Patrick Reinbott - Kommentare

Alle Kommentare von Patrick Reinbott

  • 8
    über Catfish

    Viele dürften das Gefühl kennen, wie leicht es passiert, über ein soziales Netzwerk eine tiefe Bindung zu jemandem aufzubauen. Dabei ist es oft so, dass man diesen Menschen eventuell nur durch die Bilder erlebt, die man von ihm zu sehen bekommt, oder über die Texte, die man miteinander austauscht. Die wirklich reale Persönlichkeit spielt teilweise nicht mal mehr eine entscheidende Rolle, viel wichtiger scheint es zu sein, wie jemand wirkt und von welchen "Teilen" eines Menschen man sich sofort angezogen fühlt.
    Der New Yorker Fotograf Nev Schulman ist so einem Phänomen ebenfalls schnell erlegen, denn als er eines Tages von einem 8-jährigen Mädchen namens Abby wunderschön gemalte Bilder zu seinen Fotos geschickt bekommt, ist er fasziniert. Über Facebook nimmt er umgehend Kontakt mit der Familie von Abby auf, die außerdem eine bildhübsche Halbschwester hat. Mit ihr beginnt Nev eine Art Romanze, nachdem sich schnell viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden ergeben. Da die Familie weit entfernt in Michigan wohnt, spielt sich diese Romanze rein über Chats und Telefonate ab, was den New Yorker irgendwann ungeduldig werden lässt und das Verlangen in ihm auslöst, der Familie einen Besuch abzustatten. All diese Ereignisse werden von Nevs Kollegen, zwei Filmemachern, dokumentiert.
    Um "Catfish" ranken sich einige Diskussionen und Mythen, die so weit gehen, dass der Wahrheitsgehalt des Gezeigten überwiegend in Frage gestellt wird. Nie wird genau klar, wie viel real ist, welche Szenen für den Film nachgespielt wurden und was exakt so vor den Kameras der Verantwortlichen vorgefallen ist. Bereits dieser mysteriöse Aspekt der dubiosen Mehrdeutigkeit verleiht dem Werk eine gewisse Faszination, die allerdings nie verschleiert, dass in "Catfish" immer ein Herz schlägt.
    Ein Herz für das Erzählen einer extrem fesselnden, interessanten Geschichte, die das Leben im momentanen Internetzeitalter perfekt widerspiegelt und ein Herz für eine ambitionierte Inszenierungsweise, die anfängliche Leichtfüßigkeit und Komik zu beklemmender Anspannung führt und schließlich zu etwas ganz anderem werden lässt, als man zunächst vermutet.
    "Catfish" fängt die Moderne auf unglaublich bewegende Weise ein, interessiert sich für die Menschlichkeit hinter dem vordergründig Fiktiven und zeigt auf, wie jeder auf seine ganz eigene Weise intime Facetten und verschiedene Seiten der eigenen Persönlichkeit in die Öffentlichkeit projiziert.
    Während David Fincher im gleichen Jahr, in dem diese Dokumentation erschienen ist, mit seinem Spielfilm "The Social Network" einen wichtigen Beitrag zum Thema "Social Media" leistete, ist "Catfish" ebenfalls ein unglaublich wertvolles Dokument, das soziale Interaktion unter veränderten Bedingungen porträtiert, Täuschung und Inszenierung miteinander verwebt sowie den menschlichen Wert hinter augenscheinlich trügerischen Fassaden auf berührende Weise betont.
    Ob real oder Fake spielt letztlich wieder einmal keine Rolle, denn einen kleinen Geniestreich erlebt man hier so oder so.

    7
    • 6

      [...] Als reiner Thriller, der sein Setting in Echtzeit ablaufen lässt und über knappe 100 Minuten hinweg äußerst geradlinig und kompakt auf den Punkt kommt, ist "Money Monster" überaus wirkungsvoll. Foster inszeniert ihren Film mit messerscharfen Schnitten, durch die sie die zunehmend unübersichtliche, chaotische Situation konzentriert zuspitzt, während die Kamera in flotten Bewegungen durch das Geschehen gleitet. Auch die Film-im-Film-Komponente, die durch das Element einer Live-Übertragung der Show zum Tragen kommt, nutzt die Regisseurin immer wieder gekonnt, um einzelne Szenen durch ansehnliche Kniffe zu pulsierenden Setpieces zu gestalten. Während "Money Monster" als verdichteter Echtzeit-Thriller also kurzweilige Rasanz ausstrahlt, hinterlässt die angestrebte Kapitalismuskritik innerhalb der Handlung einen eher faden Beigeschmack. Den Drehbuchautoren des Films gelingt es nicht, ein komplexes, beinahe unübersichtliches System mit zahlreichen Schuldigen anzuklagen. Stattdessen picken sie sich gegen Ende gezielt einen Schuldigen heraus, der als Sündenbock, also wahrhaftiges "Money Monster", herhalten muss und das Gesicht für die bittere, abscheuliche Seite des Kapitalismus darstellt. Durch die Handlungswendungen im letzten Drittel verstrickt sich der Film in einer Form der sehr schlichten Kategorisierung, durch die sich am Ende alles in einfachem Wohlgefallen auflöst. Das ist bedauerlich, denn auf dem Weg dahin enthält der Streifen immer wieder satirische und durchaus schrille Einlagen, welche die übliche Dramaturgie solcher Geiselnahme-Thriller geschickt unterwandern. In einer Szene wird die schwangere Freundin des Attentäters vor die Kamera gezerrt und reagiert plötzlich auf eine denkbar unerwartete Weise. Ein herrlich böser Moment, der zum Brüllen komisch ist und zu den bissigsten Momenten des Kinojahres zählen dürfte. Dass "Money Monster" dieses Niveau an effektiven Thrills, satirischen Einlagen und ernsthafter Systemkritik zu selten stimmig miteinander kombiniert und sich zum Ende hin in seinem eigentlichen Bestreben verhebt, schadet dem Gesamteindruck eines Films, der zu viel auf einmal will und einzelne Elemente gekonnt verwendet, aber kein schlüssiges Bild entstehen lässt. [...]

      12
      • 6
        über Chopper

        Das Regiedebüt von Andrew Dominik ist in erster Linie eine Demonstration des handwerklichen Talents, durch das der Filmemacher mit seinen nachfolgenden Werken in einen regelrechten Olymp betörender Filmkunst aufgestiegen ist.
        "Chopper" verschreibt sich dem Charakter des realen Mark Brandon Read, ein australischer Krimineller, der mit späteren semi-autobiographischen Büchern zum Bestseller-Autor wurde. Chopper zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass ihm begangene Taten selten nachgewiesen wurden, da er Tatsachen verdrehen konnte oder Lügen ganz zu seinen Gunsten nutzte.
        Ebenso wie der Hauptcharakter vermischt auch der Regisseur Fakten mit Fiktion und erzählt in seinem Film keine klassische Biographie, die von Kindesbeinen an ansetzt, sondern stattdessen einzelne Abschnitte anschneidet. "Chopper" besticht dabei allem voran durch die visuelle Umsetzung, bei der Dominik einen Großteil der Szenen in unterschiedliche Farbfilter hüllt und mit inszenatorischen Tricks wie einer beschleunigten Geschwindigkeit nach dem Konsum von Speed arbeitet.
        Leider vertraut der Regisseur hier noch zu wenig auf sein handwerkliches Geschick und lässt viele Szenen recht unspektakulär vor sich hin laufen, während nicht enden wollende Dialoge als eine Art Dauerbeschallung dienen, welche die wenigen Momente markanter musikalischer Präzision massiv überlagern.
        Als Fels in der Brandung erweist sich Hauptdarsteller Eric Bana, der dem unberechenbaren, paranoiden und schizophren wirkenden Verbrecher eine wuchtige Präsenz verleiht. Auch wenn man dem wahren Charakter von Chopper nie wirklich nahe kommt, ist die Verkörperung von Bana sicherlich ein annehmbarer Kompromiss, um diesem durchaus unsympathischen Zeitgenossen ein Gesicht zu verleihen, das dem realen Mark Read sehr nahe kommt.
        "Chopper" ist ein Film, der sich in die Tradition von Werken wie Nicolas Winding Refns "Bronson" oder Oliver Stones "Natural Born Killers" einreiht, die allesamt das Motiv vereint, dem Kriminellen, Bösen und Abgründigen irgendwie auf die Spur kommen zu wollen und die Faszination dahinter zu ergründen. Andrew Dominik zeigt, was für ein talentierter Handwerker er ist, doch erzählerisch lässt sein Debüt viel Potential ungenutzt und verläuft zu oft in sehr gemäßigten, unauffälligen Bahnen, was nicht so richtig zum markanten Stil passen mag

