Patrick Reinbott - Kommentare

Alle Kommentare von Patrick Reinbott

  • 8

    Audiovisuelle Perfektion. Mit "The Neon Demon" hat Nicolas Winding Refn sie erreicht, denn jedes einzelne Frame in diesem Film schreit geradezu danach, vom Betrachter gierig verschlungen zu werden und jedes Musikstück von Komponist Cliff Martinez schmiegt sich mal verführerisch, mal einlullend, mal vibrierend unter alle Szenen.
    In dem Werk lassen sich für filmkundige Cineasten viele Referenzen ausmachen, die von Mario Bava über Dario Argento und David Lynch bis hin zu Brian De Palma führen, doch Refn, der sich als NWR längst selbst zur Marke gemacht hat, ist mittlerweile eine feste Instanz mit unverkennbarem Stil, der in Zukunft ebenfalls als Inspirationsquelle in einer Liga mit den ganz Großen genannt werden wird. Nachdem er viele seiner durch den hypnotisch einzigartigen Neo-Noir-Traum "Drive" neu dazugewonnenen Anhänger mit dem nihilistischen, direkt aus der Hölle brüllenden Thailand-Fiebertraum "Only God Forgives" direkt wieder verprellt hat, war die Spannung auf "The Neon Demon" vor allem aus stilistischer Hinsicht beinahe unerträglich.
    In Refns aktueller Odyssee durch ein hell funkelndes, glattes Los Angeles verläuft sich das junge Nachwuchsmodel Jesse langsam in eine andere Welt, in der ihre natürliche Schönheit ausschlaggebend für alles ist, was ihr widerfahren wird. Der Regisseur beschäftigt sich mit den Abgründen der Modewelt dadurch, dass er hässliche Monster hinter makellosen Oberflächen versteckt, während Hauptdarstellerin Elle Fanning großartig zwischen naiver Schüchternheit und selbstbewusster Arroganz wandelt. Lange Zeit wird nicht einmal klar, wer oder was überhaupt der titelgebende "Neon Demon" ist, denn Refn bringt in der ersten Hälfte des Films, die für seine Verhältnisse fast schon leicht zugänglich und vor allem dialogfreudig ausgefallen ist, einige Figuren in ungewisse Positionen, um sich in der zweiten Hälfte schließlich mit fast schon perverser Freude am Exzess von der Leine zu reißen.
    In "The Neon Demon" ist Schönheit die einzige Währung, wie es ein Designer in einer Szene präzise auf den Punkt bringt, und Jesse ist die schönste von allen, weshalb sie sich mühelos auf der Karriereleiter nach oben und an einer durch plastische Chirurgie verunstalteten Konkurrenz vorbei bewegt. Dabei betont das erst 16-jährige Mädchen jedoch, dass sie nichts für ihre Schönheit kann, denn ein Talent zum Singen, Tanzen und Schreiben hat sie nicht, daher bleibt ihr nichts anderes übrig, als aus ihrem guten Aussehen Kapital zu schlagen. In einem betörenden Höhepunkt vollzieht sie auf dem Laufsteg schließlich eine Wandlung, bei der sie mit den Einflüssen zu verschmelzen scheint, welche die glamouröse Glitzer-Scheinwelt auf sie ausübt.
    Refn seziert die Besessenheit nach Schönheit in unserer heutigen Welt, sowohl von einem Standpunkt des letzten Auswegs heraus als auch aus der destruktiven Perspektive, die sich aus Neid, Hass und Lust zusammensetzt. Im letzten Drittel klopft der Regisseur immer stärker gegen die künstlichen Fassaden, taucht ab in einen schwindelerregenden Strudel abstoßender Gewalt- und Sexual-Akte, bis es ganz am Ende soweit ist, dass perfekte Schönheit noch nie einen solch ekelerregenden Eindruck des blanken Horrors hinterlassen hat.

    22
    • 6

      [...] Auch wenn der chaotische, grenzwertige Gaga-Wahnsinn in Praxis Dr. Hasenbein dem Zuschauer nicht gerade selten zuwinkt, wirkt der Film trotz zahlreicher sinnlos erscheinender Einzelszenen sortierter als Helge Schneiders (Jazzclub - Der frühe Vogel fängt den Wurm) vorherige Werke. Man könnte sogar meinen, der Komiker habe sich tatsächlich Gedanken um ein Konzept gemacht, das den Streifen im Hintergrund zusammenhält. Hierfür kreiert Schneider mit dem kleinen Provinzkaff "Karges Loch" einen ganzen Mikrokosmos, bei dem er den Fokus immer wieder von seiner eigenen Figur auf andere Dorfbewohner lenkt und durch sich ständig wiederholende Rituale sowie unterschiedlich entworfene Charaktereigenschaften einen ganzen Mikrokosmos aufbaut. Die vielen Szenen, in denen die Dorfbewohner an der Imbissbude stehen und über sinnlose Dinge plaudern, Schneiders Figur mehrfach mit dem Kioskbesitzer über die genau gleichen Themen redet oder allgemeine Verhaltensweisen der Figuren fangen die Charakteristik des Provinzlebens sehr treffend ein, wobei Schneider alles wie gewohnt gnadenlos überspitzt und meistens ins Sinnlose laufen lässt. Gerade deswegen nutzt sich die Idee hinter Praxis Dr. Hasenbein, für die der Regisseur kleinere Handlungsabläufe gerne wiederholt und mit dem für ihn typischen, gewöhnungsbedürftigen Humor verknüpft, schneller ab als in seinen anderen Filmen. Beinahe alle Szenen, in denen der Regisseur und Hauptdarsteller persönlich mitwirkt, sind mal wieder urkomisch und beinhalten die ein oder andere grandiose Pointe oder verrückten Scherz, doch Szenen mit anderen Charakteren, wie zum Beispiel das Waisenhaus von Tante Uschi, wirken öfters wie Lückenfüller, um überhaupt irgendwie noch auf Spielfilmlänge zu kommen. [...]

      6
      • 5

        Eine unsanfte Berührung, kurz nicht aufgepasst und schon ist der Geldbeutel weg. Michael Mason ist zwar ein typischer Kleinkrimineller, der aus einem zerrütteten Elternhaus stammt, in ein anderes Land abgehauen ist, als es ihm zu brenzlig wurde und die Schule abgebrochen hat, doch wenn es darum geht, andere Leute so geschickt und flink wie nur möglich um ihre Besitztümer zu erleichtern, macht ihm so schnell niemand was vor. Dass sich in der Tasche, die er zuletzt einer Frau geklaut hat, eine Bombe befand, die plötzlich explodiert und einige Menschen in den Tod reißt, war ihm jedoch nicht bewusst.
        Mit seiner Thematik des über Paris einbrechenden Terrors, welcher unentwegt Ängste vor weiteren Anschlägen, staatliche Sicherheitsmaßnahmen sowie außer Kontrolle geratene Aufstände hervorruft, bewegt sich "Bastille Day" auf fast schon beklemmende Weise ganz nah am Puls der Zeit. Der Film von James Watkins ist aber keinesfalls eine genauere Untersuchung dieser aktuellen Entwicklungen auf Politik und Gesellschaft, sondern ein gewöhnlicher Action-Thriller. Optisch erinnert der Streifen an die glatt polierte Action-Welle Frankreichs, bei der Luc Besson stets als Vorbild herangezogen wird. Sobald Trickbetrüger Michael zum ersten Mal mit CIA-Agent Sean Briar zusammenstößt, entfesselt der Regisseur eine dynamisch inszenierte Verfolgungsjagd über die Dächer der Stadt, die mit einem druckvollen Tempo sowie dem flotten Schnitt vorangetrieben wird.
        Solche Szenen besitzen allerdings Seltenheitswert, denn an diesen frühen Höhepunkt kann "Bastille Day" kaum noch einmal anknüpfen.
        Der Plot bedient handelsübliche Genre-Standards, bei denen wie so oft eine Verschwörung innerhalb hoher, staatlicher Kreise nicht fehlen darf, während sich das unfreiwillig vereinte Duo aus hartem, nicht lange fackelnden Agenten und pfiffigem, flinken Taschendieb von Schauplatz zu Schauplatz fortbewegt und dem wahren Grund des anfänglichen Terroranschlags auf den Grund geht. "Bastille Day" hätte durchaus das Zeug zum kurzweiligen Action-Kracher gehabt, denn wirkliche Ruhepausen genehmigt sich der Film so gut wie nie, doch die größte Enttäuschung neben dem öden Handlungsgerüst ist die kaum genutzte Dynamik zwischen den beiden Hauptdarstellern. Das diebische Talent von Richard Maddens durchaus charismatischer Figur kommt kaum zum Einsatz, da ihn das Drehbuch zum reinen Komplizen von Idris Elba macht. Oftmals bekommt Madden nicht mehr zu tun, als teilnahmslos hinter dem physisch beeindruckenden Elba herzulaufen, während dieser der stoische Einzelkämpfer ist, der mehr und mehr und zum Ende hin fast ausschließlich das Ruder alleine übernimmt.
        Obwohl "Bastille Day" inhaltlich einige interessante Ansätze enthält, bleiben viele Ideen zugunsten eines öden, kaum mitreißenden Plots unentwickelt. Der flotte Action-Thriller hat ein paar druckvolle Szenen zu bieten und mit Idris Elba sowie Richard Madden zwei charismatische Darsteller im Gepäck, lässt die Dynamik zwischen den beiden aber oftmals ungenutzt und versandet aufgrund der wenigen, handzahmen Action-Szenen im puren Mittelmaß.

