Patrick Reinbott - Kommentare

Alle Kommentare von Patrick Reinbott

  • 7 .5

    [...] Ruft man sich den Begriff der Kriegsführung in den Sinn, wird es vermutlich den meisten immer noch so ergehen, dass im Kopf Bilder von Soldaten oder ganzen Armeen auftauchen, die sich beschießen, oder von Panzern, die ganze Gebäude sprengen. In seiner neuesten Dokumentation Zero Days will Regisseur Alex Gibney (Scientology: Ein Glaubensgefängnis) ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Krieg längst nicht mehr sichtbar an der Oberfläche ausgetragen wird, sondern unbemerkt durch digitale Kanäle rast, in Sekundenschnelle Millionen betroffen machen kann und verheerende, unkontrollierbare Schäden hinterlässt. [...] Für Laien, die auf diesem Gebiet bislang keinerlei Hintergrundwissen besitzen, dürfte Zero Days zunächst komplex anmuten. Gibney legt ein hohes Tempo vor und bringt einen entscheidenden Akteur nach dem anderen vor die Kamera. Hochrangige, überwiegend ehemalige Regierungsbeamte kommen ebenso zu Wort wie technische Fachleute oder Insider der NSA und zusammen mit einer Menge Stock-Footage sowie extra kreierten Computeranimationen entschlüsselt der Regisseur die brisante Thematik gleichermaßen anspruchsvoll wie interessant von Grund auf. Zero Days profitiert dabei sehr stark von Gibneys Talent als versierter Filmemacher, der sich selbst stets das Ziel setzt, sein Material so filmisch wie möglich aufzubereiten. Obwohl er überwiegend auf das fast schon abgenutzte Element der "Talking Heads" setzt, was bedeutet, dass Interviewpartner auf die immer gleiche Weise auf Augenhöhe vor der Kamera positioniert werden, ist Gibney momentan eine der führenden Größen, was das Erschaffen dynamischer, fesselnder Dokus betrifft. Auch wenn die hier geschilderten Fakten und Ereignisse vollständig der Realität entstammen, wirkt Zero Days oftmals wie ein Polit-Thriller, der intelligent durchkomponiert sowie dramaturgisch äußerst durchdacht wirkt. Gibney verwendet ausreichend Zeit, um die grundlegenden Hintergründe über das Atomwaffenprogramm des Iran und damit verbundene Spannungen zu erläutern, nimmt den Fuß aber rechtzeitig von der Bremse und lässt unentwegt neue Erkenntnisse sowie interessante Entwicklungen auf den Zuschauer zurollen. Während man sich früher noch darüber belustigte, dass Bösewichte in Spielfilmen mit einem Knopfdruck auf den Computer eine ganze Nation auslöschen konnten, gefriert einem dieses Lächeln nach der Sichtung von Gibneys Werk endgültig. [...]

    6
    • 7 .5

      Der Horror in Colin Egglestons "Long Weekend" ist die meiste Zeit über nicht sichtbar, sondern schleicht sich in Form von mal ohrenbetäubenden, mal nervlich beklemmenden Geräuschen auf der raffiniert gestalteten Tonspur in die Psyche des Betrachters ein.
      Scheinbar unbedeutende Aufnahmen verschiedener Tiere in der freien Natur, das Geräusch eines platzenden Adlerei, ein in der Packung verschimmeltes Hähnchen oder bedrohliche Silhouetten im Meer. In "Long Weekend" wird der ohnehin bereits vorbelastete Camping-Urlaub eines Pärchens, das ständig in laute Streitereien verfällt und kurz vor der Scheidung steht, zum Albtraum, in dem die Natur den Urlaubern die Hölle auf Erden bereitet.
      Man könnte Egglestons Werk leicht als plakativen Öko-Horror bezeichnen, der den rücksichtslosen Menschen, die auf Bäume einhacken, angezündete Zigaretten in Büsche werfen oder mit dem Jagdgewehr ein Tier nach dem anderen erlegen, eine gnadenlose Quittung erteilt. Viel besser funktioniert der Film aber in Verbindung mit der zentralen Dynamik zwischen den beiden Hauptfiguren Peter und Marcia. Eggleston öffnet angeknackste Psychen, unbehandelte Traumata und lautstarke Konflikte, um die wiederkehrend angespannte Situation zwischen dem Paar in regelmäßige Schockmomente zu kleiden.
      "Long Weekend" fällt unter die Kategorie von Slow-Burnern, die sich leise und unauffällig durch subtile Spuren des Terrors fortbewegen und dabei geschickt zwischen trügerischer Wahrnehmungsvernebelung und realen Tatsachen balancieren. Gegen Ende krallt sich der Film aber abschließend noch im Kopf des Betrachters fest, mit einer derart trockenen, fiesen sowie verstörenden Einstellung, wie man sie selten zu sehen bekommt.
      Eine originelle und wahrhaft furchteinflößende Perle, die unverkennbar den experimentierfreudigen 70ern entsprungen ist und heutzutage in dieser Form kaum noch realisierbar wäre. Höchstens als Remake.

      10
      • 6 .5

        [...] Dickinson inszeniert in kühlen Schwarz-Weiß-Bildern einen originellen Entwurf von New York, der aufgrund des sehr niedrigen Budgets mit wenigen Schauplätzen sowie vielen Innenaufnahmen auskommt und trotzdem mit einer sichtbaren Liebe für kleine Details besticht. Technik-Fanatiker und Apple-Fans dürften sich in der stilvollen Vision des Regisseurs, bei der sterile Designs, glänzend polierte Oberflächen und auffällig minimalistische Geräte eine Rolle spielen, sofort wohl fühlen. Der Regisseur zeigt ein Szenario, das vom heutigen Standpunkt aus in gut 10 Jahren durchaus der Realität entsprechen könnte. Dickinson, der in seinem Werk auch die Rolle der Hauptfigur spielt, erzählt in diesem interessanten Setting eine fast schon altmodische Geschichte, welche Themen wie Beziehungskrisen, die Schwierigkeit, zwischenmenschliche Bindungen einzugehen und reizvolle Eifersucht anschneidet. Möchte man Creative Control in einem Satz beschreiben, könnte man ihn als Variation von Spike Jonzes (Adaption) Her bezeichnen, die vom derzeitigen Hipster-Liebling Noah Baumbach (Greenberg) gedreht wurde. Ähnlich wie in den Filmen von Baumbach sind die Figuren in Dickinsons Werk mit einer gewöhnungsbedürftigen Exzentrik und extravaganten, äußerlichen Merkmalen versehen. Es dürfte daher nicht jedem leicht fallen, einen Zugang zu dem Film zu finden, da man unter Umständen schon zu Beginn von den Charakteren abgestoßen wird. Hinzu kommt die Vorliebe des Regisseurs, viele seiner Szenen durch übermäßigen Einsatz klassischer Musik und exzessive Zeitlupen überzustilisieren. Dem typischen Vorwurf von "Style over Substance" muss sich Dickinson daher berechtigt stellen. Und diesem Vorwurf muss sich Creative Control als Gesamtwerk trotz der kreativen Ansätze überwiegend geschlagen geben. Die Figuren und Handlungsstränge wirken im Gegensatz zu der opulent in Szene gesetzten Welt, in der sie sich befinden, etwas unfertig und bleiben weitestgehend auf der Strecke. Über den üblichen Ansatz, dass immer fortschrittlichere Technologie mehr Schattenseiten als Vorzüge mit sich bringt und schließlich zu stärkerer Isolation und Kontrollverlust führt, hinaus bietet Dickinsons Geschichte wenig neue Impulse, um die starke audiovisuelle Vision mit Inhalten zu bereichern, die von ebenbürtiger Qualität sind. Am Ende ist der Film dadurch ein anregendes Gedankenspiel mit stimmigen Ideen und interessanten Konzepten, welche aber unfertig wirken und nicht konsequent entwickelt wurden. [...]