        8
        • 8

          [...] Dieser Einstieg in die Geschichte ist der Auftakt zu einer mysteriösen Spurensuche, bei der sich Jeanne auf eine Reise in die Vergangenheit begibt, während ihr Bruder längst abgeschlossen hat und den letzten Willen der Mutter ignorieren will. Villeneuve inszeniert den Recherche-Trip von Jeanne als ruhiges Erforschen von unklaren Fragen, schmerzlichen Lücken und regelmäßigen Sackgassen. Die junge Frau stößt immer wieder auf Abweisungen, bekommt weitere Auskünfte verweigert und fragt sich fortan, was ihre Mutter überhaupt für ein Mensch gewesen sein muss, wenn alleine die bloße Erwähnung ihres Namens für Unruhen, laute Diskussionen und raue Reaktionen sorgt. Durch Rückblenden, die der Regisseur parallel in die Haupthandlung einflechtet, ergibt sich nach und nach ein Bild von Nawal, die in ihrer Jugend im nahen Osten zwischen die Fronten eines Bürgerkriegs gerät. Die Frau die singt – Incendies zeichnet in diesen Szenen immer wieder grausame Bilder, in denen unbedarfte Zivilisten und kleine Kinder erschossen sowie Menschen gefangen genommen und auf unvorstellbare Weise gefoltert werden. Dabei verzichtet Villeneuve auf explizite Details, blendet brutale Gewaltspitzen vorzeitig ab und lässt vieles durch Erzählungen und Andeutungen im Kopf des Betrachters entstehen. Je weiter die Handlung voranschreitet, umso mehr wird der Zuschauer vom Film förmlich am Kragen gepackt. Im letzten Drittel mutet das Werk einem viel zu, so manchen werden die erschütternden, herzzerreißenden Enthüllungen, überraschenden Twists und extremen Verwicklungen, bei denen der Zufall mehr als einmal etwas überkonstruiert zuschlägt, womöglich sogar zu viel sein. Trotz allem inszeniert Villeneuve diese Entwicklungen und Konsequenzen nie als sensationslüsterne Paukenschläge, sondern begegnet den herben Schicksalsschlägen und zutiefst schockierenden Erkenntnissen mit zutiefst menschlichen Gesten und einfühlsamen Verständnis, wodurch er seine gebeutelten und mitunter verabscheuungswürdigen Figuren mit Würde und Respekt behandelt. Am Ende verhandelt Die Frau die singt – Incendies seine tiefschürfenden Fragen nach Vergeltung, Schuld und Erlösung mit aufrichtiger Trauer, stiller Hoffnung und versöhnlicher Erfüllung. [...]

          18
          • 6

            Der wahre Lebensweg von Michael Edwards ist eine dieser Geschichten, die sich perfekt für ein Biopic eignen. Der Werdegang des britischen, äußerst eigenwilligen Skispringers, der es bis zum Weltrekord brachte, ist gepflastert von schrägen Zwischenfällen, herben Rückschlägen, glücklichen Fügungen und herzerwärmenden Erfolgsmomenten.
            Exakt diese Art von Stimmungen und Gefühlsrichtungen transportiert Dexter Fletcher in "Eddie the Eagle", mit dem er der realen Persönlichkeit ein filmisches Denkmal setzt. Der Regisseur presst die wichtigsten Stationen, Erlebnisse und Hürden aus dem Leben des Briten in ein massenkonformes Gewand, bei dem das typische Konzept des liebenswerten Underdog greift. Dieser Eddie ist aber auch eine ungewöhnliche Erscheinung, wenn er die Augen ständig zusammenkneift, ihm die dicke Brille fast von der Nase rutscht und er dabei immer ein ermutigendes Lächeln sowie unermüdlichen Kampfgeist an den Tag legt.
            Dass "Eddie the Eagle" die Sympathien des Zuschauers auf sich ziehen kann, liegt daher vor allem an der starken Schauspieldarbietung von Taron Egerton. Als er bei einem breiteren Publikum kürzlich noch durch seine Hauptrolle in "Kingsman: The Secret Service" öffentliche Bekanntheit erlangte, nahm man Egerton die Mischung aus rüpelhaften Jugendlichen und smarten Nachwuchsagenten noch nicht so ganz ab. In diesem Film hat er allerdings direkt eine Figur gefunden, die er sich vollkommen zueigen macht und gleichzeitig für die Zuschauerschaft öffnet, um Eddie trotz seiner Macken als absoluten Charmebolzen zu präsentieren.
            Dramaturgisch steht "Eddie the Eagle" dagegen auf wackligen Beinen, denn über bekannte Klischees und vertraute Konventionen traut sich die Handlung, die vom Üben, Hinfallen, Aufrappeln, Zurückkämpfen und schlussendlichen Triumphieren handelt, kaum hinaus.
            Im Zusammenspiel mit Hugh Jackman als charismatischen Motivator und einigen Nebenfiguren wie den Eltern von Eddie vereint der Streifen flapsigen Spaß, wohligen Kitsch, vorhersehbare Entwicklungen und etwas einfältige Botschaften. So ist "Eddie the Eagle" seichte Biopic-Unterhaltung für zwischendurch, die man sich gerne ansieht, aber vermutlich schnell wieder vergessen wird.

            9
            • 8

              [...] Flackernde Stroboskopgewitter blitzen in bunten Farben vor den Augen auf, während hämmernde Techno-Beats in die Gehörgänge knallen. Bereits in den ersten 10 Minuten des Films dürfte sich bei vielen Zuschauern ein mulmiges Gefühl im Magen breit machen oder der Wunsch, sich irgendwo festzuhalten, um nicht die Haftung zur Realität zu verlieren und in einen orientierungslosen Rausch zu stürzen, der durch plötzliche Zeitraffer, Kameraspielereien und besondere Lichtstimmungen in Folge des Verzichts auf jegliche künstliche Beleuchtung zusätzlich für befremdliche Reaktionen sorgen dürfte. In Der Nachtmahr beweist der Regisseur allerdings nicht nur, dass er sein Handwerk blendend versteht und ein wundervolles Gespür dafür besitzt, die Grenzen audiovisueller Belastungsfähigkeit auszuloten. Auch inhaltlich ist der Film ein berauschendes Werk fernab deutscher Konventionen, viel näher angesiedelt an den albtraumhaften, surrealen Kopfgeburten eines David Lynch (Lost Highway) oder den liquiden, kontroversen Narrativen eines Gaspar Noé (Enter the Void). [...] Die Kreatur in Der Nachtmahr darf als Symbol für sämtliche Laster und Probleme der Hauptfigur verstanden werden, welches auf unschöne Weise all das zum Vorschein bringt, was tief in Tina schlummert, vom konservativ-spießbürgerlichen Elternhaus unterdrückt wird und nur unbemerkt ausbrechen darf. Erst durch eine langsame Annäherung zwischen ihr und dem Nachtmahr, bei dem das Mädchen außerdem bemerkt, dass beide gefühlstechnisch verbunden sind, findet Tina langsam einen Halt. Das eigentlich abstoßende Monster erscheint auf einmal reizvoller und interessanter als alles, was sich in Wirklichkeit im Umfeld der Teenagerin ereignet und könnte schlussendlich dafür stehen, dass die Akzeptanz des Nachtmahrs ebenfalls eine Akzeptanz von Tinas eigener Persönlichkeit ist. Das schönste an dem Film ist aber, dass diese Art der Interpretation ebenso komplett daneben gegriffen sein könnte, denn Der Nachtmahr verläuft zum Ende hin immer stärker neben der Spur, lädt zur vielseitigen Deutung ein und kann darüber hinaus auf einer rein sinnlichen Ebene als wundervolles Spiel mit Erwartungshaltungen, Einschätzungen und Konventionen aufgenommen werden. [...]