        5
        • 6 .5

          In Stanley Kubricks Science-Fiction-Meilenstein "2001 – A Space Odyssey" kommt es im Mittelteil zu einem bedeutenden Schlüsselmoment, in dem "HAL", die künstliche Intelligenz des Raumschiffs, einen eigenen Willen offenbart, sich gegen die Crewmitglieder wendet und als elementare Bedrohung entpuppt.
          Der Titel des 19. "Tatort" aus Stuttgart nimmt nicht von ungefähr Bezug auf den ikonischen Bordcomputer, sondern wird in einem kompletten Handlungsstrang konkret als Vorbild für einen Fall genommen, in dem zeitgemäße Technologien und virtueller Wahnsinn langsam überhand nehmen.
          Der grauenvoll auf Video festgehaltene Mord an einer Escort-Dame, den das von Smartphone-Apps und fachspezifischen Bezeichnungen sichtlich überforderte Kommissar-Duo Lannert und Bootz zu lösen versucht, verkommt glücklicherweise eher zur Nebensache. Die eigentliche Ermittlung in "Tatort: HAL" glänzt nicht gerade mit Spannungsmomenten und wird von unangenehm auffallenden Dialogen überschattet, die man in einer typisch deutschen Produktion oftmals schon vorab befürchtet.
          Dafür ist die Geschichte des Entwicklers David Bogman umso reizvoller. Für das Unternehmen "BlueSky" hat er ein Programm entwickelt, das dazu in der Lage ist, auf Fragen zu antworten, mit Personen zu interagieren und offensichtlich völlig selbstständig zu handeln. Eine hochaktuelle Thematik, die Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein in einen anspielungsreichen Plot verpackt, der von immer stärker werdender Paranoia geprägt ist und schließlich, nachdem die Software wirklich ein Eigenleben zu entwickeln und sich gegen ihren Schöpfer zu richten scheint, zum rasant-packenden Thriller mutiert, der die staubigen Krimi-Fesseln gewöhnlicher "Tatort"-Episoden gekonnt ablegt und mit nachdenklichen, brisanten Denkanstößen aufwartet.
          Zum Ende hin gerät der Streifen leider etwas aus dem Ruder, wenn der bis dahin eigentlich toll agierende Ken Duken in störendes Overacting verfällt und alle Fäden eher zweckmäßig zusammengeführt werden. Frischen Wind bringt "Tatort: HAL" aber trotzdem in die Reihe, auch wenn man sich nach der Sichtung insgeheim wünscht, er hätte den konventionellen Kriminalfall komplett außen vor gelassen und den Fokus ausschließlich auf die interessante, größtenteils gekonnt umgesetzte Thematik von Big Data, Virtual Reality und K.I. gelegt.

          9
          • 8

            [...] "Entertainment" wirkt so, als hätte Quentin Dupieux, einer der aktuell auffälligsten Surrealisten des Kinos, "Inside Llewyn Davis" von Ethan und Joel Coen mit einem Stand-up-Comedian anstelle eines erfolglosen Folk-Musikers als Hauptfigur gedreht. Alversons Film folgt einer eigenen verschrobenen Logik, die einem Road-Trip ähnelt, mit dem Unterschied, dass sich der Protagonist auf seiner Reise die ganze Zeit um sich selbst dreht und am Ende kein erfüllendes Ziel erreichen wird, sondern endgültig in Trauer und Verzweiflung ertrinkt. Der Regisseur reißt dem öffentlich verbreiteten Eindruck der Comedy-Szene, bei der praktisch durchwegs gut gelaunte Künstler einen Gag nach dem anderen reißen und Menschenmassen zum Lachen bringen, die falsche Maske vom Gesicht und reduziert den amerikanischen Traum auf ein staubig-karges Skelett. Der Comedian wird auf monotone Weise mit seinen seelischen Schmerzen alleine gelassen und ist kaum noch dazu fähig, seine eigentliche Leidenschaft, das Publikum zu bewegen und in Gelächter zu versetzen, ausüben zu können. Zu limitiert sind die Menschen, die ihm nach seinen Auftritten zwar zu einer gelungenen Performance gratulieren, von seiner echten Persönlichkeit jedoch kaum weiter entfernt sein könnten, die er bewusst mit übertrieben gekünstelter Stimmlage im Verborgenen hält und mittlerweile scheinbar selbst nicht mehr zwischen Kunstfigur und Mensch unterscheiden kann. Hauptdarsteller Gregg Turkington ist die Sensation des Films, denn eine Präsenz wie er sie in jeder Szene zeigt, sieht man eher seltener bei Schauspielern. Die Figur seines Comedian gibt es dabei wirklich, denn in Gestalt von Neil Hamburger tourt Turkington bereits seit ungefähr 20 Jahren vorwiegend durch die USA, wobei er die Gemüter aufgrund seiner gewöhnungsbedürftigen Art mit voller Absicht spaltet. Gewöhnungsbedürftig ist auch "Entertainment", der vielleicht auch als Meta-Film gelesen werden kann, in dem Regisseur und Hauptdarsteller der Kunstfigur ein bitteres Denkmal errichten, das sich vor dem tragischen Kern des Comedian mithilfe von episodenhaften, surrealen Begegnungen sowie einsamer Verzweiflung verneigt und in einzelnen Momenten, wie beispielsweise der unvergleichlich schockierenden Geburtsszene in einer Toilette, zum Staunen bewegt. [...]

            11
            • 6 .5

              "Hier kann man doch keinen Kuchen essen! Wo soll man denn hier Kuchen essen?" - "In der Fantasie geht alles!"
              Und gerade in Helge Schneiders Fantasie geht sowieso alles. Viele Western hat er ja gesehen, der Helge. In "Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem" hängt über der Hütte tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift "Saloon" und die Hocker im Inneren sowie die Kostüme der beteiligten Personen erinnern ansatzweise an einen staubigen Leone aus den 60ern. Mit einem Western oder überhaupt einem Film an sich hat das Langfilmdebüt des anarchischen Komikers, musikalischen Talents und Improvisationskünstlers aus Mülheim an der Ruhr natürlich wenig gemeinsam.
              Schneider verweigert sich vollkommen den üblichen Standards, die so eine Filmproduktion eigentlich mit sich bringt. Mit vollster Absicht reiht er wüsten Nonsense, improvisierte, grundsätzlich unbrauchbare Szenen, offensichtliche Outtakes, musikalische Einlagen, willkürlich eingestreute Performances von Laiendarstellern und einfach ganz viel Quatsch aneinander, womit er einen in Fan-Kreisen längst zum Kult avancierten Hit kreiert hat, der reich ist an zitierfähigen Stellen.
              Nun hängt die Rezeption dieses Films selbstverständlich damit zusammen, wie aufgeschlossen man Schneider als unergründliche Kunstfigur gegenüber ist und inwiefern er einen mit seinem kompromisslosen, eigenwilligen Stil zum Lachen bringen kann. Über volle 85 Minuten hinweg offenbart "Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem" so manche Szenen, die zum Brüllen komisch sind, aber auch Momente, in denen die Grenze zwischen Genialität, Verstörung und Anstrengung hauchdünn verläuft.
              Szenen wie Doc Synder mit der Schweinemaske, die Reaktion seiner von einem Mann gespielten Mutter, nachdem diese/r vom aus alten Latschen gebrauten Whiskey probiert oder die surreale Wendung ganz zum Schluss, die der Absurdität endgültig die Krone aufsetzt, erreichen nur noch abgehärtete Anhänger von Schneider, der ihnen mit diesem Film genau das geschenkt hat, was sie sich (nicht) erwarten durften.