        7
        • 6 .5
          über Keanu

          In den USA sind Keegan-Michael Key und Jordan Peele längst gefeierte Stars, auch wenn sie außerhalb ihres Heimatlandes eher weniger Bekanntheit genießen dürften. In ihrem Sketch-Comedy-Format "Key & Peele" greifen die beiden nicht nur zeitgemäße politische und gesellschaftliche Zustände auf, sondern zeichnen sich vor allem durch ein breites Spektrum an schrägen Figuren oder Parodien realer Persönlichkeiten aus, für die sie immer neue Stimmfarben kreieren oder mit herrlichen Grimassen brillieren.
          Der Humor des Duos ist direkt, frech sowie unglaublich charmant, was vor allem aus der Chemie zwischen den beiden resultiert. Für ihr Debüt auf der großen Leinwand ist es Key und Peele zu weiten Teilen gelungen, die spontane Situationskomik und urkomischen Sprachgefechte aus ihren Sketchen in einen abendfüllenden Spielfilm zu übertragen.
          Die Geschichte, in der zwei Kumpels eher unfreiwillig ins kriminelle Drogenmilieu eintauchen, um die wahrscheinlich süßeste Katze aller Zeiten wiederzufinden, bietet den beiden Comedians eine grelle Spielwiese, auf der sich Key und Peele als getarnte Gangster mit aufgesetztem Slang und abenteuerlich erdachten Alibis austoben.
          "Keanu" ist kaum mehr als eine typische Buddy-Comedy, die mit furios überzogenen Action-Sequenzen in ausgedehnten Zeitlupen garniert wurde, doch das Duo hat einige popkulturelle Referenzen in Form von unterhaltsamen Film-Anspielungen oder musikalischen Hommagen im Gepäck, die aus der Komödie einen amüsanten Spaß machen. Dabei merkt man jedoch, dass Key und Peele sich nie so richtig von der Struktur ihres auf kurze Sketche ausgerichteten Humors lösen können.
          "Keanu" verlässt sich in seinem Kern auf eine geschickte Variation von nur einer Handvoll Gag-Gerüste. Das funktioniert zunächst, wenn beispielsweise ein gelungener, sehr witziger Zwischenfall im Haus von Anna Farris für lautes Gelächter sorgt, doch mit weiterem Fortschreiten der Laufzeit nutzt sich der Streifen spürbar ab. Im letzten Drittel, das beinahe ausschließlich von der nach wie vor charmanten Art der beiden Hauptdarsteller, aufgewärmten Späßen und einer finalen, extra lang ausgedehnten Schießerei besteht, hat "Keanu" seinen Zenit längst überschritten.
          Den knackigen Spaß, den man als Zuschauer bis dahin haben durfte, kann einem dadurch aber niemand mehr nehmen.

          5
          • 2 .5

            Mit den gewöhnlichen Episoden des "Tatort", in denen in erster Linie ohne fliegende Kugeln einfach nur ermittelt wird, hatten die Action-Eskapaden von Til Schweigers Nick Tschiller bisher wenig gemeinsam. Für den Sprung auf die große Leinwand wurde der Bezug zum öffentlich-rechtlichen Steckenpferd daher direkt komplett gekappt, um sich ganz ungestört auf das zu konzentrieren, was ein Titel wie "Tschiller: Off Duty" bereits erahnen lässt.
            So sehr man für Christian Alvarts Regie-Fertigkeiten als überdurchschnittlich talentierter Action-Handwerker bisher in den 90-minütigen Fernseh-Formaten lobende Worte finden konnte, ist dieser Kinofilm dagegen ein reines Desaster, das über fast schon dreiste 140 Minuten lang nie auch nur im Ansatz Momente generiert, die funktionieren.
            Sich darauf einzulassen, mit "Tschiller: Off Duty" einen anspruchslosen, von Logik befreiten No-Brainer zu erhalten, der bei großspurigen Erfolgsvorbildern wie "Taken" abkupfert, reicht nicht aus. Die permanente Ansammlung billigster Ausländer-Klischees und haarsträubender Drehbuchzeilen wie "Hackfresse down!", "Ich sprech kein Fleischklops" oder "Ich hab letzte Nacht deine dicke Freundin gefickt... Meiner spricht kein Deutsch" zerstören selbst kleinste Lichtblicke wie schnittige Action-Setpieces in Form von Verfolgungsjagden über den Dächern von Istanbul komplett. Eine hanebüchene Handlungswendung folgt auf die nächste, oft ist nicht klar, ob dieser Film als Parodie konzipiert wurde oder ob dieses chauvinistische, mit peinlichen Flachwitzen sowie rassistischen Stereotypen durchsetzte, mindestens 40 Minuten zu lang geratene Fiasko wirklich als ernst gemeinte Konkurrenz zu internationalen Genre-Vertretern gedreht wurde.
            Selbst "Schutzengel" von 2012, bei dem Schweiger persönlich Regie führte, ist ein deutlich besserer, grundsolider Thriller, in dem Action wesentlich konzentrierter und dichter inszeniert wurde. Warum er sich freiwillig auf diesen Fehlschlag eingelassen hat, bleibt eines von vielen Rätseln, die man sich bei der Sichtung dieses Streifens stellt. Warum irgendjemand Fahri Yardim als Sidekick für unterhaltsam oder sympathisch hält, wäre beispielsweise ein weiteres.

            20
            • 4

              [...] In ihrem Debüt Bang Gang – Die Geschichte einer Jugend ohne Tabus versucht sich Regisseurin Eva Husson an einem Porträt der französischen Jugend, die mit unzähligen Privilegien aufgewachsen ist, aber trotzdem abgestumpft und ziellos auf einem Pfad zwischen Langeweile, Verunsicherung sowie emotionslosem Sex wandelt. [...] Dass die Regisseurin den fast schon absurden Weltschmerz ihrer Figuren, die alles haben und sich trotzdem zu nichts fähig fühlen, auf ein ebenso monotones Erzählgerüst verlagert, das der ohnehin schon oftmals behandelten Thematik keinerlei neue Facetten hinzufügt, ist ein großes Problem, welches aus Bang Gang – Die Geschichte einer Jugend ohne Tabus ein weitestgehend gescheitertes Werk macht. Die Bilder dieses Films sind von einer natürlichen Schönheit, von der man sich nur zu gerne blenden lässt und auch der pulsierende Electro-Score geht ständig sofort ins Ohr, aber die starke audiovisuelle Komponente alleine täuscht nicht darüber hinweg, dass die Figuren völlig blass und austauschbar bleiben. [...] Der dezent provokante Anstrich, den dieser Film alleine durch seinen Titel ausstrahlt, dürfte lediglich diejenigen schockieren, die sich noch nie in die Tiefen des Internets begeben haben. Überhaupt hinterlässt Bang Gang – Die Geschichte einer Jugend ohne Tabus eher den Eindruck einer schick gefilmten Beziehungskiste, die mit einigen Sexszenen gepfeffert wurde, um die Bezeichnung des gewagten, schonungslosen Generationenporträts abzustauben. In Wahrheit stehen hier aber nur Klischees, Konventionen und erzählerischer Stillstand an der Tagesordnung. Die Jugendlichen drehen sich genauso wie der Streifen an sich nur um sich selbst, Belanglosigkeiten werden zu großer Dramatik aufgeplustert und am Ende, wenn Geschlechtskrankheiten wie der Untergang der Welt inszeniert werden, darf die öde Moralkeule ebenfalls nicht fehlen. [...]

