Patrick Reinbott - Kommentare

Alle Kommentare von Patrick Reinbott

  • 7 .5

    Ein wirres Echo aus Stimmen, Melodien und Song-Fetzen zieht sich durch den Vorspann von "Love and Mercy". Es ist der erste Zugang, den Bill Pohlad dem Zuschauer in den Kopf von Brian Wilson gewährt.
    Pohlad zeichnet in seinem Film den Charakter des Masterminds der "Beach Boys" nach, beleuchtet das kreative Genie des Musikers, das gleichzeitig Fluch und Segen für Wilson bedeutete, wenn er einerseits eingängige Pop-Songs für die Ewigkeit schuf, andererseits von Stimmen in seinem Kopf geplagt wurde, die ihn immer wieder an den Rand des Wahnsinns drängten, bis er schließlich in Drogenabhängigkeit und Depressionen schlitterte.
    "Love and Mercy" reiht sich erfreulicherweise in die aktuelle Tradition einer überschaubaren Anzahl von Biopics ein, welche dem lästigen Abfilmen von Wikipedia-Artikeln eine klare Abfuhr erteilen und stattdessen anhand von einzelnen Momentaufnahmen, losen Stimmungsbildern und behutsam gezeichneten Psychographien in das Wesen der porträtierten Persönlichkeit vorstoßen.
    Der Film zeigt Wilson in den 60er-Jahren, in denen er ein junger Hitzkopf ist, der trotz der Tatsache, dass er aufgrund unentwegter Prügel vom eigenen Vater auf einem Ohr zu 96% taub ist, ein brillantes Gehör für Melodien besitzt und akribisch an neuen Song-Strukturen feilt, um ein zusammenhängendes Konzept-Album zu schaffen, das mehr ist als nur einzelne Hits und Charterfolge. Ein gequälter Künstler, der in seinem eigenen Seelen-Käfig gefangen ist, zwischen Erfolgsdruck, Erwartungshaltung, familiären Problemen und wahnhafter Besessenheit.
    Das geschickt konstruierte Drehbuch von Oren Moverman und Michael A. Lerner begnügt sich allerdings nicht nur mit dieser Erzählebene, sondern zeigt zusätzlich ungefähr 20 Jahre später einen Brian Wilson, der nur noch wie ein Schatten seiner selbst wirkt, neben sich steht, offensichtlich von Medikamenten unter Kontrolle gehalten und ein sichtbares Wrack. In dieser Zeitepoche spielen vor allem zwei Figuren eine bedeutende Rolle für den ausgebrannten Musiker: Der hinterlistige Therapeut Dr. Eugene Landy, der Wilson gezielt in Schach hält und die schöne Autoverkäuferin Melinda Ledbetter, die sich als mögliche Rettung erweist.
    "Love and Mercy" verwebt beide Handlungsstränge miteinander, nutzt die desillusionierenden 80er Jahre, in denen Wilson von einem fantastischen John Cusack gespielt wird, als trauriges Foreshadowing, während ein ebenfalls herausragender Paul Dano den jüngeren Wilson verkörpert, der in den 60ern zunehmend zwischen Genie und Wahnsinn zu implodieren droht.
    Bis auf die Darstellungen von Melinda und Eugene, bei denen der Film die spätere Frau des Musikers als erlösendes Symbol in den Himmel lobt und den manipulativen Therapeuten als dämonischen Bösewicht überzeichnet, besticht "Love and Mercy" allem voran durch Brian Wilson selbst, dessen reales Vorbild mit Sicherheit zufrieden auf diesen Film blickt, der die kongenialen Impulse und bedrückenden Schattenseiten einer gleichermaßen schillernden wie bedauernswerten Persönlichkeit beeindruckend zum Ausdruck bringt.

    13
    • 7

      [...] In ihrem Langfilmdebüt Im Spinnwebhaus widmet sich Regisseurin Mara Eibl-Eibesfeldt voll und ganz der Perspektive von Jonas, Nick und Miechen. Nach einer wahren Begebenheit, wie sie es selbstverständlich in vielfacher Anzahl überall auf der Welt gibt, erzählt Eibl-Eibesfeldt vom irritierenden Gefühl des Alleingelassen-Seins als Kind, von zunehmender Verwahrlosung aufgrund stetiger Überforderung und von Urängsten, die in einem in Zusammenhang mit stetiger Ungewissheit aufkeimen. Die Handlung, welche in einem eher kleineren Rahmen verläuft und unaufgeregt voranschreitet, ist dabei durch eine besondere Inszenierung geprägt, bei der die Regisseurin für eigentlich vertraute, altbekannte Situationen und Szenarien wunderbar eigenwillige Bildkompositionen sowie Ideen findet. Im Spinnwebhaus verschreibt sich vollständig dem logischen Verständnis von kleinen Kindern, empfindet ihre spezielle Sichtweise auf Geschehnisse nach und rückt somit sämtliche Ereignisse in ein mal kindlich-naives, mal bedrohlich-schauriges, mal abenteuerlich-aufregendes Licht. Dafür kippt die Erzählweise regelmäßig in überaus fantasievolle, verspielte Gefilde, wenn Insekten oder Vögel mit neugierigen Close-ups in den Fokus gezogen werden, fremde Personen wie typische Charaktere aus Märchengeschichten wirken, ein Ausflug in einen Freizeitpark wie ein unglaubliches Abenteuer in Szene gesetzt wird oder ein Gang durch ein Waldstück extrem unheimliche Stimmungen erzeugt. In düsteren Schwarz-Weiß-Aufnahmen kreiert Eibl-Eibesfeldt die harte Realität der Kinder, eine finstere Tristesse, der sie im gleichen Moment stets surreale Impressionen gegenüberstellt, die eine Flucht ins Fantastische garantieren und den Geschwistern einen möglichen Ausweg ihrer momentanen Lage anbieten. [...]

      11
      • 7

        [...] Das Resultat ist ebenso konsequent wie erbarmungslos. Hardcore ist ein typischer Film der Marke "Ist er zu stark, bist du zu schwach" und wer schon bei der Sichtung des Trailers Anzeichen von Unwohlsein und Orientierungslosigkeit verspürt, sollte einen großen Bogen um den Film machen. Naishuller brennt nach einem kurzen Einstieg ein gnadenloses, bisweilen extrem brutales Action-Feuerwerk ab, in dem sich Protagonist Henry, halb Mensch, halb Maschine, ohne Rücksicht auf Verluste und mit eiskalter Emotionslosigkeit ohne störende Unterbrechungen durch Feindeshorden metzelt, Schädel zertrümmert, Messer in Körper rammt, Köpfe zerschießt, Knochen bricht oder einfach direkt ganze Brustkörbe aufreißt. Um seinem pausenlosen Inferno die passende Dynamik zu verleihen und allzu stumpfe Monotonie zu umschiffen, hat der Regisseur dabei einige Tricks und Kniffe in seinen Film eingebracht. So imitiert der Handlungsverlauf abwechslungsreiche Spielmodi gängiger Ego-Shooter, indem sich Henry beispielsweise in bester Stealth-Manier durch einen Gebäudekomplex schleicht und möglichst lautlos agieren muss, während er sich in einer anderen Szene durch einen stilvoll gestalteten Nachtclub kämpft oder im final eskalierenden Survival-Modus eine unüberschaubare Vielzahl an Widersachern mehr oder weniger atemlos zu Boden ringt. Mit hämmernden Electro-Beats, atmosphärischen Synthie-Klängen oder eingängigen Pop-Songs sorgt Naishuller dafür, dass der treibende Fluss selten zum Stillstand kommt, während er mit spektakulär durchgeführten Stunt-Choreographien in schwindelerregenden Höhen oder an heiklen Plätzen schweißtreibende Kinetik erzeugt. Wenn Henry durch die Gegend sprintet, vor Gegnern in Deckung springt, sich um die eigene Achse dreht und wahllos in die feindliche Meute feuert, fordert Hardcore allerhöchste Konzentration vom geforderten Betrachter, dem hier an vielen Stellen sicherlich der Kopf schwirrt oder sich der Magen umdreht. [...] Bei Hardcore werden die Reaktionen wahrscheinlich nur extrem negativ oder extrem positiv ausfallen. Zu eigenwillig, (über)fordernd und extrem ist dieser rücksichtslose, sehr brutale und schwindelerregende First-Person-Shooter in filmischer Form, der spektakuläre Stunt-Arbeit, brachiale Splatter-Einlagen und wüste Shootouts sowie zynische Komik ebenso in sich vereint wie eine praktisch nicht vorhandene Geschichte, platte Dialoge oder einen fehlenden emotionalen Zugang. Wer offen ist für wagemutige Innovationen im Action-Genre, sollte sich diesem atemlosen Schleudertrauma stellen, alle anderen bleiben lieber schon nach der Sichtung des Trailers fern. Der Titel ist hier definitiv Programm. [...]