              11
              • 3 .5

                Noch nie war James Wans Instant-Nudelsuppen-Horror so lustlos und vorhersehbar wie in "The Conjuring 2". Eine knarzende Diele, eine sich langsam öffnende Tür, die Tonspur klingt leise ab und schon grüßt im nächsten Moment unter einem fast schon dreist lautem Knall der Tinnitus.
                Die gesamte erste Stunde dieses Films ist nicht mehr als ein ödes Best-of von dem, was Wan die letzten 4-5 Filme (Fast & Furious 7 ausgenommen) schon mal gedreht hat. Man wird den Eindruck nicht los, dass der Regisseur mittlerweile selbst schon keine Lust mehr auf diese Art von generischem Jump-Scare-Horror hat und einfach stur nach Schema F runterdreht, weil das Studio aufgrund der finanziellen Erfolge immer noch ein weiteres Sequel von ihm verlangt.
                Auch wenn der Streifen in der zweiten Hälfte leise Versuche in Richtung eines ruhigeren Charakterdramas unternimmt, sobald die Warrens im Haunted-House angelangen, zu den heimgesuchten Familienmitgliedern eine engere Beziehung aufbauen und ihre eigene Geschichte mit dem Schicksal der Familie Hodgson verknüpft wird, kann Wan einfach nicht widerstehen, im nächsten Moment des einigermaßen interessanten Spannungsaufbaus den nächsten lautstarken Tonspur-Brüller von der Leine zu lassen, sobald wieder Stühle durchs Haus fliegen oder sich eine Hand unter einem tosenden Knall auf die Schulter einer Figur legt. Was bisweilen irritiert und fast schon eher komisch wirkt, ist Wans Vorliebe für groteske Maskeraden, die hier bisweilen burtoneske Ausmaße annehmen, wenn sich schrill in Szene gesetzte Gestalten in Stop-Motion-Manier auf die Figuren zu bewegen und wie auf einem Karneval der Albträume Geräusche von sich geben.
                Wäre "The Conjuring 2" mit Vera Farmiga und Patrick Wilson, der ein hervorragendes Elvis-Cover auf der Gitarre zum Besten gibt, nicht so sympathisch besetzt, hätte der Streifen im Kino nichts verloren gehabt und wäre lieber direkt in der Direct-to-Video-Grabbelkiste neben Werken wie "Paranormal Ghost Hunters 7" gelandet. Der bisherige Tiefpunkt Wans.

                11
                • 8

                  Warum hat sich der junge Ken Park an einem sonnigen Nachmittag im Skatepark mit einer Pistole in den Kopf geschossen? Eine Antwort geben Larry Clark und Ed Lachman erst ganz am Ende, doch zuvor entwerfen sie ein Porträt von vier Jugendlichen, die in Kalifornien aufwachsen und eher der Unterschicht angehören, wobei die Regisseure die Grenzen dessen, was in einem Mainstream-Film gezeigt werden kann, gelegentlich bis zum Äußersten ausreizen.
                  Bereits durch sein kontroverses Debüt "Kids" sah sich Clark ständigen Diskussionen und Anfeindungen ausgesetzt, er sei ein widerlicher Voyeur, der sich an der Verrohung der minderjährigen Protagonisten ergötzen würde und an nichts anderem als Pornographie und der Ausschlachtung des sozialen Elends interessiert sei.
                  "Ken Park" treibt die unvergleichliche, rohe Ästhetik des Regisseurs noch weiter bis ans Limit, denn abgesehen von äußerst freizügigen Sex-Szenen enthält dieses Werk Momente abstoßender Brutalität, die einen nicht mehr loslassen. Trotzdem ist es kein kalter Zynismus, den der Film ausstrahlt, sondern ein Gefühl permanenter Isolation und Wunschgedanken nach einer anderen Welt, in die sich die Teenager unentwegt flüchten.
                  Für diese extremen Gefühlsausprägungen finden Clark und Lachman so noch nie gesehene Impressionen, in denen die schmutzige Ästhetik das verlorene, zerstreute Empfinden der Figuren durch rohe, ungefilterte Exzesse spiegelt. Gerade in der schonungslosen Darstellung von Sex zwischen den Jugendlichen oder extremer Masturbation wird ihr Verlangen nach Intimität auf eindringlichste Weise entblößt, während Frust und Kummer in einer zur Realität werdenden Mord-Fantasie kulminieren, die man in solch einer verstörenden Inszenierung selten erlebt hat.
                  Gegner von Larry Clark werden in "Ken Park" genügend Material finden, um sich erneut über den polarisierenden Stil des Regisseurs aufregen zu können, doch dieser Film zeigt nur weiterhin, dass er Gespür und Verständnis für ein Milieu besitzt, das kaum jemand auf derart ehrliche und erschütternde Weise darstellt wie er. Ein faszinierendes Filmerlebnis mit einer kontroversen Strahlkraft, die einen noch lange verfolgt.

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                  • 4

                    [...] Gus van Sants (Good Will Hunting) The Sea of Trees wird mit einer ebenso bedrückenden wie fesselnden Atmosphäre eröffnet. Die Kamera von Kasper Tuxen kreiert fantastische Bilder, in denen sich die Schönheit der Natur mit der morbiden Grundstimmung des Ortes verbindet, den jedes Jahr zahlreiche Menschen als letzte Anlaufstelle besuchen, um sich das Leben zu nehmen. Matthew McConaughey (Interstellar) spielt die Hauptfigur des todessehnsüchtigen Amerikaners und glaubt man dem öffentlichen Echo, ist dieser Film ein erster Knick im bis dahin glanzvollen Höhenflug des Schauspielers. Als die Credits bei der Uraufführung in Cannes im Jahr 2015 einsetzten, hagelte es stürmische Buhrufe für das Werk und den nachfolgenden Kritiken war ein einstimmig vernichtender Tonfall zu entnehmen. An McConaughey darf man diese negative Rezeption allerdings nicht festmachen, denn der verleiht seiner Figur mit zurückhaltender Sensibilität und zunächst verborgener, später intensiv offenbarter Tragik ein starkes emotionales Gewicht, das dem Film neben der tollen Bildsprache maßgeblichen Halt verleiht. Das zunehmend hanebüchene, mit geradezu abstoßendem Kitsch versehene Drehbuch von Chris Sparling (Buried - Lebend begraben) ist es schließlich, welches The Sea of Trees nach etwa zwei Dritteln der Gesamtlaufzeit immer langsamer, aber dafür umso härter den Todesstoß versetzt. Am meisten interessiert man sich als Zuschauer verständlicherweise für die Beweggründe Arthurs, das Motiv, weshalb sich der Amerikaner das Leben nehmen will. In eingestreuten Rückblenden setzt sich nach und nach das Bild einer problematischen Ehe zusammen, in der Arthur mit seiner Frau Joan unter Spannungen zu kämpfen hat. Während sie als Immobilienmaklerin die Hauptverdienerin ist, wartet er gemütlich darauf, dass sein geschriebenes Buch von einem Verlag veröffentlicht wird. Auch wenn The Sea of Trees gelegentlich bewegende Momente erzeugt, wenn er das Innenleben seiner Hauptfigur stückweise nach außen kehrt, werden die späteren Enthüllungen derartig konstruiert mit dem Klischee-Holzhammer und unterlegt von einem ziemlich unpassenden Score auf den Zuschauer eingehämmert, dass selbst diejenigen, die nah am Wasser gebaut sind und sich leicht einlullen lassen, irritiert sowie frustriert mit dem Kopf schütteln werden. [...]

                    10
                    • 7 .5

                      Ob es für Mel Gibson jemals nochmal einen Weg zurück ins Rampenlicht gibt, bleibt weiterhin fraglich. Sehr ruhig war es in den letzten 10 Jahren um den Schauspieler geworden, zudem lassen sich seine Filmauftritte in diesem Zeitraum an einer Hand abzählen. Seine Entgleisungen in der Öffentlichkeit, seien es volltrunkene Ausfälle, antisemitische Äußerungen oder Prügeleien, haften ihm immer noch an, große Studios machen ohnehin einen großen Bogen um ihn und jeder Versuch eines Comebacks scheint bereits im Voraus zum Scheitern verurteilt zu sein.
                      Regisseur Jean-François Richet hat mit Gibson als Hauptdarsteller trotzdem einen Glücksfall gelandet, denn in so starker Verfassung wie in "Blood Father" hat man den Schauspieler schon lange nicht mehr gesehen. Eigentlich könnte man den Film nach seiner Synopsis als weiteren Auswurf der "Taken"-DNA abschreiben, in dem ein schlagkräftiger Vater die eigene Tochter vor üblen Gangstern beschützen muss und dabei einen Gegenspieler nach dem anderen auf mürrische Art aus dem Weg räumt.
                      "Blood Father" hält sich mit Action-Szenen aber überraschenderweise zurück und beschränkt die durchaus blutig geratenen Gefechte auf ein Mindestmaß. Richet konzentriert sich viel lieber auf das Verhältnis zwischen Vater und Tochter, die einiges aufarbeiten müssen. Seit Jahren gilt John Links Tochter Lydia als vermisst, was sich der Ex-Häftling in gewisser Weise selbst zuschreibt. Zu oft ist der Alkoholiker rückfällig geworden, erneut auf die schiefe Bahn geraten und wieder im Knast gelandet, während die Tochter regelmäßig einem neuen Stiefvater ausgesetzt war, da die Mutter ihre Partner am laufenden Band wechselte. Nun hat Lydia nach einem Zwischenfall aber Probleme mit dem mexikanischen Kartell und ist auf die Hilfe ihres Vaters dringend angewiesen.
                      Natürlich macht es auf eine nostalgisch geprägte Art irgendwo Spaß, wenn man Gibson dabei zusieht, wie er die Hand eines Angreifers per Messer und einem gestresst gebrüllten "Motherfucker !" ans Fensterbrett nagelt, doch die wahre Stärke dieses Films liegt in den Momenten der Ruhepausen. Wenn Vater und Tochter versuchen, wieder Verständnis füreinander aufzubringen, sich langsam öffnen und beginnen, von jeweiligen Selbstmordversuchen zu erzählen, um gemeinsam neue Hoffnung zu schöpfen, ist "Blood Father" auf einmal viel mehr Drama als der unkomplizierte B-Movie-Reißer, den sich so manch einer im Vorfeld erwartet hatte.
                      Am Ende ist dieses Werk vor allem so gelungen, da es kein verzweifelter Versuch Gibsons ist, nach lange ersehnter Aufmerksamkeit zu schreien, ein erneutes Comeback zu wagen und allen zu beweisen, wie sehr ihn die Filmwelt noch braucht. Es ist einfach ein Film, in dem er mitspielt, weil er es kann und es war lange nicht mehr so erfüllend, ihm dabei zuzusehen.