              16
              • 6 .5
                über Mustang

                Durch unseren westlichen Blickwinkel, mit dem wir Deutsche einen Film wie "Mustang" sehen, erscheinen die Zustände, Verhaltensweisen und Traditionen in Deniz Gamze Ergüvens Regiedebüt oftmals erschreckend oder stimmen geradezu wütend.
                Die Regisseurin findet für ihre Geschichte von fünf jungen Schwestern, die den gesellschaftlichen Bräuchen, strengen Vorschriften und mitunter jahrhundertealten Denkweisen familiärer, türkischer Erziehung ausgesetzt sind, gleichermaßen konkrete wie traumhaft überspitzte Bilder.
                Ein vergleichsweise harmloses Spiel mit gleichaltrigen Jungs am Strand führt zur Katastrophe. Gitterstäbe an den Fenstern und verschlossene Türen machen aus den eigenen vier Wänden ein Gefängnis, zugeknöpfte oder viel zu lange Kleider schnüren die Mädchen in ein eingezwängtes Korsett und ein Leben in Zwangsheirat, dem Mann unterwürfig, soll ihnen bevorstehen.
                Ergüven richtet ihren stromlinienförmigen Film ganz nach der kindlich-aufgeweckten Perspektive der fünf Schwestern aus. Dabei setzt sie der bitteren Tristesse eines Lebens in buchstäblichen Fesseln quirlige Energie und den Drang nach neugieriger, unbändiger Selbstbestimmung entgegen.
                "Mustang" ist daher unverkennbar ein durch und durch feministischer und femininer Film, in dem die Kamera oft ganz nah an den Körpern und Gesichtern der jungen Darstellerinnen haftet, während Männer hier bis auf kleinere Ausnahmen nicht besonders gut wegkommen. Der Streifen gleitet in seiner einfachen Erzählweise unaufgeregt voran und leistet sich inhaltlich nur ein oder zwei grobe Ausrutscher, die dramaturgisch forciert wirken. Auch wenn den Bildern immer wieder ein schimmerndes Licht anhaftet, das verträumte Unwirklichkeit ausstrahlt, fehlt Ergüven etwas die mutige, experimentelle Verspieltheit, mit der beispielsweise Sofia Coppola in ihrem thematisch durchaus ähnlich gelagerten Werk "The Virgin Suicides" auffiel.
                Durch die etwas einseitige, beschränkte Sichtweise ist "Mustang" zwar ein verdichteter Streifen, dessen inhaltliche Brisanz Wirkung zeigt, doch der Eindruck eines weitreichenderen, aufgeschlosseneren Films, der verschiedene Seiten beleuchtet, fehlt Ergüvens Debüt daher.

                7
                • 5 .5

                  [...] Satirischen Tiefgang lässt der extreme Comedian, der hier wieder maßgeblich am Drehbuch beteiligt war, mittlerweile fast komplett hinter sich. Stattdessen treibt er das Maß an grenzdebilen Reißern, schwarzhumorigen Eskalationen sowie geschmacklosen, politisch unkorrekten Gags respektlos auf die Spitze. Mit einer als "Elefanten-Szene" bereits im Vorfeld zu zweifelhafter Berühmtheit gelangten Einlage dürfte Cohen der wohl abstoßendste, ekelerregendste Coup seiner bisherigen Filmographie gelungen sein, bei dem ungefähr nach der Hälfte der Laufzeit auch die Letzten abschalten dürften, die bereits in vorherigen Szenen an ihre persönlichen Geschmacksgrenzen gestoßen sind. Überhaupt richtet sich der Humor in "Der Spion und sein Bruder" nur an Hardcore-Anhänger von Cohen, die bereit sind, auch über derbe Seitenhiebe gegen soziale Minderheiten, Homosexuelle, AIDS-Erkrankte oder körperlich Benachteiligte zu lachen. Aufgrund des stumpfen Konglomerats an billigen Fäkalwitzen, gewalttätigen Aussetzern, folgenreichem Slapstick und schwindelerregenden Tiefschlägen verpuffen viele Späße etwas wirkungslos, wobei bei diesem Rundumschlag durchaus einige Treffer dabei sind, bei denen man sich leicht unangenehm unterhalten fühlen darf. Die auffällig kurze Laufzeit von nur 83 Minuten wird allerdings nicht alleine von einem einzigen Gagfeuerwerk bestimmt, sondern versucht sich darüber hinaus in der Vereinigung unterschiedlicher Stilrichtungen, was nur bedingt funktioniert. Als klassische Agentenfilm-Parodie hakt "Der Spion und sein Bruder" lediglich Allgemeinschauplätze ab, bietet exotische Locations, stoische Widersacher (hier in Form des physisch wie immer überaus präsenten Scott Adkins), einen albern nachgeahmten Akzent von Ur-Bond Sean Connery und zum Ende hin eine äußerst hanebüchene Motivation der Bösen. Diese genüsslich auf die Schippe genommenen Elemente können aber nur schwer darüber hinweg täuschen, dass die Geschichte an sich von vorne bis hinten vorhersehbar, belanglos und somit überflüssig ist und dadurch die kurzweiligen Gags unnötig ausbremst. Zusätzlich wurden störende Rückblenden in den Film eingesetzt, welche die Kindheit der späteren ungleichen Brüder in ein emotionales Verhältnis setzen sollen. Diese Form der übermäßigen Gefühligkeit steht dem Werk ganz und gar nicht und wirkt ebenfalls befremdlich in Verbindung mit dem ansonsten respektlos-rücksichtslosen Tonfall. [...]

                  5
                  • 4

                    Natürlich ist es irgendwo ungerecht, wenn man bei der Serien-Neuauflage von "Rosemary´s Baby" automatisch Vergleiche zu Roman Polanskis Filmadaption des Romans von Ira Levin zieht. Trotzdem kommt an diesem Umstand kaum vorbei, denn Polanskis Version ist nahezu kongenial, ein Klassiker der Horrorfilmgeschichte, in dem sich subtile Vorzeichen, furchteinflößende Zwischenfälle, gruselige Symbolik und wahnhafte Paranoia zu einem wahren Kaleidoskop des Terrors formten.
                    Die Mini-Serie ist in zwei Teile untergliedert und streckt die Vorlage auf knapp drei Stunden Gesamtlaufzeit, was immerhin besser ist, als dass man die Geschichte des Romans unnötig auf mehrere Episoden ausdehnt. Ansonsten ist diese Interpretation des subtilen Stoffs leider nahezu vollkommen misslungen, was vor allem an der Inszenierung liegt. Echter Horror will hier nie so wirklich aufkommen, auch wenn die Verantwortlichen stellenweise bemüht sind, das Geschehen mit satanischer Symbolik, willkürlich eingestreuten Traumsequenzen oder unschönen Todesfällen zu durchsetzen. Im insgesamt lediglich vor sich hin plätschernden Handlungsverlauf ergeben diese Einzelteile aber nie ein beunruhigendes Gesamtbild. Während Polanski in seinem Film die Spannungsschraube kontinuierlich anziehen konnte, den Horror überwiegend in den Köpfen der Zuschauer stattfinden ließ und den Level an Paranoia und Angst immer stärker zuspitzte, geschieht dies in der Serien-Version nur sporadisch. Die Neuauflage von "Rosemary´s Baby" wirkt über weite Strecken schlichtweg zu zahm, verwechselt schleichende Beklemmung mit platten Gewalteinschüben und schafft es nie, dass man als Betrachter Angst empfindet und mit der Protagonistin mitfiebert oder mitleidet.
                    Dabei blitzt dramaturgisches Potential immer wieder mal auf. Nachdem Rosemary direkt zu Beginn der Geschichte eine Fehlgeburt erleidet und mit ihrem Mann in Paris einen Neuanfang wagt, woraufhin sie später noch einmal schwanger wird, fühlt man mit der jungen Frau durchaus mit, als sich erneut merkwürdige Unregelmäßigkeiten in ihrem Schwangerschaftsverlauf ereignen. Hauptdarstellerin Zoe Saldana gelingt es in diesen Szenen, die verzweifelte Hysterie ihrer Figur überzeugend zu spielen, während sie in den meisten anderen Momenten eher weinerlich und unsicher wirkt, ohne jemals an den bisweilen manischen Wahnsinn von Mia Farrow aus Polanskis Film heranzureichen.
                    "Rosemary´s Baby" als Mini-Serie ist daher eigentlich niemandem so wirklich zu empfehlen. Absolute Neueinsteiger, die mit dem Roman oder dem Film von Roman Polanski bisher keinerlei Berührungspunkte hatten, erhalten ein belangloses, durchschnittliches und nach Schema F gestricktes Horror-Vehikel, während Fans des Materials von dieser Interpretation möglichst weiten Abstand halten sollten.

