenes klickschaf,
                                                jimi

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                                                  Jimi Hendrix 11.12.2017, 14:09 Geändert 22.10.2019, 00:10

                                                  #13 der Amos-Vogel-Reihe: Film als subversive Kunst

                                                  Wird heute bei uns in der Caligari Filmbühne Wiesbaden gezeigt:

                                                  http://www.wiesbaden.de/microsite/caligari/veranstaltungskalender-caligari/index.php?details_id=114915&termin_id=174974

                                                  Ich werde aller voraussicht nach auch da sein, wer Lust auf n Bier hat.

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                                                    Woher kommt die braune Hose und wo will sie hin? Wieso verliert sich mein innerstes nach außen, weshalb fühle ich mich nur so leer, hat Gott auch Dünnschiss? Oder habe ich schlichtweg meine Neuroleptika vergessen?

                                                    Malicks TREE OF LIFE ist ein beeindruckend großer darwinistischer Gottesdienst der pathetischen Poesie, so oberflächlich und tiefsinnig zugleich, ein hohler optisch-selbstzweckhafter Baum, der dennoch Früchte trägt. Der philosophische Samen stark und fertil, stellt die ganz großen existenzialistischen Fragen, dennoch bleibt der bereitete Boden dafür seltsam steril, affektiert und verschlossen in seiner zwanghaften Selbstmasturbation. Dabei macht er es nicht unter Supernova, Schöpfungsgeschichte, barmherzigen Dinosauriern, der schwebenden Mutter, einer Sonnenfinsternis und dem Gastauftritt von Nessi.

                                                    Ach was waren das noch Zeiten hier bei MP, als stalker, alanger, duffy, dimi und co noch waren, vor allem stalkers punktierte Kritik an TREE OF LIFE ließ mich damals auf den Film aufmerksam werden, da ich mit DER SCHMALE GRAD und BADLANDS bisher nur zwei Filme von Terrence Malick sah und sie mich irgendwie einzufangen mussten

                                                    Nun nach der zweiten Sichtung sehe ich wie gesagt viel Licht und Schatten, ich verstehe warum man sich die Speiseröhre wund kotzt, genauso wie man sich in diesen Film verlieben kann. Aber vor allem sehe ich vergeudete Chancen auf wirklichen Tiefsinn. Denn wo die ganz großen Fragesteller der Filmgeschichte wie Antonioni, Bergman oder auch Yoshida Stimmungen, Gefühle, Angst ja Existenz und Verlorenheit in wortlosen Narrativen voll vertrauen in de Zuschauer, es für sich selbst zu deuten und dadurch auch noch direkter auf sich zu beziehen, labert einem in TREE OF LIFE im offense Off ständig jemand die Gefühlszustände ins Bild, gleich einer pseudo-philosophischen Tonspur für Sehbehinderte.
                                                    Doch Malick traut seinen Zuschauern offenkundig nicht zu, die wirklich grandiose Atmosphäre rund um die Hauptgeschichte aus sich selbst sprechen zu lassen, aus eigenen Ausdrücken, Worten, Emotionen, die ja definitiv und mächtig im Potenzial zu spüren sind, das hat und hatte der Amerikaner immer schon drauf.
                                                    Die bildhafte Schöpfungsgeschichte war mir dann in diesem Kontext einfach zu drüber irgendwie. Ich fragte mich ständig, wann wohl endlich Harald Lesch oder David Attenborough ins Bild kämen, statt dessen weiter naturalistischer Selbstzweck, fast werbe-artig für ein Parfüm drapiert, aber dennoch mit experimenteller Note. Einer Note die Stan Brakhage und seine Jünger des avantgardistischen Films schon ein halbes Jahrhundert vorher erschöpft hatten.

                                                    TREE OF LIFE wirklich in einer Kritik gerecht zu werden, fehlt mir der intellektuelle Backround, das können andere viel besser und klüger. Ich kann nur sagen, dass ich mich oftmals wirklich ärgerte, ob der radikalen Opulenz, aber ich war in manchen Momenten ach tief verzaubert, ja gefangen im Bann des Gefühls, große Fragen zumindest spüren zu können.

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