                      12
                      • 7

                        [...] Ferraras Film ist ein ganz eigenes Biest, in dem der Regisseur die von ihm so geschätzten Ecken und Winkel New Yorks erkundet und seinen abgewrackten Protagonisten auf eine Reise durch drogenvernebelte Situationen und korrupte Abgründe schickt. Keitel, der zuvor schon in einigen Filmen als Gangster auftrat, meistert hier seine bislang wahrscheinlich kaputteste Rolle, denn sein namenloser Lieutenant ist ein unberechenbarer, verlorener Junkie, immer auf der Suche nach dem nächsten Rausch. Auf eine zusammenhängende Handlung mitsamt konventionellem Spannungsbogen verzichtet Ferrara in seinem Werk beinahe völlig. Zwar kommt die Hauptfigur an den ein oder anderen Tatort, doch um die Aufklärung der Kriminalfälle geht es in Bad Lieutenant nie. Viel mehr ist der Streifen eine intensive Charakterstudie, die den stetigen Zerfall des Lieutenant anhand einzelner Zwischenfälle schildert. Keitels Figur erhält zu Beginn noch einen Funken Normalität, wenn er als Vater gezeigt wird, der seine beiden Söhne zur Schule fährt. Nach dieser Szene ist er allerdings fast ausschließlich nur noch ein taumelndes Wrack, welches Ferrara beim Crack rauchen und Heroin spritzen zeigt, wie er sich mit Prostituierten abgibt, gefährliche Sportwetten abschließt, an Tatorten versucht, Drogen in die eigene Tasche zu stecken oder in einer besonders skurrilen Szene zwei Mädels davonkommen lässt, die ohne Führerschein gefahren sind. Durch die Verweigerung eines roten Fadens bewegt sich Bad Lieutenant teilweise nah an der Eintönigkeit, was alleine dadurch ausgeglichen wird, dass sich Keitel mit Leib und Seele in die heruntergekommen Verzweiflung seiner Figur stürzt und Ferrara ein begnadeter Handwerker ist, was die Gestaltung einzelner Szenen betrifft. Symbolischen Unterbau erhält der Streifen lediglich durch einen religiösen Nebenhandlungsstrang, bei dem eine Nonne von zwei Jugendlichen brutal vergewaltigt wird. Diese Tat lässt den Lieutenant nicht mehr los und bringt ihn an die Grenzen seines katholischen Glaubens, nachdem ihm die Nonne später eröffnet, sie hätte den Tätern vergeben. In der vermutlich polarisierendsten Sequenz des gesamten Films kommt es zu einem emotionalen Zusammenbruch, in dem Ferrara den ganzen Schmerz der Hauptfigur mit einer irritierenden Erscheinung sowie markerschütternden Schreien am Rand des Overactings verbindet. Eine gewissermaßen unvergessliche Szene, im positiven oder negativen Sinne. [...]

                        9
                        • 7

                          Es dauert nur wenige Minuten, da hat man "Mean Girls" praktisch schon ins Herz geschlossen. Eigentlich ist der Film nicht viel mehr als einer dieser zahlreichen High-School-Komödien, in denen ein Mädchen neu an eine Schule kommt und als Mauerblümchen Anschluss finden will. Der Unterschied zwischen "Mean Girls" und den vielen, austauschbaren Teenie-Filmen ist allerdings das Drehbuch von Tina Fey, in dem die SNL-Autorin nichts von ihrer gewohnt bissigen Schärfe vermissen lässt.
                          Bereits die liebevolle, leicht überzeichnete Charakterisierung der einzelnen Gruppierungen in der Schulkantine lädt zum verständnisvollen Schmunzeln ein, da man einige Personentypen mit Sicherheit aus der eigenen Schulzeit wiedererkennt. Neben dem vergnüglichen Spiel mit den jeweiligen Stereotypen legt Mark Waters in seinem Werk außerdem ein hohes Tempo an den Tag, bei dem die schrillen Wortwitze, unter die auch einige herrliche Wortneuschöpfungen fallen, und einfallsreichen Situationen nur so auf einen zurauschen.
                          Herzstück des Films ist die eingebildete, zickige Mädchen-Gang, genannt "Plastics", der sich die Hauptfigur zunächst eigentlich nur anschließt, um deren abgehobenes, hochnäsiges Verhalten auszuspionieren und sich mit anderen Freunden darüber amüsieren zu können. Cady, die mit ihrer sympathischen Art von Lindsay Lohan in einer Paraderolle gespielt wird, wird von den drei aufgetakelten Püppchen Regina, Karen und Gretchen aber anfangs besser aufgenommen als sie vorher dachte. Die Jugendliche, welche vorher 12 Jahre in Afrika gelebt hat und zuhause unterrichtet wurde, betritt mit ihrem Neuanfang in einer gewöhnlichen High-School ohnehin eine andere Welt, doch die Welt der "Plastics" ist ein eigener, völlig schräger Mikrokosmos, den Fey in bester Laune auslotet, ins Absurde überspitzt und mit einer diebischen Freude in seine Einzelteile zerlegt, nachdem Cady beginnt, nach den falschen, hinterlistigen Regeln der Clique zu agieren und alle aneinander geraten. Hierbei kommt es zu einigen Szenen, die man mit solch einer frechen Unverfrorenheit (Busunfall) wahrscheinlich noch nie in einer Teenie-Komödie gesehen hat.
                          Würde "Mean Girls" sein freches Mundwerk in Verbindung mit den liebevollen Charakteren bis zum Ende durchhalten, hätte man es hier tatsächlich mit einem der besten Vertreter seines Genres zu tun, aber leider fällt das Drehbuch im letzten Drittel zurück in abgedroschene, seichte Gewässer. Dass auf den mitunter wunderbar bösartigen Zickenkrieg schlussendlich eine harmlose Läuterung sowie naive Moral folgen, enttäuscht, auch wenn der Streifen nichtsdestotrotz zeitweise wirklich blendend unterhält und verständlicherweise für viele als gar nicht mal so heimlicher Liebling unter den neueren Teenager-Filmen gilt.

                          7
                          • 6

                            [...] Auch wenn Mads Matthiesens Film mit handwerklicher Eleganz komponiert wurde und der Soundtrack hin und wieder durch verführerische Pop-Songs besticht, wischt der Regisseur den Glanz und Glamour der Branche früh von der Oberfläche und zeichnet anhand des Werdegangs seiner überforderten, sensiblen Hauptfigur ein düsteres Bild der Mode-Welt. Emma erkennt, dass sie sich anpassen und im moralisch korrumpierten Spiel teilnehmen muss, welches von einem Großteil der Schlüsselfiguren in diesem Beruf ausgeübt wird. Nachdem sie mit dem Fotografen Shane, der sie beim Shooting zuvor noch rücksichtslos fallen ließ, ins Bett steigt, öffnen sich plötzlich einige Türen, durch die das Mädchen hoffnungsvoll hindurchgeht. Von nun an entwickelt sich "The Model" aufgrund von abgründigen Obsessionen, erbitterter Eifersucht und geheimen Seitensprüngen zu einem Drama, welches etwas zu sehr in Richtung Soap-Opera anstelle präziser Entlarvung der Szene abschweift. Das Bedürfnis von Emma nach Zwischenmenschlichkeit, dem Gefühl, dass sie jemand einfach nur verständnisvoll in den Arm nimmt, spiegelt sich in den Gesichtszügen von Hauptdarstellerin Maria Palm, die selbst Model ist und hier ihr Schauspieldebüt gibt, überzeugend wider. Trotzdem wird sie vom Drehbuch zu oft in vorhersehbare Erzählrichtungen gepresst, wodurch ihre Entwicklung vom Mauerblümchen über ein selbstbewusstes, verführerisches Model hin zur gebrochenen, verzweifelten Persönlichkeit kaum überrascht und mit erwartbaren Konsequenzen aufwartet, denen hinsichtlich Radikalität der letzte Schliff fehlt. [...]