                    6
                    • 7 .5

                      [...] Im Alter von gerade mal 34 Jahren erlitt Lotje einen schweren Schlaganfall, nach dem Teile ihres Gehirns offenbar für immer beschädigt wurden. Das Sprechen wird zu Herausforderung, Lesen und Schreiben hat sie völlig verlernt. Zusammen mit der Regisseurin Sophie Robinson lässt die Engländerin den Zuschauer in der Netflix-Dokumentation My Beautiful Broken Brain an ihrem schwierigen, außergewöhnlichen Weg zurück in ein koordiniertes Leben teilhaben. Die Ereignisse, die zu ihrem Schlaganfall geführt haben, werden von Freunden und Verwandten in Einzelgesprächen geschildert, was den Eindruck einer gewöhnlichen Dokumentation zunächst verstärkt. Ab dem Moment der Rehabilitation betritt My Beautiful Broken Brain allerdings experimentelle Pfade, wenn die Dokumentation versucht, dem Zuschauer das völlig neue, andersartige Empfinden von Lotje verständlich nahezubringen. Mit ihrem Schlaganfall ging nicht nur ein Verlust kognitiver und geistiger Fähigkeiten einher, sondern auch eine komplette Veränderung der Wahrnehmung. Lotje beschreibt ihre surreale, neue Sichtweise, bei der durch ihr rechtes Auge Farben ständig intensiv explodieren und Geräusche stark intensiviert werden, als befände sie sich in einem Film von David Lynch (Mulholland Drive). Auf der audiovisuellen Ebene transformiert die Dokumentation dieses spezielle Empfinden von Lotje in verfremdete Welten, in denen ebenfalls Farben wie aus einem Regenbogen auftauchen, Schriften und Abbildungen immer wieder verschwimmen oder verfliegen und Umgebungsgeräusche zu einem dichten Wirrwarr verkommen. [...] Die Lebensfreude und der starke Optimismus, mit dem sich diese Frau zurück in einen weitestgehend geregelten Alltag kämpfen will, verbissen Sprachtraining absolviert und gleichzeitig akzeptiert, dass sie sich aufgrund ihrer durcheinandergebrachten Wahrnehmung ein gänzlich neues Bild von der Welt erschaffen kann, machen aus My Beautiful Broken Brain eine sehr persönliche Angelegenheit, die den Betrachter unweigerlich mitreißt. [...]

                      5
                      • 3 .5

                        Für "Beyond the Valley of the Dolls" schrieb der weltberühmte Roger Ebert sein erstes Drehbuch. Das Ergebnis veranschaulicht sehr gut, weshalb Ebert wesentlich besser beraten war, in erster Linie Filmkritiken zu schreiben und sich im Berufsfeld der Drehbuchautoren künftig sehr bedeckt zu halten.
                        Irgendwo im Kern des Films versteckt sich eine Art Showbiz-Satire, die vor allem dadurch erkennbar wird, dass Ebert simple Klischee-Figuren entwirft, die sich perfekt in das Bild einer rücksichtslosen Industrie einfügen, welche ihre Talente nach und nach verschlingt.
                        Da gibt es den exzentrischen Musikproduzenten, der ausufernde Partys schmeißt, auf denen Sex und Drogen im Überfluss dazugehören. Oder den zwielichtigen Anwalt, der seine Klienten ganz zu seinen Gunsten manipuliert und vordergründig auf das eigene Wohl aus ist. Und natürlich die Rock n´ Roll Band, in diesem Film selbstverständlich bestehend aus sehr gut aussehenden, jungen Frauen, die den Sprung nach Los Angeles wagen und zwischen Affären, Drogenexzessen und Intrigen Stück für Stück den Boden unter den Füßen verlieren.
                        Das Problem ist nur, dass diese satirischen Ansätze vom Reißbrett selten zum Vorschein kommen. Die meisten Szenen in "Beyond the Valley of the Dolls" wirken eher wie uninteressantes Vorgeplänkel aus einem billigen Softporno, was durch die furchtbar geschriebenen und passenderweise unerträglich vorgetragenen Dialoge sowie plump ausgewälzte Szenerien zum Ausdruck kommt. Wie es sich für einen Film von Russ Meyer gehört, dürfen die üppig bestückten Damen ihre schlagenden Argumente zu sämtlichen Anlässen vor der Kamera entblößen, während Mann und Frau oder Frau und Frau oder Mann und Mann zu zahlreichen Gelegenheiten miteinander in die Kiste steigen.
                        Vor dem kompletten Totalausfall wird dieser Film nur von seiner psychedelischen Cinematographie bewahrt, bei der Meyer einige irrwitzige Montagen und berauschende Einstellungen kreiert. Außerdem könnte man alleine aufgrund des Finales kurioserweise tatsächlich eine Sehempfehlung aussprechen. In den letzten 15 Minuten wandelt sich "Beyond the Valley of the Dolls" völlig überraschend zu einem Exploitation-Exzess, in dem Figuren mit Schwertern enthauptet, an Pistolenläufen gelutscht sowie Geschlechter gewechselt werden. Lediglich in diesem entfesselten Schlussakt präsentiert sich der Streifen als die Trash-Offenbarung, welche die vorherigen, unglaublich zähen und quälend oder nur betrunken zu ertragenden 94 Minuten nicht erfüllen konnten.

                        7
                        • 6

                          Egoistische Oberflächkeiten, obsessiver Schönheitswahn und mörderische Eifersucht prallen in "Death Becomes Her" auf schrille Weise aufeinander. Der Film, der in Los Angeles, der Welt der Reichen und Schönen angesiedelt ist, treibt die schiere Besessenheit seiner selbstsüchtigen Stars und Sternchen nach ewiger Jugend und makelloser Schönheit auf ein bizarr-zynisches Höchstmaß.
                          Im Schaffen von Robert Zemeckis dürfte dieses Werk wohl zum abgedrehtesten zählen, was der Regisseur bislang gedreht hat. Auch wenn die Handlung etwas Anlauf braucht, um Fahrt aufzunehmen und regelmäßig ins Stocken gerät, erinnert "Death Becomes Her" in seinen besten Momenten an die früheren Arbeiten eines Joe Dante oder Sam Raimi. Sobald sich die zwei unsterblichen Furien in Gestalt von Meryl Streep und Goldie Hawn bekriegen, fliegen im wahrsten Sinne des Wortes die Fetzen, werden Körperteile verbogen, Knochen gebrochen oder riesige Löcher durch den Rumpf geschossen.
                          Durch diese schwarzhumorige Unbekümmertheit und freche Respektlosigkeit versprüht der Film einen anarchischen Spaß, dessen Effekte anständig gealtert sind. Einem Bruce Willis zuzusehen, wie er mitten in seiner schauspielerischen Glanzzeit als abgewrackter, hysterischer Schönheitschirurg zwischen die Fronten zweier unbändiger Diven gerät, ist außerdem ein netter Bonus, der diese schräge Komödie auflockert, die ansonsten zwischen der satirischen Botschaft, unkontrolliertem Tumult und banalen Erzählstrukturen über den Status des kurzweiligen Schabernacks kaum hinausreicht.