        13
        • 5 .5

          [...] Der Regisseur nimmt den Zuschauer mit auf die trostlose Reise in eine postapokalyptische Welt, die von kargen Ruinen, verlassenen Wüstenlandstrichen, zerfallenen und leeren Gebäuden sowie nur wenigen verbliebenen Menschen geprägt ist. Diejenigen, die offenbar eine Art Weltkrieg überlebt haben und nun zu den wohl letzten Individuen des Planeten zählen, werden von Besson auf niederste, primitive Instinkte reduziert. Nahrung, Trinken und Frauen sind so ziemlich das einzige, das die nunmehr animalische Rest-Zivilisation antreibt und dabei unentwegt gegeneinander oder auf sich alleine gestellt ums nackte Überleben kämpfen lässt. Seine prinzipiell interessante Version eines verdorbenen sowie tristen Weltenentwurfs hat der Regisseur auch inszenatorisch überaus radikal umgesetzt, indem Besson das Medium beinahe vollständig auf das Nötigste entkleidet. Der letzte Kampf wurde in schlichten Schwarz-Weiß-Bildern gedreht, die den altmodischen Eindruck erwecken, einer Gesellschaftsordnung beiwohnen zu dürfen, die keineswegs das Abbild eines zukünftigen Szenarios darstellt, sondern ganz im Gegenteil wie aus einer Epoche wirkt, die weit zurückliegt. Hinzu kommt, dass bis auf eine kleine Ausnahme kein einziges Wort gesprochen wird, was den zurückgenommenen, minimalistischen Stil weiter verstärkt. [...] Leider hat der Regisseur die eigentliche Geschichte in gleichem Maße reduziert wie seine Inszenierung. Es ist das spannende Konzept einer Endzeit-Vision, die nach völlig eigenen Regeln funktioniert, welches man als Zuschauer gerne weiter ergründen möchte. Daneben streut Besson immer wieder skurrile Details in den Film, wenn es in einer Szene beispielsweise auf einmal Fische vom Himmel regnet. Die Handlung selbst verläuft hingegen extrem schleppend, zeigt zu Beginn mehr oder wenige belanglose Abläufe der namenlosen Hauptfigur, die mit zunehmender Laufzeit in Konflikt mit einer anderen Figur, gespielt von Jean Reno (Ronin), gerät. Der letzte Kampf vermag es nicht, jegliche Form von Sympathien oder Interesse für die Charaktere hervorzurufen, wie es der eigentlichen Welt selbst gelingt, die man hier zu sehen bekommt. In trägen Einstellungen wird die dünne Handlung unnötig gestreckt, bis es schließlich zum titelgebenden letzten Kampf kommt, der aber letztendlich auch nicht mehr sonderlich relevant ist. [...]

          11
          • 4 .5

            [...] Mit der Verbindung des persönlichen, schweren Schicksalsschlags eines einzelnen Menschen und der sachlich-journalistischen Recherche-Reise durch Bereiche wie Medizin, Forschung und Kultur offenbart Das dunkle Gen allerdings bereits die eklatante Schwachstelle, welche sich fortan durch die gesamte Dokumentation zieht. Den beiden Verantwortlichen hinter diesem Film gelingt es nicht, beide Themenkomplexe schlüssig zu vereinen. So erfährt man zu Beginn, wie sich Frank gefühlt hat, als die Depressionen in seinem Kopf begonnen haben und sich durch den gesamten Körper ausbreiteten. In der darauffolgenden Szene unterhält er sich wiederum plötzlich mit einer Forscherin der Biochemie über die Zusammensetzung von DNA-Strängen. Verbunden werden diese Momente von zweckdienlichen, mäßig animierten Sequenzen, in denen die Prozesse im Gehirn auf eine experimentell-abstrakte Weise veranschaulicht werden sollen. Sehr früh lässt Das dunkle Gen jegliche Art von rotem Faden vermissen, wechselt zwischen oberflächlich angerissenen Fragestellungen, bedingt interessanten Vorträgen und eindringlichen Schilderungen des Betroffenen, ohne die mitunter wirklich interessanten Themenansätze und philosophisch angehauchten Überlegungen auch nur im Ansatz befriedigend zu klaren Erkenntnissen zu führen. Wenn Vater und Sohn beispielsweise aus verschiedenfarbigen Gummibärchen einen DNA-Strang basteln, erhält Das dunkle Gen den faden Beigeschmack eines banalen Lehrvideos aus dem Schulunterricht, das auch dem allerletzten Störenfried aus der hintersten Reihe des Klassenzimmers veranschaulichen soll, wie wissenschaftliche Vorgänge funktionieren. [...]

            5
            • 8

              [...] In Somewhere treibt Coppola, deren Filme alle von einem unglaublich ausgeprägten Stilbewusstsein und wundervollen Bildkompositionen geprägt sind, ihren markanten Stil provokant auf die Spitze. Im Mittelpunkt der Handlung, die in diesem Film eigentlich gar nicht mehr als solche bezeichnet werden kann, steht der Schauspieler Johnny, der aktuell im berüchtigten "Chateau Marmont" am Sunset Boulevard wohnt, ein Hotel, in das schon unzählige Hollywood-Stars oder allgemein Leute von Rang und Namen mal abgestiegen sind. Seinen Alltag verbringt der ziellose Schauspieler mit Alkohol und Zigaretten an der Pool-Bar, flüchtigen Affären, wilden Partys oder auf seinem Bett liegend, während sich Poledance-Tänzerinnen vor ihm an der Stange räkeln. [...] Somewhere ist allgemein ein Film, in dem so ziemlich jede Einstellung etwas länger läuft, als man es normalerweise gewohnt ist und scheinbare Belanglosigkeiten ungewohnt in die Breite gezogen werden. Coppola überträgt die resignierte Lethargie der Hauptfigur direkt in ihre Bilder, stellt bedeutungslose Leere und monotone Ereignisse an die Tagesordnung und sorgt dafür, dass man als Zuschauer genauso wie Hauptfigur Johnny in einen repetitiven Kreis gezogen wird, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Während Somewhere an manchen Stellen gefährlich nahe am absoluten Stillstand vorbeischrammt, lockert die Regisseurin ihren Film gelegentlich mit skurrilen Nebensächlichkeiten auf. [...] Daneben ist es aber vor allem die liebevolle Vater-Tochter-Beziehung, die das emotionale Herzstück von Somewhere darstellt.
              Wenn Johnny Besuch von seiner Tochter Cleo bekommt, die aus einer zerbrochenen Beziehung stammt, erwacht er plötzlich aus seinem sinnentleerten Teufelskreis, auf seinem Gesicht ist vermehrt ein entspanntes Lächeln zu sehen und die bloße Anwesenheit des kleinen Mädchens macht das sonst so vereinsamte Hotelzimmer des Schauspielers zu einem Ort der Wärme und Lebensfreude. Coppola bringt Johnny langsam zu einem leisen Wendepunkt in seinem Leben, wenn dieser erkennt, dass er sehr wohl etwas hat, was ihm einen Sinn verleiht. Der kommt in Form eines Mädchens, das für ihn Frühstück zubereitet, dem er beim Schlittschuhlaufen zuschaut oder ausgelassen "Guitar Hero" spielt. Was er mit dieser Erkenntnis anfängt, lässt die Regisseurin bewusst offen. Das Ende ist konsequenterweise ein Rückschritt zur Anfangssequenz, doch diesmal steigt Johnny aus seinem Ferrari und läuft einfach ein mal ein paar Schritte. Wohin, ist allerdings ungewiss. [...]