              7
              • 7 .5

                [...] "Der Bunker" ist der Stoff, aus dem Albträume gemacht sind, denn hier offenbart jede noch so kleine Einstellung neue skurrile Details, beklemmende Entwicklungen oder trockenen Humor, der sich zwischen Tragödie und Komödie bewegt. [...] Was dieses Kammerspiel-Kuriosum so faszinierend wie verstörend macht, sind nicht die eigentlichen Absonderlichkeiten, die Chryssos am laufenden Band auffährt, sondern die gewöhnliche Selbstverständlichkeit, mit der der Regisseur diese komplett ohne extrovertierte Paukenschläge in den Handlungsverlauf integriert. "Der Bunker" ist in vielen Szenen derart schräg, dass man kaum hinschauen möchte, doch er ist nicht einfach nur skurril der Skurrilität wegen, sondern erzählt in seinem Kern oftmals von universell zugänglichen Themen. Chryssos erweist sich als wagemutiger Regisseur, der extreme Genre-Zutaten und Stil-Elemente stimmig zitiert sowie variiert, doch zwischen Gaga-Humor und Body-Horror ist sein Film vor allem eine Geschichte über den Missbrauch familiärer Autorität und Erziehungsmethoden. Als Zuschauer bleibt einem genauso wie der Figur des Studenten kaum eine andere Wahl, als all diese ungewöhnlichen Vorkommnisse maximal seltsam zu empfinden. Aufgrund der völlig weltfremden Ansprüche, die das Ehepaar an ihren Sohn stellt, der nichts weniger als Präsident werden soll, obwohl er schon damit überfordert ist, Hauptstädte richtig Ländern zuzuordnen, und der brutalen Strafen, die Klaus über sich ergehen lassen muss, streut Chryssos aber nach und nach Spuren in seinen Film, durch die so etwas wie bestürzte Empathie entsteht. Auch wenn man es zuerst vermutlich niemals für möglich gehalten hätte, ist "Der Bunker" eine trockene Groteske, in der sich ganz tief verborgen viele emotionale Zwischentöne entdecken lassen. Hier geht es nicht nur darum, regelmäßig bizarren Horror aus der spröden Oberfläche hervor brechen zu lassen, sondern um aufrichtig menschliche Aspekte, die dem bizarren Spektakel immer wieder als Stützpfeiler dienen. Mit Unterstützung der fantastischen Schauspieler hat Nikia Chryssos ein bemerkenswertes Kleinod geschaffen, das man vor allem dann sehen sollte, wenn nicht gerade die nächste private Unterrichtsstunde auf einen wartet. [...]

                13
                • 7

                  Was "The Midnight Swim" am stärksten zum Verhängnis werden könnte, ist die altbewährte "Kennt man einen, kennt man alle"-Devise, die dem mittlerweile recht unbeliebten Subgenre der Found-Footage-Filme anhaftet. Wer sich dem Debüt von Sarah Adina Smith allgemein mit der Erwartungshaltung nähert, einen günstig produzierten Horrorfilm in verwackelter Optik zu sehen, dürfte recht schnell überrascht werden.
                  Die Regisseurin will berühren, nicht erschrecken, und so ist "The Midnight Swim" ein Drama, in dem sich mysteriöse, esoterische Einlagen völlig harmonisch in das Gesamtbild einfügen, welches Smith durch konzentrierte Charakterentwicklung entstehen lässt. Von der Stimmung her erinnert die Geschichte ein wenig an HBOs Serienmeisterwerk "The Leftovers", wo es ähnlich wie hier um die schmerzhafte und kaum zu bewältigende Verarbeitung von Verlust und Trauer geht.
                  Die drei Halbschwestern June, Annie und Isa kehren in das Haus ihrer Mutter zurück, die offiziell für tot erklärt wurde, nachdem sie in einen See in der Nähe des Hauses abgetaucht ist und nie wieder gesehen wurde. Für die Geschwister stellt diese Tatsache einen schweren Brocken dar, der ihnen den Weg versperrt, denn ohne endgültige Gewissheit über den Tod ihrer Mutter liegt unentwegt dieses Gefühl in der Luft, dass irgendetwas noch nicht abgeschlossen ist und vielleicht auch nie ein Ende findet.
                  Die bereits erwähnte Ästhetik nutzt Smith für erstaunlich atmosphärische Aufnahmen, die man in solch einer Qualität wahrscheinlich noch nie in einem Found-Footage-Film sehen durfte. Das Filmen aus der eigenen Perspektive ist für June ein Schutzschild, das ihre eigenen Emotionen effektiv unter Verschluss hält, während sie den Prozess der Trauerbewältigung ihrer beiden anderen Schwestern dokumentiert und immer wieder mit fast schon meditativen Einstellungen bereichert, welche ihr momentanes Befinden zum Vorschein bringen.
                  Das zentrale Mysterium ist aber der See selbst, um den sich einige Mythen und Legenden ranken. Was wie typische Gruselgeschichten am Lagerfeuer klingt, dient den drei Schwestern als Katalysator, um sich an Erklärungen und Eventualitäten zu klammern. Smith bindet das Element einer ungewissen, übernatürlichen Kraft auf unterschwellige, subtile Weise in ihre Geschichte ein und inszeniert trotz des ruhigen, figurenbezogenen Grundtons einige extrem beklemmende Szenen, die tiefer unter die Haut gehen als sämtliche Schockeffekte, die ein weniger talentierter Filmemacher hier womöglich ausgenutzt hätte.
                  "The Midnight Swim" lebt vom authentischen Spiel der drei Hauptdarstellerinnen, die die brodelnden Konflikte, welche jede ihrer Figuren für sich selbst und in der gemeinsamen Interaktion austragen müssen, sehr natürlich und glaubhaft verkörpern. Smith ist es gelungen, Trauer, Verzweiflung und Ungewissheit aus einem intensiven Geflecht von mysteriöser Esoterik und subtilen Bedrohungen zu destillieren. Ihr Film ist durchzogen von unbehaglichem Grusel, bleibt aber aufgrund der markanten Charaktermomente als ungewöhnliches Drama in Erinnerung, das mehr ist als der x-te Found-Footage-Horror aus der Konserve.

                  4
                  • 7

                    Mit "Chugyeogja" und "Hwanghae" hat Regisseur Hong-jin Na gezeigt, dass im Bereich koreanischer Thriller ganz klar mit ihm zu rechnen ist. Ein ausgezeichnetes Gespür für ausladende Figurenzeichnung verknüpfte Na stets mit pointiert gesetzten, geradezu explodierenden Spannungsspitzen, während er sich mit dem zweiten Film im Vergleich zu seinem Debüt auch noch merklich steigerte, was die Weiterentwicklung inszenatorischer
                    Fertigkeiten betraf.
                    In seinem dritten Werk "Goksung" geraten dem Regisseur die Zügel allerdings immer wieder aus den Händen, denn auch wenn der Film immer wieder bestechende Qualitäten aufweist, stottert der dramaturgische Motor bisweilen gewaltig.
                    Na zeichnet von Beginn an ein Bild der Beklemmung, bei dem er in einem kleinen koreanischen Dorf im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle ausbrechen lässt. Eine bizarre Mordserie erschüttert die Gemeinde und unter einigen Bewohnern geht das Gerücht um, dass ein alter Mann, der neu zugezogen ist, womöglich von einem Dämon besessen ist und jetzt eine teuflische Krankheit im Dorf verbreitet. Der Polizist Jong-gu hat daher einiges zu tun, denn auch er wird bald von schrecklichen Albträumen geplagt, während sich seine kleine Tochter mehr und mehr verändert.
                    Das ausführliche Etablieren entscheidender Charaktere tauscht der Regisseur diesmal gegen überraschend früh gesetzte Höhepunkte ein, bei denen Na knochentrockene Neo-Noir-Depression mit surrealen Ausflügen in religiöse sowie okkulte Gefilde anreichert. Alleine in der ersten halben Stunde ist "Goksung" dadurch mit furchteinflößenden Impressionen durchsetzt, die wirken, als stammen sie geradewegs aus der Hölle. Auffällig ist dabei vor allem das konstante Wechselspiel zwischen leiser Spannung und lauter Hysterie, welches der Regisseur schon bald derart schrill ins Extreme überspitzt, dass der Film sich hierdurch immer wieder durch das Nervenkostüm des Zuschauers fräst.
                    Na übertreibt es mit einigen Szenen, die er fast schon provokant in die Länge zieht, ohne der Geschichte nennenswerte Erkenntnisse hinzuzufügen oder die Atmosphäre effektiv zu verdichten. Stattdessen erscheint "Goksung" wie ein Film, bei dem sich der Regisseur nie dazu bereit erklären konnte, auch mal die Schere anzusetzen, wenn es dringend nötig gewesen wäre.
                    Na erzählt auf interessante Weise von Fanatismus, (Irr-)Glaube, Vorurteilen und unerklärlichen Phänomenen, doch ihm fehlt an einigen Stellen der Fokus, sobald sich der Film wieder einmal nicht zwischen intensiven Momenten, irritierend eingesetzem Humor oder völlig losgelöstem Over-the-top-Spektakel entscheiden kann.
                    Die ausufernden 2,5 Stunden Laufzeit ergeben schlussendlich einen speziellen Film, der viele außergewöhnliche Qualitäten aufweist, doch es entsteht gleichzeitig auch der Eindruck, dass hier irgendwo tief im Inneren ein brillantes Werk verborgen liegt, welches durch das Schleifen von einigen Ecken und Kanten freigelegt worden wäre. "Goksung" ist phasenweise bemerkenswert, wenn er tief unter die Haut des Betrachters vordringt, aber phasenweise eben auch etwas frustrierend, da er sein volles Potential aufgrund des behäbigen, nicht genau durchdacht wirkenden Schnitts nie vollständig ausschöpft.