                          12
                          • 7 .5

                            [...] Die schlichte Optik und eingeschränkten Schauplätze, welche aus dem geringen Budget resultieren, wertet Blackshear mit einem deutlichen Talent bei der Inszenierung auf. Das zeigt sich darin, dass der Regisseur von völlig vertrauten, alltäglichen Momenten urplötzlich und extrem unvermittelt zu beängstigenden Situationen wechselt. Der Horror in They Look Like People entsteht aus dem Innenleben der Figuren heraus, schleicht sich in das Gewohnte und bringt Unangenehmes zum Vorschein, das man am liebsten verdrängen möchte. Dieses Gefühl, mit dem sich sicherlich die meisten identifizieren können, wenn man glaubt, langsam den Verstand zu verlieren, am Rande des Wahnsinns zu stehen und Dinge zu erleben, die scheinbare Normalität auf einmal in unerklärlichen Terror verwandeln. Blackshear greift es in seinem Werk mehrfach auf und streut in den ansonsten eher gemächlichen Handlungsverlauf einige schier unerträgliche Spannungs- sowie Schreckensmomente. Hinter all dem, den surrealen Momenten, der nervenzehrenden Klangkulisse und dem ständigen Gefühl der ungewissen Paranoia, steckt in They Look Like People im Kern aber eine Geschichte, in der Warnzeichen psychischer Erkrankungen, unmittelbare Auswirkungen auf die eigene Persönlichkeit und vor allem Themen wie Freundschaft, Zusammenhalt und Verbundenheit in schwierigen Zeiten der Belastung aufgegriffen werden. In dieser Hinsicht führt der Regisseur seinen Film zu einem ebenso konsequenten wie mitreißenden Finale, in dem sich die Emotionen endgültig in einem markerschütternden Höhepunkt entladen. [...]

                            10
                            • 3

                              Viele Filme, die von Kritikern und ihrem Publikum einstimmig abgelehnt oder sogar wütend in der Luft zerrissen werden, schreien förmlich danach, dass man sie sich ansieht, nur um selbst zu prüfen, ob nicht vielleicht doch irgendetwas faszinierendes, überzeugendes, außergewöhnliches oder bemerkenswertes in ihnen verborgen liegt. Im Fall von "Gods of Egypt" wird dieses milde ausgedrückt angespanntes Verhältnis zwischen Alex Proyas und der Öffentlichkeit noch zusätzlich angeheizt durch den Facebook-Post des Regisseurs, in dem dieser alle Kritiker als verwirrte Idioten bezeichnete, die sich nie eine eigene Meinung bilden und als kollektiver Schwarm nur eine Meinung vertreten können.
                              Dieser ganze Wirbel verschleiert ganz gut, dass der Film selbst eher kaum der Rede wert ist, denn "Gods of Egypts" ist auf praktisch allen Ebenen ein belangloses, überlautes, missratenes Fiasko, an dem sich tatsächlich so gut wie gar nichts finden mag, das einigermaßen positiv heraussticht. Proyas beschwört eine Familienfehde in einem antiken Griechenland herauf, das von übermächtigen Göttern und gewöhnlichen Menschen bevölkert wird, und weitet die altbekannte Keilerei, die sich um Macht, Egoismus, Liebe und Rache dreht, auf unnötig epische Proportionen aus. In den Ring geworfen werden daher krude Transformationen, wüste Kreaturen, knifflige Rätsel, Hindernisse in Form von tödlichen Prüfungen und noch viel mehr Effektspektakel.
                              Die Grenze zwischen einem multimillionenschweren Blockbuster, der tatsächlich eine Kinoauswertung erhielt und einer billigen Trash-Produktion aus der berühmten Asylum-Schmiede, die Mega-Budget-Produktionen mehr oder weniger fast schon parodistisch imitiert, verläuft hier extrem dünn. Alle Effekte sind durch die Bank weg unterirdisch schlecht, sehen meist aus wie Zwischensequenzen aus einem Playstation-2-Spiel und machen aus den Actionsequenzen ein überwiegend lärmendes, unübersichtliches Chaos, das einen ständig unangenehm aus dem Geschehen reißt. Da ist es fast schon amüsant, dass Darsteller wie Nikolaj Coster-Waldau und Brenton Thwaites zwischen ihren ansonsten unglaublich hölzernen Dialogen ab und an so etwas wie Selbstironie durchblitzen lassen, was so wirkt, als seien sie sich dem Desaster, in dem sie gerade mitwirken, sehr wohl bewusst und kommentieren es lieber direkt selbst augenzwinkernd. Gerard Butler kommt einem aufgrund seines bierernsten, irischen Rumgebrülls dagegen so vor, als würde er gerade besoffen eine Kneipenschlägerei anzetteln.
                              Die hauchdünne Geschichte, an der man als Zuschauer ohnehin bereits nach kurzer Zeit jegliches Interesse verliert, wird somit nur durch die Tatsache ausgeglichen, dass der Film in seiner eigenen Schizophrenie, in der sich ein komplett ernst gemeinter Blockbuster und ein abgefahrenes Trash-Vehikel gegenseitig bekämpfen, beinahe so etwas wie eine interessante Ausstrahlung versprüht. Aber nur beinahe.

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                              • 8 .5

                                Die Jahre der Pubertät können für einen heranwachsenden Teenager die schwierigsten sein, wenn auch nur in dem Moment, in dem man sich unmittelbar in ihnen befindet. Rückblickend entwickelt man als Erwachsener durchaus angenehmere Gefühle an eine Zeit, in der man die meisten Ereignisse aufregender und neuer erlebt, auch wenn es meistens die größte Hürde darstellt, eine eigene Stimme zu finden, sich als individuelle Persönlichkeit zu behaupten und Eigenständigkeit zu entwickeln.
                                All diese Empfindungen spielen eine große Rolle in "Fish Tank", dem Sozialdrama von Andrea Arnold, bei dem die Regisseurin in die Untiefen der britischen Unterschicht eintaucht. Die Regisseurin schildert das Leben der 15-jährigen Mia, die in einer typischen Problemfamilie aufwächst, mit einer nervigen kleinen Schwester und einer alleinerziehenden Mutter, die nicht nur dem Alkohol mehr als zugeneigt ist, sondern wenig Aufmerksamkeit für ihre Kinder übrig hat.
                                Mit einem nüchtern-realistischen Stil, bei dem Arnold durchwegs eine distanzierte Sachlichkeit bewahrt und nie in voyeuristische Gefilde eines Sozialpornos abrutscht, dokumentiert die Regisseurin auf erstaunlich realitätsnahe, eindringliche Weise den Alltag eines überforderten, unverstandenen Mädchens, das zwischen der schmutzigen Tristesse ihres Umfelds, der Suche nach einer eigenen Identität sowie ständig neuen Reizen und Einflüssen strauchelt, stolpert, kämpft und leidet.
                                Als sie in dem aktuellen Liebhaber ihrer Mutter endlich so etwas wie Akzeptanz und Verständnis findet, einen Menschen, der sich für sie interessiert, ihr Mut zuspricht und sie anspornt, einfach durchzuziehen, was sie sich in den Kopf setzt, entwickelt sich "Fish Tank" fortlaufend zu einer Achterbahn der Emotionen, die schwungvolle Höhen genauso parat hält wie erschütternde Tiefen, sobald sich herbe Erkenntnisse offenbaren und Träume von einem Moment zum anderen leicht wie Seifenblasen wieder zerplatzen.
                                Das faszinierendste an diesem Film ist allerdings, auf welche Weise die Regisseurin Musik einsetzt. Wenn sich Mia zu den wunderschönen Klängen von Bobby Womacks "California Dreaming" oder den treibenden Beats von Nas´ "Life´s a Bitch" in einen wahren Rausch tanzt, wenn sich die unterschiedlichen Figuren allgemein in den Klängen von Songs verlieren und sich ein Tor zu öffnen scheint, das den Charakteren wenigstens für einen kurzen Moment einen Ausweg aus ihrer aktuell hoffnungslos scheinenden Situation anbietet, dann erhält die Musik in "Fish Tank" eine nahezu transzendentale Schönheit, die von einem tiefen Verständnis der Regisseurin gegenüber diesem Lebensgefühl zeugt.
                                Ein kleines Meisterwerk, das von bitterer Schönheit, zärtlicher Alltäglichkeit und wunderbar hingebungsvollen Schauspielern bewohnt wird.