              15
              • 7 .5

                [...] Coppola ergründet in ihrem Film die Probleme unverstandener Jugendlicher, die im Angesicht adoleszenter Schwierigkeiten den extremsten aller Auswege suchen, um sich ein nachdrückliches Gehör zu verschaffen. The Virgin Suicides – Verlorene Jugend ist dabei auf ästhetischer Ebene von einer unwirklichen Schönheit durchzogen, die das Werk gleichermaßen faszinierend und problematisch werden lässt. [...] Zärtliche Coming-of-Age-Romantik trifft auf schwere Depressionen, Figuren, die nach außen hin sympathisch und unschuldig wirken, sind in ihrem Inneren zerrissene Wracks und das biedere Vorstadtleben der weißen, konservativen Mittelschicht symbolisiert ein verzweifeltes Gefängnis, in dem die Eltern ihre Kinder jeglicher Freiheiten berauben und schließlich in die vollständige Selbstaufgabe führen, obwohl sie gleichzeitig denken, sie haben nur das Beste für den eigenen Nachwuchs im Sinn. Man könnte der Regisseurin vorwerfen, dass sie die schwerwiegenden Ansätze der Geschichte unter einem Deckmantel der täuschenden Sinnlichkeit verschleiert oder melancholische Pop-Songs und der einfühlsame Score nicht mit einer Handlung zu vereinbaren sind, in der es um den frühzeitig gewählten Freitod junger Menschen geht. Genauso könnte man sich diesem Film aber auch einfach widerstandslos hingeben, die spielerische Leichtigkeit genießen, die sich von offensichtlichen Konventionen befreit und eintauchen in eine verträumte Vision, in der sich schnell nachempfinden lässt, wie schwierig es bereits vor dem Erwachsenenalter sein kann, eine eigene Identität entwickeln zu können und sich frei entfalten zu dürfen. [...]

                16
                • 8 .5

                  Wer leidenschaftlicher Filmfan ist, schaut natürlich sehr häufig und eine Vielzahl unterschiedlichster Streifen aus sämtlichen Genres. Sicherlich kennen viele durch diesen Umstand das Gefühl, dass einen manche Filme nicht mehr in dem Ausmaß fesseln, förmlich an den Bildschirm bannen oder aufwühlen, wie das früher einmal der Fall war. Besonders bei Thrillern lässt sich dieser Trend häufiger feststellen, da man zu viele Geschichten in diesem Genre bereits kennt, Entwicklungen erahnt und einfach nicht mehr so in ekstatische Spannung versetzt wird wie diejenigen, die Filme nur gelegentlich konsumieren.
                  "The Invitation" ist seit längerer Zeit mal wieder ein Film, der sich das Prädikat des elektrisierenden, aufregenden Genre-Erlebnisses in jeder Hinsicht verdient hat. Gleichzeitig ist er auch eines dieser Exemplare, bei denen man vorab möglichst wenig über den Inhalt wissen sollte, damit die maximale Wirkung entfaltet werden kann. Fest steht jedenfalls, dass "The Invitation" raffiniert geschrieben, brillant konstruiert und gleichermaßen hochspannend wie unbequem inszeniert ist.
                  Karyn Kusama, die als Regisseurin bislang nett ausgedrückt ziemlich belanglosen Schmu gedreht hat, liefert mit diesem Werk nun ein atmosphärisch überwältigendes Paranoia-Glanzstück ab, in dem die unheilvolle Stimmung von Anfang an wie ein Drahtseil gespannt wird, ständig überzukochen droht und irgendwann konsequent in einem puren Albtraum explodiert.
                  Die Regisseurin balanciert ungewisse Bedrohung, qualvolle Bedrängnis, düsteres Charakterdrama und schockierenden Terror mit souveränem Geschick und führt ein hervorragend zusammengestelltes Ensemble, das von einem unglaublich charismatischen Logan Marshall-Green angeführt wird, durch ein klaustrophobisches Kammerspiel-Setting in Form einer ungemütlichen Dinner-Party, bei der Dämonen der Vergangenheit und potentieller Horror der Gegenwart zusammenfinden.
                  Wäre Alfred Hitchcock, der "Master of Suspense" höchstpersönlich, noch am Leben, würde er diesen Film mit einem genüsslichen Lächeln schauen. "The Invitation" ist ein Thriller, so pur, so aufregend und so mitreißend, als wäre es das erste Mal.

                  26
                  • 5 .5

                    "The Trust" ist ein Film, den man grundsätzlich nicht gesehen haben muss. Das Drehbuch von Ben Brewer und Adam Hirsch verfolgt zwei nicht ganz so saubere Cops bei ihrem Plan, den gut gesicherten Safe einer Drogendealer-Bande um dessen unklaren Inhalt zu erleichtern.
                    Die Geschichte des Films verläuft dabei recht unspannend, folgt bis auf kleinere, unerwartete Zwischenfälle strikt dem Schema F und hebt sich ansonsten kaum von zahlreichen anderen B-Movies ab, in denen man solch eine Handlung fast auf genau die gleiche Weise erleben durfte.
                    "Nicolas Cage" lautet allerdings der Grund, weshalb man "The Trust" ruhig mal sehen kann. An der Seite von Elijah Wood, der hier bodenständig, aber dadurch leider auch ziemlich unauffällig spielt, liegt es wieder einmal alleine an Crazy Cage, die Laune beständig oben zu halten. Seinem Spitznamen macht der Schauspieler in einigen Szenen mal wieder alle Ehre, schiebt sich Zitronenscheiben in den Mund, über die er vorher Tabasco gießt, telefoniert mit irrwitzigem Dialekt nach Deutschland, verliert das ein oder andere mal ordentlich die Nerven, lässt folgerichtig der mit mächtigem Schnäuzer bestückten Gesichtsdisco freien Lauf und sorgt wie gewohnt für eine Menge Spaß.
                    Auf der Zielgeraden nimmt sich "The Trust" schließlich doch noch ziemlich ernst, was dem locker-amüsanten Tonfall, den der Streifen vorab durch einen in kleinen Dosen entfesselten Cage, schräge Situationskomik sowie einen spritzigen Soundtrack, in dem manche Songs bestimmte Szenen ironisch aufbrechen, merklich schadet.
                    Als knapp überdurchschnittliche Genre-Kost für zwischendurch und selbstverständlich beinharte Fans von Nicolas Cage taugt "The Trust" auf die Schnelle, ist aber fernab der skurril-köstlichen Cage-Momente aufgrund des ziemlich beliebigen Drehbuchs nach dem Abspann bereits recht flott wieder vergessen.