                    15
                    • 7
                      über Tlmea

                      [...] Mit seinem aktuellen Kurzfilm Tlmea, der durchaus als Prequel von Hades bezeichnet werden darf, präsentiert sich der Regisseur erfreulicherweise als gereifter Künstler, der Stilistik, Atmosphäre und erzählerische Elemente des Vorgängers überzeugend transportiert und dabei effektiv weiterentwickelt. Die orientierungslose Traumlogik, welche mittlerweile klar ersichtlich ein Schlüsselmotiv in den Arbeiten von Kopacka einnimmt, ist auch hier wieder der alles überschattende Faktor. Im Zentrum der Handlung steht ein Einsatzteam der Polizei, das zum Zweck einer Razzia in eine Wohnung eindringt. Für einen normalen Ablauf dieser Situation zeigt der Regisseur aber wenig überraschend kaum Interesse, denn das Szenario wechselt immer wieder zu verwirrenden Einschüben sowie zeitlich unkonkreten Ereignissen, bei denen Kopacka in die Psyche von zwei der Polizisten eintaucht, die zwischen Realität und einem stetigen Abgleiten in halluzinatorische Zustände gefangen sind. Tlmea verankert die neun Kreise der Hölle, welche vor allem aus Dante´s Inferno bekannt sind, in dem dunklen Setting aus flirrenden Nachtaufnahmen, starken Farbfiltern und einem ungemütlichen Sound-Design, wodurch der Film regelmäßig Rätsel aufgibt, was in Verbindung mit dem surrealen Stil, bei dem diesmal auch humorvolle Momente wie Kopacka selbst in der Rolle einer TV-Figur auszumachen sind, zu einer dichten Atmosphäre führt, die im Vergleich zu Hades von der doppelten Laufzeit merklich profitiert. [...]

                      14
                      • 8 .5

                        Acht Minuten langer Applaus bei den Filmfestspielen in Cannes sind Vorschusslorbeeren, die "Toni Erdmann" im Voraus vermutlich einen ebenso großen Ruf verschaffen wie zahlreiche Preise, die dem Film von der Jury letztlich verwehrt geblieben sind. Es befeuert die Erwartungshaltung aber auch auf eine nervöse Weise, denn man fragt sich schon, was von einer deutschen Tragikomödie zu erwarten ist, die epische 162 Minuten Laufzeit für sich verbucht.
                        Und zu Beginn macht es einem der Film auch nicht gerade leicht, denn Maren Ades Werk überrascht mit einer sperrigen Verschrobenheit, bei der schräges Timing, eigenwillige Komik und ein seltsamer Mann im Vordergrund stehen, der äußerlich wie ein gemütlicher Rentner wirkt, dessen Umfeld hingegen äußerst gewöhnungsbedürftige bis völlig unangebrachte Späße über sich ergehen lassen muss.
                        Doch "Toni Erdmann" findet schnell in die Spur, sobald Peter Simonischek und Sandra Hüller aufeinanderprallen und im Zusammenspiel als Vater und Tochter ein ebenso rabiates wie reizvolles Verhältnis entblättern, in dem sich nachdenkliche Tragik, betretenes Schweigen, zum Fremdschämen witzige Situationskomik und charmante Ausreißer ansammeln.
                        Tochter Ines verkörpert dabei das Sinnbild der aalglatten Unternehmensberaterin, die Termine wie ein tickendes Uhrwerk verfolgt, Arbeit- und Privatleben längst verschmolzen hat und in ihrem engen Karriere-Outfit und der eisigen Mimik wenig an sich hat, was man normalerweise als beneidenswerte Ideale bezeichnen würde. Schon nach kurzer Zeit wird sie von ihrem Vater gefragt, ob sie überhaupt ein Mensch sei, während ihr Chef sie nach einer Präsentation vor einem Kunden lobend als ein Tier bezeichnet.
                        Doch wenn ihr Vater plötzlich grotesk verkleidet als Toni Erdmann auftaucht, mit unpassender Perücke und übergroßem Gebiss, nimmt dieses Spiel der gegenseitigen Maskerade immer intensivere Züge an. Die Regisseurin schiebt die schrille Exzentrik ihres Films regelmäßig zur Seite, um auf zwei Menschen mit Problemen, Bedürfnissen und Wünschen zu blicken, die gerade im Eifer hysterischer Gefechte auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden und wieder etwas außerhalb ihrer Normen spüren, wenn auch nur für kurze Zeit, um im nächsten Moment wieder in den gewohnten Modus der Verkleidung zurückzufallen.
                        "Toni Erdmann" fängt die Absurdität der Welt der Unternehmensberatung, die eng mit abschreckenden Begriffen wie Turbo-Kapitalismus und Outsourcing verbunden ist, ebenso präzise ein wie ein intimes Familienporträt, in dem die Gefühle regelmäßig hoch kochen.
                        Obwohl Ade ihren Film inszenatorisch unaufällig und mit einer fast schon biederen Handschrift versehen hat, schenkt sie dem Publikum ein paar unvergessliche Kinomomente, in denen blutbespritzte Hemden, Sperma-Desserts, eine so wahrscheinlich noch nie gesehene Geburtstagsparty und ein markerschütterndes Whitney-Houston-Cover für offene Augen, Zwerchfellerschütterungen und klopfende Herzen sorgt.
                        Am Ende kann der Film aber trotzdem auf ein Zitat reduziert werden: "Wie kann man diese Momente festhalten?" Maren Ade hat herausgefunden, wie.

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                        • 8

                          [...] 2001 ist aber auch gleichzeitig das Jahr von Visitor Q, in dem Miike mit einer grobkörnigen Digitalkamera im Anschlag grundlegende, familiäre Werte garstig zerlegt und dabei den (Medien-)Voyeurismus, also das Verlangen in jedem von uns, hinsehen zu wollen und nicht wegschauen zu können, in wahnwitzig absurder Manier auf die Spitze treibt. [...] In diesem verkommenen Geflecht aus körperlichem Missbrauch, häuslicher Gewalt und Inzest bekommt der Begriff der dysfunktionalen Familie eine völlig neue Bedeutung, dem Miike durch die zusätzliche Integration eines unheimlichen Besuchers verstärkten Zündstoff verleiht. Wer der geheimnisvolle Mann ist, der sich dreist in der Familie einnistet, mit einer Kamera Vorkommnisse dokumentiert und nach und nach ein nur noch größeres Chaos in Gang setzt, lässt sich nur mutmaßen. Gut möglich, dass der Regisseur durch ihn die subjektive, destruktive Perspektive des Zuschauers selbst in den Film einbringt, der sich von Natur aus zu solchen sensationslüsternen, verdorbenen Ereignissen hingezogen fühlt und in der Rolle des voyeuristischen Beobachters an immer extremeren Ausprägungen interessiert ist. [...] Die beklemmende Anspannung löst Miike schließlich auf seine unvergleichliche Art auf, indem er den Film im letzten Drittel in ein bizarres Theater der Absurditäten kippen lässt, in dem sich perverse Tabubrüche an brutale Exzesse reihen. Der Regisseur bietet dem Zuschauer ein pechschwarzes Ventil an, um die vorherige Beklemmung mit Galgenhumor und Splatter-Slapstick zu entlasten. Natürlich wird aber nur ein eingeschränktes Publikum von eher eingefleischteren Miike-Anhängern beherzt lachen können, wenn die Leichenstarre einer Toten einen so noch nie gesehenen Sex-Unfall verursacht, Muttermilch aus Brüsten geradezu durch die Wohnung regnet, Jugendliche unter hysterischem Gelächter getötet und geschlachtet werden und alles mit einem Bild der geheilten, neu vereinten Familie endet, das Verstörung und Harmonie auf erschreckendste Weise vereint. [...]