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                                • 7 .5

                                  [...] Der Totmacher wurde hierfür in seiner Inszenierung auf das absolut Wesentliche reduziert. Ein Raum, ein Tisch, zwei Stühle, zwei Personen. Viel mehr bekommt der Zuschauer in dem Film nicht zu sehen, als dieses beklemmende, unangenehme Kammerspiel, in dem der reale Fall nur durch Worte, Gesten und natürlich ein unentwegt befeuertes Kopfkino vor dem geistigen Auge ausgebreitet wird. Dabei lebt der Streifen ganz klar von seinen beiden Hauptdarstellern, die ihre Rollen nahezu perfekt verkörpern. Vor allem Götz George (Schtonk!) läuft zur beängstigenden Höchstform auf, wenn er Haarmann mit einer Mischung aus naivem Kleinkind, unberechenbarem Psychopathen und nachdenklichem Mysterium anlegt, zwischen erschreckenden Gefühlsausbrüchen und Eiseskälte schaltet und seine Figur dabei nie vollständig zur rational fassbaren Entschlüsselung preisgibt. Die größte Spannung generiert der Film aus dem Zusammenspiel von George und Jürgen Hentsch (Fette Welt), der den Psychiater spielt. Während Schultz anfangs noch komplett hinter seiner professionellen Fassade verweilt, gelingt es ihm im Verlauf der Handlung nur schwer, den objektiven Beobachter und Fragestellenden aufrecht zu erhalten. Der Totmacher sorgt aufgrund der stetigen Verschiebung von Sympathien, dem konstanten Testen von Grenzen und einem moralisch auf beiden Seiten fragwürdigen Verhältnis dafür, dass weder der seriöse Psychiater, noch der abstoßende Mörder zu klaren charakterlichen Bildern finden. In einigen wenigen Szenen lässt sich sogar ein mildes Lächeln auf dem Gesicht von Schultz erkennen, wenn er plötzlich vollständig in den Erzählungen von Haarmann versinkt, während er kurz vorher noch stark aus der Fassung geriet und seinem Gegenüber harsch entgegnete, dass im Himmel für ihn auf gar keinen Fall ein Platz frei wäre. Zu den schwer erträglichsten Momenten gehören außerdem die detaillierten Schilderungen der Tatvorgänge, bei denen Haarmann mit einer geradezu selbstverständlichen Sachlichkeit davon berichtet, wie er die Leichen der Kinder, die er am liebsten als "Puppenjungs" bezeichnet, fein säuberlich aufschneidet, zerstückelt und beseitigt. [...]

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                                  • 7

                                    In den letzten Jahren sind diese typischen Teenie-Highschool-Komödien, wie es sie Ende der 90er und Anfang der 00er zuhauf gab, sehr selten geworden. Schließt man sämtliche Filme aus, die in das Raster der wohligen Sundance-Independent-Streifen fallen, muss man schon sehr genau suchen, um einen Film zu finden, der den Geist von Werken wie "Mean Girls" oder "American Pie" in sich trägt. Mit "The DUFF" ist endlich mal wieder genau so ein Film entstanden, bei dem man erleichtert feststellen darf, dass die Sorgen und Probleme der Teenager immer noch die gleichen sind, nur eben in einem zeitgemäßen Umfeld.
                                    Ari Sandel trifft ziemlich exakt den Stil dieser Filmwelle, die vor gut 15 Jahren noch ihre Hochzeit feierte. Dabei führt er sämtliche Stereotypen wie den durchtrainierten Sportlertypen, die hassenswerte, perfekt aussehende Oberzicke und das schüchterne, nerdige Mädchen mit einem Augenzwinkern vor, dreht die charakterlichen Eigenschaften seiner Figuren teilweise bis zum Fremdscham auf und führt einen auf angenehm nostalgische Weise in die Zeit dieser ebenso seichten wie charmanten Filme zurück, in denen sich frustrierende Teenager nach Anerkennung und Zugehörigkeit sehnen, den ersten Liebeleien nachschwärmen und in viele kleinere und größere Fettnäpfchen treten.
                                    Natürlich ist es etwas skurril, dass einem die eigentlich wirklich sympathische und durchaus süße Hauptfigur als unbeachtete, unattraktive Außenseiterin verkauft wird, nur weil sie Latzhosen trägt, gerne ältere Horrorfilme schaut ("There's a Vincent Price marathon on, so I gotta watch that.") und nicht annähernd so stark geschminkt ist wie alle anderen Mädchen um sie herum. Mae Whitman spielt ihre Bianca Piper noch dazu derart charmant, frech und liebenswert, dass man sich ihrer Ausstrahlung grundsätzlich kaum entziehen kann.
                                    Trotzdem ist es schön, dass "The DUFF" vor allem auch ein Film ist, der sich dem weitläufigen Trend entzieht, seine Figuren einer allzu ironischen Brechung auszuliefern, der immer wieder mit großartig geschriebenem Wortwitz und herrlicher Situationskomik aufwartet und der moderne Alltäglichkeiten wie Social-Media-Statussymbolik und Cyber-Mobbing auf eine selbstverständliche, mitunter auch mal grell überzeichnete Weise einbindet.
                                    Dass der Streifen handlungstechnisch ungefähr bereits ab der Hälfte in extrem vorhersehbare Bahnen steuert und auf ein Ende zuläuft, das man lange vorab kommen sieht, wird da fast schon zum nebensächlichen Manko, das die naive Herzlichkeit, die sympathischen Figuren und der spritzige Witz locker ausgleichen.
                                    "The DUFF" stellt somit das Äquivalent zu einem freudigen Klassentreffen dar, das mit peinlichen, unangenehmen Aussetzern genauso aufwartet wie mit zahlreichen Momenten, die man aufgrund der sympathischen, nostalgischen Art sofort wieder in sein Herz schließt.

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                                      [...] Willkommen im Leben der Fangs. Eine Familie, bestehend aus Künstlern, die ihre Kinder von klein auf mit in ihre sehr speziellen Performances einbeziehen. Zu diesen seltsamen Auftritten gehört vor allem der Aspekt, dass ein unwissender Teil der Öffentlichkeit stets Zeuge ihrer aufgeführten Stücke wird. [...] Der von Schauspieler Jason Bateman (The Gift) gedrehte und auf einem Bestseller-Roman basierende Film beleuchtet in seinem Kern allerdings nicht die Wirkung, welche die Familie mit ihren Kunst-Performances auf die Öffentlichkeit ausübt, sondern konzentriert sich auf die unmittelbaren Folgen, die solch ein extremer Lebensstil für die eigenen Nachkommen hat. [...] Auch wenn The Family Fang naturgemäß aufgrund der äußerst verschrobenen Lebensweise der hier gezeigten Figuren immer wieder von einer absurden Komik durchzogen wird, ist der Film viel mehr ein klassisches Familiendrama mit unkonventioneller Verkleidung, in dem auf teilweise bedrückende Art ersichtlich wird, was für einen starken Einfluss der Umgang in der Erziehung auch noch Jahrzehnte später anrichten kann. [...] Trotzdem gelingt es ihm nicht immer, dem Zuschauer einen emotionalen Zugang zu den Figuren, ihren Gefühlen und Motivationen zu geben. Die Familie Fang als Ganzes bleibt manchmal seltsam fremd, auch weil ihre schräge Art und die mitunter sehr albernen, sinnlosen Aktionen verständlicherweise auf ein grundsätzliches Unverständnis stoßen können. Im Mittelteil plätschert das Geschehen zusätzlich ziemlich ziellos vor sich hin, ohne den zuvor offengelegten Aussagen der Geschichte nennenswerte Einsichten, überraschende Entwicklungen oder mitreißende Verwicklungen hinzuzufügen. Auch wenn der Regisseur unter anderem namhafte Darsteller wie Nicole Kidman (Stoker) oder Christopher Walken (Pulp Fiction) für sein Werk verpflichten konnte, was definitiv dazu beiträgt, den nicht ganz einfach zu erfassenden Figuren gewisse Sympathiewerte zu verleihen, bleibt The Family Fang dramaturgisch etwas zu stark zerfasert, zu unentschieden zwischen absurdem Humor und tragischer Ambition, um einen trotz des zwar vorhersehbaren, aber wirkungsvollen Finales nachträglich zu berühren. [...]