                    8
                    • 7
                      über Vinyan

                      An konventionellem Horror zeigt Fabrice Du Welz wenig bis gar kein Interesse. Bereits mit seinem im extremsten Sinne speziellen und das Publikum massiv spaltenden Debüt "Calvaire" hat der belgische Regisseur für Aufsehen gesorgt, mit "Vinyan" geht er diesen Weg unbeirrt weiter.
                      Mit seinen nebelverhangenen Bildkompositionen, fiebertraumähnlichen Montagen und dem beklemmend intensiven Sound-Design weist der Film beispielsweise eine gewisse Ähnlichkeit zu den aktuelleren Werken von Nicolas Winding Refn auf und führt durch (sur)real projizierte Schreckensvisionen in das traumatisierte Unterbewusstsein der Protagonisten.
                      Ein wohlhabendes Ehepaar hat den gemeinsamen Sohn vor einem halben Jahr scheinbar durch einen Tsunami verloren, die Leiche konnte aber nie geborgen werden. Als Jeanne glaubt, auf einer Videoaufnahme ihr Kind mitten in den ärmsten Winkeln von Birma wiederzuerkennen, tritt sie mit ihrem Mann Paul, der den Tod des Kindes längst zu akzeptieren scheint, eine ungewisse Reise in das Herz des Dschungels an.
                      Du Welz führt die beiden immer tiefer an den Rande des Wahnsinns, lässt die völlig gegensätzlichen Ansichten des Ehepaars einerseits ruhig erzählt, andererseits beunruhigend brodelnd aufeinanderprallen und mischt finstere Mythologie in sein Werk, das viel mehr psychologisches Drama mit mysteriösen Elementen anstelle von einfachem Horrorfilm ist.
                      Über dem Geschehen wabert die beklommene Ungewissheit, ob hier beruhend auf einer uralten Sage tatsächlich böse Geister in Körpern stecken. Das verzweifelte Klammern an den allerletzten Strohhalm einer Mutter, die der unerträglichen Gewissheit nicht ins Gesicht schauen kann, führt schließlich zur schlimmsten aller Ängste, hier konkret als Akzeptanz der furchtbaren Tatsachen umschrieben.
                      Auch wenn das Ende womöglich nicht ganz überzeugen kann, ist dieser dröhnende Albtraum, angesiedelt zwischen der Reise ins Herz der Finsternis á la "Apocalypse Now", tragischer Traumaaufarbeitung und surreal verwobenen Visionen, gleichermaßen faszinierend wie gewöhnungsbedürftig.

                      11
                      • 8

                        [...] In Cobain: Montage of Heck beleuchtet Regisseur Brett Morgen (Crossfire Hurricane) den Mythos "Kurt Cobain", seinen Status als gebrandmarktes Scheidungskind, künstlerisch begabter Junge, früher Drogenjunkie, musikalische Ikone, von der Welt gefeierter Rockstar, liebevoller Vater und schlussendlich tragisches Idol, das eine ganze Generation rebellischer Jugendlicher geprägt hat. Dabei wird von Anfang an schnell deutlich, dass diese Dokumentation zwar chronologisch angelegt ist, sich stilistisch aber kaum bremsen lässt und vor wilden Ideen nur so überquillt. Mit dem Einverständis von Cobains engsten Familienangehörigen erhielt Morgen Zugriff auf tonnenweise Material des Musikers, darunter extrem private Home-Videos, persönliche Notizen, Skizzen oder Zeichnungen, Stimmaufnahmen, aber auch ein unveröffentlichtes Mixtape sowie Demotapes. Außergewöhnlich wird Cobain: Montage of Heck aber nicht nur durch die alleinige Existenz dieses Materials, das der breiten Öffentlichkeit nun erstmals zugänglich gemacht wird, sondern aufgrund der beeindruckenden Machart der Dokumentation und der Art und Weise, mit der Morgen das unterschiedliche Material virtuos, überwältigend und berauschend zu einem völlig eigenständigen Kunstwerk formt. Zunächst beginnt der Film noch recht gewöhnlich, zeigt grobkörnige Aufnahmen von Kurt als kleinen Jungen, der alle um sich herum verzaubert und eine unbändige Energie besitzt, während in Interviews parallel immer wieder Familienmitglieder wie seine Mutter oder sein Vater zu Wort kommen. Spätestens in den Teenager-Jahren verändert sich der Stil der Dokumentation allerdings schlagartig. Extra animierte Trickfilm-Sequenzen, wilde Montagen, in denen Songs der Band über zahlreiche Popkultur-Schnipsel gelegt werden, Zeilen auf Notizzetteln, die dynamisch zum Leben erwachen und viele weitere Stilmittel sorgen dafür, dass Morgen nicht nur ein umfassender Einblick in das Leben des Künstlers gelingt, sondern darüber hinaus ein Zugang in den Kopf von Kurt Cobain. Die sprunghafte, chaotische Inszenierung ist voll und ganz dem von Drogen geplagten, künstlerisch brodelnden und von Hyperaktivität sowie Depressionen durchsetzten Wesen des Musiker nachempfunden. [...]

                        8
                        • 7
                          über Amy

                          Eigentlich war sie nur ein aufgewecktes, energiegeladenes und sympathisches Mädchen, das mit ihrer innigen Liebe zur Musik und einer unvergleichlichen Stimme, die vor Power und Soul nur so strotzte, in Jazz-Clubs und gemütlichen Bars vor kleinerem Publikum auftreten wollte. Es ist noch nicht allzu lange her, da konnte die ganze Welt den künstlerischen sowie medialen Werdegang von Amy Winehouse verfolgen. Die britische Sängerin hat mit ihren beiden Alben für Begeisterung in der Musikszene gesorgt, wurde von den Massen geliebt und mit Preisen ausgezeichnet, doch als der große Absturz kam, haben sich Presse und öffentliches Echo über sie hergemacht und zu einem tragischen Ende geführt, bei dem sie offenbar völlig verzweifelt und mit Unmengen von Alkohol im Blut in ihrer Wohnung den Tod fand.
                          Dokumentarfilmer Asif Kapadia skizziert in "Amy" den Aufstieg und Fall von Amy Winehouse, indem er Archiv-Material aus Fernsehsendungen, unveröffentlichte Privataufnahmen von Freunden und Familie, Mitschnitte von Auftritten und Presse-Reportagen zu einem gleichermaßen intimen wie unbequemen Erzählkonstrukt montiert.
                          Fans der Sängerin kommen dem Star aufgrund von unveröffentlichten Songs, intensiven Probeaufnahmen und berührendem Material sehr nahe, erleben Amy als leidenschaftliche Künstlerin, die ihr ganzes Herzblut in Songs niederschreibt und mit wuchtiger Stimme im Studio einsingt, während sie mit dem ansteigenden Ruhm, privaten Schwierigkeiten und der ständigen Wahrnehmung im Bild der Öffentlichkeit immer stärker zu kämpfen hat. Klare Schuldzuweisungen lässt Kapadia in seinem Film offen, so lässt sich "Amy" allgemein als warnender Blick auf die Musik-Industrie auffassen, in der Talente ebenso schnell an Reichtum gelangen, wie sie fallen gelassen werden oder vollständig zu Grunde gehen.
                          Die ständige Erwartungshaltung, die Amy auferlegt wurde, der Druck der Öffentlichkeit, neue Musik abzuliefern, auf der Bühne einwandfrei zu funktionieren. Von der Industrie geschluckt, vom unaufhörlichen Blitzlichtgewitter der Paparazzi geblendet, von der Familie teilweise im Stich gelassen und letztendlich von den Drogen und der Bulimie-Erkrankung zerfressen wurde aus einer der ganz großen Soul-Hoffnungen schließlich ein bemitleidenswertes Wrack, das einsam starb.
                          "Amy" ist ein eindringliches, berührendes und tragisches Zeitdokument einer talentierten Sängerin, ein schonungsloser Blick auf die raffgierige Industrie hinter der Kunst, auf den erbarmungslosen Zirkus des medialen Wahnsinns und letztendlich ein Mahnmal, dass ein solches Schicksal unzählige Einzelbeispiele nach sich ziehen kann.