                            5
                            • 3 .5

                              Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich das Horror-Genre erneut einem aktuellen Trend verschreibt. Nachdem Found-Footage mittlerweile mehr als abgenutzt und überholt ist, gelang es zumindest ein paar Filmen wie "Unfriended" oder "The Den", dem Subgenre durch den visuellen Kniff der Webcam-Perspektive immerhin einige frische Impulse abzugewinnen. Was bislang noch fehlte, waren Horrorfilme, die sich mit der momentanen Virtual-/Augmented-Reality-Thematik auseinandersetzen. Martin Owens Low-Budget-Horror "Let´s Be Evil" versucht diese Lücke nun zu füllen.
                              Da Protagonistin Jenny mit dem Zahlen der Rechnungen für die Pflege ihrer schwerkranken Mutter kaum noch nachkommen kann, ist sie umso erfreuter über einen Job, bei dem sie hochbegabte Kinder in einem bunkerähnlichen Gebäude betreuen soll. Der Clou dabei: Alle Kinder werden über Augmented-Reality-Brillen geschult, daher müssen die Betreuer ebenfalls rund um die Uhr dieselben Brillen tragen, denn ohne sie ist in dem Gebäude vor Dunkelheit nichts zu erkennen. Nach einer Weile häufen sich allerdings seltsame Vorfälle, bei denen Kinder nachts vorübergehend aus ihren Betten verschwinden, die Technik im Gebäude außer Kontrolle gerät und schließlich der Notalarm ausgelöst wird.
                              Wer sich von "Let´s Be Evil" aufgrund der visuell grundsätzlich interessanten Prämisse, bei der ein Großteil des Geschehens aus der Egoperspektive durch die Sichtweise der Augmented-Reality-Brillen dargestellt wird, cleveren Horror erhofft, der mit der wechselnden Wahrnehmung von Realität und Virtualität spielt, wird schnell auf pure Ernüchterung stoßen. Nach der überlangen Einleitung, der es abgesehen von optischen Spielereien nicht einmal gelingt, den blassen Figuren Profil zu verleihen, verkommt der Streifen zu einer öden Schlaftablette, die sich unentwegt auf generische Schockeffekte und kaum erkennbare Aktionen im Dunkeln stützt.
                              Gerade momentane Zeiten, in denen der bahnbrechende Erfolg von Spielen wie "Pokémon Go" das Verlangen nach Augmented-Reality massiv befeuert, öffnen das satirische Potential der Technologie nur noch stärker für Filmemacher. Owen weiß damit hingegen kaum etwas anzufangen und verlässt sich auf pulsierende Neon-Lichter in verlassenen Gängen, vermeintlich gruselige Kinder und unübersichtliche Hektik, wodurch er weder Spannung noch Horror erzeugt und einen völlig banalen, oftmals eher nervigen Film aus der Mottenkiste gedreht hat, der nur von seiner bisweilen interessanten Optik aufgefangen wird.

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                              • 8

                                Das Gefühl des Unverstandenseins, nirgends dazugehören zu können und letztlich ein Außenseiterdasein fristen zu müssen, ist ein bedeutendes Kernmotiv, das sich durch einen Großteil der Werke von Tim Burton zieht. Und sollte man sich selbst in einer solchen Lage wiederfinden, ist es nur verständlich, dass man dem Regisseur ein Stück weit Liebe entgegenbringen kann, denn Burton begegnet eben diesen Außenseitern der Gesellschaft mit einem Verständnis und einem Respekt, wie es in der gesamten Filmszene nur wenigen so gelingt wie ihm. Ob er nun Ed Wood, der offiziell als schlechtester Regisseur aller Zeiten betitelt wurde, ein Denkmal setzt oder sogar die einsame Tragik einer Comicfigur wie Batman beeindruckend auslotet, ist es allem voran "Edward Scissorhands", in dem die Essenz dieses Motivs zu finden ist.
                                Mit seinem bleichen, von Narben zerfurchten Gesicht, den wild verstruppelten Haaren und natürlich den riesigen Scherenhänden ist der künstlich erschaffene, unvollendete Hauptcharakter eine der optisch exzentrischsten Figuren, die der Regisseur jemals kreiert hat. In seinem Inneren ist dieser Edward, den Johnny Depp ohne große Worte und dafür mit unglaublich viel Ausdruck verkörpert, jedoch eine herzensgute Seele, der mit verschüchterten, neugierigen Augen von der erfolglosen Kosmetik-Vertreterin Peg aus seinem dunklen Schloss in ein knallbuntes Bilderbuch-Suburbia mitgenommen wird.
                                Burtons Film ist nicht nur ein verträumtes Märchen, welches Züge der klassischen "Die Schöne und das Biest"-Geschichte trägt, nachdem sich Edward in Pegs Tochter Kim verliebt, sondern erhält darüber hinaus einen dezent satirischen Anstrich, bei dem der Regisseur mit liebevoll entworfenen Karikaturen arbeitet, die den typischen Vorstellungen von spießigen, etwas einfältigen sowie sensationslüsternen Vorstadtbewohnern entsprechen. Urkomisch ist beispielsweise die Szene, in der Peg das erste Mal mit Edward durch die Straßen fährt und von den Hausfrauen der Nachbarschaft beobachtet wird. Sofort glühen in den Wohnungen die Telefone und es entsteht der hysterische Klatsch und Tratsch, den man sich hinter den Fassaden der malerischen Häuser nur zu gut vorstellen kann.
                                Überhaupt steckt Burton viel Humor in seinen Film, wenn der Zuschauer den ersten Gehversuchen und Entdeckungen von Edward zusehen darf und wie dieser in einer für uns "normalen", für ihn völlig neuen Welt regelmäßig an seine Grenzen stößt. Dass die Nachbarschaft Edward als vermeintlich besonderes Geschöpf akzeptiert und seine Fähigkeiten mit den Scherenhänden nur zu gerne in Anspruch nimmt, täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass "Edward Scissorhands" zwangsläufig in die Tragödie kippt, die er schon von Anfang an war.
                                Mit viel Sympathie beschert der Regisseur seiner Hauptfigur einige wunderbare Momente, ohne jemals von der zentralen Aussage abzuweichen, dass Edward in einer normalen Welt langfristig zum Scheitern verurteilt ist, jede noch so große Bemühung von ihm missverstanden wird und ein erzwungenes Bemühen um Anpassung wiederholt fehlschlägt.
                                Trotzdem hinterlässt Burton den Zuschauer und auch Edward mit einem unvergesslichen Bild im Kopf, wenn die junge Winona Ryder im Garten steht und ihre Hände glücklich nach den Schneeflocken ausstreckt, die sie noch nie gefühlt hat.

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                                • 6