                          15
                          • 5 .5
                            über Hades

                            Die stilistische Schatzkiste, die Kevin Kopacka für seinen 15-minütigen Kurzfilm "Hades geplündert hat, ist reich an Zitaten und Verweisen.
                            Kräftig leuchtende Rot- und Blautöne strahlen durch Räume und Gänge, als würde man mit Suzy noch einmal die furchteinflößende Tanzschule aus Dario Argentos "Suspiria" durchschreiten oder mit Julian in Nicolas Winding Refns pulsierende Neon-Hölle aus "Only God Forgives" eintauchen. Türen, hinter denen Ungewisses lauert und seltsam dreinblickende Gesichter erinnern an die beklemmenden Traumwelten von David Lynch.
                            Dass Kopacka ein ausgebildeter Künstler ist, sieht man seinem kurzen Werk in jedem Moment an, denn "Hades" verschließt sich vollständig einer linearen Struktur und schlüssigen Handlung, während der Regisseur ausschließlich an atmosphärischen Stimmungsbildern, assoziativen Schnittfolgen und extrovertierter Symbolik interessiert ist.
                            Aufgesogen oder gefangen genommen wird man als Betrachter allerdings kaum, denn Kopacka inszeniert stilbewusst große Vorbilder, verleiht seiner eigenen, vage angeschnittenen und surreal verkünstelten Geschichte hingegen keine eigenen, aufregenden Impulse.
                            "Hades" schwirrt nur flüchtig an einem vorbei und lässt vereinzelt Momente aufblitzen, die kurz Größeres andeuten, aber letztlich nur schön ausgestellte Dekoration sind. Ein Werk, das sich eher wie oberflächliche Rekonstruktion anstelle von nachhaltigem Stilbewusstsein anfühlt.

                            12
                            • 7

                              Über die Frage, ob Paul Verhoeven ziemlich genau wusste, wie polarisierend sein "Showgirls" beim Publikum ankommen würde oder ob ihm nicht bewusst war, was er da überhaupt für ein Werk hervorbrachte, lässt sich genauso ausgiebig diskutieren wie über die Frage, was dieser Film überhaupt sein will.
                              Der Werdegang der attraktiven, naiven Nomi (grenzwertig und überzeugend zugleich von Elizabeth Berkley gespielt), die nach Las Vegas aufbricht, um als Tänzerin groß rauszukommen, ist wahlweise ein platt geschriebenes, hölzern gespieltes Erotikfilmchen, das zwischen all den blanken Brüsten, verschwitzten Körpern, heißen Tanzeinlagen und zickigen Intrigen gerne noch dramatische Zwischentöne unterbringen will, oder aber eine raffinierte Dekonstruktion des oberflächlichen, chauvinistischen Blickwinkels auf das glitzernde Showgeschäft, die mit plakativsten Mitteln sämtliche Elemente freizügig und lüstern ausstellt, welche im Gegenzug kritisiert werden.
                              Wie man den Film nun lesen mag, bleibt jedem selbst überlassen. Fest steht aber, dass der Regen aus goldenen Himbeeren, der auf "Showgirls" eingeprasselt ist, in keinem Verhältnis zur frechen, energetischen Machart steht, die der Regisseur in sein Werk gesetzt hat und die stellenweise zu unwiderstehlichen Sequenzen führt, bei denen man die Augen kaum vom Geschehen abwenden kann und förmlich am Bildschirm klebt. Verhoeven hat einen Blockbuster gedreht, den es in derartig frivoler Form selten gibt. Erotik, Trash, Satire und Drama vereinen sich zu einer Hülle, die typisch für den Regisseur Skandal und Provokation gleichermaßen hervorruft.
                              Bisweilen ist das Ganze etwas zu ausufernd geraten und ergötzt sich sehr ausgiebig am eigenen Spiel aus Glamour und Fassade, doch der Wandel hin zum Abgründigen im letzten Drittel gelingt, wobei das eigentliche Ende die Krönung darstellen dürfte. Nach einer bizarren Versöhnung zeigt die letzte Einstellung ein Straßenschild, auf dem Los Angeles als nächstes Ziel zu erkennen ist. Nach dem Showbusiness in Vegas wartet mit Hollywood direkt die nächste Traumfabrik. Dieser Traum ist also noch lange nicht zu Ende.

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                              • 7 .5

                                [...] Als Regisseur, Co-Autor, Mitkomponist des Soundtracks und Hauptdarsteller jongliert Don Cheadle (Hotel Ruanda) ebenso virtuos wie nebulös mit Zeitebenen und Fakten, so dass Miles Ahead Charakterporträt, Drama, aber auch eine universelle Betrachtung der durch die eigene Kreativität gequälten Künstler-Seele sowie flotter Gangsterfilm in einem ist. Cheadle beschäftigt sich nicht mit dem Aufstieg und Erfolg von Davis, sondern setzt ganz im Gegenteil bei dessen vermutlich problematischsten Lebensabschnitt an. Er zeigt den Musiker Anfang der 80er als heruntergekommenen Junkie, der seit fünf Jahren keine neuen Aufnahmen mehr veröffentlicht hat, Alkohol und Kokain in rauen Mengen konsumiert und körperlich sowie psychisch gebrochen in der eigenen Wohnung vor sich hin vegetiert. [...] Nie klammert sich der Film dabei an reale Begebenheiten, sondern nutzt eine größtenteils konstruierte Handlung, die sich am Wesen des exzentrischen Musikers entlang hangelt. [...] Durch die hervorragend gelungene Retro-Ästhetik sieht Miles Ahead nicht nur aus wie ein Film aus den 60ern oder 70ern, sondern macht die einzigartige Atmosphäre des damaligen New Yorks, mit den verwinkelten, düsteren Straßenzügen und verrrauchten Bars, durch die ein pulsierendes Lebensgefühl strömt, persönlich spürbar. Aufgrund der experimentellen Montage, mit der wild durch Gefühlslagen, Bewusstseinszustände, Realität und Fiktion gesprungen wird, fühlt sich der Streifen außerdem selbst wie ein improvisierter Jazz-Song an, der unangepasst durch Genres, Mythen, Höhen und Tiefen führt. Über allem thront allerdings Cheadle als Darsteller. Neben seiner bemerkenswerten Arbeit als mutig-unkonventioneller Regisseur zeigt er mit der Darstellung von Davis eine seiner bislang besten Leistungen. Er trifft das Aussehen und die raue, brüchige Stimme des Musikers nicht nur punktgenau, sondern verkörpert die reale, in ihren ganzen Facetten nie vollständig greifbare Persönlichkeit als ambivalenten Künstler, der als Ikone auf Bühnen geniale Trompeten-Soli spielt, während er sich im nächsten Moment zum instabilen Pulverfass wandelt, das auf Leute einschlägt oder kurz davor ist, sich selbst zu zerstören. [...]