                          9
                          • 8 .5
                            über Respire

                            [...] Mélanie Laurent("Enemy"), die den meisten eher als Schauspielerin aus Filmen wie Quentin Tarantinos ("Pulp Fiction") "Inglourious Basterds" bekannt sein wird, hat nach einigen selbst inszenierten Dokumentationen und ihrem Langfilmdebüt "Les Adoptés" für diesen Film ebenfalls wieder auf dem Regiestuhl Platz genommen. Und hat mit "Respire" ein fantastisches Gänsehaut-Drama geschaffen, das einem emotionalen Feuerwerk gleicht. Auf unglaublich sensible und einfühlsame Weise erzählt die Regisseurin die Geschichte einer Teenagerin, deren Inneres außer Kontrolle gerät und die nicht versteht, wie sie ihr Leben geregelt bekommen soll. [...] Schon lange durfte man keinen Film mehr sehen, der die unsichtbare Gefühlswelt seiner Protagonistin so gekonnt an die audiovisuelle Ebene koppelt wie dieser. [...] Laurent ergründet auf eindringliche Weise den Druck, der auf einer zerbrechlichen, durch verschiedene Einflüsse belasteten Jugendlichen liegt, führt den absurden Zwang der nach Geltungsdrang lechzenden Gesellschaft vor, immer irgendwo dazugehören zu müssen und führt ihren Film zu einem sprachlos machenden Schlussakt, der einen durchschüttelt, zu Tränen rührt und zutiefst schockiert. Der Titel des Films, der einerseits für die Asthma-Erkrankung der Hauptfigur steht, die sich durch ein Spray immer wieder neuen Atem verschaffen muss, ist letztendlich auch ein Appell an den Zuschauer, der sich nach diesem gewaltigen, emotionalen und am Ende niederschmetternden Drama regelrecht zwingen muss, weiterzuatmen. [...]

                            15
                            • 7

                              [...] Der Regisseur nutzt seine weitestgehend einfach durchschaubaren und schlicht gezeichneten Figuren für einen Zusammenprall der charakterlichen Einstellungen, Gewohnheiten und Ansichten. Mitten in diesem malerischen Urlaubsort trifft vermeintlich typisch deutsches Spießertum auf französisch freche Slacker-Attitüde und es ist zunächst ein großes Vergnügen, dabei zuzuschauen, wie sich die einzelnen Parteien munter in die Haare kriegen. "Im Sommer wohnt er unten" überrascht hierbei mit einer stellenweise angenehm erotischen Freizügigkeit und spritzig-pointierten Dialogen, was durch den lockeren Wohlfühl-Flair des sonnigen Ambientes nur noch unterstrichen wird. Es ist aber nicht nur dieser unterhaltsame Charme, der Sommerlattes Film so gelungen macht, sondern der durchgängig stimmige Wechsel zwischen unterschiedlichen Emotionslagen und dynamisch inszenierten Situationen. Auch wenn es vor allem anfangs einiges zu lachen gibt, präsentiert der Regisseur, nachdem er die meisten seiner Figuren allmählich bis zu ihrem wahren Kern freigeschält hat, einige ruhigere Szenen, in denen das kammerspielartig reduzierte Geschehen in bedrückende Nachdenklichkeit getaucht wird. Sommerlatte versteht es sehr gekonnt, durch gewagte Aussparungen und bewusstes Nicht-Zeigen von manchen Ereignissen weitere ambivalente Spannungen in seinem zwischenmenschlichen Charaktergeflecht zu erzeugen. Auf ähnliche Weise ist sich der Regisseur aber scheinbar auch immer darüber bewusst, wann er schwere Dramatik in Form von kurzen Eskalationen in seine Geschichte bringen muss. [...]

                              8
                              • 3 .5

                                [...] Wer einen Blick auf das ansehnlich gestaltete Poster dieses Films wirft, welches stilistisch wie eine dieser Cartoon-Karikaturen wirkt, mit denen prominente Persönlichkeiten parodiert werden, hat eines der positivsten Argumente über den Streifen bereits erlebt. Als Einstieg präsentiert "Die Wurmfresser" ansonsten eine liebevoll kreierte Intro-Sequenz, die aus wie von kleinen Kindern gemalten Bildchen von Würmern und einem ebenso albernen wie eingängigen Song über die Zuneigung zu den schleimigen Kriechtieren besteht. Ausgehend von einem gewissen künstlerischen Wert hat der Film seinen Zenit nach diesem Intro allerdings bereits überschritten. [...] "Die Wurmfresser" ist eben Trash in Reinkultur. Das Problem dabei ist nur, dass er als solcher wenig bis gar nicht unterhaltsam ist, so dass die dilettantischen Leistungen der untalentierten Laiendarsteller und die haarsträubend schlechten Dialoge nach kurzer Zeit kaum noch auszuhalten sind. Glücklicherweise hat der Film ungefähr eine Handvoll Szenen an Bord, die ihn vor dem endgültigen Totalausfall bewahren. Wenn Umgar, der als Figur schon fast skurril genug ist, seinen Opfern Würmer ins Essen mischt, sterben diese nicht einfach, sondern verwandeln sich nach schmerzhaften Krämpfen und kurzer Ohnmacht selbst in absonderliche Kreaturen, welche aus einer Hälfte Mensch, der anderen Hälfte Wurm bestehen. Auch die Essszenen selbst sind in verstörenden Close-ups inszeniert, in denen die Schauspieler ohne künstliche Tricks auf echten Würmern kauen, was zu ekligen, abstoßenden Anblicken führt. Die weltfremden, monströsen Geräusche, die sowohl kleine Würmer wie auch die großen Mensch-Tier-Mutationen von sich geben, tragen ihren Teil dazu bei, dass "Die Wurmfresser" immerhin in solchen raren Momenten zu genau dieser abstrusen Trash-Attraktion wird, die man sich über die gesamte Laufzeit des Films hinweg gewünscht hatte. [...]