                                  [...] In vielen Szenen mutiert "Suicide Squad" vor allem im ersten Drittel durch die stakkatoartige, unentschlossene Montage zu einem wüsten Wirbelsturm, bei dem Ayer ganz klar mit der Ambition zu kämpfen hat, dass er im Idealfall alle neun Mitglieder der Antihelden-Truppe einführen und mit ausreichend Hintergrundmaterial versorgen muss. Der Film gerät daher zunächst zu einer flippigen Aneinanderreihung einzelner Clips, die aufgrund des exzessiven Einsatzes von Songs wie Musikvideos wirken, in denen der Regisseur bei der Charakterisierung klare Schwerpunkte setzt. Während Harley Quinn und Deadshot eindeutig als "Stars" des Squad etabliert werden, erhalten andere Mitglieder wie Captain Boomerang, Killer Croc oder Katana nur spärliche Einführungen und werden regelrecht zu Randfiguren degradiert, wobei Ayer manchen Figuren wie beispielsweise El Diablo im späteren Verlauf noch tiefere Charakterfacetten verleiht. Vom reinen Verlauf der Handlung her ist "Suicide Squad" geradezu banal ausgefallen. Ist die Truppe erst einmal vereint, entpuppt sich ihr Einsatz als geradlinige Söldner-Mission, bei der sie sich durch die anrückenden Gegnerhorden kämpfen. [...] Etwas zweckmäßig eingestreut wirken allerdings die Auftritte des Jokers, der weitaus weniger Bedeutung für das Gesamtwerk hat, als viele vorher vermutet hatten. Die von Jared Leto als überdrehter Psycho-Zuhälter dargestellte Interpretation der Comicfigur kommt lediglich auf ungefähr 10 Minuten Screentime und wirkt so verschnitten und gekürzt, dass man auf ihn sogar ganz hätte verzichten können. Wesentlicher reizvoller und interessanter ist dagegen der Umgang mit dem Suicide Squad von Seiten der Regierung, bei dem Ayer seinen finsteren, zynischen Ton nach wie vor durchblitzen lässt. Die skrupellose Vorgesetzte Amanda Waller macht jederzeit klar, dass sie nur ein Haufen Abschaum sind, zur Vorsicht bekommen sämtliche Mitglieder Mikro-Sprengsätze in den Hals implantiert, die bei fahrlässigem Fehlverhalten zum sofortigen Tod führen und als "Belohnung" steht dem Team nur eine Reduzierung ihrer Haftstrafen um 10 Jahre in Aussicht. Auch wenn die eigentliche Handlung nicht gerade mit komplexem Anspruch besticht, ist der Tonfall des Streifens ein faszinierender, bei dem auch die humorvollen Einschübe nicht vom eigentlichen Kern ablenken, in dem es darum geht, dass ein paar Menschen, so schlecht sie sich auch verhalten haben mögen, wie Dreck behandelt und ausgenutzt sowie ohne Bedenken geopfert werden und eigentlich keinen richtigen Sinn hinter ihrer Mission sehen können. [...] Letztendlich hat die finale Kinofassung von "Suicide Squad" aufgrund der Studio-Eingriffe wahrscheinlich einiges von dem einbüßen müssen, was Regisseur David Ayer ursprünglich erdacht hatte. Der ungestüme, mit etlichen Ecken und Kanten versehene Blockbuster ist aber trotzdem weitaus interessanter und gelungener als die letzten Auswürfe des MCU, dessen Filme alle gleich aussehen, einen individuellen Stil komplett vermissen lassen und sämtliche Konsequenzen umgehen. Ayers Geschichte wirft dem Zuschauer einige Ungereimtheiten, Logiklücken und Banalitäten vor die Füße, aber trotzdem hat man mit dieser Truppe, die man eben erst kennengelernt hat, mehr Spaß als gedacht und bekommt einige durchaus überraschende, faszinierende Elemente (Der Umgang mit der Figur des Slipknot könnte kaum typischer sein für Ayer), welche die Handschrift des Regisseurs nicht vermissen und den gewöhnlichen, massenkompatiblen Blockbuster-Comicfilm-Standard weit hinter sich lassen.

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                                  • 7

                                    "Imperium" vereint sämtliche Vorzüge und Reize in sich, die man von einem Undercover-Thriller, eine der potentiell spannungsgeladendsten Varianten des Genres, erwarten darf. Daniel Radcliffe hat sich vom Image des milchgesichtigen Zauberlehrlings mittlerweile freigespielt und besticht hier in der Hauptrolle als von Idealen geleiteter, eher schüchterner FBI-Agent, der sich hinter einem Computerbildschirm vergraben und mit Kopfhörern durch Musik abgelenkt am wohlsten fühlt.
                                    Für einen überraschenden Auftrag muss Nate Foster sein bisheriges Verhalten allerdings von Grund auf umkrempeln, denn eine Vorgesetzte will ihn verdeckt in ein terroristisches Netzwerk einschleusen, das aus Neo-Nazis besteht und demnächst eine Anschlagsserie mit schmutzigen Bomben plant. Gerade in seinem ersten Drittel entwickelt "Imperium" langsam eine immense Spannung, indem Regisseur Daniel Ragussis bekannte Elemente eines solchen Undercover-Einsatzes mit handwerklicher Intensität verdichtet und geschickt zu Spannungsmomenten steigert, die den Puls in die Höhe treiben.
                                    Die Verwandlung des von Natur aus eher introvertierten, vorsatzgemäßen FBI-Agenten in einen überzeugenden Rechtsextremisten, also das Erzeugen und vor allem Aufrechterhalten einer künstlichen Fassade, ist der entscheidende Faktor, der den Streifen wesentlich vorantreibt. Das Gefühl, dass jeder Schritt der letzte, jedes Wort das falsche und die kleinste auffällige Gesichtsregung gefährlich sein könnte, durchzieht viele Szenen dieses Films, in dem sich Nate durch intelligente Improvisation, überlegte Wortwahl sowie genau durchdachte Bewegungen eine Scheinidentität bewahren muss. Durch bedrohlich eingefügte Montage-Fetzen erzeugt Ragussis anfangs außerdem ein Bild des Neo-Nazi-Milieus, das wie aus einem Albtraum wirkt.
                                    Bei der Darstellung der rechten Szene setzt "Imperium" hingegen auf Zwischentöne. Nate selbst, der auf der Arbeit als Außenseiter gilt, den Kollegen eher müde belächeln, trifft nicht nur auf furchteinflößende Gestalten, denen man zutraut, dass sie jeden Moment in hässliche Brutalität ausbrechen könnten, sondern auf kultivierte Personen, die bevorzugt klassische Musik hören und dadurch sogar die gleichen musikalischen Interessen mit ihm teilen, oder auf junge, desorientierte Jugendliche, die in der Szene aus Verzweiflung Halt suchen.
                                    Auch wenn das Drehbuch auf wahren Erlebnissen eines ehemaligen FBI-Agenten beruht, wirkt "Imperium" im letzten Drittel manchmal zu unentschlossen. Die Verbindung eines authentischen Milieu-Porträts, in dem versucht wird, einigen Gesichtern hinter ihrer fragwürdigen Ideologie Profil zu verleihen, mit Momenten eines fesselnden Thrillers wird durch konstruierte, glattgebügelte Szenen etwas verwässert. Der Film endet schließlich auf einer etwas zu gutgläubigen Note, bei der glaubwürdige Konsequenzen und realistische Entwicklungen zugunsten eines zu klischeebehafteten Finales weichen müssen. Als geradliniger Thriller hat "Imperium" nichtsdestotrotz einige höchst elektrisierende Momente und einen überzeugenden Daniel Radcliffe in der Hauptrolle zu bieten, so dass er seiner intensiven Undercover-Thematik überwiegend gerecht wird.

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                                    • 5 .5

                                      [...] Während "Ascension" über die ersten zwei Episoden hinweg wie eine Mischung aus Murder-Mystery, Soap-Opera und Science-Fiction-Parabel wirkt, lässt ein gewaltiger, intelligenter Twist am Ende der zweiten Episode das gesamte Szenario in einem komplett neuen Licht erscheinen. Ohne zuviel Preis zu geben, gewinnt die Serie fortan ungemein an Tiefe, indem die Autoren Raum für philosophische Denkanstöße öffnen. Neben den Ereignissen auf der Ascension ist ein paralleler Handlungsstrang auf der Erde angesiedelt und wird entscheidend mit dem Schicksal der Figuren verwoben, die sich im Inneren des Raumschiffs befinden. "Ascension" wirft einige Fragen auf, die sich mit Selbstbestimmung, dem freien Willen und den ethischen Grenzen der Wissenschaft beschäftigen, während die zentrale Handlung in kleinen Schritten von Episode zu Episode neue Rätsel entwirft. Bedauerlicherweise war der Serie keine sonderlich lange Lebenszeit vergönnt, denn nach nur sechs Episoden der Mini-Serie zog der Sender bereits den Stecker und verzichtete auf die Bestellung einer vollen Staffel. "Ascension" wirkt durch diesen Umstand extrem unfertig und bruchstückhaft. Auch wenn man über mehrere Episoden hinweg langsam Hinweise auf größere Zusammenhänge erhält, den Figuren näher kommt und wirkliches Interesse an den tiefergehenden Mysterien sowie Theorien entwickelt, wird man mit einem abrupten Cliffhanger völlig in der Luft hängen gelassen und verbleibt mit zahlreichen offenen Fragen. Nachdem die durchweg mit schicken Schauwerten ausgestattete Serie in der letzten Episode auf einige rasante Entwicklungen setzt, sich mancher Figuren auf überraschend kaltblütige Weise entledigt und mit einem neuen großen Mysterium aufwartet, ist einfach Schluss. Das war´s. [...]