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                                      • 8 .5

                                        Das Glaushaus, in dem George Falconer wohnt und das von außen direkt einen Einblick in seinen persönlichen Lebensraum gewährt, ist ein fast schon schmerzlich ironischer Gegensatz zu seinem eigentlichen Wesen. George ist homosexuell, doch die gesellschaftlichen Zustände, die in den späten 60ern vorherrschen, zwingen ihn dazu, sein Inneres zu verbergen, nach außen hin eine Rolle zu spielen und seine wahren Gefühle in der Öffentlichkeit zu unterdrücken.
                                        Tom Ford, seines Zeichens erfolgreicher Modedesigner, hat mit "A Single Man" sein Debüt als Regisseur vorgelegt und dafür den gleichnamigen Roman von Christopher Isherwood adaptiert. Der Film fällt wenig überraschend durch ein unglaublich reifes Stilbewusstsein auf, bei dem praktisch jede Einstellung wie aus einem perfekt arrangierten Fashion-Katalog wirkt. "A Single Man" ist aber mehr als nur wunderschön anzuschauender "Style over Substance". Ford erzählt im Rahmen eines einzigen Tages die melancholische Geschichte des resignierten, depressiven Literaturprofessors, der seine große, langjährige Liebe aufgrund eines Autounfalls verlor und seinem eigenen Leben nun ein Ende setzen will.
                                        Ford beweist, dass er neben makellosen Outfits, Drehorten und mit stilvoll lichtdurchfluteten Einstellungen auch viel von tiefen Gefühlen, menschlichen Empfindungen und knisternder Zärtlichkeit versteht. "A Single Man" begrüßt in einigen Szenen immer wieder markanten Pathos, wenn die Musik auf der Tonspur extrem anschwillt, innige Blicke ausgetauscht werden und die Zeit wie still zu stehen scheint. Es ist eine wohlige Form von Pathos, die zusammen mit der unglaublichen Darstellung von Colin Firth in der Hauptrolle Gänsehaut und Wärme versprüht, wenn der Regisseur in seine überaus dramatischen Geschichte Momente einstreut, welche die einzigartigen, wertvollen Seiten des Lebens unterstreichen. Die Szene, in der George auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt auf den spanischen James-Dean-Verschnitt Carlos trifft, beide auf dem Auto vor einem Plakat von Hitchcocks "Psycho" sitzen und der Himmel von einem unwirklich violetten Licht durchdrungen wird, ist einer dieser Momente, in denen man sich wünscht, dass dieser Film eigentlich auch gerne niemals enden könnte.
                                        Fords Regie-Debüt wird durch diese Verbindung von emotionalen Gesten, ästhetischer Formvollendung, optimistischer Wärme und eindringlichen Begegnungen sowie Erlebnissen zu einem großen Film über die Liebe, das Leben und die innere Krise eines Mannes, der sein wahres Ich verbergen muss, aber selbst in der tiefsten Krise an die unverzichtbaren, bereichernden Momente des Lebens geführt wird.
                                        "A few times in my life I've had moments of absolute clarity, when for a few brief seconds the silence drowns out the noise and I can feel rather than think, and things seem so sharp. And the world seems so fresh as though it had all just come into existence. I can never make these moments last. I cling to them, but like everything, they fade. I have lived my life on these moments. They pull me back to the present, and I realize that everything is exactly the way it was meant to be. "

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                                        • 8

                                          Nachdem er sich über viele Jahre hinweg immer wieder mit Studios rumschlagen musste, die seine Kunst beschnitten, regulierten oder völlig umgestalteten, drehte Orson Welles mit "F for Fake" einen letzten Film, der die Karriere eines der größten Genies der Filmgeschichte mit einem irritierenden, vergnüglichen sowie inspirierenden Knall beschließt.
                                          "F for Fake" ist (Fake-)Dokumentation, Reflexion des eigenen Schaffens, Meditation über den Wert von Kunst an sich und ein raffiniert montiertes Verwirrspiel zwischen Wahrheit und Lüge. Alles in einem, mit unwiderstehlichem Charme vom Meister persönlich dirigiert und gespickt mit doppelten Böden, falschen Fährten sowie geschickt eingefädelten Täuschungsmanövern. Welles bricht die erzählerischen Mittel der klassischen Dokumentation auf und inszeniert sich selbst als Magier und Scharlatan zugleich. Zu Beginn vollführt der Regisseur simple Zaubertricks, um so den Bogen hin zu einer wahren Begebenheit zu spannen, in der er das Verhältnis zwischen einem brillanten Kunstfälscher und einem Autor beleuchtet, der ebenfalls durch eine gefälschte Biographie über Howard Hughes in die Schlagzeilen geriet.
                                          Welles arbeitet anhand dieser beiden Persönlichkeiten faszinierende, interessante Überlegungen heraus, bei denen er beispielsweise fragt, ob gefälschte Kunst weniger Wert besitzt als das Original, wo überhaupt eine Linie zwischen Kunst und Nicht-Kunst gezogen werden darf und inwieweit der Markt selbst eine wichtige Rolle spielt, wenn es darum geht, dass eine Trennung zwischen diesen beiden Formen vorgenommen wird. Anhand dessen kehrt Welles zudem auf persönliche Weise zu seinem eigenen Werk zurück, reflektiert über Geschaffenes und Hintergründe und präsentiert im letzten Akt ein finales, ebenso perfides wie amüsantes Spiel mit dem Betrachter, das alles vorab Gesehene in einem neuen Licht erscheinen lässt.
                                          "F for Fake" ist darüber hinaus formal eine absolute Referenz, was den fast schon revolutionären Umgang mit der Montage betrifft. Welles nimmt die Videoclip-Ästhetik späterer Regisseure wie Oliver Stone, Tony Scott oder Darren Aronofsky vorweg und erinnert mit seinen wüsten Schnittfolgen eher an radikale Werke eines Jean-Luc Godard, wenn sich Bildebenen überlagern, dokumentarische Schnipsel mit fiktiv inszenierten Abschnitten verschmelzen und Welles selbst als Erzähler im Schneideraum Anekdoten erzählt, nur im nächsten Moment an den Drehorten aufzutauchen und nahtlos an die Erzählung anzuknüpfen.
                                          Ein ungemein beeindruckendes Abschlusswerk, das sich nahtlos in die großen Werke des Regisseurs einreiht, den Zuschauer auf gleichermaßen charmante wie unverschämte Weise an der Nase herumführt und dabei spielend leicht mit den Möglichkeiten des Mediums jongliert.

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                                          • 5

                                            Giulio De Santi aus der italienischen Produktionsschmiede "Necrostorm" hat wieder zugeschlagen und mit "Hotel Inferno" eine weitere Splatter-Sauerei entworfen, die sich unverkennbar in den Kanon der bisherigen Werke einreiht.
                                            Die schlechtesten Momente des Film zeigen nichts weiter als stumpfes Gematsche im wäldlichen Unterholz, bei dem ohne Spannung, Atmosphäre oder Abwechslung mutierte Gestalten auf ziemlich abstoßende Weise niedergemetzelt werden, so dass Einsichten in das Innere von Körpern gewährt werden, die man so wohl eher noch nicht kannte.
                                            Von diesen recht wirkungslosen Szenen im Freien aber mal abgesehen erzeugt der Regisseur stellenweise einige durchaus fesselnde oder verstörende Impressionen. So wird man als Zuschauer aufgrund der konsequent durchgezogenen Ego-Perspektive zusammen mit der gesichtslosen Hauptfigur in die engen Korridore des Hotels eingezwängt, ein im wahrsten Sinne des Wortes höllischer Überlebenskampf bricht aus, bei dem in jedem Raum neue grausige oder bizarre Details in der Ausstattung lauern oder hinter der ansonsten verzichtbaren "Handlung" verbirgt sich ein nicht uninteressanter, okkulter Hintergrundrahmen in Form von teuflischer Mythologie.
                                            Gerade die wenigen Passagen, in denen auf Splatter praktisch vollständig verzichtet wird, offenbaren Potential für wirkungsvollen Horror, druckvolle Atmosphäre und durchaus spannende Einlagen. Weitestgehend ohne tieferen Anspruch umgesetzt, um für zwischendurch niederste Triebe zu befriedigen hat "Hotel Inferno" aufgrund der mitunter gelungenen Einzelheiten seine Daseinsberechtigung. Wer mit krudem Low-Budget-Splatter hingegen überhaupt nichts anfangen kann, sollte einen Blick gar nicht erst riskieren.