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                                • 8

                                  In einem Waldstück hat sich ein brutales Verbrechen ereignet. Ein Samurai wurde ermordet, seine Frau vergewaltigt. Der Täter war wohl ein rücksichtsloser Bandit, der auf den ersten Blick ein so starkes Verlangen nach der Frau entwickelte, dass er deren Mann als Konsequenz aus dem Weg räumen musste. Der Tathergang wird zuerst von einem Holzfäller erzählt, der die Leiche als erster gefunden haben soll. Dann wird die Geschichte nochmal erzählt, aus einer anderen Perspektive und in einigen Details mit auffälligen Änderungen. Und dann wieder, erneut anders. Aber auch hier nicht als endgültige und schon längst nicht mehr glaubwürdige Variante.
                                  Dem damaligen Betrachter, der überwiegend lineare Handlungsverläufe und eindeutige Unterscheidungen in charakterliche Eigenschaften wie gut und böse vornehmen konnte, setzte Akira Kurosawa 1950 mit "Rashômon" ein vielschichtig zersplittertes Puzzle vor die Augen, in dem subjektive Erinnerungen, bewusste Falschaussagen und rückwirkende Täuschungen eindeutige Abgrenzungen zwischen Wahrheit und Lüge unmöglich machen.
                                  In überwiegend majestätischen Kompositionen vernebelt der Regisseur sein trügerisches Erzählgeflecht, verwandelt die einzelnen Bruchstücke mit prasselndem Regen zu verschwommenen Eindrücken und stellt die Frage, inwieweit eine einzige objektive Wahrheit überhaupt existiert oder jedes bewusste Erleben und jede getätigte Aussage des Menschen doch nur einem subjektiven Filter unterliegt.
                                  "Rashômon" lässt sich letzten Endes auf zahlreiche Arten interpretieren, steht über allem aber auch als Sinnbild für das Kino selbst. Wenn eine der Figuren äußert, dass es ganz egal ist, ob eine Aussage wahr ist, solange sie nur unterhält, ist man Zeuge des Prinzips vom filmischen Erzählen an sich, das einen ständig bewusst belügt. Auch wenn man als Zuschauer vollkommen im Klaren ist über diesen Zustand, akzeptiert man das Kino ständig als persönliche Wahrheit und verliert sich immer wieder aufs Neue darin.

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                                  • 7 .5

                                    David Lipsky sehnt sich nach dringenden Veränderungen in seinem Leben. Als Reporter für den Rolling Stone hat er keine Lust mehr, Berichte über kurzlebige, maximal unbedeutende Pop-Stars zu schreiben und als Autor verbucht er mit seinem kürzlich veröffentlichten Debüt-Roman höchstens mäßige Erfolge. Zeitgleich entsteht ein großer Wirbel um den Autor David Foster Wallace, der mit seinem Mammut-Roman "Infinite Jest" als eines der größten Talente seiner Generation gefeiert und in eine Riege mit den größten Schriftstellern aller Zeiten gestellt wird. Lipsky wittert die Chance einer riesigen Story und begleitet den eigenwilligen Autor auf einer Buch-Tour durch die Staaten.
                                    "The End of the Tour", die filmische Umsetzung der wahren Erlebnisse von Lipsky während dieser Reise, widmet sich der Dynamik zwischen dem Reporter und dem Autor. Regisseur James Ponsoldt inszeniert seinen Film praktisch ausschließlich über ausgelassene Dialogszenen, in denen er die Gefühle, Eigenschaften und Sehnsüchte dieser beiden Menschen sorgfältig offenlegt. Viele der zahlreichen Gespräche und Unterhaltungen sind dabei für den jeweils anderen mal aufschlussreich, dann wieder offenbar bedeutungslos, geben ihnen aber durchgehend die Möglichkeit der eigenen Reflexion.
                                    Wallace ist ganz offensichtlich ein unglaubliches Talent, charakterlich ist der eigenwillige Autor aber ein schwieriger Mensch, der sich mit dem anstehenden Ruhm gar nicht beschäftigen will und im Gegenzug an kleineren Dingen wie zwischenmenschlicher und sozialer Interaktion zu kämpfen hat. Lipsky ist als Reporter wenig überraschend ein extrovertiertes Gemüt, verwickelt andere Menschen spielend leicht in eine Konversation, hält sich selbst aber für unzureichend begabt und hätte gerne den Ruhm, der Wallace nun zu Teil wird.
                                    "The End of the Tour" lässt Wallace und Lipsky gerne zu einer sich gegenseitig ergänzenden Einheit verschmelzen, bei der beide unglaublich voneinander profitieren, fühlen, was es bedeutet, die Lücken des eigenen unerfüllten Daseins zu füllen. Natürlich führt diese Verbindung irgendwann auch zu Konflikten, in denen die entscheidenden Unterschiede zweier Persönlichkeiten zu hitzigen Spannungen führen.
                                    Der Film ist neben den geschliffenen Dialogen vor allem glänzendes Schauspielkino, in dem Jason Segel als Wallace und Jesse Eisenberg als Lipsky fantastisch in ihren Rollen aufgehen und vollständig hinter ihren Figuren verschwinden. "The End of the Tour" setzt sich außerdem auf sensible wie aufschlussreiche Weise mit dem Mythos des "speziellen Künstlerdaseins" auseinander und begibt sich auf der reinen Dialog-Ebene in das Innere einer zerbrechlichen Seele mit ganz eigenen, alternativen Sichtweisen und Einstellungen, die letztlich an der Last der eigenen Unerfülltheit gescheitert ist.
                                    Das durch Suizid herbeigeführte Ableben von Wallace, welches Ponsoldt geschickt direkt an den Anfang seines Films stellt, ist wiederum die entscheidende Erkenntnis für Lipsky. Am Ende findet dieser Film, der die Aufmerksamkeitsspanne des Betrachters hin und wieder leicht reizt, schließlich noch zu wahrer Größe. Filmfigur wie Zuschauer kommen unter Tränen zur Erkenntnis, welche lebensverändernden und prägenden Momente in kurzen Augenblicken, langen sowie zunächst unspektakulär erscheinenden Gesprächen und gemeinsamen Erlebnissen verborgen liegen.
                                    Am Ende ist ein Mensch gestorben, während der andere komplett neue Lebenskraft geschöpft hat. Trotzdem klingt "The End of the Tour" mit einer Szene aus, in der der Lebende Tränen in den Augen hat und der Tote ausgelassen tanzt. Respektvoller und würdiger hätte man das Thema nicht beschließen können.

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                                    • 5
                                      über Emelie

                                      [...] Thelin verpasst seinem Film allerdings einen Dreh, der "Emelie" in eine andere Richtung lenkt und direkt mit einer Überraschung aufwartet. Da diese bereits ziemlich früh enthüllt und kein großes Geheimnis daraus gemacht wird, darf auch hier verraten werden, dass sich hinter der Babysitterin alles andere als ein zartes Unschuldslamm verbirgt. Anna, die, wie der Titel bereits verrät, in Wahrheit Emelie heißt, entpuppt sich rasch als psychopathisches Monstrum, das ganz eigene Pläne verfolgt und mit den drei kleinen Kindern absurde Terror-Spielchen durchführt. Komplett ohne unnötige Gewaltdarstellung oder explizite Härte entwirft "Emelie" dadurch ein auf engem Raum angesiedeltes, mit schwarzen Humor durchsetztes sowie bedrohliches Setting, in dem sich die Situation nach kuriosen Anfangsscherzen immer weiter steigert und die Kinder diejenigen sind, auf die hier abgezielt wird. Zunächst gelingt es dieser mitunter ziemlich abstrusen Psychothriller-Variation auch recht gut, für kurzweilige Unterhaltung und dezent spürbare Anspannung zu sorgen, doch schon nach einer gewissen Zeit weiß der Film mit seiner Prämisse nicht mehr wirklich viel anzufangen. Als Zuschauer wartet man darauf, dass man vielleicht doch noch mit einer weiteren raffinierten Wendung überrascht oder zumindest der simple und dadurch irgendwann eintönige Verlauf überzogen auf die Spitze getrieben wird und ausartet. Vergeblich, denn stattdessen präsentiert der Streifen ein plattes Motiv der durchtriebenen Babysitterin, welches ihr viel an unberechenbarem Schrecken raubt und mündet in ein eher vorhersehbares Finale, das die Geschichte mehr zweckmäßig denn gelungen abschließt. [...] Bei frischgebackenen Eltern könnte der Film durchaus ein paar Schweißperlen auf der Stirn hervorrufen, doch über die Ausgangslage hinaus weiß der Film zu wenig mit seinem Setting anzufangen. "Emelie" wirkt somit wie eine verpasste Chance, schwarzen Humor und dezente Anspannung gekonnt zu potenzieren und auf dem Höhepunkt gezielt explodieren zu lassen. Übrig bleibt eine leichte Enttäuschung mit gelungenen Ansätzen und Ideen, bei der letztlich so viel mehr möglich gewesen wäre. [...]