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                                      • 5

                                        Filmemachen ist kein Zuckerschlecken und hat mit bestimmten romantisierten Vorstellungen, die immer noch viele Gelegenheitszuschauer mit der Industrie verbinden, in der Realität wenig gemeinsam. Regisseur Eiji Uchida wirft in "Gesu no ai" einen Blick speziell auf die Independent-Szene Japans und übergießt sein Werk dabei mit literweise ätzendem Pessimismus.
                                        Hauptfigur Tetsuo wohnt mit 39 Jahren immer noch zu Hause, schleppt am liebsten jeden Abend eine andere Frau ab und träumt vom großen Durchbruch als Regisseur. Die Wirklichkeit holt ihn allerdings täglich ein, denn Tetsuo schlägt sich durchgehend ohne Produzenten und somit ohne finanzielle Unterstützung durch unabhängige Eigenproduktionen, bietet für überzogene Mitgliedspreise Unterricht in einem "Filmclub" an, bei dem ihm die Schauspieler überwiegend egal sind und dreht am häufigsten billige Pornos.
                                        Als Zuschauer fällt es einem oftmals nicht leicht, dieser Hauptfigur Sympathien oder gar Verständnis entgegenzubringen, denn Uchida zeichnet Tetsuo nicht nur als chronischen Verlierertypen, der seiner großen Leidenschaft blind hinterher rennt, sondern in vielen Szenen auch als schmierigen Soziopathen, der sich nicht nur am Rande der sexuellen Belästigung bewegt, um Frauen für sich zu gewinnen, sondern alles und jeden wie Dreck behandelt.
                                        Der Regisseur nimmt aber nicht nur seine eigene Hauptfigur scharf aufs Korn, sondern verteilt Spitzen in verschiedene Richtungen. In "Gesu no ai" sind die erfolgreicheren Regisseure ausnahmslos an publikumswirksamer Massenkompatibilität interessiert, verkaufen ihre künstlerische Handschrift für Geld und nehmen sich eine junge Frau nach der anderen mit in die Wohnung, während diese für Aussichten auf eine Hauptrolle sämtliche sexuelle Gefälligkeiten erfüllen.
                                        Dem Film fehlt es jedoch an weitläufiger Substanz, nachdem sich die gesamte erste Hälfte ausschließlich um diese genannten Eigenschaften dreht, die Uchida mehrfach wiederholt, wodurch sich sein Werk auffällig im Kreis dreht.
                                        Sofern man beispielsweise Shion Sonos "Jigoku de naze warui" gesehen hat, kommt einem dieses Werk bei der Sichtung von Uchidas Film immer wieder in den Sinn. "Gesu no ai" fehlt es schlichtweg an der nötigen satirischen Schärfe, man vermisst den gewissen Biss, den vor allem japanische Regisseure gerne in ihre Arbeiten einbringen und eine etwas extravagantere, mutigere Herangehensweise an ein solches Thema.
                                        Am Ende verläuft sich Uchida somit in eher monotoneren Gewässern, die Kernaussagen hat er bereits nach der Hälfte getätigt und trotz einiger Lichtblicke in der zweiten Hälfte, bei der Anflüge einer differenzierten Betrachtung einiger Charaktere aufblitzen, ist "Gesu no ai" purer Durchschnitt, der gemessen an seinem Potential schwer enttäuscht. Insbesondere mehr Mut zum Exzess, noch aufwühlendere Konsequenzen und bissige Pointen vermisst man sehr.

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                                        • 9
                                          über Krisha

                                          Gerade einmal zwei Kurzfilme hat Trey Edward Shults gedreht und "Krisha" ist nun sein Langfilmdebüt. Und selten hat ein junger Filmemacher das amerikanische Independent-Kino in den letzten Jahren so glühen und erbeben lassen wie er.
                                          "Krisha" ist so herausragend inszeniert, wie man es in einem Debütfilm schon lange nicht mehr erleben durfte. Das Spiel mit unterschiedlichen Bildformaten, etlichen Kamera-Techniken und ein Sound-Design, das den Betrachter jederzeit mitten in den Kopf der Hauptfigur befördert, machen aus dem Film ein aufregendes Feuerwerk, bei dem es tatsächlich in jeder Einstellung etwas zu bestaunen gibt. Ohne große Schwierigkeiten lassen sich hier Spuren von Terrence Malick (dem Shults als Praktikant bei der Post-Produktion seiner drei letzten Filme assistieren durfte), Xavier Dolan oder Roman Polanski erkennen.
                                          Darüber hinaus bringt der Regisseur mit seinem Werk das zum Ausdruck, was in letzter Zeit seltener geworden ist. Eine unglaublich persönliche Vision, für die Shults seine engsten Familienmitglieder und Freunde als Schauspieler besetzte und eine Geschichte erzählt, die erstaunlich viele Parallelen zu seinem wahren Leben enthält und selbst schmerzhafteste, intimste Details nicht ausspart.
                                          Die Heimkehr einer Frau, die sich für Thanksgiving nach vielen Jahren der vollständigen Abwesenheit wieder mit ihrer Familie vereint, entfaltet sich nach und nach zu einem ebenso erschütternden wie bewegenden Drama, in dem es um alte Narben geht, die niemals zu verheilen scheinen, um Fehler und Probleme, die im Kreis der eigentlich engsten Vertrauten unausgesprochen und unzureichend aufgearbeitet bleiben und somit zur tragischen Eskalation führen, und um den Wunsch nach Nähe, dem Verlangen nach familiärer Geborgenheit, das im Angesicht von Unsicherheit, Rückfällen und Ängsten in blanken Horror umschwenken kann.
                                          Ein überwältigendes Meisterwerk, nach dem man sich fragt, wohin Trey Edward Shults als nächstes überhaupt noch will.

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                                          • 7

                                            [...] Zu ausführlich soll hierbei auf die weitere Handlung eigentlich auch gar nicht eingegangen werden, denn Scare Campaign hat ein paar Überraschungen auf Lager, die der erfahrene Genre-Fan, welcher in seinem Leben bereits viele Horrorfilme gesehen hat, unter Umständen bereits eine Weile im Voraus erahnen könnte. Doch selbst wenn dies der Fall sein sollte, wird der schwarzhumorige Spaßfaktor dadurch kaum ausgebremst. Mit 80 Minuten Laufzeit rauscht der Film geradezu am Zuschauer vorbei, wobei die mal hinterlistigen, mal makaberen Wendungen überaus treffsicher in den Handlungsverlauf integriert werden und genau zum richtigen Zeitpunkt einschlagen. Scare Campaign lässt sich ohne Weiteres als überraschend blutige Achterbahnfahrt genießen, der man die Liebe zum lustvollen Genre-Schabernack in praktisch jeder Einstellung ansieht. Schaurige Spannung, derbe Schockeffekte und augenzwinkernde Einlagen, die jedoch mit fortschreitender Dauer deutlich in den Hintergrund rücken, werden von den zwei Regisseuren mit verspielter Leichtigkeit jongliert. Daneben ist der Streifen thematisch aber auch an Filme wie Videodrome von David Cronenberg (Die Fliege) angelehnt und nimmt den natürlichen Voyeurismus sowie gesteigerten, weiterentwickelten Medienkonsum der Menschheit präzise vor die Flinte. [...]

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                                            • 3

                                              [...] "Hommage" bedeutet für Keating, über die Bilder seines Films einen grässlichen Sepia-Filter zu klatschen, damit die Optik möglichst originalgetreu an flirrende Frühwerke eines Wes Craven (Hügel der blutigen Augen) erinnert. Hinzu kommt der konträre Einsatz von Country-/Pop-Songs, die das Geschehen immer wieder ironisch begleiten. Handwerklich bewegt sich Carnage Park nahe an einer Katastrophe. Dieser Eindruck wird zusätzlich durch die chaotische Montage verstärkt, bei der gelegentlich durch die Zeit gesprungen und auf unchronologische Weise Fetzen der Vergangenheit eingestreut werden. Die äußerst dünn gezeichneten, platten Figuren sollen so wohl zumindest etwas mit Charakter gefüllt werden, doch über den Eindruck eines verplanten Tarantino-Abklatschs kommt der Film hierdurch kaum hinaus. Inhaltlich herrscht in Carnage Park bedauerlicherweise ebenfalls überwiegend tote Hose. Nachdem der Regisseur den Film direkt zu Beginn mit einer Texttafel noch überheblich als eine der bizarrsten Episoden in der Geschichte amerikanischer Verbrechen ankündigt, wird ein Großteil der nachfolgenden Handlung lediglich auf ein simples Spiel zwischen Jäger und Gejagter reduziert. [...] Keating klappert lustlos Klischees und vorhersehbare Stationen ab, die keinerlei Gefühl von unangenehm geschürtem Terror oder Spannung erzeugen, und auch die unnötig explizite Gewaltdarstellung zieht wirkungslos am Betrachter vorbei. Während die Hauptdarstellerin in der Rolle des durchaus wehrhaften, schlagfertigen Opfers als einzige in diesem Film Sympathiewerte für sich verbuchen kann, manövriert sich Carnage Park aufgrund des Schauspiels von Pat Healy (Cheap Thrills) endgültig ins Aus. Auch wenn Healy solch einen Charakter bislang noch nicht gespielt hat, schießt er komplett über das Ziel hinaus. Seine Darstellung eines übergeschnappten Psychopathen ist stellenweise fast schon unfreiwillig komisch, und selbst, wenn der Schauspieler mit seiner Performance beispielsweise an den zynischen Wahnsinn eines Mick Taylor aus Wolf Creek anknüpfen wollte, ist sein Wyatt Moss eher eine Witzfigur anstatt ernsthaft bedrohlich. [...]