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                                            • 7 .5

                                              [...] Die Handlung kommt zunächst ganz unscheinbar als krudes B-Movie in Fahrt, in dem ein eingeschüchterter, beleibter Augenarzt von der eigenen Mutter durch eine bizarre Methode hypnotisiert und dadurch in einen wüsten Mordrausch versetzt wird. Hier auf dieser noch recht schlichten und simpel durchschaubaren Erzählebene zeigt sich bereits das große handwerkliche Geschick des Regisseurs. Luna verschmelzt die furchteinflößende Präsenz von Zelda Rubinstein (Poltergeist) in der Rolle der Mutter, die vor allem von ihrer (in der englischen Originalfassung) durch Mark und Bein gehenden Stimme ausgeht, zahlreiche Impressionen wie Spiralen, Tiere oder eindringliche Close-ups sowie ein ohrenbetäubendes Sound-Design zu einem höchst unbehaglichen Reigen der audiovisuellen Nadelspitzen, vor denen buchstäblich niemand sicher ist. Nur kurze Zeit später enttarnt Luna diese krude Mischung aus Slasher und Psycho-Mindfuck allerdings als Film-im-Film-Konstruktion, wenn die Kamera plötzlich aus der Leinwand herauszoomt und das Publikum zeigt, das sich den Streifen gerade im Kinosaal anschaut. Ab diesem Moment hat der Regisseur sichtliche Freude daran, beide Handlungsstränge nicht nur parallel ablaufen zu lassen, sondern auch immer wieder auf undurchsichtige und dabei vor allem ungewisse Weise miteinander in Einklang zu bringen. Als Resultat dieser Meta-Spielerei erhält Im Augenblick der Angst zunehmend die Gestalt eines kühnen Experiments, bei dem der Regisseur knallharte Beobachtungen über die Rezeption des Mediums vornimmt, Realität und Fiktion auf einen blutigen gemeinsamen Nenner bringt und vor allem die hypnotische Sogwirkung von Voyeurismus, also die Faszination dessen, nicht wegschauen zu können oder zu wollen, mit konzentrierten Mordsequenzen sowie Suspense-Einschüben auflöst, in denen sich auf nicht gerade zimperliche Art und Weise die Leichen stapeln. [...] Im Augenblick der Angst wird aufgrund seines nicht gerade hohen Bekanntheitsgrads gerne übersehen. Bigas Luna hat mit seinem Film allerdings eine äußerst ungewöhnliche, einfallsreiche und vor allem effektive Art von Horror geschaffen, welche die Grenzen zwischen Leinwand und Realität zunehmend aufhebt, die Faszination der Angst selbst sowie die gefährlichen Reize des Voyeurismus gekonnt zuspitzt und als verspielte Meta-Reflexion über Kino, Wahrnehmung und Horror funktioniert. [...]

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                                              • Schön, dass du wieder berichtest! :) Freu mich drauf, jeden Tag deine Meinungen/Erlebnisse zu lesen. Ach ja, neidisch bin ich übrigens etwas (sehr).

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                                                • 3

                                                  [...] Was zunächst als einfallsreicher Auftakt beginnt, der mit schrägen Ideen und einem auffällig fiesen Humor besticht, entwickelt sich allerdings schnell zu einem filmischen Totalausfall, bei dem Van Dormael den gesamten Film unaufhaltsam, aber dafür umso härter völlig an die Wand fährt. Als regelrechtes K.O.-Kriterium erweist sich dabei der misslungene Spagat zwischen den verschiedenen Erzählrichtungen, durch die der Streifen von einer extremen Richtung in die andere schlägt und alles über den Haufen wirft, was teilweise vielversprechende Momente vorab errichtet haben. "Das brandneue Testament" ist als kaum definierbares Gesamtwerk, was erstmal nichts schlechtes zu bedeuten hat, der seit langer Zeit mit Abstand merkwürdigste, unrundeste und fehlgeschlagenste Versuch, schwarzen Humor, religiöse Satire und ekelhaft sich anbiedernden Wohlfühlkitsch unter einen Hut zu bringen. Im Kern der Handlung stehen die einzelnen Hintergrundgeschichten der Apostel, die von Gottes Tochter aufgesucht werden. Durch diesen Erzählstil, der sich hier generell ziemlich früh abnutzt und lediglich durch die gewohnt verspielte Inszenierung des Regisseurs aufgewertet wird, wirkt der Film wie eine Aneinanderreihung skurriler Episoden, deren Inhalte zwischen banal, uninteressant oder vollkommen deplatziert schwanken. Wenn ein sexbesessener Mann den großen Schwarm seiner Kindheit und gleichzeitig Indikator seines Lasters wiedertrifft, weil er mit ihr gemeinsam einen Porno synchronisiert oder eine Frau im reifen Alter die Erfüllung in Gestalt eines Gorillas findet, mit dem sie sich schließlich zärtlich ein Bett teilt, dann sind das schon mehr als nur unkonventionelle Formen, Spielarten der Liebe auszudrücken und man muss sich als Zuschauer verwundert fragen, was sich der Regisseur bei derart hanebüchenem Quatsch nur gedacht hat. [...] Als kleiner Lichtblick erweist sich kurz vor dem Ende die letzte Geschichte, welche von einem todkranken Jungen handelt, der in der wenigen Zeit, die ihm noch bleibt, einfach nur seine bereits entdeckte Transsexualität ausleben möchte. Zerstört wird diese eigentlich würdevoll inszenierte Episode durch ein unglaublich feiges, ärgerliches Ende, bei dem der Streifen endgültig jegliche Hoffnungen auf einen wenigsten stimmigen Abschluss krachend begräbt. "Das brandneue Testament" ist eine schmerzhafte Enttäuschung, vor allem in Anbetracht dessen, was der Regisseur bisher an bemerkenswerten bis einzigartigen Werken geschaffen hat. Ein erschreckender Ausrutscher, bei dem man sich wünscht, dass wenigstens dieser einzigartig bleibt. [...]

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                                                  • 7 .5

                                                    "Rebel Without a Cause" wurde von Nicholas Ray inszeniert, doch der Film ist durch und durch ein strahlendes Vehikel und Vorzeigebeispiel für Ausnahmeschauspieler James Dean, das tragische Symbol und die Stilikone schlechthin der damaligen Zeit. So verwundert es auch nicht, dass sein Name in roten Buchstaben noch vor dem eigentlichen Titel des Films selbst aufleuchtet.
                                                    Ray hat mit seinem Werk ein wichtiges Zeitdokument geschaffen, das gleichzeitig von einer ungestüm wilden Ausstrahlung und einem tief tragischen Ton durchzogen wird. Der Regisseur beleuchtet die sensiblen Befindlichkeiten sowie spontanen, impulsiven Überreaktionen jugendlicher Menschen und vor allem die starken Differenzen, die diese mit ihren Eltern haben. Daraus ergibt sich ein ganz eigentümlicher Stil, bei dem Ray die Jugendlichen und Erwachsenen derartig weit auseinander liegend in Szene setzt, so dass beide Parteien so wirken, als lebten sie in völlig verschiedenen Welten.
                                                    Die Geschichte selbst schildert das rebellische Aufstreben einer jungen Generation, die sich unverstanden, abgelehnt und übergangen fühlt, was sich gelegentlich in Momenten zuspitzt, die aus dem ansonsten recht einheitlich wirkenden Bild herausstechen. Szenen wie das als Konkurrenzkampf angelegte Autorennen, welches überaus traurig endet, die gemeinsame Flucht dreier Freunde in eine verlassene Villa, die beinahe apokalyptisch wirkt mit dem großen, leeren Swimmingpool, den einsamen Korridoren sowie dem nahenden Unheil in Form rachsüchtiger Gangmitglieder, der surreale und wiederholte Besuch im Planetarium oder das pessimistische Ende stehen allesamt sinnbildlich für Isolation, Trauer und Verzweiflung der Protagonisten.
                                                    Im Mittelpunkt steht aber trotz allem James Dean selbst in der Hauptrolle, der sowohl den charmanten Poster-Boy wie auch den weinerlichen, überforderten Jungen unglaublich ausdrucksstark verkörpert und dadurch völlig zurecht zur Ikone einer ganzen Jugendgeneration wurde.
                                                    Ein echter Star eben, von denen es heutzutage von diesem Schlag und vor allem in diesem Alter nur noch ganz wenige gibt.

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