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                                      • 5 .5

                                        Filme, die sich mit Vergangenheitsbewältigung, Aufarbeitung der Holocaust-Zeit und typischen Vorurteilen von Ausländern gegenüber Deutschen auseinandersetzen, gibt es vor allem im deutschen Sektor mittlerweile mehr als genug.
                                        "Am Ende kommen Touristen" beschäftigt sich ebenfalls mit exakt diesen Themen, unterscheidet sich bezüglich Herangehensweise und Stil aber augenscheinlich von bekannteren Vertretern dieser Art von Film. Regisseur und Drehbuchautor Robert Thalheim, der für die Handlung Ereignisse seiner eigenen Erfahrungen verwendete, erzählt die Geschichte eines Zivildienstleistenden, der sich in einer polnischen Begegnungsstätte in Auschwitz um einen älteren KZ-Überlebenden kümmern soll. Nebenbei bahnt sich außerdem noch eine leise Liebesbeziehung zwischen Zivi Sven und der polnischen Dolmetscherin Ania an.
                                        Thalheim setzt bei seinem Werk auf eine recht subtile und zurückgenommene Erzählweise, verzichtet auf übermäßigen Betroffenheitskitsch und verwendet sparsam eingesetzte Musik, die einen angenehmen Kontrast zu sonstigen Kompositionen bietet, welche auf ausufernden Pathos oder möglichst große Gefühle pochen.
                                        Inhaltlich ist "Am Ende kommen Touristen" insgesamt aber arg dünn geraten, schneidet vielversprechende Thematiken und Ansätze lediglich oberflächlich an und gerät aufgrund der sehr kurzen 81 Minuten Laufzeit zu einer ziemlich flachen Angelegenheit, bei der vor allem die Figuren selten über bloße Klischee-Charaktere hinaus kommen.
                                        Dass der anfangs widerwillige Zivi irgendwann doch noch Gefallen an seinen Aufgaben findet, einen Zugang zu dem zunächst mürrischen KZ-Überlebenden findet, der sich ebenfalls wenig überraschend als teilweise überaus zugänglicher Mensch entpuppt und nicht jeder Ausländer automatisch herablassend und abfällig über Deutsche urteilt, sind allesamt Entwicklungen innerhalb der Handlung, die sich weit im Voraus bereits erahnen lassen und trotz der überzeugend aufspielenden Darsteller kaum für Aufmerksamkeit sorgen.
                                        "Am Ende kommen Touristen" löst sein Versprechen aus dem Titel schlussendlich auch ein, findet zu einem Ende, das merkwürdig abrupt erscheint und den Zuschauer letztlich mit einigen offenen Fragen hinterlässt, auf die dieser womöglich gar keine Antworten suchen möchte.

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                                        • 6

                                          Von sogenannten "NGO"s dürften die meisten schon einmal gehört haben. Wie genau die Arbeit solcher von Regierungen unabhängigen Organisationen im Detail allerdings aussieht, davon haben sich sicherlich noch nicht allzu viele ein umfassendes Bild machen können.
                                          "A Perfect Day" dürfte in dieser Hinsicht auf lockere Art und Weise Klarheit erbringen, denn der Film von Regisseur Fernando León de Aranoa, dessen Drehbuch auf einer Romanvorlage einer Frau der bekannten "Ärzte ohne Grenzen" basiert, beleuchtet den Alltag einer Gruppe, die in von Krieg gebeutelten Krisengebieten im Balkan Hilfestellung leistet. In der bewusst minimalistisch gehaltenen Geschichte ist das Team fieberhaft auf der Suche nach einem Seil, um eine Leiche aus einem tiefen Brunnen zu ziehen, bevor diese nach 24 Stunden das Trinkwasser kontaminiert.
                                          Der Film nähert sich seiner eher schweren Thematik, die von trostlosem Leid, regelmäßigen Leichenfunden, Angst vor neuen Anschlägen und traumatisierten Menschen geprägt ist, mit auffälliger Leichtigkeit an.
                                          Mit frechem Witz, der nie in entlarvenden Zynismus abrutscht, einer simplen aber warmen Menschlichkeit und schlichten Banalitäten sucht "A Perfect Day" nach humanen Gesten und auflockernden, lebensbejahenden Kleinigkeiten im Angesicht von Leid und Tod. Während ihrer Suche stößt das Team dabei immer wieder auf Hindernisse. In einer Szene wird ihnen ein Seil nicht übergeben, da es benötigt wird, um Erhängungen durchzuführen. In einer anderen Szene liegt eine tote Kuh auf der Straße, was bedeutet, um den Kadaver herum könnte eine Mine platziert sein, die bei zu nahem Kontakt sofort explodieren würde. Aus dieser kurzfristigen Stau-Situation wird auf für den Film typische Weise ein Gespräch aufgebaut, in dem der Anführer der Gruppe mit seiner Ex-Freundin, die sich der Gruppe kürzlich ebenfalls angeschlossen hat, über den aktuellen Beziehungsstatus diskutiert.
                                          Die Balance zwischen beiden Seiten, also dem Komischen und ernster Betroffenheit, gelingt "A Perfect Day" dabei nicht immer einwandfrei und auch die Musikauswahl, bei der gelegentlich Classic Rock oder Punk-Rock eingesetzt wird, wirkt ein wenig wie ein Fremdkörper in Verbindung mit den spröden, ruhigen Bildern, die in Zusammenhang mit der maximal entschleunigten Handlung keine Musik dieses Genres nötig gehabt hätten. Angeführt wird der Streifen allerdings von einem wirklich fein ausgewählten Ensemble, in dem tolle Darsteller wie Benicio del Toro und Tim Robbins mit sichtbarer Spielfreude agieren und der manchmal etwas zu gemächlichen Erzählstruktur, welche hin und wieder spürbare Längen kreiert, zu entsprechender Dynamik verhelfen.
                                          Ein großer Wurf ist "A Perfect Day" insgesamt nicht geworden, aber de Aranoa hat mit seinem Film ein unterhaltsames, tragikomisches und manchmal sogar einfühlsames Stück Kino über ganz normale Menschen und deren Umgang mit denkbar unnormalen Situationen geschaffen, das leicht konsumierbar ist, aber nie ganz zu vielschichtigen und bedeutenden Eigenschaften von Figuren und politischer Lage vordringt.

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                                          • Ein toller Text! Enthält viele Eindrücke, die ich gestern im Kino ganz genauso empfunden habe, vor allem bezüglich "Alptraumartig, düster, psychologisch kompliziert und mit Flashbacks durchsetzt, kaleidoskopartig in narrativen Puzzleteilen...".