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                                • 8 .5

                                  [...] Für viele wird Gregg Araki (Kaboom) womöglich auf ewig als ein Regisseur in Erinnerung bleiben, welcher ständig um wiederkehrende Motive kreist, Popkultur ohne Unterlass zitiert, zu flippigen Bildschnipseln montiert und seine Charaktere dabei stets als schrille Stereotypen porträtiert. Eines ist aber in all seinen Werken nicht zu übersehen: Araki liebt jede seiner Figuren aufrichtig und findet selbst in den unwahrscheinlichsten, surrealsten und überzogensten Szenen Momente, in denen er die meist noch jungen Charaktere so zeigt, wie sie nun mal sind, so dass jeder in den Filmen des Regisseurs auch Teile von sich selbst erkennen wird oder etwas mitnehmen kann, das einem persönlich viel bedeutet. Diese unmittelbare Nähe zu den Figuren ist die große Stärke in seinem vielleicht besten Werk Mysterious Skin – Unter die Haut, in dem der Regisseur eine unglaublich schwierige Thematik nach einer realen Buchvorlage aufgreift und mit seiner unverkennbaren Handschrift zu einem sensiblen, teilweise herzerwärmenden, oftmals herzzerreißenden Drama formt. [...] Mysterious Skin – Unter die Haut unterscheidet sich ganz deutlich von allen anderen Werken des Regisseurs, denn hier dringt er noch tiefer in entsetzliche Abgründe ein, bebildert auf ebenso sinnliche wie erschütternde Weise, wie sich Traumata in jungen Jahren auf die Psyche der Opfer auswirken und führt spät, aber umso wirkungsvoller zwei Schicksale zusammen, welche die meiste Zeit über eher isoliert voneinander ablaufen. [...] Neil geht mit dem Missbrauch in seiner Kindheit offensiv um, indem er sich als Stricherjunge durchschlägt, doch in seinen Augen erkennt der Zuschauer klaffende Leere und große Trauer. Gordon-Levitt spielt ihn herausragend als schmerzerfülltes Vakuum, das die Narben auf der Seele irritiert nach außen trägt, während Brady Corbet (Martha Marcy May Marlene) der Figur des Brian eine verschlossene Schüchternheit verleiht, die in manchen Momenten explodiert und sämtliche verängstigte Ungewissheit heraus brüllt. Wie Araki seine Figuren förmlich an die Hand nimmt, mit ihnen durch tragische Tiefen geht und in wenigen Momenten ein wenig Hoffnung spendet, während er extrem schwierige Themen wie Kindesmissbrauch, Pädophilie, Homosexualität und minderjährige Prostitution mit großem Selbstbewusstsein und ohne seine sonst so überdrehte Stilistik angeht, ist der große Triumph dieses Films, den Skeptiker diesem Regisseur vermutlich niemals zugetraut hätten. [...]

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                                  • 8

                                    Dem Horrorkino der Gegenwart wird gerne vorgeworfen, dass es nur noch ein leises Echo vergangener, großer Zeiten sei und dass es ihm längst an innovativen Ideen und effektiven Strukturen mangeln würde. Zu oft gibt es wenig entdeckenswertes zwischen generischem Jumpscare-Gepolter, bei dem mit einem lauten Knall Türen zugeschlagen werden, oder brutalen Folter-Pornos, in denen gesichtslose Figuren möglichst rabiat niedergemetzelt werden. Und doch sind da Filme wie "The Woman", die so sonderbar und intensiv daherkommen wie kaum etwas, das man in den letzten Jahren innerhalb des Genres bestaunen durfte.
                                    Regisseur Lucky McKee und Autor Jack Ketchum haben gemeinsam eine Bestie von einem Horrorfilm geschaffen, in dem die heile Fassade des gutbürgerlichen, amerikanischen Familienhaushalts gnadenlos in Stücke gerissen wird.
                                    Der Ehemann und Vater von drei Kindern ist Anwalt von Beruf, bringt das Geld nach Hause und geht in seiner Freizeit gerne mit dem Gewehr auf die Jagd, während seine Frau in der Küche leckere Kekse für die Familie backt oder einen saftigen Braten mitsamt köstlichen Beilagen auf die Teller zaubert und die Kinder wie jedes andere Kind auch brav zur Schule gehen. Und eines Tages bringt der Vater eine besondere Beute von der Jagd mit, die er im Schuppen ankettet.
                                    "The Woman" demaskiert das Bild von der harmonischen Bilderbuch-Familie, indem McKee die Sehgewohnheiten schon früh mit fast schon avantgardistischen Schnittfolgen attackiert, die Stück für Stück erschütternde Abgründe zu Tage befördern. Wenig überraschend präsentiert sich die wahre Monstrosität hier nicht in Gestalt einer animalischen Frau, die unverständliche Laute von sich gibt, wie ein tollwütiger Hund knurrt und bei jeder nächstbesten Gelegenheit nach Körperteilen schnappt, sondern in Form des erbarmungslosen Familienpatriarchs, der seine Frau notfalls mit Gewalt unterdrückt, den Sohn nach eigenem Abbild erzieht, die Töchter auf Abstand hält und die Gefangene im Schuppen unmenschlichen Qualen aussetzt.
                                    McKee inszeniert diesen fiebrigen Albtraum als unberechenbaren Bastard, der sich nie so richtig zwischen experimentellem Kunstfilm und Exploitation-Terror entscheiden will und daher das Beste aus beiden Welten in sich vereint. Krönung des Streifens ist der Soundtrack von Sean Spillane, der den Geist der 70er durch rockige Klänge treffender heraufbeschwört als die zahlreichen Nachahmer, welche so vergeblich versuchen, ein Stück dieser besonderen Atmosphäre einzufangen.
                                    Das Finale, in dem sich die angestauten Spannungen konsequent in einem knüppelharten Gewaltrausch entladen, ist Katharsis, Überraschung sowie Hoffnungsschimmer zugleich und endet mit einer neuen Familie, die eigentlich nur besseren Zeiten entgegen blicken kann.

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                                    • 7
                                      über Nowhere

                                      Einen Film von Gregg Araki aus den 90ern zu schauen, bedeutet auch immer irgendwie, dass etwas an einem vorbeirauscht, was man nicht wirklich begreifen kann und trotzdem ist es etwas besonderes, das man nicht mehr missen will.
                                      Im dritten und letzten Teil seiner "Teenage Apocalypse Trilogy" findet der Regisseur kaum mehr als eine Variation seiner Lieblingsmotive wie jugendliche Unsicherheit, sexuelle Unersättlichkeit und eine nicht enden wollende Abfolge von typischen Symbolen, Elementen und Markenzeichen der damaligen Ära, die er wie ein Berserker durch den Popkultur-Fleischwolf dreht.
                                      Das große Schaulaufen von späteren Stars wie Mena Suvari, Christina Applegate, Shannen Doherty, Rose McGowan, Heather Graham, Ryan Phillippe oder Denise Richards , die in diversen Teenie-Filmen oder angesagten Serien wieder auftauchten, nutzt Araki lediglich dazu, schrill überzeichnete Stereotypen aufeinander los und übereinander herfallen zu lassen, während aus den Dialogen auf kitschigste Weise große Sehnsüchte, oberflächliche Pose und zähneknirschende Dummheiten auszumachen sind.
                                      Warum man diesem grotesk eigenwilligen Spaß trotzdem kaum widerstehen kann, liegt erneut an dem unglaublich wilden Stil des Regisseurs. Araki setzt so extrem auf Reizüberflutung, dass sich "Nowhere" anfühlt, als würde man von einem Kanal zum nächsten zappen, während auf jedem irgendeine Variante einer hektisch geschnittenen MTV-Teenie-Sendung läuft, die entweder als Hommage oder Parodie aufgezogen ist. Am Ende, wenn es schließlich zur großen Haus-Party kommt, auf die sich die unterschiedlichen Figuren die ganze Zeit über in kaum zu überblickenden und mal mehr, mal weniger sinnvollen Handlungssträngen vorbereiten, endet alles erneut in bestialischem Mord, hysterischem Suizid und einem finalen WTF-Moment, wie er nur von Araki kommen kann.
                                      "I´m outta here"

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                                      • 7