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                                              • 8

                                                [...] Kashyap greift zunächst eine wahre Begebenheit auf, bei der ein Serienkiller in den 60ern in Mumbai ungefähr 40 Menschen mit einer Eisenstange erschlug und seine Taten offen zugab. Der Regisseur stellt allerdings sofort klar, dass sein Werk kein Biopic ist, dass sich mit diesem Killer beschäftigt. Stattdessen ist Psycho Raman eher eine nihilistische Variation der realen Vorlage, bei der das Erbe des Serienkillers Raman Raghav als schizophren gespaltene Form in Gestalt von zwei Figuren in der Gegenwart manifestiert, die auf gegensätzlichen Seiten des Gesetzes stehen und doch identische Seiten einer Medaille darstellen. [...] Zwischen dreckigen Bildern, bei denen der Regisseur das Elend der von Armut gezeichneten Slums Mumbais ungeschönt zeigt, ist Psycho Raman zudem mit einer extrem stilvollen Handschrift inszeniert, bei der Kashyap auf grell ausgeleuchtete Settings oder überraschend platzierte Songs setzt, die den Handlungsfluss immer wieder markant aufbrechen. Atmosphärisch wirkt der Film, als hätten sich Thriller-Spezialist David Fincher (The Social Network) und Nicolas Winding Refn (Drive), eines der audiovisuell momentan stärksten Talente in der Filmszene, in Indien zusammengetan und dieses Werk geschaffen. Auch wenn einige inhaltliche Bausteine mehr als vertraut wirken und das Motiv des Duells zwischen zwei Figuren, die eigentlich Kontrahenten sind und charakterlich doch voller Parallelen stecken, keinesfalls eine Innovation darstellt, ist Psycho Raman bis zur bittersten Konsequenz durchdacht worden und drückt den Betrachter durch schockierende Höhepunkte und die druckvolle Machart regelmäßig in den Sitz.Einen großen Anteil an dieser Sogwirkung, die ihren Reiz aus der Faszination des mitunter puren Bösen bezieht, tragen die beiden Hauptdarsteller bei. Nawazuddin Siddiqui (Lion) verkörpert mit seinen furchterregenden Augen und der unberechenbaren Ausstrahlung einen derart intensiven Psychopathen, dass es einen immer wieder fröstelt. Neben ihm muss sich Vicky Kaushal (Masaan) daher aus einem großen Schatten hervorspielen. Als brutaler Polizist, der nicht nur direkt am Tatort Koks durch die Nase zieht, sondern die eigene Freundin rücksichtslos unterdrückt, beim Sex bewusst auf das Kondom verzichtet und Abtreibung bei einer möglichen Schwangerschaft gefühllos in Betracht zieht, stellt er ein explosives Gegenstück zu Siddiquis brillantem Psychopathen dar und gerät immer stärker außer Kontrolle. In einer beängstigenden Schlüsselszene sind beide Figuren schließlich nicht mehr zu unterscheiden und verschmelzen in verstörender Manier symbolisch zu einem Wesen, das längst keine Unterscheidung mehr macht, ob es aus reiner, geisteskranker Willkür mordet oder währenddessen eine schützende Polizeimarke trägt. [...]

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                                                • 7 .5
                                                  über Weiner

                                                  [...] Auch wenn diese Dokumentation vielen bislang kein großer Begriff sein dürfte, lohnt sich ein Blick auf Weiner unbedingt. Josh Kriegman und Elyse Steinberg haben den Politiker Anthony Weiner über einen langen Zeitraum begleitet und sämtliche Ereignisse, die sich vor allem immer wieder um einen verheerenden Online-Sex-Skandal drehen, welcher 2011 ans Licht der Öffentlichkeit gelangte, für die Nachwelt festhalten können. [...] Weiner begleitet den Ex-Politiker schließlich bei seinem Versuch, ein Comeback zu starten, indem sich Weiner für eine Kandidatur als Bürgermeister von New York wählen lassen will. Kriegman und Steinberg gelingt in ihrer Dokumentation der seltene Coup, das öffentliche Bild eines Menschen, die Wahrnehmung, die diese Person nach außen hin kommuniziert, auf intimste Weise mit dem Privatleben dahinter zu verbinden. Weiners Charakter selbst sorgt dabei für den größten Diskussionsstoff dieses Films. Auch wenn der Politiker ganz klar Fehler begangen hat, die im Vergleich zu den Leichen, die so manch andere seines Berufsfeldes im Keller haben, fast schon nebensächlich erscheinen, sind seine Absichten als Politiker durchaus ehrenvoll und auch der Kampfgeist, mit dem er sich immer und immer wieder einzelnen Gesprächspartnern, den Medien oder persönlichen Konkurrenten stellt, obwohl er dadurch meistens mit großen Schritten ins nächste Fettnäpfchen tritt, ist durchaus bemerkenswert.Trotzdem ist Weiner eine Dokumentation, die regelmäßig dafür sorgt, dass man den Blick fast schon beschämt abwenden möchte. Der mediale Shitstorm, der über Weiner einbricht, lässt diesen Film durch die absurd komischen Überschriften in den großen Tageszeitungen oder die fiesen Scherze, welche namhafte Late-Night-Hosts über dessen Sexting-Affäre machen, fast schon zur unterhaltsamen Komödie werden. Das Lachen bleibt einem aber schnell im Hals stecken, wenn im nächsten Moment auf schmerzlich intime Weise gezeigt wird, wie sich diese Ereignisse auf Weiners Ehe auswirken, die hinter den Kulissen deutlich sichtbare Risse erfährt. [...]

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                                                  • 6 .5

                                                    [...] Frei nach dem Motto "A Little Party Never Killed Nobody", an dem sich Luhrmann zuletzt auch schon bei seiner großartigen Adaption von Der große Gatsby orientierte, ist der 90-minütige Auftakt der Serie ein einziger Rausch. Der Regisseur reiht eine exzessive Montage an die nächste, springt in schwindelerregendem Tempo von Figur zu Figur und nimmt sich die Freiheit heraus, ungefähr alle 5-10 Minuten eine ausufernde, leidenschaftlich choreographierte Tanz-, Rap- oder Gesangseinlage zu inszenieren. Dass The Get Down mit üppigen 10 Millionen Dollar Budget pro Folge die bislang wohl teuerste Netflix-Produktion ist, sieht man ihr in beinahe jeder Szene an. Die Serie atmet das Lebens- und Zeitgefühl des New Yorks der 70er und lässt die damalige Bronx vor den Augen des Zuschauers authentisch wiederauferstehen, inklusive einiger augenzwinkernder Popkultur-Referenzen der damaligen Ära wie zum Beispiel der Kinostart des ersten Star Wars. Nach dem beeindruckenden Auftakt, der einen über 90 Minuten hinweg durchaus auch etwas auslaugt, macht sich allerdings überraschend schnell Ernüchterung breit. Luhrmann räumt schon nach der ersten Folge den Regiestuhl und macht den Weg für andere Regisseure frei. Die treten gehörig auf die Bremse, schrauben den Exzess ein ganzes Stück zurück und sind darum bemüht, den einzelnen Figuren und Handlungssträngen mehr Raum zur Entfaltung zu gewähren. The Get Down gerät dadurch zunehmend zu einem eher gewöhnlichen Period Piece, in dem versucht wird, die Entstehung einer ganzen musikalischen Bewegung, das Porträt einer Stadt und die Entwicklung einzelner Charaktere zu verbinden. Dabei treten allerdings immer stärker erzählerische Klischees oder gestelzte Dialoge in den Vordergrund, wodurch öfters das Gefühl entsteht, man schaut gerade eine großzügig budgetierte Soap, die hin und wieder noch von tollen Momenten in Form musikalischer Einlagen durchbrochen wird. [...] Vielleicht hätte Luhrmann die Pilotfolge noch etwas ausstaffieren und alleinstehend als Film veröffentlichen sollen, denn der Auftakt ist ein energiegeladenes Meisterstück, dem die nachfolgenden Episoden trotz vereinzelter fantastischer Momente etwas mühsam hinterher hinken. Sobald sich die Figuren ganz in ihrer Leidenschaft verlieren und völlig der Musik hingeben, entstehen in The Get Down viele magische Momente, doch diese werden zu rar verstreut in einem ansonsten zu gewönhlichen Restmaterial, welches inhaltlich einfach noch sehr an konventionellem Fernsehen haftet. [...]

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