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                                            • 7 .5

                                              [...] Während "Man of Steel" oftmals unter der schwerfälligen Bedeutungstheatralik der typischen Produktionshandschrift von Regisseur Christopher Nolan förmlich kollabiert ist und schließlich in ein überlanges, alle Sinne pulverisierendes Finale in Form eines absoluten CGI-Overkills verfallen ist, enthält "Batman v Superman: Dawn of Justice" vermehrt vertraute Motive und Elemente aus dem bisherigen Schaffen des Regisseurs. Gerade die erste halbe Stunde des Films ist unglaublich bruchstückhaft, springt von einem Handlungsstrang zur nächsten Figur zu einem neuen Schauplatz und wieder zurück und fällt dabei durch extrem wirre Schnittfolgen auf, die leicht als schludriges Handwerk aufgefasst werden können.Tatsächlich verstärkt dieser fiebrige Schnitt den völlig entrückten Charakter der Inszenierung nur noch stärker und sorgt dafür, dass der Film, welcher realen Terror und bedrohliche Situationen vor allem zu Beginn wie surreale Höllentrips in Szene setzt sowie montiert, selbst so wirkt, als befände man sich im Albtraum einer konventionellen, glatt gebügelten Comicverfilmung. Snyder nähert sich durch diesen Stil wieder mehr seinem gewohnten Exzess und knüpft durch die zusätzliche Verwendung irritierender Traumsequenzen oder unvermittelter Gewalteinbrüche an den unberechenbaren, munter Regeln brechenden Fantasy-Bombast an, wie ihn beispielsweise "Sucker Punch" bereits bot. [...] "Batman v Superman: Dawn of Justice" nimmt sich ausgiebig Zeit, lässt die titelgebende Auseinandersetzung als kurzen Höhepunkt in die Geschichte krachen und verfällt letztlich in ein neues Szenario, das bedauerlicherweise an den Vorgänger erinnert. Hier wird das finale CGI-Übermaß hingegen als apokalyptisches Inferno eingesetzt, das nicht zu lange andauert, nur um zu einem Schluss zu führen, der den Ausblick auf die "Justice League" mit leisen Pessimismus vollführt und somit überraschend wie konsequent ausfällt. [...]

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                                              • 7 .5

                                                [...] "The Pervert's Guide to Cinema" ist eine Reise durch die gesamte bisherige Filmgeschichte, widmet sich vor allem den ganz großen Klassikern, welche jedem Cineasten weitläufig bekannt sein dürften und ermöglicht durchgehend völlig neue Betrachtungsweisen und Lesarten. Wer sich schon immer gefragt hat, wieso die Vögel aus Alfred Hitchcocks ("Marnie") gleichnamigen Film die Menschen angreifen, erhält hier direkt drei verschiedene Theorien. Desweiteren gibt es unter anderem aufschlussreiche Erkenntnisse über die verstörenden Vaterfiguren aus den düsteren Albtraumwelten von David Lynch ("Mulholland Drive"), weshalb die Säuberungsszene nach dem berüchtigten Mord unter der Dusche in "Psycho" weitaus beeindruckender ist als der eigentliche Akt der Tötung sowie Begründungen für die überaus provokante Aussage, nur eine tote Frau sei eine gute Frau. Aus dem Mund eines anderen hätte "The Pervert's Guide to Cinema" leicht zur trockenen Unterrichtsstunde wie aus finstersten Schulzeiten werden können, doch der eigentliche Star der Dokumentation ist Žižek selbst, der wild gestikulierend, oftmals nach Worten ringend und unter allerhöchstem Eifer förmlich in Raserei verfällt und seine kopflastigen Gedankenspiele mit ordentlich Feuer, gelegentlichem Humor und viel Charisma ausdrückt. [...]

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                                                • 8

                                                  [...] Ganz besonders ist aber noch die dritte Folge zu erwähnen. "Pfirsichmelba" ist nicht nur die beste Folge dieser 5. Staffel, sondern allgemein ein Höhepunkt der gesamten Serie. Bei seiner Arbeit an einem Tatort in einer Eisdiele trifft Schotty hier auf den unsicheren, eingeschüchterten Robby, der sich trotz seiner dezent anstrengenden Art als bemitleidenswerter Mensch entpuppt, dessen Schäden tief in der Kindheit auszumachen sind. Die Dynamik zwischen ihm und Schotty erreicht ein völlig neues Level, nachdem der Tatortreiniger versehentlich in der Kühlkammer eingeschlossen wird und ohne die Hilfe von Robby dem sicheren Tod entgegenblickt. Den Umgang mit so einer tragischen, nicht immer einfachen Persönlichkeit löst die Folge in einer zutiefst berührenden Pointe auf, welche wesentlich gefühlvoller in Erinnerung bleibt als sämtliche Angriffe auf die Lachmuskeln zuvor. [...] Auch nach fünf Staffeln bleibt "Der Tatortreiniger" ein regelrechtes Kleinod unter den deutschen TV-Serien. Schwarzhumorige Situationen, trockene Dialoge und bissige Spitzen gehen erneut extrem stimmig Hand in Hand mit melancholischen Zwischentönen, tragischen Pointen und berührenden Einschüben. Wenn man überhaupt etwas bemängeln will, ist es wohl immer noch die Programmpolitik des NDR, der dieses mittlerweile von einer eingeschworenen Fanbase verehrte Juwel nach wie vor stark unter Wert verkauft und Staffel für Staffel unbeachtet im Spätprogramm verpulvert. [...]

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                                                  • 4 .5

                                                    In Aokigahara, einem Wald in Japan, finden sich jährlich zahlreiche Menschen ein, um ihrem Leben ein jähes Ende zu bereiten. Der als Selbstmordwald bekannte Ort ist Schauplatz von "The Forest" und eigentlich bereits ohne jegliche nachträglich hinzugefügte Horror-Elemente ein Setting, das beklemmender und tragischer kaum sein könnte. Was könnte einem mehr Angst bereiten, als einen Wald zu durchschreiten, welcher der letzte Halt für verzweifelte oder gescheiterte Existenzen ist, die hier endgültig einer Art der Erlösung entgegenblicken?
                                                    Der dazugehörige Film weht hingegen lediglich als laues Lüftchen durch diesen Wald. "The Forest" weist zunächst Tendenzen eines vielversprechenden Horrorfilms auf, der sich der Thematik eher psychologisch und zurückgenommen annähert. Hauptfigur Sara ist auf der Suche nach ihrer verschwundenen Zwillingsschwester und die letzte Spur führt in den Aokigahara. Die junge Frau, die von einem Fremdenführer und einem eben kennengelernten Journalisten begleitet wird, bringt allerdings nicht nur physisches Gepäck mit in den Wald, sondern auch psychisches. "The Forest" verfährt in der ersten Hälfte noch recht gelungen dahingehend, vergangene Traumata und gegenwärtige Drohkulisse zu verschmelzen und zusammen mit unklarer Geheimniskrämerei der Figuren ein überaus bedrohliches Szenario zu spinnen.
                                                    Bezüglich konkreter Schockmomente fällt den Verantwortlichen aber nicht viel mehr ein, als auf plumpe wie nervtötende Jump-Scares zurückzugreifen, die noch dazu aus kaum überzeugenden Masken oder abgenutzten Make-up-Effekte wie aus einer modrigen Geisterbahnfahrt bestehen.
                                                    Gegen Ende versucht sich der Film noch in überraschenden Wendungen, die kaum jemanden vom Hocker reißen dürften, denn ab hier ist "The Forest" entgegen der zunächst wirkungsvoll eingeschlagenen Atmosphäre längst zum konventionellen, kaum überzeugenden und vor allem gänzlich ungruseligen Horror von der Stange verkommen, welcher vom Kurs abgekommen ist und sich auf dem ausgetretenen Trampelpfad der Klischees im Wald verlaufen hat.

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