                                        [...] "La isla mínima – Mörderland" spielt im Jahr 1980, fünf Jahre nach dem Ende des grausamen Franco-Regimes. Die Folgen der jahrzehntelangen Diktatur verwebt der Regisseur auf höchst beklemmende Weise mit dem zentralen Kriminalfall, wodurch er das schreckliche Verbrechen, welches dem Ermittler-Duo schlaflose Nächte und Kopfzerbrechen bereitet, in einen politischen Rahmen rückt, in dem die geschädigte Seele einer ganzen Nation immer wieder zum Vorschein kommt. Bereits bei ihrer Ankunft im andalusischen Sumpfland stoßen die Polizisten auf deutliche Ablehnung, während sich in den Gesichtern der Einwohner Resignation, Verzweiflung und Ratlosigkeit abzeichnet. An der Oberfläche verlaufen die eigentlichen Ermittlungen relativ konventionell und führen durch Zeugenbefragungen, Verdächtigungen, und Spurenverfolgungen über immer tiefere Verstrickungen in ein Netz aus menschlichen Abgründen und höherer Korruption. Das Tempo von "La isla mínima – Mörderland" ist dabei auffällig gedrosselt, damit die elegischen Bildkompositionen, in denen sich hypnotische Panoramen und flirrende Atmosphäre kunstvoll vereinen, ihre volle Wirkung entfalten können. In diesem brodelnden Dickicht finden sich außerdem zwei überaus interessante Protagonisten wieder, die zu Beginn zwar nicht direkt wie freundlich gesinnte Kollegen erscheinen, aber nichtsdestotrotz ein stabiles Verhältnis ausstrahlen. Erst im weiteren Verlauf der Geschichte streut Rodríguez kleine Details und Enthüllungen in das Geschehen, welche die Dynamik zwischen den Ermittlern durchrütteln oder in eine konstant angespannte Richtung drängen. Im letzten Drittel verdichtet der Regisseur sein bis dahin trocken-entschleunigtes Szenario zunehmend, um über zeitweise elektrisierende Einschübe an einem Endpunkt anzugelangen, der auf zwiespältige Weise längst nicht alle Fragen beantwortet, auf die man sich als Zuschauer Antworten erhofft. [...]

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                                        • 7 .5

                                          Als heterosexueller Film von Gregg Araki wird "The Doom Generation" im Vorspann angekündigt, noch bevor sich eine erste Einstellung zwischen Stroboskop-Fetzen im entfesselten Disco-Inferno überhaupt konkret zu erkennen gibt. Dabei stellt sich ausgerechnet diese Information wenig überraschend als glatte Lüge heraus, denn sexuell aufgeladen ist Arakis Werk zu jeder möglichen Gelegenheit, auf Geschlechterorientierungen fixiert aber keinesfalls.
                                          Angelegt zwischen stürmischem Road-Trip, knalligem Nineties-Pop-Bonbon, bedrückender Weltuntergangsstimmung, surrealen Gewaltexzessen und ungehemmt verschwitzen Liebesdreieck erzählt der Regisseur von den Sehnsüchten, Ängsten und Sorgen einer Jugendgeneration in den 90ern, von Teenagern, die zwischen dauererregter Euphorie, niedergeschlagener Depression, verwirrter Überforderung und kalter Alles-Egal-Attitüde pendeln.
                                          Sie rasen über verlassene Highways, ziehen sich in schummrig ausgeleuchtete Motelzimmer zurück und fallen andauernd übereinander her. Das Pärchen Amy und Jordan, sie eine angepisste Drogen-Göre im erotischen Lolita-Modus, er ein sichtbar naiver, weicher Jüngling, der eigentlich nicht an die Seite seiner dominanten Freundin passt, sind auf der Reise ins Ungewisse, hauptsache zusammen. An ihrer Seite ist außerdem der verwegene Xavier, der sich ideal in das geschädigte Trio einfügt, welches früh eine Schneise der brutalen Verwüstung hinter sich her zieht.
                                          Ein Intermezzo im Convenience-Store mit dem Ladenbesitzer, seiner Schrotflinte und einem angespannten Konflikt endet in Cartoon-Splatter, frustrierte Ex-Liebschaften von Amy tauchen in regelmäßigen Abständen als durchgeknallte, mordlüsterne Psychos auf und für sämtliche, gekaufte Artikel der Charaktere wird ein teuflischer Preis von 6 Dollar und 66 Cents fällig.
                                          Nebenbei erweitert Araki sein unheilvoll-schräges Szenario um popkulturellen Schnickschnack wie Chili Dogs, Doritos, Jo-Jos, herzförmige Sonnenbrillen und Tribal-Tattoos, während er etwas zu gerne der Faszination von stöhnenden, schwitzenden Körpern erliegt, die sich in unterschiedlichen Formationen in- und aneinanderpressen.
                                          Unvergesslicher Höhepunkt bleibt aber das einmalig verstörende Finale, in dem der ultimative Abgesang auf den amerikanischen Traum in Gestalt von Neo-Nazis aufkreuzt, welche mit USA-Flagge und Heckenschere im Gepäck die Nationalhymne anstimmen, während sich die drei Protagonisten zwischen Demütigung, Verstümmelung und Vergewaltigung endgültig zum Sinnbild einer verlorenen Generation wandeln.

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                                          • 3

                                            Man kann von Jean-Luc Godard halten, was man will, doch der Regisseur hat die Filmgeschichte mit seiner eigenwillig-frechen Art der Inszenierung nachweislich geprägt und unter Beweis gestellt, was man mit dem Medium alles anstellen kann, sofern man Regeln und Konventionen so dreist und radikal wie nur möglich über den Haufen wirft.
                                            In "Une femme est une femme", Godards zweitem Werk nach seinem wegweisenden Debüt "Á bout de souffle", war der Regisseur aber offensichtlich noch nicht in der Lage, kreative Ideen und verrückte Ansätze zu einem auch nur halbwegs erträglichen Gesamtergebnis zu formen. Anstrengende Jump-Cuts, schwachsinnige Dialoge, welche von überwiegend unsympathischen Figuren vorgetragen werden, Zitate, die sich durch sämtliche Kunstformen wühlen, Musik, die ununterbrochen aussetzt, sobald auch nur ein Hauch von Atmosphäre aufkommt und der scheinbare Versuch, Musicals, Romanzen und Beziehungskomödien zu parodieren.
                                            Gemeinsam mit Raoul Coutard, dessen Kamera ruhelos von Szenerie zu Szenerie flitzt, wirft Godard seinem Publikum einen schwer zu schluckenden Brocken nach dem anderen in den Mund und übertreibt es ohne Rücksicht mit seinem vehementen Bestreben, Film völlig nach seinen eigenen, ignoranten Mitteln zu gestalten.
                                            In einigen seiner späteren Werke wie "Pierrot le fou" oder "Week End" ist es dem Regisseur dadurch gelungen, außergewöhnliche, einzigartige Szenen zu kreieren, in denen sich in jeder Minute ein neuer anregender Einfall finden lässt, doch hier erreicht Godard nur das genaue Gegenteil. "Une femme est une femme" wirkt wie ein arroganter, überheblicher Film, der das Medium abschätzig mit Füßen tritt und so hyperaktiv nach Aufmerksamkeit aufgrund der unentwegten Andersartigkeit seiner Form schreit, dass man nach der Hälfte der Laufzeit eigentlich genervt abschalten will. Wären da nicht eine gewohnt bezaubernde Anna Karina in der Hauptrolle und eine Handvoll geglückter Momente, gäbe es auch keinen Grund, das nicht zu tun.

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                                            • 7 .5

                                              [...] Die Regisseurin drückt der gesamten Staffel dabei einen derart stylischen Stempel auf, mit edlen Hochglanz-Einstellungen und malerischen Urlaubsorten am laufenden Band, so dass "The Night Manager" optisch wie ein weiches Stück Butter auf der Netzhaut des Betrachters zerschmilzt. Inhaltlich lässt sich die Serie hingegen weitaus weniger eingängig erfassen, denn die glatt polierte Makellosigkeit, die aus jedem Frame strahlt, könnte man ihr ebenso als Makel ankreiden. Durch diese Form der Inszenierung wird die reizvolle Anziehung durch das Böse, das hier überwiegend in luxuriösen Hotels sowie teurer Kleidung mit Meeresfrüchten auf den Tellern und in Anwesenheit bildhübscher Frauen residiert, allerdings konsequent zum Ausdruck gebracht. In der Handlung geht es zunehmend darum, dass sich die Hauptfigur dem kriminellen Umfeld, in dem sie sich getarnt befindet, immer stärker angleichen muss, während die Gegenspieler ebenfalls von ständigem Misstrauen geprägt und darum bemüht sind, das illegale Geschäft am Laufen zu halten. Aus dieser Situation ergibt sich ein unentwegtes Spiel der Maskerade, bei dem die Figuren ein bestimmtes Abbild verkörpern, welches der eigenen Persönlichkeit nie vollständig entspricht und trotzdem regelmäßig Risse erhält. Spannung erzeugt die Serie daher weniger durch klassische Elemente des Genres wie Schusswechsel, Explosionen oder Verfolgungsjagden, die über Jahrzehnte hinweg beispielsweise durch das James-Bond-Franchise vermittelt wurden, sondern über Verhalten und Ausdruck der jeweiligen Charaktere, ihre Gespräche miteinander und das stetige Gefühl von Paranoia und Bedrohung, bei dem jederzeit Masken fallen und Identitäten gelüftet werden sowie Leben auf dem Spiel stehen könnten. [...]

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                                              • 7
                                                über Starlet

                                                In Sean Bakers "Starlet" entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen zwei Frauen, bei der völlig unterschiedliche Welten aufeinanderprallen, von denen man eigentlich nicht vermuten würde, dass sie auch nur im Entferntesten zusammenpassen könnten.
                                                Jane ist ein zurückhaltend wirkendes Mädchen, das in einer chaotischen WG wohnt, zugedröhnt in den Tag hinein lebt und ihre Zeit und Liebe eher ihrem Hund Starlet anstatt einem Partner schenkt. Ausgerechnet zu der älteren Witwe Sadie fühlt sie sich hingezogen, denn nachdem die in ihr erst eine Art psychopathische Stalkerin sieht, erkennt sie schließlich, dass Jane einfach nur sehr oft etwas mit ihr unternehmen will.
                                                Baker hat mit seinem Film ein unkonventionelles Indie-Drama gedreht, in dem der Blick des Zuschauers zunächst auf schlichte Beobachtungen und Tagesabläufe gerichtet wird. Ungewohnt spät wird überhaupt erst klar, was Jane beruflich macht, wenn Szene-Größe Manuel Ferrara vor der Kamera mit ihr aktiv wird. Mit solch einer nüchternen, abgeklärten und beiläufigen Selbstverständlichkeit wurde das Leben einer Pornodarstellerin vermutlich noch nie in einem Film beleuchtet, weshalb "Starlet" alleine durch dieses Element eine besondere Ausstrahlung besitzt.
                                                Doch auch das Verhältnis zwischen Jane und Sadie ist besonders, denn trotz der Tatsache, dass die Freundschaft zwischen einer jungen Pornodarstellerin und einer mürrischen, eigenwilligen Witwe auf den ersten Blick nicht sonderlich glaubwürdig wirkt, inszeniert Baker sie mit einer einfühlsam-zärtlichen Natürlichkeit, bei der er Stück für Stück mehr von seinen Figuren preisgibt. Bis hin zu einer Enthüllung ganz am Schluss, bei der noch ein letztes Mosaiksteinchen in die Beziehung eingesetzt wird, das in anderen Filmen womöglich als reine Effekthascherei dienen würde, während hier letztlich ein völlig klares, stimmiges und berührendes Bild entsteht.

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                                                • 9

                                                  "I can't relate to 99% of humanity"
                                                  Es ist vermutlich dieser zentrale Schlüsselsatz aus "Ghost World", der unmissverständlich verdeutlicht, an wen sich dieser tiefgründig aufrichtige und mit wundervoller Bekenntnis zum Andersartigen ausgestattete Film richtet.
                                                  Regisseur Terry Zwigoff erschuf mit seinem Werk eine verschrobene sowie gleichzeitig überaus nachvollziehbare Liebeserklärung an diejenigen, die keinen Platz in der Gesellschaft finden können, die nach dem Schulabschluss da stehen und gar nicht daran denken wollen, sich in das vorgeschriebene System aus routiniertem Funktionieren, höflichen Oberflächlichkeiten und verlogenem Regelwerk einzugliedern und die, die auf Partys eher an der Seite stehen, da sie sich mit niemanden im Umkreis der feiernden Meute identifizieren können.
                                                  Ohne Rücksicht auf vorgetäuschte Sympathien bekommt man hier zwei jugendliche Mädchen zu sehen, die sich auf unglaublich sarkastische Weise herablassend über alles um sich herum äußern, um gar nicht erst die Möglichkeit zuzulassen, dass auch nur irgendwer ihre wirkliche Persönlichkeit erkennt. Ironie als Schutzpanzer, Frustration als Dauerzustand und Überforderung als Perspektive. "Ghost World" ist einer dieser Filme, die ihrem Zielpublikum ganz tief aus der Seele sprechen und dabei offensichtliche Makel als selbstbewusstes Charakterprofil zum Ausdruck bringen. Zwigoff legt das Innere seiner Figuren offen, ohne wertend zu urteilen. Viel mehr fühlt sich sein Film wie eine ehrlich gemeinte Umarmung an, ein offenes Ohr, das einem Gehör schenkt und gleichzeitig längst verständnisvoll weiß, wovon man erzählen wird.
                                                  Ein Geschenk, das man von Generation zu Generation weiterreichen kann und trotz des fortschreitenden Alters des Films immer wieder aufs Neue genau den richtigen Nerv bei denen treffen wird, die sich von den behandelten Themen direkt angesprochen fühlen.

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                                                  • 5 .5

                                                    [...] Freddy Got Fingered wirkt so, als hätten Wiseau, Helge Schneider (Praxis Dr. Hasenbein), Alejandro Jodorowsky (El Topo) und das Duo Friedberg/Seltzer (Date Movie) gemeinsam einen Film auf die Menschheit losgelassen, um so viele Zuschauer wie nur möglich unerbittlich vor den Kopf zu stoßen. Greens Arbeit als Regisseur, Co-Autor und Hauptdarsteller ist nichts weniger als ein bizarrer Anti-Film, der auf eine Form von sinnlosen Szenenverläufen, einem selten dargebotenen Humorverständnis und improvisiert wirkende Dialogen setzt, woraus ein Gesamtwerk entstanden ist, bei dem man kaum glauben kann, dass ein Studio wie 20th Century Fox tatsächlich 14 Millionen Dollar als Unterstützung investiert hat. [...] Zunächst funktioniert dieser Ansatz auch überraschend gut, denn die Parade von kranken Witzen, irritierendem Nonsense, widerlichen Sketchen und einigen Momenten, die einen fast schon dazu treiben, sich die Augen ausstechen zu wollen, bringt Gags hervor, die es so noch nie zu sehen gab und vermutlich in dieser Form und Dichte auch nie wieder geben wird. [...] Das macht den Film allerdings trotzdem kein bisschen erträglicher, denn trotz vereinzelter Höhepunkte, die zum ungläubigen Kopfschütteln und lauten Lachen animieren, entwickelt sich diese Ansammlung maximal gewöhnungsbedürftiger Szenen über fast 90 Minuten hinweg zu einer Geduldsprobe, die ungefähr nach der Hälfte der Laufzeit ermüdende Anstrengung beim Betrachter auslöst. Für einige Hartgesottene dürfte diese Tatsache ebenfalls kein Hindernis darstellen, doch jeder, der vorab überhaupt nicht weiß, worauf er sich bei diesem Film einlässt, sei hiermit gewarnt. [...]

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